Buch lesen: «Catholic Women»
Ute Leimgruber (Hg.)
Catholic Women
Menschen aus aller Welt für eine gerechtere Kirche
Catholic Women
Menschen aus aller Welt für eine gerechtere Kirche
Herausgegeben von
Ute Leimgruber
Unter Mitarbeit von
Anna-Nicole Heinrich und Magdalena Hürten
Übersetzt von
Magdalena Hürten und Ute Leimgruber
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
© 2021 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Umschlag: wunderlichundweigand.de
Covermotiv: © Angelina Bambina/shutterstock.com
Satz: Satzsystem metiTec, me-ti GmbH, Berlin
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN 978-3-429-05653-7 (Print)
ISBN 978-3-429-05169-3 (PDF)
ISBN 978-3-429-06548-5 (ePub)
Inhalt
In weltweiter Solidarität verbunden erheben Frauen ihre Stimme
Einführung
Teil 1: Von männlich bis weiblich mit gleicher Würde geschaffen – Frausein und Menschsein in Kirche und Welt
Schweigende und verschwiegene Frauen
Frauen in der Kirche in Kroatien
Jadranka Rebeka Anić (Split, Kroatien)
Die andere Hälfte der Kirche
Die Frauenfrage in der katholischen Kirche in Deutschland
Christine Boehl (Berlin, Deutschland)
Katholisch, weiblich, autonom?
Erfahrungen einer Benediktinerin
Makrina Finlay OSB (Dinklage, Deutschland / Kalifornien, USA)
Szenen aus dem Leben einer kenianischen Ordensfrau
Judith Sakwa Omusa OSB (Busia, Kenia)
Der Beitrag der Frauen zur Heilung der Kirche
Nuala Kenny, SC, CO, MD, FRCP (Halifax, Kanada)
Nicht im eigenen Namen?
Die Ambivalenz subversiven Sprechens von Frauen in der Geschichte des Christentums
Regina Heyder (Mainz, Deutschland)
Gedanken zu einer gerechteren Kirche
Eine trans nichtbinäre Perspektive
Mara Klein (Halle an der Saale, Deutschland)
Teil 2: Initiativen, Organisationen und die Synodalität der Kirche – Engagierte Netzwerker*innen
Synodalität und Internationalität
Interkulturelle und weltkirchlich-feministische Perspektiven
Margit Eckholt (Osnabrück, Deutschland)
„Schritt für Schritt“
Irene Gassmann OSB (Kloster Fahr, Schweiz)
Die #Junialnitiative
Wie es dazu kam und was sie will
Dorothee Becker (Basel, Schweiz)
Für eine schönere Kirche – weil Diskriminierung hässlich macht
Wozu die #Junialnitiative inspiriert
Karin Klemm (Baden, Schweiz)
Wie wir uns selbst befreien
The Circle of Concerned African Women Theologians und Catholic Women Speak Network
Nontando Hadebe (Johannesburg, Südafrika)
#mariafeminista und das Frauen*Volksbegehren 2.0 in Österreich
Lernfelder für Geschlechtergerechtigkeit
Lena Jäger und Judith Klaiber (Wien, Österreich)
Die Amazoniensynode
Ein anschwillender Klageschrei, der in Bewegung setzt
Daniela Cannavina, hcmr (Bogotá, Kolumbien)
Die Stunde der Frauen?
Dynamiken der Ermächtigung und Entmächtigung von Frauen im Kontext der Amazoniensynode und der nachsynodalen Phase
Birgit Weiler MMS (Lima, Peru)
Teil 3: Zwischen Ordo und Lai*innenapostolat – Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche
Voices of Faith
Die Erfahrungen der Frauen endlich wahrnehmen
Zuzanna Flisowska-Caridi (Rom, Italien)
Frauen in der Kirche
„Warum gehen sie nicht einfach?“
Jean Goulet c. s.c (Ottawa, Canada)
Frauen in der katholischen Kirche auf den Philippinen
Mary John Mananzan OSB (Manila, Philippinen)
„What keeps me going…“
Frauen in der Kirche
Claire Heron (Ottawa, Kanada)
Voller Hoffnung
Der Kampf der Frauen für Befreiung in Indonesien
Janice Kristanti (Collegeville, Minnesota/USA)
Diskriminierung von Ordensfrauen im kirchlichen Leben
Ein Erfahrungsbericht aus Nigeria
Caroline Mbonu, HHCJ (Port Harcourt, Nigeria)
Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche
Andrea Qualbrink (Essen, Deutschland)
Von den Autor*innen zitierte lehramtliche Schreiben in chronologischer Reihenfolge
Autor*innen
Stichwortverzeichnis
In weltweiter Solidarität verbunden erheben Frauen ihre Stimme
Einführung
„Und wenn ich nun mal eine Frau bin? Ist nicht der Gott der vergangenen Tage auch der Gott unserer modernen Zeit? Berief er nicht Debora, eine Mutter und Richterin in Israel zu sein? Rettete nicht Königin Ester den Juden das Leben? Und war nicht Maria Magdalena die Erste, die erklärte, dass Christus von den Toten auferstanden war? (…) Wüsste Paulus um unsere Entbehrungen und das Unrecht, das uns widerfährt, er würde keinen Einspruch dagegen erheben, dass wir öffentlich um unsere Rechte bitten.“
(Maria Stewart, 1803–1879, afroamerikanische Aktivistin, Lehrerin, Kämpferin gegen Sklaverei und für Frauenrechte; Zitat aus ihrer „Abschiedsrede“ von 1833)1
Im Frühjahr 2020 erschien in Deutschland eine Ausgabe der Zeitschrift Lebendige Seelsorge, die zum ersten Mal in der Geschichte der Zeitschrift nur Beiträge von weiblichen Autorinnen beinhaltet: Catholic Women. Ein internationales Frauenheft (LS 3/2020). Die Beiträge stammen von deutschsprachigen und nicht-deutschsprachigen Autorinnen, und die Vielfalt und das Verbindende der Anliegen von Frauen weltweit werden deutlich sichtbar. Aus meiner Arbeit als Schriftleiterin an diesem „Frauenheft“ der Lebendigen Seelsorge ist die Idee für dieses Buch entstanden.
Viele katholisch gläubige Frauen sehen sich im 21. Jahrhundert, nicht nur in den Ländern des globalen Nordens, sondern weltweit, in einer kaum mehr überbrückbaren Diskrepanz von gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten und kirchlichen Rollenzwängen, von misogynen Strukturen und modernen Freiheiten. Viele Katholik*innen2 erheben teils seit vielen Jahren und in vielen Ländern der Erde ihre Stimme gegen die erfahrenen Diskriminierungen, gegen Fremdbestimmung und geschlechtsspezifische Benachteiligungen. Es ist ihnen ein Anliegen, die Kirche – ihre Kirche – gerechter und menschenfreundlicher zu machen, jenseits von einengenden Geschlechterzuschreibungen und im Bewusstsein kultureller und regionaler Unterschiede. Papst Johannes XXIII. hat in Pacem in terris die Frauenemanzipation in der Gesellschaft als ein Zeichen der Zeit herausgestellt. Für die Binnenorganisation der Kirche war die Frage nach der Rolle von Frauen gleichwohl stets umstritten. Viele Frauenverbände, Vertreterinnen der feministischen Theologien und engagierte Gläubige haben sich für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in der katholischen Kirche und für den Abbau von patriarchalen Herrschaftsstrukturen eingesetzt. Religiöse Frauenbewegungen, häufig auch ökumenisch, entstanden in Ländern des Nordens ebenso wie des globalen Südens. Sie zeichnen sich aus durch die Suche nach einer inklusiven Sprache, eine feministische und interkulturelle bzw. post-koloniale Lektüre der Bibel und eine feministische Befreiungstheologie. Frauen kämpften schon früh gemeinsam für Frieden und Versöhnung, Ökologie und gerechte Lebensbedingungen, wie z. B. die Geschichte des Weltgebetstags beweist. Und doch: trotz aller Anstrengungen konnten viele Ziele bis heute nicht erreicht werden. Das theologische Denksystem und die Organisation gerade der katholischen Kirche sind nach wie vor zutiefst patriarchal und androzentrisch, Frauen sind von vielen Entscheidungen ausgeschlossen, weltweit erfahren Frauen und trans Menschen auch in der Kirche spirituellen und sexuellen Missbrauch, Gewalt und Unterdrückung.
In der deutschen Kirche wurde die Wichtigkeit der Frauenfrage mittlerweile von den kirchlich Verantwortlichen anerkannt. Der Synodale Weg hat neben den drei inhaltlichen Foren zu den Themen Macht, Sexualität und Priester noch ein viertes Forum ins Leben gerufen, das sich mit „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ beschäftigt. „Die Thematik Frau in der Kirche ist die dringendste Zukunftsfrage“, formulierte am 4. März 2020 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing. Weiter sagte er: „Wir werden nicht mehr warten können, dass Frauen zu gleichen Rechten kommen“ (Interview im ARD-Morgenmagazin, 4.3.2020). Doch die Beharrungskräfte sind enorm. Forderungen nach echter Partizipation, Gleichberechtigung und einem Zugang von Frauen zu allen Diensten und Ämtern der Kirche werden von den Gegner*innen der Reformprozesse zurückgewiesen, häufig mit dem Argument ‚Weltkirche‘: Man müsse stets die Einheit der ‚Weltkirche‘ im Blick haben und diesbezüglich wären Veränderungswünsche aus einzelnen Regionen eher kontraproduktiv. Dass dieses Argument im Blick auf Frauen und Menschenrechte in der katholischen Kirche nicht verfängt, zeigt das vorliegende Buch.
„The problem with gender is that it describes how we should be rather than recognizing how we are. Imagine how much happier we would be, how much freer to be our true individual selves, if we didn’t have the weight of gender expectations.“
(Chimamanda Ngozi Adichie, We Should All be Feminists, TED Talk 2012)
Die Frage nach Frauen in der Kirche, nach Gender Issues und Geschlechtergerechtigkeit ist keine des 20. oder 21. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Seit jeher sind Frauen mit Ausgrenzung, Ausbeutung und geschlechterspezifischer Gewalt konfrontiert, und ebenso lang kämpfen sie dagegen. Sie tun es in ihren jeweiligen Ländern und Kulturen, in ihren Religionen und Kirchen, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Die Geschlechterhierarchien können historisch von der Antike bis in die Moderne nachgezeichnet werden. Vorstellungen darüber, was Frauen „dürfen“, wie Frauen „sind“ und wie sie zu sein haben, ihr Ausschluss vom öffentlichen Leben, von Bildung und Entscheidungsprozessen sind in patriarchale Ordnungen und Strukturen eingebettet. Insbesondere wissenschaftliche und religiöse Systeme waren (und sind großteils immer noch) männliche Herrschaftsbereiche, die Geschlechtervorstellungen normativ beschreiben, ideologisch begründen und praktisch durchsetzen. Blickt man in die Kirchengeschichte, findet man zahllose Beispiele von Frauen, die an den Grenzen, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts vorgegeben worden waren, gescheitert sind, die daran gelitten haben, die sich dagegen – offen oder subversiv – aufgelehnt haben, aber auch nicht wenige, die die Grenzen verschieben konnten. Blickt man auf theologische Überlieferungsprozesse, findet man epistemische Grenzen mit enormen kulturellen Konsequenzen. Viele Frauen wurden von der Tradition verunsichtbart. Aus der frühen Zeit des Christentums und der Antike sind etliche solcher Verunsichtbarungen erforscht, besonders bekannt ist der Gender Shift der weiblichen Junia zum männlichen Junias (Röm 16,7). Die Forschung hat in den letzten Jahren zunehmend Traditionen und Texte über die Rolle von Frauen in der frühen Kirche beleuchtet, darunter Diakoninnen, Presbyterinnen oder Bischöfinnen (vgl. Taylor Joan E./Ramelli, llaria L. E. (Hg.), Patterns of Women’s Leadership in Early Christianity, Oxford 2021). Auch wenn hier noch viel Forschungsbedarf besteht, kann im Wissen um diese Forschungen nicht mit eindeutiger Sicherheit behauptet werden, dass es in der Tradition der Kirche keine Frauen in liturgischen und Leitungsämtern gegeben habe – und es sollte nicht mit Verweis auf eine vermeintliche ‚ununterbrochene kirchliche Tradition‘ den Frauen der gleichberechtigte Zugang zu Ämtern heute verweigert werden. Es wird damit über die historischen Erkenntnisse hinaus eine theologische Tradition offengelegt, die mit männlicher Deutungshoheit weibliche Spuren getilgt hat und damit in ihren Tiefen geschlechterungerecht agiert.
Jede soziale und kulturelle Praxis hängt eng mit ihrer ideologischen Grundlegung zusammen, und die Bedeutung des Geschlechts unterliegt immer auch seiner sozialen Deutung. Im Fall der christlichen Kirchen ist dies die anthropologische Lehre über „die Frau“ – selbstredend von Männern geschrieben. Die auf Aristoteles zurückgehende Formulierung von Thomas von Aquin, die Frau sei ein „mas occasionatus“, also ein missglückter oder verhinderter Mann, schreibt den Frauen intellektuelle und körperliche Defizite zu, aus der ihre kulturelle Rolle geschlussfolgert (und mit der Bibel hinterlegt) wird: dem Mann zu dienen, ihm Kinder zu gebären und ihm unterlegen zu sein. Später, im 18. und 19. Jahrhundert, werden aus den Defiziten der Frau – immer noch im dualen Gegensatz zum Mann – weibliche Tugenden. Das weibliche ‚Wesen‘ wird ontologisch geformt, die ideale Frau ist nun in ihrem ‚Sein‘ vor allem häuslich, zärtlich, mütterlich, emotional unterstützend, hingebungsvoll und aufopfernd. Im politischen und gesellschaftlichen Bereich erstreiten sich viele Frauen im 19. und 20. Jahrhunderten erfolgreich Freiheiten, angefangen von Wahlrecht und Bildungsmöglichkeiten hin zu reproduktiven Rechten und gesellschaftlicher Gleichberechtigung. Säkulare Gesetzestexte benennen in vielen Teilen der Welt die Gleichberechtigung der Geschlechter als ihre Grundlagen (auch wenn die Umsetzung nach wie vor nicht vollends eingeholt ist und die Benachteiligungen durch Rassismus oder Klassismus intersektional potenziert werden). Während also in vielen Gesellschaften Frauenrechte erkämpft werden, wird in kirchlichen lehramtlichen Texten der wesensgemäße Unterschied von Mann und Frau in dieser Zeit vertieft. Von Familiaris consortio (1981), Mulieris dignitatem (1988) über das Schreiben über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt (2004) bis zu Amoris laetitia (2016) wird klar gemacht: weil Männer und Frauen wesentlich anders sind, wird es in der Kirche keine Gleichberechtigung geben. Die Texte betonen, dass Frauen, die nicht so handeln und sein wollen, wie es ihnen und ihrem „weiblichen Genius“ (AL 172) vom Lehramt zugeschrieben wird, entgegen der Schöpfungsordnung und damit entgegen dem göttlichen Willen agieren. Das wahre Wesen der Frau sei die „Verwirklichung der Mutterschaft“ (Zusammenarbeit von Mann und Frau 13), und ihre „speziell fraulichen Fähigkeiten (…) erteilen ihr zugleich Pflichten“ (AL 172). Die Frau sei in einer natürlichen Ordnung der Geschlechter diejenige, die soziale Güter, ja das Leben zum Nutzen der anderen gibt, sie sei komplementär hingeordnet zu Männern, die in der Tradition des Petrus ihre „männliche Wesensart“ (AL 55) durch aktive Organisation und Leitung z. B. der Kirche verwirklichten. Die lehramtlichen Schreiben idealisieren und wertschätzen ausdrücklich ‚die Frau‘ und ihr ‚Wesen‘. Doch diese vermeintliche Anerkennung hat eine dunkle – und gewalttätig misogyne – Seite. Sie verhindert nicht nur die gleichberechtigte Partizipation von Frauen an den Diensten und Ämtern der Kirche, sondern hat prekäre Auswirkungen auf das ganz konkrete Leben von Frauen, besonders in Ländern, in denen die kulturellen Bedingungen der Gesellschaft auf einem ‚Geschlechtervertrag‘ beruhen, der besagt, dass Frauen bestimmte Bereiche und Verhaltensweisen, v. a. in der Familie, zugewiesen werden, während Männer das öffentliche und wirtschaftliche Leben bestimmen.
Und genau hier liegt eine Gefahr, auf die viele der in diesem Buch versammelten Texte hinweisen: die ideologische Überhöhung der Frau und ihre idealisierenden Rollenbeschreibungen und -erwartungen hängen eng mit einer männlich codierten Anspruchshaltung in konkreten kulturellen bzw. sozialen Kontexten zusammen. Denn von Frauen wird erwartet, dass sie sich so verhalten, wie es ihr ‚mütterliches Wesen‘ von ihnen verlangt. Tun sie es nicht, müssen sie mit Sanktionen und negativen Reaktionen für ihr weibliches ‚Fehlverhalten‘ rechnen. Die Gewaltforschung zeigt, dass Gewalt gegen Frauen durch die Täter häufig als ‚Strafe‘ für ein ‚normwidriges‘ Verhalten der Frauen legitimiert wird. Frauen als zärtlich Gebende und fürsorglich Umhegende zu idealisieren verhindert nicht die misogyne Gewalt gegen Frauen – im Gegenteil. Viele der Texte in diesem Buch, u. a. von Ordensfrauen, berichten auch davon. Die Idealisierung von Frauen, ihre geschlechtsbezogene, eindeutig binäre moralische und soziale Festlegung ist im täglichen Leben konkreter Menschen nicht selten eine Frage von Leben und Tod. Die Genderlehre der Kirche führt in dieser Linie sogar zu mehr und nicht zu weniger Ungleichbehandlung, Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen.
„Die Frauenfrage ist ein Thema, das die Hälfte der Menschheit als Individuen betrifft und in allen Kulturen, Gesellschafts- und Staatsformen eine Rolle spielt. Als weltumspannende Institution könnte die katholische Kirche hier eine Vorreiterfunktion übernehmen, um der Ungleichbehandlung, Ausbeutung, Diskriminierung von Frauen auf dem Boden der (…) Botschaft Jesu Christi, (…) seiner Erwählung von Frauen zu Erstzeuginnen der Auferstehung und seines Rufs in die Nachfolge unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Status entgegenzuwirken. Von dieser Voraussetzung sind wir allerdings innerkirchlich weit entfernt.“
(Sr. Katharina Ganz, Frauen stören. Und ohne sie hat Kirche keine Zukunft, Würzburg 2021, 34.)
Das Buch gliedert sich in drei große Kapitel. Das erste Kapitel „Von männlich bis weiblich mit gleicher Würde geschaffen – Frausein und Menschsein in Kirche und Welt“ umfasst Texte, die auf die Erfahrungen von Frauen und nicht-binären Personen in der Kirche unterschiedlicher Länder zielen. Jadranka Rebeka Anić schreibt mit Blick auf die spezifische, national konnotierte Situation der Kirche in Kroatien, Christine Böhl fokussiert die Frauenfrage in der katholischen Kirche in Deutschland. Es folgen Erfahrungsberichte zweier Benediktinerinnen: Sr. Makrina Finlay, eine gebürtige Amerikanerin, die von ihrer Konversion herkommend Fragen zu Geschlechtergerechtigkeit stellt, und Sr. Judith Sakwa Omusa, Ordensfrau in Kenia, deren Text die Präsenz alltäglicher Gewalt gegen Frauen offenlegt. Sr. Nuala Kenny, eine kanadische Ordensfrau, nimmt den Beitrag von Frauen zur Heilung der Kirche in den Blick. Aus einer kirchenhistorischen Perspektive deckt Regina Heyder die Ambivalenz subversiven Sprechens von Frauen auf. Mara Klein erweitert das Kapitel um eine trans nichtbinäre Perspektive, die unverzichtbar auf dem Weg zu einer gerechteren Kirche ist, denn die Ideologien und die Strukturen, die einer patriarchalen und heteronormativen Logik folgen, führen nicht nur zu Ungerechtigkeiten gegen Frauen – hier stehen zu bleiben, wäre selbst ein verkürzter Blickwinkel –, sondern befördern auch gegen trans und nichtbinäre Menschen Ungerechtigkeiten, welche es offen zu legen und zu minimieren gilt.
Das zweite Kapitel eröffnet den Blick auf „Initiativen, Organisationen und die Synodalität der Kirche – Engagierte Netzwerker*innen“. Es beginnt mit einem Grundlagenartikel von Margit Eckholt, die interkulturelle und weltkirchlich-feministische Perspektiven von Synodalität und Internationalität beleuchtet und damit ein theologisches Fundament für das gesamte Buch liefert. Die drei folgenden Texte hängen eng zusammen: Sr. Irene Gassmann, Dorothee Becker und Karin Klemm schildern die Entstehungsgeschichte und Umstände rund um das Donnerstagsgebet und die #Junialnitiative in der Schweizer Kirche. Nontando Hadebe aus Südafrika stellt zwei Frauennetzwerke vor: The Circle of Concerned African Women Theologians und Catholic Women Speak Network; gefolgt von einem Text von Lena Jäger und Judith Klaiber über das Frauen*Volksbegehren 2.0 in Österreich. Ein besonderes Augenmerk dieses Kapitels liegt auf der Amazoniensynode. Sr. Daniela Cannavina und Sr. Birgit Weiler beschreiben in ihren Texten aus unterschiedlichen Perspektiven die Wichtigkeit der Synode gerade für Frauen in Amazonien.
Das dritte Kapitel „Zwischen Ordo und Lai*innenapostolat – Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ fächert ein weiteres konkretes Anliegen von Frauen in der Kirche auf. Den Auftakt macht Zuzanna Flisowska-Caridi, die das Netzwerk Voices of Faith und dessen Eintreten v. a. für die Belange von Ordensfrauen vorstellt. Sr. Jean Goulet, seit mehr als 65 Jahren Ordensfrau, erzählt von ihrem Engagement in der Kirche von Kanada, und Sr. Mary John Mananzan beleuchtet die nach wie vor prekäre Situation der Frauen in der katholischen Kirche auf den Philippinen. Mit Claire Heron spricht eine weitere Kanadierin über ihren jahrzehntelangen Einsatz als Laiin für Frauen in der Kirche: in Kanada und weit darüber hinaus. Die Erfahrungen einer jungen Indonesierin, die in den USA Theologie studiert hat, hält Janice Kristanti fest, ebenso wie den Kampf der Frauen für Befreiung in Indonesien. Sr. Caroline Mbonu legt die vielfältigen Diskriminierungen von Ordensfrauen in der katholischen Kirche Nigerias offen. Das Buch schließt mit dem Text einer deutschen Autorin: Andrea Qualbrink sieht trotz aller Schwierigkeiten im Heute den Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche.
Alle in diesem Buch versammelten Texte machen deutlich, dass Frauen weltweit ihre Stimme erheben und immer noch erheben müssen, denn Missstände und Machtmissbrauch, Diskriminierung und Gewalt sind allgegenwärtig. Die Autorinnen sind gläubige Christinnen, viele von ihnen Ordensfrauen, sie stehen ein für Frieden und Gleichberechtigung, für Gerechtigkeit und die Partizipation aller Geschlechter in Kirche und Gesellschaft, für eine Welt im Sinne des Evangeliums Christi. Mit ihren Texten dokumentieren sie grenzüberschreitende Solidarität: über Zeiten und Länder hinweg. Ihre Beiträge machen greifbar, wie sehr die Kirche der Erneuerung bedarf.
Wie bei allen Büchern waren auch bei diesem Buch zahlreiche Menschen beteiligt, denen an dieser Stelle herzlich gedankt werden soll. Zehn Texte wurden für diese Ausgabe ins Deutsche übersetzt. Für die Unterstützung bei der Übertragung, die nicht nur den Sinn, sondern auch die sprachliche Schönheit und Eigenart der Texte einholt, sei ein großer Dank ausgesprochen an Dr. Juliane Eckstein, Dr. Regina Heyder, Judith König, Dr. Michael Lohausen, Maite Piris und Charlotte von Schelling. An einigen Stellen schien uns eine Übersetzung nicht geraten, dort haben wir uns entschlossen, die englischen Originalausdrücke zu belassen, an anderen Stellen werden sie der deutschen Übersetzung hinzugefügt. Sr. Philippa Rath OSB sei herzlich gedankt, durch sie wurden Türen geöffnet in andere Klöster und Herzen. Ich danke meinen beiden Mitarbeiterinnen Magdalena Hürten und Anna-Nicole Heinrich für ihre gründliche und kompetente Unterstützung in allen redaktionellen und inhaltlichen Belangen. Herrn Thomas Häußner vom Echter-Verlag sei gedankt für die umsichtige Begleitung bei der Drucklegung und Herausgabe des Buchs. Natürlich aber gilt mein Dank ganz besonders allen Autor*innen des Buchs. Nur wenn die Stimmen der Frauen endlich zählen, ihre Schreie und Klagen gehört werden, die Gewalt gegen sie ein Ende findet und ihre Theologien das Wissen, Denken und Handeln in Kirche und Gesellschaft nachhaltig verändern, kann die Menschenwürde aller Menschen zur Entfaltung kommen. So lange werden wir weiter in Solidarität und über Grenzen hinweg gemeinsam für das Evangelium und Gottes Geist in Freiheit und Gerechtigkeit einstehen, eine bessere Welt erhoffen und unsere Stimmen erheben.
Am Fest der hl. Maria Magdalena, erste Auferstehungszeugin
und Apostola Apostolorum, 22. Juli 2021, Ute Leimgruber
1Zit. nach Russell, Anna/Pinheiro, Camila, Wenn nicht ich, wer dann? Große Reden großer Frauen, München 2019, 18.
2Dieses Buch sieht sich dem Anliegen einer genderinklusiven Sprache verpflichtet. In Absprache mit den Autorinnen verwenden wir in den meisten Artikeln den Asterisken (z. B. Katholik*innen). Wir sind uns der kontroversen und unabgeschlossenen Diskussionen diesbezüglich bewusst. Mit der Bezeichnung „Frauen“ sind alle gemeint, die sich selbst mit dieser Bezeichnung identifizieren. Trans nichtbinäre Menschen sind ebenfalls im Bewusstsein, dem Thema widmet sich der Beitrag von Mara Klein.