Stellen die Enthüllungen Ed Snowdens ein Ereignis im Sinne Alain Badious dar?

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Stellen die Enthüllungen Ed Snowdens ein Ereignis im Sinne Alain Badious dar?

von Ralf K l o m f a ß

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Einleitung

II. Hauptteil

1. Der Ereignisbegriff Alain Badious

a) Zur Bedeutung des Ereignisbegriffes

b) Abgrenzung des Seinsbegriffes nach Alain Badiou

c) Der Ereignisbegriff: Definition und Erläuterung

2. Die Enthüllungen Ed Snowdens

a) Was wurde enthüllt?

b) Bisherige Effekte dieser Enthüllungen

3. Subsumtion der Enthüllungen Ed Snowdens unter Badious Ereignisbegriff

III. Schluss

Literatur- und Fußnotenverzeichnis

Vorwort

Diese Abhandlung beschäftigt sich mit dem im deutschsprachigen Raum bisher selten zitierten Hauptwerk Alain Badious: Das Sein und das Ereignis. So umstritten dessen politische oder gesellschaftliche Standpunkte sein mögen, so tiefgründig erweist sich seine philosophische Arbeit. Um sich kontrovers mit ihm auseinandersetzen zu können, gilt es Badious maßgebliche Thesen herauszuarbeiten. Eingangs wird seine verblüffend einfache, jedoch wohlbegründete Formel „Mathematik = Ontologie“ erwähnt. Scheint Badiou damit die Philosophie um eines ihrer Kerngebiete zu berauben, erweist sich dieser Kniff letztlich als denknotwendige Begründung ihrer selbst. Sodann wird Badious komplexes Verständnis des Ereignisbegriffs dargelegt. Dies dient zugleich – in Zusammenhang mit der Leere – der Abgrenzung vom Seinsbegriff. Nur so kann Badiou letztlich das generische Element ♀ rekrutieren, welches auf Grundlage komplexer mengentheoretischer Modelle – Badiou ist auch Mathematiker – den Zusammenhang zwischen Sein und Ereignis erklären kann.Um dieses anspruchsvolle Theoriegebäude zugänglicher zu veranschaulichen, wird dieses auf die aktuellen Folgen der bedeutenden Enthüllungen Ed Snowdens praktisch angewandt. Dadurch lässt sich insbesondere besser nachvollziehen, wann der Ereignisbegriff im Badiouschen Sinne als erfüllt angesehen werden kann. Diese universitär hochbewertete Abhandlung möchte dazu anregen, sich kontroverser mit der Grundlagenphilosophie auseinanderzusetzen.

Dank sage ich meiner Ehefrau ob Ihrer Geduld.

Erstellt in Mainz zum 8. April 2015, als elektronische Ressource formatiert am 24. September 2016

Ralf K l o m f a ß

I. Einleitung

Die Philosophie Alain Badious, welche in Deutschland erst in jüngerer Zeit Beachtung findet,[1] erweist sich als umfangreich und mutet oft ungewöhnlich an. Anhand der bedeutsamen Enthüllungen Ed Snowdens[2] soll einmal ganz praktisch das Badiousche Theoriegebäude angewandt und zugleich vorgestellt werden.

Zuvorderst durch das anspruchsvolle Hauptwerk[3] Alain Badious „Das Sein und das Ereignis“[4] wird ein vielschichtiges Verständnis des Ereignisbegriffes vermittelt. Der durch einen Eingriff ausgelöste Eintritt eines Ereignisses bildet die Voraussetzung für die Existenz einer Wahrheit, welche ihrerseits das Sein ergänzen kann.[5] Und das Sein näher zu bestimmen, ist Grundanliegen Alain Badious. Dessen Theoriegebäude erweist sich als herausfordernd, weil er Relationen zu komplexen mathematischen Modellen offen legt, indem er zwischen der Mathematik (konkreter: der Mengenlehre) und der Ontologie Identität behauptet.[6] Dies erklärt, warum er mengentheoretische Konzepte Cantors, Gödels oder Cohens umfassend (ergänzt von Zermelo, Fraenkel oder von Neumann) heranzieht und diesen seinstheoretische Überlegungen von Platon, Aristoteles, Hegel, Pascal, Leibniz, Descartes oder Heidegger gegenüberstellt. In Bezug auf den Subjektbegriff wird Lacan (in Bezug auf das Unbewusste) rekrutiert, wodurch besondere Elemente der Psychoanalyse Einfluss erhalten,[7] um letztlich im Begriff des Generischen (symbolisiert durch ♀) fundiert zu kulminieren.

Dementsprechend soll maßgeblich orientiert an Badious Hauptwerk dessen Ereignisbegriff entfaltet werden, um anhand der Enthüllungen Ed Snowdens – und daraus bis jetzt schon zu Tage tretender Effekte – konkret dessen Erfülltsein zu prüfen.

II. Hauptteil

1. Der Ereignisbegriff Alain Badious

a) Zur Bedeutung des Ereignisbegriffes

Ontologie wird üblicherweise als die allgemeinste Wissenschaft oder Untersuchung des Seins, der Existenz oder der Wirklichkeit verstanden.[8] Kühn setzt Badiou die Ontologie mit der Mathematik gleich,[9] d. h.: diese bewacht das Sein-als-Sein.[10] Dem ist nicht etwa das Nichtsein gegenüberzustellen. Vielmehr begrenzt Badiou durch diese Gleichsetzung die Philosophie und öffnet sie konstruktiv interessanten neuen Aufgaben wie der Untersuchung, »Was-nicht-das-Sein-als-Sein ist«[11] – das Ereignis. Dieses, verstanden als Ergänzung,[12] organisiert sich über die Wahrheit und das Subjekt.[13] Demnach stehen sich die Seinslehre mit ihren mengentheoretischen Grundlagen und das Ereignis (mit Subjekt und Wahrheit) gegenüber. Beide Sphären sind verbunden durch den Begriff der Leere, die jedoch nicht nichts sondern ein Nichtseiendes abbildet.[14]

Badious zentraler Einsatz zielt darauf, dass sich eine generische Vielheit denken lässt.[15] Generisch bezeichnet dasjenige, was sich nicht unterscheiden lässt.[16] Es ist die Wahrheit einer Situation bzw. die ihres eigentlichen Seins, welche das Fundament jedes kommenden Wissens bildet.[17] Die von ihm bestimmten vier generischen Prozeduren (Liebe, Kunst, Wissenschaft und Politik[18]) sind zugleich unbestimmt und vollständig. Sie bewahrheiten das Gemeinsam-Sein und den Vielheit-Grund des Ortes[19], an dem sie sich vollziehen, wobei das Subjekt ein endliches, lokales Moment des so bewahrheiteten ist.[20] Wahrheit ergänzt das Sein. Sie hängt jedoch vom Eintritt eines (rückwirkenden) Ereignisses ab, welches zwar in der Situation verzeichnet, dort allerdings überzählig ist.[21] Auch aus diesem Blickwinkel ist der Ereignisbegriff bedeutsam.

b) Abgrenzung des Seinsbegriffes nach Alain Badiou

Auch wenn Badiou die Ontologie mit der Mathematik gleichsetzt, ist das Sein nicht mathematisch.[22] Vielmehr spricht die Mathematik das aus, was über das Sein-als-Sein gesagt werden kann.[23] Die Mathematik zu zitieren dient der Bestimmung des Punktes, »an dem das Sagen des Seins – im zeitlichen Überschuss über sich selbst – sich als eine stets künstlerische, wissenschaftliche, politische oder liebende Wahrheit ereignet.«[24] Zwar kann man sich dem Sein von keiner Seite her nähern, weil es von Repräsentation wie Präsentation ausgeschlossen ist.[25] Gerade deshalb wird es für den Menschen jedoch im zwingenden Effekt der beweisenden und formalisierbaren Schlussfolgerung sagbar.[26],[27] Benannt wird es dabei einzig von der Leere.[28]

Die Leere ist ein Begriff der Mengenlehre. Die Seinslehre muss folglich diese referenzieren. So erklärt sich, warum Badiou z. B. von Mannigfaltikgeiten, der Vielheit der Präsentation, der Situation als präsentierte Vielheit, der Menge als »viele Einsen« usw. spricht.[29] Er baut auf der Definition von Cantor auf, wonach unter einer Menge jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die „Elemente“ von M genannt werden) zu einem Ganzen verstanden wird.[30] Setzt man die Menge mit dem Begriff des Seins gleich, sind Denken und Sein schlussfolgernd dasselbe – wie bei Parmenides.[31] Der absolute Seinspunkt der Vielheit ist – kurzgefasst – das Unendliche[32]. Paradoxien (wie die von Russell)[33] zeigen Unmögliches und damit, »dass es eine Präsentation des Seins gibt« [34]. Dieses „Es gibt“ veranschaulicht jedoch die begrenzte Macht der Sprache.[35] Diese behauptet nur, dass es etwas unentscheidbares in der Situation gibt, kurzum: einen Überschuss der Vielheit über die Fähigkeit der Sprache, diese Vielheit zu präsentieren, ohne sich selbst zu zerstören.[36] Weiterführend braucht es dann aber zwingend[37] einen auslösenden Seinspunkt[38], von dem aus die Sprache operieren kann: das Nichts[39] bzw. genauer: die Leere.[40] Badiou bezeichnet mit dem Wort Leere deshalb die Vernähung einer präsentierten Vielheit mit dem Sein bzw. den (Eigen-)Namen des Seins.[41] So resultiert, dass die absolut erste Existenz die einer Negation ist: Die Existenz der leeren Menge (symbolisiert Ø).[42]

 

Wichtig ist die Differenzierung zwischen der Menge α (abstellend auf die Zugehörigkeit Î, Einszählung) und die Potenzmenge P(α) (welche die Teilmengen als Eins zählt; die Verfassung der Situation[43]). In P(a) gibt es immer ein Element, dass nicht in a enthalten ist (die Menge aller Teilmengen) – ein Überschuss.[44] Die Potenzmenge bildet eine Metastruktur (die Re-Präsentation[45]), die auf a (die Präsentation) bezogen, aber niemals diese selbst ist.[46] Diese zwangläufige Dopplung einer jeden Menge in ihrer Potenzmenge wirkt bis hin zum Subjekt- und Wahrheitsbegriff.[47] Bei der leeren Menge treten zudem Besonderheiten auf:

- Sie ist Teilmenge einer jeden Menge ("β (Ø Ì β); Badiou spricht vom Treueregime der ontologischen Situation).

- Sie weist selbst als Teilmenge die Leere aus (Ø Ì Ø).

- Ihre Potenzmenge enthält als einziges Element den Eigennamen der Leere (nicht »die Leere« selbst; P(Ø) = {Ø}).[48]

Nach dieser Analyse können somit die Teilmengen den Ort bilden, an welchem die Leere eine latente Seinsfigur erhält.[49] Und die Leere tritt ereignishaft auf.[50]

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