"Seid ihr bereit ...?" - Priester sein in unserer Zeit

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Aus der Reihe: Fuldaer Hochschulschriften #52
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"Seid ihr bereit ...?" - Priester sein in unserer Zeit
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Fuldaer Hochschulschriften

Fuldaer Hochschulschriften

Im Auftrag der Theologischen Fakultät Fulda

herausgegeben von Jörg Disse

in Zusammenarbeit mit Richard Hartmann

und Bernd Willmes

Markus Lersch /

Christoph G. Müller (Hrsg.)

„Seid ihr bereit…?“ – Priester sein in unserer Zeit


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Gestaltung: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de) Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03427-6 (Print) ISBN 978-3-429-04611-8 (PDF) ISBN 978-3-429-06024-4 (Epub)

Inhalt

Grußwort Bischof Heinz Josef Algermissen

Vorwort Markus Lersch / Christoph G. Müller

„Ihr seid ein heiliges Volk, eine königliche Priesterschaft!“ Christoph G. Müller

Christsein heißt Priestersein – Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen in der Tradition Markus Lersch

Amt „von oben“ – Amt „von unten“? – Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes Weihbischof Karlheinz Diez

„Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes!“ – Zur Theologie und Liturgie der Priesterweihe Cornelius Roth

Zwischen Mönch und Manager: Pfarrer und Seelsorger – Zum Profil des priesterlichen Dienstes heute Richard Hartmann

Neuere Literatur zum Priestertum (in Auswahl)

Autorenverzeichnis

Grußwort

Bischof Heinz Josef Algermissen

Der hier vorgelegte Band der Fuldaer Hochschulschriften darf sich zu Recht als eine akademische Frucht des von unserem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., ausgerufenen Priesterjahres verstehen, welches am Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu 2010 zu Ende ging.

Gewissermaßen zur geistlichen Nachlese dieses „Jahres der Erneuerung des Priestertums“ liegen nun die im Rahmen des Kontaktstudiums im Sommersemester 2010 gehaltenen Vorträge leicht bearbeitet in schriftlicher Form vor. Darüber bin ich als Großkanzler der Theologischen Fakultät Fulda sehr froh. Ein besonderer Dank gilt daher allen vortragenden Professoren der Theologischen Fakultät Fulda, die sich dem Thema von den verschiedenen Blickwinkeln der theologischen Teildisziplinen her (Neues Testament, Dogmatik, Liturgie, Pastoraltheologie) gewidmet haben, sowie allen, die diese Veröffentlichung ermöglicht haben.

Ein Blick auf die hier dargebotenen Beiträge macht deutlich, dass alle Texte auf je eigene Weise die Frage nach der Verhältnisbestimmung des besonderen Weihepriestertums zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen thematisieren. Gleichsam wie ein „roter Faden“ durchzieht diese zentrale Fragestellung die vorliegenden Aufsätze. Seit längerem lässt auch die öffentlich geführte Debatte um die konkrete Gestaltung priesterlich gelebten Lebens erkennen, dass diese vom II. Vatikanischen Konzil theologisch vorbereitete Neujustierung von großer Bedeutung für das kirchliche Leben im 21. Jahrhundert sein wird.

Es ist mir als Bischof ein besonderes Anliegen, mit der dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ Nr. 10 darauf hinzuweisen, dass „das gemeinsame Priestertum der Gläubigen […] und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, […] sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach (essentia, non gradu tantum)“ unterscheiden. „Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil.“ Er, Christus, ist nach Ausweis des Hebräerbriefes der einzige Hohepriester, an dessen priesterlicher Würde und Sendung wir alle teilnehmen (vgl. Hebr 4,14–5,10; 7,1–10,18). Priesterliches Volk und geweihte Amtsträger sind in der allgemeinen Teilhabe, die der spezifischen stets vorausgeht, immer aufeinander verwiesen.

Papst Johannes Paul II. hat diesen Wesenszug der Kirche in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ (2003) im Hinblick auf das Altarsakrament dargelegt: Aus dem priesterlichen Volk geht der geweihte Priester hervor. Und: Durch den priesterlichen Dienst wird das Volk Gottes sakramental auferbaut.

Mitunter allerdings wird der Priester als anachronistisches Relikt aus vergangenen Zeiten angesehen, aber im großen Ganzen unserer Gesellschaft suchen die Menschen heute nach authentischen und integren Persönlichkeiten, denen man aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung und Lebensführung eine hohe moralische Autorität zuspricht in einer Welt, die ansonsten nur das Schachern um den größtmöglichen Vorteil zu kleinstmöglichen Preisen kennt. Insofern ist der Priester heute, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, tatsächlich eine Herausforderung, gerade weil er nicht innerweltlichen Interessengruppen zugeordnet werden kann, sondern als Mann des Himmels auf eine transzendente, göttliche Wirklichkeit verweist. Damit leistet der Priester auch einen wesentlichen gesellschaftlichen Dienst, denn ohne Gottesbeziehung verlieren sich Menschen leicht in hektischer Torschlusspanik und gehen mitunter buchstäblich über Leichen.

Ich wünsche, dass der vorliegende Band der Fuldaer Hochschulschriften in diesem Sinne einen neuerlichen Impuls für das Leben der Kirche unter den veränderten Bedingungen unserer Zeit gibt, auch über die Grenzen unseres Bistums hinaus.


Bischof von Fulda

Vorwort

Markus Lersch / Christoph G. Müller

Als Papst Benedikt XVI. am 16. März 2009 vor der Vollversammlung der Kleruskongregation in Rom ein Priesterjahr zwischen den Herz-Jesu-Festen 2009 und 2010 ankündigte, konnte er noch nicht ahnen, wie sehr das Priesteramt in diesem Zeitraum – freilich anders als gewünscht – in den öffentlichen Fokus geraten würde. Das ursprüngliche Leitmotiv dieses zweiten Themenjahres des Pontifikats Benedikts im unmittelbaren Anschluss an das „Paulus-Jahr“ war es, „das Engagement einer inneren Erneuerung aller Priester für ein noch stärkeres und wirksameres Zeugnis für das Evangelium in der Welt von heute zu fördern“1. Vorbild dieser geistlichen Erneuerung, so der Papst in dem soeben zitierten Brief zum Beginn des Priesterjahres, sei der heilige Pfarrer von Ars, Jean Marie Vianney, dessen Todestag sich am 4. August 2009 zum 150. Mal jährte.

Zu dieser spirituellen Zielsetzung des Priesterjahres ist aber rebus sic stantibus schnell eine allgemeine Debatte über das Priestertum und seine Gestalt angesichts der drängenden Herausforderungen der Gegenwart und der sich rasant verändernden Situation der Kirche hinzugekommen – mit teils großer Skepsis hinsichtlich der Tragfähigkeit einer Ausrichtung am Priesterideal eines französischen Landpfarrers aus dem 19. Jahrhundert.2 Verschärft wurden diese grundsätzlichen Debatten dann vor allem durch das Bekanntwerden mehrerer Fälle von Missbrauch und Gewalt durch Priester, welche die Kirche (gerade in Deutschland) aufs Neue dramatisch erschüttert haben. Gisbert Greshake kommt angesichts dessen in seinem Rückblick auf das Priesterjahr in der Herder Korrespondenz nicht umhin, die derzeitige kirchliche Situation als „katastrophal“ zu bezeichnen.3 Papst Benedikt selbst sieht in dem Zusammenfall der Enthüllungen mit dem Priesterjahr gar einen Angriff des „bösen Feind[s]“ auf das neu erstrahlende Priestertum.4

Vielleicht gilt es diese krisenhafte Situation bei all ihrer Problematik und den durch sie aufgerissenen Wunden aber auch als Chance zu begreifen, als Chance für die dringend gebotene Neubesinnung auf Wesen, Gestalt, Auftrag und Würde des priesterlichen Dienstes.5 Wie kann priesterliches Leben angesichts der veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Situation heute gelingen? Auf welche Weise lässt sich im Volke Gottes ein neues Gespür und Verständnis für das Priestertum wecken (eine dringende Frage nicht nur der Berufungspastoral)? Welche Anpassungen des Berufsprofils sind zielführend und entsprechen zugleich dem theologischen Gehalt und dem ekklesiologischen Ort des Weihesakraments?

Die Theologische Fakultät Fulda hat sich dieser komplexen Fragestellung im Rahmen des Kontaktstudiums im Sommersemester 2010 gewidmet unter der Überschrift „Seid Ihr bereit …? Priester sein in unserer Zeit“. Die Vortragsreihe war darauf angelegt, vielfältige grundlegende Überlegungen zum Priestertum aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven und in loser Reihung zu präsentieren, um so anlässlich des Priesterjahres die brennende Frage nach Priestern für das 21. Jahrhundert in den Blick zu nehmen – ohne Ausklammerung, aber eben auch ohne Fixierung auf die üblichen Reizthemen. Der breite und engagierte Teilnehmerzuspruch an den vier Vortragsabenden zeugte von dem großen Interesse an diesem Thema und weckte den hiermit erfüllten Wunsch nach Veröffentlichung der Vorträge. Diese sind für die Publikation allesamt leicht überarbeitet worden, haben aber die grundsätzliche Gestalt von Vortragsmanuskripten behalten und werden hier in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben.

 

Den Auftakt bildet der Beitrag von Christoph G. Müller, der unter der Überschrift „Ihr seid ein heiliges Volk, eine königliche Priesterschaft“ die biblischen Grundlagen des gemeinsamen, königlichen Priestertums im Ersten Petrusbrief untersucht, dessen Ekklesiologie sich als fortgeschritten, selbstbewusst und verblüffend communial erweist. Im Ausgang von einem Zitat aus der ersten Sonntagspräfation, in die das Konzept des königlichen Priestertums Einzug gehalten hat, und nach Verweis auf vergleichbare Stellen in der Offenbarung des Johannes wendet sich Müller gleich dem zentralen Text in 1 Petr 2,1–10 zu. Hier zeigt sich in Gestalt der Stein- bzw. Hausbaumetaphorik das christologische Fundament der Ekklesiologie des Briefes. Diese Bildwelt findet eine Ergänzung in der Kultmetaphorik, deren Zentrum ebendie Vorstellung einer königlichen Priesterschaft bildet, die 1 Petr wohl aus dem Buch Exodus in der Septuaginta-Fassung übernimmt. Wesentliche Leitgedanken dieses metaphorisch zu verstehenden Priesterdienstes aus Ex 19,6 bzw. 23,22 seien die besondere Gottesbeziehung bzw. Aussonderung des Volkes, seine darin begründete Heiligkeit sowie seine missionarische Sendung. Müller zeigt detailliert auf, wie der 1 Petr diese Bedeutungen inklusive des wesentlich gemeinschaftlichen Charakters und der durch das Attribut „königlich“ artikulierten Würde der Priesterschaft übernimmt und auf die christliche Gemeinde überträgt.

Die Ausführungen von Markus Lersch unter der Überschrift „Christsein heißt Priestersein – Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen in der Tradition“ führen diese exegetische Annäherung an das gemeinsame Priestertum unter theologiegeschichtlicher und systematischer Perspektive weiter und versuchen von hier aus auch das hierarchische Priestertum neu in den Blick zu nehmen; in seinem engen Verhältnis, aber eben auch in seinem wesentlichen (essentia, non gradu tantum) Unterschied zum Priestertum aller Gläubigen. Zunächst skizziert Lersch die wechselhafte Geschichte des Konzepts „gemeinsames Priestertum“ von seinen biblisch-neutestamentlichen Grundlagen und der breiten Bezeugung in der alten Kirche über seine Zurückdrängung im Frühmittelalter, die modifizierte Wiederentdeckung durch die Reformation bis hin zur erneuten Rezeption in der katholischen Theologie und lehramtlichen Verkündigung des 20. Jahrhunderts. Im Verlauf dieser geschichtlichen Durchsicht ergeben sich bereits die wesentlichen theologischen Grundlinien. Im Anschluss erfolgt – ausgehend von allgemeinen Überlegungen zum Priesterbegriff – eine systematische Erschließung des gemeinsamen Priestertums in Analogie und Zuordnung zu dem universalen Hohepriestertum Jesu Christi und dem hierarchischen Priestertum. Als Leitfaden dient dabei der mit dem Priesterbegriff assoziierte Ternar Gottesunmittelbarkeit, Stellvertretung und Opfer – freilich in genuin christlicher Lesart.

Mit dem Referat von Weihbischof Karlheinz Diez wird der Blick dann vorrangig auf das besondere Priestertum gerichtet. Die titelgebende Frage „Amt ‚von oben‘ – Amt ‚von unten‘? Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes!“ wirft dabei bereits das vielfältige christologische, pneumatologische und ekklesiologische Bezugsfeld des Sakraments der Priesterweihe auf. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Romano Guardinis Reflexion auf die eigene priesterliche Berufung, an der sich deutlich die ekklesiale Verortung des Priestertums zeigt. Es folgen Ausführungen zum Verhältnis des Amtes zum Charisma, das nicht als Konkurrenzverhältnis, sondern partizipativ zu denken sei, wobei Charisma als Dienst an der Kirche den Oberbegriff darstelle. Diez umreißt anschließend die Grundlegung des Priestertums in der Sendung Christi sowie dessen frühkirchliche Entwicklung. Es folgt eine Darstellung der theologischen Bedeutung des Weiheamts anhand der Unterpunkte der (zeichenhaften und werkzeuglichen) Repräsentation Christi, der Repräsentation der Kirche, des Weihecharakters (als „lebenslanger Verpflichtung“) sowie der Ausgestaltung der Zulassung zur Weihe, die deutlich die letzte Einheit des Priestertums „von oben“ und „von unten“ dokumentiert. In der gebotenen Kürze referiert der erfahrene Ökumeniker im Folgenden die Unterschiede zwischen katholischem und evangelischem Amtsverständnis, die er ekklesiologisch begründet sieht, nämlich in der Frage nach der Sakramentalität der Kirche. Der Beitrag stellt den Priester abschließend noch einmal als „Mann der Hoffnung“ vor Augen.

Der Beitrag von Cornelius Roth befasst sich unter dem Titel „,Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes!‘ – Zur Theologie und Liturgie der Priesterweihe“ mit der historischen Entwicklung des Ritus der Priesterweihe und zeigt anhand dieser zugleich veränderte Schwerpunktsetzungen in der Theologie des Weihesakraments auf. Nach einem kurzen Abriss der Entwicklung von der neutestamentlichen Zeit bis ins 15. Jahrhundert stellt Roth dann ausführlich den seit 1485 nahezu unveränderten Ritus den beiden Fassungen der Weiheliturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegenüber. Hierbei wird deutlich, wie sich die erneuerten weihe- und liturgietheologischen Vorgaben des Konzils in der Umgestaltung, Straffung und Vereinfachung des neuen Ritus niedergeschlagen haben – ein ganz konkretes und sehr deutliches Beispiel für die Interdependenz und Reziprozität von lex credendi und lex orandi. Anschließend referiert Roth kritisch die Vorschläge von Stefan Knobloch zur Reform der Weiheliturgie und stellt ihnen eine Weiterentwicklung des Ritus am Leitgedanken des „Priesters als Mystagogen“ gegenüber, wie sie sich bereits in dem zum Vortragstitel gewählten Wort zum ausdeutenden Ritus der Übergabe von Kelch und Hostienschale zeige.

Richard Hartmann untersucht unter der Überschrift „Zwischen Mönch und Manager: Pfarrer und Seelsorger – Zum Profil des priesterlichen Dienstes heute“ aus pastoraltheologischer Perspektive die derzeitige Krisensituation des Weiheamts und sucht nach Lösungswegen auf der Basis theologischer, spiritueller und soziologischer Überlegungen. Hartmann macht sechs gegenwärtige Herausforderungen des Priestertums aus, nämlich ein überholtes Modell von Rolle respektive Profession des Priesters mit der Konsequenz einer latenten Überforderung, die generelle Infragestellung von Autoritäten und Institutionen, die kirchliche Glaubwürdigkeitskrise, die Problematik der zu stark idealisierten kirchlichen Sexualmoral inklusive des Zölibats sowie den gegenwärtigen Trend zu individualisierter und erlebnisorientierter Religiosität. Angesichts dieser Situation scheint eine Besinnung auf die spirituellen Grundlagen des Priestertums („der Priester als Mönch“?), auf dessen gnadentheologisch-sakramentales Fundament, auf eine ekklesiologisch sachgerechte Leitungsstruktur („der Priester als Manager“?) und auf eine ausgewogenere Zuordnung des priesterlichen Dienstes zu anderen Diensten und Ämtern des Gottesvolks geboten. Im Anschluss daran liefert Hartmann ein alternatives Modell der „Neubeschreibung“ priesterlichen Dienstes auf Basis der vier Grunddimensionen Leiturgia, Martyria, Diakonia und Koinonia, um mit einem ökumenischen Verweis auf Überlegungen und ein Gedicht des evangelischen Theologen Richard Riess zur Seelsorge bzw. zum Amt zu enden.

Abschließend seien noch herzliche Dankesworte gerichtet an Herrn Prof. Dr. Dr. Jörg Disse, den Herausgeber der Fuldaer Hochschulschriften, und an Herrn Heribert Handwerk vom Echter Verlag für die gute Zusammenarbeit sowie an Frau Edeltraud Kübler und Herrn Dr. Matthias Helmer für die Korrekturarbeiten.

Fulda, am Fest des heiligen Hrabanus Maurus 2011, des Patrons der Theologischen Fakultät Fulda

Markus Lersch / Christoph G. Müller

1 Vgl. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2009/documents/ hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale_ge.html (5. 1. 11). Alle wesentlichen Texte zum Priesterjahr sind zusätzlich zusammengestellt auf der Webseite zum Priesterjahr, vgl. http://www.annussacerdotalis.org.

2 Hier ist etwa an die Invektiven von Gottfried Bachl gegen den Brief des Papstes gedacht, in dem er sowohl den Papst als auch den Pfarrer von Ars als „primitiv“ bezeichnet (dokumentiert in: Erich GARHAMMER: Zum Ausklang des Priesterjahres: eine Nachlese. In: Lebendige Seelsorge 61 [2010], S. 311–313, hier S. 311). Weitaus differenzierter urteilt Ludwig MÖDL: Priestersein in Deutschland: Kann der Pfarrer von Ars noch Leitbild sein? In: Klerusblatt 90 (2010), S. 203–207, hier S. 204: „Kann so ein Mann uns heute Leitbild sein? Nein! Leitbild nicht für eine heutige Pastoral! Aber sagen kann er uns dennoch viel. Er kann uns auf Defizite aufmerksam machen, und er kann uns Elemente für eine priesterliche Existenz zeigen“ (vgl. ebd., S. 207).

3 Vgl. Gisbert GRESHAKE: Was hat es gebracht? Ein kritischer Rückblick zum Priesterjahr. In: Herder Korrespondenz 64 (2010), S. 375–377, hier S. 377.

4 So in seiner Predigt bei der Abschlussmesse am Herz-Jesu-Fest 2010 auf dem Petersplatz, vgl. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/homilies/2010/documents/ hf_ben-xvi_hom_20100611_conclanno-sac_ge.html (5. 1. 11).

5 Wie es Greshake am Ende seines eher düsteren Rückblicks denn auch insinuiert, vgl. GRESHAKE: Was hat es gebracht? (wie Anm. 3), S. 377. Ähnlich schließt Boris REPSCHINSKI: Das Ende des Priesterjahres. In: Zeitschrift für katholische Theologie 132 (2010), S. 249–250, hier S. 250.

„Ihr seid ein heiliges Volk, eine königliche Priesterschaft!“

Christoph G. Müller

Das Gebet der Kirche drückt in der ersten Präfation für die Sonntage im Jahreskreis (I) liturgisch eindrucksvoll im Gebet vor Gott aus, worum es der gesetzten Überschrift und dem folgenden Beitrag1 geht: das gemeinsame, königliche Priestertum der Glaubenden. In diesem Lobpreis Gottes heißt es: „In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus. Denn er hat Großes an uns getan: durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er uns von der Sünde und von der Knechtschaft des Todes befreit und zur Herrlichkeit des neuen Lebens berufen. In ihm sind wir ein auserwähltes Geschlecht, dein heiliges Volk, dein königliches Priestertum. So verkünden wir die Werke deiner Macht, denn du hast uns aus der Finsternis in dein wunderbares Licht gerufen.“

Den entscheidenden biblischen Anknüpfungspunkt für ein solches liturgisches Sprechen, das auch das Selbstverständnis der feiernden Gemeinde zum Ausdruck bringen soll, können wir – neben einigen Stellen der Offenbarung des Johannes (1,6; 5,10; 20,6)2 – in der Sprache und Theologie des Ersten Petrusbriefes ausmachen. Von daher soll Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf dieses Schreiben des Neuen Testaments gelenkt werden.

Im Präskript des 1 Petr werden die Diaspora-Christen Kleinasiens als „erwählte Fremdlinge“ (1,1) angesprochen.3 Die „Fremde“ bildet ein Grundmotiv des 1 Petr (vgl. auch 1 Petr 2,11). Der Begriff der „Diaspora“ dient zunächst der nüchternen Beschreibung der vorfindlichen, gegebenen Minderheiten-Realität im Norden und Westen Kleinasiens der 80er Jahre des 1. Jahrhunderts.4 Hinsichtlich einer ekklesiologischen Spurensuche hat das zweite Kapitel des 1 Petr5 in der Auslegungsgeschichte und Theologie starkes Interesse gefunden, was leicht nachvollziehbar ist, wenn man sich den Text von 1 Petr 2,1–10 (in einer relativ wörtlichen Übersetzung) vor Augen führt:

1 Abgelegt habt ihr nun jede Schlechtigkeit und jede List und Heucheleien und Missgunst und alle üblen Nachreden;

 

2 wie gerade/neu geborene Kinder verlangt nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr dadurch wachst zur Rettung,

3 wenn ihr geschmeckt habt, dass gütig (ist) der Herr.

4 Zu diesem kommt, dem lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt als kostbar(er),

5 und lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen als ein geistliches Haus zu einer heiligen Priesterschaft um darzubringen geistliche Opfer, Gott wohlgefällige durch Jesus Christus.

6 Denn es ist enthalten in (der) Schrift Siehe, ich setze/lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein und der Vertrauende auf ihn wird niemals zuschanden werden.

7 Euch nun (ist zuteil) die Ehre, den Glaubenden, den Ungläubigen aber (ein) Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Obersten der Ecke geworden,

8 und (ein) Stein des Anstoßes und (ein) Fels des Ärgernisses; Diese stoßen an, dem Wort nicht gehorchend, wozu sie auch bestimmt sind.

9 Ihr aber seid (ein) erwähltes Geschlecht, (eine) königliche Priesterschaft, (ein) heiliges Volk ein Volk zum Eigentum damit ihr verkündet die großen Taten/Wohltaten dessen, der euch aus der Finsternis gerufen hat in sein wunderbares Licht.

10 Die ihr einst Nicht-Volk (wart), (seid) jetzt aber Volk Gottes, die, die kein Erbarmen fanden, jetzt aber (sind sie bzw. seid ihr) solche, die Erbarmen gefunden haben.

Der Autor des 1 Petr geht in 1 Petr 2,5 von einer zentralen christologischen Aussage zu einer ekklesiologischen über, wenn die Adressaten in die von ihm aufgenommene und weiterentwickelte Stein-Metaphorik einbezogen werden. Der Imperativ (Pass.)6 fordert die Angesprochenen auf, sich selbst als „lebendige Steine“7 zu begreifen, die zu einem „geistlichen Haus“ auferbaut werden (vgl. auch 1 Petr 4,17: „Haus Gottes“). Das Pneuma ist dabei als die schöpferische Mitte des vom Geist erfüllten Hauses anzusehen.8

Hausbaumetaphorik ist in der antiken Literatur relativ häufig zu beobachten9 und Leserinnen und Lesern des Neuen Testaments vor allem aus paulinischen Briefen vertraut, insbesondere was die Verwendung des Verbs angeht. Das Bild vom Hausbau wird allerdings schon im soeben angesprochenen Vers 1 Petr 2,5 verlassen bzw. neu akzentuiert; jetzt dominiert Tempel- bzw. Kultmetaphorik: Die Angesprochenen sollen sich auch auferbauen lassen „zu einer heiligen Priesterschaft um darzubringen10 geistliche Opfer, Gott wohlgefällige durch Jesus Christus“. Wir stoßen hier auf eine der markanten Stellen des Neuen Testaments, die Theologen späterer Generationen von einem „gemeinsamen Priestertum“ der Gläubigen sprechen lassen. Miteinander bilden die Glaubenden eine Priesterschaft,11 die Opfer darbringt, allerdings in einem im Vergleich mit anderen Stätten der Gottesverehrung modifizierten Sinn: Es handelt sich um geistliche Opfer 12 geht es doch auch um ein „geistliches Haus“.

Und: Sie werden Gott dargebracht „durch Jesus Christus“.13 Die geistlichen Opfer sind die dem Erwählungshandeln Gottes angemessene Antwort der Berufenen. Die Adressaten des Schreibens sind nach 1 Petr 2,5 berufen „zum Priesterdienst an der Welt Ex 19,6; 23,22 > 1 Petr 2,5)“,14 zu einer ausdrücklichen „Heiligung des Alltags“.15 Der 1 Petr bedient sich hier offensichtlich einer Formulierung des LXX-Textes von Ex 19,6,16 denn der hebräische Text spricht von einer „Herrschaft von Priestern“. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich primär mit der Auslegung des alttestamentlichen Textes beschäftigen, geben uns für diese Textstelle wichtige Hinweise, die es auch bei der Rezeption von Ex 19,6 im Neuen Testament zu bedenken gilt: „‚Königreich/Königtum von Priestern‘/‚priesterliches Königreich‘ ist […] zu verstehen als eine Metapher für die am Sinai konstituierte Beziehung zwischen Gott und Israel, die Israel zu etwas Besonderem in der Völkerwelt macht. Die Nähe zu Gott und die Auszeichnung Israels werden im Halten der Tora immer wieder aktualisiert und konkretisiert.“17

Als alttestamentliche Grundlage des Sprachgebrauchs von 1 Petr 2,5.9 ist neben Ex 19,618 auch Ex 23,22 zu bedenken. In beiden Fällen liegt ein metaphorischer Sprachgebrauch vor. Es geht um die Aussonderung des Volkes für JHWH, um die Betonung und Bewahrung der Heiligkeit als ein dem Herrn gehöriges Volk19 und um eine „priesterliche“ Funktion für die Umgebung des Volkes Israel,20 primär in der Gestalt der Verkündigung, wie eine Stelle aus Tritojesaja nahelegt, wenn es dort (Jes 61,6) heißt: „Ihr alle aber werdet ‚Priester des Herrn‘ genannt, man sagt zu euch ‚Diener unseres Gottes‘.“21 Angesprochen wird dabei – hier wie dort – das Volk insgesamt, denn es „liegt im jüdischen Erwählungsglauben begründet, dass das individuelle Selbstbewusstsein sich vorrangig im Rahmen des kollektiven Bewusstseins ausbildet“22. Das wird auch für die neutestamentlichen Textstellen zu bedenken sein; auch hier werden die Glaubenden von Gott selbst zu einem priesterlichen Ensemble gemacht,23 zu einem Volk, dessen König Gott selbst ist.

Im zweiten Kapitel des 1 Petr werden, was sich bereits im vorausgehenden ersten Kapitel beobachten lässt, zentrale theologische Aussagen mit Zitaten aus der „Schrift“24 in Beziehung gebracht, wenn 1 Petr 2,6 formuliert: „Denn es ist enthalten in (der) Schrift : Siehe, ich setzellege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein , und der Vertrauende auf ihn wird niemals zuschanden werden.“ Die „Schrift“ enthält Worte, so gibt es der 1 Petr ausdrücklich zu verstehen (2,6), die dieses Schreiben als Bestandteil des theologischen und paränetischen Reflektierens und Argumentierens nutzt. Betrachtet man den gesamten Text des Schreibens, so ist eine ausgesprochen starke Dichte an alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen zu verzeichnen, was sich insbesondere in den ekklesiologischen Vorstellungen niederschlägt.

Der Ausdruck (V. 5 und V. 9) kennzeichnet schon in der LXX „die Priesterschaft als Körperschaft, nicht als Funktion“25. Das Wort wird auf ein Kollektiv bzw. Ensemble bezogen.26 Das bedeutet für die Interpretation von 1 Petr 2,5.9, dass es hier weniger oder gar nicht um eine „personale Wesensbestimmung des einzelnen Christen“ 27 geht, was allerdings in der Rezeption der Textstellen häufig wenig bedacht wurde und wird. „In metaphorischer Sprache werden die Adressaten, und zwar im kollektiv-korporativen Sinn, ihrer Erwählung (1,1; 2,4.6.9; 5,10.13) und Heiligkeit (1,15–16; 2,5–6.9; 3,2) versichert. Dazu bedient sich der Autor des Bildinventars aus Ex 19,6, das weder dort noch hier eine buchstäbliche und individualisierende Deutung erlaubt.“28 Die Stärke des Bildes besteht vor allem darin, dass den Einzelnen in der Gemeinschaft Würde, eine besondere Gottesbeziehung, der Zugang zum Geheimnis Gottes und damit verbunden auch ein Auftrag in der Welt zugesagt werden.

Wie sehr die Ekklesiologie des 1 Petr von einem gesättigten Selbstbewusstsein geprägt ist, lässt vor allem der Vers 1 Petr 2,9 erkennen, der für das gesamte Schreiben von zentraler Bedeutung ist:

„Ihr aber seid (ein) erwähltes Geschlecht, (eine) königliche Priesterschaft,

(ein) heiliges Volk , ein Volk zum Eigentum , damit ihr verkündet die großen Taten/Wohltaten dessen, der euch aus der Finsternis gerufen hat in sein wunderbares Licht.“

Es lassen sich mindestens fünf zentrale „Bausteine“29 einer für den 1 Petr kennzeichnenden Ekklesiologie ausmachen, die hier nur in gebotener Kürze benannt werden sollen:

Die Adressaten werden im 1 Petr als „erwähltes Geschlecht“ angesprochen. Schon vom Beginn des Briefes an spielt der Gedanke der göttlichen Erwählung eine ganz zentrale Rolle. „Als auserwählte Fremdlinge (1,1) sind die Christen […] Gott zugeeignet und zugleich der Welt enteignet.“30 Die Erwählung,31 die das Präskript mit der Gottes, des Vaters, (1,2) verbindet, ist ein Thema,32 das vor allem auch daran erkennbar wird, wie der 1 Petr die (2,6), die heiligen Schriften Israels, aufnimmt und gebraucht. Auch wenn es sich bei der Mehrheit der Angesprochenen um sogenannte Heidenchristen33 handelt (vgl. vor allem Stellen wie 1 Petr 1,18 und 4,3), setzt der Autor bei Christen mit heidenchristlicher Vergangenheit Schriftkenntnisse voraus, die theologisches und paränetisches Reflektieren und Argumentieren durch Zitate, Anspielungen u. Ä. möglich machen.34 Die Erwählung, die bei der Vorstellung von einer „Neugeburt“, wie sie im 1 Petr verwendet wird, vielleicht zunächst eher an Einzelne denken ließ, ist freilich eine Erwählung in ein – „ein Geschlecht“ – und damit in ein Ensemble.

Miteinander bilden die Glaubenden eine „königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9).35 Von war bereits in 1 Petr 2,5 gesprochen worden.36 Um die Würde37 und Bedeutung dieser Priesterschaft zu unterstreichen, wird das Adjektiv38 „königlich“ eingesetzt.39 Miteinander haben die Glaubenden demnach Zugang zum Geheimnis Gottes; „Instanzen“, die diesen Zugang erst vermitteln, werden im zweiten Kapitel des 1 Petr nicht erkennbar. Die Aufgabe und Rolle der königlichen Priesterschaft kann mit Stephen Ayodeji Fagbemi so beschrieben werden: „By being holy and obedient to Yahweh, they mediate God to the nations and thus fulfill their priestly role.“40 Das bedeutet nach Ilmars Hiršs: „Die Christen sind als dazu berufen, Gottes Heilstat in Jesus Christus den Menschen zu verkündigen und damit Gott darzubringen.“41 „Geistliche Opfer“ sind jene – wie eingangs bereits angedeutet –, „die unter Mitwirkung des Gottesgeistes dargebracht werden; die Gaben können dabei theoretisch körperlicher oder geistiger Art sein.“42 Manche Ausleger bemühen sich, Konkretisierungen zu benennen, und zählen z. B. „Gebete und Dank, Buße und Treue, Zeugnis und Mission“43 auf.44