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Ramona Nagiller

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright: © 2012 Ramona Nagiller ISBN: 978-3-8442-3857-0

Isabella, 1958 geboren als ungewolltes Kind einer Sekretärin und eines Musikers.

Der Säugling muss schon in den ersten Lebenstagen um sein Leben kämpfen und übersteht Tötungsversuche des Vaters. Die Mutter ist überfordert. Vereinsamt und schwer krank wird das Kind von den Großeltern aufgenommen. Die Eltern werden geschieden, die Mutter heiratet einen Zirkusartisten und bekommt weitere vier Kinder. Isabella wird mit fünf Jahren entführt und erfährt schwere Misshandlungen. Die Großeltern holen Isabella zurück. Nach dem frühen Ableben beider Großeltern ist Isabella völlig traumatisiert. Sie wird von ihrer Mutter und der neuen Familie aufgenommen, die bei einem Zirkus engagiert ist. Isabella wird ein Mitglied des „Fahrenden Volkes“. Sie begegnet Artisten, Komödianten, Puppenspieler, Chipsy und Roma erlebt deren Alltag und schaut hinter die Kulissen.

Familiär findet sich Isabella aber in einem totalitären System wieder. Stiefvater Charlie kontrolliert und isoliert sie, unterbindet jeden Kontakt nach außen. Verzweifelt und auf sich alleine gestellt sucht sie ihren Weg um in diesem neuen Leben nicht zu zerbrechen.

Pummelig mit Pfälzer Dialekt („Ich bin so anders!“) lernt sie sich anzupassen, verteidigt ihre Identität und erfährt ihre innere Stärke. Sie schafft es sich größten Herausforderungen zu stellen. Sie lernt den Umgang mit gefährlichen Tieren und psychische Verletzungen zu überstehen.

Ich bedanke mich vor allen bei meinem Mann Erhard der unzählige Stunden unermüdlich arbeitete, um das Buch zu erstellen.

Originalausgabe 2012

Ver-Di GmbH

Verlag Volker Reinfurth

Johannisstraße 1

54290 Trier

www.ramona-nagiller.de

Das Layout und die Herstellung von druckfertigen

Daten erfolgte durch Erhard Nagiller

Alle Bilder stammen von der Autorin

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages sind Vervielfältigungen dieses Buches oder von Buchteilen auf fotomechanischem Weg

(Fotokopie, Mikrokopie) nicht gestattet.

Gedruckt in Deutschland

Lass dich nicht zerbrechen.

Finde deinen Mut

das tut deiner Stärke gut.

Verfolge deine Ziele

Es gibt davon so viele.

Doch mit Rücksicht auf die Schwachen

denn die haben vielleicht

wie du,

nicht viel zu lachen.

Erstarre nicht im Aufgeben.

Entscheide dich für ein

erfülltes lebendiges

Leben.

28.1.2012

Allen Personen gewidmet, die nicht das Glück hatten, unbeschwert aufwachsen zu können.

Danke auch allen Großeltern, Pflegeeltern und Menschen, die Kinder aufnehmen und liebevoll durch das Leben begleiten.

Ausgesetzt Wie die Seele überlebt.
Kapitel 1

Isabella heiße ich, das zeigt auf, dass meine Mutter in den Fünfziger Jahren schon einen eigenwilligen Geschmack hatte. In dieser Zeit wurden die Mädchen oft Karin, Inge oder Beate getauft.

Isabella passt auch zu mir, wie ich finde.

Zu meiner Person, ich bin inzwischen 53 Jahre alt und wie man sagt, immer noch attraktiv.

Von Kleidergröße 38 habe ich mich verabschiedet, die Größe ist inzwischen auf 42 geklettert, aber ich habe den Vorteil, dass sich alles gleichmäßig verteilt. Meine Oberweite verschleiert meine runden Hüften, was ich absolut gut finde.

Ich wirke wie eine italienische Kindfrau, was die meisten Menschen unterschätzen, was gerade meine „Stärke“ ist, wie ich inzwischen herausgefunden habe.

Als Stierfrau geboren bin ich eine absolute Kämpferin, mit ererbten kreativen Talenten, die allerdings erst später von mir entdeckt werden mussten.

Immer schon wollte ich ein Buch schreiben, bestärkt darin, von unterschiedlichsten Menschen, die mir auf meinen meinem Weg begegnet sind.

Jetzt habe ich mich endlich aufgerafft, damit zu beginnen.

Seit zwei Jahren leide ich massiv und ständig, an immer wieder kehrenden Blasenentzündungen, die sehr schmerzhaft sind, in mir Panikattacken auslösen, mir die Kraft rauben.

Als man mich im Krankenhaus komplett untersuchte, stellte sich heraus, dass organisch nichts fehlte.

Der junge Arzt, der mich untersucht hatte, nahm sich danach auffällig viel Zeit, um mir die Ergebnisse zu erklären.

Plötzlich sagte er zu mir, dass hinter meinen Beschwerden vielleicht etwas ganz anderes dahintersteckt.

Diese Offenheit nahm mir den Atem.

Er hatte tatsächlich recht mit seiner Vermutung.

Ich stand gerade wieder einmal vor einem riesigen Problem und sah keinen Ausweg um die entsetzliche Situation zu bewältigen.

Ich starrte ihn an und merkte, dass ich die Beherrschung völlig verlor.

Ich fing an zu weinen, konnte nicht mehr damit aufhören. Ich weinte und zitterte wie ein Kind, das all sein Elend einfach in einem Fluss der Tränen los wurde.

Völlig ohne Zwang erwachsen sein zu müssen, losgelöst von allem, ohne Vernunft und ohne Gefühle zu verstecken, einfach losschreien, ohne Scham mit Mut meine Verletzungen aufzuzeigen.

Der Arzt war betroffen, beruhigte mich sanft, irgendwann.

Danach bat er mich, mit einer Psychologin ein Gespräch zu führen.

Ich willigte ein.

Beim nach Hause Fahren dachte ich bei mir: „Na super, jetzt ist es amtlich, dass ich bekloppt bin.“

Ich ging in Therapie.

Kapitel 2
Erinnerungen

Ich erinnerte mich an mein Leben in früherer Kindheit.

Isabella, geboren im April, Tochter von Anne, einer Sekretärin und eines Künstlers Conny, ausgebildeter Musiker, Dekorateur, ein kreativer Mann.

Die Ehe war stressig, Conny viel unterwegs, den Damen sehr angetan.

Meine Mutter leidet.

Anne und Conny, meine Eltern, beschlossen Ende der 50er Jahre ein Tanzkaffee in Baden -Württemberg zu eröffnen.

Das Café lief gut.

Anne, meine attraktive Mutter, leitete den Betrieb.

Mein Vater machte Musik, Werbung, er hatte Affären weiterhin.

Es wurde vereinbart, keinen Nachwuchs zu haben.

Conny sagte: „Ich will kein Kind.“

Irgendwann war Anne schwanger.

Conny war entsetzt, böse, gewalttätig.

„Mach was, Anne, der Laden, wir können das nicht gebrauchen, geh zum Arzt!“

Anne traute sich nicht, eine Abtreibung zu machen.

Sie weinte, war verzweifelt.

Sie wurde erniedrigt und geschlagen.

„Wir stehen das durch, Conny, du wirst es sehen“, sagte sie.

Conny war daraufhin noch mehr unterwegs, beschimpfte sie.

Kapitel 3
Isabellas Geburt

1958 kam ich auf die Welt, ein gesundes Mädchen, mit dunklen Augen und schon dunklen Haaren.

Anne, meine Mutter, versuchte verzweifelt, die Situation zu retten.

Während eines Kinobesuchs meiner Eltern, fanden mich meine Großeltern, die in der Nähe wohnten und einen Schlüssel hatten, nackt am offenen Fenster liegend in meinem Bettchen, bei eiskalter Witterung.

Ich bekam eine schwere Lungenentzündung und war sehr krank.

Bei einem erneuten zufälligen Besuch befreiten mich meine Großeltern von Kissen und Deckbett, die auf meinem Gesicht lagen.

Ich war blau, atmete kaum noch.

Der Arzt drohte mit Anzeige.

Meine Eltern zogen mit mir in eine andere Wohnung in ein anderes Viertel.

Conny, mein Vater, hasste mich, lehnte mich ab, kümmerte sich nicht.

Ich erfuhr wenig Zuwendung, lebte vereinsamt im oft abgedunkeltem Zimmer, wurde mit nicht ausreichender vitaminreicher Kost ernährt.

Meine Mutter arbeitete, um das Überleben zu sichern. Es blieb kaum Zeit für Spaziergänge.

Ein familiäres beschütztes Leben war nicht möglich.

Anne bat ihre Eltern mich zu versorgen, da sie völlig überfordert war.

Meine Großeltern lebten früher auf dem Land bei Pirmasens in gutbürgerlichen Verhältnissen. Sie unterhielten damals ein eigenes Geschäft, einen großen Hof und Ländereien. Doch durch den Krieg verloren sie fast ihr ganzes Vermögen, und wohnten jetzt in Kaiserslautern. Sie entschlossen sich mich aufzuziehen, obwohl sie inzwischen finanziell ein sehr bescheidenes Leben führen mussten.

Sie brachten mich in eine Spezialklinik, weil ich eine schwere Rachitis und psychische Störungen hatte.

Meine Beinchen wurden gebrochen und

gerichtet, damit das Laufen später funktionieren konnte.

Fast ein halbes Jahr war ich in der Klinik.

Endlich bin ich bei meinen Großeltern.

Meine Oma Helga und mein Opa Richard lebten in der Stadt.

Ich war glücklich und geborgen.

Kapitel 4
Isabella ist zu Hause.

Irgendwann kam meine Mutter Anne wieder, nach längerer Zeit, geschieden von Conny, meinem leiblichen Vater.

Sie war sehr schön und gut gekleidet.

Sie brachte Schokolade und ein Kleidchen für mich mit. Sie hatte einen neuen Freund, er hieß Charlie. Sie stellte ihn meinen Großeltern vor.

Das Allertollste war: Sie hatten ein Baby, ein Mädchen, Bärbelchen mit einem wunderschönen Porzellangesichtchen, grünbraunen Augen und dunklen Haaren. Ich fand das so schön.

Mutter sagte, sie würde so gern wieder für mich sorgen. Wir könnten wieder alle zusammen eine glückliche Familie sein.

 

Oma und Opa seihen doch schon ziemlich alt und wir als junge Familie würden doch viel mehr unternehmen können und schöne Dinge machen, einfach mehr Spaß haben.

Sie fragten mich, ob ich darüber nicht mal nachdenken möchte.

Ich schaute auf das Bärbelchen und fand sie so süß, ich durfte sie auf den Arm nehmen und das Fläschchen geben.

Ich schaute auf meine Großeltern und bekam ganz plötzlich ein schlechtes Gefühl.

„Wenn Mama und Papa mitgehen, sage ich ja", stotterte ich.

„Du kannst sie oft besuchen fahren, deine Großeltern", antwortete meine „neue Mutter“.

Ich fühlte mich irgendwie unangenehm und schlecht.

Fast in Panik gab ich blitzschnell das Bärbelchen zurück zu ihrer Mama, lief zu meinem Opa, kletterte auf seinen Schoß und steckte den Daumen in den Mund.

Mein Opa lächelte mich an, meine Angst war verschwunden.

Abends fuhr die neue Familie wieder fort.

Danach hörte ich eine Weile nichts mehr.

Kapitel 5
Entführung

Ich kam vom Spielen, das Knie aufgeschlagen, es blutete. Kurz vor der Haustüre, die ich schon berührte zum Aufmachen, hörte ich meinen Namen.

„Isabella-Isabella, bleib stehen, eine Überraschung“, ich kannte die Stimme, irgendwie.

Ich stand wie angewurzelt, drehte mich langsam um.

Ein grauer Opel Blitz Kleinlaster mit geöffneter, zurückgeschobener Seitentür stand da an der Straße, direkt am Eingang meines Wohnhauses.

Die „neue Mama“ winkte fröhlich aus dem Auto, auf dem Arm das Bärbelchen, der neue Mann saß am Steuer des Lieferwagens.

„Isabella, komm her, die Überraschung", rief meine „neue Mutter".

„Wir machen einen Ausflug.“

„Oh ja“, rief ich begeistert.

„Steig ein, Isabella, schnell", antwortete Anne, meine Mutter.

„Aber Mama und Papa?“ fragte ich plötzlich ängstlich.

„Sie treffen uns“, lachte Anne, „los, beeile dich!“

Ich stieg ein.

Wir fuhren lange, es war so schön.

Irgendwann fing Bärbelchen an zu weinen, und Anne, meine Mutter, gab ihr ein Fläschchen, das vorbereitet in einem Körbchen eingewickelt stand.

Ich fühlte mich auf einmal müde und schlief ein.

Ein sanftes Rütteln weckte mich auf.

Es war dunkel, der Wagen hatte angehalten, alle stiegen aus, ich kletterte schlaftrunken aus dem Fahrzeug und schaute mich um.

Bei spärlicher Beleuchtung sah ich einen großen Platz, der eingezäunt war, mit hohen Blechwänden.

Das große Eingangseisentor war ganz zurückgeschoben, stand auf, wir alle liefen durch das Tor.

Ich sah ganz viele Fahrzeuge, Wohnwagen aus Holz, Campingwagen, ein aufgebautes Zelt mit bunter Plane, Autos, Kleinlaster.

Charlie, der Freund meiner Mutter, fuhr seinen Lieferwagen durch das Tor, stieg aus und schob es zu, schloss ab.

„Mama, Papa, wo sind sie?“ fragte ich Anne unbehaglich.

„Isabella, es ist schon spät und dunkel, sie können heute Abend nicht da sein", sagte Anne, etwas unwirsch.

„Das verstehst du doch, du bist doch schon groß“.

Ich war noch keine sechs Jahre alt.

Ich nickte tapfer, kämpfte mit den Tränen.

„Aber morgen?“

„Morgen werden sie kommen", sagte Anne.

„Ja morgen“ wiederholte ich, fühlte mich kalt und verloren.

„Jetzt gibt es was zu essen", sagte Charlie, ihr neuer Mann,

„Dann sieht die Welt ganz anders aus“, er lachte mich an.

Anne nickte dazu.

Wir alle stiegen die Treppe eines Holzwohnwagens hinauf und gingen nacheinander durch die Tür.

Ich betrat das allererste Mal einen Wohnwagen, ich sah mich um.

Im vorderen Bereich war eine kleine Küche eingerichtet mit kleinem Tisch, einer Eckbank und zwei Stühlen.

In der Mitte des Wagens gab es eine Art Wohnzimmer mit herunter klappbarer Schlafmöglichkeit.

Seitlich war ein eingebauter Kleiderschrank.

Im hinteren Bereich gab es noch eine schmale Schlafmöglichkeit, mit ebenfalls einem größeren Einbauschrank, schmal und hoch.

„Setz dich auf die Eckbank", sagte Charlie.

Bärbelchen wurde versorgt mit Windeln und einem Fläschchen, dann aßen wir zu Abend.

Sie waren freundlich zu mir. Ich hatte keinen Appetit und Mühe nicht zu weinen.

Ich wollte meine „Eltern“ bei mir haben. Der Schmerz nagte in meinem Magen, ich fühlte mich so hilflos.

Mir war schlecht.

Anne ging in den hinteren Bereich des Wohnwagens und zeigte mir das schmale Bett, das schon mit einem Kissen und einem Deckbett ausgestattet war.

„Hier kannst du schlafen", sagte sie, und zeigte mir noch eine größere Schüssel und Seife, auch ein Handtuch.

„Hier kannst du dich waschen, für heute. Wenn du Pipi musst, schau her, ist hier noch ein Eimer dafür, und wichtig“- sie schaute mich eindringlich an.

„Mit dem Eimer gehst du bitte raus aus dem Wagen und erledige dein Geschäft draußen, weil Pipi machen und das große Geschäft ist in dem Wohnwagen nicht erlaubt.“

Ich starrte Anne an.

„Na komm, ich zeige dir, wie das geht“, überspielte Anne meinen entsetzten Gesichtsausdruck.

Wir gingen raus, die schmale Holztreppe nach unten. Mama zog mir die Hose runter.

„So, jetzt kannst Du pullern oder was Du sonst so musst“, befahl sie, schob mir den Eimer unter den Hintern.

„Und vergiss das Toilettenpapier nicht, das hinter dem schmalen Schränkchen in deinem Abteil steht", ermahnte sie mich.

Ich nickte.

„Geht doch“, lachte sie zufrieden, als ich fertig war.

„Ab nach drinnen, waschen, und ins Bett!“

Alle gingen schlafen, Charlie mit Anne im Mittelteil des Wagens. Bärbelchen schlief in einem Korbwagen in der Nähe des Bettes.

In der ersten Nacht hat mir die Angst fast die Besinnung genommen.

Ich hörte fremdartige Geräusche und lachen, reden von Leuten draußen, die noch nicht schliefen.

Ich betete, dass meine Großeltern morgen kämen, um mich wieder mit nach Hause zu nehmen.

Ich machte mich ganz klein und rund, zog die Beine an, wickelte das Deckbett fest um mich.

Irgendwann schlief ich ein.

Ich fragte jeden Tag, warum kommt Mama und Papa mich nicht holen.

„Sie können nicht kommen", sagte Anne und schaute irgendwie traurig aus.

„Dein Papa ist im Krankenhaus, er ist sehr krank, sie können dich nicht abholen.“

In meinem Kopf hämmerte es unablässig,

Er kommt nicht, er kommt nicht. Warum? War ich böse?

Was ich damals nicht wusste: meine Mutter hatte einen Antrag beim Jugendamt gestellt, um bei ihr zu leben.

Es war zugestimmt worden, da mein Opa schwer an Krebs erkrankt war. Das Jugendamt hatte es genehmigt ohne Überprüfung meiner Unterkunft.

Ich wartete und wartete, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag.


Kapitel 6
Charlies Familienclan

Es waren einige Leute auf dem großen Platz. In dem bunten Zelt, das ich bei meiner Ankunft gleich bemerkte, waren Pferde eingestellt. Die ganze Familie von Charlie, des neuen Freundes meiner Mutter, waren alle da. Es waren viele Leute. Sie begrüßten mich freundlich, sagten, dass ich hübsch sei.

Ich starrte alle an, fühlte mich so alleine.

Charlie lachte dazu: „Das wird schon“ sagte er zu mir.

„Das sind meine Eltern“, stellte mir Charlie seine Eltern vor.

Ich bemerkte zwei ältere Leute, die ein wenig abseits standen. Ich wurde von Charlie in ihre Richtung geschoben, ich sah auf. Eine etwas korpulente Frau mit kunstvoll hochgesteckten roten Haaren stand vor mir. Ihre Augen waren blau, die Nase schmal, ebenso der Mund. Sie hatte ein blaues Kleid an, das ihr gut stand. Um ihren Hals trug sie ein Collier aus weißen und blauen Steinen, an ihren Ohren hingen lange aufwändige tropfenförmige Ohrringe, die zu dem Collier passten. An ihrer einen Hand trug sie noch den dazugehörigen großen Ring. Ihr Armgelenk war bestückt mit einem breiten, mit Münzen behangenen schweren Armband.

Wirklich, so was hatte ich noch nie gesehen.

„Hallo, Isabella!“ Ihre Augen blickten freundlich, ihre Hand bewegte sich nach vorne, um mein Gesicht zu berühren.

Entsetzt wich ich zurück.

Charlie, der hinter mir stand, hielt mich an den Schultern fest.

„Schau, Isabella, du musst wissen, das ist meine Mama und jetzt deine neue Oma Elsbeth, und hier, dieser Mann, ist mein Papa, und jetzt dein neuer Opa Adolf.“

Er bückte sich zu mir, umfasste meine Hände.

„Du weißt doch, dass wir alle eine große Familie sind“.

Ich riss meine Augen auf und starrte auf den vorgestellten neuen „Opa“.

Ich sah eine großen schlanken Mann vor mir, mit vollen weißen Haaren, eisblauen Augen, einer gebogenen

schmalen Nase, ebenfalls einem schmalen Mund, mit einem schmalen weißen Oberlippenbart. Er war gekleidet mit einem karierten Baumwollhemd, einer helle Hose und Reitstiefeln. Er schaute mich fast unbeteiligt an. Als ich seinen Blick auf mir spürte, fröstelte mich, ich fühlte die unangenehme Kälte, die mitleidlose herrische Ausstrahlung seiner Persönlichkeit, und fürchtete mich.

„Oma“ und „Opa“ sollte ich sagen? Ich sah Charlie an, schüttelte den Kopf.

„Nein, Oma und Opa will ich nicht sagen, und überhaupt will ich die alle nicht haben!“ sagte ich bockig.

Sie waren so laut und so anders.

„Ich will nach Hause, wann komme ich heim?“ Ich bekam keine Antwort.

Charlie lächelte, nahm mich an der Hand und brachte mich zu Anne, die mit Bärbelchen beschäftigt war.

Meine Mutter zeigte mir mit viel Geduld, wie ich Bärbelchens vorbereitetes Fläschchen aus der Warmhaltebox nehmen musste, übte mit mir, wie ich sie Bärbelchen zum Trinken geben sollte, mit Bäuerchen und so.

„Und wenn du sie dann ins Bettchen zurücklegst, pass auf das Köpfchen auf, stütze es ab. Lass sie niemals fallen, hörst du, Isabella? Mama muss spät abends arbeiten, damit wir was zu essen haben. Das verstehst du doch? Ich hab dich ganz fest lieb“. Sie streichelte mir über den Kopf.

Ich schaute sie an.

Mama arbeitete jetzt nachts in einem amerikanischen Offiziersclub hinter der Bar.

Charlie war in der Nacht auch nicht da.

Ich versorgte Bärbelchen, wenn sie weinte, Hunger hatte, wie Mama mir gezeigt hatte.

Ich weinte mich fast jede Nacht in den Schlaf. „Papa, wann kommst du?“

Der Freund meiner Mutter war lustig, er machte oft Musik, spielte Akkordeon, es gab Partys und Feste auf dem Platz.

Die Feste gingen oft bis tief in die Nacht.

Am Tag war ich oft im Zelt, wo die Pferde standen, und freundete mich mit einer Stute an, die Fanni hieß.

Das Pony ließ mich kurzfristig mein Heimweh vergessen.

Ich wartete.

Ansonsten half ich Anne ein bisschen beim Haushalt und mit Bärbelchen, die ich auf dem Platz in einem Kinderwagen hin und her fahren durfte. Ich holte für den Abwasch Wasser in einem Eimer, es gab kein fließendes Wasser auf diesem Grundstück. Das Wasser wurde in großen Milchkannen mit Deckel von den Arbeitern beigeschafft, die bei Charlies Familie die Pferde versorgten und auch die Fahrzeuge strichen. Das Wasser musste bei einer 1 km weit entfernten Tankstelle eingefüllt werden. Das war oft dreimal am Tag mal nötig, da auch die Pferde getränkt werden mussten. Pferde brauchen viel Wasser. Die großen Kannen standen auf einem Holzanhänger mit Deichsel, der von den Männern mit der Hand gezogen wurde.

Bemerkenswert fand ich auch, dass alle Leute mit ihren Pipieimer, der an jedem ihrer Wagen an der Ecke stand, morgens in eine Ecke auf dem Platz liefen und in ein großes ausgeschaufeltes Erdloch den Inhalt leerten.

Meine „neue Mama“ musste auch den Eimer von Charlies Eltern ausleeren, was ich wirklich eklig fand.

In der Zeit, in der ich nicht beschäftigt war, saß ich auf der Holztreppe des Wohnwagens und starrte auf das große Eisentor, das direkt geradeaus vor unserem Wagen zu sehen war.

Mit seinen senkrecht eingesetzten Gitterstäben wirkte es auf mich wie ein gefährliches Monster, das mir seine riesigen Zähne zeigte.

Ich wartete. Wann kommst du?

Ich zermarterte mir den Kopf, warum mein Papa mich nicht abholen kam.

 

Es gab keine Kinder zu spielen.

Ich war so allein.