An der Spoar - Schicksalsjahre eines kleinen Moseldorfes

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
An der Spoar - Schicksalsjahre eines kleinen Moseldorfes
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

An der Spoar

1  An der Spoar

An der Spoar
PETER ESSNER

-------------------------------------------------------
Schicksalsjahre eines kleinen Moseldorfes

Historischer Roman,

frei erzählt nach einer wahren Begebenheit.

Buch

Piesport in den Jahren 1506 bis 1508.

Ein kleiner friedlicher Ort an der Mosel. Hauptort eines großen Landkapitels im damaligen Erzbistum Trier. Die Einwohner sind glücklich und zufrieden, gehen ihrer Arbeit in den Weinbergen, den Feldern und Gärten nach. Stöhnen manchmal unter der Abgabenlast an die Grundherren, ertragen aber in Geduld die Last des Alltags.

Der Piesporter Wein, das Aushängeschild des Ortes, ist sehr begehrt, so dass viele Grundherren hier Besitz haben: Kurfürsten, Erzbischöfe, Grafen, Klöster und angesehene Bürger aus der nahen Stadt Trier. All haben ihre Vertreter als Meier und Hofleute im Ort

Feste werden gefeiert, Märkte abgehalten, Kinder werden geboren und alte Leute sterben wie überall auf der Welt. Nichts deutet auf eine nahe Katastrophe hin, die sich langsam einschleicht und deren Tragweite und Folgen erst erkannt werden, als es bereits zu spät ist: auswärtige Zirkusleute schleppen die Pest ein! Keiner glaubt daran. Alle wähnen die Pest in Europa ausgerottet. Ein Wettlauf mit dem „Schwarzen Tod“ beginnt, doch dieser kann nur verloren gehen.

Ein kleiner Trost bleibt - die Hilfsbereitschaft.

Und die Nächstenliebe.

Hierüber berichtet dieser Roman.

© Copyright 2018 by Peter Essner

GMG-Soft GbR (V.i.S.d.P)

Layout, Umschlaggestaltung, Bilder und Skizzen:

GMG-Soft Gbr, Unterer Wierth 22, 54498 Piesport

info@gmg-soft.de

Karte auf Umschlag:

Ausschnitt aus: Carte des Territoires de

Nider-Emmel, Müster et Piesport, um 1770

Druck und Vertrieb:

epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Dieser Roman ist gewidmet allen,

die in dieser Geschichte ihr Leben verloren,

viel Leid erduldeten

und denen, die den Leidenden

Trost und Hilfe spendeten.

Weiterhin allen, die das Gedenken an diese

Ereignisse bis heute wach hielten und in alle

Zeiten wach halten werden.


Personenregister.

Die mit einem * versehenen Personen sind teils in dieser Zeit historisch belegt, teils Namen von Personen, die nachweislich in Piesport und Umgebung gelebt haben, wenn auch teils in einer anderen Zeit. Deren Namen sind aus noch in Archiven vorhandenen alten Einwohner- und Steuerlisten entnommen. Die ihnen zugeordneten Ämter sind, wenn nicht zeitlich belegt, frei zugeordnet.

In der Gegenwart:

Der Wanderclub „Feste Schuhe“

Klaus, Werner, Günther, Hans, Herbert, Hubert

Der Erzähler: Karl, ein älterer Herr aus Piesport

In der Zeit des Romans:

Gotthard, Graf von Esch*, +1465

Godefried, Burgvogt des Grafen von Esch

Jörg und Martin, Wachsoldaten an der Spoar

Jakob II. von Baden*, Kurfürst von Trier, 1503 bis 1511

Sebastian vom Rhein, Generalvikar des Erzbischofs

Adriano Compati, Leibarzt des Kurfürsten

Gerhard von der Lippe*, Prior der Augustiner, um 1483 bis 1527

Johann von Piesport*, Bürgermeister in Trier, 1495 bis 1563

Salentin von Isenburg-Grenzau und Elisabeth*, (1476 bis 1536), Grafen von Hunolstein

Adam II*., Vogt von Hunolstein (1480 bis 1520)

Personen in Piesport mit offiziellen Funktionen (Offiziale)

Johan von Siegen*, Pfarrer in Piesport. um 1483 urkundlich erwähnt

Peter Hart*, der Meier der kurfürstlichen Güter

Wintrichs Theis*, der Vertreter von Himmerod

Velten Hans*, der Meier von Ouren

Wilbert Jakob*, der Zender der Zivilgemeinde

Bast Leyendecker*, der Hofmeister der Grafen von Esch

Tintrich Endres*, Meier des Abteilich Tholeyer Fünftels

Bürger von Piesport:

Lena, die Frau des Zenders, Cecilia, ihre Tochter

Familie Schoupf, Peter und Luise

Kinder: Pit, Michel, Klara, Barbara

Familie Schoupf, Walter und Agnes

Kinder: Hinz, Fritz, Helena, Mechthilt, Irmel

Frauen aus dem Oberdorf:

Eva, Otilia, Irmel, Dorothea, Waltrudis, Adelheid

Frauen aus dem Unterdorf:

Barbara, Margret, Katharina, Elisabeth, Walburga

Feiten Theiß, Mann von Margret

Nikolaus Geisen, Mann von Barbara

Martha, Schwester von Agnes

Ella, Witwe von Thönigens Wilhelm, die Kräuterfrau

Sebastiansbruderschaft:

Bechers Hans: Bruderschaftsmeister

Sonstige Offiziale:

Albrecht Lorenz, Zender von Krames

Michel Arenz, Zender von Müstert


--- Die Spoar ---

Hallo Wanderer,

erreichst Du diesen Ort,

halt inne hier,

denn geheiligt ist dieser Boden

auf dem Du stehst.

Geheiligt und geweiht ist er

durch die Gaben,

die er gesehen;

geheiligt und gesegnet ist er

durch die Tränen,

die ihn benetzten.

Hallo Wanderer,

im Gedächtnis sollst Du bewahren

diesen Ort für alle Zeiten,

dass nicht vergessen wird,

was hier einst geschehen;

dass nicht vergessen wird,

dass großes Leid und Wohltat

hier zueinander fanden.

Hallo Wanderer,

sieh hinab ins Tal,

wo dieses Leid die Menschen traf;

wo der „Schwarze Tot“ wütete,

nur wenige ihm entrannen.

Sieh hinauf über die Höhe,

von der die Wohltäter kamen,

hierher die Gaben zu bringen,

zu lindern das Leid da unten.

Hallo Wanderer,

halt inne hier,

in der Ruhe der Kapelle

gedenke mit einem Gebet

der Toten da unten.

Gedenke auch der anderen,

die von der Höhe nach hier kamen,

die Toten zu beweinen,

den Lebenden Hilfe und Trost zu bringen.

Hallo Wanderer,

verweile hier in der Stille,

nimm auf in Deine Seele

das Gedenken an diesen Ort,

verkünde allen, was hier geschehen,

und trage es als ewiges Vermächtnis

der Nächstenliebe in alle Welt.


Das „Spoarbildchen“

mit der Inschrift:

ANNO 1506 BIS 1508 BLIEBE

DAHIE ZU P. VON 98 BUE

UIBRICH 16. STARBEN

MIT DEM L. P. KRANCK

- 1 -

Bei dem allmonatlichen Treff der Wanderfreunde „Feste Schuhe“ sollte das Wanderprogramm für die nächsten Wochen besprochen werden. Dieses Mal trafen sie sich turnusgemäß bei dem Clubkameraden Klaus.

„Hallo Klaus“, begrüßte ihn der erste Ankömmling, Werner. „Hast du auch genug Bier für heute Abend kalt gestellt? Ich hab heute mächtig Durst.“

„Selbstverständlich!“, antwortete ihm Klaus. „Aber lass den anderen auch noch etwas übrig. Was war denn heute los, dass Du als erstes nur an Bier denkst?“

„Heute? Meine Frau hat mir keine Ruhe gelassen, endlich einmal das Unkraut im Garten zu beseitigen. Außerdem musste auch noch der Rasen gemäht werden. Du weist ja selbst, was das für eine Arbeit bei uns ist“, antwortete ihm Werner.

„Ja, ich weiß, aber sei unbesorgt, ich habe genug da, dass auch für die anderen vier noch was übrig bleibt. Aber wo stecken die. Wir wollten doch heute ausnahmsweise mal pünktlich sein, weil wir ja zuerst noch die Bilder und den kleinen Handyfilm von Deiner Panne bei der letzten Wanderung anschauen wollten.“

„Hör’ auf! Ihr wollt euch doch nur wieder auf meine Kosten amüsieren und über mein Missgeschick lachen.“

„Aber Werner! Es war auch zu komisch, wie Du in der Gegend rumgeschaut hast, dabei die einzige Pfütze weit und breit übersehen und dann eine volle Bauchlandung darin hingelegt hast. Einfach drollig sah es aus, wie Du dich aufgerappelt hast – voll Matsch von oben bis unten. Dein Gesicht hättest Du sehen sollen – einfach umwerfend. Der Film ist super, hab schon daran gedacht, ihn bei YouTube einzustellen.“

„Ja“, antwortete er. „So was kann auch nur dir passieren, meinte meine Frau, als ich ihr davon erzählt habe. Von dem Gelächter meiner Kinder ganz zu schweigen. Das mit YouTube lass aber sein.“

 

„Ist gut, mit YouTube war auch nur ein Scherz; - kannst es nachher ja selbst - Moment - es hat geklingelt, das müssen die anderen sein.“

Klaus ging nun zur Tür und ließ seine weiteren Freunde ins Haus. Mit einem Hallo begrüßten sie ihn und den bereits anwesenden Werner.

Nachdem dann alle zur Einstimmung die erste Runde auf den glücklichen Ausgang von Werners’ Missgeschick getrunken, die Bilder und das kleine Handyvideo angesehen hatten und auch Werner darüber lachen konnte, war Klaus an der Reihe. Wie üblich sollte immer der Clubkamerad die nächste Wanderung vorbereiten, bei dem das Treffen war.

Klaus breitete nun eine Wanderkarte aus und begann seinen Vorschlag zu erläutern.

„Ich denke, unsere nächste Tour sollte mal wieder nach Piesport gehen. Dort waren wir schon ewig lange nicht mehr. Schaut her!“ Klaus drehte die Karte um damit alle seinen Ausführungen folgen konnten. „Von der Autobahnabfahrt Salmtal fahren wir zuerst nach Klausen. Können dort einen Abstecher in die Wallfahrtskirche machen und kurz beten, dass wir wieder alle gesund heimkommen. Dann fahren wir auf die Höhe zum Piesporter Heiligenhäuschen. Dort ist ein Parkplatz, wo wir unsere Autos abstellen können und dann zu Fuß runter ins Tal gehen.“

„Doch wohl nicht über die Serpentinenstrecke!“ warf Günther ein. „Da ist zu viel Verkehr, besonders an den Wochenenden wimmelt es auf dieser Straße von Motorrädern, die dort ihre Fahrkünste ausprobieren wollen, die Strecke mit einer Helmkamera filmen und dann ins Internet stellen. Habt ihr davon noch nichts gehört? Vor einiger Zeit war davon sogar ein Artikel in der Zeitung, in dem sich Anwohner von der anderen Moselseite über die Lärmbelästigung beschwert haben.“

„Ja, den habe ich gelesen“, entgegnete ihm Klaus. „Deshalb habe ich auch einen anderen Weg ins Tal gewählt. Seht her! Von dem Wanderparkplatz auf der Piesporter Höhe zweigt parallel zu der Straße ein unbefestigter Waldweg ab - gut zu gehen und ohne jeden Verkehr und schattig. Unterwegs gibt es an einer Kapelle einen schönen Aussichtspunkt, von dem man über die ganze Moselschleife von Neumagen aus über die Emmeler Flur bis nach Minheim sehen kann. Dann befindet sich auf halber Höhe ein Ausflugslokal, wo wir uns für den weiteren Abstieg stärken können. Denn dieser geht, ihr wollt ja Verkehrsstraßen vermeiden, über einen langen Stufenweg durch die Weinberge nach unten. Von den Piesportern wird er auch der ‚Tausend-Stufen-Weg’ genannt. Es sind zwar nicht ganz so viele, ist aber trotzdem sehr reizvoll, da man dann immer das ganze Tal im Blick hat.“

„Da hast Du dir aber mal was besonderes ausgesucht“, meinte Herbert. „Und wie geht es dann weiter? Denn wenn wir unten sind, haben wir bestimmt auch Hunger und Durst.“

„Auch das habe ich geregelt. Wir gehen weiter an der Mosel entlang, überqueren diese dann bei Müstert über die Brücke. Und in Müstert kenne ich ein Lokal, das genau am Weg liegt. Dort kann man gut und preiswert essen, dazu einen edlen Tropfen aus eigener Produktion kosten und von der Terrasse die Aussicht auf den Fluss genießen. Hier auf der Karte habe ich den Weg eingetragen.“

„Moment mal!“ warf Hans ein. „Was für eine alte Karte hast du denn da. Soweit ich weiß, ist diese Brücke doch nach dem Zusammenstoß mit einem Schiff zum Leidwesen vieler Piesporter Bürger und Touristen vor ein paar Jahren abgerissen worden.“

„Du hast Recht. Daran habe ich nicht mehr gedacht. Ist aber kein Problem. Dann gehen wir eben über die Piesporter Brücke, dann am Moselufer den Radweg entlang und kommen an der gleichen Stelle wieder raus, wo das Restaurant steht.“

„Wie ist es dann mit dem Rückweg?“ fragte Hubert.

„Auch das ist kein Problem. Wenn wir uns gegen Abend zu müde fühlen, den Aufstieg über den ‚Tausend-Stufen-Weg’ zu machen, können wir uns mit einem Planwagen wenigstens bis zu dem Ausflugslokal auf halber Höhe fahren lassen und legen den Rest der Strecke zu Fuß durch den Waldweg zurück. Auch das kann ich noch kurzfristig vor Ort regeln. OK!“

„Wunderbar!“ stimmten alle dem Vorschlag von Klaus zu. „Fehlt nur noch das passende Wetter.“

„Hab ich schon auf der entsprechenden Webseite nachgesehen: Ideales Wanderwetter ist angesagt.“

„Dann kann uns ja nichts passieren“, war das Fazit von Werner, und alle stimmten ihm zu.

Nachdem nun alles geregelt war, stärkten sie sich noch mit einem kühlen Blonden für den Heimweg und bekräftigten den Plan dann mit der Parole des Wanderclubs:

„Fester Schuh - fester Tritt - und Marsch!“.

„Dann bis Samstag gegen Neun wie immer auf dem Parkplatz am Ortsausgang!“ rief Klaus den Scheidenden noch nach. „Aber bitte pünktlich sein. Es wird ein langer und schöner Tag werden.“

- 2 -

Der Samstag kam, und alle waren pünktlich zur Stelle. Da Klaus einen kleinen Bus besaß, einigten sie sich, bei ihm einzusteigen. Die Fahrzeuge der anderen Clubmitglieder konnten daher auf dem Parkplatz verbleiben.

In Klausen angekommen, ein kurzer Stopp zum Besuch der Wallfahrtskirche. In der angenehmen Kühle des Gotteshauses bereiteten sie sich auf den Tag vor, und zündeten vor dem Gnadenbild der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ eine Kerze für den guten Abschluss der Wanderung an.

„Dieser Besuch hat uns die richtige Einstimmung für den Besuch in Piesport gegeben“, meinte Günther. „In irgendeinem Zusammenhang steht doch diese Wallfahrtskirche mit unserem heutigen Ziel. Irgendwo habe ich mal was darüber gelesen oder gehört. Genaues weis ich nicht mehr. Aber unten im Ort können wir uns darüber erkundigen.“

„Gute Idee“ meinte Hans. „Dann können wir unsere Wanderung auch noch mit einem kleinen Geschichtsunterricht verbinden. Für so was bin ich immer aufgeschlossen.“

Also machten sich die Sechs wieder auf den Weg, bestiegen das Fahrzeug und fuhren los bis zur Höhe beim Piesporter Heiligenhäuschen. Dort stellten sie ihr Fahrzeug auf dem Wanderparkplatz ab. Anhand der hier angebrachten Schautafel und der Wegweiser wurde der schattige Waldweg ins Tal schnell gefunden.

Sie tauchten nun ein in das kühle Dämmerlicht der Bäume und ließen die Stille des Waldes auf sich einwirken, genossen das Zwitschern der Vögel, das feine Summen von Insekten, füllten ihre Lungen mit der angenehmen frischen sauerstoffreichen Luft, und hingen ihren Gedanken nach.

„Wisst Ihr, dass wir uns hier auf einer geschichtlichen Strecke bewegen?“, fragte Günther plötzlich in diese Ruhe reinplatzend die anderen.

„Ja“, antworte Hans. „Auf diesem Weg soll die alte Römerstraße als Verbindung von der Eifel über die Mosel zum Hunsrück verlaufen sein.“

„Woher weißt Du das denn. Als Geschichtsexperten habe ich gerade Dich bisher nicht eingeschätzt“, wunderte sich Herbert.

„Für wie dumm hältst Du mich, Herbert. Etwas aus der Schule ist bei mir noch hängen geblieben“, wehrte er sich.

„Ist schon gut, so habe ich es auch nicht gemeint.“

Während sie sich dann weiter über dieses angeschnittene Thema unterhielten, und was sie weiterhin an diesem Tag erwartete, hatten sie bald das erste Ziel erreicht - den Aussichtspunkt an der Spoarkapelle.

„Da steht ein Fahrzeug, hier ist anscheinend jemand“, stutzte Klaus als er aufblickte. „Vielleicht jemand aus dem Ort, der uns diesen seltsamen Begriff ‚Spoar‘ erklären kann. Auf meiner Karte ist diese Stelle so eingetragen und die Kapelle als ‚Spoarkapelle‘. Ein Fremder ist es jedenfalls nicht, das zeigt schon das Nummernschild des Fahrzeugs.“

„Kommt lasst uns nur die Kapelle ansehen und dann weitergehen. Vielleicht stören wir nur“, meinte etwas ängstlich Hans.

„Kommt überhaupt nicht in Frage“, setzte Klaus hinzu. „Jetzt sind wir schon bis hier hingekommen und nun gehen wir erst mal in die Kapelle und dann nach vorn zu dem Aussichtspunkt. Dort steht bestimmt eine Bank, auf der wir uns ein paar Minuten ausruhen und dann weiter gehen können. Der Fahrer des Fahrzeugs wird uns schon nicht böse sein, dass wir ihn stören – wenn überhaupt jemand da ist. Es ist vielleicht nur eine andere Wandergruppe, die ihr Fahrzeug hier abgestellt hat. Und wenn einer aus Piesport hier ist, umso besser. Vielleicht weiß der etwas über die Bedeutung dieses Orts und den seltsamen Namen und kann uns davon erzählen.“

„Ich bin dabei!“, sagte Günther. „Dümmer werden wir davon nicht“, stimmten die anderen nun zu.

Nachdem sich die sechs Wanderer die Kapelle von innen angesehen hatten, gingen sie um diese herum nach vorne zu dem Aussichtspunkt. Ein traumhafter Ausblick bot sich ihnen von hier, und sie konnten sich lange nicht von dem Anblick losreißen.

„Ein schönes Fleckchen Erde ist das hier. Nicht wahr?“ sprach sie dann auf einmal der einsame Besucher, ein älterer Herr, von hinten an.

Nachdem sie sich zu ihm umgedreht hatten, fuhr er fort: „Ich bin sehr oft hier oben, besonders seitdem meine Frau gestorben ist, und suche Trost in der Kapelle. Ihr habt wohl schon die vielen Votivtäfelchen darin gesehen. Nach meinem Tod lasse ich auch eine anbringen. Den Platz dafür habe ich mir schon ausgesucht. Schaue dann hinunter auf mein Heimatdorf. Meine Sorgen werden dann viel kleiner, wenn ich die Weite der Landschaft auf mich einwirken lasse und sehe, wie klein alles von hier oben aussieht. Dann fahre ich wieder beruhigt und zufrieden ins Tal zurück in mein Haus.“

„Sie sind aus Piesport?“, fragte ihn Klaus.

„Ja“, antwortete er. „Ich lebe seit meiner Geburt dort. Auch bin ich froh, wenn ich hier oben anderen Menschen begegne und mich mit ihnen unterhalten kann. - Eurem Schuhwerk nach zu urteilen, seid Ihr Wanderer und wollt auch nach unten in den Ort.“

„Ist richtig. Wir haben unser Fahrzeug oben auf der Höhe auf dem Parkplatz stehen, sind den Waldweg herunter gekommen, wollten hier kurz rasten und dann die vielen Stufen durch die Weinberge nach unten gehen.“

„Über den ‚Tausend-Stufen-Weg’?

„Ja“

„Da habt Ihr Euch aber einen sehr anspruchsvollen Weg ausgesucht.“

„Das stimmt. Uns als geübte Wanderer dürfte das jedoch nichts ausmachen. Außerdem werden wir dabei auch mit der Aussicht auf diese wunderschöne Landschaft belohnt.“

„Dieser Ort hier oben“, griff Günther nun in das Gespräch zwischen Klaus und dem älteren Herrn ein. „Diese Kapelle, der Name ‚Spoar‘ und der Bildstock gegenüber in dem Felsen, haben diese eine besondere Bedeutung? Und was hat es mit der rätselhaften Inschrift auf dem Bildstock auf sich?“

„Ja“, sagte der ältere Herr „Dies ist eine sehr lange Geschichte, eigentlich zwei Ereignisse, die sich vor vielen, vielen Jahren hier in der Gegend abspielten. Der erste Teil dieser Geschichte - ein sehr trauriger - ereignete sich unten im Ort. Der zweite Teil klingt tröstlich und steht in Verbindung mit einem anderen kleinen Dorf hinter dem Berg, wo Ihr Euer Auto stehen habt. Hier an dieser Stelle verbinden sich diese beiden Teile. Deshalb ist dies hier auch ein heiliger Ort, ein Ort der Ruhe und Besinnung. Ich hoffe, Ihr versteht nun, weshalb ich so gerne hier verweile.“

„Können Sie uns diese Geschichten nicht erzählen?“ hakte Günther, nun neugierig geworden, nach.

„Gerne, wenn Ihr Zeit habt und dadurch Euer Wanderplan nicht durcheinander gerät.“

„Keineswegs“, meldete sich nun auch Werner zu Wort. „Sie haben uns alle sehr neugierig gemacht. Für diese Geschichte nehmen wir uns die Zeit. Sie scheint doch sehr spannend zu sein. Was meint ihr dazu?“ fragte er nun in die Runde seiner Wanderkameraden.

„Auf alle Fälle!“, war die einstimmige Antwort.

„Gut“, antwortete ihnen der ältere Herr. „Aber warum weiter so förmlich, nennt mich einfach Karl.“

„Einverstanden“, antwortete Klaus.

Nachdem sich nun alle mit ihren Vornamen bekannt gemacht hatten und zur Besiegelung die Hände schüttelten, setzten sie sich auf die Bank hinter der Kapelle und warteten auf die Erzählung von Karl.

„Bevor ich beginne, lasst uns noch eine kleine Stärkung zu uns nehmen. In meinem Auto habe ich noch ein paar Flaschen Wein, ein Piesporter Goldtröpfchen aus meinen Weinbergen und auch Gläser liegen. Gehst du mir diese mal holen, Klaus, der Kofferraum ist auf. Einen Korkzieher habe ich bei mir in der Tasche.“

Nachdem nun Klaus die Weinflaschen herbeigebracht hatte, diese entkorkt waren, jedem ein Glas eingeschenkt war, stießen sie alle an und besiegelten damit die neue Freundschaft.