Missbrauch mit dem Missbrauch

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Missbrauch mit dem Missbrauch
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Impressum
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2020 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-4408-4

ISBN e-book: 978-3-7103-4701-6

Umschlagfoto: www.pixabay.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag

Innenabbildungen: Rainer Bertram

www.united-pc.eu

Inhalt
Widmung
Einleitung
Warum dieses Tagebuch?
Ist das wirklich so?

Vom Himmel zur Hölle –
nur ein Moment
Mittwoch, den 27.06.2012
Noch 216 Stunden
Doris ruft an und fragt, ob wir Lust hätten mit ihr nach Rügen zu fahren. Das Ferienhaus ihrer Mutter sei für acht Tage frei und es würden lediglich die Fahrtkosten und Verpflegung anfallen. Wir überlegen nicht lange. Die Probleme mit unserer Hausfinanzierung, dem anstehenden Prozess mit dem Nachbarn lassen einen Urlaub finanziell nicht zu. So kämen wir doch mal raus. Meine Partnerin telefoniert mit ihrer Mama, denn die muss einverstanden sein. Auch unser ehemaliges Kindermädchen und jetzt frisch ernannte Erzieherin, müssen wir fragen, denn sie hat uns sonntags eingeladen, um ihre bestandene Prüfung zu feiern. Im Laufe des Abends diskutieren wir noch über unseren Bau, den Prozess um den illegalen Anbau des Nachbarn und die möglichen Folgen, wenn er gegen alle Erwartungen gewinnen würde. Aber wir wissen auch, wer baut, baut meist kein zweites Mal, weil er sich diesen Ärger nicht noch einmal antuen will. Als wir zu Bett gehen, bringe ich wie jeden Abend unseren Sohn zur Toilette. Den kleinen Mann im Halbschlaf stelle ich vor das Becken, ein kleiner Schubs mit dem Knie an seinen Po und er steht richtig. Die Mama wischt ihn kurz ab und ich trage ihn zurück ins Bett. Dann stelle ich den Wecker für das nächste Pipimachen. Im Bett erzählt mir meine Partnerin wieder von ihren Sorgen mit dem Nachbarn. Sie erzählt von ihrer Schule, dem Kollegium, von ihren Problemen und ihren Ängsten vor der Zukunft, von dem Haus, das sie nicht liebt. Ich kann die Augen nicht mehr aufhalten. Die letzten Wochen drei oder viermal aufstehen und Sohnemann zur Toilette bringen zehren an Kraft und Nerven. Ich sage ihr, dass wir bis jetzt alle Probleme gelöst hätten, sie doch dieses Haus unbedingt haben wollte, ich jetzt aber nicht mehr könne. Sie geht nach unten, nachdem sie noch „Danke fürs Gespräch“ gemurmelt hat. Seit Wochen scheinen bei meiner Partnerin nur noch der Stress im Büro, der Stress mit der Schwester und deren angebliche Vergewaltigung, der Stress mit dem Nachbarn wichtig. Wie es mir dabei geht, steht überhaupt nicht zur Debatte. Sie hat sich verändert. Ich habe den Eindruck, dass Erfolg im Beruf, Erfolg im beruflichen Netzwerk, Anerkennung bei einzelnen Kolleginnen oder im Kollegium für sie immer wichtiger werden. Das, wovor ich immer gewarnt habe, scheint bei ihr eingetreten zu sein. Sie hat Schwierigkeiten mit der Macht ihres Amtes. Kolleginnen, die ihr widersprechen oder nicht ihren Anforderungen entsprechen, werden mithilfe der Schulaufsichtsbeamtin versetzt oder es wird ihnen ein Versetzungsersuchen nahegelegt. Meine Ratschläge zur Mäßigung verhallen zunehmend. Sie scharrt einige Gefolgsleute mit kleinen Annehmlichkeiten wie Freistunden um sich. Mich wundert manchmal, dass die Schulrätin das stützt. Sie hadert mit ihrem Alter. Sie trauert dem Mangel an Möglichkeiten zur Veränderung nach. Sie merkt, dass sie mit dem noch nicht fertigen Haus gebunden ist, dass dieses Haus zu teuer geworden ist. Sie leidet fast körperlich unter der Erkenntnis, dass alle ihre Freunde vom „Häuschen“ reden, zumal es noch in zweiter Reihe steht. Für sechs Jahre wollte sie ins Ausland, weil sie Veränderung braucht und macht mich für das Scheitern dieser Bewerbung verant-wortlich, denn die beteiligten Entscheidungsträger der einzelnen Referate kenne ich alle. Was sie einfach nicht sehen will, ist die Tatsache, dass es nicht um Wollen geht, sondern sie schlicht und ergreifend keine dazu erforderliche Stelle des gehobenen Dienstes erhalten kann. Ein Laufbahnwechsel ist nicht möglich, zumal es nach der Rückkehr dann keine Stelle für sie geben würde. Und sie hadert mit der Tatsache, dass ich älter geworden bin und seit einigen Monaten nicht mehr im aktiven Dienst. Sie empfindet das als persönlichen Abstieg. Manchmal denke ich, dass sie inzwischen unsere Verbindung mit denen anderer Paare vergleicht und nicht mehr zu ihrer Entscheidung stehen möchte. Dazu passt, dass sie sich eine Illustrierte gekauft hat, in der ein mehrseitiger Artikel über das Scheitern der Ehe eines älteren Schauspielers steht. Eine solche Zeitschrift kauft sie eigentlich nie. Mir ist der Ausspruch von ihr „die haben es auch nicht geschafft“ noch im Ohr. Und da ist der Ärger mit dem Nachbarn, mit seinem illegalen Anbau und die daraus resultierende finanzielle Belastung. Dann der unerwartet notwendige Autokauf der A-Klasse von der Mutter, weil diese kurzfristig ein neues Auto gekauft hat und die Tochter das alte von ihr abkaufen muss. Es steht nicht zur Debatte ob ich das gut finde. Meine Meinung zu der Tatsache, dass die Mutter sich das Auto bezahlen lässt, spielt keine Rolle. Bevor ich mir berechtigte Kritik für diese Meinung einhandle, möchte ich nur erwähnen, dass sie von ihrer Mutter ein Versprechen über einen sehr großen Geldbetrag für das Haus erhalten hatte. Nur deshalb haben wir vom Reihenhaus zu einem freistehenden Haus gewechselt. Als es dann daran ging, dieses Geld einzusetzen, war es erst einmal nicht da und dann ein halbes Jahr verspätet nur noch zu einem Teil. Den Kachelofen wollten die Eltern bezahlen. Als die Rechnung kam, war davon keine Rede mehr und das Budget für das Haus um einige Tausend kleiner. Deshalb erwähne ich den Kaufpreis für das Auto der Mutter. Da ist die Sorge um ihre persönlichen Probleme, die mich mehr und mehr beeinflussen. Das alles nimmt sie nicht wahr. Die Tatsache, dass egal was ich tue, egal wie richtig oder gut, letztendlich immer nur zählt, was ihre Mutter sagt, ist auch ziemlich frustrierend. Obwohl wir einen Anwalt haben, soll die Frage zum Rechtsstreit mit dem Nachbarn wieder mit der Familie – Mutter – abge-sprochen werden. Wenn Mama sagt, dass erst der Manfred gefragt werden soll, wird der auch gefragt. Manfred aber ist gerade der Mann, der angeblich die Schwester vergewaltigt haben soll. Der soll jetzt gute Ratschläge geben. Einige Tage vorher habe ich deshalb ziemlich sauer reagiert. Ich versuche den Bau für sie so gut wie möglich herzurichten und sie sagt mir, dass ihr das Haus egal sei. Dabei war sie es, die das Haus wollte. Ich frage mich, ob sie einen anderen Mann kennengelernt hat. Seit Wochen scheint sie mit ihren Gedanken eigentlich woanders zu sein, ihre Zuwendung wirkt aufgesetzt. Wir reden fast geschäftsmäßig miteinander. Sie kommt später nach Haus, legt sich schlafen oder hat dienstliche Angelegenheiten oder Internetrecherchen zu machen. Es wirkt oft so, als denke sie an jemand anderen, während sie am Tisch oder auf der Couch sitzt. Vor dem Schlafengehen schaut sie mehrmals auf ihr Handy, ob noch ein wichtiger Anruf oder eine SMS gekommen ist. Manchmal piepst das Handy nach Mitternacht. Wie sie sagt, erhält sie von Kolleginnen nachts noch Nachrichten. Aber dann zerstreut sie wieder alle Zweifel, als wir mit unserem ehemaligen Kindermädchen zusammensitzen. Meine Partnerin erzählt von unserer besonderen Liebe und wie glücklich wir sind. Sie wünscht ihr, dass sie genauso viel Glück haben möge wie sie selbst es hat. Dann wieder will ich glauben, dass sie nur stark unter Stress steht und versuche soweit mir das möglich ist, Normalität zu leben. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf als sie sich unten vor den Fernseher setzt. Ich kann sie nicht einfach sitzen lassen und gehe nach unten. Ich erkläre ihr, dass ich enttäuscht bin, weil sie, anstatt sich zu freuen, dass uns ein Urlaub, den wir uns nicht leisten können, ermöglicht wird, immer nur Probleme sieht. Wie oft haben wir in unserem gemeinsamen Leben Hilfe von unerwarteter Seite bekommen. Wie oft haben wir uns durchbeißen müssen und sind stärker geworden. Ein Nachbar und sein Bau können uns doch nicht so aus der Bahn werfen. Da ich durch das Wecken von Sohnemann oft wach bin, beobachte ich in den letzten zwei Wochen immer wieder ein etwas bizarres Tiefschlafverhalten meiner Partnerin. Da kriecht etwas in mir hoch, ich spüre, dass sie sich von mir entfernt und schlafe in dieser Nacht nicht mehr ein.
Samstag, 30.06.2012
noch 144 Stunden
Das Navi sieht uns bereits um 16:20 Uhr am Ziel. Wir könnten die Freundin mit ihrer kleinen Tochter sogar noch am Bahnhof abholen. Natürlich kommt es ganz anders, wir sind erst gegen 20:00 Uhr am Ferienhaus. Irgendwo Essen gehen ist nicht mehr. Wir räumen den Wintergarten um und essen gemütlich im Haus. Die Kinder werden von den beiden Mamas gemeinsam geduscht und ins Bett gebracht.
Später sitzen wir noch zusammen. Die Mamas haben beim Duschen festgestellt, dass die Kinder ihren Körper entdecken und sich sehr interessiert beim Duschen betrachten und die beiden Mütter mit Fragen gelöchert haben. Die Freundin erzählt, dass vor einigen Tagen ihre kleine Tochter zu ihr kam, weil es „da“ so kitzele. Sie hätte weinend gefragt ob sie jetzt zum Arzt müsse. Auch meine Partnerin erzählt von einer „frühen“ Entwicklung bei unserem Sohn. Aber bei Levin ist das ein anderes Problem. Unser Sohn hatte lange Zeit die Angewohnheit den Stuhlgang zurück-zuhalten. Der Kinderarzt, den wir um Rat gefragt haben, erklärte uns: „Es tut weh, also hält er zurück. Dann tut es noch mehr weh“. Er empfahl uns Movicol und eine Belohnungsspirale. Wir sollten unseren Sohn regelmäßig zur Toilette bringen und ihm helfen. Rituale – gleiches Prozedere und Belohnung. Es waren harte Wochen. Ich kniete oft vor ihm vor der Toilette, hielt ihm beide Hände bis es endlich klappte. Wund sein, im Kindergarten unbemerkt die flüssigen Pupse in die Hose und erst Stunden später am Nachmittag eine frische Hose. Viel Creme war an der Tagesordnung. Er schrie vor Schmerzen, wenn er wieder mal nach dem Kindergarten einige Stunden einen flüssigen Pups in der Hose hatte und wir versuchten den Popo sauber zu machen. Ich erinnere mich an einen Abend als er sich laut weinend wehrte, dass der Popo mit Wasser abgespült werden konnte. Am nächsten Morgen hätte er einen offenen Po gehabt und deshalb versuchte ich mit aller Überredungskunst wenigstens die Reste von Kot zu entfernen. Für die Mama war das „Weinen“ so furchtbar, dass sie sich ins Bett zurückzog. Ich hatte wieder mal allein das Problem zu lösen. Als er dann sauber und wieder lachend im Bett lag, war auch die Mama tröstend da. Heute ist das selten geworden, Er geht allein und ruft nur wenn er fertig ist. Auch das Wund sein ist seltener geworden, er duscht oder badet allein, wäscht sich auch die Haare allein. Mama oder Papa halten meist nur noch den Duschkopf. Und noch etwas ist überwunden. Der Kinderarzt hatte bei unserem Sohn eine Phimose festgestellt und gab uns eine Cortison Salbe, welche die Haut weicher machen sollte. Als Sohnemann dann der Mama beim Baden zeigte, dass die Haut zurückging, fand sie das nicht lustig, sondern ekelhaft. Für mich war das eine vermiedene OP. Einige Tage später wollte er beim Duschen von mir wissen, ob er „da“ immer waschen müsse. Ich sagte ihm, dass man das nicht jeden Tag aber immer mal wieder machen sollte und Mama stand mit skeptischem Blick daneben. Sie meinte, dass er das noch nicht müsse. Im Stillen habe ich mich damals gefragt, ab wann denn dann? Und heute frage ich mich, warum plötzlich über Dinge diskutiert wurde, die in hunderttausend anderen Familien nicht einmal erwähnenswert sind. Wir Drei sind uns insoweit einig, dass das kindliche Entdecken des Körpers in diesem Alter völlig normal sei. Die Äußerungen der Kinder unter der Dusche zu Scheide und Penis sind damit im Gespräch abgehakt. Als wir alle zu Bett gehen, wird mir bewusst, dass unser Sohn nicht ohne Probleme die steile Treppe zur Toilette hinuntergetragen werden kann. Meine Partnerin schlägt vor, am nächsten Tag einen Joghurteimer zu kaufen.
Für diese Nacht hole ich zwei Frühstücksbeutel. Die kann man gut verschließen.
Sonntag, 01.07.2012
noch 120 Stunden
Gemütliches langes Frühstück. Hängen lassen. Die problematische Beziehung der Freundin zu ihrem neuen Freund ist ein Hauptthema, die Kinder beschäftigen sich mit ihren Spielsachen, die sie beim Brötchen holen bekommen haben. Meine Partnerin erzählt, dass Sohnemann zweimal in eine Plastiktüte gemacht habe. Nachdem Christel für mich völlig unerwartet unsere bisherige Praxis kritisiert, will ich nachlesen, ob mein Verhalten nicht sogar kontra-produktiv sei. Im Gespräch mit Doris Google ich auf dem I-Pad und finde einige Beiträge in denen „zu tiefer Schlaf“ als eine Ursache des „Bettnässen“ genannt wird. Wecken, Höschen – Klingel und manch „guter“ Rat ist zu finden. Meine Partnerin, die dazu kommt, lehnt für mich völlig überraschend, gegenüber Doris das Wecken und zur Toilette tragen ab und gibt der Klingelhose den Vorzug. Ich bin der Meinung, dass Levin so tief schlafen würde, dass er die Klingel auch nicht hören würde. Richtig sauer werde ich dann, als Christel verkündet, dass ihre Mutter gesagt habe, wir sollten ihr unseren Sohn drei Wochen lassen dann wäre er trocken. Wieder, wie so oft will die Mutter alles regeln können. Ich reagiere ziemlich heftig und verweise auf den Kinderarzt, der uns doch erklärt hat, dass sich alles auswächst. Ich empfinde es frustrierend, dass nicht zählt was wir machen, sondern in den Augen der Partnerin nur die allwissende Mutter – eben das für alle Belange zuständige „B“ – als einzig kompetent gesehen wird. Unser Sohn diskutiert mit mir über die Welt, den Weltraum, den Nordpol, Schiffe und Raketen. Er ist an allem interessiert, will alles wissen und verstehen. Besonders schön ist es, dass er auch versteht. Ich erinnere mich an ein Video, das ich bei einem unserer Ausflüge in die Weinberge gemacht habe. Levin klärt mit mir den Unterschied zwischen der „Erde“ und „Muttererde“. Er interviewt seine Mama über den Ausflug und nimmt das selbst auf dem Handy seiner Mama als Video auf. Er spielt Fremdenführer in dem Weinort und erklärt uns Torbögen und Fassaden während er filmt. Diese Videos sind für mich verloren, einzig das „Erdenvideo“ auf meinem Handy habe ich noch. Aber bei all seinen kognitiven Stärken und bei aller Fähigkeit zu diskutieren, Pipi macht er ins Bett. In allen Entwicklungsberichten des Kindergartens ist aufgeführt, dass Levin Schwächen beim Einnässen und auch beim Stuhlgang zeigt. Deshalb haben wir ja mit dem Kinderarzt die langfristige Erziehung besprochen. Auch beim Anmelden in der Schule haben wir auf dieses Problem hingewiesen. Die Phimose bei Levin ist mit der Kinderarzt-Methode behoben. Gott sei Dank ohne OP und vor allem ohne Oma. Auch muss ich nicht mehr vor ihm sitzen und seine Hände halten, bis der Stinker raus ist. Mittlerweile können wir warten bis er ruft. Nur Pipi macht er ins Bett. Er schläft so tief, dass er es nicht merkt. Wir haben es mit Wecken probiert und dann während des Aufenthalts bei ihrer Familie wieder Windelhöschen benutzt. Bei der Übernachtung mit dem Kindergarten haben wir mit der Erzieherin die „heimliche Windelhose“ ausgemacht, weil er sich vor den anderen Kindern und vor allem vor seinem „Freund“ Karl schämt. Aber er will auf keinen Fall nachts eine Windel anziehen. Das bedeutet für mich mehrmals aufstehen, und ihn zur Toilette bringen. Seiner Mama ist nicht entgangen, wie oft ich nachts die Bettwäsche gewechselt habe, wenn ich trotz Wecker mal zu spät kam. Sie hat es allen Freundinnen und Freunden und Nachbarn erzählt, was ich da leiste. Deshalb bin ich über diese fast aggressiv vorgebrachte Ablehnung unserer Methode erstaunt und frustriert zugleich. Über das Gespräch haben wir die Kinder außer Acht gelassen. Die Freundin ruft nach oben und fragt die Kinder was sie machen. Sie erhält zur Antwort, dass sie spielen würden. Kurze Zeit später ruft ihre Tochter runter, dass sie nicht gestört werden möchten, wir dürften nicht kommen. Wir akzeptieren das, denn es ist nicht das erste Mal, dass sie allein spielen. Plötzlich springt die Freundin auf und rennt nach oben, kommt aber beruhigt zurück. Die Balkontür sei geschlossen und die Kinder seien ganz oben. Ich kann endlich mal wieder lesen, während sich die beiden Frauen unterhalten. Wer von Beiden gesagt hat, dass wir mal nach den Kindern schauen sollten, weiß ich nicht. Ich glaube Beide sind nach oben gegangen. Kurze Zeit später kommt die kleine Tochter die Treppe herunter und kräht lustig, sie hätten nackig gespielt. Ihre Mama kommt lächelnd hinterher, schaut mich an und fragt mich, ob ich das gehört habe. Ich lege mein Buch beiseite und gehe nach oben. Christel sitzt auf der Schlafmatratze unseres Sohnes. Ich sage ihr, dass die Kleine gerade runtergekommen sei und „gekräht“ hätte, sie hätten nackig gespielt. Meine Partnerin erwidert: „Die haben nicht nur gespielt, die haben sich auch fotografiert“.
Hanni und Levin zusammen und – wie oft – Probleme. Kann eigentlich mal etwas normal laufen, wenn unser Sohn und die kleine Freundin zusammen sind? Länger als eine halbe Stunde ohne Schreierei habe ich bei den beiden Kindern noch nicht erlebt. Wie oft haben wir uns unterhalten, dass Hanni nicht länger als eine Stunde zu ertragen ist. Wie oft haben wir die Bitte von Doris, ihre Tochter Hanni mal für einige Stunden zu betreuen, mit Ausreden abgeschlagen.
Ich setzte mich aufs Bett und höre zu. „Wir sollten den Kindern klar machen, dass man so etwas nicht macht. Wir werden mit ihnen reden und die Handys wegtun“. Meine Partnerin erzählt, dass sie das Handy gefunden und zufällig die Bilder gesehen habe. Ich frage woher die Kinder denn das Handy haben. „Das ist dein Handy!“ Eigentlich hätte ich mir das ja denken können. Es darf nur mein Handy sein. Ihr Handy sieht zwar gleich aus, aber sie lässt ja nichts liegen. Das geht ja mal gar nicht. Und mein Handy lag wohl noch auf meinem Nachttisch als „Pipiwecker“. Mit dem Wissen von heute frage ich mich, warum sie mir so eindringlich bestätigt, dass es mein Handy ist, das sie da in der Hand hält. Für mich ist es nebensächlich, ob die Kinder ihres oder mein Handy für die Fotos benutzt haben. Levin kommt die Treppe rauf. Seine Mama schaut ihn an und fragt vorwurfsvoll, ob er und Hanni die Fotos gemacht haben. Er nickt und lächelt entschuldigend. Wir erklären ihm, dass man solche Fotos nicht macht. Dass man andere Menschen so nicht fotografieren soll. Sohnemann „haut“ erst mal ab nach unten. Meine Partnerin erklärt mir, dass die Kinder sich in Pose gestellt hätten. Sie hält mir ein Bild entgegen. Nachdem ich gestern Abend so viel laienhaftes Geschwafel über das Thema sexuelle Entwicklung „ertragen“ musste, muss ich mir jetzt nicht auch noch Bilder, welche die Kinder im Spiel gemacht haben, ansehen. Ich antworte ihr:
„Die Kinder haben gespielt, wie wir das früher auch gemacht haben. Nur haben sie ein neues Medium entdeckt. Das müssen wir mit den Kindern besprechen“.
Nicht dass ich Experte in Sachen Sexualerziehung bin, nein ich ertrage dieses pseudowissenschaftliche Diskutieren, das uns Lehrern manchmal so eigen ist, nicht. Wir sind nicht allwissend, alles könnend und vor allem sind wir nicht alles besserwissend. Es tut doch nichts zur Sache, ob ich die Bilder anschaue. Kinder bewegen sich völlig unkompliziert und achten nicht darauf, wie sie aussehen. Sich nackt zu fotografieren ist das, worüber wir mit den Kindern reden müssen, nicht die Fotos selbst. Und weil sie mir sagt, dass Bilder von der kleinen Hanni drauf sind, möchte ich die Fotos schon gar nicht sehen. Das sage ich ihr auch, denn ich habe nicht die geringste Lust mit deren Mutter über die Bilder ihrer Tochter zu diskutieren. Nach einer solchen von Esoterik, Traum- und Zukunftsdeuterei erfüllten Diskussion über Inhalt der Fotos, postnatalen Entwicklungsproblemen und vielen – vielen Beispielen und Erinnerungen aus ihren eigenen und schulisch motivierten Erfahrungen wäre ich laut schreiend in die Ostsee gelaufen.
„Bitte lösch die Fotos, ich muss die nicht sehen, wir müssen mit den Kindern reden und sie davon überzeugen, so etwas zu unterlassen.“
Sie löscht die Bilder, geht kommentarlos nach unten zu Doris. Später wird sie erzählen lassen, dass sie die Fotos gelöscht habe, weil sie so geschockt war. Und erst in der Nacht auf dem Revier wird mir einfallen, dass die zweite Behauptung die Fotos vom Handy ins Netz gestellt zu haben falsch ist. Mein Rahmenvertrag (ein Überbleibsel meiner Dienstzeit) lässt das Versenden von E-Mails oder Fotos ins Netz schlicht und einfach nicht zu. Und meine Partnerin weiß das genau, denn wir haben den gleichen Vertrag. Warum also behauptet sie so etwas? Heute denke ich, dass dort beim Betrachten der Bilder die ungeheure und einmalige Chance erkannt wurde, sich und unseren Sohn so von mir zu trennen, dass sie allein für ihn sorgen kann und überall als die alleinerziehende Rektorin bewundert wird, dass sie damit ihren inneren Konflikt zu unserer Verbindung schneller als geplant lösen kann. Ihr ist beim Betrachten der Bilder spontan eingefallen, welche Möglichkeiten sich ihr damit eröffnen, dass ihr damit ein besseres Szenario als das „geplante“ geboten wird. Den Kritikern dieser Schluss-folgerung halte ich entgegen, dass der von mir vermutete innere Konflikt als ein möglicher Motor für viele der noch folgenden irrational scheinenden Aktivitäten gelten kann. In den nächsten Monaten werden aber noch andere Ursachen deutlich werden. Als ich zu den beiden Frauen nach unten komme, habe ich das Gefühl, dass wieder Vernunft eingekehrt ist. Wir verständigen uns darauf, die Kinder zu beobachten, wollen das Ganze aber nicht über-bewerten. Die beiden Frauen nehmen meinen Vorschlag an, die Kinder getrennt zu duschen.
Meine Tochter ruft an. Ich erkläre ihr, dass die beiden Kinder gerade Doktorspiele gespielt und auch noch Fotos gemacht haben und wir deshalb ein wenig angespannt seien. Dabei denke ich kurz noch einmal darüber nach, dass beide Frauen hoch gegangen sind und die Kinder doch beim Spielen gesehen haben. Vor allem die Freundin war zwischenzeitlich oben. Warum also diese Aufregung? Beide hätten doch das tun können, was alle Eltern in solchem Fall mit ihren Kindern tun, nämlich sprechen und nicht schimpfen. Beide Frauen unterrichten in der Grundschule. Beide haben Erfahrung mit diesem Thema. Warum sie so ein riesiges Problem daraus machen, ist mir ehrlich gesagt, nicht ganz verständlich. Meine Tochter möchte, dass ich Doris frage, ob sie zur Taufe ihres Sohnes kommen wolle. Und sie will wissen, ob die Absage von Svenja Schiffer, der Schwester meiner Partnerin, endgültig sei. Darüber vergesse ich den Gedanken zum Auffinden der Kinder und das Herstellen der Bilder. Heute frage ich mich, warum Svenja, die mir gegenüber so viel Wert darauflegt, gegen den Willen ihrer Mutter Kontakt zu meiner Tochter aufzubauen, so plötzlich absagt. Und ich frage mich natürlich auch, wieso meine Partnerin mir das sagt, nachdem sie mit ihrer Mutter telefoniert. Was war da bereits geplant? Das Geschenk der Fotos war doch nicht vorhersehbar. Hat es im Vorfeld des Urlaubs bereits Absprachen gegeben, die Einladung meiner Tochter schon nicht mehr anzunehmen? Meine Partnerin hatte mir ja schon länger gesagt, dass sie nicht zur Taufe meines Enkels mitgehen will und sie hatte den Wunsch meiner Tochter Taufpatin für meinen Enkel zu sein, deutlich abgelehnt. Um das Taufgeschenk habe ich mich bereits vor dem Urlaub allein kümmern müssen. Trotz allen wollen wir zum Strand fahren. Die Freundin fragt mich, ob Christel in der Vergangenheit besondere Erlebnisse hatte, ob sie vielleicht vergewaltigt oder missbraucht wurde. Sie ist der Meinung, dass die Reaktion nicht normal sei. Am Strand angekommen, nimmt meine Partnerin ihr Handy. Sie will nur etwas aus dem Auto holen. Ich sage Doris, dass sie jetzt bestimmt wieder eine Freundin oder Mama anruft. Doris fragt noch einmal eindringlich, ob es da irgendetwas bei meiner Partnerin gäbe. Ich spreche die Erfahrungen meiner Partnerin mit ihrem früheren Freund an. Der hatte nach ihren Erzählungen wohl einige Pornofilme und hunderte von Pornobildern auf der Festplatte. Deshalb hatte sie sich wohl von ihm getrennt. Ich will Christel nochmals darauf ansprechen, da mir ihre Reaktion zu heftig scheint und sage das auch. Die Freundin vermutet eine besondere Einstellung von Christel zur Sexualität. Aus meiner Betroffenheit und Verärgerung über diese „Überreaktion“ heraus erzähle ich ihr, dass sie schon eine etwas merkwürdige Art des Umgangs mit dem Thema Sex hat. Bei Besuchen der Mama sei das Thema Sex absolutes Tabu. Es wurden jedes Mal, wenn die Mutter kam, die Laken gewechselt. Es wäre peinlich, wenn die Mutter bei der Kontrolle der Wäsche in unserem Schlafzimmer eventuelle Spuren gesehen hätte. Ich vermute in einem negativen Ereignis in der Vergangenheit den Schlüssel, um die fasst pathologisch zu nennender Abhängigkeit der Tochter von der Mutter zu erklären? Ich will zu meiner Partnerin ans Auto gehen, aber Doris bittet mich, ihr noch etwas Zeit zu geben. Nach einer Weile gehe ich doch. Christel steht am Auto und