Die Geschichte des Dorfes Wyhlert

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Die Geschichte des Dorfes Wyhlert
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Die Geschichte des Dorfes

Wylert


Im Auftrag des Vereins für Heimatpflege und

Ortsgeschichte Kippenheimweiler e. V.

herausgegeben von Stephan Hurst,

Edgar Kern und Anna-Luise Labelle

Kaufmann

Vorwort

Vorwort

des Oberbürgermeisters Dr. Wolfgang G. Müller

DES OBERBÜRGERMEISTERS DR. WOLFGANG G. MÜLLER


Die Beschäftigung mit der Geschichte hat in Lahr eine lange Tradition und immer wieder zeigt sich dabei, dass nicht nur die Stadt Lahr selbst, sondern auch ihre Ortsteile ihre je unverwechselbare und eigene Geschichte haben. Grob unterscheiden lassen sich dabei die Ortschaften der ehemaligen Herrschaft Lahr (die in der Regel evangelisch waren) von den Ortschaften, die zur Herrschaft Hohengeroldseck oder Mahlberg gehörten. Kippenheimweiler hat innerhalb dieser Ordnung einen besonderen Platz. Denn es gehörte nicht nur viele Jahrhunderte lang zu Mahlberg und damit zu Baden, sondern hatte seinen Ausgangs- und Bezugsort auch eindeutig in einer benachbarten Gemeinde: nämlich Kippenheim.

Erst die Industrialisierung im 19. Jahrhundert hat das regionale Gefüge hier verändert: Mit den Arbeitsplätzen und Ansatzmärkten in Lahr entstanden feste Verkehrsverbindungen und Beziehungen. Als Anfang der 1970er-Jahre die Entscheidungen über die Eingemeindungen fallen mussten, war bereits alles geklärt: Kippenheimweiler gehörte und wollte zu Lahr.Doch die Besonderheit der Wylerter Geschichte ging weiter. Mit der Schorn-Siedlung entstand hier eine der großen kanadischen Siedlungen. Mit dem Abzug der kanadischen Truppen 1993/94 wurde Kippenheimweiler dann einer der Siedlungsschwerpunkte für die nach Lahr kommenden Spätaussiedler. Die Ausbausiedlung des späten Mittelalters war – so kann man sagen – ihrem Charakter treu geblieben: Heimat zu werden für zuziehende Menschen.

Anlässlich seiner 650-jährigen Ersterwähnung hat sich Kippenheimweiler nun selbst ein Geschenk gemacht: ein Buch über seine Geschichte, das das vorhandene Ortssippenbuch ergänzt, viel Neues erzählt und vor allem von der ungebrochenen Vitalität des Dorfes zeugt. Aber auch von den Wandlungen des 20. Jahrhunderts, von dem, was gestern noch den Ort prägte und heute bereits verschwunden ist. Mit Blick auf diese Geschichte, auf die bewältigten Leistungen und Mühen, darf Kippenheimweiler heute zuversichtlich und stolz in das 21. Jahrhundert und die Zukunft schauen. Und mit Dank auf jene Menschen, die dieses Buch geschaffen haben. Ein Dank, dem ich mich gerne anschließe.

des Ortsvorstehers Tobias Fäßler

Vorwort

DES ORTSVORSTEHERS TOBIAS FÄßLER


Liebe Leserinnen und Leser,


bereits Friedrich Nietzsche erwähnte: „Ein Buch, das man liebt, darf man nicht leihen, sondern man muss es besitzen!“

2015 feiert Kippenheimweiler sein 650-jähriges Jubiläum. Zu diesem Anlass hat sich eine kleine, aber feine Arbeitsgruppe zusammengefunden, um ein Buch zu verfassen. Dabei überlegt man sich, was dieses Buch beinhalten soll und welche Fragen offen sind, die das Interesse an unserem Stadtteil wecken können.

Kennen wir alle unser Dorf wirklich und kann man nicht immer wieder Neues entdecken? Sind beispielsweise der Dreschschopf oder die Hanfrözi in Wylert fast schon Vergangenheit und bald vollständig vergessen?

Das Buch soll nicht versuchen, möglichst alle erdenklichen Fragen zu beantworten. Es soll auch keine vollständige chronologische Auflistung der historischen Fakten oder eine Neuauflage des Dorfsippenbuches sein. Es soll vielmehr vor allem Freude beim Lesen bereiten und möchte Wertvolles dokumentieren. Die historischen Schätze unseres Dorfes werden strukturiert aber auch spannend für unsere Nachwelt festgehalten, damit die Dinge, die das Leben ausmachten, nicht einfach in Vergessenheit geraten oder unwiederbringlich verloren gehen. Unser Buch kann aber auch neue Bürger mit der vielfältigen historischen Tradition unserer Heimat vertrauter machen. Das Buch lebt dabei von den Menschen aus unserer Region und Ihren Geschichten und ermöglicht es uns, wie durch eine Brille in die Vergangenheit zu blicken.

Daher gilt mein Dank allen Beteiligten dieses Buches für ihre beindruckende Arbeit, insbesondere dem Kernteam Stephan Hurst, Anna-Luise Labelle und Edgar Kern. Bemerkenswert fand ich persönlich, mit welcher Begeisterung alle Beteiligten diese Aufgabe ehrenamtlich erfüllten. Ich wünsche Ihnen allen viel Freude beim Lesen!

der Herausgeber

Vorwort

DER HERAUSGEBER ANNA-LUISE LABELLE, EDGAR KERN UND STEPHAN HURST


„Gerade in stürmischen Zeiten haben die Menschen ein Bedürfnis nach Kontinuität und ein besonderes Interesse für das kulturelle Erbe.‘‘ Otto von Habsburg

Als 2008 die Befragung der Zeitzeugen begann und sich die etwa 10-köpfige Arbeitsgruppe damit befasste, ältere Menschen des Dorfes zu besuchen und deren Erinnerungen festzuhalten, war uns allen noch nicht bewusst, was wir damit anstießen. Im Fokus stand zuallererst, dass in „weiter Ferne“, 2015, ein Dorfjubiläum anstand, zu dem es etwas beizutragen galt.

Doch bereits 2008 war einem überwiegenden Teil der Arbeitsgruppe klar vor Augen, dass es galt, ein Stück der alten Zeit festzuhalten, bevor diese verschwinden würde. Dies mag vielleicht pathetisch klingen, aber es ist so gemeint. Die Generation der heute etwa 75- bis 90-jährigen hat eine Zeit durchlebt, die wie keine Ära zuvor einen so radikalen und rasanten Umbruch mit sich brachte. Neben der rasch fortschreitenden Technisierung wie beispielsweise in der Arbeitswelt trugen auch die Folgen des Zweiten Weltkrieges dazu bei, die Entwicklung – auch in der Gesellschaft – zu beschleunigen.

Neben den vielen Zeitzeugenbefragungen (15 Personen wurden neudeutsch „interviewt“, teilweise mehrfach) galt es, viele Fotografien zu sichten, zu sammeln, zu speichern, vor allem: die darauf abgebildeten Personen wenn möglich zu erkennen und zu identifizieren. Dies war zwar zeitaufwändig, aber Grundlage für das nun vorliegende Buch. Das Herunterbrechen der Geschichte im Großen auf unser liebgewonnenes Dorf und dessen lokale Besonderheiten sollte einen wesentlichen Bestandteil des Bandes ausmachen. Deshalb gilt zuerst unser großer Dank an die mehr als 60 (!) Bildspenderinnen und Bildspender, die uns über 900 Fotos zur Verfügung gestellt haben. Dies ist nicht selbstverständlich: sind die Bilder doch etwas Vertrautes, ein Teil der eigenen Geschichte und manchmal auch beladen mit Erinnerungen, die nicht immer nur fröhlich und heiter sind. Ohne das Mitwirken der Bevölkerung wäre das Entwerfen und Gestalten eines solchen Buches nicht machbar. Aber kommt es nicht allen Menschen in unserem Dorf zugute? Das sollte auch das große Ganze sein, dem unsere Arbeit galt. Ein weiterer Aspekt der kleinen, aber feinen Autorengruppe war, nicht nur den alten Ortskern und dessen Historie zu beleuchten, sondern auch die neuere Ortsgeschichte zu erfassen: die Zeit der Kanadier, die Zeit des Wandels und selbstverständlich auch die Ankunft unserer Neubürger, der Russlanddeutschen. Wohltuend und positiv war, wie herzlich sich die Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion über ihren Beginn in Kippenheimweiler äußerten und wie glücklich und zufrieden sie sind. Vielleicht mag dies nicht allen im Dorf so bewusst sein. Aber es tut gut zu hören, dass sich gerade die in den letzten zwanzig Jahren Angekommenen so wohl fühlen.

Wichtig war uns auch, gerade die Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Wir meinen, dass uns dies gut gelungen ist. Sie haben uns viel zu sagen gehabt, und wir haben die Berichte gerne festgehalten: zeugen sie doch von einer Zeit, die im Schwinden begriffen ist und sich rasant wandelt. Es ist nicht nur das wichtig, was gesagt, sondern auch wie es berichtet wurde: lebhaft, interessiert, aufgeschlossen und erfrischend direkt. Auch ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt für die offene Art und die Zeit, die sie sich nahmen.

Auch die Vereine, die kirchlichen Organisationen sollten unbedingt zu Wort kommen. Ihnen und den zuständigen Autoren gilt ebenso unser Dank, weil sie mit ihrer Arbeit die Vereinsaktivitäten wunderbar würdigen und die Vereinsgeschichte lebendig beleuchten.

Großer Dank gilt auch den MitarbeiterInnen des Kaufmann-Verlages für die hervorragende Begleitung und die fachliche Unterstützung. Ebenso gebührt den fleißigen Helfern in der Ortsverwaltung für ihre Geduld mit uns ein großer Dank. Eine besonders intensive Unterstützung bei allen die Gemeinde betreffenden Fragen und der Zuordnung von Personen erfuhren wir von Herbert Hurst und Karl Beinroth. Auch hier gab es nie ein Nein. Herzlichen Dank an sie beide. Ebenso ist es dem ausgezeichneten Gedächtnis von Hilde Schiff und Martin Schmidt zu verdanken, dass gerade auf den besonders alten Fotografien viele abgebildete Personen einen Namen bekamen. Abschließend ein großer Dank an meine immer gastfreundliche Nachbarin Renate Weis-Schiff, bei der die meisten Zeitzeugenbefragungen stattfanden.

 

War die gute alte Zeit immer so gut? Ja und nein. Der heutige Fortschritt brachte viele Errungenschaften, die wir nicht missen wollen. Gleichzeitig verschwand ein Teil der Identität, so hart es klingen mag. Hier und da blitzt sie auf, aber das Kleinteilige, das lokal auf das Dorf Beschränkte, das Miteinander, das „Aufeinander-angewiesen-Sein“ ist weniger geworden. Vielleicht ist dies einfach der Preis des Wohlstandes, weil sich vieles kaufen lässt, ohne auf die Mithilfe des Nachbars oder der Verwandtschaft angewiesen zu sein.

Mit dem vorliegenden Buch wollen wir einerseits das Vergangene festhalten, aber vor allem andererseits auch anregen, sich mit der Geschichte von Wylert, unserem Dorf, und der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Es soll unterhalten, zum Schmunzeln bringen und mit den Worten von Winston Churchill zum Nachdenken anregen: „Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.‘‘

Viel Vergnügen!

Teil 1 Kippenheimweiler von den Anfängen bis heute

Teil 1 Kippenheimweiler von den Anfängen bis heute


1. Kapitel. Kippenheimweiler in der Frühen Neuzeit – Einblicke in ein kleines Dorf

1. KAPITEL

Kippenheimweiler in der Frühen Neuzeit – Einblicke in ein kleines Dorf


VON THORSTEN MIETZNER

Auf den folgenden Seiten soll ein erster Einblick in die Geschichte Kippenheimweilers bis etwa 1800 gewonnen werden. Die zurzeit vorliegende Literatur sowie der hier zur Verfügung stehende Platz lassen es leider nicht zu, in aller Ausführlichkeit alle rechtlichen, ökonomischen, sozialen und politischen Aspekte der Dorfgeschichte angemessen zu behandeln. Wer aber einen ersten Einblick in das Dorf zu einer Zeit gewinnen möchte, die so ganz anders war als unsere, der ist hier richtig.

Beginnen wir mit einer „alten“ Karte, die im Ortssippenbuch von Kippenheimweiler auf Seite 32 wiedergegeben ist. Nach der beigegebenen Beschriftung soll es sich um einen „Ausschnitt der Karte der Mortenau“ aus dem 14./15. Jahrhundert handeln. Eine Quellenangabe fehlt leider.

Diese Karte ist bemerkenswert, denn sie zeigt zum einen die Region um Kippenheimweiler in einem sehr frühen Stadium – im Mittelalter –, zum anderen zeigt sie deutlich den Bezug zu Kippenheim und den Rodungscharakter des Dorfes. In der Art freilich, wie sie hier wiedergegeben ist, weckt sie das Misstrauen des Historikers. Denn sie ist ganz offensichtlich nachgezeichnet, also nicht die grafische Reproduktion einer originalen Karte. Die Schrift passt ebenfalls kaum ins 14. oder 15. Jahrhundert, die Karte wäre ganz untypisch für diese Zeit. Dennoch hat es wohl eine Vorlage gegeben. Aber welche?

Bei der Suche nach der „echten“ Karte der Mortenau stößt man schnell auf die Arbeiten aus dem 16. Jahrhundert von Waldseemüller, Mercator und David Specklin. Und hier – genauer: bei Specklin – wird man denn auch fündig. Seine berühmte Oberrheinkarte von 1576 zeigt all jene Orte, die auch im Ortssippenbuch abgebildet sind, freilich in einer teilweise abweichenden Schreibweise. Vor allem aber fehlt in dieser Karte der „Schlauch“ in den Wald, der die Zeichnung im Sippenbuch so eindrücklich macht. Der Verdacht liegt also nahe, dass der Zeichner hier seiner Vorlage etwas „nachgeholfen“ hat. Vielleicht um seiner These vom „Rodungsdorf“ und der „zwangsläufigen Orientierung“ nach Kippenheim etwas nachzuhelfen. Solange also keine andere Vorlage gefunden wird – und wie erwähnt ist dies für das 15. oder gar 14. Jahrhundert sehr unwahrscheinlich –, müssen wir uns also von der Karte im Ortssippenbuch verabschieden, können aber auf die zwar jüngere, aber auch eindrucksvolle Arbeit von David Specklin verweisen.

Specklin zeigt Kippenheimweiler in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dem gleichen kartographischen Symbol wie andere Dörfer auch: ein stilisierter kleiner Kirchturm mit zwei Häusern rechts und links. Westlich von Kippenheimweiler sehen wir auf der Karte Wald, ebenso an der Unditz, die hier übrigens nördlich an Kippenheimweiler vorbeifließt (Westen ist auf der Karte oben). Ansonsten aber ist die Ebene Richtung Kippenheim und nach Süden bereits waldfrei, wenn auch sicher noch nicht so trocken wie heute. Insgesamt ähnelt aber das Kartenbild sehr der 200 Jahre jüngeren badischen Landesaufnahme von 1780. Hat sich also nichts verändert in dieser Zeit? Stillstand etwa?

Fassen wir doch einmal zusammen, was wir über das alte Kippenheimweiler so wissen oder begründet vermuten können, und beginnen wir dabei mit „Langeisiesuuilare“ (anstelle der beiden u kann man auch ein w oder ein v lesen), jener ominösen Erwähnung, die um 1007 in Straßburg entstand. Worum ging es dabei? Nach 1007, dem Jahr eines Brandes, musste die Kirche St. Thomas in Straßburg ihre Besitzungen neu aufzeichnen. In diesen Aufzeichnungen steht, dass die Kirche „in vico autem Kippenheim curtem 1 et dimidium partem aecclesiae ejusdem vici et villulam Langisesuuilare de Hugone comite Hohenburc regnante prefalus Rihuuinus episcopus conquisierat et fratribus radiderat“.[1]Zu Deutsch: Graf Hugo schenkte dem Straßburger Bischof Richwin einen Hof und den halben Teil der Kirche in Kippenheim sowie den Weiler Langisesvilare, was dieser Bischof wiederum an die Kirche St. Thomas weitergab. Der Eintrag bezieht sich auf die Zeit zwischen 913 und 933, die Amtszeit Richwins. Dieses Langisesvilare nun ist immer mit Kippenheimweiler gleichgesetzt worden, denn einen anderen Weiler in der Umgebung von Kippenheim gab es nicht. Dennoch gibt es gute Gründe, auch skeptisch zu bleiben. Fassen wir diese Gründe mal zusammen:

1.Der Name Langisesvilare taucht nur dieses eine Mal in den Quellen auf. In den Jahrhunderten danach ist dagegen von „Wiler“, „Oberwiler“ oder „Niederwiler“ die Rede.

2.Etwa ein Drittel aller Weiler-Dörfer in unserer Region verschwand im Spätmittelalter wieder.

3.Erst ab dem Hochmittelalter werden viele Dörfer und Weiler überhaupt ortsfest.

4.Es gibt deutliche Anzeichen von Wüstungen auf der Gemarkung von Kippenheimweiler (Obere Wüstmatt, Untere Wüstmatt).

5.Die spätere Gemarkung Kippenheimweilers erstreckt sich über ein Gebiet, das im Früh- und Hochmittelalter noch wesentlich feuchter gewesen sein und eine dauerhafte Besiedlung kaum geduldet haben dürfte.

All das spricht gegen eine Siedlungskontinuität und stattdessen eher dafür, dass es im westlichen Vorfeld von Kippenheim mehrere Versuche gegeben hat, das Land zu roden, trockenzulegen und einen Weiler fest zu installieren. Die Ersterwähnung von Kippenheimweiler im Jahre 1365 verweist aber schon auf einen eigenen Zehnten, das Dorf dürfte hier also schon länger bestanden und eine eigene Entwicklung hinter sich gebracht haben. Welche Beziehung allerdings zu Langisesvilare besteht, bleibt dunkel.

Weitere Erwähnungen Kippenheimweilers im Mittelalter sind sehr selten, was durchaus als Hinweis auf die geringe Größe des Ortes gedeutet werden darf. Kippenheimweiler ist wahrscheinlich häufig mitgemeint, wenn in zahlreichen Urkunden Kippenheim oder dessen Kirchsatz gemeint ist. Eine Ausnahme stellt dagegen eine Urkunde von 1417 dar, in der die Inhaber des Kirchsatzes (in diesem Fall das Domkapitel zu Straßburg sowie Heinrich von Geroldseck) mit den Vertretern des Dorfes Regelungen bezüglich des Weinzehnten treffen. Unter den Vertretern des Dorfes ist hier auch Claus Reinbolt von Wilre erwähnt, was Kippenheimweiler sein dürfte.[2]

Bevor wir einen Blick in das soziale und wirtschaftliche Innere des Dorfes werfen, müssen wir noch kurz die herrschaftlichen Verhältnisse erörtern. Wann immer auch Kippenheimweiler letztlich gegründet wurde, seine politischen Verhältnisse hingen lange aufs Engste mit Kippenheim (und mit Mahlberg) zusammen. Der Raum Kippenheim-Mahlberg war Reichsland, das heißt, eigentlich hatte hier der König das Sagen. Doch bereits im 13. Jahrhundert erlangten die Herren von Geroldseck dieses Lehen und waren somit die Landesherren der Herrschaft Lahr-Mahlberg. Nach dem Aussterben der Geroldsecker im 15. Jahrhundert fiel die gesamte Herrschaft zunächst an die Herren von Moers-Saarwerden, wurde aber bereits Mitte des 15. Jahrhunderts wiederholt an die Markgrafen von Baden verpfändet. 1629 schließlich einigten sich die gemeinsamen Eigentümer Nassau-Idstein und Baden-Baden auf eine Teilung der Herrschaft: Fortan gehörte Kippenheimweiler zusammen mit der restlichen Mahlberger Herrschaft zum (katholischen) Hause Baden.


Der Wortlaut der Urkunde von 1365:

Ich rüpreht von Diersburg ein edelknecht dun kunt allen den die disen brif sehent od(er) hörent leßen daz ich gelobt han und gelobe mit diesem briefe fur mich und fur alle meinez lehens erben von den vier vierteil korn geltez wegen so die edeln herren herr Hans von Üsenberg und junker hesse sin bruder gegunnet hant als ich su versezzet han hansen von arras eim edelnknecht uf dem zehenden der gelegen ist zu kippenheinwiler den ich und min vettern von inan zu lehen hant und von in an vürent daß ich oder minez lehens erben ob ich enwere die selben vier vierteil korn geltes in drin joren noch den dat diesen briefes lidegen und lösen söllten one v(er)zog(.) wer aber daz sich die zil verliefen und daz vorgenant korn gelt nit erlöset wert werden so hant die obgena(n)ten herren maht mich oder mineß lehens erben ob ich enwere dar um zu mannende mit boten oder mit briefen zu huse und zu hofe oder under oegen und wan wir dar um ermanet werden so sol ich oder minez lehens erben ob ich enwere mit sinez selbez libe in (?) dem nehsten monat noch der manunge sich entw(o)rten (überantworten) gein endingen in die stat und niemer dan zue kuommende unz do daz korn gelt von den vorgnnt Hansen von Arras oder von sine erben inlöse wirt oder den vorgnant(er) herren wille überdragen und daz dis allez war und stet belieb so habe ich min eigen ingesigel an disen brief gehenket der geben wart do man zalet von gotez geburt drüzehen hundert jahr und fünft und sehzig jar an dem nehsten zistag vor sact anders dag.

Regest

Der Edelknecht Ruprecht von Diersburg versetzte für vier Viertel Korngült den Zehnten von Kippenheimweiler (Kippenheinwiler) als Pfand an den Edelknecht Hans von Arras. Dies geschah mit Zustimmung von Johann von Usenberg und dessen Bruder Hesso von Usenberg, die ihm und seinem Vetter den Zehnten gelehnt haben. Er verspricht, die Schuld innerhalb von drei Jahren auszulösen, andernfalls sich nach Mahnung durch seine Lehensherren in die Stadt Endingen solange als Geisel zu begeben, bis das Pfand eingelöst wird. Gegeben am 25. November 1365 (zistag vor sact Anders dag). Sigel von Ruprecht von Diersburg (abgefallen)

Da die Überlieferung zu dem Dorf so „dünn“ ist, lassen sich die meisten Erkenntnisse erst aus späteren Quellen gewinnen. Mit einiger Vorsicht kann man dies dann aber zurückdatieren. Werfen wir also einen Blick in das Dorf und seine Gemarkung in der Zeit um 1780.

Die Dorfbewohner nutzten am Ende des 18. Jahrhunderts 1.111 Sester Ackerland (das waren etwa 80 Hektar), 18 Sester Gärten, 153 Sester Reben und 392 Sester Wiesen (sogenannte Matten). Allmende war im Dorf nur minimal vorhanden.[3] Dieser Umstand verweist noch auf die Entstehung der Gemeinde, die nur von Kippenheim aus zu denken ist. Dementsprechend wurde ursprünglich die Kippenheimer Allmende durch die Dorfbewohner mitgenutzt.

Die Wiesen Kippenheimweilers lagen hauptsächlich westlich und südlich des Dorfes, die Äcker auf dem ansteigenden Gelände Richtung Vorberge. Noch heute zeugen die Gewannnamen von der früheren Nutzung: Wald- und Wüstmatten etwa oder die Niedermatten westlich des Dorfes und der Langacker im Norden, das Unterfrankenseefeld oder das Oberfeld im Osten und Südosten. Diese sich hier ausdrückende Zweiteilung der Gemarkung in einen feuchten West- und einen trockeneren Ostteil war die grundlegende ökologische Determinante der Dorfentwicklung. Als Rodungsdorf, bestehend aus wenigen Hütten, war Kippenheimweiler im Hochmittelalter durchaus vorstellbar, doch erst mit der allmählichen Absenkung des Grundwasserspiegels im Spätmittelalter dürfte es möglich gewesen sein, dem Boden dauerhaft Ackerland und dem Wald Wiesengelände abzuringen.

 

Aus heutiger Sicht sicher etwas ungewöhnlich erscheint das Rebgelände, das die Kippenheimweiler kultivierten. Es lag natürlich nicht auf der Ortsgemarkung, sondern in den Kippenheimer Vorbergen, wo fast jeder Dorfbürger im Fuchs- oder Galgenberg Reben hatte. Der Weg dorthin war weit und der Wein von ziemlich schlechter Qualität. Wein aber war seit dem Mittelalter fester Bestandteil vieler Abgaben und gehörte auch – was der schlechten Qualität des Trinkwassers geschuldet war – auf den Speiseplan. Hinzu kam, dass viele Rebflächen mit Obstbäumen besetzt waren. Dies reicherte zwar die Speisekarte an und ermöglichte den Obstverkauf in Lahr und Straßburg, beschattete aber natürlich die darunter liegenden Reben.

Die weitere Binnengliederung der Gemarkung in Zelgen für die Dreifelderwirtschaft konnte bislang noch nicht aufgedeckt werden, aber die Topographie der Gemarkung legt nahe, dass sich das erste Großfeld („Oberfeld“) südlich der Landstraße nach Kippenheim befand, das zweite („Kirchfeld“) östlich des Dorfes und das dritte nördlich des Herrothwegs. Auf ihrer Gemarkung bauten die Kippenheimweiler als Hauptgetreide („Korn“) Roggen an, daneben Weizen und Halbweizen. Üblich waren des Weiteren sogenannte Wickerste (Wicken, Linsen und Gerste), Hafer, Grundbirnen (Kartoffeln), Welschkorn (Mais), Ackerbohnen, Erbsen, Hanf und Klee.[4] Dieser Auflistung von 1787 kann man entnehmen, dass die Kippenheimweiler zumindest schon teilweise die Brache aufgehoben hatten und mit Zwischenfrucht besömmerten.

Damit hatte man sich wenigstens zum Teil schon von der klassischen Dreifelderwirtschaft der Jahrhunderte zuvor abgelöst. Bei diesem System wird der Teil der Gemarkung, der für den Getreideanbau vorgesehen ist, in drei Großfelder, sogenannte Zelgen, eingeteilt. Im ersten Großfeld wird dann Wintergetreide angebaut, also Roggen oder Weizen, im zweiten Großfeld Sommergetreide, also etwa Hafer oder Gerste, und das dritte Feld bleibt unbebaut, liegt also brach. Wintergetreide kommt bereits im Herbst in die Erde, keimt also schon den Winter über und wird dann im Juni geerntet. Sommergetreide wird im März eingesät, im Sommer geerntet und ist nicht so ertragreich wie Wintergetreide. Wenn ein Großfeld den Zyklus von Sommer- und Wintergetreide durchlaufen hat, wird es gepflügt und für ein Jahr liegen gelassen. Dies dient der Erholung der Felder, auf denen nun allerlei Gräser und Kräuter wachsen, die dem Dorfvieh als Nahrung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig düngt das Vieh den Boden.

Das heißt, dieses System der Dreifelderwirtschaft diente nicht nur der Getreidewirtschaft, sondern auch der Viehwirtschaft. Die Brache war Bestandteil der Weidewirtschaft und deshalb musste auch jedes Jahr die jeweilige Brache eingezäunt werden, damit das Vieh nicht in die benachbarten Getreidefelder rannte. Freilich kam das immer mal wieder vor, besonders aber dann, wenn das Vieh von den Dorfhirten an den Wegrändern geweidet wurde.

Neben den drei Großfeldern gab es in Kippenheimweiler noch ein wenig der sogenannten Allmende, also Boden, der der Gemeinschaft gehörte. Allmende waren die Straßen und Wege, besonders aber bestimmte Wiesen. Diese Wiesen wurden ebenfalls von den Viehhirten für das Dorfvieh genutzt. Da die Allmende allen gehörte, gehörte sie ebenso niemandem. Und das bedeutete, dass sich auch keiner so recht darum kümmerte. Da in historischen Zeiten in der Regel sowieso der schlechteste Boden – d. h. der trockenste oder feuchteste – als Allmende ausgewiesen wurde, waren diese „Weiden“ normalerweise kahl, voller Löcher und knochenhart oder versumpft. Obwohl dieses System aus der Sicht der staatlichen Modernisierer des 18. Jahrhunderts ineffizient war, da viel Boden wenig effizient genutzt wurde – besonders die Brache und die Allmende –, diente es doch der ganzen Dorfgemeinschaft. Selbst der ärmste Kippenheimweiler konnte seine Ziege auf die Allmende treiben, die Brache nutzen und so etwas Vieh halten.

Wie ihre Vorfahren lebten also die Kippenheimweiler um 1800 in einem austarierten System von Vieh- und Ackerwirtschaft, das einerseits das Überleben sicherstellte, andererseits jedem Ding und jeder Handlung einen Platz zuwies. Und kaum noch Zuwächse ermöglichte. Die jedoch waren nötig, denn im 18. Jahrhundert war die Bevölkerung kräftig gewachsen. Inzwischen lebten rund 400 Menschen im Dorf, um 1720 waren es nur 186 gewesen.[5] Zu dieser Zeit war die Erholung nach den kriegerischen Katastrophen des 17. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen. 1628, bevor der Dreißigjährige Krieg in der hiesigen Region seine ganzen Auswirkungen zeigte, lebten 33 Bürger im Dorf, das entsprach rund 120 bis 150 Einwohnern. Also besaß Kippenheimweiler auch vor dem Dreißigjährigen Krieg eine durchaus nennenswerte Zahl an Einwohnern, war rechtlich jedoch immer noch stark von Kippenheim abhängig. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges schmolz die Einwohnerzahl dann aufgrund von Kriegstoten und Abwanderung auf weniger als ein Viertel.[6]

In dieser Zeit können wir auch erstmals etwas genauer auf die soziale Gliederung der Dorfbewohner schauen. 1628 gab es 6 Meier, 5 mittelmäßige Meier, 7 Witwen und 15 Tagelöhner, die in 31 Häusern lebten.[7] Was genau ein Meier ist, geht aus der Quelle nicht hervor, doch wir dürfen in ihm einen Bauern vermuten, der ein vollwertiges Gespann sein Eigen nennen konnte. Die 15 Tagelöhner zeigen uns, dass die Hälfte des Dorfes aus Menschen bestand, die wahrscheinlich ein wenig Acker- oder Gartenland besaßen, ansonsten aber sehr arm waren. Neben der landwirtschaftlichen Beschäftigung können wir im 17. Jahrhundert kaum andere Tätigkeiten im Dorf feststellen. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts tauchen im Ortssippenbuch häufiger Handwerker wie der Rechenmacher Andreas Fichter, der Weber Franz Joseph Müller, der Küfer Lorenz Hertenstein oder der Wirt Franz Carl Kupfer auf. Auch einen (evangelischen) Lehrer finden wir nun, den Taglöhner Lorenz Läßle. Er unterrichtete in seinem Privathaus – ein eigenes Schulhaus gab es erst unter seinem Nachfolger Michael Wagner ab 1773.[8] Auch eine Wirtschaft gab es erst ab 1749. Die war nicht nur wichtig als geselliger Mittelpunkt der (männlichen) Dorfgesellschaft, sondern auch als „Stube“ des Ortes, d. h. als Rathausersatz. Hier wurde der sogenannte Weinkauf abgehalten, d. h. die rituelle Besiegelung eines Geschäftes. Gerade darum gab es freilich jahrzehntelangen Streit mit Kippenheim, das sich dieses lukrative Geschäft ebenso wie die Hochzeiten nicht abnehmen lassen wollte.[9]

Obgleich die Wylerter im 18. Jahrhundert im Allgemeinen arm waren – im Durchschnitt besaß jeder Einwohner 15 Sester Ackerland, also einen Hektar –, verteilte sich der Grundbesitz sehr ungleich im Dorf. Nur sechs Bauern besaßen mehr als drei Hektar, was die Untergrenze dessen war, was man zum Überleben alleine aus der Landwirtschaft brauchte. Weitere zwanzig besaßen immerhin mehr als den Durchschnitt, während 39 weniger als den Durchschnitt und teilweise gar kein Land besaßen.[10] „Reichster“ Bauer mit über sechs Hektar (hinzu kam noch Rebland und Garten) war Andreas Leppert, genannt „der Kornett“.[11] Der Spitzname verweist auf seine Tätigkeit als Dorfmusiker, unter Umständen aber auch auf seinen Militärdienst, wo das Cornett ein verbreitetes Signalhorn war. Ihm folgte Andreas Fleig der Alte, der rund fünf Hektar Ackerland besaß.

Der geringe Grundbesitz hatte natürlich Folgen: Kaum ein Wylerter wird von der Landwirtschaft alleine gelebt haben können. Zusatz- und Nebentätigkeiten im Transportbereich, als Tagelöhner und in einfachen Handwerken gehörten selbstverständlich dazu. Wie in fast allen Dörfern in Südwestdeutschland.

Es verwundert also nicht, dass dieses kleine Dorf kein wirkliches und eigenes Verfassungsleben entwickelte, sondern wohl von Beginn an von Kippenheim verwaltet wurde. In einer Urkunde vom 12. Juni 1690 heißt es jedenfalls, dass es „uhnlaugbar (unleugbar) und noch widersprechlich (sei), dass je und alle Zeit die Inwohner zue Kippenheimb und weiller ein gemein undt ein Burgerschaft gewesen, welche mit Einander, nach dem wahlen gegangen, ein gericht Besessen, ein staab geführt undt gleiches recht zue Dorff undt Veldt, im waßen (im Wasser) und zum Landt, in Waldung, auf der Höhe undt Nidere, so wiet sich dieser orthen Etter Erströckh, mit Menschen und Vihe genossen“.[12] Das bedeutet, dass Kippenheimweiler zwar im 17. Jahrhundert über einen eigenen Stabhalter (und auch Bürgermeister) verfügte – also über Vorgesetzte der örtlichen Verwaltung und Rechtsprechung –, ansonsten aber alle wichtigen Entscheidungen in Kippenheim gefällt wurden. Je größer jedoch das Dorf wurde, umso stärker drängte es auf vollständige Eigenständigkeit. Problematisch war dabei, dass das Dorf über keine eigene Gemarkung verfügte, sondern sich den Bann mit Kippenheim teilte.[13] Dies war nicht außergewöhnlich, auch Lahr, Mietersheim und Dinglingen etwa besaßen bis 1800 eine gemeinsame Gemarkung. Es bedeutete aber für Kippenheimweiler, dass es schwierig war, sich ökonomisch und politisch wirklich von Kippenheim abzusetzen. Die Auseinandersetzungen mit Kippenheim um die Verteilung der Lasten, Pflichten und Einkommen zogen sich deshalb viele Jahrzehnte lang hin. Doch machte man im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend Fortschritte. Für 1723 sind erstmals eigene Heimburgerrechnungen überliefert. Der Heimburger war im Dorf für die Abrechnung der Dorffinanzen und Abgaben zuständig. 1737 wird ein Bürgermeister erwähnt (Andreas Fleig), ab 1761 schickten die Kippenheimweiler eigene sogenannte Ausschussmänner in das Kippenheimer Gericht. Nach langen Auseinandersetzungen schließlich hatte man es 1788 geschafft: Am 6. Februar fand die erste Rug- und Frevelgerichtssitzung in Kippenheimweiler statt.