Tochter der Inquisition

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Kapitel 2

Donnerstag, 30. Juli 1388

Die beiden Reiter, die an diesem Donnerstagvormittag die Brücke über die Steyr passierten, hatten alle Mühe voranzukommen. Sie ließen sich inmitten eines nicht enden wollenden Stroms von Menschen, Tieren und Fuhrwerken, der sich schon seit den frühen Morgen­stunden in die Stadt hineinwälzte, einfach treiben. Man sah den beiden Personen an, dass sie von weit her kamen. Aber nur ein Eingeweihter hätte wissen können, dass es sich bei einer von ihnen um eine Frau handelte. Denn was ihr Äußeres anging, schien sie sich um die von Gott und der Kirche gewollte Ordnung wenig zu scheren, trug sie doch von Kopf bis Fuß männliche Kleidung. Das lange, blonde Haar verbarg sie unter einer zu einem Turban gewickelten Gugel, während ein Schal, um Mund und Nase geschlungen, die Schönheit ihrer Gesichtszüge verhüllte. Allein die großen, ausdrucksstarken Augen, mit denen sie energisch die Umgebung musterte, sowie die vollendet geschwungenen Brauen ließen vermuten, dass sie nicht das war, für was sie sich ausgeben wollte.

Der Begleiter der Frau, groß und kräftig gebaut, mit schwarzem Bart und auffallend blauen Augen, seufzte.

»Wären wir bereits gestern Abend eingetroffen, wäre uns das Ganze hier erspart geblieben; Donnerstag ist immer Hauptwochenmarkt in Steyr«, sagte er und wich einem hinkenden Buckligen aus, der ihn mit seinem Handkarren gegen das Geländer der Brücke zu drücken drohte.

»Ja – hätten dran denken sollen«, entgegnete seine Begleiterin einsilbig. Sie ritt dicht hinter ihm.

Der Mann wandte sich um.

»Du bist heute nicht gerade sehr gesprächig, Liebes. Willst du mir nicht sagen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist?«

Die Frau sah kurz auf.

»Es gibt keine Laus.«

»Bitte, Christine. Du kannst mir nichts vormachen. Was bedrückt dich? Heraus mit der Sprache.«

Es dauerte etwas, bis sich die Frau zu einer Antwort durchrang.

»Also gut. Ich … ich wollte es dir schon heute Morgen sagen, aber …« Sie seufzte.

Ihr Begleiter hob witternd eine Augenbraue.

»Aber was, Christine?«

»Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich mache mir Sorgen, Falk. Heute früh in der Herberge – du warst gerade beim Wirt, um für unsere Übernachtung zu bezahlen, ich wartete im Hof bei den Pferden – da wurde ich zufällig Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Männern. Sie … sie sprachen davon, dass der Inquisitor Petrus Zwicker noch vor Einbruch des Winters in Steyr Quartier nehmen werde.«

Der Mann zügelte augenblicklich sein Pferd. Seine Begleiterin bemerkte, wie er plötzlich die Farbe wechselte.

»Was sagst du da? Der Ketzerjäger? Er kommt nach Steyr?«

Die Frau nickte bedrückt. Sie hatte ihren Falben ebenfalls zum Stehen gebracht.

»Ich habe Angst, Falk. Was, wenn er erfährt, dass du in der Stadt bist?«

Petrus Zwicker. Falks Kiefer begannen zu mahlen. Vor vier Jahren, ein Jahr, bevor er und Christine sich kennengelernt hatten, war er dem berüchtigten Ketzerjäger im Stift zu Melk begegnet. Der Cölestinermönch hatte damals auf dem Weg nach Steyr für einige Tage im Kloster Station gemacht und versucht, ihn, der damals im Dienst des Stiftes stand, in seinen Dienst zu zwingen. Ein Mann wie Falk, der die »scharfen Waffen des Geistes« besitze, so der Inquisitor, sei verpflichtet, seine Fähigkeiten der Mutter Kirche zur Verfügung zu stellen. Es war Bodo von Schachnitz, der Prior von Melk, der der Forderung des Cölestiners erfolgreich Widerstand entgegengesetzt und ihm klargemacht hatte, dass Falk als sein persönlicher Sonderbeauftragter eine Abordnung des Stiftes nach Italien geleiten müsse. So war aus dem Ansinnen des Inquisitors nichts geworden und Falk im letzten Moment seinen Klauen entwischt.

»Was genau sagten die Männer, Christine?«

»Der eine behauptete, er habe gehört, dass Petrus Zwicker noch vor Eintreffen des Winters die Stadt visitieren werde. Worauf der andere entgegnete, das sei nur ein Gerücht, und er gäbe nichts darauf. Schließlich sei Zwicker vor vier Jahren erst hier gewesen.«

Falk atmete auf. »Da siehst du’s. Ein Gerücht. Davon lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen. Wir waren ge­mein­­sam übereinge­kommen, dem Ternberger beizustehen. Und wir halten uns an diese Abmachung. Das sind wir Klara und ihrer Tochter schuldig.«

»Und wenn das Ganze nun doch kein Gerücht ist?«

Falk schüttelte unwillig den Kopf.

»Es gibt keinen Grund, sich über ungelegte Eier Gedanken zu machen. Außerdem sind wir vor Einbruch des Winters längst wieder im schönen Salerno.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufzte Christine.

Knapp eine Stunde später traten sie über die Schwelle des wohl prächtigsten Hauses, das den Stadtplatz zu Steyr säumte. Hier residierte der Mann, der weder Kosten noch Mühe gescheut hatte, sie in die Stadt zu holen. Vor drei Wochen hatte er einen Boten ins ferne Salerno geschickt, um Falkmar und Christine von Falkenstein darüber in Kenntnis zu setzen, dass Klara, seine Frau, einem heimtückischen Mord zum Opfer gefallen war, und Falk darum zu bitten, an der Aufklärung des Falles mitzuwirken. Die Nachricht hatte die beiden außerordentlich erschüttert. Mit der Ehefrau des Ternbergers hatte sie mehr als nur eine oberflächliche Freundschaft verbunden. Vor drei Jahren hatten sie Klara zusammen mit ihrer Tochter Sofia in Salerno kennengelernt. Da war sie noch die angesehene Kaufmannswitwe Chiara dal Como gewesen. Nach dem Tod ihres Gatten Lorenzo hatte sie mit viel Fleiß und Geschick dessen gut gehende Seiden­manufaktur weitergeführt und aus­ge­baut. Schnell waren weitere Filialen entstanden. Eine davon in Venedig. Dann, vor zwei Jahren, war Wernher von Ternberg in die Lagunenstadt gekommen, um sich des verwaisten Kontors eines ehemaligen Steyrer Handelshauses anzuneh­men. Hier hatte er auch Falkmar wiedergetroffen, der ihm bei dieser Gelegenheit sowohl seine Frau Christine als auch Chiara vorgestellt hatte. Was nicht ohne Folgen geblieben war – Wernher und Chiara hatten sich prompt ineinander verliebt. Nur ein halbes Jahr später war Chiara, begleitet von ihrer Tochter Sofia, als Gattin Wernhers in das Ternbergsche Anwesen in Steyr eingezogen und hatte ihren Vornamen in Klara abgeändert …

»Christine! Falk! Seid von ganzem Herzen willkom­men. Ich …«, die Stimme Wernhers geriet plötzlich ins Wanken, was ihm das Weitersprechen verwehrte. Hilflos hob er beide Arme.

Falk und Christine hatten den Ternberger stets als stattliche Erscheinung in Erinnerung gehabt. Doch der Mann, der da neben seinem Schreibtisch stand, schien ein völlig anderer zu sein. Fahl und mit eingefallenen Gesichtszügen, wirkte er trotz seiner imposanten Größe erschreckend alt und hinfällig.

Falk reichte ihm die Hand. »Auch uns fehlen die Worte, Wernher. Was gäben wir darum, wäre der Grund, weshalb wir uns sehen, ein freudiger. Nehmt unser aufrichtiges Mitgefühl entgegen«, kondolierte er mit heiserer Stimme.

Christine umarmte ihn. »Das Schicksal hat Euch eine furchtbare Last aufgebürdet, Wernher. Möge Gott Euch helfen, sie zu tragen«, schloss sie sich den Worten ihres Gatten an und wischte sich eine Träne von der Wange.

»Nun ja, mit dem Schicksal ist es so eine Sache«, räsonierte der Ternberger und sah Christine kummervoll an. »Schon als Euer Gatte und ich uns das erste Mal begegnet sind, geschah dies unter dramatischen Umständen, wie Ihr ja wisst. – Aber verzeiht, ich bin ein schlechter Gastgeber. Nehmt doch erst einmal Platz.«

Der Magistrat wies mit einer einladenden Geste auf zwei behäbige Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Er selbst nahm dahinter Platz.

Mit seiner Bemerkung über das Schick­sal spielte er auf ein Ereignis an, das sich vor siebzehn Jahren in einem dichten Waldstück am Fuß des Jauerling in der Wachau zugetragen hatte, etwa zwei Tagesreisen von Steyr und nicht weit vom Stift Melk entfernt. An einem heißen Juninachmittag war der Ternberger in Begleitung des Priors von Melk und dreier weiterer Mönche in einen Hinterhalt geraten und um ein Haar Opfer eines perfiden Mordanschlags geworden – wäre Falkmar von Falkenstein nicht zufällig zur Stelle gewesen. Ohne lange zu überlegen, hatte er sich beherzt in den Kampf gestürzt, der sich bereits zugunsten des mörderischen Gesindels zu neigen drohte, und hatte so mitgeholfen, das Blatt in letzter Minute zu wenden.

»So schmerzlich es ist, Euch unter diesen Umständen begrüßen zu müssen – ich bin froh, dass Ihr den Weg hierher gefunden habt«, sagte Wernher, nachdem man sich gesetzt hatte. »Klara hat Euch beide sehr gemocht. Sie sprach stets sehr gut und mit großer Anhänglichkeit von Euch. Ich denke, Ihr wisst, wie sehr auch ich Euch schätze, Falk. Ohne Euren furchtlosen Einsatz an jenem Tag vor siebzehn Jahren wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben.«

»Es war nicht allein mein Verdienst, Wernher. Ihr und der Prior habt Euch tapfer zur Wehr gesetzt«, versuchte Falk abzuwie­geln, doch der Ternberger schüttelte entschieden den Kopf.

»Keine falsche Bescheidenheit, lieber Freund. Prior Beda hatte recht, als er sagte, dass Ihr Eurem Namen alle Ehre gemacht hättet. Schnell und unerbittlich wie ein Falke wart ihr über das verbrecherische Pack gekommen und habt uns herausgehauen. Auch dass die Drahtzieher des Überfalls so schnell ausfindig gemacht werden konnten, hatten wir Euch zu verdanken. Und natürlich Eurem Scharfsinn.«

Falk ließ seine Gedanken schweifen. Er erinnerte sich noch gut an den Vorfall, der nun schon siebzehn Jahre zurücklag. Auch an das Gespräch mit Beda von Schachnitz, dem Prior zu Melk. Auf dessen Frage, wer er sei und welch glücklichem Umstand man seine Anwesenheit verdanke, hatte Falk sich ihm vorgestellt und ihn in kurzen Zügen über sein Schicksal informiert. Hoch oben im Norden läge seine Heimat, doch die habe er verlassen müssen. Ein mächtiger Verwandter seines verstorbenen Vaters habe ihn um sein Erbe gebracht und ihm nach dem Leben getrachtet. Hals über Kopf sei er in einer Gewitternacht geflohen und habe nur das nackte Leben retten können. Jetzt sei er auf der Suche nach neuen Aufgaben und Herausforderungen. Der Prior hatte ihn daraufhin nach Melk eingeladen und ihm die Gastfreundschaft des Stiftes zugesichert, was Falk dankend angenommen hatte. Tage später war es aufgrund einer Beobachtung, die Falk noch am Ort des Überfalls gemacht hatte, gelungen, der Hintermänner des Überfalls habhaft zu werden. Worauf Beda, beeindruckt vom Scharfsinn seines Gastes, diesem angeboten hatte, seine Fähigkeiten in den Dienst des Stiftes zu stellen. Falk hatte zunächst dankend abgelehnt, mit dem Hinweis, er wolle ein freier Mann bleiben. Den wahren Grund verschwieg er. Er hatte mit Klöstern nichts am Hut, alles, was nach Klerus und Kirche roch, war ihm suspekt. Was Gott und die Welt anging, hatte er seine eigenen Vorstellungen entwickelt. Und die waren so gar nicht im Sinne dessen, was die hohe Geistlichkeit von einem braven katholischen Christen erwartete. Doch als der Prior ihm eröffnete, er könne durchaus ein freier Mann bleiben, man werde ihn für seine Dienste bezahlen, wie man einen Kaufmann bezahle, hatte er eingewilligt.

 

Kurz darauf war Falk das Amt eines Jagd- und Forstaufsehers zu Melk übertragen worden; im Laufe der Jahre wurde er mit weiteren Aufgaben betraut, die Scharfsinn und Mut erforderten. Über vierzehn Jahre hinweg hatte er dem Kloster gedient und auf diese Weise sein Auskommen gehabt. Dann, vor drei Jahren, hatte er Christine kennen und lieben gelernt.

»Werdet Ihr mir dabei helfen, den Mörder meiner Frau zu finden, Falk ?«

Die Frage des Ternbergers riss Falk aus seinen Überlegungen.

»Das werde ich, Wernher«, versicherte er und sandte einen schnellen Blick zu Christine. In ihren Augen glaubte er Zustimmung – aber auch unverhüllte Sorge zu lesen.

»Allerdings … gibt es da noch etwas, was ich Euch fragen möchte«, fügte er darum etwas zögernd hinzu.

»Fragt ruhig zu.«

»Ich will offen zu Euch sein. Wir hörten davon, dass der Inquisitor Petrus Zwicker beabsichtigt, nach Steyr zu kommen. Ihr wisst, dass sich daraus für mich … sagen wir … ein gewisses Problem ergeben könnte. Als wir seinerzeit in Venedig über vergangene Zeiten plauderten, habe ich Euch davon erzählt.«

Der Ternberger runzelte die Stirn. »Ah ja, jetzt erinnere ich mich. Er wollte Euch als Ketzerjäger verpflichten. Doch was den Zwicker angeht, kann ich Euch beruhigen. Gerüchte, dass er auftaucht, gab es immer wieder, ohne dass sie sich bestätigt hätten. Ich sprach erst vergangene Woche mit Abt Nikolaus von Garsten darüber. Er sagte mir, ihm sei nichts von einem bevor­stehenden Besuch bekannt.«

Falk sah erneut zu Christine hinüber. Diesmal sprach Erleichterung aus ihrem Blick.

»Gut. Könnt Ihr mir etwas über den bisherigen Stand der Untersuchungen sagen? Stadtrichter und Burggraf führen sie wohl gemeinsam, wenn ich Eure Nachricht recht verstan­den habe?«

»Ja, nachdem ich sie mehr oder weniger dazu zwingen musste. Aber sie sind beide unfähig. In sechs Wochen sind sie mit ihren Ermittlungen nicht einen Schritt vorange­kommen. Weder, was den Mord an Klara angeht, noch den an diesem Bürgel.«

»Es gibt noch einen weiteren Mord?«, vergewisserte sich Falk erstaunt.

»Ja. Lamprecht Bürgel. Ein allseits geachteter Hand­wer­ker: Fass- und Wagenmacher. Ein Fischer zog ihn aus der Enns, drei Wochen, bevor man Klara fand. Vor ein paar Monaten erst fischte der Mann fast an der gleichen Stelle zwei Mädchenleichen aus dem Fluss.«

»Vier Morde innerhalb so kurzer Zeit? Gibt es Hinweise auf Gemeinsamkeiten?«

Der Ternberger schüttelte den Kopf. »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die beiden Mädchen wurden erst geschändet, dann erwürgt. Anschließend steckte der Mörder jede in einen Sack, band ihn zu und warf ihn in die Enns. In Steyr geht das Gerücht, dass es Ketzer waren; die Leute sagen, nur wer mit dem Teufel auf Du und Du stehe, könne so etwas tun.«

»Ihre Mörder wurden also bis heute nicht gefunden?«

»Nein.«

»Und dieser Lamprecht Bürgel? Ihr sagtet, er wurde drei Wochen vor Klara getötet. Wie starb er?«

»Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Die Leiche lag wahrscheinlich schon mehrere Tage im Wasser. Um den Fuß war ein Strick geknotet, der in einer leeren Schlinge endete. Der Mörder hatte den Leichnam versenkt und wohl ein Gewicht am Fuß des Toten befestigt, aber dieses löste sich, und so kam die Leiche wieder hoch.«

»Das alles habt Ihr mir in Eurer Nachricht aber nicht mitgeteilt.«

»Ich hielt es nicht für wichtig. Das mit den beiden Mädchen geschah schon vor Monaten. Sie dürften den teuflischen Trieben eines Wahnsinnigen zum Opfer gefallen sein; ob Ketzer oder nicht, sei dahingestellt. Was den Bürgel angeht, könnte ich mir vorstellen, dass ein Raubmörder ihn auf dem Gewissen hat. Eine Anfrage bei seiner Witwe ergab immer­hin, dass er einen prallen Geldbeutel hätte bei sich haben müssen. Der aber fehlte bereits, als der Fischer die Leiche aus dem Wasser zog. Bei Klara liegt die Sache anders. Obwohl Stadtrichter und Burggraf auch hier von einem Raubmord ausgehen. Aber ich sagte ja schon – sie sind unfähig, die wahren Hintergründe aufzudecken.«

»Wenn ich Euch recht verstehe, wurde also auch Klara beraubt?«

»Sagen wir es so: Man fand zwar ihre Leiche, doch ihre Geldbörse fehlte. Aber glaubt mir, es steckt mehr dahinter als nur Habgier.«

»Ach, und wie kommt Ihr zu dieser Vermutung?«

Wernher starrte einige Augenblicke vor sich hin, bevor er antwortete.

»Klara ahnte ihren Tod voraus«, sagte er schließlich leise.

Falk hob überrascht die Brauen.

»Sie ahnte, dass sie sterben würde?«

Der Ternberger nickte finster.

»Ja, ich bin mir ziemlich sicher. Es gab da auch gewisse Vorzeichen. Sie machte schon seit geraumer Zeit einen … sagen wir … nun ja, einen etwas eigenartigen Eindruck. Sie war irgend­wie nachdenk­licher, in sich gekehrter, als sonst. Manchmal schwieg sie tagelang. Ich stritt mich sogar deswegen mit ihr. Natürlich habe ich sie gebeten, mir zu sagen, was sie bedrückt. Anfangs beteuerte sie immer, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen; es sei nur das Heimweh, das sie ab und an überfalle. Aber dann, einige Tage, bevor sie ermordet wurde, stellte sie mir eine Frage, die mich aus allen Wolken fallen ließ.«

Wernher hielt kurz inne, als müsse er sich zuerst sammeln, um weitersprechen zu können.

»Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, wenn sie plötzlich und unerwartet das Zeitliche segnen sollte, Sofia zu ehelichen.«

Falk beugte sich vor. »Sie fragte Euch allen Ernstes, ob Ihr bereit wärt, ihre Tochter zu heiraten?«, hakte er nach.

Der Ternberger nickte. »Im Falle ihres plötzlichen Ablebens, wie gesagt.«

»Eine ungewöhnliche Bitte, in der Tat«, murmelte Falk und ließ sich wieder in den Stuhl zurückfallen. »Und wie habt Ihr reagiert?«

Wernhers vor Gram zerfurchte Stirn ver­düs­­ter­te sich noch mehr. »Ich fürchte, viel zu heftig. Ich war natürlich sehr erregt. Ich schrie sie an, fragte sie, ob sie noch bei Sinnen sei und wie sie auf solche absurden Ideen käme. Überhaupt hätte ich die Nase voll von ihrem seltsamen Verhalten. Dann … dann schlug ich ihr ins Gesicht. Es war das erste Mal, dass ich derart in Harnisch geriet, und es tat mir gleich darauf auch unendlich leid.«

Abrupt erhob sich Wernher und ging zu einem der großen Fenster, die sich zum Marktplatz hin öffneten.

»Klara brach in Tränen aus … und stürzte aus dem Zimmer«, fuhr er, zum Fenster hinaussehend, leise fort. »Es war das letzte Mal, dass ich sie lebend sah. Am darauffolgenden Tag reiste ich, ohne mich von ihr zu verab­schieden, nach Passau. Als ich fünf Tage später gegen Mittag zurückkehrte, teilte man mir mit, dass sie am Morgen mit unbekanntem Ziel ausgeritten sei, aber am selbigen Abend noch zurückkehren werde. Doch sie kehrte nicht zurück. Am nächsten Tag fand man ihre Leiche. Ich … ich konnte sie nicht einmal mehr um Verzeihung bitten.«

Wernher hielt inne. Gedankenverloren starrte er auf den Stadtplatz hinunter, auf dem lebhaftes Treiben herrschte.

Christine erhob sich und ging zu ihm hinüber. »Lieber Freund, Ihr solltet Euch nicht über die Maßen damit quälen. Glaubt mir, Klara hätte das nicht gewollt.«

Auch Falk trat an die Seite des Ternbergers. »Christine hat richtig gesprochen, Wernher. Hört auf, Euch deswegen Vorwürfe zu machen. – Sagt: Weiß Sofia vom An­sinnen Eurer Gattin?«

Der Magistrat schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte sie damit nicht belasten. Im Nachhinein verstehe ich Klaras Wunsch ja auch. Sie wollte ihre Tochter in Sicherheit wissen. Natürlich werde ich dafür Sorge tragen, dass es ihr an nichts mangelt – auch wenn eine Adoption aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Eine Heirat kommt ebenso wenig infrage. Das hätte Klara eigentlich wissen müssen. Was ich für Sofia empfinde, ist, was ein Vater für seine Tochter empfindet. Jenes leidenschaftliche Feuer, das im Herzen eines Mannes für eine Frau lodert – es wird wohl nie wieder in mir entfacht werden.«

»Wie hat Sofia das Ganze bewältigt?«, fragte Christine.

»Anfangs war sie natürlich völlig verzweifelt, wollte das Furchtbare einfach nicht wahrhaben. Mittlerweile wirkt sie sehr gefasst.«

»Werden wir sie heute noch sehen?«, wollte Falk wissen.

»Nein. Sofia ist bei einer Freundin zu Besuch. Sie wird erst in einer Woche zurückkehren. Allerdings bitte ich Euch, ihr gegenüber nichts über den Inhalt unseres Gesprächs verlauten zu lassen, insbesondere was den Heiratsgedan­ken ihrer Mutter angeht. Es würde sie nur verunsichern. Übrigens: Auch Stadtrichter und Burggraf wissen nichts davon. Lediglich darüber, dass Klara ihren Tod vorausgeahnt und ihren Mörder vielleicht gekannt hat, habe ich sie in Kenntnis gesetzt.«

Falk verstand. »Ja, natürlich. – Apropos Stadtrichter und Burggraf: Ich nehme an, sie wissen, dass ich sie in ihren Ermittlungen unterstützen soll?«

Ein grimmiges Lächeln flog über die Miene des Ternbergers.

»Das schon. Aber stellt Euch lieber auf einen kühlen Empfang ein, wenn ich Euch den beiden vorstelle. Begeistert sind sie nicht gerade davon, insbesondere da sie wissen, dass ich Euch für bedeutend geeigneter halte, die schreckliche Angelegenheit aufzuklären. Ungeachtet dessen werden sie mit Euch zusammenarbeiten, auch wenn sie’s zähneknir­schend tun, das verspreche ich. Ihr wisst, ich habe einiges zu sagen in dieser Stadt.«

Falk nickte, zweifelte allerdings daran, dass die Vorge­hens­weise des Ternbergers klug gewesen war. Har­sche Kritik an der Art und Weise zu üben, wie die beiden Obrigkeitsvertreter ihre Amtsge­schäfte versahen, und ihnen im gleichen Atemzug jemanden zu nennen, der die Sache angeblich besser machen würde, zeugte nicht gerade von diplomatischem Geschick.

»Wann werde ich die beiden sehen?«

»Morgen am frühen Vormittag, wenn Ihr einver­standen seid. – Ja, was gibt es denn?« Die Frage Wernhers galt einem Klopfen an der Tür.

Eine Magd steckte den Kopf herein. »Verzeiht, Herr, aber die Tafel ist gedeckt, wie Ihr befohlen habt.«

Der Magistrat erhob sich. »Natürlich, fast hätte ich es schon wieder vergessen. Wenn Ihr mir bitte nach nebenan folgt, es ist angerichtet. Nach dem Mahl werde ich Euch Eure Kammer zuweisen lassen. Dort könnt Ihr für den Rest des Tages ausruhen. Ihr seid sicher müde von der Reise.«