Buch lesen: «Pink - 2 Gesichter»

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Aus dem Englischen übersetzt von Alan Tepper


www.hannibal-verlag.de

Impressum

Der Autor: Paul Lester hat die beiden vielgelobten Biografien über die Postpunk-Legenden Gang Of Four und Wire geschrieben. Darüber hinaus verfasst er Artikel für zahlreiche Magazine und Zeitungen, darunter den Guardian.

Deutsche Erstausgabe 2010

Titel der Originalausgabe:

“Split Personality – The Story Of P!NK” © 2009 Omnibus Press,

A Division of Music Sales Limited, London.

ISBN: 978-1-84938-060-7

Coverfotos: © F. Scott Schafer / Corbis Outline

Coverdesign: Bold Graphic Design

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat und Korrektorat: Aulo Verlagsservice

© 2010 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN: 978-3-85445-337-6

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Einleitung

Kapitel 1:

Porträt einer Familie

Kapitel 2:

Verwandlung

Kapitel 3:

Neue Wege

Kapitel 4:

Heiße Zwischenspiele und lustvolle Küsse

Kapitel 5:

Dumme Girlies und der Präsident

Kapitel 6:

Die Vergangenheit wird zur Zukunft

Kapitel 7:

Ein Superstar im Gemüsegarten

Kapitel 8:

Die Achterbahn der Liebe

Kapitel 9:

Funhouse – Jahrmarkt der Gefühle

Kapitel 10:

Happy End?

Diskografie/Filmografie

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Pink war niemals pink! Es gibt nichts besonders Süßes oder Mädchenhaftes an der Sängerin, Songwriterin und Performerin, die in den ersten zehn Jahren des neuen Millenniums zu einem Teil unseres Pop-Lebens wurde. Sie schwebt nicht auf zartrosa Wolken, sondern steht mit beiden Beinen fest auf dem Bühnenboden, allzeit bereit, der Menge ihre harten Popsongs entgegenzuschleudern.

Der Name ist strenggenommen eine Mogelpackung. Daraus resultierte, dass sie viele zu Beginn ihrer Karriere falsch einschätzten und sie als ein weiteres Zuckerpop-Starlet betrachteten. Dabei hat die Musikerin viel mehr Gemeinsamkeiten mit Janis Joplin, der von ihr über alles verehrten Sixties-Ikone, als mit einem dieser Girlies, die kurz auf der Bildfläche erscheinen und schon am nächsten Tag spurlos verschwunden sind. Die tätowierte Pink rast auf dem Motorrad durch die Straßen, fuchtelt mit Waffen herum, nimmt niemals ein Blatt vor den Mund und gehört zu den bedeutendsten Interpreten rockiger Popmusik und poppigen Punks. Schon mit 16 Jahren wäre sie beinahe an einer Überdosis gestorben, nachdem sie mit fast jeder Droge experimentiert hatte, die Chemiker kennen. Was ich eigentlich sagen möchte: In Bezug auf die Attribute des Rock’n’Roll lässt sie Janis wie eine Britney aussehen, aber Ms Spears ist ja heute auch nicht mehr die Verkörperung der sauberen und anständigen Pop-Nachtigall. Oder lässt sie Janis vielleicht wie Beyoncé erscheinen? Ja, dieser Vergleich passt wohl fürs Erste.

Pink hat die Messlatte für die ganzen ungezogenen Ex-Teen-Pop-Königinnen der ersten Dekade des neuen Jahrtausends höher gelegt – oder tiefer, je nach Blickwinkel. Ich habe mir beim Schreiben dieses Buches all ihre Alben immer wieder intensiv angehört. Dabei fiel mir auf, dass Pink immer Pink gewesen ist, auch in ihrer Anfangszeit, in der sie noch im modernen R’n’B-Segment vermarktet wurde. Damals erschien sie wie eine Marionette der mächtigen, manipulativen Strippenzieher des Dance-Pop. Doch dann riss sie die Kontrolle über ihre Karriere an sich und wurde zu der knurrenden Punk-Göre, die wir heute kennen und lieben. Schon allein ein flüchtiger Blick auf die Titel ihres Debüts Can’t Take Me Home (2000) lassen erahnen, dass der Stilwechsel zum Nachfolger M!ssundaztood doch nicht so dramatisch war, wie es schien. „Split Personality“, „Hell Wit Ya“, „Save My Life“, „You Make Me Sick“ und „Let Me Let You Know“ – auf den ersten Blick mögen das alles Titel aus dem Poptext-Baukasten sein, bei genauerer Betrachtung handelt es sich aber um frühe Hinweise auf die gequälte Seele einer der erfolgreichsten Künstlerinnen unserer Tage, der es gelang, ein Publikum anzuziehen, eben weil sie nie von ihrer schlimmen Kindheit und wilden Jugend loskam.

Falls Pink durch Attribute wie „gequält“ und „erfolgreich“ charakterisiert werden kann, so muss doch auch noch ein dritter Begriff erwähnt werden: Ehrlichkeit! Sie hat sich niemals wegen ihrer Vergangenheit und ihrer Probleme versteckt, sondern sie künstlerisch ausgedrückt und dargestellt – und das mit einer fast schon chirurgischen Präzision. Dadurch ermöglichte sie einen tiefen Einblick in ihre Arbeit und machte sich gleichzeitig zu einer interessanten Persönlichkeit, die man bei all ihren Kapriolen gerne und mit Spannung beobachtet. Heutzutage wird die Popmusik von Promotern dominiert, die ihren Schützlingen die Worte in den Mund legen und darauf achten, dass diese nicht zu viel von sich preisgeben – in der knappen Stunde eines Interviews, die Journalisten in einer sterilen Hotelsuite gewährt wird. Pink zählt zu den wenigen Popstars, die nicht gezähmt werden können, die sich nicht den Mund verbieten lassen, und spricht das Unsagbare aus, oft sogar, wenn die Speichellecker der Plattenfirma es am wenigsten erwarten.

Sie redet in Superlativen und Extremen, als wäre jeder Schritt, den sie macht, emotional ermüdend und schmerzhaft – so als müsste sie sich durch die Wortwahl einen Adrenalinkick verschaffen. Sich treu bleibend „bis zum bitteren Ende“, wie sie es nennt, wurde sie schon früh auf die Probe gestellt. Sie verließ die Girl-Group, mit der alles begann, und bezeichnete das als „verdammt hart“ und als „die schwierigste Entscheidung meiner gesamten Karriere“. Sie fand sich plötzlich in der „schlimmsten Situation meines Lebens“ wieder.

Schon früh in ihrer Laufbahn tritt uns das verwirrte Mädchen entgegen, das bereits mit 14 ihre ersten Songs schrieb. Das gestylte „Chamäleon“, das sich die Haare grün färbte und rückwärts aus dem Klassenzimmer ging, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schien in der einen Minute Gospel in einem Kirchenchor zu singen und schon einen Augenblick später als „weißes Mädchen“ mit einer R’n’B-Truppe aufzutreten. Doch sie tanzte auch in den Nachtclubs von Philadelphia, sang die Backing-Vocals für die Hiphop-Band School Of Thought oder schrie sich die Seele in einer der zahlreichen lokalen Punkbands aus dem Leib.

Wenn man mit Pink spricht, ist die Rede meist auch von Sex. Klar, denn wenn jemand einen Song wie etwa „Fingers“ (über Masturbation) schreibt, sollte man sich nicht wundern, wenn bohrende Fragen zu den privaten Vorlieben gestellt werden. Auch auf ihren Platten beschreibt sie die vielfältigen Formen des Sexlebens, von ihren lesbischen Tendenzen bis hin zur Größe der „Schlange“ ihres Ehemanns – typisch Pink eben.

Wenn bei einem Gespräch Drogen erwähnt werden, dauert es nicht lange, bis sie von ihren ehemals bizarren Gewohnheiten berichtet: „Verdammte Scheiße“, knurrte sie in einem Interview, sich an ihren ersten Amsterdam-Besuch erinnernd. „Ich war 19 und fuhr direkt vom Flughafen zum Bulldog Café, kaufte mir Tausende Tütchen Gras, zog sie alle durch und ging danach auf die Bühne. Es war eine Fernsehsendung und ich stand bei der Aufzeichnung kurz vor dem Kollaps. Die Produzentin kam zu mir und meinte ganz freundlich: ‚Könnten Sie das bitte wiederholen, denn es war der schlechteste Auftritt, den ich während meines ganzen Arbeitslebens gesehen habe.‘ Ich starrte sie an und fragte: ‚Was wiederholen?‘ Erst beim Essen nach der Show wachte ich aus meinem Halbkoma auf.“

Auch bei der Selbstreflexion geht Pink schonungslos aufs Ganze: Niemand versucht sich seine Defizite, seine Widersprüchlichkeiten und seine Wut intensiver auszutreiben als sie, sowohl in Interviews als auch in Songs. Sie hat eine höchst erfolgreiche Karriere auf ihrer schlimmen Kindheit aufgebaut, ist sich aber bewusst, nicht die einzige zu sein, die solche Traumata erleben musste. „Ich habe meinen Dad vier Mal im Leben weinen gesehen, darunter das eine Mal, als ich ihm [meinen Song] ‚Family Portrait‘ vorspielte. Meine Mutter weinte tagelang und machte daraus eine große Sache: ‚Ich wusste nicht, dass dich das so mitgenommen hat – lass uns reden.‘ Ich beruhigte sie: ‚Hey, es war doch nur ein Song. Mir geht es gut!‘“

Meistens schlägt Pink aber härtere Töne an. Nachdem sie sich bei den MTV Awards geweigert hatte, die Queen of Pop – Madonna – zu küssen, giftete sie: „Ich bin doch nicht Madonnas Schlampe.“ Die Seiten der Gay-Bibel Attitude hingegen wurden für sie zu einer Plattform, um feministische Themen in aller Deutlichkeit anzusprechen. Wenn Pink angegriffen wird, kann sie schnell parieren. Als sie ihre Nacktheit (in Videos oder bei Foto-Shootings) künstlerisch einsetzte und danach auf heuchlerische Anschuldigungen reagieren musste, da eine Feministin nach landläufiger Meinung so etwas nicht darf, erwiderte sie, in der für sie so typisch unterhaltsamen Art: „Entertainment wird manchmal nur wegen des Entertainments gemacht – und das ist okay.“ In diesem Buch wird Pink Sie hoffentlich gut unterhalten und gleichzeitig einen Eindruck ihrer Bedeutung nicht nur als Entertainerin, sondern auch als komplexe, facettenreiche, oft verwirrende Persönlichkeit vermitteln. Als einer Künstlerin, deren reale Erfahrungen oft in die Musik einfließen und deren Musik das chaotische Durcheinander ihres Lebens widerspiegelt.

Paul Lester, März 2010


„Für mich ist das witzig. Die Leute dokumentieren alles, was ich jetzt anstelle, und denken, dass ich eine abgedrehte, verrückte und durchgeknallte … was auch immer bin. Im Vergleich zu früher bin ich aber wirklich zahm.“

Pink war nicht immer Pink, oder genauer gesagt: P!nk, die frühreife, elektrisierende R’n’B-Diva, die sich in eine provozierende, sexuell aggressive, weltweit berühmte Shock-Pop-Rockerin mit unnachgiebiger Haltung verwandelte. Eine Frau, die ihre Wut über dümmliche Girlies und George W. Bushs unrühmliche Kriegstreiberei herausschreit und über Masturbation singt. Ein Star, dessen Gesicht von den Medien stets mit einem mysteriösen, angedeuteten Lächeln gezeigt wird oder deren Lippen sich zum Schreien, Knurren oder zu einem mürrischen Ausdruck verzerren.

Die zweifache Grammy-Gewinnerin, die Millionen Platten verkauft, singt, Songs schreibt (und manchmal auch schauspielert), wurde als Alecia Beth Moore am 8. September 1979 in Doylestown, Pennsylvania, geboren. Ihren Spitznamen bekam sie schon früh, obwohl die Berichte zu seinem Ursprung variieren. Möglicherweise lässt sich der Name auf einen krassen Zwischenfall in ihrer Kindheit zurückführen, bei dem sie sich in einem Ferienlager nackt auszog und dann vor Scham „pink“ anlief. Die Sängerin deutete auch an, dass der Name auf Mr. Pink zurückgeht, einer Figur aus Reservoir Dogs von Quentin Tarantino, einem ihrer Lieblingsfilme. Vielleicht bezieht sich Pink aber auch nur auf die Tönung, mit der sie sich, seitdem sie zehn war, regelmäßig die Haare färbt.

Was auch immer der Wahrheit entsprechen mag – P!nk hat sich durchgesetzt und niemand spricht sie heute noch mit ihrem bürgerlichen Namen an. Wenn dann doch Fremde einmal den Namen fallen lassen, schreckt sie zurück, fast so, als wolle sie nicht mehr an das Mädchen erinnert werden, das sie einmal gewesen ist.

Doylestown, wo die Familie Moore – Pink, ihre Mutter Judy Moore (geborene Kugel), ihr Vater James Moore Jr. und ihr älterer Bruder Jason – lebte, war ein kleines Städtchen, 35 Meilen nördlich von Philadelphia gelegen, das nur knapp 10.000 Einwohner hatte, von denen ein Großteil zur Arbeiterklasse gehörte. Dort besuchte Pink die Kutz Elementary School, die Lenape Middle School und schließlich die Central Bucks West High School. Sie fiel immer auf, stach aus der Menge hervor. Die burschikose Musikerin, die auf Guns N’ Roses stand, erinnert sich daran, dass sie schon von frühester Jugend an provozierte: „[Ich] hatte mein Haar grün gefärbt und meine Klamotten verkehrt herum angezogen, nur um beim Betreten eines Raumes die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.“ Sie beschreibt ihre „Sippe“ als „die normale, durchschnittliche, absolut fertige und kaputte Familie“. Ein bezeichnender Hinweis auf ihre Kindheit und Jugend findet sich in dem vernichtenden Text der sicherlich auf autobiografischen Erlebnissen beruhenden Hit-Single „Family Portrait“ (2002). Sie singt darüber, dass ihre Mutter immer weinte und der Vater immer schrie – ein Szenario, das ihr das Gefühl gab, als würde sie „während des Dritten Weltkriegs aufwachsen“. Ihre Eltern bekämpften sich unbarmherzig – ohne jegliche Nachsicht. Obwohl ihre Kindheit, so wie sie auf dem Album M!ssundaztood (2001) beschrieben wird, durch und durch schrecklich war, sind doch auch einige schöne Erinnerungen aus dieser Zeit geblieben. „Das Campen! Mit meinem Bruder durch den Wald zu laufen! Dort gab es eine zehn Meter tiefe Grube, in die man durch den Schlamm herunterrutschen konnte, was wir auch gemacht haben. Wir sind vor Lachen fast gestorben – das hat so viel Spaß gebracht.“

Über die Jahre hat sie sich aber mit ihren Eltern, deren Vorfahren aus Irland, Deutschland und Litauen stammten, ausgesöhnt – einer Mutter jüdischer Herkunft, die als Krankenschwester in der Notaufnahme Dienst tat, und ihrem katholischen Vater, einem Vietnam-Veteranen, der sich zum Chef einer Versicherungsgesellschaft hocharbeitete. Mittlerweile weiß sie auch einige positive Dinge zu berichten – zumindest manchmal …

„Ich war viele Jahre lang sehr wütend“, erklärte sie einem Reporter 2006. Heute sind Pink und ihre Mutter „unzertrennlich“, aber während ihrer Jugend „kam sie einfach nicht mit mir klar. Jetzt kommen wir gut miteinander aus, aber damals war das verdammt hart. Ein Großteil der Wut, die ich mit meinen Songs ausdrücke, kommt von der Traurigkeit, die ich als Kind erlebte.“

Der verheerende Einfluss, den die Scheidung der Eltern auf die schüchterne, sensible und verletzliche Pink im Alter von neun Jahren hatte, ist nicht zu leugnen. Wie sie sich erinnert, war das genau der Zeitpunkt, an dem ihr Leben aus dem Ruder lief.

„Die Beziehung zu meinen Eltern ist heute besser als jemals zuvor“, gibt sie zu, ohne den Nachsatz zu vergessen, dass „jeder von seinen Eltern psychisch missbraucht wird. Ist es nicht genau das, was bei Eltern vermutet wird? Ich wollte [aber] nicht, dass mein Vater uns verlässt, und so stritt ich mich mit meiner Mutter.“

„[Es begann] im Alter von neun Jahren“, bestätigt sie den Zeitpunkt des Beginns ihrer aufmüpfigen Jugendjahre. „Ich bin froh, dass alles schon so früh anfing, denn jetzt bin ich entspannt und mit mir im Reinen.“

Ihre Teenagerzeit war aber alles andere als entspannt. Während dieser Phase lebte sie bei jedem Bekannten, der ihr Unterschlupf bot. Sie sah dabei zu, wie ihre Freunde das Leben mit Alkohol und Drogen verschwendeten und an sich vorbeiziehen ließen. Eines Nachts wurde sie sogar mit einer Waffe bedroht, konnte die Situation aber entschärfen und ins Lächerliche ziehen, indem sie dem Angreifer klar machte, dass er einen starken Mundgeruch hatte!

Nach der Trennung der Eltern zog Pink zuerst bei ihrer Mutter ein, danach bei ihrem Vater. Eine Zeit lang lebte sie mal hier, mal dort. Ihre Mutter hatte schwer zu kämpfen, um die zunehmend aufsässiger werdende Tochter zu bändigen. Wann Pink mit dem Rauchen anfing, ist nicht sicher, aber Berichten zufolge ging es mit den Zigaretten schon mit neun Jahren los, gefolgt von Marihuana mit zehneinhalb. Sicher ist aber, dass sie im Alter von zwölf mit den „bösen Jungs“ aus der Nachbarschaft abhing und schon bald, nachdem sie die Schule verlassen hatte, ihren Körper mit Tattoos und Piercings verzierte und harte Drogen auszutesten begann.

Mit 14 wurde der rebellierende Teenager, der ernsthaft die Meinung vertrat, dass es Kindern ab elf Jahren erlaubt sein sollte, mit Ecstasy zu experimentieren, von ihrer Mutter zu einem Therapeuten geschleppt. Sie erzählte ihm „allen möglichen abgedrehten Scheiß. Wenn er mich fragte, was ich an dem Tag so gemacht hatte, antwortete ich: ‚Oh, ich habe mir vorgestellt, eine Flasche zu zertrümmern und mit einer Scherbe dem Lehrer die Kehle aufzuschlitzen.‘“

Mitten in der Pubertät hatte sich Pink zu einem sogenannten „wandelnden Pulverfass“ entwickelt. Ihre Persönlichkeit vereinte unterschiedliche Tendenzen – eine beängstigende Unreife gepaart mit einem ungewöhnlichen, frühreifen Verhalten. Das ging sogar so weit, dass sie sich in der örtlichen Bibliothek informierte, wie viele verbotene Rauschmittel man konsumieren konnte, ohne sich dabei umzubringen.

Leider konnte dieses vernunftorientierte Verhalten sie nicht davon abhalten, mit 16 den selbstzerstörerischen Weg fast bis an sein Ende zu gehen. An Thanksgiving 1995, zwei Jahre nach dem durch eine Überdosis verursachten Tod des Schauspielers River Phoenix vor dem Viper Room in Hollywood, schlich sich Pink in einen Nachtclub in Philadelphia. Ganz offensichtlich hatte sie nicht nur Bier getrunken und Marihuana geraucht, sondern auch verschiedene andere Drogen eingeworfen – Crystal Meth, Ketamin, Angel Dust, Ecstasy, Kokain – und Distickstoffmonoxid eingeatmet, besser bekannt als Lachgas. Danach schluckte Pink LSD, Mengen an LSD. Plötzlich verfärbten sich ihre Lippen blau. Sie legte sich auf den Boden und stellte sich darauf ein, dass ihre letzte Stunde auf Erden geschlagen hatte.

Das grundlegende Problem bestand darin, dass ihr gesamtes Umfeld aus Drogenabhängigen bestand. Alle Freunde waren, wie Pink unverblümt erzählt, „auch absolut abgefuckt“. Für Kids ihres Alters stellte der Konsum toxischer Substanzen ein völlig normales Gebaren dar. Sogar der Tod einiger Bekannter, verursacht durch anhaltenden Drogenmissbrauch, konnte sie nicht davon abhalten, einfach weiterzumachen.

„Mein Leben war der totale Wahnsinn“, erzählte sie 2006 der Journalistin Caroline Graham, „aber ich habe niemals an den Tod gedacht – obwohl ich zu den Beerdigungen von drei Freunden ging, die alle an einer Überdosis Heroin gestorben waren … Ich musste mit ansehen, wie sie an Drogen verreckten. Auf einem Friedhof zu stehen, zu sehen, wie der Sarg deines Freundes in das Grab hinabgelassen wird – man sollte meinen, dass das eine heilsame Wirkung hat und dich von Drogen abhält, aber das funktionierte nie.“

Letztendlich hatten die Geschehnisse dieser schicksalhaften Nacht im November 1995 aber doch ihre Auswirkungen, denn glücklich darüber, überlebt zu haben, schwor sie, fortan die Finger von Drogen zu lassen und clean zu werden. „Ich ging nicht in eine Entzugsklinik oder zu den Anonymen Drogensüchtigen. Ich habe einfach damit aufgehört, denn mein Leben als Sängerin lag mir am Herzen. Das ist ein Job, bei dem eine starke Selbstkontrolle sehr wichtig ist.“

Nicht dass sie ihren wilden Eskapaden damit abgeschworen hätte – weit gefehlt! In einem Gespräch mit der Journalistin Louise Gannon gibt Pink zu, dass sie ihren Eltern verdammt viele Probleme machte. „Ich war genau das Kind, das jeder Mutter die schlimmsten Albträume bereitet. Ich war wütend, war verwirrt, war wild und überall, wo ich auftauchte, gab es Ärger. Ich flog von der Schule. Ich wurde so oft verhaftet, dass meine Mutter jeden Polizeibeamten Philadelphias namentlich kannte! Mein Verhalten kam teilweise von dem Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, aber auch von meinem Charakter – ich bin eben von Natur aus eine Rebellin. Ich machte das, wozu ich Lust hatte, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken – meistens brachte das auch eine Menge Fun.“

Ihrer Mutter hingegen überhaupt nicht! Als ihr klar wurde, dass sie Pink nicht mehr länger bändigen konnte, schickte sie das junge Mädchen zu ihrem Vater, um bei ihm zu wohnen.

Jim Moore war ein politisch engagierter Vietnam-Veteran und seine zweite Frau, Pinks Stiefmutter, arbeitete ebenfalls als Krankenschwester. Sie pflegte im Krieg Verwundete. Nachdem Moore jahrelang den Horror, den er in Südostasien erlebte, verleugnet und verschwiegen hatte, entschied er sich im Alter von 40 Jahren zu einer Therapie. Er wollte die Dämonen austreiben, mit denen er seit der Rückkehr aus dem Krieg kämpfen musste, und so entschied er sich zur Gründung einer Selbsthilfegruppe mit dem Namen „Vietnam Veterans Chapter 210 of Bucks County“. Das Ziel lag darin, Benefizveranstaltungen zu organisieren und Hilfe in Form von Gruppentherapien für alle Veteranen des Bezirks zu ermöglichen. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr ging Pink auch zu diesen Treffen, wo sie voller Erstaunen sah, wie erwachsene Männer zusammenbrachen und wie kleine Kinder weinten. Manchmal half sie ihrem Vater auch bei der Essensausgabe in Suppenküchen oder nahm an Protestmärschen für die Rechte der Veteranen teil. Statt gelangweilt oder sogar schockiert zu sein, faszinierten diese ganzen Aktivitäten das junge Mädchen. „Ich liebte diese Zeit, denn sie gab mir das Gefühl, über glühende Kohlen zu gehen – richtig zu leben.“

Pinks Vater war ein übermächtiger Charakter, den sie wahlweise als „blöden Arsch“, „unglaublich stark“ oder „durchgeknallt“ beschrieb. Andererseits hat sie von ihm respektvoll als Sportschützen und Biker gesprochen und sein Wissen und seine Erfahrung in Karate und „Guerillakriegsführung“ hervorgehoben, wie auch seinen Spleen, in der Garage – aus was für einem Grund auch immer – einen Haufen Raketenwerfer zu lagern.

Während Pinks Mutter die nötige Härte vermissen ließ, stellte ihr Vater, eine ernsthafte, autoritäre Persönlichkeit, im Umgang mit seiner starrköpfigen und unbeugsamen Tochter das genaue Gegenteil dar. Die beiden stritten sich heftig. Trotzdem hatte Pink den größten Respekt vor ihrem Vater. „Ich habe nie an Autoritäten geglaubt. Ich wusste immer, was ich wollte. Ich mochte ganz einfach keine Regeln“, erzählte sie dem Guardian 2006. „[Aber] ich respektiere meinen Vater, denn wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich durch eine Wand geflogen. Bei ihm gab es eine klare Linie und das konnte ich respektieren. Wenn er mich warnte, zählte er immer bis drei, aber ich habe ihn höchstens bis zweidreiviertel kommen lassen. Bei Jim Moore traust du dich nicht, Scheiß zu bauen – das machst du einfach nicht.“

„Er konnte dir eine gehörige Abreibung verpassen, dich zum Lachen bringen oder dir etwas beibringen. Er war schon ein cooler Typ“, ergänzte sie.

Mit dem Gefühl dieser kindlichen Begeisterung, vielleicht sogar Verehrung, beschreibt sie ihn als ihren „ersten Rockstar“ (auf dem Album I’m Not Dead aus dem Jahr 2006 sangen die beiden dann übrigens den Song „I Have Seen The Rain“ zusammen). Tatsächlich war es auch Moore, der Pink inspirierte, denn er erkannte frühzeitig, dass sie eine kräftige Gesangsstimme besaß, trotz eines Asthmaleidens während ihrer gesamten Kindheit. Er hatte ihr schon von früh an Songs auf der Gitarre vorgespielt und dabei gesungen, was in Pink den Wunsch weckte, auch selbst zu performen.

Sie erklärt sich sein aufbrausendes Temperament und das exzentrische Gebaren nicht als Resultat der Erlebnisse in Vietnam, vielmehr war der Krieg in Asien, für den er sich freiwillig gemeldet hatte, eine Möglichkeit, seiner zerrütteten Herkunft zu entfliehen. Pink behauptet, dass ihr Vater als Kind missbraucht wurde und in seiner katholischen Schule leidvolle Erfahrungen machen musste.

Die Sängerin ließ durchblicken, dass auch sie während ihrer Kindheit zu einem Missbrauchsopfer wurde, obwohl sie sich standhaft weigert, den Verantwortlichen zu nennen oder zu offenbaren, ob es sich um emotionalen, physischen oder sexuellen Missbrauch handelte. Sie gab aber zu, dass darin der Grund für ihr kriminelles Verhalten als Jugendliche lag.

„Ich war missbraucht worden, war hasserfüllt und rebellierte … [Aber] darüber möchte ich nicht reden“, erklärte sie dem Mail On Sunday’s Live Night & Day-Magazin. „Jeder wird irgendwann einmal in seinem Leben emotional missbraucht. Zu den anderen Arten des Missbrauchs – kein Kommentar.“

Dies war einer der wenigen Anlässe, bei denen sich Pink – einer der offensten, geschwätzigsten und ehrlichsten Popstars dieses Planeten – vehement weigerte, alles zu enthüllen.

Was auch immer die Details des Missbrauchs anbelangt, in einer Hinsicht haben die Qualen und Leiden Pink nicht aus der Bahn geworfen. Durch die Erlebnisse hat sie ein unbeugsames Durchsetzungsvermögen erlangt – den Willen, Erfolg zu haben und eine Karriere praktisch aus dem Nichts zu starten. Für einen Teenager, der sich mit 16 von Zuhause losreißen wollte, regelmäßig verschwand und vom Vater gesucht werden musste, ist das eine reife Leistung.

Pink erlebte den Drogentod naher Freunde. Aber erst die Aussicht, die Kontrolle über ihr Talent zu verlieren, indem sie den unvermeidbaren Weg gehen würde, veranlasste sie dazu, ihre gefährlichen und schlechten Gewohnheiten abzulegen. Zudem wurde ihr schnell klar, dass wenn sie erst einmal in der Musikindustrie auf der Karriereleiter nach oben steigen würde, kein Drogenrausch dieses Gefühl der Hochstimmung ersetzen kann.

„Ich sammelte meine ganze Energie und steckte sie in die Musik. Einen Plattenvertrag zu ergattern, gab mir einen viel intensiveren Kick als jede Droge, die ich genommen hatte. Ich hatte so viel auszudrücken. Ich wollte einfach raus damit, musste stark und konzentriert sein – und so hat sich das mit den Drogen erledigt.“

Beeinflusst von fast jedem Musiker von Bette Midler, Billy Joel, Madonna und Janis Joplin über Don McLean bis hin zu den Rappern 2Pac und Notorious B.I.G., drückte sich Pink schon seit frühester Jugend durch Musik aus. Ihre Texte ließen eine gequälte Seele vermuten. Später beschrieb ihre Mutter diese frühen künstlerischen Emanzipationsversuche: „Die Texte wirkten durch die introspektiven Aussagen. Einige wirkten sehr düster und gingen unter die Haut, was mich schon ängstigte.“

Pink mag damals verwirrt und von zahlreichen Persönlichkeitskrisen geplagt gewesen sein, doch sie war während ihrer „Krisenjahre“ immer noch in der Lage, sich so weit zusammenzureißen, dass sie mit 14 in Clubs in Philadelphia aufzutreten begann. Vielleicht war die Sängerin damals die Quintessenz des Außenseiters, aber sie konnte in der High School genügend Gleichgesinnte finden, um Bands zu gründen.

Ihre erste Gruppe nannte sich Middleground. Der Bekanntheitsgrad der Musiker reichte zwar nie über das Ortsschild von Doylestown hinaus, aber es genügte, um in ständiger Rivalität mit The Jetsists, einer anderen lokalen Band, zu leben. Dadurch steigerte sich die Popularität beider Gruppen, besonders als ein „Battle of the Bands“ in einem Café veranstaltet wurde. Kurz nachdem die Mitglieder von Middleground getrennte Wege gegangen waren, wurde Pink bei einem Auftritt in dem Club Fever in Philadelphia von einem Talentscout der Plattenfirma MCA beobachtet. Pink hatte sich der kurzlebigen Girl-Group Basic Instinct angeschlossen, bevor sie zum R’n’B-Trio Choice wechselte, das als Ausgangspunkt all seiner Aktivitäten Atlanta auswählte. Dort sang sie zusammen mit Sharon Flanagan und Chrissy Conway von der christlichen Girl-Group ZOEgirl. Die Band schickte ein Demo ihres ersten Songs „Key To My Heart“ zu LaFace Records in Atlanta, wo LA Reid, der Chef des Labels, es hörte und die Gruppe dann einfliegen ließ, um sie bei einem Auftritt zu sehen. Reid gehörte zusammen mit seinem Produzentenkumpel Kenneth „Babyface“ Edmonds zu den Vätern des zeitgenössischen R’n’B in den späten Achtzigern und kreierte den Swingbeat/New Jack Swing-Sound, der damals einer Revolution gleichkam.

Vom Gig beeindruckt, bot Reid den Mädchen einen Plattenvertrag an, der auch von den Eltern unterschrieben werden musste, da alle Musikerinnen noch minderjährig waren. Pink, Sharon und Chrissy zogen nach Atlanta um und nahmen ein komplettes Album auf. Obwohl der Song „Key To My Heart“ auf dem Soundtrack des Films Kazaam (1996) erschien, wurde das Album nie veröffentlicht, woraufhin sich die Gruppe auflöste.

Doch das bedeutete für Pink nicht das Ende der Zusammenarbeit mit LaFace – sie blieb als Solo-Act bei dem Label und trug von nun an den Künstlernamen Pink. Dort erhielt sie die Unterstützung des Musikers, Songwriters und Produzenten Daryl Simmons, einem weiteren „Architekten“ des modernen R’n’B. Er ermutigte die junge Frau, die Backing-Vocals für Diana Ross und Tevin Campbell zu singen, letzterer eine weitere Schlüsselfigur, der wie auch Usher und Bobby Brown in die Annalen des New Jack Swing einging, einem Sound, der besonders in den Neunzigern hohe Wellen schlug.

1999 war es dann soweit. Pink veröffentlichte ihr offizielles Debüt als Solokünstlerin mit dem Stück „Gonna Make Ya Move (Don’t Stop)“. Die House/Trance-Nummer erschien bei Activ Records in Großbritannien und erreichte dort im Februar 1999 Platz 196 der Single-Charts, wo sie sich eine Woche lang hielt. Für Pinks Karriere stellte das keinen guten Start dar und bis heute findet der Song kaum Beachtung. Die sehr schwer zu beschaffende Platte wartet immer noch darauf, als Bonustrack auf einem Pink-Album zu erscheinen.

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