Waldheimat

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So hatte sie gebetet. Die roten Kerzen brannten fromm. – Ich hab’ gemeint zur selben Stund’: wenn ich der lieb’ Herrgott wäre, ich stiege herab vom Himmel und tät’ das Kind nehmen in meine Hand’ und tät’ sagen: Auf daß du’s siehst, Drachenbinderin, ich halt’s an meinem Herzen warm und will sein Vormund sein! –

Aber ich bin der lieb’ Herrgott nicht gewesen.

Nach einer Weile sagte das Weib: „Jetzt heben wir zu schreiben an.“ – Aber wie wir wollten zu schreiben anheben, da war keine Tinte, keine Feder und kein Papier. Allmiteinander hatten wir falsch gedacht; sie, daß ich das Zeug mitbringen, ich, daß sie es im Haus haben würde. „Ach“, sagte sie, „das ist ein Kreuz!“

Ich hatte einmal das Geschichtchen gehört von jenem Doktor, der in Ermanglung der Dinge sein Rezept an die Stubentür geschrieben. – ’s war hier der Nachahmung wert; fand sich aber keine Kreide im Haus. Ich wußte mir keinen Rat und ich schämte mich unsagbar, daß ich ein Schreiber ohne Feder war.

„Waldbauernbub“, sagte das Weib, „leicht hast du’s auch mit Kohlen gelernt?“

Ja, ja, mit Kohlen, wie sie auf dem Herde lagen, das war ein Mittel.

„Und das ist in Gottes Namen mein Papierblatt“, sprach sie, und hob die Decke eines alten Schrankes empor, der hinter dem Ofen stand. In dem Schranke waren Lodenschnitzel, ein Stück Linnen und ein rostiger Spaten. Als die Drachenbinderin bemerkte, daß ich auf den Spaten blicke, wurde sie völlig verlegen, deckte ihr altes Gesicht mit der blauen Schürze und murmelte: „’s ist wohl eine Schande!“

Mir fuhr’s ins Herz; ich hielt das für einen Vorwurf, daß ich kein Schreibzeug bei mir habe.

„Wirst mich rechtschaffen auslachen, Waldbauernbub, daß er gar so rostig ist“, lispelte die Alte, „aber tu’ ja nichts Schlechtes von mir denken; ich kann halt nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich bin schon gar soviel ein mühseliger Mensch.“

Jetzt verstand ich vielleicht, das arme Weib schämte sich, daß es den Spaten nicht mehr handhaben konnte und daß dieser so rostig geworden.

Ich suchte mir am Herd ein spitzes Stück Kohle – die Kiefer ist so gut und leiht mir die Feder, daß ich das Testament, oder was es sein wird, der alten Drachenbinderin vermag aufzuschreiben.

Als also der falbfarbige Schrank offen stand und ich bereit war, auf die Worte des Weibes zu hören und sie zu verzeichnen, daß sie nach vielen Jahren dem Enkel eine Botschaft seien – da tat die Alte neben mir plötzlich ein helles Aufjauchzen. Eilig wendete sie sich seitab, jauchzte zwei- und dreimal und brach zuletzt in ein heiseres Lachen aus.

Ich zerrieb in der Angst fast die Kohle zwischen meinen Fingern und schielte nach der Tür.

Als das Weib eine Weile gelacht hatte, war es still, tat einen tiefen Atemzug, trocknete sich den Schweiß, wendete sich zu mir und sagte: „So schreib’. Hoch werden wir nicht zählen, fang’ aber doch an im oberen Eck’.“

Ich legte die Hand auf die oberste Ecke des Deckbrettes.

Hierauf sprach das Weib folgende Worte: „Eins und eins ist Gott allein. – Das, du Kind meines Kindes, ist dein eigen.“

Ich schrieb die Worte auf das Holz.

„Zwei und zwei“, fuhr sie fort, „zwei und zwei ist Mann und Weib. Drei und drei das Kind dabei. Vier und fünf bis acht und neun, weil die Sorgen zahllos sein. – Bet’, als hättest keine Hand; arbeit’, als wär’ kein Gott bekannt. Trage Holz und denk’ dabei: Kochen wird mir Gott den Brei.“ – –

Als ich diese Worte schlecht und recht geschrieben hatte, senkte sie den Deckel auf den Schrank, versperrte ihn sorgsam und sagte zu mir: „Jetzt hast du mir eine große Guttat erwiesen, jetzt ist mir ein schwermächtiger Stein vom Herzen. Diese Truhen da ist das Vermächtnis für mein Enkelkind. – Und jetzt kannst du sagen, was ich dir geben soll für deinen Dienst.“

Ich schüttelte den Kopf, wollte nichts verlangen, als daß ich das Sprüchel auswendig lernen und mit heimtragen dürfe.

„So gut schreiben und so weit herreisen und eine ganze Nacht Kälte leiden und zuletzt nichts dafür nehmen wollen, das wär’ sauber!“ rief sie, „Waldbauernbub, das kunnt ich nicht angehen lassen.“

Ich blinzelte durch die offene Tür ein wenig in die Kammer hinein, wo das Kirchlein stand. – Da roch sie’s gleich. „Mein Hausaltar liegt dir im Sinn“, sagte sie, „Gotteswegen, so magst du ihn haben. Man kann’s nicht versperren wie die Truhen, das liebe Kirchel, und die Leut’ täten mir’s doch nur verschleppen, wenn ich nicht mehr bin. Bei dir ist’s in Ehren und du denkst wohl an die alte Drachenbinderin zur heiligen Stund’, wenn du betest.“

Das ganze Kirchlein hat sie mir geschenkt. Und das war jetzt vielleicht die größte Seligkeit meiner ganzen Kindschaft.

Gleich wollte ich es auf die Achsel nehmen und forttragen über die Alpe zu meinem Hause. Aber das Weib sagte: „Du lieber Närrisch, das kunnt wohl auf alle Mittel und Weis’ nicht sein. Kommt erst der Knecht heim, der wird einen Rat schon wissen.“

Und als der Knecht heimgekommen war und mit uns das Mittagsbrot gegessen hatte, da wußte er einen Rat. Er band mir das Kirchlein mit einem Strick auf den Rücken, dann ließ er sich nieder vor dem Holzblock und sagte: „Jetzt, Bübel, reit’ wieder auf!“

Saß ich denn das zweitemal auf seinem Nacken, steckte die Füße in seine Jackentaschen wie in Steigbügeln und umschlang mit den Händen seinen Hals. Die Alte hielt mir das erwachende Kind noch vor, daß es mir das Händchen hinhalte, sagte noch gute Worte des Dankes, huschte hinter den Ofen und jauchzte. Ich aber ritt davon, und an meinem Rücken klöpfelten die Heiligen in der Kirche, und in den Türmen schrillten bei jeder Bewegung die Glöcklein.

Als der Mann mit mir emporgestiegen war bis zu den Höhen des Bürstling und sich dort wieder die Schneescheiben festband, da fragte ich ihn, warum denn die Drachenbinderin allfort so jauchze und lache.

„Das ist kein Jauchzen und Lachen, liebes Waldbauernbüblein“, antwortete mir der Mann, „die Drachenbinderin hat eine Krankheit zu tragen. Sie hat jahrelang so ein Schlucksen gehabt und ist nach und nach, wie der Bader sagt, das Krampfschreien und das Krampflachen daraus geworden. Jetzt ballt sich ihr Eingeweide zusammen, und wenn sie in der Erregung ist, so hat sie die Anfälle. Sie kann auch keine Speisen mehr vertragen und sieht den Tod vor Augen.“

Ich entgegnete kein Wort, blickte auf die schneeweißen Höhen, auf den dämmerigen Wald, und sah, wie wir an dem reinen Sonntagsnachmittag sachte abwärts stiegen gegen mein Heimatshaus. Ich dachte, wie ich die Kirche, die ich zum Vermächtnis bekommen, nun aufstellen wolle in der Stube und darin Gottesdienst halten, auch für das arme Weib, das vor lauter Kranksein jauchzen muß. Etliche Wochen drauf sind die Glöcklein zur Trauer geläutet worden …

ALS DEM KLEINEN MAXEL DAS HAUS NIEDERBRANNTE

Ich erinnere mich noch gar gut an jene Nacht.

Ein Knall, als wenn die Tür des Schüttbodens zugeworfen worden wäre, weckte mich auf. Und dann klopfte jemand am Fenster und rief in die Stube herein: wer des Kleinmaxel Haus brennen sehen wolle, der möge aufstehen und schauen gehen.

Mein Vater sprang aus dem Bette, ich erhob ein Jammergeschrei und dachte fürs nächste daran, meine Kaninchen zu retten. Wenn bei besonderen Ereignissen wir anderen über und über aus Rand und Band gerieten, so war es allemal die blinde Jula, die uns beruhigte. So sagte sie auch jetzt, daß ja nicht unser Haus im Feuer stehe, daß das Kleinmaxelhaus eine halbe Stunde weit von uns weg wäre; daß es auch nicht sicher sei, ob das Kleinmaxelhaus brenne, daß ein Spaßvogel vorbeigegangen sein könne, der uns die Lug zum Fenster hereingeworfen und daß es möglich sei, daß gar niemand hereingeschrien hätte, sondern es uns nur so im Traume vorgekommen wäre.

Dabei streifte sie mir das Höselein und die Schuhe an und wir eilten vor das Haus, um zu sehen.

„Auweh!“ rief mein Vater, „’s ist schon alles hin.“

Über den Waldrücken herüber, der sich in einem weitgebogenen Sattel durch die Gegend legt und das Ober- und Mittelland voneinander scheidet, strebte still und hell die Flamme auf. Man hörte kein Knistern und Knattern, das schöne neue Haus, welches erst vor einigen Wochen fertig geworden war, brannte wie Öl. Die Luft war feucht, die Sterne des Himmels waren verdeckt; es murrte zuweilen ein Donner, aber das Gewitter zog sich sachte hinaus in die Gegenden von Birkfeld und Weiz.

Ein Blitz – so erzählte nun der Mann, der uns geweckt hatte, der Schafgistel war’s – wäre etlichemal hin- und hergezuckt, hätte ein Drudenkreuz an den Himmel geschrieben und wäre dann niederwärts gefahren. Er wäre aber nicht mehr ausgeloschen, der lichte Punkt an seinem unteren Ende wäre geblieben und rasch gewachsen und da hätte sich er, der Schafgistel, gedacht: Schau du, jetzt hat’s den klein’ Maxel troffen.

„Wir müssen doch schauen gehen, daß wir was helfen mögen“, sagte mein Vater.

„Helfen willst da?“ sprach der andere, „wo der Donnerkeil dreinfahrt, da rühr’ ich keine Hand mehr. Der Mensch soll unserm Herrgott nicht entgegenarbeiten, und wenn der einmal einen Himmletzer (Blitz) aufs Haus wirft, so wird er auch wollen, daß es brennen soll. Hernachen mußt wissen, ist so ein Einschlagets auch gar nicht zu löschen.“

„Deine Dummheit auch nicht“, rief mein Vater.

Ließ ihn stehen und führte mich an seiner Hand rasch davon. Wir stiegen ins Engtal hinab und gingen am Fresenbach entlang, wo wir das Feuer nicht mehr sehen konnten, sondern nur die Röte in den Wolken. Mein Vater trug einen Wasserzuber bei sich und ich riet, daß er denselben gleich an der Fresen füllen solle. Mein Vater hörte gar nicht drauf, sondern sagte mehrmals vor sich hin: „Maxel, aber daß dich jetzt so was treffen muß?!“

 

Ich kannte den kleinen Maxel recht gut. Es war ein behendes, heiteres Männlein, etwa in den Vierzigern; sein Gesicht war voll Blatternarben und seine Hände waren braun und rauh wie die Rinden der Waldbäume. Er war seit meinem Gedenken Holzhauer in Waldenbach.

„Wenn einem anderen das Haus niederbrennt“, sagte mein Vater, „na, so brennt ihm halt das Haus nieder.“

„Ist’s beim klein’ Maxel nicht so?“ fragte ich.

„Dem brennt alles nieder. Alles, was er gestern gehabt hat und heut’ hat und morgen hätt’ haben können.“

„So hat der Blitz den Maxel leicht selber erschlagen?“

„Das wär’ ’s best’, Bub. Ich vergunn’ ihm das Leben, Gottseid’, ich vergunn’ ihm’s – aber, wenn er eh’vor hätt’ beichten mögen und in keiner Todsünd wär’ gewesen, wollt’ richtig gleich sagen, das allerbest’, wenn’s ihn auch selber troffen hätt’.“

„Da wär’ er jetzt schon im Himmel oben“, sagte ich.

„Watsch’ nur nicht so ins nasse Gras hinein. Geh’ gleim (nahe) hinter mir und halt’ dich beim Jankerzipf an. Vom Maxel, von dem will ich dir jetzt was sagen.“

Der Weg ging sanft berganwärts. Mein Vater erzählte.

„Jetzt kann’s dreißig Jahr aus sein – ist der Maxel ins Land kommen. Armer Leute Kind. Die erst’ Zeit hat er bei den Bauern herum einen Halterbuben gemacht, nachher, wie er sich ausgewachsen hat, ist er in den Holzschlag ’gangen. Ein rechtschaffener Arbeiter und allerweil fleißig und sparsam. Wie er Vorarbeiter ist worden, hat er sich vom Waldherrn ausgebeten, daß er das Sauerwiesel auf der Gfarerhöh’ ausreuten und für sein Lebtag behalten dürfe, weil er so viel gern eigen Grund und Boden hätte. Ist ihm gern zugesagt worden, und so ist der Maxel alle Tag, wenn sie im Holzschlag Feierabend gemacht haben, auf sein Sauerwiesel ’gangen, hat den Strupp weggeschlagen, hat Gräben gemacht, hat Steine ausgegraben, hat die Wurzeln des Unkrautes verbrannt – und in zwei Jahren ist das ganze Sauerwiesel trocken gelegt und es wachst gutes Gras drauf, und gar ein Fleckel Brandkorn hat er anbaut. Wie es so weit kommen, daß er’s auch mit Kohlkraut hat probiert, und gesehen, wie gut es den Hasen schmeckt, ist er um Waldbäume einkommen. Die können sie ihm nicht schenken, wie das Sauerwiesel, die muß er abdienen. So hat er Arbeitslohn dafür eingelassen, und die Bäume hat er umgehauen und viereckig gehackt und abgeschnitten zu Zimmerholz – alles in den Feierabenden, wenn die anderen Holzknechte lang’ schon gut auf dem Bauch sind gelegen und ihre Pfeifen Tabak haben geraucht. Hätt’ selber auch gern geraucht, das ist seine Passion gewest; aber eh’vor er fertig ist mit seiner Wirtschaft, tut er’s nit. Und jetzt hat er angehebt, an solchen Feierabenden andere Holzhauer zu verzahlen, daß sie ihm bei Arbeiten helfen, die ein einziger Mensch nicht dermachen kann, und so hat er auf dem Sauerwiesel sein Haus gebaut. Fünf Jahr’ lang hat er daran gearbeitet, aber nachher – du weißt ja selber, wie es dagestanden ist mit den guldroten Wänden, mit den hellen Fenstern und der Zierat auf dem Dach herum – schier vornehm anzuschauen. Ein fein Gütel ist worden auf der Sauerwiese, und wie lang’ wird’s denn her sein, daß uns unser Pfarrer bei der Christenlehr’ den klein’ Maxel als ein Beispiel des Fleißes und der Arbeitsamkeit hat aufgestellt? Nächst Monat hat er heiraten wollen, und daß er heraufgestiegen ist vom Waiselbuben bis zum braven Hausbesitzer und Hausvater – Bub, da ruck’ dein Hütel! – Und jetzt ist auf einmal alles hin. Der ganze Fleiß und alle Arbeit die vielen Jahr’ her ist umsonst. Der Maxel steht wieder auf demselben Fleck, wie voreh’.“

Ich habe dazumal meine Frömmigkeit noch aus der Bibel gezogen, und so entgegnete ich auf des Vaters Erzählung: „Der Himmelvater hat den Maxel halt gestraft, daß er so aufs Zeitliche ist gegangen wie die Heiden, und der Maxel hat sich ’leicht ums Ewige zu wenig gesorgt. Sehet die Vöglein in den Lüften, sie säen nicht, sie ernten nicht –“

„Und sie schwatzen nicht!“ unterbrach mich der Vater. „Ich kenn’ mich nimmer aus, und das sag’ ich, wenn’s –“

Er unterbrach sich. Wir standen auf der Anhöhe und vor uns loderte die Wirtschaft des Kleinmaxel und das Haus brach eben in seinen Flammen zusammen. Mehrere Leute waren da mit Hacken und Wassereimern, aber es war nichts anderes zu machen, als da zu stehen und zuzuschauen, wie die letzten Kohlenbrände in sich einstürzten. Das Feuer war nicht wütend, es brüllte nicht, es krachte nicht, es fuhr nicht wild in der Luft herum; das ganze Haus war eine Flamme, und die qualmte heiß und weich zum Himmel auf, von wannen sie gekommen.

Eine kleine Strecke vom Brande war der Steinhaufen, auf welchen der Maxel die Steine der Sauerwiese zusammengetragen hatte. An demselben saß er nun, der kleine, braune, blatternarbige Maxel, und sah auf die Glut hin, deren Hitze auf ihn herströmte. Er war halb angekleidet, hatte seinen schwarzen Sonntagsmantel, den er gerettet, über sich gehüllt. Die Leute traten nicht zu ihm; mein Vater wollte ihm gern ein Wort der Teilnahme und des Trostes sagen, aber er getraute sich auch nicht zu ihm. Der Maxel lehnte so da, daß wir meinten, jetzt und jetzt müsse er aufspringen und einen schreckbaren Fluch zum Himmel stoßen und sich dann in die Flammen stürzen.

Und endlich, als das Feuer nur mehr auf dem Erdengrund herum leckte und aus den Aschen die kahle Mauer des Herdes aufstarrte, erhob sich der Maxel. Er schritt zur Glut hin, hob eine Kohle auf und – zündete sich die Pfeife an.

Als ich in der Morgendämmerung den klein’ Maxel vor seiner Brandstätte stehen sah, und wie er den blauen Rauch aus der Pfeife sog und von sich blies, da war mir in meiner Brust heiß. Als ob ich es fühlte, wie mächtig der Mensch ist, um wie viel größer als sein Schicksal, und es für das Verhängnis keinen größeren Schimpf gibt, als wenn man ihm in aller Seelenruhe Tabakrauch in die Larve bläst.

Später hat der klein’ Maxel die Asche seines Hauses durchwühlt und aus derselben sein Schlagbeil hervorgezogen. Er schaftete einen neuen Stiel an, er machte es an einem Schleifsteine der Nachbarschaft wieder scharf. „Wenn ich noch einmal baue“, sprach er vor sich hin, „so mach’ ich’s besser. Das obere Stübel ist eh nicht sauber gewesen.“ Seither sind viele Jahre vorbei: Um die Sauerwiese liegen heute schöne Felder, und auf der Brandstätte steht ein neugegründeter Hof. Junges Volk belebt ihn und der Hausvater, der Alte, der klein’ Maxel, lehrt seinen Söhnen das Arbeiten, erlaubt ihnen aber auch das Tabakrauchen. Nicht zu viel – aber ein Pfeiflein zu rechter Zeit.

ALS ICH DAS ERSTE MAL AUF DEM DAMPFWAGEN SASS

Noch viel seltsamer als diese Dinge waren, ist jenes Erlebnis gewesen, das hier erzählt wird.

Mein Oheim, der Knierutscher Jochem – er ruhe in Frieden! – war ein Mann, der alles glaubte, nur nicht das Natürliche. Das Wenige von Menschenwerken, was er begreifen konnte, war ihm göttlichen Ursprungs; das Viele, was er nicht begreifen konnte, war ihm Hexerei und Teufelsspuk. – Der Mensch, das bevorzugteste der Wesen, hat zum Beispiel die Fähigkeit, das Rindsleder zu gerben und sich Stiefel daraus zu verfertigen, damit ihn nicht an den Zehen friere; diese Gnade hat er von Gott. Wenn der Mensch aber hergeht und den Blitzableiter oder gar den Telegraphen erfindet, so ist das gar nichts anderes als eine Anfechtung des Teufels. – So hielt der Jochem den lieben Gott für einen gutherzigen, einfältigen Alten (ganz wie er, der Jochem, selber war), den Teufel aber für ein listiges, abgefeimtes Kreuzköpfel, dem nicht beizukommen ist und das die Menschen und auch den lieben Gott von hinten und vorn beschwindelt.

Abgesehen von dieser hohen Meinung vom Luzifer, Beelzebub (was weiß ich, wie sie alle heißen), war mein Oheim ein gescheiter Mann. Ich verdankte ihm manches neue Linnenhöslein und manchen verdorbenen Magen.

Sein Trost gegen die Anfechtungen des bösen Feindes und sein Vertrauen war die Wallfahrtskirche Mariaschutz am Semmering. Es war eine Tagreise dahin und der Jochem machte alljährlich einmal den Weg. Als ich schon hübsch zu Fuße war (ich und das Zicklein waren die einzigen Wesen, die mein Vater nicht einzuholen vermochte, wenn er uns mit der Peitsche nachlief), wollte der Jochem auch mich einmal mitnehmen nach Mariaschutz.

„Meinetweg’“, sagte mein Vater, „da kann der Bub gleich die neue Eisenbahn sehen, die sie über den Semmering jetzt gebaut haben. Das Loch durch den Berg soll schon fertig sein.“

„Behüt’ uns der Herr“, rief der Jochem, „daß wir das Teufelszeug anschau’n! ’s ist alles Blendwerk, ’s ist alles nicht wahr.“

„Kann auch sein“, sagte mein Vater und ging davon.

Ich und der Jochem machten uns auf den Weg; wir gingen über das Stuhleckgebirge, um ja dem Tale nicht in die Nähe zu kommen, in welchem nach der Leut’ Reden der Teufelswagen auf und ab ging. Als wir aber auf dem hohen Berge standen und hinabschauten auf den Spitalerboden, sahen wir einer scharfen Linie entlang einen braunen Wurm kriechen, der Tabak rauchte.

„Jessas Maron!“ schrie der Jochem, „das ist schon so was! spring’ Bub!“ – Und wir liefen die entgegengesetzte Seite des Berges hinunter.

Gegen Abend kamen wir in die Niederung, doch – entweder der Jochem war hier nicht wegkundig oder es hatte ihn die Neugierde, die ihm zuweilen arg zusetzte, überlistet, oder wir waren auf eine „Irrwurzen“ gestiegen – anstatt in Mariaschutz zu sein, standen wir vor einem ungeheuren Schutthaufen und hinter demselben war ein kohlfinsteres Loch in den Berg hinein. Das Loch war schier so groß, daß darin ein Haus hätte stehen können, und gar mit Fleiß und Schick ausgemauert; und da ging eine Straße mit zwei eisernen Leisten daher und schnurgerade in den Berg hinein.

Mein Oheim stand lange schweigend da und schüttelte den Kopf; endlich murmelte er: „Jetzt stehen wir da. Das wird die neumodische Landstraßen sein. Aber derlogen ist’s, daß sie da hineinfahren!“

Kalt wie Grabesluft wehte es aus dem Loche. Weiter hin gegen Spital in der Abendsonne stand an der eisernen Straße ein gemauertes Häuschen; davor ragte eine hohe Stange, auf dieser baumelten zwei blutrote Kugeln. Plötzlich rauschte es an der Stange und eine der Kugeln ging wie von Geisterhand gezogen in die Höhe. Wir erschraken baß. Daß es hier mit rechten Dingen nicht zuginge, war leicht zu merken. Doch standen wir wie festgewurzelt.

„Oheim Jochem“, sagte ich leise, „hört Ihr nicht so ein Brummen in der Erden?“

„Ja, freilich, Bub“, entgegnete er, „es donnert was! es ist ein Erdbiden (Erdbeben).“ Da tat er schon ein kläglich Stöhnen. Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und hintenher –

„Kreuz Gottes!“ rief der Jochem, „da hängen ja ganze Häuser dran!“ Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an der Lokomotive wären ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen konnten, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern heranrollen, und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich schnell ging’s, und ein solches Brausen war, daß einem der Verstand still stand. Das bringt kein Herrgott mehr zum Stehen! fiel’s mir noch ein. Da hub der Jochem die beiden Hände empor und rief mit verzweifelter Stimme: „Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig ins Loch!“

Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern in der Tiefe; die Rückseite des letzten Wagens schrumpfte zusammen, nur ein Lichtlein davon sah man noch eine Weile, dann war alles verschwunden, bloß der Boden dröhnte und aus dem Loche stieg still und träge der Rauch.

Mein Oheim wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Angesicht und starrte in den Tunnel. Dann sah er mich an und fragte: „Hast du’s auch gesehen, Bub?“

„Ich hab’s auch gesehen.“

„Nachher kann’s keine Blenderei gewesen sein“, murmelte der Jochem.

Wir gingen auf der Fahrstraße den Berg hinan; wir sahen aus mehreren Schachten Rauch hervorsteigen. Tief unter unseren Füßen im Berge ging der Dampfwagen.

„Die sind hin wie des Juden Seel’!“ sagte der Jochem und meinte die Eisenbahnreisenden. „Die übermütigen Leut’ sind selber ins Grab gesprungen!“

Beim Gasthause auf dem Semmering war es völlig still; die großen Stallungen waren leer, die Tische in den Gastzimmern, die Pferdetröge an der Straße waren unbesetzt. Der Wirt, sonst der stolze Beherrscher dieser Straße, lud uns höflich zu einer Jause ein.

 

„Mir ist aller Appetit vergangen“, antwortete mein Oheim, „gescheite Leut’ essen nicht viel, und ich bin heut’ um ein Stückel gescheiter worden.“ Bei dem Monumente Karls VI., das wie ein kunstreiches Diadem den Bergpaß schmückt, standen wir still und sahen ins Österreicherland hinaus, das mit seinen Felsen und Schluchten und seiner unabsehbaren Ebene fern dorthin lag. Und als wir dann abwärts stiegen, da sahen wir drüben in den wilden Schroffwänden unseren Eisenbahnzug gehen – klein wie eine Raupe – und über hohe Brücken, fürchterliche Abgründe setzen, an schwindelnden Hängen gleiten, bei einem Loch hinein, beim andern hinaus – ganz verwunderlich.

„’s ist auf der Welt ungleich, was heutzutag’ die Leut’ treiben“, murmelte der Jochem.

„Sie tun mit der Weltkugel kegelscheiben!“ sagte ein eben vorübergehender Handwerksbursche.

Als wir nach Mariaschutz kamen, war es schon dunkel. Wir gingen in die Kirche, wo das rote Lämpchen brannte, und beteten.

Dann genossen wir beim Wirt ein kleines Nachtmahl und gingen an den Kammern der Stallmägde vorüber auf den Heuboden, um zu schlafen.

Wir lagen schon eine Weile. Ich konnte unter der Last der Eindrücke und unter der Stimmung des Fremdseins kein Auge schließen, vermutete jedoch, daß der Jochem bereits süß schlummere; da tat dieser plötzlich den Mund auf und sagte:

„Schläfst schon, Bub?“

„Nein“, antwortete ich.

„Du“, sagte er, „mich reitet der Teufel!“

Ich erschrak. So was an einem Wallfahrtsort, das war unerhört.

„Ich muß vor dem Schlafengehen keinen Weihbrunn’ genommen haben“, flüsterte er, „’s gibt mir keine Ruh’, ’s ist arg, Bub.“

„Was denn, Pate?“ fragte ich mit warmer Teilnahme.

„Na, morgen, wenn ich kommuniziere, leicht wird’s besser“, beruhigte er sich selbst.

„Tut Euch was weh’, Oheim?“

„’s ist eine Dummheit. Was meinst, Bübel, weil wir schon so nah’ dabei sind, probieren wir’s?“

Da ich ihn nicht verstand, so gab ich keine Antwort.

„Was kann uns geschehen?“ fuhr er fort, „wenn’s die anderen tun, warum nicht wir auch? Ich lass’ mir’s kosten.“

Er schwätzt im Traum, dachte ich bei mir selber und horchte mit Fleiß.

„Da werden sie einmal schauen“, fuhr er fort, „wenn wir heimkommen und sagen, daß wir auf dem Dampfwagen gefahren sind!“

Ich war gleich dabei.

„Aber eine Sündhaftigkeit ist’s!“ murmelte er, „na, leicht wird’s morgen besser, und jetzt tun wir in Gottes Namen schlafen.“

Am anderen Tage gingen wir beichten und kommunizieren und rutschten auf den Knien um den Altar herum. Aber als wir heimwärts lenkten, da meinte der Oheim nur, er wolle sich dieweilen gar nichts vornehmen, er wolle nur den Semmeringbahnhof sehen, und wir lenkten unseren Weg dahin.

Beim Semmeringbahnhof sahen wir das Loch auf der anderen Seite. War auch kohlfinster. – Ein Zug von Wien war angezeigt. Mein Oheim unterhandelte mit dem Bahnbeamten, er wolle zwei Sechser geben, und gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, wollten wir wieder absteigen.

„Gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, hält der Zug nicht“, sagte der Bahnbeamte lachend.

„Aber wenn wir absteigen wollen!“ meinte der Jochem.

„Ihr müßt bis Spital fahren. Ist für zwei Personen zweiunddreißig Kreuzer Münz.“

Mein Oheim meinte, er lasse sich was kosten, aber soviel wie die hohen Herren könne er armer Mann nicht geben; zudem sei an uns beiden ja kein Gewicht da. – Es half nichts; der Beamte ließ nicht handeln. Der Oheim zahlte; ich mußte zwei „gute“ Kreuzer beisteuern. Mittlerweile kroch aus dem nächsten, unteren Tunnel der Zug hervor, schnaufte heran, und ich glaubte schon, das gewaltige Ding wolle nicht anhalten. Es zischte und spie und ächzte – da stand es still.

Wie ein Huhn, dem man das Hirn aus dem Kopfe geschnitten, so stand der Oheim da, und so stand ich da. Wir wären nicht zum Einsteigen gekommen; da schupfte der Schaffner den Jochem in einen Wagen und mich nach. In demselben Augenblicke wurde der Zug abgeläutet und ich hörte noch, wie der ins Gelaß stolpernde Jochem murmelte: „Das ist meine Totenglocke.“ Jetzt sahen wir’s aber: im Wagen waren Bänke, schier wie in einer Kirche; und als wir zum Fenster hinausschauten – „Jessas und Maron!“ schrie mein Oheim, „da draußen fliegt ja eine Mauer vorbei!“ – Jetzt wurde es finster und wir sahen, daß an der Wand unseres knarrenden Stübchens eine Öllampe brannte. Draußen in der Nacht rauschte und toste es, als wären wir von Wasserfällen umgeben, und einums andermal hallten schauerliche Pfiffe. Wir reisten unter der Erde.

Der Jochem hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet und hauchte: „In Gottes Namen. Jetzt geb’ ich mich in alles drein. Warum bin ich der dreidoppelte Narr gewesen.“

Zehn Vaterunser lang mochten wir so begraben gewesen sein, da lichtete es sich wieder, draußen flog die Mauer, flogen die Telegraphenstangen und die Bäume und wir fuhren im grünen Tale.

Mein Oheim stieß mich an der Seite: „Du, Bub! Das ist gar aus der Weis’ gewesen, aber jetzt – jetzt hebt’s mir an zu gefallen. Richtig wahr, der Dampfwagen ist was Schönes! Jegerl und jerum, da ist ja schon das Spitalerdorf! Und wir sind erst eine Viertelstunde gefahren! Du, da haben wir unser Geld noch nicht abgesessen. Ich denk’, Bub, wir bleiben noch sitzen.“

Mir war’s recht. Ich betrachtete das Zeug von innen und ich blickte in die fliegende Gegend hinaus, konnte aber nicht klug werden. Und mein Oheim rief: „Na, Bub, die Leut’ sind gescheit! Und daheim werden sie Augen machen! Hätt’ ich das Geld dazu, ich ließe mich, wie ich jetzt sitz’, auf unseren Berg hinauffahren!“

„Mürzzuschlag!“ rief der Schaffner. Der Wagen stand; wir schwindelten zur Tür hinaus.

Der Türsteher nahm uns die Pappeschnitzel ab, die wir beim Einsteigen bekommen hatten, und vertrat uns den Ausgang. „He, Vetter!“ rief er, „diese Karten galten nur bis Spital. Da heißt’s nachzahlen, und zwar das Doppelte für zwei Personen; macht einen Gulden sechs Kreuzer!“

Ich starrte meinen Oheim an, mein Oheim mich. „Bub“, sagte dieser endlich mit sehr umflorter Stimme, „hast du ein Geld bei dir?“

„Ich hab’ kein Geld bei mir“, bekannte ich.

„Ich hab’ auch keins mehr“, murmelte der Jochem.

Wir wurden in eine Kanzlei geschoben, dort mußten wir unsere Taschen umkehren. Ein blaues Sacktuch, das für uns beide war und das die Herren nicht anrührten, ein hart Rindlein Brot, eine rußige Tabakspfeife, ein Taschenfeitel, etwas Schwamm und Feuerstein, der Beichtzettel von Mariaschutz und der lederne Geldbeutel endlich, in dem sich nichts befand als ein geweihtes Messingamulettchen, das der Oheim stets mit sich trug im festen Glauben, daß sein Geld nicht ganz ausgehe, solange er das geweihte Ding im Sacke habe. Es hatte sich auch bewährt bis auf diesen Tag – und jetzt war’s auf einmal aus mit seiner Kraft. – Wir durften unsere Habseligkeiten zwar wieder einstecken, wurden aber stundenlang auf dem Bahnhofe zurückbehalten und mußten mehrere Verhöre bestehen.

Endlich, als schon der Tag zur Neige ging, zur Zeit, da, auf ehrlichen Füßen wandernd, wir leicht schon hätten zu Hause sein können, wurden wir entlassen, um nun den Weg über Berg und Tal in stockfinsterer Nacht zurückzulegen.

Als wir durch den Ausgang des Bahnhofes schlichen, murmelte mein Oheim: „Beim Dampfwagen da – ’s ist doch der Teufel dabei!“

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