1000 Tage an der Ostfront

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Impressum

1000 Tage an der Ostfront - Das Kriegstagebuch meines Vaters 1940 – 45

Angelika Ludwig

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2014 Angelika Ludwig

ISBN 978-3-8442-8538-3

Otto Reinhold Lemm1000 Tage an der OstfrontDas Kriegstagebuch meines Vaters 1940 Herausgegeben und kommentiert vonAngelika LudwigEine vollstDer Chef, Wachtmeister Brandt, 2 Fernsprecher und 2 Funker

Inhalt

Vorwort

1. Die Einberufung

2. Grundausbildung in der Bülow Kaserne in Frankfurt

3. Krieg mit Russland

4. Vormarsch in Richtung Leningrad

5. Stellungskrieg vor Leningrad

6. Der Rückzug aus Leningrad in Richtung Moskau

7. Wintereinbruch

8. Der Rückzug vor Moskau

9. Weihnachten 1941

10. Die Sommeroffensive 1942

11. Vormarsch auf Stalingrad

12. Der erste Heimaturlaub

13. Zurück an die Front

14. Ablösung und Neuaufstellung der Abteilung in Frankfurt/Oder

15. Sommer 1943 an der Oder

16. Abstellung zur Kavallerie

17. Das dritte Weihnachten in Russland ( 1943 )

18. Abstellung zum Lehrgang für Staffelführer

19. Sonderauftrag und Heimaturlaub, April 1944

20. Zurück an die Front

21. Rückzug bis zum Bug

22. Verwundung

23. Im Lazarett

24. Entlassung als AVH nach Konstanz

25. Christbäume über Pforzheim

26. Vor der Entlassungskommission

27. Das Kriegsende in Predöhl in der Ostprignitz

Über das Buch

Vorwort

Es handelt sich bei dem vorliegenden Text um authentische Tagebuchaufzeichnungen meines Vaters.

Er hat den Zweiten Weltkrieg als Kriegsteilnehmer an der Ostfront miterlebt und seine Erlebnisse aufgezeichnet.

Schon als Kind erfuhr ich viel über den 2. Weltkrieg durch die Erzählungen meines Vaters. Immer wenn er Zeit hatte, und merkwürdigerweise war das immer zu Weihnachten, erzählte mein Vater uns drei Geschwistern von seinen Kriegserlebnissen.

Das geschah in den fünfziger Jahren. Offenbar waren die Ereignisse meinem Vater noch sehr präsent, da er dabei war, seine handschriftlichen Aufzeichnungen, die er in Schulhefte geschrieben hatte, zu bearbeiten und mit der Schreibmaschine abzuschreiben.

Als Kind hörte ich gebannt zu, später, mit 15, 16 Jahren entwickelte ich eine kritische Haltung dazu und wollte nichts mehr davon wissen.

Mir erschien seine Sichtweise zu naiv und beschönigend, ja gar vertuschend. Ich warf ihm auch in Gesprächen vor, dass er keine kritische Haltung zu den Ereignissen bezogen hatte.

Erst sehr viel später, nach seinem Tode, Anfang 1993, bekam ich seine gebundenen Aufzeichnungen in die Hände und las sie das erste Mal vollständig durch.

Es waren bewegende Schilderungen, die mich zum Teil erschütterten. Mein Vater schildert unglaubliche Eindrücke des Alltags im Krieg. Zuerst das siegreiche Vorrücken, die Großangriffe, dann das Überwintern auf offenem Feld vor Moskau, den Häuserkampf um Stalingrad und ab 1942 bereits den Rückzug, das verzweifelte Aufhalten der Front.

Aber er beschreibt auch geradezu idyllische Situationen, wenn z.B. im Sommer 1942 die Batterie ihre Zelte in einem Obstgarten hinter der Front aufbaut.

In mir entstand der Wunsch, seine Aufzeichnungen zu veröffentlichen, wie er es eigentlich vorgesehen hatte. Ich habe seine Aufzeichnungen einmal gekürzt, um so stringenter die Geschehnisse des Krieges in den Mittelpunkt zu bringen, zum zweiten war es mir ein Bedürfnis, durch Kommentare zum historischen Kriegsgeschehen seine Aufzeichnungen zu ergänzen.

Im Tagebuch wird man mit einem Einzelschicksal konfrontiert, das zum Teil unmenschliche Strapazen auf sich nehmen musste, ohne zu wissen, welches strategische Ziel hinter den Kampfhandlungen steckte, abgesehen davon, dass man immer weiter voran sollte. Schon bald fragt er sich, was das Ganze für einen Sinn hat.

Nach der Kapitulation von Stalingrad im Januar 1943 allerdings, als es nur noch zurück ging und man die Front nicht mehr halten konnte, wurden die Soldaten zunehmend kritischer. Auch mein Vater hinterfragte sinnlose Befehle und sah die Schwächen der Führungsoffiziere. Er konstatierte den abnehmenden Kampfgeist der Truppe und musste doch ständig ums Überleben kämpfen.

Aber die militärische Disziplin verlangte die völlige Unterordnung unter den Befehl des Vorgesetzten. Das ging am Ende soweit, dass man im Grunde wusste, dass der Krieg bereits verloren war, aber nicht darüber reden durfte, wenn man nicht angezeigt werden wollte.

Am Ende des Krieges hatte mein Vater noch einmal Glück. Er wurde im September 1944, als sich seine Einheit kämpfend zurückzog, verwundet und kam in ein Lazarett in Niedersachsen, nach Gronau, wo er das Kriegsende erlebte

Erst kürzlich lief im Fernsehen der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ mit großer Resonanz. Er zeigte uns, dass das Thema Zweiter Weltkrieg noch immer Interesse hervorruft und Fragen aufwirft.

Dieses Buch soll dazu beitragen, den nachfolgenden Generationen einen authentischen Eindruck vom Kriegsgeschehen zu vermitteln.


Mein Vater im 3. Kriegsjahr

1. Die Einberufung

Am 3. Dezember 1940 wurde mein Vater zur Wehrmacht einberufen. Der Einberufungsbefehl kam wie aus heiterem Himmel. Mit dem Ende des Frankreichfeldzuges hatte niemand mehr mit einer Einberufung gerechnet.

Zuerst versuchte er, dagegen etwas zu unternehmen. Aber es war natürlich nicht möglich. Sein Jahrgang, der Jahrgang 1911, war dran. So fügte er sich schließlich in sein Schicksal, wobei das Unbekannte eines neuen Lebensabschnitts ihn durchaus auch reizte.

Die Sammelstelle war in der Deutschlandhalle. Um 10 Uhr sollte er sich dort einfinden. Alles war für seinen Abschied vorbereitet.

Mach dir keine Sorgen, sagte ich zu meiner Frau, das Ganze wird doch nur eine ausgedehnte Herrenpartie. Der Führer wird schon wissen, warum er uns holt. Ihr war jedoch nicht zum Scherzen zumute.

Sieh mal, sagte ich, was ist schon alles geschehen, seit wir den Führer haben. Ein Ereignis folgt dem anderen.

Schon ein halbes Jahr nach seinem Machtantritt gab es Arbeit für alle. Dann folgte im März 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Dann zogen deutsche Truppen ins Rheinland ein. Das Saarland wurde zurückgewonnen. Österreich wurde eingegliedert. Die Sudetendeutschen bekamen ihre langersehnte Freiheit. Hast du den Jubel vergessen?

Und Böhmen und Mähren, warf meine Frau ein, haben die auch gejubelt? Und die Polen und die Franzosen, haben die auch gejubelt?

Nein, sagte ich. da haben wir gejubelt. Die sind wie von einem Blitz getroffen worden. Da staunte sie. Der Führer lässt sich keinen Krieg aufzwingen. Er schlägt vorher zu. Und das mit gutem Erfolg.

Polen wollte Deutschland bestimmt nicht angreifen, sagte meine Frau und machte ein toternstes Gesicht. Sie war fest davon überzeugt.

Wenn du die Lage zurückverfolgst, versuchte ich sie aufzuklären, musst du doch zugeben, dass Polen sich den Wünschen Deutschlands widersetzt hat. Dem Führer lag das Wohl der Bürger Danzigs am Herzen und er verlangte einen Korridor durch Polen. Aber das hat Polen ihm verweigert.

Stattdessen nahm Polen von Frankreich eine Rüstungsanleihe. Obwohl seit 1934 ein Wirtschaftsabkommen und ein Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen bestanden hat. Ja, als Pilsudski noch Staatschef in Polen war, kam es zwischen beiden Völkern zur Verständigung. Bei seinem Nachfolger Ryds Smigly kam es jedoch immer wieder zu Spannungen. Es waren nicht nur die deutschen Minderheiten allein, die diese Spannungen auslösten, viele Probleme bedurften einer Regelung. Zuletzt wurden unsere Landsleute in Polen wegen ihres Bekenntnisses zum Deutschtum verfolgt.

 

Da befahl der Führer am 1. September 1939: Ab 3.30 Uhr wird zurückgeschossen. Die Polen wollten es ja nicht anders haben.

Mit Frankreich war es dasselbe. Es hat uns provoziert! Dabei bekamen die Engländer in Dünkirchen ebenfalls eins aufs Haupt, weil sie glaubten, sie müssten sich einmischen.

Was kann uns denn schon passieren?

Aber war es denn nötig gewesen, mit Frankreich Krieg zu führen? wandte meine Frau ein. Unter fadenscheinigen Beschuldigungen zettelte der Führer einen Krieg mit Frankreich an und zwang es zur Kapitulation. Wäre es nicht besser gewesen, mit ihm in Frieden zu leben? Das wird Frankreich Deutschland nie vergessen.

Der Krieg ist zu unseren Gunsten entschieden. Viel kann da nicht mehr kommen. Ich nahm meine Frau bei den Schultern, blickte sie an und sagte: Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben. Schau, was hat man uns nach dem Weltkrieg alles angetan. Wir wurden geknechtet. Der Führer hat uns wieder befreit. Er zerschlug eine Fessel nach der anderen. Wir leben in einer großen Zeit.

Was hast du nur für einen festen Glauben, sagte meine Frau. Ich wünsche, du behältst recht.

Du wirst sehen, in vier Wochen bin ich wieder hier, sagte ich voller Überzeugung zu ihr.

Soweit die Einstellung meines Vaters zur Einberufung. Sein Weltbild spiegelt eindeutig die von den Nationalsozialisten vertretene Einstellung wieder. Eine Mehrheit der Deutschen empfand damals die Ergebnisse des Versailler Vertrages als Schande für die Deutschen. Dazu gehörte die Entmilitarisierung des Rheinlandes und die Abtretung des Saarlandes an Frankreich, sowie großer Gebiete im Osten an Polen, den sogenannten „Korridor“, der Ostpreußen und die deutschsprachige Freie Stadt Danzig von Ostpreußen trennte. Die Auflösung der Reichswehr bis auf 100000 Mann ohne schwere Artillerie, Panzer und Flugzeuge wurde als schwerer Schlag gegen den Nationalstolz angesehen.

Hitlers ganzes Taktieren zielte nun darauf ab, den Versailler Vertrag nach und nach auszuhöhlen.

Als er 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verkündete und 1936 in das entmilitarisierte Rheinland einmarschierte, mit der Begründung, die Grenze zu Frankreich besser zu schützen, hätten die alliierten Siegermächte auf seine Anti-Versailles Politik sofort militärisch reagieren müssen. Da nichts dergleichen geschah, verhalf ihm das „Rheinland- Abenteuer“ bei den deutschnational denkenden Kreisen zu Ansehen. Dazu kam, dass es mit dem Ausbau des Autobahnnetzes und der Vergrößerung des Heeres zu einem Aufschwung der Wirtschaft, ja zu einem regelrechten Wirtschaftswunder kam. Die Zahl der Arbeitslosen ging bis 1936 so rapide zurück, das damit auch jegliche Opposition gegen seine Politik zunichte gemacht wurde.

In der Folgezeit bediente er sich des erstarkten Heeres, um die Versailler Verträge Stück für Stück zu annullieren und seine Annexionswünsche durchzuführen. Der sogenannte „Anschluss“ Österreichs im März 1938 war im Grunde ein Putsch der österreichischen NSDAP. Großbritannien und Frankreich beließen es bei Protesten. Diese Tatenlosigkeit bestärkte Hitler in der Überzeugung, dass er gefahrlos mit seiner Offensive gegen die Tschechoslowakei beginnen konnte. NS-Gruppen unter den Sudetendeutschen wurden angewiesen, Sezessionsforderungen zu erheben.

Während der „Sudetenkrise“ drohte ein Krieg. Briten und Franzosen war sehr wohl bewusst, dass Ehre und Klugheit verlangten, die Zerschlagung der Tschechoslowakei zu verhindern. Doch sie konnten sich noch nicht zu dem Entschluss durchringen, ihren diplomatischen Protesten durch die Androhung von Gewalt Nachdruck zu verleihen. Hitler sah das als Feigheit an und sorgte dafür, dass die prodeutsche Separatistenpartei in der slowakischen Hälfte der Tschechoslowakei am 11. März 1939 ihre Loslösung von der Tschechei erklärte und das Deutsche Reich bat, die Rolle der Schutzmacht zu übernehmen. Am 15. März marschierten daraufhin deutsche Truppen in Prag ein.

Nun versuchte Hitler, Polen einzuschüchtern, zu dem das größte Stück des Gebietes gehörte, das vor 1918 deutsch gewesen war. Vor allem ging es ihm um den „Korridor“, der Ostpreußen und die deutschsprachige Freie Stadt Danzig vom Kerngebiet des Reiches trennte.

Als Vorwand zum Angriff auf Polen inszenierte die eigene SS einen Überfall polnischer Truppen auf die schlesische Grenzstadt Gleiwitz. Daraufhin fiel Hitler ohne Kriegserklärung in Polen ein. Am Abend des 1. September existierte die polnische Luftwaffe praktisch nicht mehr und bereits am 6. Oktober war in Polen jeglicher Widerstand zusammengebrochen.

Nun wandte sich Hitler mit seinen siegreichen Truppen westwärts, um sich für einen Feldzug gegen Briten und Franzosen bereitzumachen, mit denen er sich seit dem Ende des Ultimatums, das ihm die Verbündeten Polens bereits am 3. September gestellt hatten, im Kriegszustand befand.

Der tatsächliche Blitzkrieg gegen das unvorbereitete Frankreich dauerte nur vom 10. Mai bis zum 25. Juni 1940. Paris und Nordfrankreich wurden deutsches Besatzungsgebiet und 2 Millionen Franzosen gingen für unbestimmte Zeit in deutsche Gefangenschaft.

Die Schlacht um England sollte erst noch beginnen. Nachdem Großbritannien seine Truppen vom 26. Mai bis 4. Juni 1940 mit geringen Verlusten aus Dünkirchen wieder abgezogen hatte, entbrannte die Luftschlacht um England, die sich vom 10. Juli bis zum 30. Oktober hinzog und in der Schlacht um London vom 7. – 30. September kulminierte, ohne das es den deutschen Truppen möglich war, über den Kanal überzusetzen.

An der Deutschlandhalle wurden die Männer, die alle in meinem Alter waren, von ihren Frauen verabschiedet. Alle hatten einen Pappkarton bei sich. Die Männer waren zuversichtlich, wie ich.

Ein Wehrmachtsangehöriger ließ die Männer in 3 Reihen antreten, während die Frauen auf dem Bürgersteig standen und sie beobachteten. Dann begleiteten sie ihre Männer noch bis an die Tür. Nun erfolgte die Einteilung zu den verschiedenen Waffengattungen. Ich hatte das Glück und kam zur Artillerie, wenigstens nicht zur Infanterie.

Ein Wachtmeister und ein Unteroffizier wurden den zukünftigen Artilleristen als Unterführer zugeteilt und auf das Kommando: Rechts um, ohne Tritt marsch! ging es hinaus aus der Halle. Die Frauen liefen neben ihren Männern her, während sie zum Bahnhof Grunewald marschierten.

Von hier aus sollte es nach Frankfurt gehen. Kurz vor dem Bahnhof Grunewald ließ der Offizier nochmals halten, damit sich alle von ihren Frauen verabschieden konnten. Dann hieß es: Fertigmachen zum Abmarsch! Nun waren wir nicht mehr frei. Wir hatten zu gehorchen.

2. Grundausbildung in der Bülow Kaserne in Frankfurt

Der Dienst begann in der Früh um 6 Uhr und endete abends um 10 Uhr. Ein lauter Pfiff aus der Trillerpfeife des UvD (Unteroffizier vom Dienst) ließ uns frühmorgens sofort alle Müdigkeit vergessen. Wir fuhren hoch, wie von der Tarantel gestochen. Was dann kam, haben wir nicht im Entferntesten geahnt.

Alles ging ja so schnell und eine Tätigkeit folgte der anderen. So schnell hatte ich mich noch nie angezogen und gewaschen und rasiert und gefrühstückt.

Ehe wir uns versahen, hatten wir auch das Revier gereinigt und standen in Reih und Glied auf dem Appel Platz angetreten.

Der Hauptwachtmeister sprach einige Worte und gab den Dienst bekannt. Er holte sein dickes Buch heraus, denn da stand alles drin. Der dienstälteste Wachtmeister rückte mit uns ab. Es ging zum Geschützschuppen zum Geschützexerzieren, so wie alle Tage. Hinter dem Geschützschuppen jagte er uns manchmal über das Gelände.

Die eigentlichen Schleifer aber waren die untergeordneten Dienstgrade. Wir mussten antreten und wegtreten und laufen und uns hinlegen und wieder aufstehen und wieder laufen und antreten. Allmählich kamen wir ins Schwitzen, obwohl es Dezember war und die Temperatur einige Grade unter null lag. Wenn uns unsere Frauen gesehen hätten, die würden sagen: Siehst Du, ich hab‘s ja gleich gesagt. Nimm die Sache nicht auf die leichte Schulter.

Und wie uns die Ausbilder kritisierten: Wenn ich volle Deckung sage, dann legt sich alles blitzschnell hin. Ihr legt euch ja hin, als wenn ihr abends ins Bett geht. Lasst es euch mal von eurer Großmutter erklären, was Hinlegen heißt. Die kann es euch erklären.

Er rief einem zu, der sich nach einem trockenen Plätzchen umsah: Immer rinn in die Suppe! Sonst ist der Krieg ja vorbei, noch ehe sie richtig liegen. Wir grinsten über so viel Spott.

Ein Pfiff und wir standen wie angewurzelt da. Dieses Aufstehen galt aber nur einer kleinen Belehrung. Wenn ich marsch, marsch befehle, so unser Ausbilder, will ich nichts als Stiefelabsätze sehen. Verstanden? Wir riefen: Jawohl, Herr Wachtmeister.

Immer wieder jagte er uns über das Gelände. Immer wieder rief er: Volle Deckung!

Nach einer Weile ließ er uns antreten und wir durften marschieren.

Der Herr Oberwachtmeister übernahm wieder das Kommando. Ein Lied! befahl er.

Westerwald, rief jemand und wir stimmten an. Von einem Gesang konnte keine Rede sein, deshalb rief der Oberwachtmeister: Lauter singen!

Er marschierte mit uns kreuz und quer durch das Gelände, bis doch noch ein Gesang daraus wurde.

Wir waren munter wie nie zuvor und durchtrainiert. Alle Müdigkeit war weggeblasen, nun konnte der weitere Dienst folgen. So ging das fast alle Tage. Allmählich gewöhnten wir uns daran.

Heute folgte nach diesem Fußdienst ein Unterricht. Wir saßen im Unterrichtsraum wie in einem Kino, hintereinander und nebeneinander.

Ein anderer Wachtmeister stand nun am Rednerpult. Soldaten! Warum wir uns jetzt hier versammelt haben, soll euch bald klar werden. Ihr müsst nicht nur auf dem Kasernenhof und an den Geschützen ausgebildet werden, sondern genauso wichtig wie der praktische Dienst ist auch der theoretische Unterricht.

Ihr müsst ja die Rangabzeichen, die Waffengattungen und überhaupt den gesamten Aufbau der deutschen Wehrmacht kennenlernen. Ihr müsst wissen, welches die Aufgaben einer Gruppe sind, und welches die Aufgabe einer Armee ist.

Ihr müsst wissen, was alles zur Artillerie gehört. Wie sich eine Batterie im Gelände bewegt. Welches die Aufgabe der Kanoniere ist, und welches die Aufgabe der Fernsprecher und der Fahrer ist.

Wie ihr seht, ist das Wissen enorm, das ihr euch aneignen müsst. Hier heißt es aufpassen, seinen Kopf anstrengen und bei der Sache sein. Schlafmützen können wir nicht gebrauchen.

In den ersten sechs Wochen gibt es keinen Ausgang, weil ihr euch noch nicht als Soldaten benehmen könnt. Ihr würdet die deutsche Wehrmacht lächerlich machen. Jeder, der sich eines Vergehens schuldig macht, kann nicht nur, er muss sogar von einem Vorgesetzten verhaftet werden, der ihn dann sofort abführt, zur Kaserne bringt und eine Aburteilung beantragt. Das Überschreiten der Ausgehzeit wird ebenfalls mit Arrest bestraft.

In diesem Sinne sprach der Wachtmeister noch eine ganze Weile. Uns brummte schon der Kopf, vor lauter Belehrungen und Zurechtweisungen. Hier war es vorbei mit der Freiheit, hier herrschte der militärische Drill und der Zwang.

Wenn wir auch vorher dachten: Na, zu uns sollen sie erst mal kommen, wir sind doch keine neunzehn mehr. Nun wurde es uns erst bewusst, was es heißt, Soldat zu sein.

Der Wachtmeister sah nun auf die Uhr und sagte: Alles Aufstehen! Zum Mittagessen weggetreten! Wir gingen zunächst auf unsere Stuben und holten unser Essbesteck. Bald darauf tönte im Flur die Trillerpfeife des UvD. Alles stürmte hinaus auf den Korridor und es erfolgte ein zwangloses Antreten. Rechts um, ohne Tritt marsch! Kommandierte der UvD.

Es gab Kartoffeln, Soße, Gemüse und ein Stück Fleisch von einem Schweinebraten. Gut, dachte ich, damit kann man zufrieden sein.

Hier in der Kantine konnte man sich auch ein Glas Bier oder einen Sprudel kaufen. Es gab aber auch Rauchwaren, Kekse, Bonbons, Schokolade und noch vieles mehr.

Nach dem Essen ging jeder auf die Stube und legte sich auf sein Bett. Es war Mittagsruhe bis 13.30 Uhr. Wir hatten nun Gelegenheit miteinander zu sprechen.

Übereinstimmend stellten wir fest, dass es doch ein wenig anders war, als wir es uns vorgestellt hatten. Nicht ärgern, nur wundern, sagte ich. Alles hat seinen Anfang und sein Ende. Ich glaube, wir können uns noch auf allerhand gefasst machen, erwiderte darauf mein Nachbar. Er rauchte gemütlich eine Zigarette, was ich auch tat.

 

Ob wir alt sind oder jung, mischte sich ein anderer in unser Gespräch ein, wir sind alle auf Gnade oder Ungnade unseren Ausbildern ausgeliefert.

Alle anderen pflichteten ihm bei. Was die sagen, muss gemacht werden. Ob es uns nun passt oder nicht.

Na ja, dies ist nur der Anfang, mit der Zeit gewöhnt man sich dran. Ich sagte das nur so vor mich hin, aber mein Kamerad über mir hörte es doch und fühlte sich beleidigt.

An Ungerechtigkeiten werde ich mich nie gewöhnen, sagte er in einem sehr lauten Ton.

Warum ungerecht, fragte ihn ein anderer. Du brauchst doch nur zu denken, das ist gerecht. Gerechtigkeit beim Barras, das ich nicht lache.

Ihr müsst die Sache von der sportlichen Seite sehen, sagte ich und wollte ihn beruhigen, dann ist es halb so schwer. Na klar, sagte nun einer aus der Ecke. Du kannst doch nicht gegen den Strom schwimmen. Alles horchte nun gespannt. Mit dir machen sie doch, was sie wollen, oder denkst du, du kannst Widerstand leisten? Bist ein Querulant! rief darauf einer.

Die Diskussion endete erst, als der UvD zum Antreten heraus pfiff.

Nun standen wir wieder auf dem Appelplatz. Nun war der Spieß gekommen und er nahm die Meldung vom diensthabenden Wachtmeister entgegen.

Danke! sagte der Spieß, nicht bevor er den Männern ins Gesicht sah. Er musterte sie alle, sein Blick wanderte von einem zum anderen. Erst dann sagte er: Rührt euch!

Erst jetzt nahm er sein Buch heraus, das bisher in seiner Feldbluse zwischen dem ersten und dem dritten Knopf steckte. Er schlug es auf. Es war seine Gedächtnisstütze.

Alles, was er uns mitzuteilen hatte, stand in diesem Buch. Nicht nur der gesamte Dienstplan, sondern auch Beschwerden, Wünsche, Anregungen.

Ob der Kanonier Meyer mit ungeputzten Stiefeln aufgefallen war, oder ob ein anderer mit dem Gewehr antraben musste. Jede Rüge oder jede Belobigung wurde hier vor versammelter Mannschaft bekanntgegeben. Erst dann strich der Spieß den Vorfall selbst.

Der ganze Ersatz, sagte der Spieß jetzt, als er mit der Durchgabe seiner Meldungen fertig war, Geschützdienst! Aufteilen in Züge und Gruppen, so dass jeder Ausbilder fünf Mann hat.

Oberwachtmeister Wohlert, rücken sie ab!

Der Oberwachtmeister ließ die Unterführer an dem rechten Flügel eintreten und rückte mit uns ab, zum Geschützschuppen.

Erst jetzt bildete er zwei Züge und ließ die vier Geschütze herausziehen. Nun standen wir vor ihnen, mit denen wir uns jetzt beschäftigen sollten. Sofort wurden vier Geschützbedienungen gebildet und die Geschützführer erklärten den Männern die Tätigkeiten der einzelnen Kanoniere. Die Geschütze wurden feuerbereit gemacht und wieder fertig gemacht zum Abmarsch. Immer wieder erklärten es die Geschützführer und ließen es von den Umstehenden wiederholen.

Noch war alles für uns ein wenig unbekannt und geheimnisvoll, aber bald werden wir es auch beherrschen, so wie es unsere Vorgänger auch beherrscht haben.

Die Wachtmeister ergriffen zuweilen das Wort und alles horchte gespannt auf ihre Ausführungen.

Das hier, diese vier Geschütze, sind eine Batterie, so begann der Wachtmeister seine Ausführungen. Es sind leichte Feldhaubitzen und sie haben ein Kaliber von 10,5 cm.

Zu jedem Geschütz gehört eine Protze, an die das Geschütz gehängt wird. Das ganze wird dann von Pferden gezogen, wie ihr wohl schon gemerkt habt. Zu jedem Geschütz gehören vier Pferde. Alles bis hierher verstanden? Jawohl! riefen wir von allen Seiten.

Über weite Entfernungen werden die Geschütze von Pferden gezogen, in der Feuerstellung bewegen sie die Kanoniere selbst. Auch das leuchtete uns ein.

Wie ihr seht, ruht das Geschütz auf zwei Rädern, es wird von fünf Mann bedient. Jeder Kanonier hat seine bestimmte Tätigkeit, die er aus dem FF beherrschen muss.

Er teilte nun fünf Ausbilder ein, die die Funktion der fünf Kanoniere einnahmen. Dann erklärte er die Funktion jedes einzelnen.

Zuerst wird das Geschütz von der Protze abgehoben. Die Fahrer verschwinden mit den Pferden an einen sicheren Ort, eben in die Protzenstellung.

Wir sahen gespannt zu und machten uns unsere Gedanken.

Die Geschützbedienung entriegelt die Holme, spreizt sie und setzt die Erdsporne ein. Dann wird das Geschütz waagerecht gestellt und ins Ziel gebracht.

Das zweite Geschütz ist das Grundgeschütz, es wird auf den Grundrichtungspunkt eingerichtet. Die anderen drei Geschütze werden mit diesem parallel gestellt.

Wieder fragte der Wachtmeister, ob das alles klar ist.

Wir beantworteten seine Frage mit: Jawohl, Herr Wachtmeister!

Er sah uns der Reihe nach an, als ob er sich davon überzeugen wollte, dass wir das auch wirklich verstanden hatten.

Nun kommt die Technik! Der K I, der Richtkanonier hat eine wichtige Aufgabe. Von ihm hängt es ab, ob der Schuss ins Ziel geht oder daneben. Geschossen wird nach der Karte mit einem großen Maßstab 1:100 000. Warum? Weil auf dieser Karte alle Symbole eingezeichnet sind.

Der Beobachter, ein Offizier oder ein Wachtmeister, es kann aber auch ein anderer sein, Hauptsache er ist zum Schießenden ausgebildet, schaut durch das Scherenfernrohr und erkundet das Gelände. Zuerst zeichnet er seinen eigenen Standpunkt ein, dann den Standpunkt der Batterie und dann den Teil der Front, den er mit Artilleriefeuer belegen will.

Er errechnet das Kommando, das er jetzt den Fernsprechern zuruft. Der Fernsprecher gibt es an die Feuerstellung durch, das die Richtkanoniere an den Geschützen einstellen.

Wieder fragte er, ob das bis dahin alles klar ist. Nun antworteten wir nur zögernd, jawohl!

Es kommt schon noch, fuhr der Wachtmeister fort. Man kann das alles nicht an einem Tag lernen, sonst könnte man euch ja schon sofort an die Front schicken.

Auf welche Entfernungen denn geschossen wird, wollte jemand wissen. Der Wachtmeister erklärte auch das.

Es kommt immer darauf an, welche Ziele wir bekämpfen, sagte er. Sind es Punktziele oder belegen wir einen Abschnitt mit Sperr- oder Störungsfeuer. Ob wir einen eigenen Angriff vorbereiten, oder ob wir einen Angriff des Feindes stoppen wollen. Ihr seht, es gibt viele Möglichkeiten. Dann kommt es immer auf das Gelände an.

Wir müssen uns so aufstellen, dass wir vom Feind nicht gesehen werden. Wir dürfen dem Feind kein Ziel bieten, sonst belegt er uns mit Artilleriefeuer.

Was machen wir dann? fragte der Wachtmeister, und sah uns fragend an. Wir machen Stellungswechsel, sagte einer und er lag damit gerade richtig.

Jawohl, sagte der Wachtmeister. Wir suchen uns eine günstigere Stellung und dann fängt alles wieder von vorn an. Aufstellen der Geschütze, einrichten und die Kommandos ausrechnen. Ebenso wie wir, hat auch der Feind seine Beobachter im Gelände.

Schießen können wir auf verschiedene Entfernungen. Je größer die Entfernung, desto unwahrscheinlicher ist die Treffsicherheit.

Zuerst müssen wir so nahe wie möglich an die Front heran. Die Entfernung wird dann von selbst größer, wenn wir den Feind schlagen. Es kann aber auch mal umgekehrt sein, dass er uns schlägt. Dann heißt es schleunigst ausweichen. Wir versuchen dann den Feind von der einen oder anderen Seite zu bekämpfen.

Unsere Geschütze schießen sowohl in der mittleren als auch in der oberen Winkelgruppe.

Das heißt: Je tiefer wir das Rohr stellen, desto kürzer ist die Entfernung und je höher wir das Rohr stellen, desto weiter ist die Entfernung, desto weiter geht der Schuss. Die Entfernung kann bis zu einem und zehn Kilometer sein. Es kann aber auch im direkten Beschuss Verwendung finden. Ihr seht, unsere Geschütze sind vielseitig.

Wenn plötzlich feindliche Panzer in der Feuerstellung auftauchen, dann heißt es: Jetzt oder nie! Dann kommt es ganz besonders auf die Geistesgegenwart der Kanoniere an, auf die Schnelligkeit und auf die absolute Beherrschung der Tätigkeiten eines jeden Mannes.

Die Ausbilder übernehmen jetzt ihre Gruppen, befahl der Spieß. Nun bekamen wir die Geschütze das erste Mal richtig erklärt. Erst bei Einbruch der Dunkelheit beendeten die Wachtmeister den Dienst.

Wir wurden nun auf die Stuben entlassen. Nach dem Essen sollte uns der Stubenälteste Unterricht über den Karabiner erteilen. Wir saßen alle um den Tisch herum und hatten das Gewehr vor uns.

Der Herr Oberkanonier ließ uns zuerst alle das Schloss herausnehmen. Das war gar nicht so einfach. Man musste den Trick zuerst einmal kennen. Dann übten wir das Laden und Sichern mit Übungsmunition. Es war ein Hantieren und Poltern und Klappern, denn jeder wollte es so schnell und so gründlich lernen, wie nur möglich.

Welche Teile könnt ihr am Gewehr erkennen? fragte nun der Oberkanonier. Wir hielten inne und sahen uns fragend an. Na, aus wie vielen Hauptteilen besteht das Gewehr? Nun reden sie doch schon, drängte der Stubenälteste einen Mann von uns, der schon etwas über das Gewehr wusste.

Sie wollen wissen, in wie viele Teile das Gewehr zerfällt, fragte er lächelnd. Es kommt darauf an, wie man es hinschmeißt. Wir brachen in schallendes Gelächter aus. Der Oberkanonier war der alleinige Blamierte.

Sehr witzig! sagte er. Den Mann will ich mir merken. Wie heißen Sie? Kanonier Wittig, Herr Oberkanonier. Sie heißen ab heute Witzig! Verstanden? Jawohl Herr Oberkanonier, antwortete der Kamerad Wittig.

Also Spaß beiseite! sagte der Oberkanonier. Nennen Sie die Hauptteile. Kamerad Wittig schüttelte die Antwort nur so aus dem Ärmel, wir konnten gar nicht folgen. So geht das natürlich nicht, schaltete sich der Oberkanonier ein. Er begann nun selbst das Gewehr zu erklären.