Leben aus dem Sein

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel 2
Unsere Begegnung mit Baba Haidakhan

Am 21. Februar 1980 traf mich Margaret in New Delhi, und sie bestand darauf, gleich am nächsten Morgen zu Shri Babaji zu fahren, ob­gleich ich um ein - bis zu diesem Zeitpunkt unbestätigtes - Geschäftsgespräch mit dem indischen Außenministerium nachgesucht hatte. Wir besorgten uns einen Wagen mit Fahrer und reisten zweieinhalb Stunden südwärts nach Vrindaban, wo Babaji einen Ashram unterhält.

Wir fuhren durch die weiten Ebenen Zentralindiens und teilten die Schnellstraße mit Transportmitteln, die Tausende von Jahren menschlicher Geschichte reflektierten - Autos, rußspeiende Lastwagen, überfüllte Busse, zweirädrige Pferdekarren, vierrädrige, gummibereifte Ochsenkarren, einige Kamele, beladene Elefanten, Hunderten von Menschen, die die Straße entlanggingen, und Kinder mit Feuerholz­bündel und auch Wasserkrügen. Es war trotz der langsamen Fahrt eine wundersame Szene, die mich an ähnliche Erfahrungen in Drittweltländern während meiner Karriere beim amerikanischen Außenministerium in Washington, D.C. erinnerte. Dieser Dienst war nun beendet.

Mehr noch als die lebhaften Straßenszenen erstaunte mich die friedvolle Ruhe, mit der Margret, bekleidet mit einem Sari, neben mir im Auto auf der Fahrt zu Shri Babaji saß. In den Staaten war sie als Rechtsanwältin und Dozentin für Recht ein Energiebündel, immer darauf ausgerichtet, die Probleme anderer zu lösen, die in ihre Reich­weite kamen. Die längste Zeit der Fahrt saß sie still da, wiederholte ein Mantra10 und ließ die Perlen ihrer Mala, einer Art Rosenkranz, durch die Finger gleiten. Ab und zu wies sie mich auf die besonders zeitlosen Schönheiten der indischen Landschaft hin. Es war offen­sichtlich, dass die sieben Wochen, die sie in Shri Babajis Gegenwart in Indien verbracht hatte, in ihr eine tiefe Veränderung ausgelöst hatten.

Als wir Vrindaban, den Heimatort von Krishna in seiner Kindheit, erreichten, tastete sich unser Fahrer langsam und vorsichtig durch die übervölkerten, engen Gassen der uralten Stadt. Der Strom der Menschen, Rikschas, Handwagen, Ochsenkarren, Kühe, Schweine und Autos teilte sich sachte, um uns in den engen, gewinkelten Gassen vor­ankommen zu lassen. Hier in einem dieser kleinen Gässchen lag Shri Babajis Ashram. Unser Fahrer parkte auf einem freien Platz, und Margaret führte mich zur Pforte des Ashrams. Wir ließen unsere Schuhe draußen in der Vorhalle, wo schon Hunderte von Paaren Sandalen und Schuhe standen, und gingen in den Ashram hinein. Der Tempel, der zwei Drittel der Ashramfläche einnimmt, war vollgestopft mit etwa vierhundert Menschen, die, mit überkreuzten Beinen rhythmisch singend, am Boden saßen. Harmonium, Trommeln und Zimbeln begleiteten die Gesänge. Margaret und ich reihten uns in die Schlange der Leute ein, die vorgehen wollten zum Sitz von Shri Babaji, der in Yogi-Art auf einem Podest saß, die Menschen segnete und ihre Gaben entgegennahm: Blumengirlanden, Bonbons, Nüsse und Früchte. Auch er teilte Geschenke aus.

Margaret und ich hatten beide ein Geschenk für Shri Babaji mitgebracht - sie ein finnländisches Mobile aus Herzen und ich ein herzförmiges Gold-Medaillon, das ich in Paris für dreihundert Dollar erworben hatte und für das ich in Bombay nochmals 100 Dollar Zoll gezahlt hatte. Ich brauchte etwa fünfzehn Minuten, um Babaji zu erreichen, und so hatte ich genügend Muße zu beobachten, wie die Menschen vor ihm niederknieten, seine Füße berührten, ihm eine Gabe überreichten und sich wieder aufrichteten, um seinen Segen zu empfangen. Dann war ich an der Reihe, niederzuknien und mit der Stirn den Boden vor ihm zu berühren. Ich fühlte mich gar nicht wohl dabei, tat es aber den­noch und schaute dann zu ihm empor. Babaji sah älter aus - ungefähr Anfang Dreißig - und rundlicher als auf den Photos, die ich gesehen hatte. Aufmerksam schaute er mir in die Augen, als ich ihm die kleine Schmuckschachtel mit dem Medaillon und der Kette übergab. Babaji nahm das Schächtelchen in seine Hand, warf einen verwunderten Blick darauf und gab es mir zum Öffnen zurück. Ich entfernte den Deckel und überreichte das Schächtelchen Shri Babaji erneut, der einen bei­läufigen Blick darauf warf - offensichtlich weit weniger davon beeindruckt als ich - und es dem links von ihm stehenden Inder zum Auf­bewahren gab, der auch andere Gaben, die von Shri Babaji nicht so­fort verteilt wurden, entgegennahm.

Ich stand auf, um zu gehen, aber Shri Babaji bedeutete mir, mich rechts vor ihm hinzusetzen. Ich nahm im Schneidersitz auf dem Boden Platz und beobachtete Shri Babaji fünf oder zehn Minuten. Er saß auf­recht da und hob die Hand zum Segnen einiger seiner Schüler. Andere empfing er mit einem Lächeln oder Lachen und einer segnenden Berührung und tauschte mit ihnen ein paar Worte in Hindi aus. Ab und zu warf er mit einem koboldartigen Lächeln Äpfel, Orangen und Bonbons in den Schoß der Frauen und Kinder, die ihm direkt gegenüber­saßen. Es war ein ständiges Gedränge, ein Lärm und eine schwirrende Aktivität um Babaji herum, doch auch eine Atmosphäre von Heiterkeit und Frieden. Während ich so dasaß, erinnerte ich mich an die vielen "kleinen Wunder", die sich auf meiner Reise von Europa nach Indien ereignet hatten. Ich lächelte in mich hinein und fragte: "Ist das Gott auf Erden?"

Wenige Minuten später kam der schnauzbärtige Inder, der links von Babaji gestanden hatte, und sagte, Babaji hätte ihn angewiesen, mich zu "Swamiji" zu bringen, der meine Frage auf Englisch beantworten könne. Ich wunderte mich, ob Babaji meinen Gedanken gelesen hatte, denn schließlich behaupteten die Leute, dass er das tue. Wir bahnten uns einen Weg durch den überfüllten Tempel zur entferntesten Ecke, wo Swami Fakiranand11, ein siebzigjähriger Schüler, saß, der Shri Babajis Ashram in Haidakhan verwaltete und hier Literatur über Babaji verkaufte. Wir sprachen ein paar Minuten über Babaji als Verkörperung Shivas, wie in den heiligen indischen Schriften dargestellt. Dann wurde Swamiji zu einer Zusammenkunft gerufen. Ich stand da, in dieser von Shri Babaji entferntesten Ecke, und betrachtete die Szene, die mir trotz meiner Außendienst-Erfahrung im Außenministerium fremder als alles bisher Dagewesene zu sein schien.

Plötzlich rief Babaji jemanden zu sich. Der Mann neben mir meinte, ich solle zu Babaji gebracht werden, und so bahnte ich mir meinen Weg durch die Menge und spürte, wie vierhundert Augen­paare auf mir ruhten. Kaum war ich bei ihm, als er auch schon eine Pappschachtel öffnete, zwei große runde Stücke von einer Süßigkeit aus Milch und Zucker herausnahm und sie mir in die Hand legte. Ich setzte mich zu seinen Füßen nieder und betrachtete sein Antlitz, während ich die Süßigkeiten aß. Es war voller Liebe und Güte, in einem Maß, das alles übertraf, was ich jemals in irgendeines Menschen Gesicht und Ausdruck gesehen hatte. Er schien diese Liebe wie eine messbare physikalische Energie auszustrahlen. Nach einer Weile machte Shri Babaji Anstalten, aufzustehen. Er beugte sich vor, stützte sich mit beiden Händen auf meinen Rücken und erhob sich. Dann eilte er durch die Menschenmenge und zum Tempelgelände hinaus. Es war Zeit fürs Mittagessen.

Margaret und ihre amerikanischen und europäischen Freunde kamen herbei und erzählten mir, dass Babaji mich mit seinem Empfang hoch geehrt hätte und dass ich wirklich gesegnet worden wäre. Ich wusste nicht, wie Shri Babaji Neuankömmlinge begrüßte, aber mein Körper und meine Seele spürten lange Zeit, dass sein Segen mich "auf­geladen" hatte. Trotz der Verwirrung, die die Berührung mit einer mir fremden Kultur ausgelöst hatte, fühlte ich, dass Shri Babajis Willen mich zu der für mich günstigsten Zeit zu ihm gezogen hatte.

Um das Mittagessen einzunehmen, saßen wir gemeinsam mit jeweils einhundert Personen in typischer Ashram-Art mit überkreuzten Beinen am Boden des Tempels. Teller aus großen zusammengesteckten Blättern wurden vor jeden gelegt, die von Schülern aus dampfen­den Schüsseln mit Reis, Linsen, Gemüse, gebackenen Fladenbrot (Chapatis) und einer Süßspeise gefüllt wurden. Dazu gab es Tee, der in Edelstahlbechern serviert wurde. Die Nahrung, die wir aßen, war zuerst Shri Babaji angeboten und durch ihn gesegnet worden. Solche gesegnete Speise wird Prasad genannt, und so verfuhr man mit allen Mahlzeiten, gleich wo Babaji hinging. Wir aßen immer mit der rechten Hand. Während ich noch die Mahlzeit zu mir nahm, ging Babaji in den Tempel zurück, kam auf mich zu und fragte nach meinem Namen.

Nach dem Essen gab es eine Mittagspause, in der man ruhen oder einige Besorgungen machen konnte. Am späten Nachmittag fand dann Darshan statt - es ist die Zeit, in der ein Heiliger mit seinen Schülern zusammensitzt und durch seine Anwesenheit seine Ausstrahlung und erhebende Energie auf sie einströmen lässt. Anschließend folgte ein Abend-Arti, ein gesungener Gottesdienst. In der Ruhepause hielten Margaret und ich im Gästehaus einen kurzen Mitttagsschlaf und nahmen noch vor der Rückkehr in den Ashram ein Bad.

Vrindaban ist die Stadt, in der Krishna - er verkörperte das Göttliche als Vishnu und ist die Hauptfigur des indischen Epos "Mahabharatha" - als Kind in einem Hirtenstamm aufwuchs. Schriftliche Überlieferungen datieren die Zeitepoche, in der Krishna gelebt hat, auf ungefähr 6700 Jahre zurück, doch vermuten viele Historiker, dass sie näher an Christi Geburt liegt. Kürzliche archäologische Funde bestätigen das ältere Datum. Vrindaban als alte Stadt mit seinen engen, verwinkelten Gassen und übervölkerten Straßen gibt den vielen suchenden Pilgern und Touristen einen geeigneteren Rahmen als die aufdringlichen, geschäftigen indischen Handelsstädte. Noch heute ist Vrindaban berühmt für seine Milch und Milchprodukte. An den Straßen stehen viele Stände und Buden, in denen herrliche heiße Milch oder Milchtees, Chai genannt, feilgeboten werden. Dort kauften wir auch Süßigkeiten aus Milch und Zucker für Babaji. Um die vielen Tempel herum boten Straßenhändler Blumengirlanden für etwa eine Rupie das Stück an; diese werden dann den Gottheiten während der Abendandacht dargebracht. Auf den Straßen herrschte rege Geschäftigkeit - Käufer, Verkäufer, Bummler, Rikschas, Fahrräder, Pferdewagen, Ochsenkarren, einige Autos, unzählige Kühe, Schweine und Ferkel - alles war einträchtig in den Gassen zu finden. Als der Nachmittag zu Ende ging, hörten wir die Glocken aus Vrindabans tausend Tempeln ertönen, es wurden Gongs geschlagen und der süße Duft von Räucherwerk zu Ehren Gottes stieg in den Himmel.

 

Auch Babajis Ashram füllte sich, und wieder warteten lange Menschenschlangen, um seine Füße in Ehrfurcht zu berühren und ihm während des melodischen Om-namah-Shivay12 Gesanges ihre Gaben und sich selbst darzubringen. Als ich an diesem Abend eine Blumengirlande auf Babajis Knie legte und vor ihm niederkniete, nahm er sie und legte sie mir um den Hals. Auf dem Weg zu meinem Platz zurück hielt ich kurz in einer dämmrigen Ecke an, um mit einem Inder zu sprechen. Zufällig drehte ich mich im Gespräch zu Babaji hin und bemerkte, dass er mich genau in diesem Augenblick über die linke Schulter hinweg ansah, und noch bevor ich ihm zulächeln konnte, flog eine Orange an einer Säule vorbei, über die ausgestreckten Hände von drei oder vier Menschen hinweg - es war ein linkshändig, seitwärts ausgeführter Wurf - und prallte mitten auf meine Brust, wie um zu sagen: "Wer außer Gott kann so zielen?" Babaji lachte dabei und wandte sich schließlich seinen Schülern zu.

Zwei Tage lang waren Margaret und ich von der Freude und Aufregung getragen, mit Babaji zusammen zu sein. Wir standen um halb vier morgens auf, badeten und waren, noch bevor die ersten Tagesaktivitäten begannen, vor 5 Uhr auf dem Wege zum Tempel. Wir verbrachten singend im Tempel die Stunden, badeten in den Wellen der Liebe, des Friedens und der Freude, die von Babaji und den Anwesenden ausgingen. Wir unterhielten uns mit Schülern aus allen Teilen Indiens, Europas und Nordamerikas und lauschten ihren Erzählungen über Shri Babaji.

Nach zwei Tagen kehrten Margaret und ich nach Delhi zurück, um uns um meine Geschäftsangelegenheit beim Außenministerium zu kümmern. Sobald alles geregelt war, fuhren wir nach Vrindaban zurück. Erst spät am Abend erreichten wir den Ashram, der Gottes­dienst war beendet, der Tempel fast menschenleer und nur noch spärlich erleuchtet. Hatten wir Shri Babaji verfehlt? Wir wussten, dass er nach Bombay aufbrechen wollte. Doch dann erblickten wir ihn, als er aus der Dunkelheit des Tempel hervortrat. Shri Babaji wies Margaret und mich durch einen Dolmetscher an, noch am selben Abend zusammen mit Swamiji und einer Gruppe meist westlicher Schüler zum Haidakhan Ashram zu reisen.

Mit der Schmalspurbahn ging es durch die Nacht bis Haldwani, zum Rande der Ebene, wo sie sich in das Himalajagebirge auftürmt. Paarweise trugen uns Fahrradrikschas mit dem hinten aufgeladenen Gepäck durch die geschäftigen Einkaufsstraßen zu dem bescheidenen Laden von Trilok Singh, einem Getreide- und Gemüsehändler und einem großen Schüler von Babaji. Von hier aus starteten die meisten Besucher ihre letzte Reiseetappe nach Haidakhan. Bei unserer Ankunft stand ein Jeep bereit, um Swamiji und andere aus der Gruppe das Tal hoch bis zum Ende der Straße zu fahren, zu einem Ort, der als "Dam site" bekannt ist.

Der Jeep fuhr langsam an den Hügelketten des Flusses entlang, und ich war wie bezaubert von der Schönheit dieser Gegend. Die meisten Berge waren mit Pinien bewachsen, und hier und da hatten Familien über Jahre hinweg Hügelterrassen angelegt, die zu dieser Jahreszeit dunkelgrün vom Getreide oder Gemüse leuchteten. Am Rande der Felder standen Steinhäuser mit roten Blechdächern und Schuppen, vor denen Ochsen und Büffel herumlagen. Über unsere Köpfe flogen Adler hinweg, eine Affenfamilie floh durch die Bäume, als der Jeep sich näherte. Unten, im breiten steinigen Tal, floss ein zahmer Fluss träge in einem oder zeitweise sich verzweigenden Armen in einem fast ausgetrockneten Flussbett talwärts dahin. Von Juli bis September je­doch verwandelt sich der Strom nach dem Monsun in einen rasenden Dämon, dann ist auch der Zugang zum Tal von Haidakhan versperrt.

In den Siebziger Jahren beschloss die indische Regierung, einen Damm am Taleingang zu "Babajis" Gautama Ganga, dem Fluss, der durch den Ashram fließt, zu erbauen, um die Wasserversorgung der Städte und Dörfer in der Ebene zu gewährleisten. Damals wurde eine Straße zum "Dam Site" gebaut, die den Bauern des Tales sehr zugute kam. Aber trotz der alljährlich anrückenden Arbeitstruppe an der "Site" und einer Einweihungsrede der Premierministerin Indira Gandhi wurde der Bau nie in Angriff genommen. Es scheint auch, als würde nichts weiter geschehen, seitdem Ingenieure die Bröckeligkeit des Felsgesteins bemerkten. Es würde abrutschen und einen Damm nicht tragen können. Außerdem würde die monsunbedingte Erosion das Wasserreservoir binnen zehn oder fünfzehn Jahren mit Schlamm füllen. Doch das Projekt brachte dringend benötigte Arbeitsplätze und Buslinien ins Tal und es entstanden kleine Teebuden, wo Reisende von und nach Haldwani und nach anderen Städten sitzen können, während sie auf die wenigen Busse warten.

Unser Jeep hielt am "Dam site", und wir legten die fehlenden drei oder vier Meilen nach Haidakhan zu Fuß zurück. Leute aus den Dörfern trugen unser Gepäck für zehn Rupies, etwa 3 DM, - ein Preis, der damals von Shri Babaji festgesetzt wurde und auf dem er bestand, um den Dorfleuten ein angemessenes Einkommen zu verschaffen und sie davon abzuhalten, an naive Reisende, die jeden Preis gezahlt hätten, überhöhte Forderungen zu stellen. Auf unserer Wanderung durch das Flusstal zählte ich einundzwanzig Flussüberquerungen, manche knöchel- andere knietief. Während unseres Marsches trafen wir Talbewohner auf dem Weg zur Busstation, Hunde bellten uns an, und so­bald wir uns den Häusern näherten, kamen Kinder herausgelaufen und riefen uns "Bhole Baba ki Jai!" zu, "Heil dem einfachen Vater!". Das Gefühl, nach Hause zu kommen, war stark, trotz der Fremdheit der ganzen Szenerie und Kultur.

In Sichtweite des Ashrams, ungefähr eine Viertelmeile flussabwärts, befindet sich eine Insel im Flussbett, auf der ein Baum wächst. Die Legende erzählt, dass Gott Shiva seine Gefährtin Sati zu dem Berg brachte, der hinter der Insel ansteigt und der in der Umgebung als Berg Kailash bekannt ist. Sati pflegte sich bei dieser Insel zu baden. Der Gipfel des Kailash und die Höhle an seinem Fuß werden mit Shivas tausendjähriger Buße (Meditation und andere spirituelle Praktiken) zugunsten der Menschheit in Verbindung gebracht. Jetzt steht dort auf der Insel ein orangefarbener Hanuman - ein Gott13 in Affenform, der zur Erde kam, um Rama und seiner Gefährtin zu dienen - der Pilger und Reisende segnet und willkommen heißt.

Ich war verwirrt von der Anzahl der indischen Götter und Heiligen, mit der mich die hinduistische Kultur bekannt gemacht hatte, und fragte mich, was ich mit Hanuman anfangen sollte. Ich erfuhr dann, und später immer wieder, dass trotz Hunderten von identifizierbaren, geschichtlichen Göttern, Göttinnen und Dämonen in der indischen Kultur und Religion die Heiligen Schriften und die gelehrten Hindus fest behaupten, dass "Gott eins ist, Nichts kommt ihm gleich."14 Die Vielfältigkeit der Göttinnen und Götter hat ihren Grund in der Bemühung, die vielen Aspekte des einen formlosen Gottes aufzuzeigen und ihnen eine Gestalt zu geben sowie die Gesetze, denen das Universum unterliegt, wie Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung (Reinigung) zu illustrieren und zu personalisieren. Wenn man den Aussagen der Vergangenheit und Gegenwart glauben schenkt, dann erscheint das Göttliche aufrichtigen Gläubigen in der Gestalt, die sie verehren und erwarten. Hanuman, bekannt für seine Stärke, aufrichtige Verehrung und seinen Dienst an Gott (als Rama) ist in ganz Indien sehr beliebt, auch bei Shri Babaji und seinen Schülern.

Unsere Reise durch das Tal endete mit dem Erklimmen der sogenannten "108 Stufen" des Ashrams. In Wirklichkeit sind es vom Flussbett aus gerechnet bis zum Tempelgarten einige mehr, aber 108 hat eine spirituelle Bedeutung. In der Nähe der Stufen stand ein einstöckiges Gebäude, in dem zur Treppe hin ein Büro und ein kleines Schlafzimmer für Swami Fakiranand untergebracht waren. An seiner Rückseite befand sich ein kleiner Raum, in dem Shri Babaji schlief und Besucher empfing. Vor Shri Babajis Zimmer lag eine Terrasse aus Zement, auf der ein alter Pipal-Baum wuchs und sich eine Feuergrube befand, an der Babaji - wenn er in Haidakhan war - jeden Tag im Morgengrauen eine Feuerzeremonie abhielt. Die Terrasse, von dem großen Baum beschattet, bot Aussicht über das Tal und das kleine Dorf Haidakhan.

Margaret und ich verbrachten zehn Tage im Haidakhan Ashram. Wir lebten ganz einfach und befolgten den Tagesablauf, den Shri Babaji bestimmt hatte. Wir standen um vier Uhr in der Früh auf, gingen im Fluss baden bei Temperaturen, die sich um 5 Grad Celsius bewegten. Es folgte eine gute Stunde Meditation mit anschließendem heißen Tee vor dem einstündigen Arti zum Sonnenaufgang. Der Ashram bot kein Frühstück an. Eine Mittagsmahlzeit wurde für einen einfachen Lebensstil als ausreichend angesehen, doch Shri Babaji versorgte uns auch am Abend mit einem Abendessen und verteilte häufig Früchte, Nüsse und Süßigkeiten, oder er veranstaltete Tee-Parties, so dass niemand hungrig war. Die an das Frühstück gewöhnten westlichen Schüler fanden sich in den Tee-shops des Dorfes zu Getreideflocken, Büffelmilch oder Käse mit Keksen ein. Dann gingen wir an die Arbeit.

Shri Babaji lehrte, dass Arbeit, ohne selbstsüchtiges und persönliches Motiv dem Göttlichen gewidmet und in Harmonie mit der ganzen Schöpfung ausgeführt, die höchste Form des Gottesdienstes ist. Sie ist ebenfalls ein Mittel der Reinigung, transformiert innere Negativität und Feindseligkeit und öffnet den Menschen für spirituelles Wachstum. Diese Einstellung zur Arbeit wird Karma Yoga genannt, und in diesem Sinne wurde morgens und nachmittags gearbeitet. Zu jener Zeit bestand unsere Arbeit darin, die Terrasse am rechten Ufer des Gautama Ganga zu erweitern. Dort waren schon vier kleine Tempel errichtet worden und zwei weitere im Aufbau. Männer und Frauen nahmen mit Pickeln und Schaufeln den Abhang gemeinsam in Angriff und trugen das Erdreich in geflochtenen Körben oder in den metallenen Schüsseln ab, die indische Arbeiter gewöhnlich auf dem Kopf tragen. "Den Berg zu versetzen" schien mit diesen einfachen Geräten unmöglich zu sein, aber der Ergebnis war von Woche zu Woche, ja sogar von Tag zu Tag deutlich sichtbar. Geduld war eine der Tugenden, die Shri Babaji durch Erfahrung lehrte.

In der Mittagszeit beendeten wir die Arbeit, wuschen uns im Fluss und setzten uns anschließend in die warme Sonne auf der betonierten Terrasse vor der Ashramküche zum Essen nieder. Eine halbe Stunde blieb zum Ausruhen übrig, dann ging es bis kurz vor Sonnenuntergang an die Arbeit zurück. Danach wuschen oder badeten wir uns wieder, bis es Zeit wurde, am Abend-Arti teilzunehmen. Nach dem Gottes­dienst servierte die Küchenmannschaft das Abendessen, normaler­weise Reste vom Mittagsmahl, aber gelegentlich auch etwas frisch Gekochtes. Abends um zehn Uhr sollten nach den Ashramregeln die Lichter gelöscht werden, aber nach dem Abendessen gab es immer so viel zu bereden, dass die Unterhaltungen nur durch die Müdigkeit beendet wurden.

Kurz nach dem plötzlichen Tod meiner Frau Jackie Ende Oktober 1978, sie war unerwartet an einem Bienenstich gestorben, war Margaret in Washington in mein Haus gekommen. Margaret unterrichtete damals transzendentale Meditation und suchte einen Job und eine Unterkunft. Ich war zu dieser Zeit in einem Team des Außenministeriums, das den Vertrag für den Bau einer neuen amerikanischen Botschaft in Moskau aushandelte, und ich brauchte einen Haus- und Katzenbetreuer, da ich um Weihnachten 1978 ständig hin- und herreiste. Als meine Reisen beendet waren, bemerkte ich immer mehr, wie bezaubernd und hilfreich Margaret war und so fragte ich sie eines Tages, ob sie mich heiraten wolle. Sie sagte nicht ja, blieb aber bei mir wohnen. Margaret hatte wie Jackie und ich die "Autobiographie eines Yogi" von Paramahansa Yogananda gelesen und war ebenfalls fasziniert von den Berichten über Mahavatar Babaji. Als Margaret im Sommer 1979 von Babajis Dasein in Haidakhan erfuhr, entschloss sie sich, im Januar 1980 zusammen mit Leonard Orr und einer Gruppe von Rebirthern nach Haidakhan zu fahren. Ich hatte ihr bei den Reisevorbereitungen geholfen und Margaret sollte mich anschließend, wenn meine Pensionierung erfolgt war, auf einer Geschäftsreise durch Europa und Israel begleiten, bei der es um die mögliche Gründung einer internationalen Beratungsfirma ging. Doch als ich in London ein­traf, fand ich zwei Briefe von ihr vor, in denen sie mir schrieb, dass sie wünschte, den Rest ihres Lebens in Babajis Gegenwart zu verbringen. Mehr wolle sie nicht und sie danke mir für alles. Nachdem ich eine Nacht überlegt hatte, was ich tun sollte, verlängerte ich mein Flugbillet über Tel Aviv nach Neu Delhi und telegraphierte an das indische Außenministerium wegen eines Gesprächstermins. Auf diese Weise bin ich früher zu Shri Babaji gelangt, als mein Steinbockgemüt es mir zugestanden hätte.

 

In Neu Delhi, in Vrindaban und während der zehn Tage in Haidakhan versuchte ich Margaret zur Rückkehr in die Vereinigten Staaten und zur Heirat zu bewegen, aber sie ließ von ihrem Wunsch, bei Babaji zu bleiben, nicht ab. Ich aber wurde immer unruhiger bei dem Gedanken an meine Geschäftsangelegenheiten und flog schließlich in die USA zurück. Margaret begleitete mich nach Neu Delhi, um mich dort zu verabschieden, blieb aber in Indien.

In Washington D.C. saß ich dann an meinem Schreibtisch, um einen Bericht an zukünftige Kunden über die gewonnenen Erkenntnisse meiner Geschäftsreise zusammenzufassen, aber er glückte mir nicht. Tag für Tag saß ich da, schweifte ab, war konfus und durcheinander. Jeden Morgen und jeden Abend las ich das Haidakhan Arti durch, und es endete fast immer unter Tränen und in Verwirrung. Ich konnte nicht verstehen, was mit mir los war. Nach ungefähr zehn Ta­gen kam der Durchbruch. Die Worte flossen mir nur so aus der Feder, und nochmals zehn Tage später verfügte ich über einen guten Bericht, den ich meinen zukünftigen Kunden zusenden konnte. Außerdem war ich noch meinem früheren Arbeitgeber vertraglich verpflichtet und wollte das Projekt abschließen. Dabei ging ich noch einmal durch den Prozess des "Nichtkönnens", gefolgt von einem erfolgreichen Arbeitsanfall.

Margaret rief mich aus Indien an, um mir mitzuteilen, dass Shri Babaji sie nach seiner Ankunft in Haidakhan als erstes fragte: "Warum ist dein Freund ohne meine Erlaubnis abgereist?" Wenige Tage später schickte er Margaret aus dem Ashram fort (das dritte Mal während ihres dreimonatigen Aufenthaltes dort) mit der Bemerkung, sie solle "nach Hause gehen". Da für sie ihr Zuhause bei Babaji war, ging sie einfach in einen anderen seiner Ashrams.

Ich war so durcheinander und so unzufrieden mit meinem Verhältnis zu Margaret und zu Shri Babaji, dass ich sechs Wochen nach meiner Rückkehr aus Indien wieder im Flugzeug auf der Reise nach Neu Delhi und Haidakhan saß.

Als ich oben an den "108 Stufen" des Haidakhan Ashrams angekommen war, traf ich Margaret, die vor Swami Fakiranands Büro einen kleinen Teppich ausschüttelte. Ich hatte Washington so über­stürzt verlassen, dass ich keine Zeit gefunden hatte, ein Telegramm zu schicken. Als Margaret mich sah, fiel sie fast in Ohnmacht vor Überraschung, doch sie erholte sich schnell und sagte, Shri Babaji würde im Tempel Darshan abhalten und ich solle mich schnell waschen, bevor ich zu ihm ginge.

Babaji saß auf seinem Sitz in der Kirtanhalle, einem Raum mit nur drei Wänden, dessen offene Seite zum Tempel hin lag, in dem die Statue des "Alten Haidakhan Baba" stand. Babaji sprach gerade mit einem Inder, und so kniete ich mich hin, berührte seine Füße und setzte mich. Als Babaji seine Unterhaltung beendet hatte, wandte er sich mir zu und fragte: "Warum bist du ohne meine Erlaubnis fort gegangen?" (Später erfuhr ich, dass das Ashram Protokoll Shri Babajis Einverständnis verlangte, wenn man kommen oder gehen wollte). Ich erklärte ihm, dass ich an meinem Geschäftsvorhaben hätte weiterarbeiten müssen, wie es um die Arbeit stand und weshalb ich zurückgekehrt sei. Nach einigen Minuten beendete Shri Babaji seinen Darshan, verließ seinen Sitz und nahm mich bis zum Fuß der Treppe mit, von wo aus man zu den Gästezimmern im geräumigsten Ashramgebäude geht. Er wies einen Schüler an, mir einen der Räume zu geben, und wir trugen dann später unser Gepäck hinauf.

Als ich zurückkam, saßen die Leute bereits beim Mittagessen. Margaret setzte sich von mir fort, doch nicht lange, denn, als Shri Babaji kam, bat er die Person, die zwischen uns war, sich an einen anderen Platz zu setzen. Er setzte uns also mit Nachdruck zueinander und fügte noch hinzu: "Du darfst sie in dein Zimmer nehmen, wenn du möchtest!" Dann entfernte er sich. Margaret war über diese Worte entsetzt und sehr ärgerlich, denn nach den Ashramregeln hatten Männer und Frauen getrennte Unterkünfte. Noch bevor Margaret damit fertig war, mir zu sagen, ich solle nicht von ihr verlangen, in meinen Raum zu ziehen, kam Shri Babaji zu uns zurück und sagte: "Du kannst sie heiraten, wenn du willst!" Nach diesen Worten ging er in das Zimmer, in dem er einige Bissen von dem ihm angebotenen Essen nahm. Margaret wusste aber auch, dass sie Shri Babaji vollends ihren Willen übergeben hatte und ihm aus diesem Grunde nichts abschlagen könne. Aber als Rechtsanwältin bemerkte sie natürlich, dass Shri Babaji bei beiden Bemerkungen mir die Wahl überlassen hatte, folglich begann sie mit Nachdruck an mir zu arbeiten, dass ich ja nicht von meinem "Vorrecht" Gebrauch mache.

Eine Woche lang spielte Shri Babaji mit uns. Wir teilten das Zimmer, arbeiteten gemeinsam, aßen zusammen und sprachen gemeinsam mit Babaji. Einmal, bei den Tempeln nahe des Abhanges, als wir uns vor ihm hinknieten, nahm er unsere rechten Hände in die seine, drückte sie und sagte lachend auf Englisch: "Ihr seid verheiratet! Ihr seid verheiratet!" Dann ging er schnell fort und ließ uns verwundert zurück. Natürlich fragten wir uns, ob das jetzt Ernst gewesen war. Wir kannten zwar seine Art, Menschen plötzlich in unerwartete Situationen hineinzuwerfen, um sie zu prüfen und um ihnen über ihre Probleme und Gelüste hinwegzuhelfen, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er unsere Heirat wünschte. So fingen wir an, Babaji zu fragen: "Ist diese Heirat dein Wille?" oder war es mein Wunsch, den Shri Babaji erfüllte? Als Margaret ihm eines Tages diese Frage stellte, antwortete er, er würde meinen Wunsch unterstützen. Ein andermal gab er mir auf diese Frage eine unverbindliche Antwort.

Nach einigen Tagen des Hin und Her kam ich zu der Einsicht, dass ich nicht wirklich mit einer Frau verheiratet sein wollte, die absolut dagegen war. Mit diesem Entschluss ging ich zu Babaji, um ihn das mitzuteilen. Ich kniete vor ihm nieder, berührte seine Füße und richtete mich auf, um zu sprechen, aber er stand auf und lief davon. Eine Weile sprach er nicht mehr über Heirat, und weil es um dieses Thema still wurde, folgerten wir, dass er dieses Spiel aufgegeben habe. Sollte er nochmals diese Frage an uns richten, so beschlossen wir, würde ich antworten, dass es keine Heirat gäbe.

Bald zu Anfang dieses Besuches in Haidakhan bekam ich Durchfall, und Shri Babaji wies mich an, zu ruhen und mit Vorsicht zu essen. Eines Morgens spät, etwa eine Woche nach meiner Ankunft, ich hatte gerade geruht, war ich durch das Läuten der Tempelglocken erwacht. Das Geläute kündigte Babajis Rückkehr von den Arbeitsstätten auf der anderen Flussseite an. Ich hörte Babaji lachen und fühlte mich von ihm angezogen. Als ich zu ihm kam, saß er auf der Mauer vor seinem Zimmer und etwa zwanzig Schüler, Margaret eingeschlossen, standen und saßen um ihn herum. Ich verneigte mich vor ihm, und als ich mich erhob, fragte er: "Was wolltest du sagen?" Mein Geist war noch vom Schlaf benebelt und ich hörte mich spontan sagen: "Babaji, wir möchten einfach nur deinen Willen tun." "Es ist mein Wille, dass ihr heiratet!" antwortete er, und er verheiratete uns auf der Stelle. Er band unsere Hände zusammen, schickte uns zum Tempel, um uns dort zu verneigen, organisierte Ringe, die wir tauschen konnten und wies uns an, für den nächsten Tag ein Hochzeitsmahl zu arrangieren.