Sprachenübergreifendes Lernen

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4.2 Zur Konzeption und zur Durchführung der Unterrichtsreihe

Die Unterrichtsreihe orientierte sich inhaltlich an der Leitfrage „Pourquoi apprendre le français – est-ce que l’anglais ne suffit pas ?“. Die Zukunftsbedeutung des Themas ergab sich aus dem lebensweltlichen Bezug, d.h. dem Erwachsenwerden in einer globalisierten Welt, in der Fremdsprachenkenntnisse u.a. mit Blick auf das zukünftige Berufsleben sowie Mobilitätserfahrungen unabdingbar sind. Kommunikativer Kompetenzschwerpunkt war die Förderung von Sprachmittlungs- sowie Sprechkompetenzen. Als Materialien kamen neben einer Sprachmittlungssaufgabe u. a. mehrsprachige Lieder des französischen Sängers Manu Chao sowie Auszüge aus dem Film L’auberge espagnole zum Einsatz, die als Redeanlässe dienten. Als differenzierende Maßnahme war eine Stationenarbeit zu romanischer Interkomprehension vorgesehen, bei der die SchülerInnen auf Grundlage von Französisch eine bisher ungelernte romanische Sprache nach Wahl (Spanisch oder Italienisch) selbständig erschlossen und diesen Prozess reflektierten. Den Abschluss der Unterrichtsreihe bildete die Durchführung einer fishbowl-Diskussion, bei der die SchülerInnen in der Fremdsprache die Leitfrage der Unterrichtsreihe diskutierten und dabei auf die Erfahrungen zurückgriffen, die sie im Rahmen der Reihe gemacht hatten. Im Folgenden werden zwei Stunden aus der Reihe herausgegriffen und deren Durchführung skizziert. Dabei werde ich auch Rückgriff auf ausgewählte SchülerInnenprodukte nehmen.

4.2.1 L’auberge espagnole

In dieser Stunde stand die Arbeit mit Filmauszügen aus l’auberge espagnole1 von Cédric Klapisch im Mittelpunkt2. Das Filmmaterial passte nicht nur inhaltlich in die Unterrichtsreihe, sondern eignete sich auch aufgrund von interlingualen Vergleichsmöglichkeiten zur Förderung von Mehrsprachigkeit. Es wurden folgende Lernziele angestrebt: 1. Die SchülerInnen können die mehrsprachigen Kommunikationssituationen inhaltlich nachvollziehen (Hörsehverstehen). 2. Die SchülerInnen können Wörter in einer unbekannten Sprache heraushören. 3. Die SchülerInnen können die phonetisch-graphematischen Beziehungen zwischen den ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen vergleichen (SLK).

Um eine Hörseherwartung aufzubauen, die das inhaltliche Verstehen der Sequenzen im Sinne eines scaffolding unterstützen sollte, erfolgte zunächst die Beschreibung des Filmplakats durch die SchülerInnen. Im Anschluss daran zeigte ich zweimal einen ersten Filmauszug von ca. 2 Minuten. Diese Szene ist in der Originalfassung nicht übersetzt, d. h. sie findet auf Spanisch bzw. Katalanisch statt. Die Filmsequenz spielt an der Universität, die Erasmus-Studierenden haben Mühe, dem auf Katalanisch referierenden Professor zu folgen. Um zunächst das Globalverstehen zu sichern, beantworten die SchülerInnen die Fragen Où se passe la scène ? und Qui sont les protagonistes ?. Danach schloss sich eine Phase des Detailverstehens an, bei der die SchülerInnen die Fragen Que font les protagonistes ? und Quel est le problème ? beantworteten. Die Sicherungsphase erfolgte im Plenum. Anhand der hohen SchülerInnnenbeteiligung und der Antworten wurde deutlich, dass das Lernziel 1 in vollem Umfang erreicht werden konnte. Daraufhin wurde eine zweite Filmsequenz gezeigt, in der Erasmus-Studierende das Für und Wider der Mehrsprachigkeit in Europa auf Spanisch diskutieren. Der Arbeitsauftrag lautete: Quels mots comprenez-vous ? Notez-les. Der Filmauszug wurde zweimal gezeigt, um den SchülerInnen die Möglichkeit zu geben, Lücken aus dem ersten Durchgang zu schließen. Die Sicherung erfolgte im Plenum, ich hielt die Wörter an der Tafel fest. In der sich anschließenden Erarbeitung sollten die SchülerInnen diese Wörter mit den ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen in Form von Wortserien vergleichen und dabei ihre Reflexionen festhalten.

Um das Erreichen der Lernziele 2 und 3 deutlich zu machen, beziehe ich mich im Folgenden auf ausgewählte Produkte von zwei Schülerinnen (Marina, Steffi) und einem Schüler (Jannik), die mit Auszügen aus den Lernprotokollen trianguliert werden.3 Jannik hält folgendes in seinem Lernprotokoll fest: „Ce que j’ai appris de nouveau : Spanische Endungen -dad, - o und -a häufig (1). Mes stratégies: Erst alle spanischen Wörter eintragen, dann übersetzen was ich kann und anschließend Wörterbuch (2). Mes réactions: Interessant, wie sich die Sprachen ähneln und unterscheiden (3).“ Es zeigt sich, dass es Jannik gelingt, Lexeme zu segmentieren und entsprechende Endungen im Spanischen zu identifizieren (1). In seinem Schülerprodukt finden sich zahlreiche Wortserien, u.a. identidad (span.), identité (frz.), identity (engl.), Identität (dt.), dazu notiert er „Spanisch -dad, frz. - té, Englisch -ty, Deutsch: -tät“. Allerdings lässt er bei seinen Vergleichen den Artikel außer Acht, der bei sämtlichen Lexemen weiblich ist, was zu einer zusätzlichen Bewusstmachung geführt hätte. Bei der Wortserie combinar (span.), combiner (frz.), to combine (engl.), kombinieren (dt.) zeigt sich, dass er das bildungssprachliche Wort ‚kombinieren‘ mobilisiert und nicht etwa das alltagssprachliche Wort ‚zusammensetzen‘. Hier hätten sich weitere intralinguale Vergleichsmöglichkeiten in Bezug auf das Deutsche anschließen können, indem der Frage nachgegangen wird, wieso mehrere Wörter mit derselben Bedeutung existieren. Grundsätzlich weist vieles darauf hin, dass er bei der Aufgabe planvoll vorgeht, da er sie in einzelne Schritte unterteilt und externe Ressourcen hinzuzieht (2). Schließlich lässt sich ein gewisses Interesse an interlingualen Vergleichen ablesen (3).

Bei Marina ist auffällig, dass sie ihre Italienischkenntnisse in ihr Schülerprodukt integriert. Ihre Wortserien umfassen insgesamt fünf Sprachen, außerdem fügt sie die Artikel der Substantive hinzu: un momento (span.), un moment (frz.), a moment (engl.), ein Moment (dt.), uno momento (ital.). Dazu notiert sie: „Man kann sehen, ob es ein Nomen, ein Adjektiv oder Verb ist. Man kann erkennen, ob es männlich oder weiblich ist, z.B. durch o am Ende eines Wortes (m.) oder a (f).“ Marina analysiert die Lexeme und segmentiert deren Endungen, was sie zu deren Geschlecht führt. Im Lernprotokoll hält sie fest: „Intérêt pour le sujet : Ich finde es sehr interessant, mehr über andere Sprachen zu erfahren (1). Motivation: Mehr über andere Sprachen erfahren und mit ihnen klarkommen (2). Ce que j’ai appris de nouveau : mehrere Wörter (3)“. Grundsätzlich zeigt Marina eine Offenheit und Neugier gegenüber unbekannten, bisher ungelernten Sprachen (1). Außerdem spricht vieles dafür, dass sie am Erlernen weiterer Sprachen interessiert ist (2). Bei der globalen Aussage, „mehrere Wörter“ gelernt zu haben, hätte sie allerdings genauer sein können. Dies zeigt, dass ihre SLK noch zu fördern ist, was sich mit Befunden aus ihrem Schülerprodukt deckt. Zu dem spanischen Syntagma „una única identidad“ notiert sie „una = Artikel“, única = Nomen“. Sie achtet dabei nicht auf den Kotext und die weitere Wortfolge, sondern nimmt die erstbeste Entsprechung, sodass sie übersieht, dass es sich bei única um ein vorangestelltes Adjektiv handelt. Hieran wird deutlich, dass Hypothesen der SchülerInnen bspw. mit einem Wörterbuch oder im Unterrichtsgespräch zu verifizieren sind.

Steffi verfasst ihr Lernprotokoll auf Französisch und in einem Fließtext:

J’aimais faire cet exercice parce que j’ai aperçu que c’étaient les mêmes mots en français, anglais ou d’autres langues (1). La seule petite difficulté était l’orthographe avec les accents ou des terminaisons (2). Ma motivation était que si je peux transposer des mots, je peux comprendre des mots d’autres langues aussi (3). Ma stratégie était de trouver des règles, par exemple en espagnol j’ai trouvé que les terminaisons pour des mots masculins sont ‘o’, pour des mots féminins ‘a’ (4).

Es zeigt sich, dass Steffi nach eigener Einschätzung nicht nur eine mehrsprachige Sensibilisierung erfahren hat, sondern auch Freude an der Auseinandersetzung mit mehreren Sprachen hatte (1). Darüber hinaus gelingt es ihr, Schwierigkeiten zu identifizieren (2), was für ihre SLK spricht. Außerdem erwähnt sie ihre Motivation, die sich daraus ergibt, dass sich Wörter übertragen lassen und für das Verstehen bisher ungelernter Sprachen fruchtbar gemacht werden können (3). Auch sie verfügt über eine Analysekompetenz, die sich darin zeigt, dass sie Wörter segmentieren kann und anhand der Endungen auf deren Geschlecht schließen kann, wozu sie eine Regel formuliert (4). Interessant an Steffis SchülerInnenprodukt ist, dass auch sie das spanische Syntagma una única identidad in der Wortserie wie folgt weiterführt: „une unité, one unity, eine Einheit“. Offenbar führt das Erkennen des Morphems uni- dazu, dass Steffi Wörter abruft, die mit diesem Morphem beginnen. Dabei übersieht sie die Regelmäßigkeit in Bezug auf die Endung -ité / -ity / -tät, denn unterhalb dieser Wortserie notiert sie „identidad / identité / identity / Identität“. Daraus wird ersichtlich, dass die SchülerInnen die morphologische Ebene weniger berücksichtigen. Für die unterrichtliche Praxis bedeutet dies, dass hier weitergehende Übungen anknüpfen müssten.

4.2.2 Découvrons l’espagnol – découvrons l‘italien

Im Zentrum dieser Stunde stand eine Stationenarbeit zu Spanisch bzw. Italienisch. Offene Lernarrangements in Form von Stationenarbeiten sind im besonderen Maße dazu geeignet, SLK anzubahnen. Der Kompetenzschwerpunkt innerhalb der Unterrichtsstunde lag im Bereich der SLK und der Lesekompetenz. Folgende Lernziele wurden angestrebt: 1. Die SchülerInnen können Textauszüge in einer bisher ungelernten Sprache auf der Basis ihres Vorwissens erschließen und verstehen. 2. Die SchülerInnen können unbekannte Lexeme durch Ableitung aus bekanntem Vokabular bzw. vorgelernten Sprachen sinngemäß verstehen bzw. erschließen (funktional-kommunikative Kompetenz Lesen).

 

3.Die SchülerInnen können ihren Sprachlernprozess reflektieren, d. h. planen, überwachen und geeignete Strategien zur Aufgabenbewältigung anwenden (SLK).

Bei der Auswahl des Materials orientierte ich mich an den sprachenübergreifend ausgerichteten Lehrwerken Descubramos el español (Holzinger et al., 2012) bzw. Scopriamo l‘italiano (Rückl et al., 2012), die insbesondere Französisch als vorgelernte Fremdsprache systematisch aufgreifen. Ich habe Aufgabenstellungen und -formate übernommen, teilweise ergänzt und um Reflexionsfragen zur Vorgehensweise erweitert. Aus Platzgründen beschränke ich mich im Folgenden auf die Darstellung der Stationenarbeit zu Spanisch.

Das Unterrichtsmaterial wurde mit Blick auf die Lernziele der Stunde teilweise modifiziert und um Reflexionsfragen ergänzt (s.u.), mit deren Hilfe die SchülerInnen Einblicke in ihren Lernprozess gewinnen sollten1. Die erste Station parlons du sport ! erfüllte mehrere Funktionen: Zunächst diente sie als Einstieg, bei dem sprachliches Vorwissen zum Thema Sport aktiviert werden sollte (Est-ce que tu fais du sport ? Lequel ? / Qu’est-ce que tu penses du foot ? Est-ce que tu as une équipe de foot favorite ? Laquelle ? …). Bei den spanischen Texten handelte es sich um nicht-authentische Textauszüge mit einem mittleren Anspruchsniveau (Holzinger et al., 2012: 125ff.). Die relativ kurzen Textauszüge weisen zahlreiche Internationalismen (z. B. Bildbeschreibungen Station 2: parte superior / inferior, banda diagonal, usw.) bzw. fachsprachliche Elemente auf, die interlingual erschließbar sind (z. B. el punto de penalti).

In Station 2 Les équipes de foot espagnoles les plus connues sollten spanische Beschreibungen von Vereinswappen den entsprechenden Bildern zugeordnet werden (vgl. Holzinger et al., 2012, S.126). Hieran schlossen sich Reflexionen zur Vorgehensweise an. Ziel dieser Aufgabe war, die SchülerInnen für verschiedene Strategien der Bedeutungs- bzw. Worterschließung zu sensibilisieren und auch eine Aufgabenbewusstheit (Martinez, Wäckerle, Tesch, 2017, S.300f.) anzubahnen. In den SchülerInnenprodukten zeigt sich, dass die SchülerInnen bei der Bearbeitung dieser Aufgabe planvoll und strategiegeleitet vorgehen. Jannik notiert z. B. „Ich habe mich zuerst auf bekannte Wörter wie balón oder diagonal konzentriert und die mit den Bildern verglichen. Dann habe ich die Gegenstände in den Bildern in den Texten gesucht.“ Er verknüpft also top-down und bottom-up Strategien für die Bedeutungserschließung des spanischen Textes. Mithilfe der Bilder gelingt es ihm schließlich, unbekannte Lexeme in den Texten zu verstehen (z.B. barras). Nicole hält auf die Frage Quels mots est-ce que tu as pu deviner à l’aide du français ? Folgendes fest: los colores – les couleurs, un puente – un pont, el centro – le centre, las estrellas – les étoiles, la imagen – l’image, verde – vert, predominante – predominant (engl.), corona – Krone (dt.). Es zeigt sich, dass sie ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire zur Bedeutungserschließung mobilisiert, da sie neben Französisch auch Englisch und ihre Muttersprache Deutsch für die Vergleiche heranzieht. Interessant ist, dass die Aufgabenstellung keine Gegenüberstellung der Sprachen verlangte. Nicole notiert dennoch die französischen, englischen und deutschen Entsprechungen der spanischen Wörter. Es spricht vieles dafür, dass sie den Vergleich der bewussten Gegenüberstellung als eine Strategie wahrnimmt und entsprechend anwendet.

Station 3 Est-ce que tu es un expert de foot? enthält eine interlinguale Wortschatzübung, mit der das Wortfeld Fußball erarbeitet wurde. Dabei sollten vorgegebene französische Wörter den spanischen Entsprechungen zugeordnet werden. Anschließend sollten die SchülerInnen auch die deutsche Übersetzung notieren, um so einen dreisprachigen Vergleich spanisch/französisch/deutsch zu initiieren. Die Übung wurde von einer Reflexionsaufgabe flankiert. Djawed notiert hierzu: „Die Sprachen haben Artikel. Spanische Nomen fangen auch klein an“. Dies mag auf den ersten Blick keine überraschende Einsicht sein, allerdings muss berücksichtigt werden, dass es Sprachen gibt, die ohne Artikel auskommen (z.B. Russisch) oder aber den bestimmten Artikel an das Nomen hängen (z.B. Rumänisch). Auch die Tatsache, dass er die Kleinschreibung von Substantiven im Spanischen wahrnimmt, ist erwähnenswert. Seine Einsichten haben also durchaus einen sprachbewusstheitsfördernden Charakter.

Michaels Beobachtungen zu der durchgeführten Aufgabe sind im Vergleich dazu eher globaler Natur: „Die Wörter ähneln sich und es ist möglich, dadurch fast jedes Wort abzuleiten“. Michael hätte hier noch herausarbeiten können, worin genau die Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen, um so eine sprachenübergreifende Sensibilisierung anzubahnen. Steffi hingegen beobachtet Folgendes: „Manche Wörter sind bei Spanisch und Französisch fast gleich, z.B. el balón (span.) – le ballon (frz.), andere lassen sich besser mit Englisch vergleichen, z.B. área de penalti (span.) – penalty area (engl.).“ Beim Vergleich der fremdsprachlichen Strukturen gelingt es Steffi, ihr mehrsprachiges Repertoire zu mobilisieren und für die Analyse fruchtbar zu machen.

Bei Station 4 Real Madrid contre Barça – c’est un classique ! ging es schließlich darum, einen Text in Form einer Sportberichterstattung lesend zu verstehen und im Anschluss daran multiple-choice Fragen zu beantworten, um das Textverständnis zu sichern. Die SchülerInnen konnten hier auf das in Station 3 erarbeitete Vokabular zum Wortfeld Fußball zurückgreifen, sodass eine gewisse Progression gegeben war. Bei der Analyse der SchülerInnenprodukte zeigte sich, dass diese Aufgabe von allen SchülerInnen nahezu ohne Schwierigkeiten bearbeitet werden konnte.

In Bezug auf die Lernziele lässt sich festhalten, dass die Lernenden die Textauszüge in einer bisher ungelernten Sprache erschließen und unbekannte Lexeme durch Ableitung sinngemäß verstehen konnten. Die Auszüge zeigen, dass die SchülerInnen eine breite Palette an Strategien anwenden. In Bezug auf die Reflexion des Sprachlernprozesses ist allerdings zu sagen, dass es einigen SchülerInnen nicht gelingt, tiefergehende Einsichten in ihren Lernprozess zu verbalisieren. Teilweise bleiben die formulierten Beobachtungen auf einem sehr allgemeinen Niveau. Grundsätzlich schienen die SchülerInnen durchaus motiviert für das Stundenthema, wie sich an den folgenden SchülerInnenäußerungen zeigt: Kathrin ist bspw. überrascht, dass sie Italienisch lesend verstehen kann: „Ich hätte nicht geglaubt, dass man so viel versteht von dem italienischen Text“ und auch Steffi erwähnt den Faktor Motivation: „Also ich fand’s auch gut, weil man dann auch wirklich motiviert war, wenn man was verstanden hat“. Allerdings spricht sie auch Schwierigkeiten an, die sie bei der Übertragung hatte: „Als man übersetzen musste, […] also, man wusste was das heißt, aber dann das im Kopf dann wieder umzudenken ins Französische, das war schwierig“. Hier zeigt sich, dass das Oszillieren zwischen mehreren Sprachen mitunter als Herausforderung empfunden wird.

Neben diesen eher positiven Stimmen sollen im Sinne der Offenheit aber auch Kritikpunkte der SchülerInnen dargestellt werden. Petra äußert sich bspw. wie folgt: „Generell ist es gut zu wissen, wie viel man von anderen Sprachen versteht, aber so für Französisch, also um die Französische Sprache zu lernen, bringt mir das ja gar nichts“. Auch Jennifer äußert sich ähnlich: „Also ich fand das mal ganz interessant so, […] aber ich bräuchte das jetzt nicht jede Stunde“. Die SchülerInnen sprechen hier ein Dilemma des sprachenübergreifenden Unterrichtens an, der in einen Einzelsprachenunterricht eingebettet ist. Es besteht darin, die sprachliche Arbeit nicht zu vernachlässigen. Grundsätzlich deuten die SchülerInnenäußerungen aber auch darauf hin, dass Sprachen in Fächern gedacht werden und die Vernetzung von vor- und potentiell nachzulernenden Sprachen aus Schülersicht eine untergeordnete Rolle spielt. Offenbar werden aber auch die retroaktiven Festigungseffekte nicht wahrgenommen, die sich auf die Brückensprachen Französisch (und Englisch) ergeben können. Djawed äußert sich ähnlich kritisch, allerdings stellt er die Vorteile des reflexiven Lernens heraus: „Also zum Französischunterricht selbst hat das ja direkt nichts beigetragen, aber es war trotzdem wahrscheinlich ziemlich nützlich, für später, für andere Sprachen. Einfach zu erkennen, zumindest bei den europäischen Sprachen, dass sich die stark ähneln, dass man vergleicht“.

5. Evaluation der Unterrichtsreihe

In Kapitel 5 werden zunächst die herausgearbeiteten Befunde mit Blick auf die in Kapitel 1 aufgeworfenen forschungsleitenden Fragen diskutiert. Daran schließt eine Reflexion des Vorgehens, auf deren Grundlage Implikationen für die pädagogische Praxis generiert werden.

5.1 Diskussion der Befunde

Die Auswertung des Fragebogens zur Unterrichtswahrnehmung nach Durchführung der Unterrichtseinheit ergibt folgendes Bild:


+ + + - - -
1. Die Arbeit an den Themen fand ich interessant. 5 9 2 0
2. Die Bedeutung der Unterrichtsinhalte für meinen weiteren Lernweg ist mir klar. 7 6 3 0
3. Die inhaltlichen Anforderungen haben mich weitergebracht. 4 7 4 0
4. Ich hatte die Möglichkeit eigenverantwortlich zu lernen. 10 6 0 0

Abbildung 4: Auswertung des Fragebogens zur Unterrichtswahrnehmung

Ein Großteil der SchülerInnen empfand die Arbeit am Thema „Pourquoi apprendre le français – est-ce que l’anglais ne suffit pas ?“ interessant bzw. sehr interessant (Item 1), was sich mit schriftlichen SchülerInnenäußerungen aus dem offenen Teil (das fand ich gut) deckt: „Arbeit mit Spanisch und Italienisch war cool. Ähnlichkeit der Sprachen wurde mir bewusst“. Auch scheint den SchülerInnen nach eigener Aussage die Bedeutung der Unterrichtsinhalte für den weiteren Lernweg deutlich geworden zu sein (Item 2). Die inhaltliche Ausrichtung und thematische Einbindung der Unterrichtseinheit hingegen empfanden immerhin ein Viertel der SchülerInnen als nicht lernförderlich (Item 3), während alle SchülerInnen die Möglichkeit zum selbstgesteuerten Lernen innerhalb der Unterrichtsreihe wahrnahmen (Item 4). Hierzu eine SchülerInnenäußerung aus dem Fragebogen: „Ich fand es gut, dass Sie uns vor Augen geführt haben, warum wir lernen.“

 

Die Lernausgangslage zeigt, dass die SchülerInnen keine Erfahrungen mit dem reflexiven Lernen hatten. Durch das Lernprotokoll sollten die SchülerInnen für die Reflexion ihres Sprachlernprozesses sensibilisiert werden. Die Auszüge aus den Lernprotokollen legen allerdings nahe, dass die SchülerInnen teilweise Schwierigkeiten damit hatten, solche Einsichten herzustellen bzw. diese zu verbalisieren. Nach Sichtung der ersten Lernprotokolle wurde z.B. deutlich, dass es nur wenigen SchülerInnen gelang, Einblicke in ihren Fremdsprachenlernprozess zu gewinnen und diese festzuhalten. Dies mag einerseits der Tatsache geschuldet sein, dass die meisten SchülerInnen ihr Lernprotokoll erfreulicherweise auf Französisch ausfüllten, sodass hier sicherlich auch Formulierungsschwierigkeiten bestanden. Andererseits wiesen aber selbst die auf Deutsch verfassten Lernprotokolle kaum tiefergehende Einsichten auf, sodass sich dieser Befund nicht allein mit Ausdrucksschwierigkeiten in der Fremdsprache erklären lässt. Der Standard 1 zu SLK „Die SchülerInnen können den Sprachlernprozess reflektieren und optimieren“ trifft also nur auf Teile der Lerngruppe zu. Dies spricht dafür, dass das Reflektieren geübt werden muss, denn das Sichtbarmachen von Lernen funktioniert nur, wenn entsprechende Einsichten verbalisiert werden können. So war in einigen Fällen zu beobachten, dass die SchülerInnen zwar Strategien anwandten und ihnen diese auch bewusst waren, weil sie sie mir gegenüber benennen konnten. Allerdings schien es aus ihrer Sicht nicht wichtig, diese im Lernprotokoll festzuhalten. Offenbar kam es den SchülerInnen teilweise seltsam vor, über ihr Sprachenlernen nachzudenken. Diese Befunde sprechen dafür, dass es den SchülerInnen nur eingeschränkt gelingt, ihr Fremdsprachenlernen als einen aktiven Konstruktionsprozess zu konzeptualisieren. Mitunter wurde auch der Einsatz des Lernprotokolls als wenig gewinnbringend erachtet: „Das journal de bord finde ich überflüssig, da ich auch ohne es aufzuschreiben über mein Lernen nachdenken kann“.

Durch sprachenübergreifende Methoden wie Interkomprehension sollten die SchülerInnen ferner dafür sensibilisiert werden, sprachvergleichende Strategien anzuwenden und deren Anwendung zu überwachen, um ihre SLK zu erweitern und auszubauen. Daneben war auch eine Sensibilisierung in Bezug auf affektive Strategien intendiert, z.B. wenn es darum geht, die Motivation aufrechtzuerhalten oder – in Abhängigkeit zur Aufgabe – nicht immer alles verstehen zu müssen. Die SchülerInnenprodukte zeigen, dass ein Großteil der SchülerInnen eine breite Palette an Strategien anwendet (u.a. interlinguale Sprachvergleiche, Kombination von top-down und bottom-up Prozessen, Analyse fremdsprachiger Strukturen durch Segmentieren, Hinzuziehung externer Ressourcen in Form von Wörterbüchern, intelligent guessing, Formulierung von Hypothesen in Form von Regeln). Die SchülerInnen sind also größtenteils in der Lage, ihre „eigenen rezeptiven und produktiven Kompetenzen […] durch geeignete Strategien zu erweitern“ (Standard 2). Weiterhin zeigen die Auszüge aus den SchülerInnenprodukten, dass es den SchülerInnen gelingt, „auch auf Kompetenzen zurückzugreifen, die in anderen Sprachen erworben wurden“ (Standard 5). Allen SchülerInnen gelingt es, ihr mehrsprachiges Repertoire zu mobilisieren und ihr Vorwissen z.B. für die Bedeutungserschließung eines unbekannten Textes fruchtbar zu machen. Insgesamt zeigt sich anhand der Befunde, dass die Förderung von SLK durch den Einsatz eines Lernprotokolls und mehrsprachige Aufgabenformate wie z.B. Interkomprehensionsaufgaben gefördert werden kann (Forschungsfrage 2: Wie kann neben der individuellen Mehrsprachigkeit die Förderung von SLK erfolgen?).

Was die Forschungsfrage 1 (Wie kann die Förderung individueller Mehrsprachigkeit im Rahmen eines kommunikativen und schülerorientierten Französischunterrichts umgesetzt werden?) betrifft, ist festzustellen, dass die Unterrichtsreihe dazu geeignet war, die Kompetenz zur Ausweitung eines mehrsprachigen Repertoires zu fördern. Die SchülerInnenprodukte belegen, dass es den Lernenden – wenn auch in unterschiedlichem Maße – gelang, Ressourcen wie „wissen, dass zwischen Sprachen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen“ (K 6); syntaktische oder morphologische Strukturen erkennen und analysieren können (S 1.4) (Candelier et al., 2012) zu mobilisieren. Daneben deuten die Befunde darauf hin, dass auch die affektiv-attitudinale Dimension durch sprachenübergreifendes Lernen angesprochen werden konnte. Die SchülerInnenprodukte verweisen darauf, dass die Lernenden die Ressource être sensible à la fois aux différences et aux similitudes entre des langues différentes mobilisieren konnten, wenngleich hier teilweise noch Förderungsbedarf besteht, worin genau die Unterschiede und Ähnlichkeiten bestehen. Schließlich zeigt sich, dass bei einem Großteil der SchülerInnen eine curiosité envers la découverte du fonctionnement des langues; acceptation positive de la diversité linguistique nachgewiesen werden konnte. Allerdings ist auch hier einschränkend festzustellen, dass dies nicht für die gesamte Lerngruppe gilt. Obwohl die SchülerInnen im Selbsteinschätzungsbogen angeben, dass sie durchaus am Erlernen weiterer Fremdsprachen interessiert sind, scheinen Fremdsprachen für einen Teil der SchülerInnen keine große Relevanz zu haben. Thomas‘ Aussage ist insofern programmatisch „Ich kann schon kein Französisch, wieso soll ich dann Spanisch lernen?“. Demgegenüber stehen SchülerInnen wie Petra und Marina, deren Begeisterung für die Auseinandersetzung mit bisher unbekannten Fremdsprachen im Rahmen der Unterrichtsreihe deutlich zutage trat.