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Buch lesen: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.»

von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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I

 
Ich sprach zur Taube: »Flieg' und bring im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel –« –
Die Taube sprach: »Es ist zu weit.«
 
E. Geibel nach François Coppée.

Bravo! Bravo! Da capo!

Ein wahrhaft frenetischer Applaus rauschte und brauste durch die weiten Räume des Opernhauses zu X. und übertäubte fast die wilden, diabolischen Klänge des Orchesters, das eine seltsame, originelle Weise spielte.

Es war die erste Aufführung der neuen Oper eines unbekannten und ungenannten Komponisten, eine phantastische Oper, »Satanella« genannt, deren Libretto dem Publikum eine jener rätselhaften »Teufelinnen« der alten Zeiten vor Augen führte, die aus ihrem unterirdischen Reich heraufgekommen war, um durch ihre Schönheit einen »minnigen Sänger« zu bestricken und in den Tod zu treiben. Von dem wütenden Volke aufgegriffen, wird sie als Hexe zum Scheiterhaufen geschleppt und an den Pfahl gebunden. Unter den Klängen eines prachtvollen Chores wird der Holzstoß entzündet, und Rauch und Flammen steigen empor, die Teufelin zu vertilgen von der Erde. Da plötzlich teilten sich die Flammen, Satanella schüttelt lachend die Fesseln von ihren Händen, das graue Büßer- und Sterbehemd fällt von ihren Schultern, und sie selbst steht in Höllenpracht gekleidet vor dem entsetzten Volk. In wilden Dithyramben singt sie ihr bestrickendes Zauberlied, und mit dem jauchzenden Schluß: »Lebt wohl, ich kehre zurück zu euch, so lang die Schönheit Siege feiern wird, so lange Männerherzen sich noch bethören und betrügen lassen –« sinkt Satanella hinab in die sie verschlingende Erde.

Diesem Schlusse jauchzte das Publikum zu und konnte sich nicht satt hören an der mächtigen, süßen und metallreichen Stimme der fremden Sängerin, welche eigens gekommen war, um die »Satanella« zu singen, und konnte sich nicht satt sehen an dem wunderbar malerischen Schlußtableau mit dem brennenden Scheiterhaufen, den mittelalterlichen Mauern der Stadt mit ihren Türmen und Erkern, dem entsetzt zusammengedrängten Volke und der Gestalt der Satanella auf dem Holzstoße.

Und sie war in der That wunderbar schön, diese fremde Primadonna, Señora Dolores Falconieros – eine schlanke, geschmeidige Gestalt mit dem leuchtenden Rothaar Tizians, das in üppigen Wellen herabfiel auf das scharlachrote, seidene Gewand, das sie umschloß. Und in dem blutlosen und doch lebensfrischen Antlitz brannten große, strahlende, sammetschwarze Augen, deren Glanz noch gehoben wurde durch die sich über der feinen römischen Nase schließenden dunklen Brauen, durch die langen, seidenartigen Wimpern.

Und wie sie dort stand auf der Bühne inmitten des rotglühenden Feuers, im roten Gewand und roten Haar, in dem ein zweigezacktes Brillantdiadem blitzte und funkelte, mit der wunderbar bestrickenden Stimme ihr in seltsamem Rhythmus sich bewegendes Teufelinnenlied singend und dazu ein flammensprühendes Scepter schwingend, dessen Feuerregen bis ins Parkett hinabflog, da bot sie ein Bild, das mit leichtbegreiflicher, dämonischer Macht das herbeigeströmte Auditorium zu jenem frenetischen Beifall entfachte, welches immer wieder und wieder die »Satanella« veranlaßte, aus den Tiefen der Hölle, den Versenkungen, hinaufzusteigen, und mit dankendem Lächeln grüßend ihr verkohlendes Scepter zu schwingen.

Das Schicksal der neuen Oper war entschieden. Der berühmte blonde Tenorist als »minniger Sängerheld« und die durch den Intendanten entdeckte und sofort berühmt gewordene Fremde hatten der herrlichen Musik den Odem des Lebens eingehaucht und die Weihe erteilt, hinauszuziehen in alle Welt.

Etwa eine Stunde später hatte sich ein kleiner, aber gewählter Kreis in dem künstlerisch ausgestatteten Salon des Direktors der Akademie der Künste, Professor Balthasar, zusammengefunden. Der Hausherr, ein über die Grenzen Europas hinaus bekannter geistvoller Maler in der Blüte seiner Jahre, liebte es, nach dem Theater einen Kreis um sich zu versammeln, in welchem er und seine liebenswürdige Gattin die Honneurs machten und für leibliche und geistige Unterhaltung ihrer Gäste aufs Trefflichste sorgten.

Um den runden Tisch, dessen silbernes Theegerät von Frau Balthasar lautlos und gewandt gehandhabt wurde, saßen etwa sechs bis acht Personen mit Einschluß des Hausherrn und der Hausfrau. Da war der hochberühmte, geniale Historienmaler Richard Keppler, der feinsinnige Dichter N., die berühmte Schauspielerin Luise R., der Legationsrat Freiherr von Falkner. Ein Platz war noch leer – er harrte eines verspäteten Gastes.

»Mir summt die Melodie des Teufelinnenliedes noch im Kopf – ich kann sie nicht loswerden,« meinte Professor Balthasar.

»Das macht der dämonische Einfluß dieser Musik – es ist ein rechtes, echtes Teufelswerk,« rief die Schauspielerin.

»Ja, aber das Werk eines genialen Teufels,« entgegnete Keppler.

»Das ist das rechte Wort dafür,« sagte der Legationsrat, eine hohe, gebietende Erscheinung mit dunklem Auge und Haar und gleichem vollen Bart, »die ›Satanella‹ ist ein Werk, das aus jedem Takte einen Born von Genialität sprudeln läßt, aber eine Genialität, die ich herzlos nennen möchte, weil sie nicht das Herz, sondern nur den Geist berührt und anregt. Der Komponist ist ein Genie, das ist über jeden Zweifel erhaben, aber er ist kein Genie von Gottes Gnaden, sondern von denen Lucifers.«

»Und versteht doch so warme Herzenstöne anzuschlagen,« nahm sich Frau Balthasar des unbekannten Meisters an, »ich erinnere Sie nur an das süße Liebeslied des Troubadours im zweiten Akt.«

»O ja, es schmeichelt sich dem Gehör ein, aber nicht dem Herzen,« erwiderte Falkner kühl, »es bezaubert, aber es ergreift nicht.«

»Nun, dann erkläre ich mich befriedigt mit dem Zauber, den das Liebeslied enthält,« rief Keppler, »warum sollen wir armen Sterblichen uns nicht einmal bezaubern lassen? Wir können nur von Glück sagen, wenn dabei unser Herz nicht Schaden leidet.«

»Sie mögen recht haben, Keppler,« sagte der Legationsrat ruhig, »die Individualität eines jeden ist ja so verschieden. Für mich ist die Musik keine Musik, wenn sie nur blendet und berauscht. So erkläre ich offen, auf die Gefahr hin, für einen Vandalen gehalten zu werden, daß für mich die Mehrzahl der antiken Statuen nichts sind, als alte Marmorblöcke, deren blöde Augen uns Epigonen recht dumm anstarren, und daß das schönste Antlitz, aus dem kein Herz spricht, mich entsetzlich gleichgültig läßt. So die Musik der ›Satanella‹. Ich bewundere den elektrischen Strom der Genialität, der durch ihre Takte pulsiert, aber ich liebe sie nicht, weil nicht ein warmer, menschlicher Herzschlag sie durchzittert.«

Während der Legationsrat sprach, hatte sich die eine der Portieren geteilt und in ihrem Faltenrahmen erschien, nur von Frau Balthasar bemerkt, eine dunkle Frauengestalt mit rotem Tizianhaar – Dolores Falconieros. Sie legte lächelnd den Finger auf die Lippen zum Zeichen, daß sie noch unbemerkt bleiben wollte, und so stand sie noch als Professor Balthasar entgegnete:

»Nun wohl, aber was der Musik fehlt, das gaben ihr die Darsteller!«

»Wie wunderbar schön sang unser Heldentenor den Minnesänger, wie seelenvoll,« rief die Schauspielerin.

»Und wie herrlich war die Falconieros in der Titelrolle,« setzte Keppler hinzu, »es war eine unvergleichliche Leistung.«

»Gewiß, unvergleichlich in der Darstellung der grausamsten Herzlosigkeit,« sagte Falkner spöttisch, »mir war's, als spielte diese Satanella ihr eigenstes Selbst – nicht einen warmen Herzenston vermag diese Fremde anzuschlagen, eben weil sie es nicht kann, weil auch sie nur ganz Genie ist. Ich mag diese herzlosen Frauen nicht.«

»Aber die Falconieros –« begann der bis dahin nur zuhörende Dichter –

»Die Falconieros, wie sie sich mit ihrem nom de guerre nennt, könnte die ›Satanella‹ komponiert und gedichtet haben,« vollendete Falkner kurz und kühl.

Frau Marianne Balthasar hatte dem Gespräch mit steigendem Unbehagen zugehört und schob jetzt rasch das Theegerät zur Seite.

»Ah – die Señora!« rief sie, die peinliche Scene endend und auf die noch in dem Thürrahmen stehende Sängerin zuschreitend. Die übrigen erhoben und verbeugten sich, als ihre Namen vorstellend genannt wurden, und Donna Dolores nahm auf dem leeren Sessel zwischen dem Professor und Keppler Platz – Falkner saß ihr gegenüber.

»Vor allem Pardon, daß ich so spät komme,« sagte sie mit einem reizenden Lächeln, das ihre wunderschönen Züge noch verschönte, »aber ich mußte ja erst die Garderobe wechseln –«

»Die Satanella aus- und das Gewand gewöhnlicher Sterblicher anziehen,« scherzte der Professor.

»Als ob ich diese Satansfarbe je ablegen könnte!« erwiderte sie und strich mit der schlanken weißen Hand über ihr jetzt hochaufgestecktes Haar. Dabei irrte ihr Blick über den Tisch und traf den des Legationsrates.

»Wie Sie nur so sprechen können, Señora,« sagte Keppler und betrachtete die Sängerin mit entzücktem Künstlerblick, »oder sollten Sie in der That nicht wissen, welch kostbaren Schmuck Sie auf dem Haupte tragen?«

»Mein Haar,« lachte sie. »Ach, das ist eine Künstlerlaune. Gewöhnliche Sterbliche nennen es Rot.«

»Ich wußte nicht, daß auch in Spanien unser germanisches Blond üblich ist,« bemerkte Frau Balthasar.

»O, ich bin ja zur Hälfte eine Deutsche,« erwiderte Donna Dolores mit ihrem reinen, aber doch fremdartigen Dialekt, »und ich betrachte Deutschland als meine Heimat, wenn auch die Sonne hier weniger sengend strahlt als in Brasilien.«

»O ja, bedeutend kühler,« sagte Professor Balthasar fröstelnd. »Wir Nordländer sind ein eignes Volk – uns ist nur wohl, wenn uns das Eis bis ans Herz steigt. Das südliche Feuer, das andere durchglüht, stößt uns ab, wenn es uns berührt.«

»Ja, wenn es Gift und Dolch, Vendetta und Lava sprüht,« warf Falkner ein.

Wieder traf ihn ein Blick aus den dunklen Augen der Sängerin, und wieder mußte er sich widerstrebend eingestehen, daß diese Augen außerhalb der Bühne einen ganz anderen Ausdruck hatten, einen freien, stolzen und dennoch weichen Ausdruck.

Der Thee war beendet, und der kleine Kreis erhob sich, um entweder an die bücherbeladenen Tische zu treten oder eine jener Mappen zu durchblättern, welche in großen Gestellen an der Wand standen und kostbare Skizzen und Stiche enthielten.

Donna Dolores setzte sich in ein Fauteuil und blätterte in einer dieser Mappen, indem sie lächelnd auf Keppler hörte, der sie um den Vorzug bat, sie als »Satanella« malen zu dürfen.

»Denn,« meinte er, »mir läßt's keine Ruhe, bis ich das Problem der Farbe gelöst, das Sie, Donna Falconieros, uns heut' Abend vorgezaubert haben. Diese wunderbare, köstliche Wirkung von Rot in Rot – ich hatte mir nie eine solche Kühnheit geträumt. Und, was die Hauptsache war – sie wirkte ästhetisch.«

»Meine Kühnheit ist durch Ihren Ausspruch absolviert,« entgegnete Donna Dolores, »denn offen gesagt, mir bangte fast, als ich heut' Abend in der Garderobe das scharlachrote Kleid anlegte und mein Haar auflöste. Und als dann gar die roten Flammen entzündet wurden und um mich lohten, da glaubte ich mich dem Urteil der Verdammung, der Ausschließung aus der Zunft der Künstler geliefert zu haben.«

»Es war ein herrlicher Anblick, diese letzte Scene der ›Satanella‹,« rief Keppler, »eine Scene, wie sie das Auge des Malers zu sehen sich ersehnt. Rot in Rot – Flammen und Gold – ich kann den Gedanken daran noch nicht loswerden und werde eher keine Ruhe finden, bis ich die Farben auf meiner Palette habe.«

Dolores sagte zu, dem Maler einige Sitzungen zu gewähren, und fuhr dabei fort, den Inhalt der Mappe zu durchmustern. Plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus und sah erblassend auf eine Farbenskizze, eine kleine Landschaft mit prächtigen, dunklen alten Eichen und Ulmen, zwischen denen ein altes im Karree gebautes Haus hervorsah mit Säulengängen rings herum, die vier Ecken flankiert von ebensoviel hohen, erkerbeklebten, epheuumwucherten Türmen. Auf einem derselben wehte eine grün-weiße, schachbrettartige Flagge und deutete an, daß dieses alte, graue Haus kein Kloster sei, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

Donna Dolores sah lange auf diese Skizze – ihre blassen Wangen waren noch blässer geworden und es schien, als scheute sie sich zu sprechen. Keppler sah über ihre Schulter hinweg auf das Blatt.

»Ah, das ist der Falkenhof,« sagte er. »Nicht wahr, ein malerischer Fleck Erde. Und Legationsrat von Falkner ist der glückliche Erbe desselben.«

»So –?« sagte Donna Dolores mit eigentümlichem Ausdruck, indem sie hinübersah zu dem Genannten, der mit dem Professor in eifrigem Gespräche stand. Seine rücksichtslosen Worte über sie und ihre Leistung auf der Bühne, die sie vorhin mit angehört, hatten sie nicht so tief getroffen, wie man vermuten mußte, aber sie hatten doch eine kleine Wunde hinterlassen. Von diesem Augenblicke aber, als sie hinübersah nach dem Erben des Falkenhofes, und sein Blick wiederum über sie hinwegflog, kalt, fast verächtlich, da wußte sie's, das dieser Mann dort ihr Feind sei, oder werden mußte.

»Ein kleines Eden, dieser Falkenhof,« sagte Keppler, auf das Bild deutend, »und doch wiederum der Hintergrund für einen Kampf aus der Zeit der Bilderstürmer. Balthasar hat eines seiner berühmtesten Bilder nach dieser Skizze geschaffen, die er an Ort und Stelle mit Bewilligung der jetzigen Herren aufgenommen. Bei dieser Gelegenheit machte er die Bekanntschaft Falkners.«

»Des Erben vom Falkenhofe,« wiederholte Dolores leise wie für sich.

»Ein Mann von Geist und Wissen,« fügte Keppler ebenfalls leise hinzu, »aber mitunter absprechend und kalt bis zur Rücksichtslosigkeit. Balthasar ist so ziemlich der einzige Künstler, dessen Salon er besucht –«

»Also exklusiv und hochmütig ist er demnach,« fiel Dolores dem Maler ins Wort.

»Man ist versucht, es manchmal so zu nennen,« sagte dieser achselzuckend, »Falkner liebt wohl die Kunst und erkennt das Genie rückhaltlos an, aber er mag nichts oder wenig von den Künstlern wissen.«

»Also doch Hochmut,« warf Dolores ein.

»Vielleicht, Señora. Aber er geht den Künstlern wenigstens nicht aus dem Wege, während er eine ausgesprochene Abneigung gegen –«

Keppler stockte.

»Nun?« fragte die Sängerin ruhig, »warum vollenden Sie nicht: während er eine ausgesprochene Abneigung gegen die Künstlerinnen hat.«

»Señora –« sagte der Maler halb lachend, halb verlegen.

»Warum nicht aussprechen, was der Betreffende so zur Schau trägt?« sagte sie achselzuckend, leicht, indem sie die Skizze fortlegte. Aber dabei entstieg ein tiefer Atemzug fast wie ein Seufzer ihrer Brust.

Sie erhob sich und nahm ihre Handschuhe.

»Wie, Sie wollen schon gehen, Señora?« rief der Professor und eilte auf sie zu.

»Es ist spät, und ich bin müde,« erwiderte sie freundlich. »Die Partie der heutigen Oper war anstrengend. Es ist gar nicht so leicht, eine ›Teufelin‹ zu spielen,« setzte sie lächelnd, fast schalkhaft hinzu.

»O Señora, singen Sie uns noch ein Lied, ein kleines Lied nur,« bat Frau Balthasar und geleitete Dolores zu dem offenen Flügel.

Donna Dolores zögerte einen Augenblick, dann setzte sie sich an das Instrument und ließ die Hände präludierend über die Tasten gleiten. Und sie sang ein einfaches kleines Lied, kurz wie ein Intermezzo.

 
Es hat die Rose sich beklagt,
Daß gar zu schnell ihr Duft verwehe,
Den ihr der Lenz gegeben habe.
 
 
Da hab' ich ihr zum Trost gesagt,
Daß er durch meine Lieder wehe
Und dort ein ew'ges Leben habe.
 

Und wie sang sie es! War diese süße, zauberische weiche Stimme dieselbe, die vordem das Teufelinnenlied von der Bühne herabgejauchzt? Wie eine Verheißung zog Wort und Ton durch das lautlose Gemach.

Und atemlos lauschte der kleine Kreis, als Dolores geendet hatte und leise das Nachspiel erklingen ließ. Dabei schweifte ihr Blick dahin, wo die Skizze des Falkenhofes auf der Mappe lag, und es schimmerte feucht in ihren Augen. In weichen Mollaccorden löste sie die Melodie des Liedes des Mirza Schaffy auf und ging in eine andere über –

 
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar –
 

sang sie leise wie im Traum. Herzerschütternd schwollen die Töne des schlichten Volksliedes an, und durch die einfachen Worte klang es wie ein Schluchzen –

 
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum.
 
 
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
Dir zurück, wonach du weinst;
Und die Schwalbe singt, und die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst.
 

Die süße Stimme verklang, und die Sängerin ließ die Hände herabsinken von den Tasten. Ihr gegenüber stand Alfred von Falkner, das Auge wie gebannt auf die Fremde gerichtet, die er vorhin so hart verurteilt hatte. Und das Lied –? Es stieg vor seinem geistigen Auge empor wie eine Erinnerung in verschwommenen Umrissen, als das Lied ertönte. War dieses Lied nicht einst in den Kreuzgängen des Falkenhofes erklungen von einer frischen, hellen Kinderstimme –? Er strich mit der Hand über die hohe Stirn und sann und sann – und es war ihm fast, als müsse er in den frohen Tagen seiner Jugendzeit, in den engen Grenzen der Knabenjahre die Gestalt eines Spielgefährten suchen – ja, da war's ihm, als höre er ein kurzes, helles, spöttisches Lachen –

 
Und die Schwalbe singt, und die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst –
 

sang Donna Dolores dort am Flügel die Schlußworte ihres Liedes – und versunken waren mit einem Male die abgeblaßten, vergessenen Gestalten – zerronnen in ein Nichts, aus dem sie entstanden.

»Das nenne ich Musik,« rief Balthasar nach einer Pause und trat auf die Sängerin zu, »das bebte durch die geheimsten Fibern der Seele, denn es war mit dem Herzen gesungen!«

Donna Dolores fuhr empor und richtete sich aufatmend hochauf. Dann lachte sie kurz, hell und spöttisch, daß Falkner zusammenzuckte, denn ihm kam dieses Lachen so bekannt vor – und ein dunkler Blitz aus ihren wunderschönen Augen huschte auf ihr Gegenüber.

»Mit dem Herzen?« wiederholte sie laut und deutlich, »Sie irren, Professor Ich spielte heut' in der ›Satanella‹ mein eigenstes Selbst – nicht einen warmen Herzenston vermag ich anzuschlagen, eben weil ich kein Herz habe –«

Falkner zog die Stirn in Falten, als ihm die Sängerin seine eigenen Worte wie eine Spottdrossel wiederholte – dann zuckte er mit den Schultern, verächtlich, hochmütig.

Da sprühten ihm die schwarzen Augen einen wahren Teufelinnenblick zu – es schien fast, als ginge ein rotes Feuer aus diesem Blick hervor – wieder lachte der feine, blaßrote Mund jenes seltsame, sinnverwirrende Lachen.

»Sie sind ein guter Psycholog und Physiolog, Herr von Falkner,« rief ihm Donna Dolores zu – es waren die ersten Worte, die sie an ihn richtete, »Ihr feines Gefühl hat Sie nicht betrogen – ich selbst habe die ›Satanella‹ komponiert!«

Ein allgemeines »Ah« der Überraschung erscholl, und Falkner biß sich auf die Lippen – er ärgerte sich mit einem Male über sein Urteil, er ärgerte sich, daß er recht hatte. Donna Dolores aber ließ ihre Hände wieder über die Tasten des Flügels gleiten, wild, wirbelnd erschollen die rauschenden Accorde, mit denen das Volk in der ›Satanella‹ den Holzstoß entzündet, um die Hexe zu verbrennen, die sich nun mit einem Male in das nimmer zu vertilgende, ewig lebende böse Prinzip, in den Fluch verwandelt, der auf der Welt seit ihrem Beginne ruht. Mächtig schwollen die Accorde an, und mächtig setzte die Stimme der Sängerin ein:

 
Lebt wohl, so lang der Sonne Leuchten
Verklärt des Weibes ew'ge Macht,
So lang noch Leidenschaften glühen,
So lang noch Schönheit lockend lacht,
So lang noch Männerherzen brechen
Betrogen durch ein falsches Weib,
So lang, so oftmals kehr' ich wieder,
In eurer Mitte stets ich bleib'!
Entfacht der Flamme rote Gluten,
Ihr schafft mich nicht aus dieser Welt,
Denn wo sich Männerhochmut brüstet,
Mein Scepter reiche Ernte hält.
Ich wohn' in jedes Weibes Herzen,
Ich beuge jedes Mannes Macht,
Ich bin die Schlang' des Paradieses,
Ich stifte Unheil – drum habt acht!
 

Sie schloß mit einem rauschenden Accorde, durch den es wie das Knistern von Flammen klang, und sprang dann empor.

»'s ist Zeit zur Ruhe – gute Nacht!« rief sie und war verschwunden, ehe sich's die anderen versahen.

Drunten vor der Thür stand das leichte Coupé der Sängerin, die Pferde stampften schon lange vor Ungeduld, und als Dolores eingestiegen war, entführten sie ihre leichte Last in raschem Trabe dem Hotel zu, das die »Brasilianerin« bewohnte, und wo ihre schwarze Kammerfrau und Duenna in einer Person, die herkulische alte Negerin, schon alles zur Ruhe vorbereitet hatte.

»Tereza,« sagte Dolores spanisch, als ihr die Negerin die Haare zur Nacht einflocht, »Tereza, wen meinst du wohl, habe ich heut' gesehen? Den ›Erben vom Falkenhof‹.«

»Alle Heiligen – den Alfred? Hat er dich erkannt, Herrin?«

»O nein – und ich hab' ihm auch kein Wort darum gesagt. Er ist ein schöner, großer Mann geworden, hochmütig und zurückweisend ernst.«

»Wie die ganze Falkenbrut,« murrte die alte Tereza. »Nun, laß ihn laufen. Du brauchst ihn nicht und den Alten auch nicht mit seinen klappernden Krücken.«

»Nein, ich brauche ihn nicht,« sagte Donna Dolores, »aber,« setzte sie mit zuckenden Lippen hinzu, »aber sehen möcht' ich den Falkenhof doch wieder.«

»So kaufe ihnen das alte steinerne Nest ab, Herrin!« riet Tereza.

»Das geht nicht,« erwiderte Dolores sinnend, »es ist ein Lehen –«

»Was ist das?«

»Das ist – ach Tereza, ich bin müde und möchte schlafen.«

Sie sank in die weichen Kissen und schloß die Augen.

»Der Erbe vom Falkenhof!« murmelte sie im Einschlafen.

***

Bei Professor Balthasar trennte man sich bald, nachdem Donna Dolores sich entfernt hatte.

»Es freut mich,« hatte Keppler gesagt, nachdem sie gegangen, »es freut mich, daß sie gerade die ›Satanella‹ komponiert hat, und daß sie's bekannte trotz Ihrer scharfen Äußerungen, Baron Falkner, die sie gehört haben muß.«

»Das bestätigt nur meine Worte,« erwiderte der Legationsrat, seinen Hut ergreifend.

»Nun, ich will das doch nicht so ohne weiteres zugeben,« meinte Balthasar nachdenklich, »gerade, daß sie mit ihrem Bekenntnis das gehörte harte Urteil bestätigte, beweist, daß sie es nicht zu scheuen hat.«

Falkner zuckte die Achseln.

»Hier gehen unsere Ansichten auseinander, Professor. Die Kühnheit der Falconieros blendet Sie, wie ihr Genie die Menge. Mir ist dieses laute Bekenntnis der eigenen Herzlosigkeit mehr zuwider, als ich es ausdrücken kann.«

»Halt, rechnen Sie diese kleine Teufelei der Señora nicht zu hoch an,« sagte Keppler lachend, »Sie haben sie gereizt!«

»Wie konnte ich ahnen, daß sie lauschte?« erwiderte Falkner kalt. »Überdies – es konnte ihr nicht schaden, die Wahrheit zu hören.«

»Das heißt: Ihre Ansicht, Baron,« replizierte Keppler mit Betonung. »Oder wollen Sie an Ihrer Behauptung, Donna Dolores habe kein Herz, jetzt noch festhalten, jetzt, nachdem wir sie so wunderbar ergreifend singen gehört?«

Ein beinahe feindseliger Blick aus Falkners Augen streifte den Maler.

»Sie sind selbst Künstler, Herr Keppler,« sagte er kalt, »Sie sollten doch am Ende wissen, wie man Effekt macht. Ich bedaure, wenn mein Skepticismus nicht mit Ihren Ansichten harmoniert, aber es ist mir unmöglich, an die Wahrheit der so schön vorgetragenen Gefühle einer Sängerin von Profession zu glauben.«

»Das also ist Ihr Schlagwort?« Eine feine Röte flog über das geistreiche Gesicht des Malers. »Eine Sängerin von Profession! Sie denken sich natürlich darunter nur ein Wesen, das möglichst viel Kapital aus ihrer Stimme schlägt, und wie der Schuster seinen Pechdraht, allabendlich ihre Gesangspartie abarbeitet? Ich beneide Sie nicht um diese gewonnene Erkenntnis, Baron Falkner, und freue mich, daß ich naiv genug geblieben bin, an die Heiligkeit eines wahren Künstlertums zu glauben.«

»Chacun à son gout,« erwiderte Falkner leicht, »ich bekenne, daß mir ein so starker Glaube fehlt, wenn ich auch zugestehen will, daß es in früheren Zeiten solche um der Kunst willen wirkende Künstler gegeben hat.«

»In jedem Fall ist die Grundidee der ›Satanella‹ eine tief durchdachte,« mischte sich der Professor in das Gespräch.

»Meinem Geschmacke nach zu tief durchdacht für eine so junge Dame, wie diese deutsche Brasilianerin,« unterbrach ihn Falkner nicht ohne Hohn.

»Nun, nun – einmal hat sie nur die Musik gemacht und nicht die Worte, und dann abstrahiere ich von der Person und zolle gern dem Werke die gebührende Anerkennung,« rief Balthasar lebhafter werdend.

»Und ich vermag die Person von dem Werke nicht zu trennen, da sie mit demselben durch ihren Individualismus verbunden ist.«

»O Sie Barbar,« rief Frau Balthasar, lachend zwischen die Herren tretend, deren Dialog sie allzuscharf zugespitzt fand, »wie können Sie so hart sein? Aber wir wollen Ihnen verzeihen, wenn Sie das Zugeständnis machen wollen, daß Señora Falconieros eine ungewöhnlich begabte, hervorragende Frauengestalt ist.«

Falkner verbeugte sich.

»Ich gebe das gewiß zu,« sagte er, »aber mir fehlt das Verständnis und der Geschmack für dergleichen ›ungewöhnliche und hervorragende Frauen‹, die in unseren Kreisen, gottlob, nicht üblich sind.«

Abermals eine Verbeugung, und Falkner verließ den kleinen Kreis.

»Das sind empörende Ansichten,« brach nun Frau Balthasar los. »Ich begreife nicht, wie ein Mann von der geistigen Bedeutung des Barons so engherzig sein kann.«

»Liebe Marianne, es mag sehr schwer sein, sich aus den festgeschnürten Wickelkissen gewisser Vorurteile selbst herauszuarbeiten,« entgegnete der Professor kaltblütig. »Auch wir mögen unsere Vorurteile haben, ohne daß wir es wissen, und auch wir mögen bei der Verteidigung der von uns aufgestellten Ansichten aus Eigensinn und angeborener Rechthaberei weiter gehen, als wir vordem beabsichtigten. Überdies kann kein Mensch gegen seine Antipathien.«

»Die Äußerungen Falkners gegen Dolores deuten auf mehr als auf bloße Antipathie.«

»Das ist noch kein Grund, weshalb sich die beiden nicht noch einmal fabelhaft lieben sollten,« sagte Balthasar humoristisch.

»Nonsens.«

»Was willst du? Wie sagte Julia, als sie sehr rasch die Bekanntschaft ihres Romeo gemacht?

 
So große Lieb' aus großem Haß entbrannt!
Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.
O Wunderwerk! ich fühle mich getrieben,
Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben.«
 

Frau Marianne lachte.

»Du vergissest nur, lieber Mann, daß weder Baron Falkner das Zeug dazu hat, ein Romeo zu sein, noch Donna Dolores, unsere Satanella, sich in eine schmachtende Julia verwandeln wird.«

»Weshalb nicht?« meinte Keppler, dem Paare »Gute Nacht« bietend, »die Natur spielt wunderbar, und am Ende hat jede Frau soviel von einer Julia in sich, wie jeder Mann von einem Romeo.«

Inzwischen hatte Falkner seine Wohnung erreicht, aber er konnte noch keine Ruhe finden. Er trat ans Fenster, öffnete es und ließ die kalte Nachtluft in das Zimmer strömen, denn obwohl der Winter sich seinem Ende zuneigte, und man auf den Straßen schon die ersten Frühlingsboten in Gestalt winziger Veilchen- und Schneeglöckchensträuße verkaufte, so war des Winters Herrschaft doch noch nicht gebrochen, und noch zeigte er manchmal empfindlich seine Macht.

Falkner war erregt, und daß er's war, ärgerte ihn um der Ursache willen.

»Um eine Sängerin,« murmelte er verächtlich, und doch konnte er das Bild dieser Sängerin nicht loswerden – es gaukelte ihm vor den Augen und blendete ihn.

»Ich hasse rote Haare« – sagte er sich, indem seine Phantasie die goldenen Haarmassen der Satanella in jene fuchsige Farbe tauchte, die im Verein mit wässerigen Augen und fleckigem Teint so abstoßend wirkt.

»Sie werden bei Tageslicht so aussehen,« sagte er sich »und die dunklen Brauen und Wimpern werden die Spuren der Farbe zeigen –«

Aber die Augen! Nein, die zu färben war ja ein Ding der Unmöglichkeit.

»Hüte dich vor denen, deren Haarfarbe von der der Augen absticht,« sagte er vor sich hin und mußte gleichzeitig lächeln über die ausgekramte Kinderfrauenweisheit. Und am Ende, was ging ihn die »Brasilianerin« an, die vielleicht in ihrem Privatleben den seltenen Namen Jette Müller oder Gustel Schulze führte. Der Gedanke daran machte ihn lachen.

»Donna Dolores Falconieros,« sagte er mit pathetischem Spott, »ich werde Ihnen aus dem Wege gehen. Zum Glück habe ich gar nichts mit Ihnen zu schaffen und werde es auch voraussichtlich nicht. Unsere Wege führen sehr weit auseinander.«

Mit diesem Entschlusse glaubte Alfred von Falkner die Sache erledigt zu haben. Aber da fiel ihm das Lied ein:

 
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Tönt ein Lied mir immerdar –
 

Er kannte das Lied, aber wer hatte es gesungen, wann war es gesungen worden und von wem? Er sammelte seine Erinnerungen und dachte an die längstvergangenen Kinderjahre. Wen hatte damals der Falkenhof beherbergt? Er erinnerte sich nur eines prächtigen, grünen Papageien, der ihm den Mittelfinger der rechten Hand durch und durch gebissen hatte, daß man die Narbe heute noch sah. Damals hatte ihn jemand verlacht mit hellem, lustigem Lachen und ihm gesagt: »Es geschieht dir schon recht, denn wer hieß dich, den armen Rio zu reizen!«

Er hörte plötzlich ganz deutlich die Worte wieder. Ganz recht, Rio war der Name des gelehrten Vogels, der, wie er sich deutlich erinnerte, in drei Sprachen zu schimpfen verstand und dabei maliziös genug aussah. Rio! Nach jenem Biß und dem unbarmherzigen Lachen war er, Alfred Falkner, zu dem Oheim und Lehnsherrn des Falkenhofes gelaufen und hatte sich bitter beklagt, und seine Mutter, die damals noch Witwe seines Vaters war, hatte ihm tröstend den blutenden Finger verbunden und dazu finsteren Angesichts über das »herzlose fremde Ding« gemurrt, das seine Freude habe an den Schmerzen anderer.

Aber wer war die Gescholtene?

Der Lehnsherr vom Falkenhofe hatte zwei Brüder, eigenwillige, unbeugsame Naturen, wie sie das Falkengeschlecht nur jemals aufzuweisen hatte. Der jüngere der beiden, Alfreds Vater, hatte sein und seiner Gattin Vermögen während der Dauer, daß er des Königs Rock trug, total verschwendet und starb kurz vor dem drohenden Ruin. Der Freiherr von Falkner nahm nun die Witwe mit dem Knaben zu sich und hielt letzterem einen Gouverneur, der es verstand, seine Stellung derartig zu befestigen und sich unentbehrlich zu machen, daß ihm schließlich die immer noch stattliche Witwe die Hand reichte. Da sie nun auf dem Falkenhofe seit mehreren Jahren die Pflichten einer Hausfrau versah, weil der Lehnsherr unvermählt geblieben war, so wollte der Freiherr die Schwägerin, welche seine Interessen vortrefflich zu wahren verstand, nicht mehr missen und sich von ihr trennen, und so geschah es, daß sie mit ihrem Gatten einen Flügel des Falkenhofes zu dauerndem Aufenthalte bezog.