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FLXX | 5 Schlussleuchten von und mit Peter Felixberger

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FLXX | 5 Schlussleuchten von und mit Peter Felixberger
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FLXX Schlussleuchten von und mit Peter Felixberger

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Was bedeutet Komplexität? Und was hat sie mit Überleben zu tun? Eine ganze Menge. Komplexe Systeme überleben eher. Komplizierte Systeme sterben eher. Der Grund ist trivial: Für die Eigenschaften von komplexen Systemen gilt, dass nichts Genaues gilt. Komplexe Systeme sind nicht kontrollierbar, sie sind unvorhersehbar, aber genau deswegen kreativ und innovativ. Was komplizierte Menschen nicht akzeptieren wollen. Sie ersetzen Komplexität durch Kompliziertheit, wollen jeden Fehler von vornherein ausschalten, machen dadurch aber alles noch komplizierter. Am Ende klappen Strom- und Telefonnetze zusammen, Flugzeuge stürzen ab, Umsätze brechen ein und Viren reisen um die Welt.

Da hilft es weiter, ungefähr zu wissen, was eine Ameise weiß! Ameisen sind rätselhafte Wesen. Grob geschätzt gibt es 100 Billiarden Einzelameisen auf der Erde. Seit etwa 150 Millionen Jahren rennen sie kreuz und quer durch die Gegend, drehen sich im Kreis und scheinen keinen Plan davon zu haben, was sie tun. Sie transportieren Äste, Blätter und bisweilen ganze Kadaver. Der Trick: Sie rennen eine Zeit lang mit ihrem Bündel, lassen es dann liegen, irgendwann kommt eine andere Ameise, liest es auf und transportiert es weiter. Biologen sprechen hier von einem System, das nach dem Zufallsverhalten seiner Elemente funktioniert. Man könnte auch sagen: Besonders zielgerichtet funktioniert die Ameisenkommunikation auf den ersten Menschenblick nicht. Dennoch sind Ameisen in der Evolution außerordentlich erfolgreich, da sehr widerstandsfähig, flexibel und effizient. Und sehr kooperativ. Ameisen leben in Symbiosen mit Pilzen, Mikroben und Bakterien. Gegenseitige Hilfe. Kluges System. Ameisenschlau.

Der italienische Biologe Alberto Gandolfi ist ein großer Bewunderer von Ameisen. »Das System ist auf einer vagen und grundsätzlich ungenauen Kommunikation zwischen den Untersystemen aufgebaut. Die Ungenauigkeit lässt aber eine große Flexibilität und eine relative Widerstandsfähigkeit gegen Schwankungen und Fehler in den einzelnen Untersystemen zu.« Die Evolution liebt scheinbar diese Fähigkeit der kleinen Dummerchen, Fehler zu tolerieren und kreativ zu nutzen. Ja, die Evolution braucht sie sogar, um sich weiterzuentwickeln.

Menschen sind wie die Ameisen auch rätselhafte Wesen. Mit dem Unterschied: Sie versuchen ständig, sich einen Überblick zu verschaffen und einen Plan zu machen. In diesen Plänen versuchen sie, alle Fehlerquellen auszumerzen. Sie kontrollieren und überwachen. Damit nichts passieren kann. Doch damit drehen sie sich auch im Kreis, denn sie übertreiben es bisweilen mit der Vorsicht. Bis hin zur totalen Überwachung. Im Atomkraftwerk ist alles unter Kontrolle? Puff! Kein System ist hundertprozentig sicher. Überall sitzen Fehlerteufel und warten auf ihren Einsatz. Showtime!

Denn sie wissen, was wir zu verhindern suchen: Mit Zunahme der Kompliziertheit steigt die Empfindlichkeit des Systems. Je komplizierter ein System, desto fehleranfälliger ist es. Ein winziger Funke führt zum Buschbrand. Beispiele gibt es zuhauf: Crashs von Telefon- oder Stromnetzen oder plötzliche Abstürze im Tablet. Komplexitätsforscher sind sich längst sicher. Kleine Fehler führen zum Chaos. Die Katastrophen moderner Großtechnik legen davon Zeugnis ab. Am Ende steht der Super-GAU. Diese Systeme sind im eigentlichen Sinne nicht komplex, sondern nur kompliziert, sagen Kybernetiker. Sie hätten keine Fehlertoleranz. Oder anders ausgedrückt: Viele der uns umgebenden Systeme sind mittlerweile so kompliziert, dass ein einziger kleiner Fehler zum Chaos führen kann. Um diese Fehler zu vermeiden, wird die Kompliziertheit immer weiter erhöht. Doch die Komplexität lässt sich nicht täuschen.

Die Natur, sagt Gandolfi, benötigt das Chaos, weil sie dadurch aus höchster Vielfalt jene Bausteine auswählen kann, mit denen sie die Spirale des Lebens weiter vervollkommnen kann. Das Chaos ist sogar zwingend notwendig, um Kreativität zu erzeugen. »Ohne die Zufälligkeit des Chaos wäre die reiche Vielfalt und Verschiedenheit der Evolution gebremst und unterdrückt worden«, sagt der amerikanische Evolutionsbiologe Uri Merry.