Das Vermächtnis des Drachenlords

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Das Vermächtnis des Drachenlords
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Rael Wissdorf

Das Vermächtnis des Drachenlords

Fantasy Roman

Prequel der Höhlenwelt Saga

EBook Ausgabe

*

E-Book

© 2020 by Trivocum Verlag GbR

85244 Egling, Herterleite 8

www.trivocum-verlag.de Lektorat: Dorothea Schmidt

Korrektorat: Anne Poitz

Umschlagbild: Christophe Vacher „The taming of Naas“

www.vacher.com

Umschlaggestaltung: Trivocum Verlag GbR

Satz: Trivocum Verlag GbR

Landkarte Höhlenwelt: Harald Evers

Landkarte Wolkeninseln: Rael Wissdorf

Webseite des Romans:

drachenlord.trivocum-verlag.de ISBN: 978-3-946797-34-0

*

Dieses Buch ist der

Höhlenwelt Community gewidmet,

die das Andenken an Harald Evers bewahrt.

*



1 Der große Lohtsé

Niemand wusste, woher der Fremde gekommen war. Er war urplötzlich da, wie ein Spuk.

Der alte Mann wirkte entkräftet und seine Schritte waren unsicher, als er die Straße von Lemsoor herunterkam, die direkt ins Dorf führte.

Er schleppte sich an Bernuels Schmiede vorbei, ignorierte die Hammerschläge sowie die Hitzewellen des Blasebalgs, schlurfte über die Iserbrücke, auf der Fischer Heiner seine drei Angeln ausgelegt hatte, bis hinab zum Dorfplatz von Angadoor.

Dort blieb der Wanderer stehen und schien darauf zu warten, dass man ihn ansprach. Er atmete tief die Hochlandluft ein und streckte seine schmerzenden Glieder weit aus, während er in die Ferne starrte, auf die Akranischen Berge und ihre unwirtlichen Hänge. Seine Gelenke knackten, als er den Staub der Straße von seiner Kleidung klopfte.

Vielleicht waren es seine Augen, der stechende Blick und die Ausstrahlung von Selbstgewissheit, die die Dorfbewohner in Schach hielten. Er verfügte über eine natürliche Autorität, die sich nicht allein durch sein hohes Alter erklären ließ; die Dorfbewohner, die hinter ihren Fensterläden und Gassen hervorlugten, ahnten, dass der erste, der ihn grüßen würde, seine Befehle entgegennehmen müsste. Trotz der abgetragenen Reisekleidung hätte er nicht weniger Aufmerksamkeit erregen können als der mächtige Shabib mit seinem gesamten Gefolge.

Es war dann Eileen, die Tochter des Wirts, die Moribund holte, der ja schließlich von Amts wegen als Bürgermeister für solche Angelegenheiten zuständig war. Der Bürgermeister näherte sich mit anfangs resoluten, jedoch zunehmend vorsichtiger werdenden Schritten.

Als er auf etwa einen Meter herangekommen war, machte der Fremde eine unscheinbare Bewegung mit der rechten Hand, und Moribund fühlte, dass ihn eine Kraft sanft zurückschob als seien beide Männer Magneten mit gegensätzlichen Polen.

Derartiges hatte der Bürgermeister bisher noch nie erlebt. War der Fremde etwa ein Magier? Moribund schraubte seinen Hochmut um etliche Stufen herunter und sprach den Mann höflich an.

»Seid gegrüßt, werter Fremder, wie kann ich Euch helfen?«

Der Fremde musterte ihn schweigsam mit kühlem Blick und nickte dann huldvoll.

Moribund räusperte sich verlegen und versuchte erfolglos möglichst entspannt zu wirken.

»Ähm … willkommen in Angadoor. Möchtet Ihr euch nicht setzen? Hier vorm Gasthaus gibt es schattige Plätze.«

Der Fremde sah sich um. Der Dorfplatz war mit groben Kopfsteinen gepflastert. In der Mitte gab es einen Zierbrunnen, in dessen Zentrum ein Mulloh stand, welches aus Brimsenholz geschnitzt war. Sowohl das Brimsenholz als auch das Mulloh waren Wahrzeichen von Angadoor.

Brimsenholz wurde durch ein spezielles Trocknungs- und Lagerungsverfahren aus Ulmen gewonnen, die um Angadoor herum in ganzen Wäldern vorkamen. Brimsenholz war hart wie Stein und eignete sich hervorragend als Baustoff. Es als Brennholz zu verbrauchen galt hier als Sakrileg, was manche Leute nicht davon abhielt, es in den Kamin zu werfen.

Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich ein Gebäude, welches etwas höher als die anderen war. Das war das Gasthaus »Zur Ulme« und einige wuchtige Ulmen säumten einen kleinen Vorplatz und spendeten Schatten.

Der Fremde steuerte einen der groben Holztische an und setzte sich auf einen Stuhl. Der Bürgermeister folgte ihm in respektvollem Abstand und nahm dann in gebührender Entfernung auf dem gegenüberliegenden Stuhl Platz.

»Möchtet ihr vielleicht ein Bier? Wir haben hervorragendes Bier und es ist ganz frisch«, fragte Moribund, doch der Wanderer schüttelte den Kopf.

»Nur Wasser.«

Moribund gab Eileen einen Wink, die einen Krug Wasser sowie zwei Zinnbecher brachte. Der Fremde legte zwei Silberstücke auf den Tisch, schwieg aber weiter.

Moribund und Eileen sahen sich vielsagend an. Zwei Folint für einen Krug Wasser. Das war mehr als großzügig.

Nachdem Eileen sich zurückgezogen hatte setzte Moribund erneut zum Gespräch an, doch der Fremde hob einen Finger und sagte:

»Ihr habt einen Dorfmagier. Er heißt Munuel.«

Moribund konnte nicht einschätzen, ob das als Frage oder Feststellung gemeint war. Also nickte er nur.

»Bringt ihn zu mir«, forderte der Fremde. »Ich will mit ihm sprechen.«

Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Es war klar, dass er ab jetzt nichts mehr sagen würde. Moribund war unschlüssig, was er jetzt tun sollte, aber auch etwas ungehalten.

Da bemühte er sich freundlich zu sein, widmete einem völlig Fremden seine wertvolle Zeit, die er viel sinnvoller mit seinem Freund Heiner beim Fischen verbringen konnte, und wurde jetzt sogar zum Laufburschen degradiert. Fast war er versucht, aufzustehen und zu gehen. Doch das wäre eine Beleidigung gewesen und mit Magiern sollte man sich besser nicht anlegen. Schon gar nicht, wenn sie so mächtig wirkten, wie dieser.

Hilfesuchend sah er sich um, und wurde glücklicherweise rasch fündig.

Seine drei Söhne Petter, Brimm und Matthes lungerten ohnehin neugierig auf dem Platz herum. Er winkte seinen ältesten Sohn Petter heran.

»Mein Sohn«, sagte der Bürgermeister. »Schau dich um, wo der Dorfmagier steckt. Er soll herkommen.«

Petter tippte sich an die Stirn. »Is‘ klar, Vater. Ich schau mich ma‘ um.«

Moribund hoffte, dass sein Spross die Sache jetzt äußerst ernsthaft angehen würde, denn er hatte Pläne mit ihm. Er sollte ihn dereinst im Amt des Bürgermeisters beerben.

ooOoo

Im Stall des Mullohhofs war Munuel derweil damit beschäftigt, einen Dorn aus dem linken Hinterhuf von Islins bestem Zuchtbullen Billi zu ziehen. Das war keine leichte Aufgabe, denn Billi hatte wenig Lust darauf, dreibeinig herumzustehen, und jemanden an seinem Huf herumfuhrwerken zu lassen.

Immer wieder entglitt Munuel der Huf, woraufhin Billi erst recht aufstampfte, weil ihm der Fuß ja wehtat, sobald er ihn aufsetzte. Munuel war nervös, denn der Tritt eines gepanzerten Mulloh würde seine Hand in Brei verwandeln.

Islin stand neben ihrem Bullen und versuchte, ihn mit sanften Worten zu beruhigen.

Islin war mittelgroß und sie war ohne jeden Zweifel hübsch mit ihren kurzgeschnittenen blonden Locken und ihren wasserblauen Augen mit den Lachfältchen. Sie trug ein fein gegerbtes enganliegendes Wildlederhemd mit dünnen Trägern und weiten Arbeitshosen aus grobem Stoff, was ihr ein verwegenes Aussehen gab und ihre Figur unterstrich.

Dem Bullen war das herzlich egal. Er schnaubte wild und erduldete nur widerwillig Islins streichelnde Hände.

»Kannst du ihm nicht einfach eine ordentliche Dosis von deinem Drummselsaft geben, Munuel?«, fragte Islin den jungen Mann, der vor ihr kniete und leise vor sich hin fluchte. »Er wäre bestimmt ruhiger.«

»Auf keinen Fall«, antwortete Munuel gepresst. »Dann legt er sich eventuell auf die falsche Seite, und ich komme nicht mehr an seinen Huf ran.«

In diesem Moment betrat Petter unbekümmert den Stall und lehnte sich lässig an die gegenüberliegende Koppel. Dabei kaute er noch viel lässiger an einem Grashalm, der ihm aus dem Mund hing.

»Mein Vater wünscht euch sofort zu sehen«, sagte er knapp und respektlos.

Munuel ignorierte ihn.

»Vielleicht kannst du ja hier mal anfassen«, sagte er zu Islin und blickte sie fragend an. »Dann könnte ich mit der Zange da rein und den Dorn rausziehen.«

»Siehst du den Dorn überhaupt?«, wollte Islin wissen.

»Klar, na ja, das heißt, irgendwie schon, da ist eine dunkle Stelle, allerdings habe ich nicht viel zum Ansetzen. Knifflig.«

»Warum zauberst du ihm den Dorn nicht einfach raus?«

Munuel schüttelte den Kopf. »Ich werde doch keine Magie anwenden, nur um einen Dorn zu entfernen. Das Trivocum wäre bestimmt beleidigt. Für so was gibt es normalerweise Tierdoktoren.«

Islin zog nur eine Braue hoch und bückte sich, um den Huf festzuhalten, während Munuel nach seiner Zange griff, die vor ihm lag.

Er kniff das rechte Auge zusammen und versuchte, den Dorn zu fassen.

» Hey, Habt‘er ihr nich‘ gehört, Magier?«, rief Petter ungeduldig. »Mein Vater will euch sehen!«

Er spuckte seinen durchgekauten Grashalm aus.

 

»Ich habe dich schon gehört, Petter«, antwortete Munuel ruhig. »Aber erstens heißt das ’werter Herr Magier’, wenn du mich ansprichst, und zweitens siehst du, dass ich zu tun habe. Willst du Ärger mit Islin haben? Ich mit Sicherheit nicht.«

»Das is’ mir sowas von egal«, murrte Petter. »Ich hab‘ den Auftrag, Euch zu mei‘m Alten zu bringen, und des werd ich verdammt noch ma auch tun!«

»Sonst geschieht was?«, fragte Munuel ruhig. »Willst du mich mit deinem ausgespucktem Grashalm verprügeln?«

»Petter, Du hältst jetzt besser die Klappe«, ließ sich Islin leise vernehmen, »und wirst in aller Ruhe warten, bis Munuel fertig ist. Du kannst ja solange draußen spazieren gehen, hier störst Du nur.«

Petter hätte es dabei bewenden lassen sollen und einfach rausgehen, aber er war in seiner jugendlichen Bürgermeistersohnehre gekränkt.

»Von Dir lass ich mir gar nich nix sagen«, gab er verächtlich zurück. »Der »werte Herr Magier« hat endlich zu gehorchen!«

Es wurde gefährlich still im Stall. Man hätte die Stille greifen und zu Briketts verarbeiten können.

Dann fragte Munuel lauernd: »Islin? Du erinnerst dich an die Zauberformel, die ich dir gestern beigebracht habe?«

»Mhmm«, machte Islin. »Du meinst die, mit der man aufmüpfige junge Bürgermeistersöhne in Schleimfrösche verwandelt?«

»Genau die, probiere sie mal an diesem garstigen Exemplar da drüben aus.«

Petter schluckte und riss die Augen auf. Als Islin aufstand und ganz langsam die Hand gegen ihn ausstreckte, war seine Arroganz wie weggeblasen. Islin intonierte unterdessen ihren Zauberspruch:

»Ene mene ming mang, hing hang, fing fang, usse pusse agger deier, eier weier wech.«

»Fein, fein«, sagte Munuel. »Jetzt musst du nur noch das Norikel setzen, dann ist er ein Schleimfrosch.«

Das war zu viel für Petter. Mit Schweißperlen auf der Stirn sagte er »Äh, ja, ich bin dann mal wech …«

Dabei trat er auf die Mistgabel, die an einem Heuschober lehnte, dass der Stiel auf die Nase knallte

Laut jammernd und sich die Nase haltend, suchte er das Weite.

»Den wär’n wir los«, konstatierte Munuel grinsend.

»Was war das denn für ein toller Zauberspruch?«

»Ein einfacher Abzählreim«, antwortete Islin. »Den haben meine Brüder und ich immer aufgesagt, wenn wir ausknobeln wollten, wer den Abwasch macht. Wie kommst du voran?«

Munuel seufzte. »Gar nicht. Dieser Dorn sitzt tiefer als ich dachte. Und der arme Billi hat ihn in seiner Pein immer tiefer eingetreten. Ich fürchte, dass ich doch Magie einsetzen muss.«

Munuel schloss die Augen und konzentrierte sich. Sofort sah er den leicht rosa gefärbten Schleier des Trivocums vor sich. Er benutzte den Hegma-Schlüssel für einfache Intonationen erster Ordnung, um einen winzigen Spalt zu öffnen, den er sofort mit einem Aurikel stabilisierte.

»Mar-In-Prim«, murmelte er. Jetzt konnte er den Dorn sehen, sowie das ihn umgebende Gewebe des Mullohhufs. Teile davon waren bereits zersetzt mit schwärzlichen Rändern, die ins Stygium ragten, dem Teil der Welt, der für »die andere Seite« stand. Behutsam holte er diese Teile des Hufs zurück in die diesseitige Welt. Es war Ein simpler Heilungsprozess, der wie ein Wunder wirkte und doch nur auf einem einzigen, schlichten Prinzip beruhte: der ewigen Wandlung von Materie in Antimaterie, der Wanderschaft von Partikeln von Ordnung zu Chaos.

Die Zeit schien stillzustehen, während er konzentriert arbeitete. Er bemerkte, dass Islin ganz ruhig geworden war, und sich nicht rührte, ja nicht einmal zu atmen wagte. Er spürte, dass das nekrotische Gewebe, um den Dorn, sich aufzulösen begann und das Fleisch weicher wurde. Jetzt konnte er zupacken und mit einem beherzten Ruck den Dorn aus dem Huf ziehen. Das Mulloh schaubte leicht, und ein Zittern ging durch seine Flanken. Billies Erleichterung war deutlich spürbar.

»Sec-Mar-Ban«, flüsterte er und setzte damit das Norikel, welches den Spalt im Trivocum wieder verschloss. Er öffnete die Augen.

»Du kannst seinen Huf jetzt loslassen«, sagte er zu Islin. »Billi kann wieder auf die Weide springen.«

Islin ließ den Huf los und richtete sich auf. Auch Munuel erhob sich und sah sie zufrieden an.

Sie umarmte ihn. »Das hast du verdammt gut hingekriegt, Jungspundmagier«, sagte sie lächelnd.

»Ach was«, wehrte er bescheiden ab. »Das war nur eine kleine Intonation erster Ordnung, selbst ein Novize bekommt das hin.«

»Das wage ich zu bezweifeln«, widersprach ihm Islin. »Es mag eine einfache Sache sein, aber sie muss gut und sorgfältig durchgeführt werden. Ich verstehe zwar nichts davon, aber …«. Islin grinste ihn frech an, »… dafür verstehe ich hiervon was«, sagte sie und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Munuel erwiderte den Kuss.

Doch bevor dieser Moment zu einer heftigen Knutscherei ausarten konnte, ließ sich erneut der Quälgeist in Form des Bürgermeistersohnes vernehmen.

»Können wir jetzt bitte endlich zu meinem Vater gehen?«

Petter stand unsicher in der halb geöffneten Stalltür und wirkte sichtlich demütiger.

Munuel verdrehte die Augen. »Was ist denn so wichtig?«

»Na da is‘ son‘ Fremder im Dorf, der halt nur mit‘m Dorfmagier reden will. Und Vater war voll eingeschüchtert.

Munuel runzelte die Stirn. »Warum sagst du das nicht gleich? Gehen wir!«

ooOoo

Als Munuel sich dem fremden Besucher näherte, fielen ihm als Erstes die seltsamen Zeichnungen im Gesicht des Mannes auf. Die Linien waren zu fein und zu geschwungen, als dass es Tätowierungen hätten sein können.

Nicht, dass irgendjemand im Dorf diese hätte sehen können; Munuel sah sie nur, da er gerade Magie gewirkt hatte, und die Verbindung mit dem Trivocum noch nachhallte. Die Zeichnungen auf der Gesichtshaut des Mannes waren nicht von dieser Welt. Schon allein dieser Umstand machte ihn stutzig.

Die vielen Leute auf dem Platz, die bei der Ankunft des Wanderers alle wie zufällig etwas auf dem Dorfplatz zu erledigen hatten, waren inzwischen anderweitig beschäftigt. Die erste Sensation war abgeklungen, jetzt sollten sich andere darum kümmern. Bürgermeister Moribund saß mit sichtlichem Unbehagen auf einem Stuhl und blickte Munuel ungeduldig an.

Als dieser den Tisch erreichte, stand er auf und sprach den Magier missmutig an.

»Warum hat das so lange gedauert? Der Fremde will nicht mit mir reden. Könntet Ihr ihn bitte fragen, was ihn in unser Dorf führt?«

»Ich hatte zu tun, Bürgermeister«, war die kühle Antwort. »Und jetzt entschuldigt mich.«

Er setzte sich ungerührt auf einen freien Stuhl und würdigte den Bürgermeister keines Blickes mehr.

Dieser wischte sich über die Stirn, kratzte sich im Nacken und wandte sich schließlich zum Gehen. Herrisch rief er seine drei Söhne herbei und verschwand mit ihnen im Wirtshaus.

Munuel sah den Fremden an.

Dieser blickte forschend zurück. Munuel spürte über das Trivocum, dass dieser Wanderer über Kräfte verfügte, die den seinen ähnlich waren, aber dennoch … anders. Rauer, mächtiger und auch zielstrebig und ohne Reue. Er würde seinen Lohn verwetten, dass er einen Magier vor sich hatte, und zwar einen von der alten Sorte. Der ganz alten.

Wie ein Vagabund sah er nicht aus. Seine Kleidung mochte alt und abgetragen sein, aber sie war von hoher Qualität und sicher irgendwann sehr teuer gewesen.

Sein dicht gewebter Kapuzenumhang war aus einem weichen, Material; Munuel tippte auf Kambrumer Bergziegenwolle, gefärbt in ein dunkles Violett, einem Farbton, der in Akrania fast nicht zu finden war. Die Mantelsäume, ebenso wie der Gürtel waren mit Goldbrokat verziert, wie es sonst nur hohe Würdenträger von Gilden oder gar Herrscherhäusern trugen und seine Wandertasche war aus einem stabilen Leder, wie es in Tarul gefertigt wurde. Alles in allem schätzte Munuel die Kleidung des Mannes auf seinen eigenen Jahreslohn.

Die eigenartigen grauen Linien im Gesicht des Mannes waren auch auf den Händen zu sehen, daher vermutete Munuel, dass sie den gesamten Körper überzogen. Was mochte das sein? Es wirkte nicht, wie Körperschmuck, eher wie die Folge von … Irgendwas. Wie alle Wanderer besaß er einen Stab, den er gegen den Tisch gelehnt hatte. Doch dies war kein einfacher Wanderstab, dazu waren seine Verzierungen zu prächtig. Munuel vermutete, dass es Beschwörungen waren – das hier war ein Magierstab aus der Altvorderenzeit Woher hatte der Fremde solch ein wertvolles Hilfsmittel?

»Ihr seid also Munuel, der Dorfmagier«, begann der Ältere das Gespräch.

Munuel nickte und antwortete, »Willkommen in Angadoor. Was kann ich für Euch tun?«

Der Fremde beugte sich vor.

«Was ich von Euch erbitte, ist nicht viel, und doch von großer Bedeutung. Zunächst hätte ich gerne die Erlaubnis, ein paar Tage hier zu verweilen«.

»Es gibt keinen Grund, das zu verwehren, es sei denn, Ihr wärt total abgebrannt«, antwortete Munuel trocken.

Die Mundwinkel des Fremden zuckten leicht.

War das ein Lächeln? Nein, das war noch kein richtiges Lächeln, es war eher die Anzahlung auf ein Lächeln. Immerhin ein kleines Zeichen von Humor.

»Es gäbe durchaus Gründe«, widersprach ihm der Fremde.

»Die wären?«, fragte Munuel.

Der alte Mann schloss kurz die Augen, als würde er sich konzentrieren. Munuel spürte eine leichte Bewegung im Trivocum, zu leicht, um aus der Ferne bemerkt werden zu können, aber dennoch präsent genug, um seiner Aufmerksamkeit nicht zu entgehen. Der Mann hatte soeben Magie angewendet. Munuels Wachsamkeit verschärfte sich.

»Fangen wir damit an«, begann der Wanderer »dass ihr vorhin ein Mulloh von einem Dorn befreit habt, richtig?«

Munuel war erstaunt. Woher wusste der Fremde das?

»Ich sehe, dass Ihr überrascht seid, das ist ganz natürlich. Aber ein Mensch wie ich, hat das Trivocum ständig im Blick. Und die Veränderungen, die vor nur wenigen Minuten darin vor sich gingen, lassen sehr darauf schließen, dass ihr einen einfachen Lockerungszauber angewendet habt.

Und da ich noch sehr gut sehe, sind mir die Reste von feinem Stroh an Eurem Umhang nicht entgangen. Das … Odeur, welches Euch umgibt, erinnert an Mullohs. Und da es ein Lockerungszauber war, nehme ich an, dass ein Dorn im Huf des Tieres steckte? Sagt mir, wenn ich mich irre.«

Munuel verzog keine Miene und kniff nur ganz leicht die Augen zusammen, was der Alte wohl als Zustimmung wertete.

Er fuhr fort:

»Ihr habt Aurikel und Norikel gesetzt, dabei hättet ihr es auch viel einfacher haben können, schaut.«

Der Mann öffnete die Hand und darin lag der Dorn. Exakt das elende Stück Brimsenholz, welches Munuel aus Billis Huf gezogen hatte. Das war bemerkenswert. Sehr bemerkenswert sogar. Munuel hob eine Braue.

»Ihr seid ein stygischer Magier«, stellte er fest.

» Das ist korrekt«, antwortete der Magier. »Und damit wären wir bei einem der Gründe, warum Ihr mir den Aufenthalt verwehren könntet.«

»Es wäre vielleicht ein Grund, wenn ich ein folgsamer Gildenmagier wäre.«, sagte Munuel lakonisch.

»Aber das seid Ihr nicht?«, fragte der Fremde.

»Ich bin ein Dorfmagier.«

»Aus … Gründen, nehme ich an. Aber glaubt mir, der Cambrische Orden hat Recht, wenn er diese Verschwendung magischen Potentials missbilligt. Ihr gehört nicht hierher, in dieses … Kaff. Ihr gehört in die vorderste Front der cambrischen Führung.«

»Das zu beurteilen, überlasst besser mir.«, antwortete Munuel leicht verärgert.

»Selbstverständlich.« Der Alte wiegte den Kopf. »Ein weiterer Grund jedoch, mir den Aufenthalt in Eurem beschaulichen Dorf zu verweigern, könnte mein Name sein. Falls Ihr ihn kennt.«

»Die Namen stygischer Magier zu pauken, gehörte nicht zu meinen bevorzugten Unterrichtsfächern«, entgegnete der jüngere Magier. »Also wer seid Ihr?«

»Ich bin der Lothsé.«

Munuel erstarrte. Potztausend und bei allen Dämonen des Stygiums, damit hatte Munuel nicht gerechnet. Natürlich kannte er den Lothsé. Jeder kannte ihn. Eigentlich war »Lothsé« ein Titel, doch da er ihn schon so lange innehatte, war dieser auch zu seinem Namen geworden.

Er war der Vorsitzende des Direktorats von Hegmafor, der einzigen noch existierenden Stygischen Schule, der einzige Magier der »alten Magie«, der selbst innerhalb der Magiergilden noch großes Ansehen genoss.

 

»Der Lothsé? Der große Lehrer von Hegmafor? Das kann nicht sein, er gilt seit Jahren als verschollen!«

»Verschollen ist nicht tot«, bemerkte der Magier trocken. »Ich habe Akrania verlassen. Aber ich bin zurückgekehrt, weil etwas erledigt werden muss.«

»Ich verstehe. Und wohin wollt Ihr?«

»Sagen wir einfach, dass ich in den Norden will. Das ist die jedenfalls die offizielle Version.«

»Und die inoffizielle?«

Der alte Wanderer beugte sich ein wenig vor und sprach leiser.

»Ich werde nirgendwo mehr hingehen, Munuel, Dorfmagier von Angadoor. Und ich vertraue auf Eure Diskretion. Die Wahrheit ist: Ich suche einen guten Platz zum Sterben. Und da unten …«. Er deutete auf den Fluss. »… ist ein guter Platz. Wollt Ihr mir diese Bitte gewähren?«

Munuel blinzelte verwirrt. Das war eine ungewöhnliche Bitte. Eine, die er unmöglich abschlagen konnte. Hatten die Linien in seinem Gesicht etwa damit zu tun?

»Seid mein Gast, werter Lothsé«, antwortete er schlicht.

»Es soll Euer Schaden nicht sein, Magier«, sagte Lothsé. »Ich bin bereit, mein Wissen mit Euch zu teilen, solange das noch möglich ist. Und wenn die Zeit kommt, hätte ich Euch gern an meiner Seite. Es gibt da etwas, das ich Euch noch sagen muss, aber wirklich erst dann, wenn die letzte Stunde gekommen ist. Vorher nicht. Und eine Bedingung habe ich.«

»Die wäre?«

Der alte Magier lehnte sich wieder in seine ursprüngliche Position zurück und nahm seinen Stab in die Hand.

»Ihr werdet über die Details unserer kurzen Bekanntschaft Stillschweigen bewahren. Euer Leben lang. Ihr könnt gerne irgendwann erwähnen, dass der ›»große Lothsé« bei Euch auftauchte und gestorben ist. Aber bitte kein Wort über die Details, unsere Gespräche und … was noch kommen mag.«

Munuel nickte. Ein Kloß saß ihm im Hals. Aber er würde der Bitte dieser Legende nachkommen. Das gebot allein der Anstand.

Er sorgte dafür, dass Lothsé im Gasthof gut untergebracht wurde. Dann lenkte er seine Schritte in die Gasse, in der sein kleines Haus war, tief in Gedanken versunken. Er war gespannt darauf, welche Mysterien sich hinter dem Auftauchen des alten Magiers verbargen

Man traf ja nicht alle Tage eine lebende Legende.

Seine Stimmung hellte sich weiter auf, als er Islin auf den Stufen zu seiner Eingangstür sitzen sah. Sie hatte ihre Arbeitskleidung gegen ein helles Kleid getauscht, welches ihre Figur vortrefflich zur Geltung brachte. In der rechten Hand hielt sie eine Flasche. Als sie ihn erblickte, lächelte sie und stand auf. Sie hielt Munuel die Flasche entgegen.

»Ich habe mich noch gar nicht gebührend bedankt, junger Magus. Hier ist eine Flasche vom besten Mornweiler Mädchenblut, angeblich ein guter Jahrgang.«

Munuel trat näher heran und zog sie zu sich. Sie schmiegte sich an ihn und lachte. Er küsste sie auf den Mund und sagte: »Dann lass uns den vernichten und dann sehen, wie wir den Rausch sinnvoll nutzen, oder?«

Islin kicherte. »Ich liebe deine spontanen Einfälle, Munuel. Wie bist du darauf nur wieder gekommen?«

In diesem Moment vergaß der junge Magier den alten Magier vollkommen. Er öffnete die Tür zu seinem Haus und zog die kichernde Islin mit hinein. Den Rest des Abends würde er nur noch eine Form von Magie gelten lassen. Und dafür würde er keine Aurikel setzen müssen.

ooOoo