Lebendige Seelsorge 5/2016

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Lebendige Seelsorge 5/2016
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

INHALT

THEMA

Kommunizieren in der Glaubwürdigkeitskrise

Von Erik Flügge

Mehr als Symptombehandlung. Was Verkündigung wirklich braucht

Von Ute Leimgruber

Muss es immer kompliziert sein?

Die Replik von Erik Flügge auf Ute Leimgruber

Die Trumpisierung der Verkündigung

Die Replik von Ute Leimgruber auf Erik Flügge

Die Stimmen und der Essay

Oder warum Theologen Gisela von Wysocki lesen sollten

Von Joachim Hake

PROJEKT

Für den Besten nur das Beste

Von Eva Jung

INTERVIEW

„Eine enorme Infrastruktur für die Kommunikation des Glaubens!“

Ein Gespräch mit Ute Stenert

PRAXIS

Authentizität muss man gut inszenieren. Das YouTube-Casting 1‘ 31“

Von Jan Kuhn

We lost the story

Oder: Wie die Kirche wieder lernt, gute Geschichten zu erzählen

Von Christian Schröder

Pastorales Campaigning

Die Öffentlichkeit elektrisieren.

Ein Rückblick auf das jugendpastorale

Projekt #silentMOD

Von Michael Swiatkowski

Kirche im TV: Was geht– und was sollte mehr gehen?

Von Michael Hertl

FORUM

Kirche – eine attraktive Arbeitgeberin?

Mitarbeitergewinnung durch Employer Branding

Von Benedikt Jürgens, Michael Hartlieb und Frank Vormweg

POPKULTURBEUTEL

Feingefühl

Von Stefan Weigand

NACHLESE

Glosse von Annette Schavan

Buchbesprechungen

Impressum

EDITORIAL


Matthias Sellmann Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn man uns als katholische Christinnen und Christen fragen würde, woran man die Qualität unserer Gemeinden erkennen könnte, wären drei Antworten recht populär: „Wir feiern Gottesdienst.“ „Wir bekämpfen Armut.“ Und: „Wir bieten viele Möglichkeiten für die Erfahrung von Gemeinschaft an.“ Liturgie – Diakonie – Communio: unser katholischer Dreiklang.

Ein Ton aber fehlt. Vielleicht sogar eine ganze Tonart. Denn wo gibt wer die Antwort: „Uns erkennst Du sofort, weil wir Dir eine Geschichte erzählen können, die Dich vom Stuhl haut!?“ Glaubensverkündigung; Martyria; die Kommunikation der Botschaft – wie wir es auch ausdrücken: Unsere Erfahrung eines glaubenden Lebens ist uns irgendwie aus der Sprache gerutscht.

Dies wird von außen deutlich bemerkt: „Die Kirche verreckt an ihrer Sprache“, titelt unser Autor, der Kommunikationsberater Erik Flügge. Der Vorwurf sitzt, auch wenn er in diesem Heft nicht unbeantwortet bleibt. Denn er zeigt ja nicht nur Genervtheit, sondern auch Bedauern. Welche Chancen hätten wir alle, ob kirchlich gebunden oder nicht, wenn die, die einen Glauben haben, diesen auch so erzählten, dass man richtig gerne zuhört!

In diesem Heft gehen wir den neuen Chancen, gut praktisch-theologisch, aber auch gleich den Kompetenzen einer „Martyria 2016“ nach. Die Chance steht im Raum, mit neuen Techniken und in neuen unkirchlichen Kontexten, den eigenen Glauben neu zu lernen, indem man ihn neu versprachlicht. Solche Kompetenzen heißen: „Storytelling“, „Campaigning“, „Inszenierung des Authentischen“, aber auch „Glaubensmarketing“, „Essai“, oder „Audiovisuelles Bewegtbild“.

Das Ziel unseres Heftes: zunächst selber wieder vom Stuhl gehauen werden, weil wir selber neu hingehört haben. Und dann in unserer Umgebung niemanden mehr sitzen lassen!

Ihr


Prof. Dr. Matthias Sellmann

THEMA

Kommunizieren in der Glaubwürdigkeitskrise

Die Katholische Kirche hat ein Problem. Man glaubt ihr nicht mehr. Ihre Vertreter gelten bei vielen Menschen als verlogen, ihre Theologie als nicht mehr relevant. Wer dagegen mit wissenschaftlich hochtrabenden Theorien anschreiben will, wird scheitern. Erik Flügge

Mein Name ist zurzeit unter Theologen in aller Munde. Ich habe einen SPIEGEL-Bestseller über die kirchliche Unfähigkeit, sich einfach auszudrücken, geschrieben. Der Erfolg des Buches ist leicht erklärt. Der Text ist so geschrieben, dass Menschen ihn lesen wollen, anstatt lesen zu müssen. Dieser Satz klingt gleich so arrogant. Dabei sollte er eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist das zu oft nicht der Fall. Viel zu viele Texte über Gott versuchen das Einfache möglichst kompliziert auszudrücken. Das empfinde ich als die eigentliche Arroganz.

ENTWISSENSCHAFTLICHUNG VON GLAUBENSTEXTEN

Ich möchte, dass die Theologie sich sprachlich entwissenschaftlicht, ohne sich zu verblöden. Dabei bin ich einigermaßen stolz auf das Wort „Entwissenschaftlichung“. Es ist so dermaßen überflüssig überkomplex, dass es als wunderbare ironische Brechung der gesamten wissenschaftlichen Selbstüberhöhungstendenz theologischer Kreise den Spiegel vorhält. Mit dem Wort Selbstüberhöhungstendenz verhält es sich genauso. Jemand, der beispielsweise von der „Gottesgegenwärtigkeit“ (ev. Landesbischof Dröge) spricht, nimmt sich selbst zu wichtig.

Mit derlei Sprache hebt man sich ab von der Zuhörerschaft. Man wird vielleicht als Experte wahrgenommen, aber sicherlich nicht als Freund. Ein Umstand, der besonders dramatisch ist in einer Zeit, in der Expertise immer weniger zählt. Der Verlust der Glaubwürdigkeit der Expertise ist ein internationaler Prozess. Während des Volksentscheides über den BREXIT zählten Fakten genauso wenig wie bei Donald Trump. Die AfD begründet ihren Erfolg auf Ängsten vor Entwicklungen, die gar nicht stattfinden. Stuttgart 21 wird entgegen jedweder Kostenrechnung und Expertenmeinung weiter gebaut. Auch in der Finanzmarktkrise 2008 reichte die gemeinsame Aussage von Angela Merkel und Peer Steinbrück „die deutschen Einlagen sind sicher“, um eine Massenpanik zu verhindern. Wäre die Panik eingetreten, niemand hätte die Sicherheit der Einlagen garantieren können. Das faktenbasierte Argument hat seine Macht verloren. Es gewinnt die überzeugend-starke Meinung.

Erik Flügge

Geschäftsführer der SQUIRREL & NUTS Gesellschaft für Strategische Beratung mbH; berät Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Großorganisationen bei der strategischen Aufstellung und Optimierung ihrer Kommunikation; veröffentlichte 2016 den SPIEGEL-Bestseller „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ im Kösel-Verlag.

Im Grunde müsste dieser Trend der Theologie in die Hände spielen. Sie verhandelt seit jeher einen Glauben, der mehr den Charakter einer Meinung als den Charakter eines Faktums hat. So viele intellektuelle Pirouetten wir auch drehen, Gott bleibt wissenschaftlich nicht beweisbar. Ohne Glaube gibt es keinen Gott.

Es läge eine so große Chance darin, schlicht den eigenen Glauben zu formulieren. „Ich glaube an Gott“ – „Ich folge seinen Geboten“. Aussagen, die in unserer Zeit schon genügend Sprengkraft besitzen, weil sie längst nicht mehr selbstverständlich sind. Doch statt den Trend der Zeit zu begreifen, entwickelt sich kirchliches Sprechen immer weiter in die genau gegenteilige Richtung. Starke Meinung und schlichte persönliche Glaubenszeugnisse treten immer mehr zurück hinter einer hochtrabenden Theoretisierung Gottes.

SPRECHEN VOR DEM KREUZ

Was mich im Kern an dieser sprachlichen Selbstüberhöhung stört, ist, dass sie sich selbst theologisch widerlegen müsste. Ich frage mich immer wieder, wenn ich Predigten höre oder Hirtenbriefe lese, wieso man meint, auf eine hochtrabende Sprache zurückgreifen zu dürfen im Angesicht des Kreuzes.

Zuletzt begegnete mir ein Beispiel dafür in Bischof Osters Überlegungen zum Beichtrückgang. Er schreibt, die Beichte sei für den erlösungsbedürftigen Menschen „ein völlig unverdientes und unangemessenes Gnadengeschenk, immer neu im Sakrament der Versöhnung alles vor den Vater hinlegen zu können“. Ich verstehe diesen Text. Ich habe ausreichend viele Semester Theologie studiert. Das Bildungsbürgertum versteht diesen Text. Es kann mit schweren Formelsätzen und starker Verdichtung umgehen. Meine Großmutter versteht den Text nicht. Sie geht nicht mehr zur Beichte. Man kann Bischof Oster nicht unterstellen, dass er keine streitbaren Thesen hätte. Er hebt sich wohltuend ab vom Einheitsbrei der abgeschliffenen Positionen, die immer allen gefallen wollen. Er polarisiert, statt sich zu Tode zu differenzieren. Er provoziert mit dem, was er sagt und stößt Debatten an, auch wenn mir nicht jede Position gefällt. Einzig die breite Masse versteht ihn nicht.

Wenn ich Texte über „Gnadengeschenke“, das „Sakrament der Versöhnung“ oder über die „Gottesgegenwärtigkeit“ lese, dann stelle ich mir immer eine Frage: Warum tretet ihr vor das einfache Kreuz aus Holz und macht Euch sprachlich so groß? Welcher Text könnte Euch groß genug machen, um mit dem Kreuz auf Augenhöhe zu kommen? Müsstet Ihr Euch nicht klein machen vor dem Kreuz? Wie begründet ihr theologisch Eure hochgestochene Sprache?

 

GOTT ANDERS VERKÜNDEN

In der Katholischen Kirche falle ich seit einigen Monaten als starker Kritiker auf. Nicht selten wird mir gesagt, „dann mach es halt besser!“. Oftmals schwingt ein beleidigter Unterton mit. Was nur wenigen in der Kirche bekannt ist: Vier Tage vor meinem Buch startete die Veröffentlichung eines Verkündigungsprojektes, das ich über Jahre entwickelt habe und mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Auftrag des Zentrums für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz produziere. Es heißt „Valerie und der Priester“. Daran darf man mich gerne messen.

Das vielfach besprochene Dokumentationsprojekt Valerie und der Priester entsteht bei uns im Haus. Die Journalistin Valerie Schönian ist meine Angestellte, die mit einem journalistisch freien Auftrag für ein Jahr den Priester Franziskus von Böselager begleitet und ungefiltert portraitiert. Der Kerngedanke des gesamten Projektes ist es, sich klein zu machen vor dem Kreuz. Weder handelt es sich bei Valerie Schönian um eine theologisch geschulte Fragende, noch bei Franziskus von Böselager um einen universitär sattelfesten Theologen. Keiner von beiden beherrscht die Kunst, Gott kompliziert zu machen. Das Projekt erzielt Reichweiten im Millionenbereich. Es wird seit Projektstart ständig wieder in säkularen Medien aufgegriffen. Es wird innerhalb der Kirche diskutiert und vielfach kommentiert. Das Projekt erreicht eine riesige Zielgruppe außerhalb der geschlossenen innerkirchlichen Kreise. Das Feedback, das aus diesen außerkirchlichen Kreisen zurückkommt, ist durchweg ein positives. Man glaubt dem Priester Franziskus von Böselager, dass er glaubt. Welch ein wohltuender Unterschied zu den vielen Kommentaren über Priester, die nicht leben, was sie sagen. Welch ein wohltuender Unterschied zu dem ständigen Stellungskrieg zwischen überzeugt Glaubenden und überzeugt nicht Glaubenden. Valerie Schönian wird in Berliner Diskotheken genauso positiv auf Valerie und der Priester angesprochen wie Franziskus in seiner Kirchengemeinde in Münster Roxel. Einzig, das gebe ich gerne zu, an den katholischen Fakultäten im ganzen Land leidet man unter diesem Projekt. Nicht selten höre ich, Franziskus sei kein guter Theologe. „Hättet ihr da keinen besseren finden können?“ Zuweilen bekommen Valerie oder ich sogar Texte geschickt, was Franziskus theologisch-wissenschaftlich korrekter hätte sagen müssen. Da machen sich Menschen die Mühe, zu recherchieren, was nicht ganz exakt stimmte in seinen spontanen Worten, wenn man sich die Zeit nimmt, die Konzilstexte genau zu lesen. Der häufigste Vorwurf jedoch ist, dass Franziskus als „der Priester“ portraitiert wird, obwohl er doch nur einer unter sehr vielen Priestern ist. Oder sogar in der Erweiterung, warum nur ein Priester gezeigt wird, obwohl doch so viele andere Berufungen auch existieren.

In diesem Vorwurf zeigt sich in meinen Augen eine fatale Tendenz innerhalb kirchlicher Kommunikation. Die Angst vor einer spannungsreichen Geschichte. Valerie und der Priester widersprechen sich. Sie verkörpern die Konfrontation zweier Lebenswelten, die wenig bis gar nichts gemeinsam haben. Diese Unvereinbarkeit macht die Erzählung überhaupt erst erzählenswert. Der ständige Wunsch von Theologen, man möge doch auch zeigen, dass es auch andere Meinungen gibt, dass alles viel differenzierter sei, ist die Achillesferse jeder kirchlichen Kommunikation: Man differenziert sich zu Tode. Die Gegenfrage sei erlaubt: Wie viele Personen sind denn adäquat? Wie viele Charaktere sollten die Leserinnen und Leser kennenlernen, um ein ausreichend differenziertes Bild von der Kirche zu erhalten? Jedes Quartal jemand neuen? Jeden Monat? Jede Woche? Jeden Tag? Ab der wievielten eingeführten Person wird eine Geschichte nur noch verwirrend statt lesenswert?

EIN MENSCH STATT EINER BEHÖRDE

Was wir bei Valerie und der Priester betreiben, ist, der Kirche eine andere Oberfläche zu geben. Von außen sieht unsere Kirche nämlich recht kalt aus. Sie besteht als alten Steinbauten oder mittelalten Betonbauten. Sie geriert sich wie eine Behörde. Sie tritt auf in seltsamen Riten und Gewändern. Sie spricht in kompliziert wissenschaftlichen Formeln. Sie erscheint wie ein undurchsichtiger Kosmos einer gigantischen Behörde, wie Kafka sie nicht besser hätte erfinden können. Diesem Bild stellen wir mit Franziskus von Böselager ganz und gar einen Menschen entgegen. Einen Menschen, der auch mal völlig absurde Dinge erzählt. Beispielsweise, dass er im Theater die Augen zumacht, wenn die Schauspieler auf der Bühne nackt sind, damit der Teufel ihn nicht verführt.

Ja, ich bin genauso irritiert wie alle anderen Leser auch. Aber ich bin als Produzent begeistert, dass da plötzlich zwischen all diesen Formalien und gesetzten Formen, zwischen all der differenzierten Wissenschaftlichkeit ein

Mensch durchschimmert und sichtbar wird. Ich will diesem Menschen keinen Gegenmenschen entgegenstellen. Ich will keinen zweiten Priester daneben platzieren, der dieser menschlich-pointierten Position sofort eine Relativierung zur Seite stellt. Ich halte es aus, dass der Glaube an Gott unterkomplex einfach bleibt – denn für die allermeisten Menschen ist er genau das. Ein schlichtes „ich glaube an Gott“ – und das vielleicht nicht immer korrekt.

Franziskus und Valerie emotionalisieren. Die beiden wecken Gefühle bei denen, die ihrer Geschichte folgen. Es sind Gefühle von Begeisterung, Wut, Irritation und Nähe. Sie verkörpern Glaube und Nichtglaube in solcher Form, dass Menschen beginnen, sich dazu zu positionieren. Das ist kein Hexenwerk, sondern schlicht eine Art der Kommunikation, die anerkennt, dass Emotionen und nicht komplexe Argumente handlungsauslösend auf Menschen wirken. Deshalb ist Franziskus der Priester und Valerie die Journalistin. Deshalb schmirgeln wir ihre Geschichte nicht zurecht, damit auch noch der Letzte in der Kirche zustimmend nickt. Uns schreiben Menschen, dass sie wegen Valerie und der Priester mal wieder in eine Kirche gegangen sind. Was könnten wir uns mehr erträumen? Die geweckte Emotion bedingt eine Reaktion. Nicht anders verhält es sich mit meinem Buch. Es weckt Begeisterung und Wut und damit bringt es konkrete Handlungen hervor. Menschen schreiben Lob und Kritik, sie überprüfen sich selbst mit ihren Predigten oder bestärken sich selbst darin, nichts ändern zu wollen. Für beide Seiten findet eine Selbstvergewisserung statt. In jedem Fall werden sie nicht kalt gelassen wie von universitärer Intellektualität.

Es muss einen produktiven Mittelweg geben zwischen dem Universitär-Komplexen und dem religionspädagogischen Tücherwerfen.

NICHT VERBLÖDEN

Die zentrale Herausforderung bei der Neugestaltung von Kommunikation basierend auf einfacher Emotion statt komplexer Theoretisierung ist, dabei nicht zu verblöden. Denn das ist das zentrale Risiko. Der Hang zur Verwissenschaftlichung Gottes scheint mir nicht selten auch eine Gegenbewegung gegen die sinnentleerte Emotionalisierung in Katechesen aus den 1970ern zu sein. Eine fundierte historisch-kritische Analyse einer Bibelstelle hebt sich geradezu wohltuend ab von den Bergen aus Tüchern und Kerzen und den salbungsvoll-inhaltleeren Worten religionspädagogischer Peinlichkeit. Aber die Gegenbewegung gegen die noch immer gelebte übertriebene Emotionalisierung der 1970er, die häufig ganz auf ihren Christentumsbezug verzichtet, darf nicht sein, zu einer grauen Behörde zu verkommen. Es muss einen produktiven Mittelweg geben zwischen dem Universitär-Komplexen und dem religionspädagogischen Tücherwerfen.

Für mich sind die Lesungen und das Evangelium des 26. Sonntages vom 18. September dieses Jahres ein gutes Beispiel dafür, wie das gelingen kann. Es war die seltsam verstörende Kombination aus einer Amos-Lesung (Am 8,4-7) über das Stehlen der Reichen von den Armen mittels ihrer wirtschaftlichen Übermacht, das in die Hölle führt, einer Paulus-Lesung (1 Tim 2,18) darüber, dass man für die Mächtigen beten solle und eines Evangeliums, in dem Jesus im Gleichnis vom unzuverlässigen Verwalter (Lk 16,1-13) erklärt, dass der Raub an den Reichen und Mächtigen ins Himmelreich führt.

Mich zumindest ließ diese Kombination einigermaßen verwirrt zurück. Eine Verwirrung, die emotional stark genug war, um mich zur Recherche zu ermuntern. Wie standen die Texte in anderen Bibelübersetzungen? Wie erklären Wissenschaftler dieses seltsame Gleichnis Jesu? In welchem Kontext steht der Paulusbrief? Wie geht das alles überein mit dem Gebot gegen das Stehlen? Mich ermunterte diese Recherche dazu, über diese drei Texte mit Jesuiten zu sprechen. Und zwar über die Frage, wie sie mich verloren zurücklassen, über meine Suche und am Ende auch über mein Finden. Eine Geschichte, die ich einer Kirchengemeinde erzählte und der sie aufmerksam zuhörte. Weil es die Verbindung war von echter Emotion und einfacher Überforderung im Angesichts der biblischen Überlieferung und gleichzeitiger Suche nach einer Antwort mit Hilfe wissenschaftlicher Methode.

Mein Versuch einer Antwort war nicht, das ganze Dilemma auflösen zu wollen, sondern die Irritation in den Mittelpunkt zu rücken. Die Frage, wie man angesichts so vieler konkurrierender Ansprüche im Sinne Gottes handeln soll. Welchen Zweck die Überforderung hat und wessen Wort denn nun mehr zählt: Das der Propheten, das der Apostel, die Gebote Gottes oder das Wort seines Sohnes? Ein Kleinmachen vor dem Kreuz, ohne vor lauter Demut nicht mehr zu wagen, eine Antwort zu suchen. ■

Mehr als Symptombehandlung. Was Verkündigung wirklich braucht

Verkündigung heißt: dem Evangelium, d.h. der „frohen Botschaft“ zur Präsenz zu verhelfen. Doch in der kirchlichen Binnenkommunikation ist der Begriff „Botschaft“ häufig ein Containerbegriff. Allzu oft hört man, dass die Botschaft „einfach zu den Menschen getragen“ werden müsse, dass man sie „moderner verpacken müsse“, doch was mit „Botschaft“ gemeint ist, wird oft nicht gesagt – oder ist es so eindeutig, dass man es nicht weiter explizieren muss? Ute Leimgruber

Natürlich kann man nun einwenden, die Botschaft sei das Reich Gottes, mit Verweis auf die zentrale Aussage Jesu in Mk 1,14f: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Doch das führt nur vom Regen in die Traufe, denn was bedeutet „Reich Gottes“ im konkreten Leben eines Durchschnittsmenschen in Deutschland?! Papst Franziskus warnt in Evangelii gaudium davor, „sich an die eigene Sprache zu gewöhnen und zu meinen, dass alle anderen sie gebrauchen und von selbst verstehen“ (EG 158). Die Phraseologie der deutschen Kirchensprache wird deutlich anhand eines Graffitos: Auf einer Wand steht: „Jesus ist die Antwort!“ – und ein Sprayer hat darüber geschrieben: „Was war nochmal die Frage?“ Dies entlarvt die hohle Vordergründigkeit einer religiösen Aussage, die in keiner Weise von den Erfahrungen und dem Leben der Menschen gedeckt ist.

In den letzten Monaten, seit dem Erscheinen des Buches „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ von Erik Flügge, wird wieder über die Sprache der Verkündigung diskutiert. Und das ist gut so. Denn die Sprechverkündigung ist vielerorts in einem miserablen Zustand. Humorvoll auf den Punkt gebracht beim Bullshit-Bingo Weihnachtspredigt

(vgl.philipp-greifenstein.de/bullshit-bingoweihnachtspredigt, in: LS 5/2014 „Humor“). Jemandem dabei zuzuhören, wie er oder sie „kirchisch“ spricht, verursacht nicht selten Fremdschämen.

Man kann sich in der „kirchischen“ Sprache relativ problemlos von Containerbegriff zu Containerbegriff, von schiefen Metaphern zu schiefen Metaphern hangeln, ohne dass man wirklich konkret etwas sagt. Und ohne dass sich irgendjemand derer, die von der Kirche „angesprochen“ oder „wiedergewonnen“ werden sollen, dafür interessiert.

Andererseits wird versucht, eine dezidiert moderne Sprache zu verwenden, möglichst „cool“ und zeitgemäß zu formulieren. Oftmals sind dann für die Außenstehenden nur noch Codes und Anti-Codes erkennbar, eine vordergründige und bisweilen absurde Kommunikation dessen, was man eigentlich besonders schick und v.a. erfolgverheißend verkaufen will. Gegen den allgemeinen Code des abgegriffenen Kirchensprechs wird da der Anti-Code einer modernen Alltagssprache gesetzt; aus „Gruppenstunden“ für Ministrant/-innen werden „Mini-Meetings“. Wenn es dabei dann auch noch das Ziel ist, möglichst viele Menschen in die leeren Gotteshäuser bzw. in die diversen Gruppierungen der Gemeinden zu locken, ist dies eine institutionalistische Vorgehensweise, die nur auf sich selbst und die eigenen Zahlen sieht. Weder Anbiederung an das Gegenüber noch Zielgruppenmarketing sind der richtige Weg, über Gott zu reden (vgl. Flügge, 132f.).

 

Ute Leimgruber

Dr. habil., Studienleiterin bei Theologie im Fernkurs, Würzburg; Privatdozentin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda; Mitglied der Theologischen Kommission des KDFB.

Klar ist: An der Sprache allein wird die Kirche nicht verrecken. Die Sprache ist ein besonders augen- bzw. ohrenfälliger Ort der Inkohärenz – aber nicht der einzige. Denn der – zugegebenermaßen nur schwer erträgliche – „Jargon der Betroffenheit“ ist lediglich das Symptom. Man kann die Sprache in den Blick nehmen, gute Tipps zur Vermeidung von abgedroschenen Phrasen geben, doch das ist Symptombehandlung. Sekundärtherapie nennt man das in der Medizin. Die ist oft gut und notwendig. Meistens ist sie sogar unverzichtbar. Manchmal ist es die einzig mögliche Therapie – dann nämlich, wenn die eigentliche Ursache nicht behoben werden kann. Im Fall der christlichen Verkündigung braucht es m.E. unbedingt die von Erik Flügge angemahnte Sekundärtherapie einer verständlichen Sprache, in Stil und Ästhetik.

Vor allen Dingen aber – und in Korrespondenz mit einer fundierten Diagnose der Verkündigung und ihrer Verständigungsschwierigkeiten – braucht es eine Primärbehandlung, die sich wiederum in der Sprache widerspiegelt. Dass „Kirchisch“ so ist, wie es ist, liegt nicht nur daran, dass man irgendwie in den 1980er Jahren hängen geblieben wäre. Sein Zustand ist ein Symptom für eine viel tiefer liegende Krise.

SPRACHE: DIE FORMALE QUALIFIKATION DER VERKÜNDIGUNG

Verkündigung ist in mehrfacher Weise qualifiziert. Dies ergibt sich aus ihrer Bestimmung als Glaubenskommunikation.

Die Sprache, kondensiert im Code, ist interdependent mit den Personen (wer kommuniziert mit wem), dem Inhalt (was wird kommuniziert) und dem Kontext. Wenn man nun den Blick auf die Sprache richtet, dann ist die Diagnose von Erik Flügge zutreffend, dass innerhalb dieser Kategorie der Zusammenhang zwischen alltäglicher Gebrauchssprache und kirchlicher Verkündigungssprache gerissen ist. Wie oft z. B. blickt man jemandem ins „Antlitz“ oder lädt seine Freund/-innen am Wochenende zu einer „Agape“ mit „anschließendem gemütlichen Beisammensein“ ein? Eigentlich nur in Predigten und beim Pfarrfest. Das in kirchlichen Kontexten verwendete Vokabular ist oft nur noch für Menschen verständlich (und erträglich), die kirchlich sozialisiert und integriert sind. Für alle anderen wirkt es irgendwie anachronistisch, peinlich und oft sogar abstoßend. Das macht auch das Graffito deutlich: Die Aussage „Jesus ist die Antwort“ ist aus der Distanz betrachtet alleine sprachlich schon ziemlich schräg, doch m.E. zeigt sich darin, dass ein viel tiefer liegender Zusammenhang gerissen ist: der zwischen Sprache und Inhalt bzw. zwischen Wort und Vollzug. Sprachfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang auch das, was 1 Petr 3,15 paradigmatisch aussagt: „Seid bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch nach dem Grund der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ Und diese Rede und Antwort sollte verständlich, vernünftig, theologisch fundiert und persönlich beglaubigt sein.

Religiöse Sprache ist eine eigene, eine spezifische Sprache. Doch ist es im täglichen Verkündigungssprechen eine Gratwanderung zwischen notwendiger Aktualisierung und Lächerlichkeit, zwischen eingeübtem Verständnis und Sinnentleerung, zwischen theologischer/religiöser Sprachfähigkeit und religiös verquastem „Wortdurchfall“ (Paul M. Zulehner). Zunächst einmal braucht es den Verzicht auf Floskeln wie z.B. „Jesus ist die Antwort“. Floskeln sind nichts anderes als inhaltsleere Ausflüchte, metaphorisch ausgedrückt: tapezierte Türen, die man nicht erkennen darf. Der Lackmustest auf die Relevanz von Sprechverkündigung findet im Gespräch mit vertrauten Menschen in der Küche, in der Kneipe usw. statt. Wer es am Esstisch so sagen kann, dass es bedeutsam wird, kann auch in spezifischen Verkündigungssituationen die richtigen Worte finden, die die notwendige Lebensrelevanz ausdrücken – warum nicht mit Hilfe einer Optimierung eingeschliffener Sprachstile, nach entsprechender Reflexion, professionellem Feedback und bewusstem Einüben einer menschen- und alltagsnahen Sprache?

Doch wo es eben nicht möglich ist, wie mit Freund/-innen die Botschaft zu verbalisieren, wird jenes tiefer liegende Problem deutlich: Der Rückgriff auf die Bedeutung für das eigene Leben gelingt nicht (mehr) – wie sollte die Botschaft also für andere bedeutsam sein? Es geht dann nicht mehr einfachhin um eine Therapie der Sprache, sondern es geht um das Eigentliche: den Inhalt der Botschaft, dessen man sich gewahr zu werden hat. Das, was gesagt wird, muss relevant sein (vgl. Flügge, 69). Richtig, und zwar muss es, schon bevor es verbalisiert wird, für die verkündigende Person relevant sein. Und diese sollte diese Relevanz beschreiben können. In eigenen Worten, mit persönlichem Akzent. Wo diese Relevanz für das eigene Leben nicht jenseits von Floskeln versprachlicht werden kann, ist die Beziehungslosigkeit und Verständigungsunmöglichkeit im Kommunikationsprozess Verkündigung vorprogrammiert. Wo die „Botschaft“ keine Relevanz im eigenen Leben besitzt, gibt es – egal mit welcher Sprache – nichts zu verkündigen.

ZUSAMMENHANG VON SPRACHE UND INHALT IM VOLLZUG: DIE THEOLOGISCHE QUALIFIKATION DER VERKÜNDIGUNG

Je versprachlichter Verkündigung also ist, umso reflektierter muss der/die Verkündigende sich dessen bewusst sein, was er/sie verkündet. Wer den liebenden Gott verkündet, muss für die Worte eine Entsprechung in seiner eigenen Erfahrung benennen können. Man sollte in der Sprechverkündigung erzählen oder beschreiben können, was die gesprochenen Worte tatsächlich für eine/-n selbst bedeuten. Erst wenn das, was man vom Evangelium behauptet, Ankerpunkte in der Erfahrung hat, wird Verkündigung relevant. Anders ausgedrückt: Erst wenn die Rede von etwas mit einem bestimmten Handeln, mit einer bestimmten Praxis verbunden ist, erlangt sie Glaubwürdigkeit und Bedeutung.

Die Conditio sine qua non für jegliche Verständigung ist die Einheit zwischen Tun und Sprechen

Die theologische Qualifikation für die innere Struktur der Redeverkündigung und damit auch die Conditio sine qua non für jegliche Verständigung ist damit die Einheit zwischen Tun und Sprechen, „zwischen Wort und Vollzug“ (Fuchs, 28). Das Echtheitskriterium der kirchlichen Verkündigung wie im Grunde des gesamten kirchlichen Selbstvollzugs entscheidet sich letztlich daran. Wo zwischen der behaupteten Rede von Gott und der ihn beanspruchenden Praxis kein erkennbarer Zusammenhang besteht, ist Verkündigung weder attraktiv noch authentisch – und damit auch nicht glaubwürdig. Mit Blick auf das Sprachhandeln wird die oben bereits angedeutete Inkohärenz offenkundig. Theologische Phrasen und religiöse Floskeln im Verkündigungssprechen sind häufig Hinweise auf eine solche gerissene inhaltliche Verbindung zwischen behaupteter und praktizierter Verkündigungsbotschaft.

Ein markanter Ort, an dem Verkündigung näher bestimmt wird, ist die Diakonenweihe. Der Bischof reicht dem Weihekandidaten das Evangeliar mit den Worten: „Empfange das Evangelium Christi: Zu seiner Verkündigung bist du bestellt. Was du liest, ergreife im Glauben; was du glaubst, das verkünde, und was du verkündest, erfülle im Leben.“ Es wird hier gleichsam eine Stufenfolge beschrieben: Vom Lesen zum Glauben zum Verkündigen zum Im-Leben-erfüllen. Theologisch spannend allerdings wird es, wenn man diesen Satz nicht als Stufenfolge, sondern die einzelnen Komponenten als gleichrangig liest: glauben = leben = verkündigen. So beschreibt der Satz nicht nur eine Folge, sondern eine inhaltliche Identifikation zwischen den Verben bzw. Handlungsformen leben, glauben und verkündigen. Leben, glauben und verkündigen sind nicht voneinander zu trennen und haben auch keine aufeinander aufbauende Reihenfolge. Das Reden über Jesus hat nur dann Gewicht, wenn dieses Reden einen Sitz im Leben bzw. im eigenen Handeln und im Glauben hat. Es geht gewissermaßen um den Praxis- bzw. den Erfahrungsgehalt der Verkündigungsbotschaft.

„WIE WAR NOCHMAL DIE FRAGE?“ – VERKÜNDIGUNG UND DIAKONIE

Verkündigung wurde eingangs bestimmt als der Versuch, dem Evangelium zur Präsenz zu verhelfen. Es ist offenkundig nicht leicht, die „Botschaft“ weniger „kirchisch“ zu verbalisieren – Erik Flügge legt den Finger mitten in die offene Sprachwunde. Hier braucht es die bereits angesprochene theologische und personale Sprachfähigkeit, um Theologie und Erfahrung, um Lehre und Leben in Beziehung zu setzen. Die Übergabe des Evangeliars während der Diakonenweihe verweist ausdrücklich auf das Evangelium, das verstanden werden will. Christliche Identität erfüllt sich nur im Rückgriff auf Jesus Christus, und die Verkündigung Jesu, wie sie die Evangelien präsentieren, geht stets einher mit einer Entsprechung in seinem Handeln. Wort und Tat sind bei ihm eins. Seine Rede von Gott, der das Heil der Menschen will, ist immer auch ein Tun, das das Heil erfahrbar werden lässt. Und umgekehrt: Sein Tun ist immer auch Verkündigung.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?