Buch lesen: «Mamas Alzheimer und wir»

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Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt zu Themen rund um Gesundheit, Familie und Gesellschaft. Auf ihrem Blog „Alzheimer und wir“, der ihr 2020 eine Nominierung für den Grimme Online Award einbrachte und für den sie im selben Jahr mit dem Goldenen Blogger ausgezeichnet wurde, berichtet sie über die Alzheimererkrankung ihrer Mutter und darüber, wie sie als Tochter damit umgeht. Sie hat drei Töchter und lebt in München. www.alzheimerundwir.com

Peggy Elfmann


Mamas Alzheimer und wir

Erfahrungsbericht & Ratgeber


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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Ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch die männliche Sprachform gewählt. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.

Vor seiner Publikation wurde das Manuskript vom Expertenteam der Demenz Support Stuttgart gGmbH einer kritischen Durchsicht unterzogen, was wichtige Hinweise beigesteuert hat. www.demenz-support.de

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Projektkoordination und Lektorat: Simone Holz, Pisa,

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Umschlagabbildung: Peggy Elfmann

Satz und Gestaltung: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau

Druck: SOL Service GmbH, Schrobenhausen

ISBN: 978-3-86321-597-2

eISBN 978-3-86321-577-4

Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten

Dankeschön

Auf dem Weg zu diesem Buch haben mich viele liebe Menschen begleitet, denen ich Danke sagen möchte.

Zuallererst möchte ich mich bei meiner Familie bedanken. Sie hat mir auch für dieses Buch das Vertrauen geschenkt, dass ich die richtigen Worte finden werde, um über meine und unsere Erfahrungen mit der Alzheimererkrankung zu schreiben. Es ist ein „Alzheimer und wir“, wie ich immer sage, und ich danke euch für dieses „wir“. Vielen Dank Mama, Papa, Kai, Katrin.

Ohne meine Mama wäre dieses Buch nie entstanden. Ich habe mir das Thema Alzheimer nicht ausgesucht, es ist zu mir gekommen. Mir ist es ein Herzensanliegen geworden, darüber zu schreiben und aufzuklären. Danke, Mama, dass du mir immer wieder zeigst, dass das Leben mit Alzheimer viel mehr ist als die Krankheit. Danke, dass du mir ein Urvertrauen mit auf meinen Lebensweg gegeben hast.

Ein besonderer Dank geht an meine drei Töchter. Sie haben meine Zettelsammlung mit großem Interesse verfolgt und erlebt, wie daraus ein richtiges Buch entstanden ist. Ich danke euch für eure Zuversicht, eure Freude und euer Lachen, das ihr mit mir teilt.

Ich danke all meinen lieben Freunden und Freundinnen, die mir zugehört haben, die meine Zweifel ertragen haben und die immer wieder aufmunternde Worte für mich hatten. Jedes einzelne hat mir ein Stück weit beim Schreiben geholfen.

Besonderer Dank geht an meine Erstleserinnen Anne, Claudia, Barbara und Anne. Danke, dass ihr so behutsam mit meinem Manuskript umgegangen seid und mir wertvolle Hinweise gegeben habt.

Vielen Dank an alle Experten und Expertinnen, die ich interviewen durfte und von denen ich viel über Demenz und Alzheimer gelernt habe. Danke auch noch einmal an das Team der Demenz Support Stuttgart gGmbH, das dieses Buch auf fachliche Korrektheit überprüft hat.

Ein großes Dankeschön geht an das Team des Mabuse-Verlags, dafür, dass es an meine Idee von diesem Buch geglaubt hat. Ich wollte von Anfang an eine Mischung aus emotionalen Erzählungen und praktischen Tipps schreiben. Zu Beginn Franziska Brugger und später dann Simone Holz haben mich wunderbar bei der Entstehung des Buches unterstützt.

Bedanken möchte ich mich auch bei all meinen Blog-Lesenden, die mich treu begleiten. Ich freue mich über jede Einzelne und jeden Einzelnen und hoffe, dass ich mit diesem Buch ebenso berühren und unterstützen kann wie auf „Alzheimer und wir“.

Inhalt

Prolog

1Die große Panik

„Liebe Mama, wie kann das sein?“

Angst um Mama

Angst um mein Leben

Angst um meine Tochter

Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?

2Wissen wollen, was kommt

„Liebe Mama, ich schicke dir ein paar Broschüren“

Auf der Suche nach Informationen

Über Alzheimer (nicht) sprechen

Allein mit der Angst

Infoteil: Was tun nach der Diagnose? Ein Überblick über Medikamente, Therapien und Angebote für Angehörige und Betroffene

3Alles wie immer! Alles wie immer?

„Liebe Mama, du siehst gut aus“

Stark bleiben

Ein Stück normales Leben

Mut durch einen neuen kleinen Menschen

Infoteil: Vorsorgen – Drei wichtige Dokumente und mehr

4Kleine große Veränderungen

„Liebe Mama, sei doch nicht traurig“

Die Bedürfnisse (nicht) erkennen

Lücken in der Orientierung

Ganz normale Großeltern?

Eine neue Beziehung entsteht

Infoteil: Kommunikationsfehler – und wie es besser geht

5Deine Welt, meine Welt

„Liebe Mama, ich bin mir unsicher“

Fest im Alltag

Kleine und große Kinder

Und wo bleibe ich?

Infoteil: Fünf häufige Kinderfragen zur Demenz – und wie ich sie angemessen beantworte

6Alles ist anders

„Liebe Mama, ich hatte Angst vor dir“

Wut und Hilflosigkeit

Der Aggression auf den Grund gehen

Weniger negative und mehr schöne Gefühle

„Die Oma ist doof“ – Über kindliche Aggressionen

Infoteil: Gemeinsam Zeit verbringen – Ideen, wie Menschen mit Demenz und Kinder spielend zusammenkommen können

7Du fehlst mir

„Liebe Mama, ich bin so kaputt“

Meine Traurigkeit und ich

Müttersorgen

Ein großes Fest für Mama

Infoteil: Sich im eigenen Zuhause besser zurechtfinden

8Neue Welten betreten

„Liebe Mama, ich mache mir Sorgen um dich“

Hilfe holen fällt schwer

In guten wie in schlechten Zeiten

Der lange Weg zur Tagespflege

Warten auf die Tagespflege

Zwischen Loslassen und Festhalten

Infoteil: Tagespflege – was ist das?

9Neu kommunizieren lernen

„Liebe Mama, ich würde gerne mit dir sprechen“

Wo sind die Wörter?

Ohne Worte miteinander sprechen?!

Das Sprechen anregen – kinderleicht

Infoteil: Die Biografie richtig nutzen

10Viel Bewegung und große Unruhe

„Liebe Mama, wo wolltest du hingehen?“

Vom Weglaufen, Hinlaufen und Verirren

Immer in Bewegung

Ich wünsche mir eine andere Oma

Infoteil: Hinlaufen und Verirren – Tipps für Schutz und Sicherheit

11So fern und so einsam

„Liebe Mama, ich möchte für dich da sein“

Wenn kleine Dinge zu großen Problemen werden

Mein dauernd schlechtes Gewissen

Darf ich traurig sein?

Ein Helfernetzwerk aufbauen

Lernen durch die Pflege in der Familie

Neue, eigene Wege gehen

Infoteil: Kleine Lösungen für Herausforderungen im Alltag

12Im Krisenmodus

„Liebe Mama, wann werden wir uns wiedersehen?“

Von Angst und Sorgen

Nähe trotz Abstand?

Pflegen in Coronazeiten

Lernen in und aus der Krise

Infoteil: Ideen, wie man (aus der Ferne) Gutes tun kann

13Heute ein Lächeln

„Liebe Mama, du fehlst mir, selbst wenn ich neben dir sitze“

Immer wieder Lösungen finden

Gemeinsam schaffen wir das

Kleine Dinge mit einer großen Wirkung

Alzheimer vorbeugen – geht das?

Infoteil: Selbstfürsorge für pflegende Angehörige

Epilog

Abschließendes

Prolog

„Wir beobachten das mal.“ Mit diesen Worten bin ich aufgewachsen. Wenn ich mich als Kind verletzt hatte oder krank war, ging ich zu meiner Mama. Sie tröstete mich, versorgte meine Wunden und redete mir gut zu. Ihre Ruhe und Geduld gaben mir die Zuversicht, dass es wieder gut werden würde. Auch als ich älter war, wandte ich mich mit meinen Sorgen und Problemen oft an sie. Sie unterstützte mich bei meinen Wünschen und Plänen, auch wenn sie ihr nicht immer leichtfielen.

Als ich 16 war, bewarb ich mich für ein Auslandsstipendium. Das Auswahlverfahren dauerte einen ganzen Tag, inklusive Sprach- und Wissenstests, einem Vortrag mit Diskussion und einem Bewerbungsgespräch auf Englisch. Ich bekam das Stipendium und durfte für ein Jahr in die USA gehen. Ich war voller Vorfreude und konnte es kaum erwarten, aber je mehr der Tag nahte, umso mehr Zweifel bekam ich. Schon Tage bevor ich fliegen sollte, lagen meine Mama und ich uns weinend in den Armen. Sie machte mir Mut und ließ mich gehen.

Auch Jahre später, als ich aufbrach, um im Süden Äthiopiens zu forschen, stärkte sie mich. Mama gab mir eine Karte mit auf den Weg, auf die sie geschrieben hatte: „Sei entschlossen und tapfer“ Egal, wie weit ich weg war, irgendwie war sie immer in meiner Nähe. Und irgendwie behielt sie auch recht: Fast alle Wehwehchen, egal ob Schmerzen oder Liebeskummer, gingen vorüber, wenn ich beobachtete und abwartete.

„Jetzt machen wir einen Plan.“ Das waren die Worte meines Papas. Er schmiedete gerne Pläne, für Urlaube, Wochenenden und auch für den Alltag. Vielleicht war das typisch für einen Lehrer? Immer die Kontrolle haben zu wollen und zu wissen, was als Nächstes passiert. Dabei war in seinem Leben auch vieles nicht nach Plan gelaufen. Als kleiner Junge hatte er in der Nachkriegszeit seine Mutter und seinen Vater verloren, wurde von seinem Bruder getrennt und kam fernab in eine fremde Familie und fand dort eine neue Heimat. Ein Leben voller Herausforderungen, und als er dann endlich meine Mama traf, kehrte viel Ruhe ein. Je älter ich wurde, umso mehr nervte mich das dauernde Planen meines Papas. Ich dachte, ich wäre ganz anders. „Jetzt wart doch erst mal ab“, entgegnete ich ihm manchmal mit einem genervten Augenrollen. Ich wollte frei entscheiden und mich nicht einengen lassen durch irgendeinen Plan. Dabei hatte ich doch selber genaue Vorstellungen und Erwartungen, die mich leiteten und mir Halt gaben.

Als die Alzheimerkrankheit im August 2011 in unsere Familie kam, half uns weder Abwarten noch Planen. Die Diagnose meiner Mama kam wie ein Tornado. Sie tauchte mit einem Mal auf, ohne jegliche Vorwarnung, riss uns allen den Boden unter den Füßen weg und fegte uns durch die Luft.

Zurück am Boden dachte ich, ich könnte weiterleben wie bisher, und hielt an meiner kleinen, eng getakteten Welt fest. Mir tat vieles nicht gut in diesem Alltag, aber ich traute mich nicht, andere Wege auszuprobieren. Ich spürte Trauer, Hilflosigkeit und Wut, hielt sie aber in mir. Ich verstand nicht, dass Alzheimer wie eine Wolke über uns allen schwebte und auch mich als Tochter begleiten würde. Für mich war sie lange nur eine grau-trübe Wolke. Ein Schleier, der sich über alles legte. Der machte, dass mein Alltag, mein kleiner Lebensplan mich heillos überforderte.

Ich suchte den richtigen Weg, um mit Alzheimer umzugehen, und fragte viele Menschen um Rat. Gefunden haben wir unseren Weg, so wie jede Familie ihren eigenen Weg mit der Demenz finden muss. Ich wünsche mir, dass niemand damit im Stich gelassen wird. Dass da Ärzte, Psychologen und Pflegeprofis sind, die Rat geben, und vor allem auch Angehörige und Menschen mit Demenz, die erzählen. Die einen Einblick geben in das Leben mit dieser Krankheit und nicht nur von den Schrecken berichten, sondern von allem, auch von den schönen Momenten und den Dingen, die man dazulernt.

Es ist nicht das Ende.

Es wird nur anders.

Es ist das Leben.

1 Die große Panik

„Liebe Mama, wie kann das sein? Wie kannst du – mit 55 Jahren an Alzheimer erkranken? Das ist doch etwas, das nur alte Leute haben. Und nicht du! Du bist jung, du hast mir erst vor einer Weile gesagt, dass du kurz dachtest, du wärst noch mal schwanger. Es waren doch erst die Wechseljahre. Wie kann es sein, dass du Alzheimer hast?

Als Papa mich angerufen und gesagt hat, dass du Alzheimer hast, war es mit einem Mal schwarz in meinem Kopf. ‚Was?‘, habe ich gerufen. Es war Abend, du warst noch im Krankenhaus, schon seit zwei Tagen. Ich dachte, du bist überarbeitet, hast zu viel zu tun und brauchst Ruhe und eine Auszeit – aber ALZHEIMER? Papa hatte gesagt: ‚Peggy, setz dich bitte hin!‘ So ein Quatsch, dachte ich. Was sollte er mir schon sagen? Mich haut so schnell nichts um. Ich als berufstätige Mutter habe doch nie Zeit. Also hing ich weiter die Wäsche auf, während wir telefonierten. Und dann musste ich mich doch setzen. ‚Deine Mutti hat Alzheimer‘, hatte Papa gesagt. Ich hielt ein feuchtes Shirt in den Händen und rief geschockt: ‚WAS?‘ ALZHEIMER. ALZHEIMER. ALZHEIMER. Wie so ein Werbebanner, das die Flugzeuge durch den Himmel ziehen, flog das Wort durch meinen Kopf. Wie kann das sein?

Ich bin fassungslos. Am liebsten würde ich mich in mein Bett legen und einfach nur weinen. Alzheimer, damit verbinde ich Pflegeheim und ein grausames Vergessen. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Du sollst Alzheimer haben? Ich kann es nicht glauben.

Am Tag danach bin ich zur Arbeit gefahren, weil ich so verdammt pflichtbewusst bin. Mein Leben hatte sich geändert, aber ich wollte so weitermachen wie immer. Ich ging in mein Büro, setzte mich, schaltete den Computer an. Ging zu meiner Chefin und wollte ihr einen ‚Guten Morgen‘ wünschen, aber dann liefen schon die Tränen. Sie kommen die ganze Zeit einfach so. Eine meiner Lieblingskolleginnen meinte, ich solle meine Kraft für etwas anderes als Weinen aufbewahren. Aber ich komme nicht dagegen an. Ich muss einfach immer weinen. Wieso verdammt noch mal hast du Alzheimer? Du bist doch meine liebe, schöne, schlaue Mama. Halt mich fest und geh nicht weg! Weißt du bald nicht mehr, wer ich bin? Was wird nun aus mir und meinem Leben? Ich wollte doch ein zweites Kind bekommen. Darf ich das jetzt überhaupt, wo du vielleicht bald Pflege brauchst und mich als Tochter? Ich habe Angst vor der Zukunft. Was bringt der Alzheimer? Tief in meinem Herzen ist nun etwas Dunkles und Schweres. Es legt sich über alles andere. Ich glaube, mein Leben wird nie wieder gut.“

Angst um Mama

Ich hatte solche Angst. Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen nach der Diagnose. Ich habe zu Hause geweint, bei der Arbeit, am Telefon mit Freundinnen, so ziemlich überall. Ich konnte es nicht glauben. „Warum meine Mutti?“, fragte ich mich und die anderen immer wieder. Ich bekam Antworten wie: „Das weiß keiner“, „Manchmal trifft es auch relativ junge Menschen“, „Vielleicht liegt es in der Familie“. Ich wollte die Antworten eigentlich gar nicht hören, denn sie gaben mir trotz allem keine Antwort auf die Frage: Warum meine Mama?

Ich hatte Angst um sie. Dass sie bald stirbt. Dass ich sie verliere. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr. Ein paar Tage nach dem Anruf, der alles veränderte, war ich in aller Frühe aufgestanden, um kurz nach fünf Uhr in München in den Zug zu steigen und zu meinen Eltern zu fahren. Ich wollte Mama zu einer abschließenden Untersuchung am Universitätsklinikum und danach zu ihrem Arzt begleiten. Im Zug zeigte ich mein Ticket, mit Ziel: Jena-Paradies. Der Schaffner studierte es und sagte mit einem charmanten Lächeln im Gesicht: „Aha, einmal ins Paradies wollen Sie.“ Ich weinte. Nie war ich weiter entfernt vom Paradies als in diesem Moment frühmorgens im ICE. Ich heulte, es war mir egal, dass jeder im Zug meine Tränen sehen konnte. Der Zug hatte Verspätung, ich nahm mir ein Taxi vom Bahnhof und wollte nichts anderes, als im Behandlungszimmer neben meiner Mama zu sitzen. Aber wie das so ist: Die eigentlich kurze Fahrt zog sich hin, wir standen gefühlt Stunden an den roten Ampeln und dann fand der Taxifahrer die Zufahrt zu dem entsprechenden Klinikgebäude nicht. Ungeduldig stieg ich aus und wollte den Rest zu Fuß gehen. Ich zahlte, wartete nicht auf mein Rückgeld und rannte die Straße entlang. Doch da kamen mir meine Eltern schon entgegen. Hand in Hand. Papa schaute ernst, Mama lächelte. Ich freute mich, sie zu sehen, war aber irgendwie auch sauer: War es das jetzt? Steht alles schon fest? War ich umsonst gekommen? „Das ging ganz schnell“, sagte Papa trocken. Mama blieb still. Es war klar: Die Diagnose Alzheimer war bestätigt. Ich umarmte Mama. Papa drängte zum Weitergehen, er marschierte in seinem üblichen Marschtempo und zog Mama mit.

Zum Parkplatz mussten wir durch ein kleines Einkaufszentrum gehen. Diese Geschäfte, diese vielen Menschen, mir war das alles zu laut und zu bunt. „Willst du etwas essen, Peggy? Du hast doch bestimmt Hunger, wenn du so früh aufgestanden bist“, fragte Papa. „Komm, wir trinken einen Cappuccino.“ Echt jetzt? Ich konnte es nicht glauben. Wir trinken einen Cappuccino, nachdem Mama die PET-Untersuchung (siehe Infoteil dieses Kapitels) hat machen lassen und diese bekloppte Diagnose bestätigt ist? Das war mir eindeutig zu viel Normalität. „Ich hab keinen Hunger“, sagte ich. Wir gingen zum Auto. Ich bestand darauf zu fahren. Ich, die seit Jahren fast gar nicht Auto fuhr. Aber ich wollte nicht, dass mein Papa jetzt am Steuer saß. Ich fuhr die Landstraße entlang, Papa saß neben mir und Mama auf der Rückbank. „Dort hinten sind die Dornburger Schlösser, die sind sehr sehenswert“, erklärte mein Papa, zeigte aus dem Fenster und bestaunte die Landschaft. „PAPA“, entgegnete ich genervt. Ja, draußen war eine wunderschöne Landschaft. Die Sonne schien, wir hatten einen malerischen Blick auf die Saale, aber mir war nicht nach Konversation. Ich schaute nach draußen, aber eine malerische Landschaft mit Schloss konnte ich nicht sehen. Es war irgendwie alles grau. Mama sagte nichts. Ich starrte nach vorne auf die Straße. Schweigend fuhren wir zu ihrem Neurologen. Er hatte die Erstdiagnose gestellt, Mama dann aber noch mal an die Universitätsklinik überwiesen, um sie zu bestätigen. Wir gingen den langen Gang entlang und setzten uns in den Wartebereich. UND JETZT? UND JETZT? So wummerte es die ganze Zeit in meinem Kopf. Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Gab es nicht immer noch eine winzige Hoffnung, dass alles nur ein Irrtum war? Vielleicht könnte der Arzt auch ein Medikament verschreiben – und Mama würde wieder gesund werden?

Die Worte des Arztes waren klar. Diagnose Alzheimer. Alzheimer ist nicht heilbar. Während er erzählte, schwirrten zwei Fragen in meinem Kopf herum: ‚Warum Mama?‘ und ‚Wie geht es weiter?‘. Der Arzt nahm sich viel Zeit und erklärte. Wir hörten zu und nickten, meiner Mama liefen die Tränen über die Wangen. Meine Eltern hielten sich an den Händen.

Obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten daran forschen und immer wieder an neuen Medikamenten tüfteln, gibt es bislang keine Heilung von Alzheimer. Die Arzneimittel können die Krankheit nicht heilen, der Prozess ist unaufhaltbar, aber sie können ihn verzögern. Aber was hieß das nun für meine Mama? Der Arzt wollte sich nicht festlegen. Alzheimer sei individuell und er könne nicht vorhersagen, wie und in welchem Tempo die Krankheit verläuft. Mit diesen Worten und einem Rezept entließ er uns aus seiner Sprechstunde.

Ich konnte es noch immer nicht glauben. Meine liebe, schöne, schlaue, herzensgute Mama, die da neben mir stand, sollte Alzheimer haben? Ich nahm ihre Hand und wir gingen langsam zum Auto. Mein Hoffnungsschimmer, dass alles nur ein großer Irrtum war, lag begraben.

Alzheimer stellte ich mir wie ein Zerfallen vor. Aber war es wie eine Sandburg am Meer, die mit jeder Welle ein klein wenig mehr von ihrem Fundament verlor und Stück für Stück zusammensackte? Oder war es eine einzige Welle oder ein Orkan, die kamen und die Basis wegrissen und nur Leere hinterließen? Warum konnte man diese Wellen nicht anhalten? Oder die Sandburg auf einen trockenen Grund setzen? Was würde mit Mama passieren, wie würde es weitergehen? Wie konnte es sein, dass sie mit 55 Jahren an Alzheimer erkrankt war? „Ungewöhnlich jung“, hatte der Arzt gesagt. Aber es passiere. Warum Mama? Ich war wütend und traurig zugleich. Es war nicht fair, dieses Leben. Das hatte meine Mama nicht verdient. Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor.

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