Die Männerfreundschaft mit meinem Pferd Poseidon

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Die Männerfreundschaft mit meinem Pferd Poseidon
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Ralf Johannes Radlanski

Die Männerfreundschaft

mit meinem Pferd Poseidon

Das Buch

Es gibt so viele Pferdebücher! Warum noch ein weiteres Buch?

Weil jeder Tag mit Poseidon ein besonderer Tag war und jeder Ritt anders als der vorige. Es war mit ihm nie langweilig. Poseidon war sehr erfinderisch im Umgang mit mir. Er war mir sehr zugewandt und machte immer wieder neu auf sich aufmerksam. Im Laufe der Jahre habe ich ihn sehr gut kennen gelernt und ich konnte meist sehr gut verstehen, was er mir sagen will. Es war wirklich ein Dialog.

In den Geschichten habe ich seine Gedanken und Vorschläge als wörtliche Rede von ihm erzählt. In diesem Buch sind sie in Kursivschrift gedruckt. Ich bin mir sicher, ich habe alles richtig aufgeschrieben!

Ich habe mit Poseidon noch viel mehr erlebt, aber nur die schönsten Erlebnisse haben es in dieses Buch geschafft. Und wer ganz offen in sein Pferd hineinhört, kann auch noch viel mehr eigene Geschichten erleben!

Der Autor

Ralf Johannes Radlanski ist Anatom, Kieferorthopäde, Professor an der Charité Berlin und begeisterter Freizeitreiter.

Gastprofessuren in San Francisco (CA, USA), Turku (Finnland) und Basel (Schweiz). Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und Lehrbüchern ist er auch Autor des populärwissenschaftlichen Buches „Mein Gesicht“, welches im Quintessenz-Verlag (Berlin) erschienen ist.

Als wissenschaftlicher Autor weltweit bekannt, hat er nun ein Buch über sein Pferd Poseidon geschrieben.

Ralf Johannes Radlanski

Die Männerfreundschaft

mit meinem Pferd Poseidon

Impressum:

1. Auflage

Verlag: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

(c) Ralf Johannes Radlanski, Berlin 2019

www.radlanski.org/ralf

E-mail: ralfjohannes@radlanski.org

Alle Rechte vorbehalten

Fotos vom Autor und von

Kalinka Radlanski (Umschlag Rückseite, pp 9, 65),

Benjamin Heutling (pp 27, 46, 52, 54),

Adrian von Petersdorff (pp 134, 138),

Frank Estrada (pp 36, 107)

Widmung:

Allen Pferden dieser Welt gewidmet. Sie sollen von den Menschen, mit denen sie vertrauensvoll zusammen leben, niemals enttäuscht werden.



Inhaltsverzeichnis

Als ein Vorwort: Warum reiten?

1 Schneemann oder Pferd

2 Reitunterricht

3 Tenor und ich

4 Wapiti

5 Ein Geschenk

6 Der ist wirklich groß!

7 Aufsatteln

8 Dressur

9 Ohne Gerte

10 Ich heiße Poseidon

11 Bananen, Schwarzbrot und Möhren

12 Die Gymnastikfrau

13 Die vier Jahreszeiten

14 In Ohnmacht gefallen

15 Die dicke nasse Stute

16 Runtergefallen: 4x

17 Pferdeflüstern

18 Die Teppichübung

19 Die ungeliebten Runden um die Weiden

20 Schwimmen

21 Springunterricht

22 Verreisen

23 Ein Pferd mit Heuallergie

24 Zum Bahnhof, wenn schon nicht in den Wald

25 Knocked Out

26 Verlaufen

27 Gefahr und Verbundenheit

28 Machs gut!

Als ein Vorwort: Warum reiten?

Ein Pferd ist groß. Man hat einfach viel davon.

Ein Pferd hat sehr viel Fell. Ich striegle Poseidon sehr gerne. Es dauert schon eine ganze Weile, ich bis ich jede Stelle seines Körpers einmal gründlich massiert habe. Ich mache das sehr gerne und ich bin sicher, dass dies auch Poseidon gut tut. Wenn ich neben Poseidon stehe, kann ich nicht über seinen Rücken drüberschauen, aber ich muss mit der Bürste und Kardätsche auch dort mit Druck jeden Flecken Fell und Haut durchkämmen, wo ich nicht so leicht hinkomme. So bin ich körperlich allein vom Striegeln selber schon ziemlich gut durchgymnastiziert. Und dann hat er vier Hufe, die gründlich gesäubert werden müssen. Dazu muss ich dann natürlich in die Hocke gehen.

Ein Pferd braucht viel Raum.

An diesem Raum lässt es mich teilhaben und ich empfinde viel Glück, wenn ich mit dem Pferd die großen Entfernungen zwischen Stall, Weide und im Wald gemeinsam durchmessen kann.

Ein Pferd hat viel Kraft.

Auch an seiner Kraft lässt mich Poseidon teilhaben. Wenn er mal wirklich kräftig antritt, dann muss ich mich ordentlich mit Kraft und Gleichgewicht auf seinem Rücken festhalten, um mit ihm diese Beschleunigung aufzunehmen. Ich habe den Eindruck, das ist mehr, als in einem Sportwagen, wenn man das Gaspedal durchtritt und auch mehr, als ich spüre, wenn ein Flugzeug auf der Rollbahn zum Abflug spurtet.

Diese Kraft, die Poseidon hat und die er mir erlaubt zu bändigen, erfordert von mir einerseits auch eine gewisse Kraft und einen guten sportlichen Trainingszustand. Anderseits erzeugt es in mir ein großes Gefühl der Dankbarkeit, dass Poseidon es zulässt, seine große Kraft mit nur ganz sanften, kleinen Zeichen von mir wohl dosiert steuern zu lassen.

Das ist nur möglich, weil er mir vertraut und weil ich ihm vertraue. Wir lassen uns gegenseitig aufeinander ein. Mir gibt das sehr viel Selbstvertrauen. Poseidon hat viel mehr Kraft als ein Mensch ich muss mit ihm verhandeln, mich einigen, Vertrauen erarbeiten und mich auf ihn verlassen. Und Poseidon ist ein Pferd, man kann noch nicht einmal mit ihm sprechen. Na ja doch, wenn ich in ihn reinhöre, dann verstehe ich schon ziemlich gut, was er möchte, was er meint und was er mir mitteilen will.

Natürlich kommt von ihm auch mal ganz deutlicher Widerspruch. Meist hat das seinen Grund – den ich manchmal nicht sofort, sondern erst im Laufe der Zeit von ihm erfahre. Dann weiß ich, dass er Recht hatte und dass ich ihm gleich hätte glauben sollen. Also, wenn er im Wald mal nicht sofort auf meine Hilfe hin angaloppiert, könnte ich enttäuscht sein. Nach wenigen Metern aber wird mir klar, warum er das nicht gemacht hat: Er hat sich an die matschige Stelle hinter dem Busch da erinnert. Und gleich danach gehen seine Ohren nach hinten:

Und Du wolltest hier Galopp, nicht wahr?!

Solche Erlebnisse schaffen eine Zweisamkeit, die nachhaltig wirkt. Ich kann ihm vertrauen. Es gibt auch Situationen, in denen er lernen muss, mir zu vertrauen. Bei einem unserer ersten Ausritte in den Wald kamen wir an eine Stelle, die sehr stark bergab führte. So etwas hatte Poseidon wohl noch nie vorher gesehen. Mit heftigem, manchmal auch pfeifendem Ausatmen zeigte er mir, wie groß seine Angst war. Mit Beruhigung und mit allmählicher Überzeugung, mit sanften, aber nachhaltigen Paraden, beständig nach vorne, mit ganz kleinen Schritten ging Poseidon dann doch den Bergweg hinunter. Und unten im Tal hat er so voll Freude entspannt geschnaubt, und ist von da an mit selbstbewusst-forschem Schritt weitergegangen, dass ich sogar auch Tränen in den Augen hatte: Mir war es gelungen, dieses große Pferd zu einer Leistung zu überreden, die es von selbst gar nicht gewagt hätte, zu beginnen. Ich bin mir sicher, mit dieser Art der sanften, aber beständigen Überzeugung konnte ich auch schon so manchen Mitarbeiter von mir zu größerem anstiften. Ja, tatsächlich, meine Töchter haben mir beide schon gesagt, dass ich in der Erziehung bei ihnen eigentlich alles genau so mache, wie ich auch mit Poseidon umgehe. Das sehe ich als Kompliment. (Meine beiden Töchter kennen Poseidon sehr gut, mein Sohn reitet nicht und hat nicht diesen Vergleich).

 

Das Reiten selbst ist wirklich ein anstrengender Sport. Das wissen nur die Leute nicht, die nicht selbst reiten. Die denken, man sitzt da ja nur so drauf. Aber ein Pferd läuft nur dann gut, wenn der Reiter es möglichst nicht bei seinen Bewegungen stört. Das bedeutet, dass der Reiter selbst eine sehr gute Kondition haben muss, um die kräftigen Bewegungen des Pferdes rhythmisch aufzunehmen, elastisch abzufangen und zu modulieren. Reiten, also das Pferd steuern heißt dann, die eigene Körperspannung in kleinsten Details an jeder Stelle des Körpers ganz gering oder auch mal ganz stark so zu verändern, dass das Pferd diese Signale aufnehmen und umsetzen kann. Wenn ich nach einem guten Ritt von Poseidon absteige, dann zittern mir alle Muskeln. Dann weiß ich, das war wieder mal ein super guter Workout! Bis ich das selbst so konnte, hat es einige Jahre gedauert. Reitsport erfordert komplizierte Bewegungsabläufe, die ich nur mit sehr viel Disziplin, Ausdauer und auch dem Wunsch, es dem Pferd zuliebe endlich richtig können zu wollen, langsam aber gründlich gelernt habe. Ich kann an dieser Stelle zugeben, dass ich in der Schule noch so unsportlich war, dass ich nie (!) eine Urkunde bei den Bundesjugendspielen bekam und dass ich aus Angst nie über den Bock gesprungen bin. Wenn mein damaliger Sportlehrer heute nun sehen könnte, dass ich zusammen mit einem 600-Kg-Pferd unter mir noch über viel größere Böcke springe...

Ich genieße es, mich gewissermaßen auch schicksalhaft auf Poseidon einzulassen. Ich muss mich auf ihn verlassen können, wenn wir zum Beispiel mal gemeinsam eine so deutliche Schräglage einnehmen, aus der wir zusammen auch umkippen könnten, wenn er nicht doch noch mit einem richtigen Schritt unser Gleichgewicht wieder herstellen würde. Er ist ja der einzige von uns beiden, der läuft. Oder wenn er mal so richtig schnell, aus purer Freude und laut wiehernd mit höchstem Tempo über ein freies Feld galoppiert, dann muss ich wissen und darauf vertrauen, dass er Obacht gibt, nicht zu stolpern und dass er auch rechtzeitig wieder langsamer wird. Solche Situationen lasse ich zu, weil ich ihm vertraue. Ich spüre, dass er am Ende, wieder in gemächlichem Trab nach so einem fast selbstvergessen Spurt auch wieder merkt, ach ja, Du bist ja auch noch da – war doch aber eben ganz toll, oder?

Und wenn wirklich mal etwas passiert wäre, ja dann wäre es uns beiden gemeinsam passiert. Auch das schweißt zusammen. Wer das nicht glaubt, der muss es einfach mal selber erfahren!

Aber so reiten kann ich nur, wenn ich in jeder Sekunde zu hundert Prozent in Gedanken und körperlich bei Poseidon bin. Diese höchste Aktivität läßt mich all die anderen Dinge, die ich auch noch zu tun habe, vergessen. Diese gemeinsame Zeit schenken wir uns beide. Und das wirkt sehr stark entspannend.

Ich bin froh, dass ich die Gemeinsamkeit mit Poseidon erleben darf. Das zwingt mich auch, ganz unabhängig vom Wetter in ziemlicher Regelmäßigkeit Poseidon zu einem Ritt zu überreden, denn wir beide müssen im Training bleiben.

Zu all den Gründen, warum Reiten so schön, so wichtig und so gut ist, kommt noch ein weiterer Grund hinzu:

Die bedingungslose Liebe in dieser Männerfreundschaft, also Poseidon und ich.

1 Schneemann oder Pferd

Woher meine Zuneigung zu den Pferden kommt, kann ich nicht sagen.

Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich sie schon als Kind. Immer, wenn ich im Wald nur einige Hufspuren gesehen hatte, habe ich mir die Pferde vorgestellt, die sie hinterlassen haben. Große, langsam im Schritt schreitende, mit ihrem voluminösen Körper wiegende Pferde, deren Mähne mit jedem Schritt so schön flattert, mit glänzendem Fell, meist dunkel. Und ich hatte den schweren, aromatischen Geruch sogleich in der Nase. Auch, wenn sie gar nicht da waren.

Natürlich kannte ich Pferde – der Blumenmann auf dem Markt kam immer mit einem Kutschwagen und während er seine Blumen verkaufte, stand seine Stute Wanda dort, ließ sich von uns Kindern betrachten und streicheln. Beim Füttern hat sie mir einmal (ganz bestimmt aus Versehen!) auf meinen Finger gebissen. Sogleich hat sie, wie um Entschuldigung bittend, ihren Kopf nach oben weggezogen. So habe ich das als Kind verstanden und ich bin sicher, sie hat es wirklich so gemeint.

In der Nähe der Schule war ein Gestüt mit Halle, Reitplatz und einigen Pferden. Wer dort reiten konnte, weiß ich nicht, jedenfalls habe ich sie bewundert und auch ein bisschen beneidet. Ich gehörte ja nicht dazu. Einmal durfte ich helfen, die Stangen für die Sprunghindernisse zu tragen. Als Belohnung durfte ich eine Runde – es war wirklich nur eine Runde – auf einem Pferd, das geführt wurde, auf dem Platz reiten.

Diese wiegende Bewegung unter mir hat sich tief eingeprägt, diese sanfte, rhythmische Kraft.

Mir fällt auch noch ein, als Kind im Winter, als andere einen Schneemann gebaut hatten, dass ich mir stattdessen ein Pferd gebaut hatte. Immerhin so groß, dass ich mich auf seinen Rücken setzen konnte.

Ich hatte schnell einen nassen, kalten Hintern – daran kann ich mich wirklich noch sehr gut erinnern!

2 Reitunterricht

Als Kind wollte ich ja immer Reiten lernen, aber es war aus verschiedenen Gründen nicht möglich. So blieb es lange ein Wunschtraum. Aber als ich dann so auf Ende dreißig zuging, habe ich mir eine Reithose, Reitstiefel (erstmal die billigen aus Gummi – falls ich doch schnell wieder aufhören sollte) gekauft.

Im Reitstall Wallenhauer habe ich dann mit dem Reitunterricht begonnen, Kalinka und Jana, meine Töchter dann auch gleich.

Dann stand ich neben dem Schulpferd, es hieß Zorro (wehe, der Name ist Programm!). Noch kurz habe ich überlegt, warum mache ich das jetzt? Freiwillig?! Das Pferd war so groß wie ich und wartete darauf, dass ich aufsteige. Also, mit dem linken Fuß in den linken Steigbügel – weiter hoch kam ich aber erstmal nicht. Diese Bewegung, also den Rest meines Körpers da hochzuhieven, habe nicht so gleich geschafft. Der Sattel mit den Steigbügeln knarzte laut und meine Beinmuskeln zerrten sich. Da hat der Reitlehrer Wallenhauer nicht ganz sanft nachgeschoben. So bestand dann kurz noch die Gefahr, dass ich auf der anderen Seite gleich wieder kopfüber zu Boden gehen könnte.

Als ich dann auf Zorro saß, und als er den Worten Wallenhauers folgend losging (Wallenhauer kommandierte: „Sche-Ritt{1}!“ und wedelte mit der Gerte), da schwankte dieser große Zorro doch ziemlich wackelig unter mir voran.

Als es sogleich an der Longe im Trab mit starken Fliehkräften im Kreise herum weiterging, habe ich immer mehr das Ende einer jeden Runde herbeigesehnt.

Aber trotzdem, ich wollte das ja!

Und immer habe ich einen neuen Fehler nach dem anderen gemacht. Die Zügel flatterten und ich konnte einfach nicht den Rhythmus des wippenden Kopfes von Zorro mit meinen Händen nachzeichnen, weil mein Körper ja auch noch hoch und runterhüpfte. Und ich musste ja auch noch irgendwie zentriert auf seinem Rücken bleiben und nicht rechts oder links davon runterrutschen. Diese Gefahr bestand bei jedem einzelnen Schritt aufs Neue und musste kontrolliert werden. Und doch, ich wollte das lernen!

Zorro tat mir auch Leid, dauernd ruckten die Zügel in seinem Gebiss herum und oft krachte ich, vollkommen aus dem Rhythmus gekommen, mit meinem Hintern auf seinen Rücken. Das tat ihm bestimmt weh – mir jedenfalls schon!

Dazu kam noch das Geschrei von Manfred Wallenhauer. Er war ein typischer Vertreter der Art Reitlehrer mit rauem Ton. Dabei wedelte er mit der Gerte, die auch mal knallte. Und ich hatte Angst, dass Zorro bei dem Peitschenknall plötzlichen einen Satz nach vorne machen könnte. Das war mir gar nicht recht, ich wollte eigentlich eher im Einvernehmen mit dem Pferd reiten. Oft wusste ich gar nicht, was ich denn schon wieder falsch mache und vor allem: was muss ich anders machen und wie geht das!?

Es gab da noch einen anderen Reitlehrer, Philipp Thalheim. Der kam mir ruhiger vor und er hatte eine eher analytische, elegante akademischere Art. Den konnte ich besser verstehen.

Irgendwann, nach vielen Stunden, in denen ich mir in jeder freien Minute am Tag und nachts wach im Bett liegend jede einzelne der komplexen, gemeinsamen Bewegungen zwischen mir und dem Pferd unter mir in Zeitlupe vorgestellt und immer wieder durchlebt habe, ging es plötzlich: Ich war im gleichen Rhythmus wie das Pferd, auf dem ich Reitunterricht hatte!

Dann ging es eine, zwei, drei, vier, ja viele ungezählte Runden im weichen, gleichmäßig immer schneller werdenden Galopp in der Halle immer an der Wand entlang und im Kreise herum. Erst beim Absteigen, als mir etwas schwindelig war und ich mich durchgewalkt gefühlt habe, also erst beim Absteigen habe ich gemerkt, wie mir der Hintern brannte, als sich das Leder der Reithose etwas anders spannte. Noch etwas später, erst als ich zu Hause war, habe ich – nicht ohne einen Spiegel – gesehen, wie rosa mein Hintern an der Stelle war, mit der ich den Kontakt zum Sattel auch im Galopp immer gehalten hatte.

Den Trick, meinen Hintern vor jeder Reitstunde mit Hirschtalg (den gibt es als Stift, wie einen Labello-Stick) einzuschmieren, hat mir Philipp erst danach gegeben. Zu der Zeit habe ich ihn schon einige Male gebraucht, dann später all die Jahre mit Poseidon nie mehr.

3 Tenor und ich

Als ich sicher galoppieren konnte, hatte mir Manfred Wallenhauer ein sehr edles Schulpferd anvertraut. Es war ein dunkelbrauner Wallach namens Tenor – Betonung auf der ersten Silbe.

Oft bin ich schon früh morgens da gewesen, als noch niemand auf dem Hof war. Eines Morgens lag Tenor sogar noch im Stroh und war langsam dabei, sich aufzurichten. Erst blieb er mit untergeschlagenen Beinen eine zeitlang sitzen, bevor er sich in voller Größe hinstellte. Er hatte noch viele Schlaffalten auf einer Seite im Fell und die Strohhalme fielen langsam herab.

Ich habe alles alleine gemacht, gründlich gestriegelt, Hufe gekratzt, aufgezäumt, gesattelt, die Beine gewickelt und habe dann in der Halle meine Runden mit ihm gedreht. Es mussten ja alle Dressurübungen verinnerlicht werden. Am Ende konnte ich ihn postkartengenau manövrieren. Das ist beim Reiten im Wald dann später ja lebenswichtig.

Ich war nicht immer alleine mit Tenor in der Reithalle. Ab und zu war auch der Kunstprofessor Harro mit seinem riesengroßen Pferd Godon, der hatte ein Stockmaß von 190, mit in der Halle. Ob es mich gestört hat, oder ob es mir doch am Ende geholfen hat, kann ich nicht genau sagen. Jedenfalls durchkreuzte er die Halle dort ganz elegant und schwungvoll und es gibt auch Vorfahrtsregeln, die Tenor und ich genau kannten. Dabei hat mir auch gut gehorcht, als ich ihm mit den geeigneten Paraden signalisierte, dass wir sie auch besser anwenden sollten.


Harro konnte es dann aber nicht lassen, mich – so gut wie ich mich mit Tenor bemühte – anzuschreien, um mir die Finessen der Reitkunst, so wie er sie sich selbst und mir vorführte, beibringen zu wollen. Da hockte er gar nicht mehr ganz so elegant gestreckt, sondern mit krummem Rücken keifend auf seinem Pferd und fuchtelte mit der Gerte in der Luft herum und bellte mich an. Tenor nahm es gelassen, ich dann auch, und am Ende habe ich noch etwas gelernt.

Es gab dann bald die Belohnung:

Als ich ihm zeigen konnte, dass ich aus schnellem Galopp innerhalb weniger Schritte Tenor zum Halten bringen konnte, meinte er, nun sei die Grundbedingung erfüllt, dass ich mit ihm einmal in den Wald ausreiten könnte.

Nach diesem ersten Ausritt mit Tenor im Wald, in Begleitung mit Harro auf seinem Godon, bin ich dann viele Male mit Tenor ganz alleine im Wald unterwegs gewesen. Wir waren eine Einheit geworden.

4 Wapiti

Mit Tenor hatte ich mich richtig gut angefreundet, dann kam aber schon die nächste, noch bessere Gelegenheit: Ich bekam Wapiti als Reitbeteiligung von einer Amerikanerin, die ihn nicht jeden Tag reiten konnte, angeboten. Er war ein leicht nervöser Fuchswallach, mit dem ich nach einigen Unterrichtsstunden, die der gegenseitigen Eingewöhnung dienten, dann aber auch gleich alleine in den Wald geritten bin.

 

Beim ersten Ausritt, bei dem zunächst eigentlich alles sehr gut und fehlerfrei geklappt hatte, raste er am Ende dann aber doch im schnellsten Galopp, als es eigentlich ganz scharf rechts um die Kurve gehen sollte, wohl wegen der hohen, von mir nicht mehr bremsbaren Geschwindigkeit, mehr geradeaus als nach rechts in eine Waldschonung hinein. Bevor er mich zwischen zwei Bäumen abstreifen konnte, bin ich noch schnell abgesprungen, aber er ist dann schlank weitergerast und war dann ohne mich deutlich früher wieder im Stall als ich ohne ihn.

Am nächsten Tag bin ich dann gleich wieder mit ihm dieselbe Strecke abgeritten und dann ist das nie wieder so passiert. Er hat mir von da an detailgetreu gehorcht und wir haben den Wald gemeinsam erkundet.

Er mochte Möhren und Weintrauben sehr gerne. Für die Möhren hat er immer seinen linken Vorderhuf ganz hoch bis an seinen Bauch angehoben und so, auf drei Beinen stehend, hat er seinen Kopf ganz tief gesenkt. Kurz bevor er umzufallen drohte, hat er dann nach der jeweiligen Möhre geschnappt. Und die raschelnde Papiertüte, in der ich die Weintrauben immer mithatte, hat ihn immer so lange aufgeregt, bis er dann jeweils eingesehen hatte, dass sie am Ende wirklich leer war.


Eines Tages ging seine Besitzerin in die USA und es stand der Abschied an. In seiner Box stand er hinter mir, hatte seinen Kopf über meine rechte Schulter geschoben und hielt mich mit seiner Schnauze an meinem Bauch an sich gedrückt fest. Er hat mich wirklich festgehalten, denn bei jeder Bewegung, die ich machte, als ob ich gehen wollte, hat er noch fester zugedrückt. Woher weiß ein Pferd so etwas?

Wapiti habe ich übrigens nie wieder gesehen, Tenor auch nicht.

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