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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-317-8

ISBN e-book: 978-3-99107-318-5

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfoto: Helmuth Koch

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum Verlag

Innenabbildungen: Ralle Tik

www.novumverlag.com

Einleitung
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5

Kapitel 6
An diesem Nachmittag bin ich ziemlich geplättet. Der junge Arzt besucht mich auf meinem neuen Zimmer auf Station. Er überreicht mir eine erste Informationsbroschüre, erklärt mir nochmal mit etwas mehr Ruhe den Therapieplan und gibt noch einiges an weiteren Informationen. Meine spezielle Therapie wird an meinen körperlichen Zustand in Kombination von Größe, Gewicht und seelischer Stabilität angepasst. Die Station wirkt auf mich höchst beruhigend, zuvorkommend und sehr freundlich. Egal wen man hier antrifft, jeder ist sehr bedacht auf seine Äußerungen oder sein Handeln. Es ist zu spüren, dass das Personal exakt weiß, welche Art von Patienten, welche Art von Krankheiten mit eventuell negativem Ausgang hier gepflegt werden.
Noch während ich mir Sorgen mache, wie denn meine Frau meine neue Station an einem ganz anderen Platz im Klinikum finden wird, da kommt sie auch schon strahlend herein und sieht sich kurz um. „Na mein Schatz, du hast ja ein neues Zimmer. Schön.“
„Ja Wahnsinn. Und ich habe mir gerade noch Sorgen gemacht, wie du hierher finden solltest. Wer hat dir denn gesagt, dass ich hier bin?“
„Ja, da staunst du? Mich hat die Frau Dr. Stiegel angerufen. Die ist ja lieb. Ich war total überrascht, als mich jemand vom Krankenhaus anrief. ‚Ja Hallo. Hier spricht Frau Dr. Stiegel. Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Mann wurde soeben verlegt.‘ So in etwa war das Telefonat.“ „Echt? Du bist angerufen worden?“, hake ich fragend nach. „Ja. Und sie hat mir erklärt, dass wir jetzt endlich genau wissen, was für einen Krebs du hast und dass es ein Glück ist, dass du das alles so früh bemerken konntest. Jetzt steht dir zwar eine längere Krebstherapie bevor, aber das ist gegenüber den anderen Diagnosen die beste Variante. Sie sagte auch, dass du sehr gute Heilungschancen hättest. So ähnlich drückte sich Dr. Sarino auch aus oder? Aber nun erzähle mal, wie dein Tag heute war. Ich bin auf jeden Fall schon einmal beruhigter.“ Also erzähle ich meiner Frau vom Freitag, von den Torturen und dem wirklich nicht angenehmen Tag für mich. Sie staunt nicht schlecht. „Och mein armer Schatz. Das ist aber nicht toll.“ „Nein, wirklich nicht. Mir tut noch alles weh. Und jetzt liege ich auf diesem Zimmer.“ Dann gehen wir auf den Flur und setzen uns in die kleine Etagen-Küche. Es ist ein kleiner Raum mit einer Sitzgelegenheit für maximal 4 Personen. An einer Wand ist eine Küchenzeile von 2 m Länge aufgebaut. Hier steht ein Heißwassergerät bereit, falls man zwischendurch einen Tee trinken möchte. Auch stehen verschiedene Tüten von Anbietern für Fertigsuppen bereit, frisches Obst, ein Kühlschrank für Patienten. An der Seite ist ein Regal aufgebaut, das für 3 Kisten Platz bietet. Wasser, Saft und ja, sogar alkoholfreies Bier sind in diesem Regal enthalten. Wir staunen nicht schlecht. Das ist ja verrückt hier, wir wundern uns etwas über diesen Service. Doch es dauert nicht lange, da wird uns beiden klar: Wer hier ist, soll sich wohlfühlen. Nicht alle werden diese Abteilung lebend verlassen, auch das wird uns auf dieser Station bewusst. Dann erzähle ich Wendy, dass der eine Patient auf meinem neuen Zimmer ständig Schmerzen im Magen hat. Er klingelt ungefähr jede 5 Minuten nach der Schwester, es ist ein Wahnsinn für die Mitarbeiter. Deshalb wollte ich auch lieber in die Küche.
Dr. Witzel, ein gebürtiger Thüringer, kommt zu mir in die Küche. „So Herr Peter, da sind Sie ja. Ah und Sie sind dann wohl Frau Peter?“ „Ja“, antwortet meine Frau wahrheitsgetreu. Er fragt kurz nach dem Geburtsdatum bevor ich meine erste Infusion bekommen soll. Doch er sucht noch etwas. „Haben Sie denn noch keinen Port?“, möchte er noch wissen. „Nein, so weit waren wir noch nicht. Ist das denn schlimm?“
„Nein, jetzt geht das noch. Diese ersten Infusionen sind noch eine nicht so aggressive Vor-Chemotherapie. Aber sie benötigen auf jeden Fall einen Zugang. Allerdings, wie ich sehe, ist bei Ihnen die Narbe ja noch so frisch und groß. Hoffentlich geht das überhaupt im Brustbereich. Aber wenn ich mir Ihre Venen am Arm anschaue, das sollte auch funktionieren.“ Prüfend schaute er beim Anbringen der ersten Infusion durch meinen Zugang am Arm sich die Venen an. „Wozu brauche ich denn überhaupt einen Port? Ist das nicht zu aufwendig?“ „Oh nein. Sie müssen wissen, dass die Chemotherapien, die Sie bekommen werden, sehr aggressiv sind. Die Venen würden das nicht auf Dauer aushalten und kaputtgehen. Beim Port haben Sie einen sicheren Zugang. Deshalb ist ein Portzugang medizinisch unabdingbar. Ich kümmere mich darum.“ Er erklärt das sehr anschaulich und ich bin doch froh, auch einen Portzugang zu bekommen. Die Infusion beginnt zu laufen. Unbewusst höre ich in meinen Körper hinein. Ich möchte wissen, wie sich das anfühlt. Viel habe ich über Chemotherapien gehört. Meine Schwester war an Krebs erkrankt und hatte eine lange Leidenszeit hinter sich bringen müssen. In 1991 erhielt sie ihre letzten Gaben. Leider hatte sie es nicht geschafft und ist viel zu früh verstorben. Ich denke viel und gern an sie zurück, aktuell noch mehr. Sie fehlt mir sehr.
Dann ist auch schon Essenszeit. Das Abendbrot wird ausgeteilt und ein Pfleger kommt in die Küche und bringt mir das Tablett mit einer guten Auswahl an Brot, Salat und Beilagen. Der nette Dr. Witzel hat ihm die Information gegeben, dass ich mit meiner Frau in der Küche sitze, und ließ mir das Essen hierherbringen. Mit auf dem Tablett liegen Karten für das Essen des nächsten Tages. Der Pfleger heißt Mario, kommt aus der Gegend von Erfurt. „Noch einer aus Thüringen wie du. Schatz, hier sind wir richtig“, frotzele ich meiner Frau zu. Sie ist ja auch eine echte Thüringerin. Und gleich darauf kommt eine Schwester in die Küche. Eine große, kräftige Schwester, die kurz angebunden direkt auf den Punkt kommt. Aber das ist nur der äußere Schein, das erfahre ich später. Sie arbeitet schon sehr viele Jahre in dieser Abteilung. „Aha, hier sind Sie also Herr Peter.“ Das hörte sich beinahe an, als wäre es etwas unanständig. Wir können uns kaum einen Blick zuwerfen, als sie bereits weiterspricht. Sie fragt meine Frau, ob sie nicht auch ein wenig Hunger hätte. „Sie müssen doch auch etwas essen. Uns ist wichtig, dass auch der Besuch der Patienten sich wohl fühlt. Wollen Sie etwas? Wir haben noch Brot und Beilagen übrig.“ „Ja, wenn es nichts ausmacht? Dann würde ich eine Scheibe mit meinem Mann essen. Danke, das ist aber lieb.“ Mehr kann meine Wendy in diesem Moment auch nicht sagen. Zu verwundert sind wir nach wie vor. Die Schwester bringt 5 Minuten später unter einem leichten, ihrem Auftritt geschuldeten Vibrieren des Bodens einen Teller voll mit Brot, Beilagen, einem Salat. Sie lächelt dabei in sich hinein: „Bitte“, sagt sie nur noch, sowie: „Und Handtücher oder solche Dinge lassen Sie gleich zu Hause. Sie kümmern sich um Ihren Mann und nicht um die Wäsche!“ Die resolute, aber im Kern liebevolle Schwester geht ohne einen Dank oder eine andere Antwort abzuwarten wieder ihrer Arbeit nach.
Nachdem wir beide gegessen und geredet haben, ich krächze immer noch auf dem gleichen Level wie nach der OP, gehen wir ein paar Schritte auf dem Flur. Das mache ich immer, allein um zu gehen. Bewegung ist wichtig und mein Drang nach Bewegung ist sehr hoch. Ich habe meinen Therapieplan in der Tasche der Jogginghose. Der beschäftigt mich schon seit der ersten Durchsprache mit Dr. Witzel. „Schatz“, fing ich an, nachdem wir uns auf zwei der vier Metallstühle hinten in der letzten Ecke der Station gesetzt haben. „Wir müssen nochmal meinen Therapieplan durchsprechen. Da kann etwas nicht stimmen?“ „Was meinst du denn, was soll an deinem Plan nicht stimmen?“ „Na schau mal“, ich öffne die drei zusammengefalteten Blätter. Auf der Oberseite steht noch in Handschrift Das Burkitt Lymphom. „Schau. G-Mall-Protokoll, aus dem Jahr 2002! Ob das noch aktuell ist? Wenn ich richtig rechne, dann sind es weit über 130 Tage stationäre Behandlung plus Nachsorge. Dann wäre ich ja bis April nächstes Jahr in Behandlung? Und auch nur, wenn alles klargeht!“ Es will einfach nicht in meinen Kopf, dass ich über ein halbes Jahr nicht mehr arbeiten durfte? Nicht mehr arbeiten konnte? Unmöglich. In diesem Moment bin ich so geschockt, so fertig, so unter großer Last, dass mir bei dieser Vorstellung zum ersten Mal wieder Tränen kommen. Ich kann es nur schwer beantworten. Warum bin ich so extrem gern an meiner Arbeit? Ob es im Großhandel war, der Außendienst, den ich über alles liebe. Oder meine letzte Station der LOK AG, die ich aufopferungsvoll und mit enormen Belastungen gelebt habe. Auch jetzt, wo ich bei Bosch ein Zuhause gefunden habe mit meinen tollen Arbeitskollegen, meinen Vorgesetzten, alles das lebe ich mit Herzen. Oder liebe ich mein Arbeitsleben, weil ich wie viele Männer auch eine Art Erfüllung spüre? Ich kann es nicht hundertprozentig genau erklären. Aber ich weiß, dass mich die Vorstellung fertigmacht, über ein halbes Jahr oder länger nicht arbeiten zu können. „Wie soll das denn gehen? Und dann diese extrem vielen Chemotherapien? Das sind ja Unmengen? Ich habe sie mal gezählt, ich komme auf 99 Stück. 99!“, füge ich mit feuchten Augen hinzu. „Was soll das denn heißen?“, fragt Wendy. Und ich erkenne, wie sie überlegt, einen Augenblick nicht weiß, was sie darauf antworten soll. „Dann musst du halt sterben! Willst du das?“ Puh, das hat gesessen. Hart, brutal und völlig ohne Verständnis für meine inneren Kämpfe. Auch die Begleiterscheinungen der Therapien meiner Schwester habe ich noch im Kopf. Wendy reagierte allerdings nur. Sie ist mit dieser Situation mindestens so überfordert, so belastet, wie ich es bin, das ist offensichtlich. Und nun kam diese, ja ich würde sagen, Panikreaktion. Aber mich rüttelt ihre Reaktion nur wach. Sofort spüre ich, dass ich eingreifen müsste, es geht ja nicht ums Sterben. Keiner will das wirklich und vor allem ich nicht, nachdem, was ich hinter mir habe. Nein, keine Chance. „Schatz“, nehme ich das Gespräch wieder auf. „Es geht doch nicht ums Sterben. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Ich habe dir bereits im August versprochen, dass ich das schaffen werde. Ich weiß nur nicht, wie ich das mit der Arbeit machen soll? Ich bekomme das nicht in meinen Kopf. Verstehst du das? Wie soll ich denn über ein halbes Jahr von der Arbeit fortbleiben?“ „Klar, Entschuldigung, so habe ich es ja auch nicht gemeint. Du hast so viel um die Ohren und musst so viel Leid ertragen. Aber ich wusste auch nicht, was ich sagen soll. Aber glaube mir, Alex ruft mich fast täglich an und erkundigt sich nach dir. Alle stehen hinter dir und du sollst erstmal wieder gesundwerden.“ Sie hat Recht und Alex ist ein echt toller und fürsorglicher Chef. Etwa eine Stunde später am Abend verabschiede ich meine Frau an der Eingangspforte. Wir drücken uns ganz fest. Ich weiß, dass sie mich am liebsten mit nach Hause genommen hätte. Vermutlich werden ihr in der U-Bahn noch einige Gedanken durch den Kopf gehen. Sie hat ihre eigene Belastung mit meiner Krankheit, sie hat alle Telefonate zu führen. Jeder will wissen, wie es mir geht. Auch das ist eine große Belastung. Dann hält sie den Kontakt zu unseren Kindern. Alle sind weit weg von uns und doch immer da. Meine Tochter war mit ihrem neuen Arbeitgeber auf einer Messe und nun ist die Arme krank und darf mich nicht besuchen. Da sie in München wohnt, ist das noch unglücklicher. Aber sie möchte mich auf keine Fall anstecken. Das wäre unverantwortlich, macht es für sie aber auch nicht einfacher. Mit all diesen Sorgen lass ich meine Frau in unsere Wohnung zurückfahren. Zum Glück kommt am Wochenende unser Sohn Sebastian mit Freundin zu Besuch. Und zu guter Letzt wird uns parallel zu meinem Aufenthalt im Krankenhaus noch eine neue Küche in der neuen Wohnung eingebaut. Auch das hängt an meiner Frau. Sebastian darf in meiner Vertretung die Küche gleich mal einweihen. Das passt, er kocht eh sehr gerne.
Beim Zurücklaufen auf Station mache ich einen Weg durch die Gänge. Mit an meiner Seite ist mein neuer Begleiter. Ich nenne ihn meinen Bruder, auch wenn er auf vier Rädern daherkommt. Er trägt meine Infusionen. Etwas Zeit habe ich ja nun. In einem unteren Gang sehe ich, wie ein in Weiß gekleideter Mann in den Armen seiner Frau liegt und weint. Wir sind mit unserem Schicksal nicht die Einzigen auf der Welt, denke ich bei mir. Dann erkenne ich meinen Freund Phan. Wer weiß, welche Nachrichten sein Schicksal gerade beschäftigen? Hoffentlich nichts Schlimmeres? Immer positiv, immer positiv, denke ich bei mir, doch ihm zurufen möchte ich das in diesem Moment nicht. Die beiden brauchen jetzt ihre Zweisamkeit. Nach einer guten Viertelstunde bin ich wieder auf meinem Zimmer. So langsam bin ich müde. Mein Zimmernachbar war ja schon den Nachmittag über sehr mit seiner Klingel beschäftigt. Aber diese Nacht entpuppt er sich als „Klingelmännchen“. In dieser ersten Nacht klingelt er gefühlt hundert Mal nach der Schwester. Schmerzen, Bauchweh, Übelkeit. Dann klingelt er, da er eine Wärmflasche benötigt, jetzt ist ihm zu warm, er klingelt. Dann muss er auf die Toilette, er klingelt. Er kommandiert, fordert und klingelt und klingelt. Es entwickelt sich eine sehr, sehr kurze Nacht im Hinblick auf Schlaf und ich bin echt froh, dass es endlich Samstagmorgen ist. Die Nachtschwester hat heute Nacht mindestens die doppelte Vergütung verdient. Da bin ich mir aber zu 100 % sicher. Respekt, was diese Mitarbeiterin allein in unserem Zimmer ableisten durfte. Und es waren mit Sicherheit noch einige Zimmer mehr. Von nun an nenne ich meinen Kollegen nur noch das „Klingelmännchen“. Als Kind war das ein schönes Spiel, wenn man nicht erwischt wurde. Einfach mal an jeder Haustür zu klingeln. Dabei erinnere ich mich an einen Dorfbewohner, der ist letztendlich mit einer Mistgabel hinter uns her. Gut dass er keinen erwischt hatte. Bei meinem Klingelmännchen hier auf dem Zimmer spitzt sich die Lage noch vor dem Frühstück zu. Ob nun die Nerven beim Personal blank lagen oder ob das medizinisch notwendig war, möchte ich nicht final beurteilen. Der Patient bekommt noch einen Katheter gesetzt. Der Pfleger Axel hat Dienst und übernimmt das Regiment. Das Glied des Patienten wird mit einer Spritze leicht betäubt und der Katheter, nicht ganz nett anzusehen, wird unter Schmerzen gesetzt. Irgendwie tut mir das Klingelmännchen leid. Ich entscheide mich jetzt mein Zimmer zu verlassen und versuche meine Aufgaben abzuarbeiten. In Folge meiner Krebserkrankung und der begonnenen Behandlung wurde mir erklärt, dass grundsätzlich das Gewicht überprüft und der Mund ständig desinfiziert werden soll. Die Desinfektion ist aufgrund des schwächelnden Immunsystems wichtig. Es dürfen keinerlei unnötigen Keime oder Bakterien im Mundbereich auftreten. Zu groß ist eine Infektionsgefahr. Das Gewicht ist wenigstens zweimal am Tag wegen der extrem vielen intravenösen Spülungen zu kontrollieren. Hätte ich zu viel Wasser, wäre das auf Dauer kritisch. Bei zu hohem Gewicht durch die Kochsalzspülungen, die ich erhalte, sind schnell 3 bis 5 Kilo mehr auf der Waage. Dann kann meist nur noch ein wasserabführendes Mittel, beispielsweise Lasix, helfen. Also gehe ich zuerst ins Bad und mache mich so weit frisch. Mittlerweile darf ich mit einem Wasserpflaster am Hals wieder duschen. Das ist schon eine wahre Wohltat, ich fühle mich wieder mehr als Mensch. Selbst Rasieren klappt nun reibungsloser, außer im Halsbereich, da wo die Wunde ist. Sie sieht echt krass aus. So ein riesiger Schnitt und dann die angeblich selbstauflösenden Fäden. Sie arbeiten sich teils nach außen, sodass es aussieht wie im Horrorfilm. Nur dass ich mich deutlich im Spiegel erkenne.
Ich wiege 74 Kilogramm, Normalgewicht, das passt noch ganz gut. Ich gehe wieder zurück auf mein Zimmer und warte, bis jemand meine Daten aufnimmt. Noch vor dem Frühstück beginnt die Visite. Ein weiterer Zimmerkollege bekommt nun die Nachricht, dass sein Tumor bereits in Leber und Lunge gestreut hat. Metastasen, das, was sie bei mir ebenfalls erwartet hatten. Es ist wie ein Todesurteil für ihn. Ich bin mir nicht sicher, ob er es so registriert hat. Er macht auf mich ein Bild, als wäre er in einer anderen Welt. Vielleicht muss er das auch, als Selbstschutz?


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