Einführung Gesundheitspsychologie

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Aus der Reihe: PsychoMed compact
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Die Sichtweise, die sich aus dem Krankheitsmodell ergibt, ist sehr dogmatisch. Sie spricht einer alkoholsüchtigen Person die Kontrolle über ihr Trinkverhalten ab, sofern keine strikte Abstinenz eingehalten wird. Folglich hat eine alkoholsüchtige Person, die davon überzeugt ist, ihr Alkoholismus sei eine Krankheit, schon mit dem ersten Glas Alkohol das Gefühl, die Kontrolle über ihr Verhalten verloren zu haben. Dies kann in der Folge leicht dazu führen, dass die betroffene Person unkontrolliert weitertrinkt und rückfällig (im Sinne beider Modelle) wird.

Abstinenz-Verletzungs-Effekt

Dieses Phänomen wurde von Marlatt und Gordon (1985) als Abstinenz-Verletzungs-Effekt bezeichnet. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass sich eine eigentlich abstinente Person nach einem initialen Ausrutscher schlecht und schuldig fühlt und die Gründe für diesen internal, stabil und global attribuiert werden, z. B.: „Ich bin zu willensschwach.“ oder „Ich bin alkoholkrank.“ Beides erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen völligen Rückfall. Zum einen versucht die Person möglicherweise, den negativen Gefühlen durch erneuten Alkoholkonsum zu entgehen, was zu einem Teufelskreis führt. Zum anderen führt die ungünstige Attribuierung zu einem Kontrollverlust. Denn Personen versuchen in der Regel nicht, etwas zu kontrollieren, was sie von vorneherein für unkontrollierbar halten: „Jetzt kann ich es sowieso nicht mehr ändern.“ Der Abstinenz-Verletzungs-Effekt spielt eine große Rolle im Modell des Rückfallprozesses von Marlatt (1996), auf das wir im nächsten Abschnitt näher eingehen.

2.2.3 Modell des Rückfallprozesses nach Marlatt

Marlatt und Gordon (1985) haben dem Krankheitsmodell ein Modell gegenübergestellt, das Sucht- und Risikoverhalten aus der sozial-kognitiven Perspektive zu erklären versucht: das Modell des Rückfallprozesses (RP-Modell). Demnach ist eine Alkoholsucht eine erlernte, gewohnte Verhaltensweise, die in einem ebensolchen Lernprozess wieder verändert werden kann. Wichtig ist, dass die Person lernt, die Bedingungen für ihr Trinkverhalten zu identifizieren und damit umzugehen. Im Modell des Rückfallprozesses (RP), das übrigens auf alle Suchtverhalten anwendbar ist, identifiziert Marlatt (1996) verschiedene Bedingungen, die einen Rückfall herbeiführen, sowie kognitive und verhaltensbezogene Strategien, die diesen verhindern können (s. Abb 2.9).

Hochrisikosituationen

Zu den unmittelbaren Bedingungen des Rückfalls gehören primär die Hochrisikosituationen. Damit sind Situationen gemeint, die die Kontrolle einer Person über ihr Verhalten (in der Regel Abstinenz von der Suchtsubstanz) gefährden könnten. Marlatt (1996) konnte vier Situationsklassen identifizieren, die häufig zu einem Rückfall führen. Diese sind:

1. Negative emotionale Zustände, z. B. Angst, Aufregung, Ärger, Depressivität, Frustration, Langeweile.

2. Negative soziale Situationen, z. B. Konflikte in der Familie.

3. Sozialer Druck, z. B. wenn alle Freunde rauchen.

4. Positive emotionale Zustände; Begegnung mit alkoholbezogenen Stimuli; das Austesten der eigenen Willensstärke und unspezifisches Verlangen.

Teilweise werden diese Situationen in der Rückfallliteratur auch in intrapersonale (Punkte 1 und 4 außer „Begegnung mit alkoholbezogenen Stimuli“) und interpersonale (Punkte 2 und 3) Hochrisikosituationen eingeteilt (z. B. Marlatt 1996). Die höchsten Rückfallraten finden sich übrigens bei den negativen emotionalen Zuständen, die das Hauptmotiv für Substanzgebrauch darstellen (Marlatt / Gordon 1985). Wird eine Person nun mit einer solchen Hochrisikosituation konfrontiert, ist ihre Bewältigungskompetenz gefordert.


Abb. 2.9: Modell des Rückfallprozesses (RP-Modell; nach Marlatt 1996)


Rückfallprozess

Denken wir als Beispiel an eine Studentin, die vor kurzem aufgehört hat zu rauchen und jetzt sehr aufgeregt ist, weil sie gleich eine wichtige Prüfung ablegen muss (= Hochrisikosituation: negativer emotionaler Zustand). Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Entweder die Studentin gibt der Aufregung nach und bittet jemanden um eine Zigarette, um sich zu beruhigen, oder sie geht z. B. im Kopf noch einmal den Prüfungsstoff durch. Die erstgenannte Möglichkeit wäre natürlich im Sinne des Nichtrauchens eine nicht erfolgreiche Bewältigung (in Abb. 2.9 unterer Pfad). Während dagegen die zweite Strategie diesbezüglich eine erfolgreiche Bewältigungsstrategie darstellen würde (in Abb. 2.9 oberer Pfad). Durch das Meistern der Hochrisikosituation kann gleichzeitig die Selbstwirksamkeit unserer Studentin gestärkt werden. Dies führt zu einem geringeren Risiko für einen Rückfall. Wenn die Studentin hingegen das Gefühl hat, dass sie nur durch das Rauchen beruhigt werden kann (nicht-adaptive Bewältigung), sinkt ihre Selbstwirksamkeit, dem Rauchen auch in schwierigen Situationen widerstehen zu können. Ebenso werden ihre positiven Handlungsergebniserwartungen für das Rauchen gestärkt. („Rauchen beruhigt mich“). Weitere Ausrutscher werden dadurch wahrscheinlicher.

Ausrutscher

Nach einem Ausrutscher muss es dem Rückfallprozessmodell zufolge nicht notgedrungen zu einem kompletten Rückfall kommen. Dies ist eine der wichtigsten Unterschiede zum Krankheitsmodell, in dem ein Ausrutscher im Marlatt’schen Sinne schon als Rückfall angesehen wird. Nach dem Rückfallprozessmodell hängt es nämlich von der Ursachenzuschreibung (Attribution) der besagten Studentin ab, ob der Abstinenz-Verletzungs-Effekt eintritt. Attribuiert die gestresste Studentin ihren Ausrutscher z. B. external, stabil und spezifisch, also auf diese Prüfungssituation, die sehr aufregend und schwer zu meistern war, kann es bei dem einmaligen Ausrutscher bleiben. Zusätzlich könnte die Studentin in diesem Fall noch lernen, dass sie sich auf solche (Hochrisiko-)Situationen besser vorbereiten muss, um der Zigarette widerstehen zu können. Attribuiert sie ihren Ausrutscher aber auf internale, stabile und globale Faktoren („Ich bin einfach generell nicht in der Lage, mit dem Rauchen aufzuhören“), könnte der Abstinenz-Verletzungs-Effekt zum Tragen kommen und aus dem Ausrutscher ein vollständiger Rückfall werden.

Über diese unmittelbaren Einflüsse hinaus, spezifiziert Marlatt auch noch verdeckte Vorbedingungen von Hochrisikosituationen (Larimer et al. 1999). Dazu gehören z. B. die „offenbar irrelevanten Entscheidungen“ (engl.: apparently irrelevant decisions). Damit sind Entscheidungen und die damit verbundenen Handlungen gemeint, die erst auf den zweiten Blick mit dem Suchtverhalten zu tun haben. Beispielsweise könnte eine abstinente Person nur für den Fall, dass Freunde vorbeikommen, Alkohol kaufen. Dadurch ist der Alkohol verfügbar und Ausrutscher werden wahrscheinlicher (Marlatt 1996; Larimer et al. 1999).

Interventionen

Das Rückfallmodell von Marlatt bietet direkte Ansatzpunkte für Interventionen. So würde z. B. ein Therapeut mit einem Klienten zunächst einmal versuchen, ganz persönliche Hochrisikosituationen zu identifizieren und geeignete Bewältigungsmöglichkeiten für solche Situationen aufzuzeigen und einzuüben. Ebenso wird für Interventionen empfohlen, die Selbstwirksamkeit zu erhöhen und mit Mythen, die die Suchtsubstanz betreffen (z. B. Rauchen entspannt) aufzuräumen. Damit können die positiven Handlungsergebniserwartungen für den Substanzgebrauch gegen negative ausgetauscht werden. Angelehnt an die kognitive Verhaltenstherapie wird auch eine kognitive Umstrukturierung empfohlen: Die betroffenen Personen sollen lernen, ihre Ausrutscher als ganz normale Fehler im Lernprozess anzusehen, die eine gute Möglichkeit bieten, daraus für die Zukunft zu lernen, anstatt ihnen die Bedeutung des völligen Versagens beizumessen.


In einer Metaanalyse von Irvin und Kollegen (1999) wurde die Effektivität der Interventionen, die aus dem Rückfallprozessmodell resultieren, auch empirisch unterstützt. In diese Metaanalyse gingen 22 publizierte und 4 nicht publizierte Studien aus den Jahren 1978 bis 1995 ein, die explizit Interventionen, die auf das Rückfallprozessmodell von Marlatt und Gordon (1985) zurückgehen, mit anderen Interventionsansätzen oder einer Kontrollgruppe (die keine Intervention erhielt), verglichen. Es zeigte sich, dass die Interventionen des RP-Modells insgesamt gut funktionierten und vor allem bei Alkohol und multiplem Substanzgebrauch sehr wirksam waren. Weniger effektiv schienen die auf dem RP-Modell basierenden Interventionen bei der Raucherentwöhnung und der Aufgabe des Kokainkonsums zu sein. Darüber hinaus berichteten Patienten, die an einer RP-Intervention teilgenommen hatten, ein deutlich höheres Wohlbefinden als solche, die nach anderen oder gar keinem Rückfallmodell behandelt worden waren.

 

Das Anwendungsgebiet des RP-Modells beschränkt sich nicht auf Suchtverhalten, sondern wurde auch bei anderen Verhaltensweisen erfolgreich eingesetzt: z. B. Depression (Katon et al. 2001), Schizophrenie (Herz et al. 2000), Übergewicht (Perry et al. 2001) und Panikstörungen (Bruce et al. 1999).


Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit gibt es auch kritische Stimmen zu Marlatts Rückfallprozessmodell. Beispielsweise wird angemerkt, dass Marlatt eine zu starre hierarchische Ordnung der Faktoren, die zu einem Rückfall führen, annimmt (Longabaugh et al. 1996). Um diese Kritik zu entschärfen, stellen Witkiewitz und Marlatt (2004) eine Revision ihres Modells vor. Zwar bleiben die Faktoren des Modells dabei inhaltlich unberührt, das überarbeitete Modell bezieht sich jedoch im Gegensatz zum früheren statischen Rückfallprozessmodell mehr auf situationale Dynamiken. So wurde die Annahme einer hierarchischen Ordnung rückfallfördernder Faktoren im neuen Modell aufgegeben. Stattdessen kann nach dem neuen Modell die Bewältigung einer Hochrisikosituation sowohl das Verhalten beeinflussen als auch im Gegenzug das Verhalten (z. B. Alkoholkonsum) die nachfolgende Bewältigungsreaktion.

Insgesamt erscheint dieses neue Modell sehr komplex und wird damit vermutlich dem Prozess des Rückfalls eher gerecht als das frühere statische Modell. Dennoch muss die empirische Unterstützung des neuen Modells erst noch erbracht werden. Die Umsetzung dieses neuen Modells in Studien dürfte sich aufgrund der komplexeren Zusammenhänge erheblich schwieriger gestalten als die empirische Überprüfung des alten RP-Modells, so dass man auf die zukünftige Forschung gespannt sein darf.

Im letzten Abschnitt dieses Kapitels gehen wir auf verschiedene spezielle Gesundheitsverhaltensweisen genauer ein.

2.3 Spezielle gesundheitsrelevante Verhaltensweisen

2.3.1 Rauchen

„Eine Zigarette ist das einzige legal erwerbbare Konsumprodukt, das durch ganz normalen Gebrauch tötet.“ (übers. aus http://www.who.int/features/2003/08/en/)

Rauchstatistiken

Zigarettenrauchen ist in Deutschland immer noch weit verbreitet. Gemäß der repräsentativen Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA), die 2012 durch das Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde, rauchen 27,6% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren (Robert Koch-Institut 2014a). Von den Männern rauchen 31,4% täglich oder gelegentlich, bei den Frauen sind es 23,9% tägliche oder gelegentliche Raucherinnen. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern ist der Anteil Rauchender mit Bildung verbunden: Über alle Altersklassen hinweg rauchen mehr Frauen und Männer in der unteren Bildungsgruppe als in der mittleren oder oberen Bildungsgruppe. Ebenfalls gleich für Frauen und Männer ist, dass der Anteil Rauchender bei den 18- bis 44-Jährigen höher ist als bei den über 45-Jährigen. Insgesamt ist aber der Anteil der Raucherinnen und Raucher in der Bevölkerung seit 2003 rückläufig. Das zeigt sich erfreulicherweise auch darin, dass sich der Anteil Jugendlicher, die neu mit dem Rauchen beginnen, ebenfalls stark zu reduzieren scheint (Robert Koch-Institut 2014a).

Rauchen und Morbidität

Schon in den 30er Jahren wurde der Zusammenhang zwischen Krebsentstehung und Zigarettenrauchen sowie die kürzere Lebenserwartung von Rauchern gegenüber Nichtrauchern statistisch belegt (Elbert / Rockstroh 1993). Seither sind international zahlreiche Studien durchgeführt worden, die den Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und erhöhtem Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko bestätigen (z. B. Jacobs et al. 1999; Prescott et al. 1998). Es kann als erwiesen gelten, dass Rauchen zur Entstehung zahlreicher Krebsarten (z. B. Lungen-, Kehlkopf-, Speiseröhren-, Gebährmutterhals-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen-, Harnblasen- und Nierenkrebs) signifikant beiträgt. Beispielsweise können 90 % der Lungenkrebsfälle auf das Rauchen zurückgeführt werden (Deutsches Krebsforschungszentrum 2002). Auch das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten wie koronare Herzkrankheit und Schlaganfall ist bei Rauchern entscheidend erhöht.

Passivrauchen und Morbidität

Selbst Passivrauchen erhöht das Gesundheitsrisiko. Wie eine Metaanalyse über 19 Studien ergab, ist für Nichtraucher das Risiko, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken, um 23 % erhöht, wenn sie mit einem rauchenden Ehepartner zusammenleben (Law et al. 1997). Ebenso fatal ist das Rauchen von Müttern während und nach der Schwangerschaft. Der Zigarettenkonsum der Mutter kann u. a. zu Spontanaborten, Komplikationen in der Schwangerschaft, geringerem Wachstum beim Ungeborenen, geringerem Geburtsgewicht, zu Frühgeburten und plötzlichem Kindstod führen (z. B. Anderson / Cook 1997).

Langzeitfolgen

Eine der bisher längsten Studien zum Gesundheitsrisiko bei Rauchern verlief über einen Zeitraum von 40 Jahren, zwischen 1951 und 1991. Sie wurde mit 34.439 männlichen britischen Ärzten durchgeführt (Doll et al. 1994). Durch die lange Zeitspanne ergaben sich interessante Einsichten in die Langzeiteffekte des Rauchens: Die Anzahl der Todesfälle in den ersten 20 Jahren der Studie unterschied sich zwar nicht von der während der dritten und vierten Dekade der Studie (jeweils ungefähr 10.000), aber in diesen letzten beiden Dekaden waren deutlich mehr Todesfälle auf das Rauchverhalten zurückzuführen. Vor allem in der Gruppe der mittelalten Personen, mit 45 bis 64 Jahren, stieg das Mortalitätsrisiko von Rauchern verglichen mit lebenslangen Nichtrauchern von einem zweifachen auf ein dreifaches Risiko an. Die gesundheitsschädigenden Effekte des Zigarettenrauchens zeigen sich offenbar erst mit einer deutlichen Zeitverzögerung.

Die Studie betont übrigens auch, dass es sich sogar noch im mittleren Erwachsenenalter lohnt, mit dem Rauchen aufzuhören. Auch dann kann die Lebenserwartung immer noch deutlich gegenüber den Personen, die weiterhin rauchen, gesteigert werden. Allerdings ist der Gewinn umso größer, je früher das Rauchen aufgegeben wird. Die Vorteile, mit dem Rauchen aufzuhören, sind also in der Tat zahlreich. So kann nicht nur das Mortalitätsrisiko, sondern auch das Morbiditätsrisiko mit der Aufgabe des Rauchens deutlich gesenkt und die Lebensqualität erhöht werden. Dies verdeutlicht Kasten 2.3.

Rauchen: eine Sucht

Der Rauch von Zigaretten enthält über tausend verschiedene Inhaltsstoffe. Diese lassen sich grob einteilen in Nikotin, Kohlenmonoxid und Kondensate, umgangssprachlich Teer. Dabei ist das Nikotin für die körperliche Abhängigkeit verantwortlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass über 80 % der Raucherinnen und Raucher die Kriterien der internationalen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-5) für Abhängigkeit erfüllen (Jarvis / Sutherland 2001). Die Zeit bis zur ersten Zigarette nach dem Aufstehen ist übrigens ein sehr valider Indikator für den Grad der Abhängigkeit eines Rauchers (Jarvis / Sutherland 2001).

Nach der letzten Zigarette eines Rauchers

20 Minuten:

Herzrate und Blutdruck sinken.

Zwölf Stunden:

Kein giftiges Kohlenmonoxid mehr im Blut.

Zwei Wochen bis drei Monate:

Kreislauf und Lungenfunktion verbessern sich.

Ein bis neun Monate:

Raucherhusten und Kurzatmigkeit nehmen ab.

Ein Jahr:

Das vormals erhöhte Risiko einer koronaren Herzerkrankung ist halb so groß wie bei Rauchenden.

Fünf Jahre:

Risiko für Mund-, Hals-, Speiseröhren- und Blasenkrebs sinken um die Hälfte. Risiko für Gebärmutterhalskrebs und Schlaganfall ist das von Nichtrauchenden.

Zehn Jahre:

Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, ist nur noch halb so groß wie bei Rauchenden. Risiko für Kehlkopf- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sinkt.

15 Jahre:

Risiko für koronare Herzkrankheit wie bei Nichtrauchenden.

Kasten 2.3: Veränderungen nach der Aufgabe des Rauchens (aus http://www.cancer.org/acs/groups/cid/documents/webcontent/002971-pdf.pdf), 09.06.2016

Es gibt eine ganze Reihe Theorien darüber, warum Menschen rauchen. Zum einen gibt es rein physiologische Erklärungsmodelle, wie etwa die Nikotinregulationstheorie (McMorrow / Foxx 1983). Hier wird angenommen, dass Raucher vor allem deshalb rauchen, um Entzugserscheinungen vorzubeugen. Das würde aber z. B. nicht erklären, warum Nikotinersatzpräparate (Nikotinpflaster, Nikotinkaugummis, etc.) dann nicht allen Aufhörwilligen erfolgreich beim Aufhören helfen können. Zur Abhängigkeit beim Rauchen gehört also ganz sicher auch eine psychische Komponente. Alle Interventionen, die dies unberücksichtigt lassen, müssen notwendigerweise fehlschlagen. Es gibt zahlreiche Theorien, die speziell für das Rauchverhalten entwickelt wurden und somit über die üblichen Gesundheitsverhaltensmodelle hinausgehen.

Einen guten Überblick über diese Theorien geben Fuchs und Schwarzer (1997). Die psychologischen Theorien zum Rauchen haben eines gemeinsam: Sie betrachten das Rauchen, so wie die meisten anderen Risikoverhaltensweisen, als gelerntes Gewohnheitsmuster, das bestimmte regulative Funktionen erfüllt, wie z. B. Entspannung. Durch diese regulativen Effekte wird das Rauchen positiv verstärkt und so längerfristig aufrechterhalten.


Rauchentwöhnung

Aber auch die Theorien des Gesundheitsverhaltens, die wir in diesem Kapitel kennen gelernt haben, regen Studien zum Rauchen an. Beispielsweise wurden in einer Studie zur Rauchentwöhnung von Segan und Kollegen (2002), in der das Transtheoretische Modell (TTM; Prochaska / DiClemente 1983) als Rahmenmodell diente, 193 Personen zwischen 17 und 77 Jahren per Telefoninterview befragt. Sie hatten sich bei einer Telefonhotline für Rauchentwöhnung gemeldet. Die Selbstwirksamkeit erwies sich als wichtiger Prädiktor für den Versuch aufzuhören sowie für die erfolgreiche Abstinenz vom Rauchen für sieben Tage oder länger. Allerdings zeigte sich keine Evidenz für Effekte der Prozesse der Verhaltensänderung, wie sie im TTM angenommen werden.


Rauchverhalten

In einer weiteren Studie von Higgins und Conner (2003) wurde die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1991) auf das Rauchverhalten von 162 Jugendlichen zwischen 11 und 12 Jahren angewendet. Zusätzlich wurde eine Ausführungsplanungs-Intervention durchgeführt. Alle Jugendlichen erhielten Informationen über das Rauchen. Weiterhin wurde etwa die Hälfte der Jugendlichen gebeten, Ausführungspläne darüber aufzustellen, wie, wo und wann sie dem Rauchen widerstehen könnten. Die anderen Jugendlichen wurden der Kontrollgruppe zugeteilt und stellten Ausführungspläne auf, wann, wo und wie sie ihre Schularbeiten machen wollten. Acht Wochen nach der ersten Befragung und der Intervention wurden die Jugendlichen nach ihren Intentionen, nicht zu rauchen, und ihrem Rauchverhalten befragt. Die Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens konnten die Intention und das Rauchverhalten gut vorhersagen. Entgegen der üblichen klaren Effekte der Ausführungsplanung auf das Verhalten war dies in dieser Studie etwas weniger deutlich ausgeprägt. Zwar rauchten die Jugendlichen, die die rauchbezogenen Ausführungspläne aufgestellt hatten, weniger als die Kontrollgruppe. Jedoch waren diese Ergebnisse nicht signifikant. Dies liegt möglicherweise daran, dass die Unterlassung von Verhaltensweisen nicht so gut mit Ausführungsplänen gefördert werden kann. Hier ist in jedem Fall noch weitere Forschung erforderlich.

 

2.3.2 Ernährung

Eine ungesunde Ernährung ist mitverantwortlich für eine ganze Reihe von Krankheiten, z. B. Diabetes Typ 2, Krebs oder koronare Herzkrankheit. Diese negativen Effekte ungesunder Ernährung sind zu einem Großteil durch das oft damit zusammenhängende Übergewicht vermittelt. Allerdings kann auch bei normalgewichtigen Personen eine ungesunde Ernährung bestimmte Mangelerscheinungen hervorrufen. Eine ausgewogene Ernährung kann dagegen vor Erkrankungen schützen sowie für die Reduzierung oder gar Heilung ernährungsbedingter Krankheiten sorgen.

gesunde Ernährung: Quantitäten

Was heißt also gesunde Ernährung? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für gesunde Erwachsene mit Hilfe des Ernährungskreises, die tägliche Ernährung so zusammenzustellen, dass sie aus einem großen Anteil Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln (z. B. 200–300g Brot und 200–250g Kartoffeln oder Nudeln), mindestens 400g Gemüse, mindestens 250g Obst, ca. 200–250g fettarme Milch / Milchprodukte und 50–60g Käse, bis zu 15g Öl und bis zu 30g Margarine oder Butter sowie rund 1,5 Liter Flüssigkeit besteht. Wöchentlich sollen nicht mehr als 600g Fleisch und Wurst, ca. 80– 150g fettarmer und 70g fettreicher Seefisch sowie Eier in Maßen verzehrt werden. Süßigkeiten und Knabberartikel sind nicht verboten, aber gemäß des Auftrags der DGE, Empfehlungen für eine gesunde Ernährung abzugeben, natürlich auch nicht explizit im Ernährungskreis enthalten (www.dge-ernaehrungskreis.de)

gesunde Ernährung: Qualitäten

Neben dieser quantitativen Empfehlung für die relativen Anteile verschiedener Lebensmittelgruppen gibt die DGE auch noch Empfehlungen für die Art der verzehrten Lebensmittel aus. Es wird dazu geraten, sich möglichst vollwertig zu ernähren. Das heißt z. B. viele Ballaststoffe (bis zu 30 Gramm am Tag) und mindestens fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag in den Speiseplan aufzunehmen. Genauer ist die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, dass man täglich mindestens 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst verzehren sollte. Aktuelle Daten aus der repräsentativen Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA), die 2012 durch das Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde, zeigen, dass immerhin 69,5% der Frauen und 48% der Männer mindestens einmal täglich Obst essen (Robert Koch-Institut 2014b). Allerdings bedeutet das umgekehrt auch, dass sicher knapp ein Drittel der Frauen bzw. fast die Hälfte der Männer im Sinne der DGE zu wenig Obst konsumieren. Noch etwas ungünstiger sieht es hinsichtlich des Gemüsekonsums aus: 52,5% der Frauen und 35,8% der Männer geben an, jeden Tag Gemüse zu essen. Gesamthaft essen also nur 44,4% der Deutschen Erwachsenen täglich Gemüse (Robert Koch-Institut 2014c).

Um eine vollwertige Ernährung zu gewährleisten, hat die DGE zehn Regeln aufgestellt (s. Kasten 2.4). Dabei wird ausdrücklich erwähnt, dass diese Regeln sich an gesunde Menschen wenden. Für bestimmte Personengruppen, wie etwa Diabetiker, ergeben sich nämlich andere Empfehlungen.

1. Vielseitig essen

Es gibt keine verbotenen Lebensmittel. Stattdessen sollte der Speiseplan vielseitig sein, um so eine ausreichende Versorgung mit Nährstoffen zu gewährleisten.

2. Reichlich Getreideprodukte und Kartoffeln

Empfohlen werden vor allem Vollkornprodukte, also Vollkornbrot oder Getreideflocken und Kartoffeln. Diese decken teilweise den Vitamin-, Mineralstoff- und Ballaststoffbedarf und sind dabei relativ fettarm.

3. Gemüse und Obst – Nimm „5“ am Tag

Gemüse und Obst enthalten wichtige Inhaltsstoffe. Die 5-am-Tag-Regel bedeutet einfach, täglich fünf Hände voll Obst und Gemüse zu essen.

4. Täglich Milch und Milchprodukte, ein- bis zweimal in der Woche Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen

Fleisch und Fleischprodukte enthalten wertvolle Nährstoffe, aber auch relativ viel Fett, Purine und Cholesterin. Sie sollten deshalb nicht übermäßig verzehrt werden (nicht mehr als 300–600 g pro Woche). Seefisch enthält gesundes Jod und Omega-3-Fettsäuren. Bei Milch und Milchprodukten werden ebenfalls fettarme Varianten empfohlen, um den Fettkonsum zu reduzieren.

5. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel

Fett ist ein lebenswichtiger Bestandteil der Nahrung. Allerdings konsumieren wir meist zu viel und auch eher die ungesunden gesättigten Fettsäuren, wie sie z. B. in Schokolade enthalten sind. Man sollte nicht mehr als 60 bis 80 Gramm Fett täglich zu sich nehmen und dieses möglichst in Form von pflanzlichen Fetten, denn diese enthalten viele ungesättigte Fettsäuren und kein Cholesterin.

6. Zucker und Salz in Maßen

Zucker gehört zwar auch zu den Kohlenhydraten, aber der Nährstoffgehalt von Industriezucker ist gleich Null. Deshalb empfiehlt die DGE, nur gelegentlich Zucker zu sich zu nehmen. Salz sollte vornehmlich als Jodsalz aufgenommen werden, aber auch dieses sparsam.

7. Reichlich Flüssigkeit

Auch das Trinken gehört zu einer ausgewogenen Ernährung. Mindestens 1,5 Liter kalorienarme Flüssigkeit sollten täglich getrunken werden. Alkohol sollte dagegen nur selten und in kleinen Mengen konsumiert werden.

8. Schmackhaft und schonend zubereiten

Die Zubereitung der Speisen ist wichtig für die Bewahrung der Nährstoffe und die Vermeidung schädlicher Verbindungen. Obst oder Gemüse sollte z. B. nicht durchgekocht, sondern nur kurz gegart werden. Dadurch bleiben die Inhaltsstoffe erhalten.

9. Nehmen Sie sich Zeit, genießen Sie Ihr Essen

Essen in Hektik und Eile ist zwar manchmal unvermeidbar, aber es lohnt sich, sich dafür Zeit zu nehmen. Wer bewusst isst, bemerkt z. B. eher sein Sättigungsgefühl und kaut sorgfältiger, so dass das Essen besser verdaut werden kann.

10. Achten Sie auf Ihr Wunschgewicht und bleiben Sie in Bewegung

Nur wer gemäß seinem Energiebedarf isst, kommt zu seinem Idealgewicht. Körperliche Bewegung und Sport (30–60 Minuten täglich) ist neben einer gesunden Ernährung ein unerlässlicher Bestandteil eines gesunden Lebens.

Kasten 2.4: Zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur vollwertigen Ernährung (http://www.dge.de/pdf/10-Regeln-der-DGE.pdf)

ernährungsbedingtes Übergewicht

Das größte gesundheitliche Problem ungesunder Ernährung bleibt das ernährungsbedingte Übergewicht. Ob eine Person übergewichtig ist, kann man anhand ihres Body Mass Index (BMI) feststellen. Der Body Mass Index errechnet sich aus Körpergewicht und Körpergröße nach folgender Formel:


Eine 1,70 Meter große Person, die 60 Kilogramm wiegt, hat also nach dieser Formel einen BMI von 21 und liegt damit im Bereich des Normalgewichts. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat folgende Richtlinien zur Klassifikation von Körpergewicht herausgegeben: Ein BMI unter 18,5 bedeutet Untergewicht, ein BMI von 18,5 bis 24,9 Normalgewicht, der Bereich 25 bis 29,9 Übergewicht, 30 bis 34,9 zählt als Adipositas Grad I (mäßig), 35 bis 39,9 als Adipositas Grad II (deutlich) und ein BMI über 40 als Adipositas Grad III (extrem) (http://www.who.int/features/factfiles/obesity/facts/en/). Übergewicht wird nicht, Adipositas dagegen schon als Krankheit eingestuft. Zusätzlich wird die Einteilung nach dem BMI noch für Alter und Geschlecht adjustiert.

Die Anzahl übergewichtiger und adipöser Personen nimmt weltweit zu. Insbesondere in den Ländern, in denen ein Nahrungsmittelüberfluss mit hochkalorischer Nahrung und Inaktivität einhergeht, steigt die Zahl der Übergewichtigen. Beunruhigend ist insbesondere, dass immer mehr Kinder und Jugendliche dazugezählt werden müssen (Benecke / Vogel 2003). Im Jahr 2012 waren 36,2% der erwachsenen bundesdeutschen Bevölkerung übergewichtig und 16,5% fettleibig (adipös). D. h. dass mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland mindestens übergewichtig sind (Robert Koch-Institut 2014d). Neben einer genetischen Komponente ist Übergewicht stark durch das Verhalten der Personen beeinflusst. Sowohl ungesunde Ernährung als auch Bewegungsmangel und Alkoholkonsum tragen zur Entstehung von Übergewicht und Adipositas maßgeblich bei.

Prädikatoren des Essverhaltens

Das Essverhalten ist durch viele Faktoren bestimmt. So haben etwa auch kulturelle Normen, wie z. B.: „Man muss immer seinen Teller leer essen“, einen Einfluss auf die Essgewohnheiten. Uns interessieren hier natürlich besonders die psychologischen Einflussgrößen auf das Essverhalten. Im Bereich Ernährung beforschen Gesundheitspsychologen in der Regel bestimmte Aspekte des Essverhaltens, wie den Snackkonsum oder die Häufigkeit des Obst- und Gemüseverzehrs.


Beispielsweise untersuchten Povey und Kollegen (2000) zwei Ernährungsverhaltensweisen mit Hilfe der Theorie des geplanten Verhaltens (TPB; Ajzen 1991): 1. das Essen von fünf Portionen Obst und Gemüse täglich und 2. eine fettarme Ernährung. Weiterhin wurde hier die Rolle der Selbstwirksamkeit untersucht, die eigentlich nicht in der TPB enthalten ist. Insgesamt wurden 287 Personen befragt, von diesen füllten 144 Personen einen Fragebogen zum Obst- und Gemüse-Konsum und 143 Personen einen Fragebogen zur fettarmen Ernährung aus. In diesen Fragebögen wurden die Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens (Einstellung, subjektive Norm, wahrgenommene Verhaltenskontrolle, Intention und zusätzlich die Selbstwirksamkeit) erfasst.

Einen Monat später wurden die Personen dann zu ihrem tatsächlichen Ernährungsverhalten befragt. Die Ergebnisse bestätigten sowohl die gute Vorhersagekraft der Variablen der TPB für die Intention, Obst und Gemüse zu konsumieren (57 % Varianzaufklärung), als auch für die Intention zur fettarmen Ernährung (64 % Varianzaufklärung). Die Varianzaufklärung im Verhalten fiel allerdings etwas geringer aus (19 % für den Obst- und Gemüsekonsum und 32 % für die fettarme Ernährung). Insgesamt erwies sich in dieser Studie die Selbstwirksamkeit als besserer Prädiktor als die wahrgenommene Verhaltenskontrolle.

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