Das Science Fiction Jahr 2020

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Hartmut Kasper

Hartmut Kasper

PERRY RHODAN und seine Wegbegleiterinnen

Ein Zukunftsfrauenbilderbogen

Bei seinem ersten Mondflug begegnet der US-amerikanische Major Perry Rhodan, seinerzeit unverheiratet und das Herz auch sonst nicht nennenswert gebunden, auf dem Erdtrabanten einer ebenfalls unverheirateten Alien-Frau vom Planeten Arkon. Sie heißt Thora und ist dort mit dem von ihr kommandierten Raumschiff havariert.

Männer gibt es reichlich auf ihrem Raumschiff, denn die Arkoniden sind dekadent, jedenfalls die männlichen, also bemannen sie ihre Raumschiffe mit Frauen.

Nein, natürlich nicht: Denn dann würden sie ihre Sternenkreuzer ja beweiben!

Thora ist nicht nur unbemannt, sondern auch hinreißend: »Auf der Erde hätte sie als einmalige Schönheit gegolten.« Als ungekrönte und konkurrenzlose Miss Luna aber führt sie leider und trotz der vielen Männer an Bord ein eher freudloses Dasein. Die Männer sind nämlich schlaff, schlapp, des Lebens müde; sie liegen »auf ihren breiten, sehr flachen Liegen« und hängen vor ihren Videospielen ab. Während also die Schlappkoniden lethargisch herumlümmeln, steht Rhodan seinen Mann und geht auf Thora zu. »Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen, werden Sie sterben!«, ermuntert die schöne Kommandantin den irdischen Kommandanten.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Von Thoras Schönheit verrät das Titelbild nichts. Immerhin darf sie sich auf einer Innenillustration auf einem Thron rekeln, die nackten Beine übereinandergeschlagen, die Arme erwartungsfroh ausgebreitet.


Bruck malt diese Zeichnung später für das Titelbild von TERRA SONDERBAND Nr. 65 von 1963 weiter aus, unter anderem mit einer Bewaffnung der Frau: Strahlenpistole und Römerschwert.

Die erste Frau im visuellen Perryversum erscheint dann im Oktober 1961 auf Titelbild Nummer 4 – im Weltraumhosenanzug und hochgeschlossen bis zum Hals.


1961. Seit dem 13. August baute die DDR an der Berliner Mauer. Mit Elisabeth Schwarzhaupt ist zum ersten Mal eine Frau im Bundeskabinett. Zuständigkeitsbereich: Gesundheitswesen.

Gemalt hat dieses Bild wie viele Hundert andere Bilder auch Johannes »Johnny« Bruck (1921–1995), ein gelernter Photolithograph. Bruck arbeitete für die UTOPIA-Serien, TERRA, 1797 Mal für die PERRY RHODAN-Heftromanserie, für die Comicserien PERRY RHODAN IM BILD und PERRY – UNSER MANN IM ALL, für die Schwesterserie ATLAN und die PERRY RHODAN-Taschenbücher.

Der Serienuntertitel verlautbart, Perry Rhodan sei Erbe. Als geistige Väter firmieren Karl-Herbert Scheer und Clark Darlton. Geistige Mütter? Fehlanzeige. Karl und Clark und Perry – die Namen atmen schiere Männlichkeit.


1961: Männer, Mond, Gewehre, Panzer und Raketen. Möglicherweise hat sich Bruck ein wenig von dieser Darstellung aus der SATURDAY EVENING POST vom 7. Mai 1960 anregen lassen. Das Bild stammt wahrscheinlich von Robert Theodore McCall (1919–2010), der später als Illustrator für die NASA gearbeitet und Missionspatches, also: Embleme für einzelne Missionen, entworfen hat.

Wo Männer an einsamen, umkämpften Stränden oder auf abgelegenen Erdmonden unterwegs sind, spielen Frauen erst einmal keine große Rolle.

Aber sie kommen: bei PERRY RHODAN bereits im Dezember 1961 auf das Titelbild von Roman Nr. 14:


1961. Rätsel-, Quiz- und Showmaster der 1960er-Jahre: Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kulenkampff, Robert Lembke, Heinz Schenk und Hans Rosenthal. Showmasterinnen: keine. Das Titelbild präsentiert 3 Männer und eine Frau – eine zukunftsträchtige Quote.

Dennoch scheint die Rangliste personenbezogener Motive in den ersten zehn Jahren folgende gewesen zu sein: Männer (zumal in Uniformen oder Schutzanzügen), Roboter, Aliens, Ilts, und erst an letzter Stelle: Frauen. Der futuristische Dresscode, die weltraumorientierte Kleiderordnung verlangte für beide Geschlechter in aller Regel Hochgeschlossenes: Lediglich die Hände blieben unverhüllt und mit ein bisschen Glück durften die Gesichter etwas nackte Haut und damit auch Gesichtsregungen zeigen. Raumanzüge, Helm, Stiefel, Waffen, dazu Panzer und Raketen als erweiterte Körperumhüllungen – der Auftritt bleibt überwiegend martialisch.

Auch wenn 1962 in einer bemerkenswerten Sequenz gleich drei Titelbilder hintereinander Frauen präsentierten.


Eine erste Ausnahme von wohlverhüllter Weiblichkeit bietet die Gestaltung der Ausgabe Nr. 104: Zwar legt auch hier ein wehrhafter Mann seine Waffe gegen geflügelte, mithin boshafte Außerirdische an, aber: Der Vordergrund gehört der weitgehend frei schwingenden Frau, die, mit offen fallendem Haar, tief dekolletiert und mit wehendem, scharlachrotem Rock, kurz bevor dieser unziemlich noch weiter nach oben rutscht, das Auge des Betrachters fesselt.


1963, im Bild: John und Cora Pincer auf ihren Flitterwochen im Wegasystem. Seit 1962 ist die Antibabypille auf dem Markt. Im April 1963 geht das ZDF auf Sendung. Intendanten bis heute: fünf. Intendantinnen: keine.

Nach so viel Fraulichkeit folgen wieder Legionen von wehrhaften Heroen, Explosionen, Posbis, zerknallenden Robotern, Schreckwürmern und Blues. Erst über ein Jahr später schmückt wieder eine Frau das Titelbild, rothaarig und wohl nicht nur deswegen in eher prekärer Lage.

Im sogenannten Meister der Insel-Zyklus sagt die Titelbildstatistik: 4 × Gucky, der Mausbiber, 1 × Frau.

Der Zyklus präsentiert immerhin einen weiblichen Bösewicht, als Faktor I, Herrin der anderen Meister der Insel Andromeda, die sich als Mirona Thetin entpuppt – eine Frau, die ihr Volk mit nie gekannter Gewalt geführt hat.

Heftroman Nr. 296 kündigt denn auch »Die Herrin der Sterne« an und im Untertitel »eine schöne Frau« – im Kontrast dazu zeigt das Titelbild Folgendes:


Links: 1965. Rechts: 1967. Von 1956 bis 1987 wird vom Hessischen Rundfunk die Sendung Ein Platz für wilde Tiere – späterer Titel: Ein Platz für Tiere – ausgestrahlt. Moderiert wird die Sendung vom Biologen und Direktor des Frankfurter Zoos Bernhard Grzimek. Das erste Frauenhaus für geschlagene Frauen wird im Jahr 1976 in Berlin eröffnet.

Bislang hat es der Mausbiber Gucky häufiger auf das Cover geschafft als alle Frauen zusammen. Das sollte sich prinzipiell zunächst auch nicht ändern – immerhin bekommt aber eine Frau einen gemeinsamen Auftritt mit den lausbübischen parabegabten Ilts spendiert: »Gestatten, Gucky und Sohn!«, stellt der Titel vor. Von der ebenfalls ins Bild gesetzten Frau ist im Titel keine Rede. Sollte sie die Mutter des Mausbiber-Sohnes sein? Seine Amme? Seine Klavierlehrerin? Oder Rhodans Gattin Mory Abro? Wir wissen es nicht.

Wir ahnen allerdings, dass sich Titelbildmaler Bruck für diese familiäre Idylle ein wenig hat inspirieren lassen:


Gucky, Guckys Sohn, Frau – v. l. n. r.

Der Mistelzweig, unter den sich die junge und an der linken Hüfte mit roter Geschenkschleife versehene Dame auf dem Cover des Redbook positioniert hat, ist retuschiert. Das erwartungsfroh herausfordernde Lächeln der Dame, das man weiß nicht welchem der beiden adretten Schwiegermutterträume galt (Dem linken? Oder diesem nur auf den ersten Blick?), ist nun entzweideutigt und enterotisiert, dem beschlipsten Ilt gegenüber mütterlich milde zugedacht.

Anstelle des Mistelzweigs: das Gemälde eines Piratenstruwwelpeternikolauses. Ein Porträt, das nachhallt – und nachhallen muss: Die nächste Frau schafft es erst über zwei Jahre später auf ein Cover und ist eine Doppelgängerin der Titelbildfigur von Roman Nr. 4, hingestreckt in einer für RHODAN-Verhältnisse fast obszönen Pose, zumal wenn man das zwischen den Beinen des Mannes auf sie gerichtete stahlharte Gewehr in Betracht zieht: gewagt!


1969. Im Jahr davor ging es im Kino Zur Sache, Schätzchen; 1969 brachte Oswalt Kolle Deine Frau, das unbekannte Wesen auf die Leinwand.

Frauen bleiben noch einige Jahre Randfiguren im visuellen Perryversum. Immer wieder werden sie in eher strapaziösen Lagen dargestellt, animalischen Gefahren ausgesetzt und harrten ihrer Rettung durch bewaffnetes männliches Personal.


1971. Hotpants kommen im Sommer 1971 auf. Im Stern startet die sogenannte Selbstbezichtigungskampagne von 374 Frauen: »Wir haben abgetrieben.«

 

Verständlicherweise. Wer würde schon gern in Hotpants einem derart züngelnden Schuppenmonster begegnen?

Herrischer treten Frauen zum ersten Mal auf dem Cover von Roman Nr. 529 auf: zwei Frauen, zwei Männer, zwei Raketen – und der Mann am Boden, nicht nur vom Anblick der beiden Amazonen gefesselt, darf zu den Damen aufschauen.

Der Auftritt der Frauen mit den knappen Oberteilen und schussbereiten Waffen in der Hand bedeutet natürlich nicht, dass die kämpferische Weiblichkeit dem Ilt nun den Rang abgelaufen hätte.

Jedoch: Wir schreiben das Jahr 1972, und die Frauen werden allmählich als eigenständiger dargestellt und wagen erste Schritte in unbekannte Räume – oft zum Erstaunen der astronautischen Männerwelt, wie auf diesem Bild eindrucksvoll dargestellt wird:


1972. Mit Annemarie Renger (SPD) wird zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin des deutschen Bundestages berufen.

Spätestens nach 1000 Bänden PERRY RHODAN werden die Frauenfiguren aus den allzu traditionellen Rollen befreit, sozusagen ent-definiert. Sie erscheinen nicht mehr als Beute, die vom männlichen Helden aus außerirdischen Krallen gerettet werden muss, oder im Gegenteil als männermordende Amazone und Femme fatale, sondern als Rätselwesen, als Sphinx:


Links: 1981. Rechts: 1983.


Links: 1983. Rechts: 1990. Die Grenze zwischen BRD und DDR steht offen; die Wiedervereinigung naht. Aber warum fletscht dann der wilde Kater seine Zähne? Und was wollen uns die beiden blutenden Tomaten sagen?

Freilich behält die Frau in solchen Fällen ihre hexenroten Haare – potenzielle Verderberin einer oder gar vieler Welten.

Im Jahr 1991 verblüfft das Cover plötzlich mit einer beinahe gänzlich entkleideten weiblichen Gestalt – mit roten Haaren versehen und in ein mehr archaisch-fantasyhaftes denn sciencefictioneskes Ambiente versetzt.


Links 1991. Rechts: 1993. Heide Simonis (SPD) wird in Schleswig-Holstein die erste Ministerpräsidentin eines Bundeslandes.

Eine der beiden Hintergrundfiguren, männlich, mit einem Schwert bewaffnet, ist offenbar mehr Wächter denn Retter; ob die Figur, die sich zwischen den Säulen bewegt, zur Hilfe eilen wird, verrät das Bild nicht: Festgehalten ist der Moment des Ausgeliefertseins der weiblichen Figur in dieser von Männern, Waffen und Vertikalen dominierten Welt; ihre Entblößtheit kommt allem Anschein nach nicht aus freien Stücken, sondern ist erzwungen. Die Frau ist Opfer, passiv und fixiert. Ihre Aufmerksamkeit ist nach hinten, auf die männlichen Figuren gerichtet. Ausgeleuchtet sind nur ihre nackten Schenkel, die leicht angeschrägte Horizontale des Bildes.

Mit dem Titelbild zu Nummer 1650 wird das traditionelle Rollenklischee zugleich parodiert und verewigt, scheint doch das männliche Werben um einen weiblichen Geschlechtspartner in die Maschinenwelt Einzug gehalten zu haben, der Sphäre des Biologisch-Vergänglichen enthoben zu sein. Als würde die Botschaft lauten: Genau jenes menschliche Verhalten, das wir heute kennen und dekodieren können, wird auch in fernster Zukunft noch von der uns vertrauten Bedeutung sein, immer gültig, ewig.

Wie ja SF überhaupt oft nicht die Zukunft auszudenken versucht, sondern die verschwiegene Garantie gibt, unser Heute sei gewissermaßen das Ende der Entwicklung, die unveränderliche Apotheose des Menschseins.

Johannes »Johnny« Bruck, der Schöpfer des visuellen PERRY RHODAN-Kosmos, stirbt am 6. Oktober 1995 mit 64 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Zu seinen letzten Beiträgen gehört ein phantastisch-märchenhaftes Panorama: Zwei Frauen, zu bloßen Büsten entleibt, angetan mit einer Art futuristischem Ritterhelm links, einer ornamentalen, kronenähnlichen Kopfbedeckung rechts, beide in sich gekehrt, den Blick gesenkt, die Augen geschlossen, während im Zentrum der Komposition der archaische Kampf der Geschlechter noch tobt, der Mann mit seinem Speer die Frau wie eine Beute erlegt – nicht jetzt, aber gleich, im nächsten Augenblick. Die rötliche Figur (mit ihren vier Armen als Haluter kenntlich) steht tatenlos dabei. Dies alles in Szene gesetzt vor der Kulisse einer Zukunftsstadt, darüber hinwegziehenden exotischen Monden, startenden Sternenschiffen.

Der dynamische Teil des Gemäldes – Kampf und Sternenschiffe – wirkt durch die perspektivische Verkleinerung seiner Figuren entrückt; die dominanten Frauengesichter nehmen, da körperlos, am Geschehen nicht teil, schweben oder stehen darüber. Wie auch immer: Klammert man den Haluter aus, einen Zwitter, sind ein Stück Mann im Bild und drei Frauen – ein seltenes, spätes Beispiel weiblicher Majorität in einer Welt, in der, wie futuristisch ihre Fassade auch erscheinen mag, die archaische Gewalt immer noch vom Mann ausgeht.

Seit Brucks Tod arbeiten mehrere Künstler und liefern in der Regel Titelbild-Staffeln für die PERRY RHODAN-Romane, meist vier, seltener drei Bilder in Folge. Alfred Kelsner, geboren 1949 in Bünde, hat sich seit längerer Zeit auf die Darstellung technischer Gegenstände spezialisiert: Raumschiffe, Raumstationen, Roboter.

Oliver Scholl, 1964 in Stuttgart geboren, Production Designer unter anderem für Filme wie Independence Day, Edge of Tomorrow, Spider-Man: Homecoming oder Venom, präsentiert hochgradig dynamische Bilder, ohne dazu Kampfszenen zu benötigen. Seine Figuren sind, uns ähnlich, an den Rand einer hochkomplexen und nicht nur architektonisch überragenden Welt gerückt. Aber genau an diesem Rand behaupten sie sich: nicht mit Waffengewalt, sondern durch persönliche Präsenz und die Zielstrebigkeit ihrer Bewegungen.

Die Figur rechts unten im Bild stellt Anicee Ybarri dar, eine politische Aktivistin, die Personen wie Perry Rhodan kritisiert.


Links: 1995. Erst zwei Jahre später, 1997, tritt der neu gefasste § 177 Strafgesetzbuch in Kraft. Damit wird Vergewaltigung in der Ehe strafbar. 470 Abgeordnete stimmten zu, 138 dagegen, 35 enthielten sich. Gegen das neue Gesetz stimmen unter anderem: Volker Kauder und Friedrich Merz . Rechts: Oliver Scholl 2011.

Dominic Beyeler wurde im Jahr 1984 in Riggisberg im Kanton Bern geboren. Ähnlich wie bei Oliver Scholl ist seine Frauenfigur weniger futuristisch als gegenwärtig, gediegen, von fast minimalistischer Eleganz. Anders aber als bei Scholl ist sie nicht selbstverständlicher Teil ihrer Welt, auf die wir von außen schauen, sondern sie tritt uns, den Betrachtern, ihren fernen Vorfahren, gegenüber. Sie dominiert das Bild, verdeckt sogar einen Teil des Titelkopfes (nicht aber des Barcodes). Insignien, Uniformen, Waffen und Gerät braucht sie nicht. Nur ihr dezentes, weißes Make-up mit den weißen Schmucklinien markiert das Unzeitgemäße ihrer Erscheinung, das sie von uns distanziert. Und anders als Anicee Ybarri am Rand des Scholl-Bildes bewegt sie sich nicht, hat kein vorgezeichnetes Ziel: Sie stellt sich dem Betrachter, aber geht weder auf ihn zu noch weicht sie zurück.

Ihr Dekolleté ist speerspitzen- als herzförmig; der Stoff konturiert ihren weiblichen Körper deutlich, bleibt undekoriert. Kaum denkbar, sich noch weiter von den Bruck’schen Frauenbildern zu entfernen.


Links: Dominic Beyeler, 2020. Rechts: Swen Papenbrock 2015.

Swen Papenbrock wurde 1960 geboren. Er gehört mit Kelsner, Drechsler und Schulz zu den vier hauptamtlichen Titelbildgestaltern, die derzeit am Werk sind (und die, ich bemerke es mal nebenbei, allesamt männlich sind).

Papenbrocks Arbeiten weisen in ihrer Art und Weise gelegentlich auf die SF-Illustratoren der 1950er- und 1960er-Jahre zurück, auf die Werke von Rudolf Sieber-Lonati (1924–1990) beispielsweise: ausdrucksstark, in den Haltungen und Posen gelegentlich manieriert, psychedelisch-bunt, enigmatisch.

Die Frauenfiguren in diesen Gemälden wirken statisch, melancholisch, manchmal selbstversunken. Sie tragen weder Uniform noch Kampfausrüstung, keine Waffen, sind aber mit etwas befasst, das ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht.

Ihre Blicke gehen am Betrachter vorbei, in unbestimmte Fernen.

Gern werden keine ganzen Körper gezeigt, sondern Ausschnitte, Partien, ganz so, als wäre das Auge des Betrachters diesen Frauen sehr nahe gekommen. Tatsächlich aber ist und bleibt dieser Betrachter aus dem, was die Frauen umtreibt, ausgeschlossen. Deren Gesichter wirken abweisend, maskenhaft, beinahe artefakt wie das Antlitz einer Puppe oder eines Androiden. All dies verleiht den Figuren ihre eigenartige Souveränität und eine eigentümliche, ungestörte Intimität.


Links: Swen Papenbrock, 2018. Rechts: Dirk Schulz, 2016.

Indes, sie lächeln nicht. Die Lage scheint ernst, ist gespannt, unterschwellig sogar bedrohlich. Was, wenn man die Romane einer Weltraum-Spannungsserie illustriert, ja nicht falsch ist.

Bei Dirk Schulz, der 1965 in Minden geboren wurde, suchen die Frauen, anders als bei Papenbrock, den Blickkontakt und wirken durch ihre Mimik und Gestik kommunikativer.

Auch diese Frauen verzichten auf martialisches Beiwerk. Sie befinden sich in Situationen, in denen sie alles andere als privat sind. Sie sind bei der Sache, am Werk. Ihr Blick auf den Betrachter wirkt allerdings, als könnte diese Sache eine gemeinsame Sache sein – selbst dann, wenn das Bild ein Porträt eines Kunstwesens ist, das nur gelegentlich menschliche Gestalt annimmt, wie zum Beispiel »Das positronische Phantom«.


Links: Dirk Schulz, 2013. Rechts: Arndt Drechsler, 2020.

Arndt Drechsler wurde im Jahr 1969 in Hof geboren und liebte es schon in seiner Schulzeit, Raumschiffe zu zeichnen, und hat mir einmal gesagt, er könne diese Schiffe erst dann darstellen, wenn er wisse, wie sie funktionieren. Seine Raumschiffe sind deswegen nicht bloß Bilder, sie sind Konstruktionen.

Wenn er dagegen Menschen in Szene setzt, ähneln seine Werke klassischen Kinoplakaten: Die Hauptfigur des Bildes ist dessen Held oder Heldin, nicht selten schauen sie auf uns Betrachter herab. Dies nicht, weil sie technisch überhöht wären, dank Antigrav und Raumanzug fliegen oder uns mit Waffengewalt in die Knie gezwungen und am Boden fixiert hätten wie die Raumamazonen alter Zeit. Sondern weil sie uns sozial überlegen sind wie die kühle Arkonidin auf dem TERRA-Titelbild.

Möglich auch, dass diese Frauen auf uns herabblicken können, weil sie die Eingeborenen einer fernen Zukunft sind, einer ebenso reichen wie reichhaltigen Epoche, deren unerschöpflicher Wohlstand Stabilität verleiht, Selbstachtung, Sicherheit über die uns gezogenen Grenzen hinaus. Und so wären wir für sie Bürger einer verschollenen Epoche, des langen, prä-astronautischen Mittelalters der Erde.


Links: Arndt Drechsler, 2016. Rechts: Arndt Drechsler, 2019

Drechslers Frauen brauchen, versteht sich, keinen Bruck’schen Beschützer; sie sind ganz und gar Herrin der Lage.

Und sie haben endlich, was in den frühen Jahren undenkbar oder den Männern vorbehalten schien, sichtbar Lust auf Weltraumfahrten.

Ich möchte noch auf ein paar Kleinigkeiten hinweisen: Bekanntlich sind die Titelbilder bei PERRY RHODAN nicht notwendig eine Illustration der im Roman erzählten Geschichte. Dieser Beitrag lässt also keine Rückschlüsse zu auf das Frauenbild in den Romanen, und zu diesem literarisch generierten Frauenbild möchte ich mich auch nicht äußern.

Andererseits stellen Bilder Bilder viel unmittelbarer in den öffentlichen Raum, als es eine Erzählung könnte. Sie sind, wenn man den Begriff des Politischen so weit fasst, unmittelbarer politisch oder unmittelbar politischer als die Erzählungen.

 

Wollte man intensiver arbeiten, müsste man Vergleichbares hinzuziehen: die Titelbilder der TERRA- und UTOPIA-Romane, die Cover für REN DHARK (1966–1969), REX CORDA (RETTER DER ERDE, 1966/1967), die TERRANAUTEN (1979–1981) und so weiter. Soweit ich mich entsinne, sind Frauen dort aber nicht eben überrepräsentiert, bergen sich gern im schützenden Arm des Raumfahrers oder zeigen sich ihm folgsam.


Dies ist übrigens im SF-Film nicht anders: Auch die Zukunftswelt der RAUMPATROUILLE ORION (1966) kennt zwar die schöne interstellare Telefonistin Helga Legrelle (Ursula Lillig, damals 28 Jahre alt), die schöne Generälin Lydia van Dyke (Charlotte Kerr, 39 Jahre) und die schöne Agentin Tamara Jagellovsk (Eva Pflug, damals 37 Jahre alt), ansonsten aber wimmelt es von strammen Raumfahrern und wuchtigen Offizieren. Was das Ensemble angeht, wirkt der zeitgleich gestartete STAR TREK wie ein Spiegelbild. Auch hier haben Männer das Sagen; Frauen (Nyota Uhura alias Grace Dell Nichols, 34 Jahre) telefonieren oder gehen dem Herrn Doktor McCoy zur Hand.

Frauen, die jünger als 25 und älter als 39 Jahre sind, fahren offenbar seltener ins All; verständlich: Die jüngeren sind noch auf der Raumakademie; die älteren genießen den wohlverdienten Ruhestand eines generösen Weltraumrentensystems der fernen Zukunft.

Beweisen kann ich es nicht, aber mir scheint, dass der weitaus größte Teil der Titelbildfrauen dieser SF-Heftroman- und TV-Serien sich in dem 15-Jahre-Alterskorridor zwischen 25 und 40 bewegt. Einen Aufbruch in höhere Lebensalter wagten die Zukunftsfilmproduzenten mit STAR TREK – VOYAGER (1995–2001); deren Kapitänin Janeway wird von Katherine Mulgrew gespielt, die zum Zeitpunkt des Serienstarts 40 Jahre alt ist.

Auch als die STAR WARS zum ersten Mal ausgefochten wurden, waren Jedi-Ritterinnen eher Mangelware. Und selbst Prinzessin Leia durfte sich noch 1983 anlässlich einer Befreiungsaktion für Han Solo in Ketten vor dem schurkischen Weltraumwurm Jabba the Hutt rekeln – vielleicht ein Vorbild für die unbekannte Schöne auf dem PERRY RHODAN-Cover von Nummer 1554.

Selbst im Hohen Rat der Jedi saßen, wenn ich es recht sehe, zwölf Personen, darunter die Meister Yoda, Mace Windu, Plo Koon, Eeth Koth, Oppo Rancisis, Saesee Tiin, Yarael Poof, Even Piell und Ki-Adi-Mundi.Neben ihnen saßen drei Meisterinnen zu Rat: Adi Gallia, Yaddle und Depa Billada. Eine Männer-Frauen-Quote von 3 : 1 – wie wir sie bereits auf dem Titelbild zu PERRY RHODAN Nummer 14 hatten.

Wer weiß – vielleicht sind wir hier einer rätselhaften kosmischen Konstante auf der Spur?

Noch ein letztes Wort zu den kleinen, politischen Anmerkungen dieses Essays: Ich weiß schon, dass seit Jahren weibliche Heldinnen in der Populärkultur Furore machen, gern auch im schießwütigen und (laser)schwertschwingenden Milieu: Tomb Raiderinnen und Jedi-Töchter zuhauf, taffe Agentinnen und Kingswomen, für alle drei ??? sind nun drei !!! gesetzt. Das finde ich gut, würdig und recht.

Weniger gut finde ich, dass unsere Epoche, die doch für die Leserinnen und Leser der 1950er-, 1960er-, 1970er-Jahre die ferne, lichte Zukunft darstellen sollte, eine Zeit nach dem Jahr 2000, von der man sich allerlei Raumstationen versprach, die Besiedlung des Mondes, den Vorstoß zum Mars und noch weiter von den Haupthandelsrouten der Menschlichkeit abgelegenen Planeten, dass wir hier und heute immer noch und schon wieder einer Misogynie im öffentlichen Raum begegnen, die ihresgleichen sucht und wahrscheinlich in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts findet: Die hasserfüllten Angriffe auf Frauen in Wort und Tat, das »Merkel muss weg!«-Gejohle, die verbalen Attacken auf Carola Rackete und das Attentat auf Henriette Reker, die einhergehen mit antisemitischen und fremdenfeindlichen Ausfällen, zeigen, dass wir nicht in der Zukunft leben, von der wir damals geträumt haben.

Wie wohl keine Generation.

Versuchen wir also, ein wenig zurückzublättern und dann, durch alte Titelbilder belehrt, ein bisschen mehr Zukunft in unsere Gegenwart zu bringen, ein wenig regenbogenfarbene Utopie.


Und wenn es dazu eine andere, humanistischere Strategie braucht – dann los!

Das Universum wartet nicht auf uns.

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