Analytische Philosophie?

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Analytische Philosophie?
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Analytische Philosophie?

Hg.: Kai Pege

AutorenVerlag Matern

Der Titel des Bandes greift eine Frage auf, die im alltäglichen Umgang aufkam: die Frage nach analytischer Philosophie, vom Rücksitz eines Autos gestellt. Dieser Kontext bot den Anlass, eine Herangehensweise zu wählen, die bislang nicht üblich war: auszuprobieren, was eine Einbeziehung des Alltags und Umgangs erbringen könnte, ohne auf Komplexität zu verzichten.

Diese Öffnung hat zu überraschenden Ergebnissen geführt, die eine Weiterentwicklung der analytischen Philosophie erlauben, auch und in besonderer Weise theoretisch: Die Beachtung von umgangsprachlichem Verhalten kann dabei behilflich sein, Sprache besser zu verstehen, als dies eine traditionelle wissenschaftsphilosophische Ausrichtung ermöglichen würde.

1. EBook-Auflage 2014, Version 1.3

Copyright © 2014 AutorenVerlag Matern

Cover-Design: Joshua, unter Verwendung von Textures

aus dem Portal: freetextures.org

Zeichensätze: linuxlibertine.org

www.softmaker.de (Cover)

ISBN 978-3-929899-82-5 (ePub)

ISBN 978-3-929899-83-2 (Kindle)

ISBN 978-3-929899-84-9 (PDF)

Alle Rechte vorbehalten

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Einleitung

Die Texte des schmalen Bandes eröffnen ein Angebot, analytische Philosophie auch im Hinblick auf Gesellschaft zu betreiben, sowohl in sprachtheoretischer, gesellschaftstheoretischer und ethischer Sicht. Es gäbe viele weitere Themen, doch speziell diese haben sich aus Diskussionen für diesen Band ergeben, um einen Anfang zu gestalten. Das Anliegen ist, dem traditionsreichen Fach zu etwas mehr Lebendigkeit zu verhelfen, auch zu gesellschaftlicher Relevanz, abseits von Talk Shows und anderem Entertainment. Dies würde jedoch nicht gelingen können, würde die Öffnung an theoretischen Mängeln oder an fehlendem empirischen Gehalt scheitern.

Kritik, systematische Richtungsentscheidungen und Ausblicke auf die weitere Arbeit ergänzen sich in den Aufsätzen. Für uns, Kathrina Talmi, Reinhard Matern und mich, die wir Beiträge eingebracht haben, bieten die Resultate einen weiteren Schritt für die Zusammenarbeit und für die Ausgestaltung zukünftiger Projekte. Dieser Schritt ist in fast allen Fällen sprachlich begründet, ob hinsichtlich der Etablierung von Welten, der Ablehnung von bloßen Modellen, oder der Relevanz von selektivem Bezug.

Ob diese sprachliche Grundlegung auch für andere einsichtsreich und interessant genug ist, wage ich nicht zu behaupten. Gleichwohl haben wir das Verlangen, die analytische Philosophie weiterzuentwickeln, so weit es uns möglich ist.

Der Buchtitel wurde bereits einige Jahre zuvor für den Druck angekündigt worden. Erscheinen konnte er damals jedoch nicht. Die im eBook (PDF, ePub, Mobi-KF8) enthaltenen Aufsätze sind auf dem neuesten Stand, bieten die aktuellen Ansichten der Autoren. Zwei Aufsätze, der von Matern und meiner, sind vorab online veröffentlicht worden: zunächst beide in Talmis Blog (kathrina-talmi.tumblr.com), meiner zusätzlich in einem eigens eingerichteten neuen Blog (kai-pege.blogspot.de).

Kai Pege

Analytische Philosophie?

– Kai Pege –

I

Die Frage nach analytischer Philosophie, die dem vorliegenden Band den Titel gab, wurde vom Rücksitz eines Autos gestellt, nachdem ich eine Zuordnung meines philosophischen Interesses bekundete. Im weiteren Gesprächsverlauf wurde mir deutlich, dass der Person, die um eine Erläuterung gebeten hatte, primär einige Philosophen namentlich bekannt waren, die der Frühzeit der analytischen Philosophie angehörten, dem Wiener Kreis. Die an mich herangetragenen Assoziationen waren zunächst verhalten, beruhten auf marginalen Texterfahrungen, die noch aus der Schulzeit stammten, im Fortgang Polemiken erinnern ließen, die speziell in Deutschland entstanden waren, vor allem innerhalb der Kritischen Theorie.

Diese Alltagssituation ermunterte mich, eine Herangehensweise zu entwickeln, die es mir erlaubt, zu erläutern, worin das Besondere der analytischen Philosophie liegen kann, unter Einbeziehung des Alltags. Die Möglichkeitsform weist darauf hin, dass es die analytische Philosophie nicht gibt, sondern relativ viele verschiedene Autoren und Ansichten. Mir liegt wenig daran, einen Überblick bieten zu wollen. Es gibt einige Publikationen auf dem Markt, die einem solchen Anliegen gewidmet sind, spannender sind jedoch Bücher, in denen vom jeweiligen Autor ein eigener Zugang gesucht wird (vgl. z.B. Tugendhat, E., 1976). Ein gemeinsames Programm, zu dem sich zumindest eine Reihe von Autoren bekennen, gibt es schon lange nicht mehr. Gemeinsam ist vielen Philosophen aus der analytischen Richtung allerdings immer noch, den Ansatz ihrer Arbeit in der Sprache und in hinreichenden Differenzierungen zu nehmen. Dabei muss Sprachphilosophie jedoch nicht im Zentrum stehen. Nicht wenige der Akteure sind praktisch ausgerichtet, an Handlungen und / oder Ethik interessiert. Hervorgehoben sei William K. Frankenas „Analytische Ethik“ (vgl. Frankena, W.K., 1972), eine knappe und dennoch gründliche Einführung.

In diesem Band werden Ergebnisse des verbliebenen Sprachanalytischen Forums vorgelegt, das einst in den Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden war, nunmehr als privater Kreis von Autoren fortbesteht, von Autoren, die auch den AutorenVerlag gegründet hatten. Es wird keine langen historischen Abhandlungen oder Exkurse geben, erst Recht keine, die bis zu Sokrates zurückführen, um vermeintliche Grundfragen zu stellen, die unter Athenischen Bürgern entstanden waren. Es gibt keine ewigen Fragen. Wer hätte sie bilden und stellen sollen, in Vorzeiten, als nur Bakterien die Erde bevölkerten, wer könnte sich um diese bemühen, wenn die Phase der Menschheit beendet ist, durch Geschehnisse aus dem Universum oder durch menschliches Versagen. Ob die interessanten Fragen in der menschlichen Geschichte stets die gleichen geblieben sind, ist ebenfalls bezweifelbar. Konkret änderte sich innerhalb der Menscheitsgeschichte viel, auch die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen Fragen gestellt wurden. Um so erschreckender können Handlungs- und Verhaltensmuster im Wirtschaftsleben zeitgenössischer Gesellschaften sein, die an hypostasierte Naturzustände erinnern lassen (vgl. z.B. Hobbes, Th., 1983). Mein Anliegen ist nicht, fiktional und möglichst naiv in eine altgriechische Polis oder in andere Gesellschaften zu flüchten, sondern zeitgenössischen Lesern zu erläutern, wie heute philosophische Fragen aus dem Alltage heraus entstehen können.

Mein Vorgehen ist systematisch, nicht historisch, aber weit davon entfernt, einen Systementwurf zu bieten, der deduktiv bei einigen Grundannahmen und allgemeinen Aussagen beginnt, um sich dann Schritt für Schritt in die Niederungen der Städte und Gemeinden zu begeben. Solche Systeme können durchaus imposant sein, wie eine alte Kathedrale oder ein modern gestaltetes Opernhaus, doch Vergleiche dieser Art sind oberflächig: nicht nur werden solche Gebäude von unten errichtet, in luftiger Höhe ist schwer Halt zu finden, nein, Architektur und Philosophie trennt etwas Spezifisches. Nicht Raumkonzepte, Beton, Glas und Stahl müssen auf einander abgestimmt werden, die Philosophie baut Sprache. Das kann nicht funktionieren, wird man eventuell einwenden: Man hätte Recht! Dennoch bietet der Vergleich einen geeigneten Ansatz, zu fragen, was geschähe, wenn ich den Anfang mit einer Definition von Philosophie nehmen würde:

Man steckte einen Rahmen ab, ohne zu explizieren, was er umfasst, ohne abschätzen zu können, ob er zu weit oder zu eng ausfällt. Man säße an einem Reißbrett und würde ein Opernhaus skizzieren, ohne Informationen über konkrete Erfordernisse im Hinblick auf Empfang, Publikumsbereich, Orchestergraben, Bühne, Umkleide und Kantine. Wäre dieses Vorgehen für einen Architekten nicht ziemlich unprofessionell? Es ließe sich vielleicht von einer Studie sprechen, doch wofür könnte diese dienen? Zum Marketing, wäre anmerkbar, um eine Metropole zu einem Auftrag zu animieren. Doch was könnte diese überraschende Entwicklung noch mit der Arbeit von Philosophen zu tun haben?

Konkrete Informationen über architektonische und bauliche Erfordernisse erhält ein Architekt von seinen Auftraggebern. In der Philosophie wäre so etwas kaum möglich, es sei denn ein Auftrag beschränkte sich auf eine Erläuterung oder Zusammenfassung von Ansichten, die bereits geäußert oder publiziert wurden. Eine Vorabdefinition von Philosophie würde den Prozess des Philosophierens auf eine Fleißarbeit reduzieren, die letztlich die eigenen Vorgaben erfüllt. Manch einer, soweit er bürokratisch gesinnt ist, wird sich damit anfreunden können. Um jedoch Philosophie betreiben zu können, bedarf es einer ungestillten Neugierde.

Ein solcher Drang kann auch in ein Verhängnis führen, mit dem unter Umständen nicht leicht umzugehen ist. Ich war von deutscher Bewusstseinphilosophie geprägt, bevor mich im Studium analytische Philosophie ins Straucheln brachte. Mit einem Schlag verlor ich meine bis dahin ausgeübte Sprache, die um ‚Denken‘ kreiste, ohne mir begreiflich machen zu können, wie ich an die Gedanken anderer herankommen soll, ja von richtigem und falschem ‚Denken‘ war in der Bewusstseinsphilosophie die Rede, bisweilen sogar von Denkgesetzen. Zwar hatte mir der juristische Ton überhaupt nicht gefallen, der penetrante Widerwille erzeugte Sympathien mit anarchischen Bestrebungen in Philosophie, Wissenschaft, der Universität, der Politik! Dennoch fehlte mir ein geeigneter Ansatz, den deutschen Psycho-Terror loszuwerden.

 

Die Rettung bot mir Quine, das spürte ich sofort, als mir „Wort und Gegenstand“ (vgl. Quine, W.v.O., 1980) bekannt wurde, dennoch geriet ich in höchste Gefahr: Ich wusste nicht mehr zu sprechen! Nicht Denken, sondern Sprache stand plötzlich im Zentrum, keine Spekulationen über psychische Prozesse, sondern lesbare Texte, Worte und ihre Bezüge. Die Tür öffnete sich mit einem Schlag, doch der betretene Raum war fremd, musste erst schrittweise entdeckt werden. Von dort öffneten sich viele weitere Räume, in denen ich mir wie ein Kind vorkam, das die Erlaubnis erhielt, sprechen zu lernen. Es ist mir immer noch schleierhaft, wie sich die Bewusstseinsphilosphie in Deutschland so lange halten konnte. Mehr als ein knapper Hinweis auf bürokratische Tradition fällt mir dazu nicht ein.

II

Bleiben Deduktion und Definition verwehrt, aus sachlichen Gründen, werde ich mich ins Getümmel stürzen können. Handelte es sich bei der Philosophie um Formales, wie bei der Mathematik und der Logik, ließe sich über Deduktionen ausgiebiger diskutieren. Da formale Systeme aber nur partielle Bereiche innerhalb der Philosophie sein können, wäre eine allgemeine Herangehensweise ohnehin unangemessen. Mein Interesse ist im vorliegenden Kontext hingegen in anderer Hinsicht speziell: Wie kann Philosophie heute aus dem Alltag entstehen?

Noch ist Sprache das primäre Verständigungsmittel unter Menschen. Zwar sind Images stärker in den Vordergrund gerückt, besonders im Zuge entstandener und inzwischen etablierter multimedialer Techniken, dennoch ist Sprache im Umgang nicht weniger relevant geworden. Auch Icons und Bilderwelten werden im Alltag zum Thema, sei es als Frage und Bestätigung, dies oder das gesehen zu haben, oder um etwas zu erläutern, Kindern zum Beispiel. In den Social Media entwickeln sich Ausdrücke emotionaler Befindlichkeiten unter Umständen zu Gesprächen. Inner- und außerhalb dieser Medien sind private Vorhaben unter Freuden abzusprechen. Die Politik fordert zu Diskussionen, Artikeln, zu Büchern heraus. Ohne Sprache wäre die Kommunikation im Alltag unzureichend. Und die gesellschaftlich beobachtbaren Icons und Bilder der Betriebssysteme von Mobiltelefonen, Tablet- und Desktop-Computern folgen Konventionen und Regeln, die auf sprachlichen Differenzierungen und Abstraktionen beruhen, mit welchem Erfolg auch immer. Sie sind konzeptionell entworfen worden, bieten die käuflich erwerbbare Grundlage für eine aufgehübschte private Bürokratie.

Sprache und physische Ereignisse, die kommunikativ auf Sprache beruhen, wie zum Beispiel viele Bilder, Töne aus einem Mobiltelefon oder ein Produktdesign, sind gleichwohl unterscheidbar. Icons und Tonfolgen geben funktionale Hinweise, ein Design fällt primär durch ästhetische Differenz auf, eröffnet durch diesen Verweis möglicherweise eine soziale. Bilderwelten können etwas darstellen. Zur Erläuterung und argumentativen Kritik bedarf es jedoch der Sprache. Funktionale Hinweise sind durch den hohen Abstraktionsgrad für eine detaillierte Kommunikation ungeeignet. Bilderwelten können hingegen eine hohe Differenzierung erreichen, zum Beispiel in Filmen. Die Darstellungen erfolgen jedoch nach anderen als nach sprachlichen Kriterien, sieht man von Abschnitten ab, in denen auch Sprache eine wichtige Funktion einnimmt. Die Bilder präsentieren das im Studio oder anderswo angesiedelte Dargestellte, mit der empirischen oder empirisch möglichen Welt treten kausale Abläufe hervor, während Sprache sich auf etwas bezieht und logische Strukturen entwickeln kann. Ein Bildaufbau wird nach anderen Kriterien vollzogen als eine sprachliche Mitteilung oder ein Textaufbau. Wenn man bildhaft von einer Grammatik und einer logischen Struktur in Bezug auf Bilderwelten sprechen wollte, wären sie im Fall der Bilderwelten etwas anderes als in der Sprache. Die geleistete Übertragung würde den Unterschied lediglich übergehen, eventuell sogar verschleiern, jedoch nicht tilgen können. Es wäre nicht hilfreich, die Besonderheiten der Sprache aufzuheben, wie Derrida dies in einem Interview vollzog: „Das, was ich Text nenne, ist alles, ist praktisch alles“ (vgl. Engelmann, P., 1987, S.105). Das Wort ‚Text‘ wird zu einer Metapher, die alles mit Deutungszauber verschlingt. In der Umgangssprache kann alles etwas bedeuten, Worte, Handlungen, Gegenstände, und dennoch bleiben Unterschiede gewahrt: Wortbedeutungen erläutern in der Regel den Bezug oder die grammatische Funktion, Bedeutungen von Handlungen und Gegenständen betreffen häufig die Relevanz, ob für jemanden persönlich oder in weiteren Zusammenhängen.

Wenn in Bezug auf Sprache von Darstellung gesprochen wird, dann in einer anderen Weise als im Zusammenhang mit Bildern, es sei denn, bei dem Dargestellten handelt es sich um einen Redebeitrag, ein Theaterstück oder ein Drehbuch, das zur Aufführung gelangt. Im ersten Fall wird das Wort Darstellung häufig konträr zu Äußerungen oder Texten genutzt, die (zusätzliche) Wertungen enthalten, ohne jedoch, wie im Film, das Dargestellte aufführen oder präsentieren zu können. Mehr als Bezüge herzustellen, bleibt kaum, sieht man vom Zitieren ab. Eine wortbildhafte Sprache kann zwar Assoziationen wecken, die abstrakte Relation Bezug verliert dadurch jedoch nicht an Relevanz. Was in den Zuhörern oder Lesern assoziativ vorgeht, ist ohne weiteres nicht von außen erfahrbar. Der sprachliche Bezug bleibt im Zentrum, es sei denn für Personen, die sich durch ihre eigenen Assoziationen überwältigen lassen. Im zweiten Fall, bei einer Aufführung, kommt aber etwas zur Darstellung, wie es bei einem Film geschieht, Wort für Wort, ob dramaturgisch verändert oder nicht. Sprache, so wäre zu konstatieren, kann allenfalls Sprache zur Darstellung bringen, präsentieren. Die Besonderheit des abstrakten Bezugs in der Sprache schließt in den meisten Fällen eine darstellende Funktion aus. Die Formulierung, über etwas zu sprechen, nimmt diesen speziellen Sachverhalt, die Distanz auf, dennoch scheint es kein verbürgtes Wort zu geben, das eine Alternative zum missverständlichen Wort ‚Darstellung‘ bietet. Üblicherweise stellt man nicht, wie im sprachlichen Kontext angemessen wäre, über etwas dar, sondern etwas.

Die Alltagskommunikation findet in situativen Zusammenhängen statt. Um eine Artikulation verstehen zu können, sind außer der Sprache weitere Reize vorhanden, die Einordnungen ermöglichen, ob an der Kasse eines Supermarktes, im Streit mit einem der Nachbarn oder während einer Fahrt. Autoren und Lesern haben jedoch nichts weiter als die Texte. Dies macht die Ausgangslage schwieriger. Deshalb ist es im speziellen Kontext der Philosophie aus pragmatischer Sicht vorteilhaft, differenziert vorzugehen, auch wenn der Text dadurch komplexer wird. Was gemeinhin als sprachliche Darstellung ausgewiesen wird, übrigens nicht nur im Alltag, sondern auch in Wissenschaft und Philosophie, kann gar keine sein, nicht einmal, wenn man auf (zusätzliche) Wertungen verzichtet, weil in beiden Fällen die Distanz unberücksichtigt bleibt, die durch Bezugnahmen erzeugt wird.

Die Umgangssprache ist angefüllt mit Übertragungen, die aus sprachlicher Sicht unpassend sein können. Wenn ein Konzept umgesetzt werden soll, etwa wie ein Möbelstück, das für einen anderen Platz vorgesehen war oder sich an einem anderen als den vorgesehenen, aus welchen Gründen auch immer, besser macht, lässt sich zweifeln, ob dies gelingen kann. Dem Konzept soll, im Unterschied zu jenem Möbelstück, nichts geschehen, es soll lediglich als Handlungsanweisung dienen. Man würde ein Konzept allenfalls ausführen, wenn es Anweisungen enthält, nicht jedoch umsetzten. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort ‚verwirklichen‘. Ein Konzept, das es bereits gibt, also wirklich ist, kann nicht zusätzlich noch verwirklicht werden. Dabei ist es egal, ob es sich bei dem Konzept um eine Idee oder ein beschriebenes Stück Papier handelt. Eine Idee ist nicht weniger wirklich, nur weil sie etwas Psychisches, Kognitives ist. Schließlich noch ein Beispiel, das historische Veränderungen berücksichtigt und das Setzen einer besonderen Pointe erlaubt: Banken treiben seit einigen Jahren derart risikofreudige Geschäfte, dass sich diese mit der Sicherheit und Ruhe, die man mit einer Gartenbank assoziieren vermag, nicht in Einklang zu bringen sind. Nicht mehr eine assoziative Übertragung, sondern eine Differenz ist festzustellen. Man müsste das Möbelstück schon auf eine Autobahn stellen, um wenigstens einer vagen Vorstellung nach ein ähnliches Risikoniveau zu erreichen.

An den angeführten Beispielen ist ein Unterschied zu bemerken: im letzten Fall geht es um Gegenstandsbezeichnungen, die aufgrund der Bezüge verschiedene gleichlautende Worte sind und assoziative Verknüpfungen oder Divergenzen hervorrufen können, beim umzusetzenden Konzept handelt es sich hingegen um Sprachliches, das mit der Übertragung sonderbarerweise nicht-sprachlich behandelt wird. Es lohnt sich, diese beiden Beispiele näher zu betrachten. Bei den Gegenstandsbezeichnungen sind nicht nur die Bezüge different, es gibt längst eingebürgerte lexikalische Bedeutungen, die ebenfalls differieren. Würde man nachschlagen, erhielte man (a) Erläuterungen über Sitzmöbel, würde eventuell auf eine althochdeutsche „banc“ (Erhöhung) stoßen, auf andere Bedeutungen anderer Sprachen, in denen sehr ähnliche Lautkomplexe vorkommen; (b) über Geld- bzw. Kreditinstitute und deren Funktionen. Man erhielte, sähe man von historischen und fremdsprachlichen Exkursen ab, Erläuterungen über die Gegenstände, auf die Bezug genommen wird. Die Bedeutungen erläutern die Bezugnahme: man erfährt, worüber gesprochen wird. Von Assoziationen ist nicht die Rede. Die Möglichkeit für Assoziationen eröffnet die historische Veränderung im Hinblick auf die betroffenen Gegenständen. Assoziationen bleiben das Vergnügen von Sprechern und Hörern, Schreibern und Lesern. Wären sie deshalb sprachlich unrelevant?

Nähme man außer Bezug und lexikalischer Bedeutung noch eine weitere Funktion hinzu, ließe sich das Problem eventuell elegant lösen: eine hypothetische Ausdrucksbedeutung. Diese spielte nicht in jedem sprachlichen Fall eine Rolle, fiele bloß auf, wenn sie emotional stark besetzt ist, wie bei identifizierenden Beleidigungen oder Schwärmereien, könnte durch Gewohnheit im Alltag untergehen, oder durch eine aufkommende Differenz hervortreten. Und sie ist keineswegs so bestimmbar wie eine lexikalische, eine eingebürgerte Bedeutung, ließe unterscheidbare Varianten zu, die auf den Assoziationen unterschiedlicher Menschen beruhen. Das Bank- bzw. Bänke-Beispiel demonstriert, wie man sich interpretativ versteigen kann, rhetorisch, doch keineswegs nur als Winkelzug, sondern aus Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen. Dagegen ist jenes Umsetzen eines Konzeptes vergleichsweise abstrakt, wäre nicht mit der Handhabe von Gegenständen zu vergleichen: Sprache wird unzureichend erfasst. Um Ausdrucksbedeutungen von Übertragungen der Umgangssprache erfassen zu können, wäre man auf empirische Untersuchungen angewiesen – und erhielte so etwas wie Top-Listen, die sich im Laufe der Zeit ändern können, im Grunde nicht mehr als einen zeitbezogenen Spaß einbrächten.

Davidson ist der Ansicht, dass zusätzliche Bedeutungen zur Erfassung von Metaphern überflüssig seien: Metaphern könnten wörtlich, als eine neue Bedeutung genommen werden. In Bezug auf sein Beispiel ‚das Kind Tolstoi‘, das im Kontext einer literaturwissenschaftlichen Einschätzung angeführt wird, „Tolstoi sei ein ‚moralsierendes großes Kind‘ gewesen“ (vgl. Davidson, D., 1994, S.347), ließe sich dies eventuell annehmen, obgleich man im Hinblick auf ‚neu‘ mehr erwarten könnte. Schwieriger wird es, wenn man nach einer wörtlichen Bedeutung von ‚verwirklichen‘ fragt. Ich wüsste darauf ohne weiteres nicht zu antworten!

Alltagssprachlich werden nicht nur Konzepte umgesetzt und verwirklicht, auch Träume werden wahr. Wenn ein Konsumartikel als Traum bezeichnet wird, ein Börsencrash hingegen als Albtraum, dann sind die psychischen Zustände, auf die mit Worten ‚Nacht-‘ und ‚Tagtraum‘ Bezug genommen wird, eher unrelevant. Idealisiertes und Bedrohliches stehen in Frage, die zwar erträumt werden können, dem sprachlichen Verhalten nach aber anders in Rede stehen. Es findet wie in vorhergegangenen Fällen eine Übertragung statt. Ein Wort ‚Traum‘ oder ‚Albtraum‘ dient als Metapher.

Steht kein Zusammenhang oder Kontext zur Verfügung, bleibt offen, um was es sich jeweils handelt, wenn der Artikulation nach ein Traum für jemanden wahr wird. Vielleicht kann dennoch stärker differenziert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Metapher ‚Traum‘ genutzt wird, die Erwünschtes und / oder Idealisiertes bezeichnet, ist relativ groß. Nacht- als auch Tagträume wären in der Regel zu umfangreich, vielleicht nicht einmal bewusst, um ihnen so etwas wie wahr werden (als Eigenschaft) zuordnen zu können. Und wahr werden, sieht man mal von Metamorphosen ab, in denen aus einem erwünschten ein wirklicher Gegenstand wird oder geworden ist, die nur in esoterischen Ausnahmefällen eine Rolle spielen könnten, würde darauf Bezug nehmen, dass nun ein physischer Gegenstand, nicht nur ein erwünschter verfügbar ist. Auch ‚wahr‘ wäre eine Metapher, aber eine vergleichsweise abstrakte. Sie betonte das Physische des Gegenstandes, in Differenz zu bloß Imaginärem.

 

Die Metaphern der Umgangssprache haben etwas Anachisches. Nicht einmal die Annahme einer wörtlichen Bedeutung könnte sie in ein rational erträgliches Gefüge bringen. Eine allgemeine philosophische Theorie über Metaphern hätte aber die Umgangssprache zu berücksichtigen, nicht bloß ausgesuchte Beispiele aus Dichtung, Wissenschaft und Philosophie. Der Begriff Ausdrucksbedeutung bezeichnet eine Variable, die als solche zwar ansetzbar ist, sich jedoch nicht allgemein weiter bestimmen lässt, weil sie lediglich eventuelle und verschiedenen Assoziationen umfasst, samt ihrem anarchischen Potential. Dieses anarchische Potential schließt nicht aus, dass sich funktionale Listen anlegen ließen, um Metaphern, auch solche der Umgangssprache, linguistisch sortieren zu helfen. Ein solches Vorgehen führte im vorliegenden Kontext jedoch zu weit, die philosophische Relevanz wäre fraglich.

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