Einführung Gesundheitspsychologie

Text
Aus der Reihe: PsychoMed compact
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Theorie der Handlungsveranlassung beschränkt sich auf Einstellungen und subjektive Norm als Prädiktoren der Intention. Das bedeutet, dass sich die Theorie nur auf Situationen anwenden lässt, die vollständig der volitionalen Kontrolle von Personen unterliegen. Sobald es um die Vorhersage von Verhalten geht, bei dem bestimmte Schwierigkeiten auftreten, die außerhalb der Kontrolle der Personen liegen (z. B. wenn trotz hoher Intentionen Ski zu laufen, kein Schnee liegt), kann das Verhalten durch die Theorie der Handlungsveranlassung nicht mehr gut vorhergesagt werden (Fishbein 1993). Dieses Problem löst die Theorie des geplanten Verhaltens durch die Berücksichtigung eines weiteren Prädiktors der Intention und des Verhaltens, nämlich der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ist definiert als die subjektiv wahrgenommene Schwierigkeit, ein Verhalten auszuführen. Wenn eine Person es beispielsweise schwierig findet, fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag zu essen, weil in der Betriebskantine und Cafeteria kein entsprechendes Angebot besteht, wird das ihre Intention, die entsprechende Menge Obst und Gemüse zu essen, vermutlich beeinflussen. Auch die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird in den meisten Studien direkt erfragt (s. Kasten 2.2).

Allerdings gehen auch hier den theoretischen Annahmen zufolge weitere spezifische Überzeugungen der Verhaltenskontrolle voraus: die Kontrollüberzeugungen. Diese können sowohl internaler, z. B. wahrgenommene Ressourcen, Fähigkeiten oder Emotionen, als auch externaler Natur sein, z. B. günstige Gelegenheiten oder Hindernisse, und die Ausführung des Verhaltens erleichtern oder erschweren (s. Kasten 2.2, Ajzen 1991). Um die wahrgenommene Verhaltenskontrolle zu erfassen, werden die Kontrollüberzeugungen noch mit der jeweiligen subjektiven Stärke, mit der so ein Kontrollfaktor das Verhalten erleichtert oder erschwert, multipliziert und dann aufsummiert.

Obwohl diese verschiedenen Überzeugungen als Vorläufer der Einstellung, subjektiven Norm und wahrgenommenen Verhaltenskontrolle in der Theorie vorgesehen sind, werden die Konstrukte in den meisten Studien – sicherlich auch aus ökonomischen Gründen – direkt erfasst. Beispiele für die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Konstrukte der Theorie des geplanten Verhaltens zu erfassen, finden sich im Kasten 2.2 (siehe auch http://people.umass.edu/aizen/pdf/tpb. measurement.pdf, 08.06.2016).

1a. Direkte Erfassung der Einstellung

Fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag zu essen ist für mich


schädlichförderlich
angenehmunangenehm
gutschlecht
wertloswertvoll
erfreulichunerfreulich

1b. Indirekte Erfassung der Einstellung

Überzeugung von Verhaltenskonsequenzen

Wenn ich fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag esse, schütze ich mich vor Krankheiten.


sehr unwahrscheinlichsehr wahrscheinlich

Bewertung der Verhaltenskonsequenzen

Mich vor Krankheiten zu schützen ist


extrem schlechtextrem gut.

2a. Direkte Erfassung der subjektiven Norm

Die meisten Personen, die mir wichtig sind, finden,


dass ichdass ich nicht

fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag essen sollte.

2b. Indirekte Erfassung der subjektiven Norm

Normative Überzeugungsstärke

Meine Familie findet,


dass ichdass ich nicht

fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag essen sollte.

Einwilligungsbereitschaft

Wie sehr sind Sie bereit, das zu tun, was Ihre Familie von Ihnen erwartet?


überhaupt nichtganz extrem

3a. Direkte Erfassung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle

Fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag zu essen ist für


mich völlig unmöglichsehr gut möglich.

3b. Indirekte Erfassung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle

Kontrollüberzeugung

Ich habe viele Möglichkeiten, fünf Portionen Obst und Gemüse zu essen.


stimmt gar nichtstimmt genau

Stärke der Erschwerung / Erleichterung durch die Kontrollfaktoren

Viele Möglichkeiten zu haben, fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag zu essen, macht es


unwahrscheinlicherwahrscheinlicher,

dies tatsächlich zu tun.

4. Intention

Ich nehme mir vor, fünf Portionen Obst oder Gemüse am Tag zu essen.


stimmt gar nichtstimmt genau

Kasten 2.2: Itembeispiele der Theorie des geplanten Verhaltens

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle soll als einziger der drei Prädiktoren der Intention nicht nur diese, sondern auch das Verhalten direkt beeinflussen (s. Abb. 2.3). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine Person auch mit den besten Intentionen nur dann ein Verhalten ausführen kann, wenn sie auch die Gelegenheit oder die Fähigkeit dazu hat. Genau genommen müsste ebenso die tatsächliche Verhaltenskontrolle erfasst und in das Modell aufgenommen werden. Da diese schwer zu operationalisieren ist, begnügt man sich mit der Berücksichtigung der wahrgenommenen Kontrolle (Conner / Sparks 2015).

Verhaltenskontrolle und SWE

Die Definition der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, also die eingeschätzte Schwierigkeit, ein Verhalten auszuführen, erinnert an die Definition der Selbstwirksamkeit (SWE) von Bandura (1997). Bei der Selbstwirksamkeit geht es um die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein bestimmtes Verhalten ausführen zu können. Tatsächlich beschreibt Ajzen die wahrgenommene Verhaltenskontrolle in einem 2002 erschienenen Artikel auch als übergeordnetes Konstrukt, das sich aus wahrgenommener Kontrollierbarkeit und Selbstwirksamkeitserwartungen zusammensetzt (Ajzen 2002). Er empfiehlt, je nach Anwendungsgebiet entweder die Kontrollierbarkeit oder die Selbstwirksamkeit oder auch beide Konstrukte zu erfassen. Möglicherweise reagiert Ajzen damit auf die wiederkehrende Kritik, die Selbstwirksamkeit nicht in die Theorie des geplanten Verhaltens integriert zu haben, sondern auf dem neuen und weniger gut bewährten Konstrukt der Verhaltenskontrolle zu beharren.


Abb. 2.3: Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, TPB; nach Ajzen 1985; 2002; Kernkomponenten sind fett gedruckt)

distale Prädiktoren

Über die bisher vorgestellten Bestandteile hinaus, beziehen sowohl die Theorie der Handlungsveranlassung als auch die Theorie des geplanten Verhaltens noch distale („weiter entfernte“) Faktoren ein: z. B. soziodemografische Variablen, Einstellungen zu Objekten und Persönlichkeitsmerkmale, die den spezifischen Überzeugungen vorangestellt sind. Allerdings nehmen beide Theorien an, dass diese distalen Faktoren über die Kernkonstrukte Einstellung, subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle auf Intention und Verhalten wirken.

 

Die Theorie des geplanten Verhaltens ist zur Vorhersage und Erklärung zahlreicher Gesundheitsverhaltensweisen eingesetzt worden (Conner / Sparks 2015): körperliche Aktivität (z. B. Rivis / Sheeran 2003), Alkohol- und Tabakkonsum (z. B. Johnston / White 2003), Ernährung (z. B. Conner et al. 2002), Krebsvorsorge (z. B. Drossaert et al. 2003), HIV-Prävention (z. B. Albarracin et al. 2005) und Sonnenschutzverhalten (F. Jones et al. 2001).


Bestehende Überblicksarbeiten und Metaanalysen zu diesem Modell zeigen, dass die Intention durch die Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens recht gut, das Verhalten hingegen weniger zufrieden stellend vorhergesagt werden (z. B. Sheeran 2002). Das liegt daran, dass Intention und wahrgenommene Verhaltenskontrolle hier die einzigen Prädiktoren für das Verhalten sind. Warum diese beiden Prädiktoren für die Vorhersage von Verhalten unzureichend sind, wird in späteren Abschnitten erläutert.

2.1.4 Die Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory, PMT)

Die Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory, PMT; Rogers 1975, 1983) wurde ursprünglich im Rahmen der Risikokommunikationsforschung entwickelt, um die Wirkung von Furchtappellen auf die Bildung einer Schutzmotivation sowie auf nachfolgendes Verhalten zu untersuchen. In der revidierten Version der Theorie (Maddux / Rogers 1983; Rogers 1983) werden neben den Furchtappellen noch weitere umweltbezogene (z. B. Beobachtungslernen) und intrapersonale Prädiktoren bzw. Informationsquellen (z. B. Persönlichkeitsmerkmale) berücksichtigt. Es wird angenommen, dass bei der Wahrnehmung von gesundheitsrelevanter Information (umweltbezogene und intrapersonale Faktoren) zwei Bewertungsprozesse angestoßen werden, die dann die Bildung einer Schutzmotivation, d. h. Intention, beeinflussen. Diese Bewertungsprozesse sind die Bedrohungseinschätzung und die Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten einer Person.

Bedrohungseinschätzung

Die Bedrohungseinschätzung ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung darüber, ob ein bestimmtes Verhalten (z. B. Rauchen) aufrechterhalten werden sollte. Die Kosten werden in der Theorie als eingeschätzter Schweregrad einer Gesundheitsbedrohung und als wahrgenommene eigene Vulnerabilität spezifiziert. Diese Konstrukte kennen wir schon aus dem Health Belief Model. Der Nutzen eines Verhaltens wird definiert durch wahrgenommene intrinsische (z. B. Entspannung beim Rauchen) und extrinsische Belohnungen (z. B. Anerkennung durch rauchende Peers / Freunde). Kosten und Nutzen sollen laut Modell gegeneinander abgewogen werden. Man kann sich z. B. eine Raucherin vorstellen, die durch Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln (Informationsquelle) erfährt, dass Rauchen Krebs verursacht. Anschließend fängt die Raucherin an, sich Gedanken über diese Bedrohung und über die von ihr wahrgenommenen Belohnungen durch das Rauchen zu machen. Kommt sie nun zu dem Fazit, dass Rauchen mehr Kosten als Nutzen verursacht, wird sie sich vermutlich überlegen, ob sie die Möglichkeit hat, diese Gesundheitsbedrohung zu bewältigen.

Bewältigungseinschätzung

Diesen Vorgang bezeichnet man als Bewältigungseinschätzung (s. Abb. 2.4). In der Bewältigungseinschätzung sind die uns schon bekannten Selbstwirksamkeitserwartungen einer Person sowie die Handlungswirksamkeit und die Handlungskosten enthalten. Bei Letzteren handelt es sich um positive und negative Handlungsergebniserwartungen, die eigentlich aus der sozial-kognitiven Theorie Banduras (1997) stammen. Unsere Raucherin fragt sich also zum einen, wie sicher sie sich ist, mit dem Rauchen aufhören zu können (Selbstwirksamkeitserwartung). Zum anderen überlegt sie auch, wie viel Anstrengung es kosten würde, aufzuhören (Handlungskosten). Weiterhin versucht sie einzuschätzen, inwiefern die Aufgabe des Rauchens sie wirklich vor einer Krebserkrankung bewahren würde (Handlungswirksamkeit). Die Einschätzung der Bewältigung ergibt sich nach der Theorie aus Handlungswirksamkeit und Selbstwirksamkeit abzüglich der Handlungskosten. Wenn die Raucherin also erkennt, dass die Nutzen der Rauchentwöhnung überwiegen und sie die notwendigen Bewältigungsmöglichkeiten hat (also ihre Selbstwirksamkeit und die Handlungswirksamkeit die Handlungskosten überwiegen), ist es sehr wahrscheinlich, dass sie eine Schutzmotivation ausbildet, mit dem Rauchen aufzuhören.

Schutzmotivation

Schutzmotivation ist der theoriespezifische Name für die Intention. Rogers trifft allerdings keine klare Aussage bezüglich der Kombinationsregel der Bedrohungs- und Bewältigungseinschätzung zur Vorhersage der Schutzmotivation (Weinstein 1993). Empirisch hat sich die Bewältigungseinschätzung und hier insbesondere die Selbstwirksamkeit als besserer Prädiktor für die Schutzmotivation erwiesen (Floyd et al. 2000; Milne et al. 2000). Die Schutzmotivation wird immer in Form von Zielintentionen erfasst und stellt die typische abhängige Variable in Studien zur PMT dar. Das ist ein Mangel, denn es soll ja nicht nur um die Erklärung der Intentionsbildung gehen, sondern auch um die Erklärung der erfolgreichen bzw. nicht erfolgreichen Umsetzung dieser Intention in Verhalten. Das wird in den Studien zur PMT leider häufig vernachlässigt.

Bewältigungsreaktion

Ursprünglich ist die Schutzmotivation in der Theorie aber als vermittelnde Variable zwischen der Bedrohungseinschätzung und der Bewältigungseinschätzung auf der einen und dem Verhalten auf der anderen Seite vorgesehen (s. Abb. 2.4). Das Verhalten wird in der PMT als adaptive oder maladaptive Bewältigungsreaktion verstanden und so benannt. Adaptives Verhalten wäre entweder die Aufgabe von Risikoverhalten oder die Aufnahme von Gesundheitsverhalten, z. B. regelmäßige körperliche Aktivität. Unter maladaptiver Bewältigung kann man sich beispielsweise die Fortsetzung des Risikoverhaltens oder kognitive Vermeidungsreaktionen vorstellen. Ob es zu einer adaptiven oder einer maladaptiven Bewältigung kommt, hängt nach Annahmen der Theorie von der Ausprägung der Schutzmotivation ab. Eine hohe Schutzmotivation begünstigt eine adaptive, eine niedrige Schutzmotivation dagegen eine maladaptive Bewältigungsreaktion. Das vollständige Modell ist in Abb. 2.4 dargestellt.


Abb. 2.4: Vollständige Darstellung der Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory, PMT; nach Rogers 1983)


Abb. 2.5: Arbeitsmodell der Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory, PMT; nach Rogers 1983)

Kernkomponenten der PMT

Die Protection Motivation Theory ist sehr komplex. Forscher, die mit diesem Modell gearbeitet haben, haben meistens nur eine gewisse Auswahl an Standardvariablen in ihren Studien verwendet. Streng genommen kann man also nicht sagen, dass die Theorie in ihrer Gesamtheit schon empirisch überprüft wurde. Kernvariablen, die in den Studien zur PMT in der Regel verwendet werden, sind der Schweregrad, die Vulnerabilität, die Handlungswirksamkeit, die Selbstwirksamkeit und die Schutzmotivation (in Form von Zielintentionen) sowie das Verhalten selbst. Abb. 2.5 zeigt das Arbeitsmodell der PMT.

Die häufigsten Anwendungen der PMT finden sich in den Bereichen körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen, Alkohol, Safer Sex, Krebsprävention und Medikamentenadhärenz (Norman et al. 2015).

experimentelle Überprüfung der PMT

Die Theorie der Schutzmotivation wird ebenso wie die meisten anderen kontinuierlichen Prädiktionsmodelle häufig in korrelativen Forschungsdesigns als theoretisches Rahmenmodell verwendet. Allerdings hat die PMT auch immer wieder experimentelle Forschung angeregt (Milne et al. 2000). Im Folgenden soll exemplarisch eine experimentelle Studie von Yzer und Kollegen (1998) dargestellt werden.


In dieser Studie wurden die Effekte von Vulnerabilität und Selbstwirksamkeit auf aidspräventives Verhalten (Benutzung von Kondomen) an 88 weiblichen Psychologie-Studentinnen (mittleres Alter 19 Jahre) erforscht. Die Studie verwendete ein 2 x 2-Design (erhöhte vs. normale Vulnerabilität x erhöhte vs. normale Selbstwirksamkeit). Die Teilnehmerinnen wurden randomisiert einer der vier experimentellen Bedingungen zugeordnet. Die Gruppe der Bedingung normale Vulnerabilität und normale Selbstwirksamkeit diente als Kontrollgruppe. Das Treatment bestand aus dem Lesen von Texten, die in den experimentellen Gruppen darauf abzielten, die jeweiligen Überzeugungen zu erhöhen. In der Kontrollbedingung wurden neutrale Texte gelesen. Von allen Teilnehmerinnen wurden die Schutzmotivation (in Form von Intentionen) zum aidspräventiven Verhalten sowie die Vulnerabilität und Selbstwirksamkeit vor und nach dem Treatment erfasst. In den Experimentalgruppen (erhöhte Vulnerabilität und erhöhte Selbstwirksamkeit) konnte die Vulnerabilität nur leicht, die Selbstwirksamkeit hingegen stark erhöht werden.

Das wichtigste Ergebnis der Studie war eine Wechselwirkung zwischen Vulnerabilität und Selbstwirksamkeit auf die Schutzmotivation. Demnach hatte eine hohe Vulnerabilität nur dann einen positiven Effekt auf die Schutzmotivation, wenn die Personen auch gleichzeitig über eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung verfügten, sich also in der Lage fühlten, den Anforderungen, die das Gesundheitsverhalten an sie stellen würde, nachkommen zu können. Bei gering ausgeprägter Selbstwirksamkeitserwartung hatte eine hohe Vulnerabilität keinen Einfluss auf die Schutzmotivation.

Diese Studie ist ein gutes Beispiel für experimentelle Manipulationen verschiedener PMT-Variablen. Das Vorgehen, die Variablen mit Hilfe von Broschüren oder Ähnlichem zu beeinflussen, ist unter den experimentellen PMT-Studien weit verbreitet. Es handelt sich dabei nämlich um eine besonders ökonomische Art der Intervention, die auch für größere Teile der Bevölkerung in Rahmen von Gesundheitsförderungsmaßnahmen eingesetzt werden kann. Ein Schwachpunkt der Studie ist, dass das nachfolgende Verhalten nicht untersucht wurde, was häufig ein Problem in der Forschung zur PMT ist. Wie sich immer wieder zeigt, ist die Intention zwar ein wichtiger Prädiktor für Verhalten, garantiert dieses aber noch lange nicht (s. nächsten Abschnitt).


Insgesamt ist die Theorie in ihrem Nutzen zur Vorhersage und Erklärung von Gesundheitsverhalten vergleichbar mit der Theorie des geplanten Verhaltens. Ein großer Pluspunkt der Theorie der Schutzmotivation ist vor allem der Einbezug von Selbstwirksamkeit, denn die Selbstwirksamkeit ist ein ausgesprochen wichtiger Faktor bei der Gesundheitsverhaltensänderung (Luszczynska / Schwarzer 2015). Dennoch tröstet das nicht über die insgesamt geringe Aufklärung der Varianz im Verhalten hinweg. Damit kommen wir zu einem Phänomen, das genau das Problem der bisher dargestellten Theorien beschreibt: die Intentions-Verhaltens-Lücke.

 

2.1.5 Die Intentions-Verhaltens-Lücke

Intention – (?) – Verhalten

Wie wir jetzt wissen, wird die Intention in vielen Theorien (z. B. in der Theorie der Handlungsveranlassung, der Theorie des geplanten Verhaltens und der Theorie der Schutzmotivation) als der wichtigste Prädiktor für eine Verhaltensänderung angesehen. Intentionen reichen allerdings nicht aus, um Verhalten dauerhaft zu ändern. Dies zeigt sich in Metaanalysen, die den Intentions-Verhaltens-Zusammenhang untersuchen: Die Intention kann meist nur 20 bis 30 % der Varianz im Verhalten erklären (z. B. Sheeran 2002). Bis zu 80 % der Varianz im Verhalten bleibt ungeklärt. Dafür, dass die Intention zum wichtigsten Prädiktor erklärt wird, ist das ein bisschen wenig. Es lohnt also, nach Möglichkeiten zu suchen, diese bestehende Diskrepanz zu überbrücken.

Vierfeldertafel

Orbell und Sheeran (1998) haben in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, genauer zu überprüfen, was für diese Diskrepanz zwischen Intention und Verhalten verantwortlich ist. Sie gehen von einer Vierfeldertafel aus, die aus hohen vs. niedrigen Intentionen x Verhalten vs. kein Verhalten besteht (s. Abb. 2.6). Entsprechend kann man vier Gruppen von Personen unterscheiden: Eine erste Gruppe besteht aus denjenigen Personen, die keine Intention haben und auch nicht handeln. Eine zweite Gruppe besteht aus den Personen, die eine Intention haben und auch dementsprechend handeln. Diese beiden Gruppen handeln also genau gemäß ihrer Intentionen und können somit nicht die Intentions-Verhaltens-Lücke verursachen. Dann gibt es noch diejenigen Personen, die keine Intention haben, aber trotzdem handeln, und es gibt Personen, die zwar eine Intention haben, aber nicht handeln. Diese beiden letzten Gruppen könnten theoretisch für die gefundene Diskrepanz zwischen Intention und Verhalten verantwortlich sein.


Abb. 2.6: Vierfeldertafel nach Orbell und Sheeran (1998)

Orbell und Sheeran (1998) konnten zeigen, dass die Diskrepanz zwischen Intention und Verhalten vor allem auf die Personen zurückzuführen ist, die zwar positive Intentionen haben, aber trotzdem nicht handeln. Die Anzahl dieser Personen übersteigt nämlich – genau wie man vermuten würde – deutlich die Anzahl derer, die trotz negativer Intention handeln (s. a. Sheeran 2002).

Man könnte nun annehmen, dass Personen, die sich zwar ein Verhalten vornehmen, aber nicht danach handeln, weniger motiviert sind als die, die im Sinne ihrer Intention die Handlung ausführen. Orbell und Sheeran (1998) konnten allerdings keine Unterschiede in der Motivation beider Gruppen nachweisen. Dieser Befund legt nahe, dass die Intentions-Verhaltens-Lücke nicht auf motivationalen Schwierigkeiten, also Schwierigkeiten bei der Bildung einer Intention, basiert. Sie gründet eher auf volitionalen Problemen, also Problemen bei der Umsetzung einer Intention in ein Verhalten.

Motivation und Volition

Die Unterscheidung zwischen Motivation und Volition wurde durch Heinz Heckhausen und sein Modell der Handlungsphasen oder auch Rubikonmodell bekannt (Heckhausen 1989). Heckhausen definiert alles, was bis zur Bildung einer Intention geschieht, als motivational. Mit der Intentionsbildung überschreitet die Person dann den imaginären Rubikon1 und befindet sich in der Volitionsphase. Die Volitionsphase ist die Phase, in der die Intention in die Tat umgesetzt werden sollte.

Zusammenfassend scheint es nicht auszureichen, Personen vor allem bei der Intentionsbildung zu fördern, um die Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung zu erhöhen – auch wenn das von den bisher kennen gelernten Theorien so angenommen wird. Stattdessen müssen auch volitionale Variablen beachtet werden, um Personen Hilfestellungen bei der Verhaltensänderung zu geben. Es gibt eine ganze Reihe volitionaler Variablen, die hier eine Rolle spielen könnten, z. B. Handlungskontrolle (Kuhl 1986) oder spezifische Selbstregulationsstrategien wie Selbstbeobachtung (Baumeister et al. 1994) und Planung (Gollwitzer 1999; Leventhal et al. 1965). Auf Letztere wollen wir im nächsten Abschnitt näher eingehen.

2.1.6 Planung

Intention – (Planung) – Verhalten

Schon in den 60er Jahren wurde der Gedanke, dass Planung die Handlungsumsetzung erleichtert, von Leventhal und Kollegen (1965) empirisch untersucht und bestätigt. Erst durch Gollwitzers Arbeiten (1999) wurde das Konzept der Handlungsplanung jedoch bekannt. Gollwitzer nennt die Handlungsplanung Implementierungs- oder auch Ausführungsintention, was ein etwas irreführender Begriff ist. Denn es handelt sich bei der Handlungsplanung ja um ein postintentionales Konstrukt, also um etwas, das erst passiert, wenn eine Person schon über eine hinreichende Intention verfügt. Aus diesem Grund sind Ausführungs- oder Handlungsplanung (Originalbegriffe von Leventhal et al. 1965) eigentlich die besseren Bezeichnungen, die wir im Folgenden verwenden wollen.

Ausführungsplanung

Unter Ausführungsplanung versteht man einfache Wann-Wo-Wie-Pläne, also Pläne, in denen eine Person genau festlegt, wann, wo und wie sie ein Verhalten ausführen möchte. Ein Beispiel für einen Ausführungsplan könnte lauten: „Wenn ich heute Abend nach Hause komme, dann ziehe ich mir sofort meine Jogging-Sachen an und gehe los.“ Ausführungspläne sind den Zielintentionen nachgeschaltet und unterscheiden sich strukturell von ihnen. Bei den Zielintentionen wird nur spezifiziert, welchen Zustand (z. B. körperlich fit sein) oder welches Verhalten (z. B. regelmäßig joggen gehen) eine Person erreichen möchte. Bei der Ausführungsplanung dagegen wird eine bestimmte Situations-Verhaltens-Verknüpfung in Form einer Wenn-Dann-Formulierung erstellt. Zum Beispiel könnte die Situation (die Wenn-Komponente, in der beispielsweise Ort und Zeit enthalten sind) „Wenn ich heute Abend nach Hause komme“ mit dem Verhalten (die Dann-Komponente, in der das Verhalten spezifiziert wird) „dann ziehe ich mir sofort meine Jogging-Sachen an und gehe los“ verknüpft werden. Dadurch entsteht bei den planenden Personen eine mentale Repräsentation der Verknüpfung von Situation und Verhalten.

Das Verhalten wird also an situationsspezifische Hinweisreize geknüpft und bei Auftreten dieser Hinweisreize fast automatisiert ausgelöst, ohne dass eine Person etwa lange darüber nachdenken muss, was sie in der Situation nun tun könnte. Vermittelt ist dieser Effekt der Planung durch aufmerksamkeits-, wahrnehmungs- und gedächtnisspezifische Prozesse (für einen Überblick s. Gollwitzer 1999). Das Ergebnis ist, dass Personen, die planen, nicht nur deutlich häufiger (Gollwitzer / Brandstätter 1997), sondern auch schneller (Orbell / Sheeran 2000) im Sinne ihrer Zielintention handeln als Personen, die nur eine Zielintention bilden.

Ausführungsplanung: Befunde

Diese Befunde konnten mittlerweile anhand unterschiedlichster Verhaltensweisen, wie z. B. Tetanusimpfung (Leventhal et al. 1965), Brustselbstuntersuchung (Luszczynska / Schwarzer 2003), körperliche Aktivität (Milne et al. 2002) und gesunde Ernährung (Verplanken / Faes 1999) auch im gesundheitspsychologischen Bereich bestätigt werden (Gollwitzer / Oettingen 1998). Eine Meta-Analyse über 94 Studien zum Effekt der Ausführungsplanung über verschiedene Verhaltensweisen bestätigt einen mittleren bis starken Effekt der Ausführungsplanung auf die Zielerreichung (Gollwitzer / Sheeran 2006; für einen aktuellen Überblick zur Planungsliteratur siehe auch Hagger / Luszczynska 2014).

Die Ausführungsplanung wird auch im Rahmen von Studien zur Theorie der Schutzmotivation und der Theorie des geplanten Verhaltens eingesetzt (z. B. Milne et al. 2002). Dadurch wird zum einen die Annahme aufgegeben, dass die Intention der stärkste Prädiktor des Verhaltens ist. Zum anderen wird in diesen Studien automatisch, wenn auch teilweise implizit, eine Trennung zwischen motivationaler und volitionaler Phase vorgenommen.


Eine Studie mit einem typischen Design für die Untersuchung des Effekts der Ausführungsintentionen auf nachfolgendes Verhalten stammt von Verplanken und Faes (1999). In dieser Studie wurde Ernährungsverhalten untersucht und die Theorie des geplanten Verhaltens als theoretisches Rahmenmodell zugrunde gelegt. Einhundertundzwei Studierende füllten Fragebogen zu den Maßen der Theorie des geplanten Verhaltens aus (Einstellung, subjektive Norm, wahrgenommene Verhaltenskontrolle, Intention, sich gesund zu ernähren, und bisherige ungesunde Ernährungsgewohnheiten). Die Hälfte der Teilnehmenden wurde anschließend gebeten, ihr Ernährungsverhalten der kommenden Woche genau zu planen, z. B.: Was wird gegessen? Wann wird gegessen? Die Ergebnisse zeigten klare Effekte für die Planungsgruppe: Diese Teilnehmer ernährten sich in der untersuchten Woche gesünder als die Kontrollgruppenteilnehmer. Wichtig ist, dass sich dieser Effekt nicht auf Motivationsunterschiede zwischen den Gruppen zurückführen lässt und somit wirklich der Planungsintervention zugeschrieben werden kann.

Bewältigungsplanung

In einer Weiterentwicklung des Planungskonzepts haben Sniehotta und Kollegen (2005, 2006) der Ausführungsplanung das Konzept der Bewältigungsplanung an die Seite gestellt. Bei dieser zweiten Art der Planung geht es darum, dass Personen ihre ganz persönlichen Schwierigkeiten antizipieren und genau planen, wie mit diesen Schwierigkeiten verfahren werden kann. Beispielsweise könnte eine Person, die anfangen möchte, regelmäßig Sport zu treiben, aber Antriebsprobleme antizipiert, folgenden Bewältigungsplan aufstellen: „Wenn ich keine Lust habe, schwimmen zu gehen, dann bitte ich meine Frau, mich an meine guten Vorsätze zu erinnern.“

Die Bewältigungsplanung unterscheidet sich von der Ausführungsplanung darin, dass Personen individuelle Risikosituationen voraussehen und sich Bewältigungsstrategien zurechtlegen, um in diesen Risikosituationen trotzdem im Sinne ihrer Intention zu handeln. In einer systematischen Überblicksarbeit berichten Kwasnicka und Kollegen (2013), dass vor allem die Kombination aus Ausführungs- und Bewältigungsplanung hilfreich für die Verhaltensänderung ist. Beide Planungsarten sind im Prozessmodell gesundheitlichen Handelns von Schwarzer enthalten, das im Folgenden vorgestellt wird.

2.1.7 Das Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Health Action Process Approach, HAPA)

Das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Health Action Process Approach, HAPA; Schwarzer 1992; 2008) ist angelehnt an das Handlungsphasen- oder auch Rubikonmodell von Heckhausen (1989). Schwarzer (2008) bezeichnet das Modell als Hybridmodell, d. h. es kann im Gegensatz zu den bisher besprochenen Theorien, die alle zu den kontinuierlichen Prädiktionsmodellen gehören, sowohl diesen als auch den dynamischen Stadienmodellen zugeordnet werden. Die Zuordnung zu den Modellklassen hängt von der Forschungsfrage ab. Steht zum Beispiel die Untersuchung der vermittelnden Prozesse zwischen Intention und Verhalten im Vordergrund, ist die Forschungsstrategie die der kontinuierlichen Prädiktionsmodelle (z. B. Sniehotta et al. 2005).

Phasen des HAPA

In der Konzeption des HAPA als Stadienmodell werden mehrere Phasen und Unterphasen unterschieden. Die motivationale oder auch präintentionale Phase geht der volitionalen Phase voraus. Die volitionale Phase lässt sich aufgliedern in die postintentional-präaktionale (d. h. nach der Intentionsbildung, aber noch vor der Handlung) Phase, in der geplant wird, und die postintentional-aktionale Phase, in der die Handlung ausgeführt und aufrechterhalten wird. Die letzte volitionale Phase ist die postintentionale-postaktionale Phase, in der es nach möglichen Rückfällen zur Wiederherstellung des Verhaltens kommt oder sogar zur Zielentbindung (Disengagement). Wie ersichtlich, legt das HAPA einen Schwerpunkt auf die volitionale Phase, die in anderen Theorien meist vernachlässigt wird (Schwarzer 2008).

motivationale Phase

Zur Prädiktion der Intention werden im HAPA folgende Konstrukte herangezogen: Selbstwirksamkeitserwartungen, Handlungsergebniserwartungen und die Risikowahrnehmung. Letztere ist im HAPA als die subjektive Einschätzung der eigenen Verwundbarkeit sowie die Einschätzung des Schweregrads von Erkrankungen definiert. Die Risikowahrnehmung gibt zwar theoretisch den Anstoß für den Prozess der Intentionsbildung, zeigt empirisch aber nur geringe Zusammenhänge mit der Intention (Scholz et al. 2009).

Nimmt eine Person ein Risiko wahr, wird sie nach dem HAPA zum einen die positiven und negativen Konsequenzen einer Verhaltensänderung gegeneinander abwägen (Handlungsergebniserwartungen). Zum anderen wird sie überprüfen, ob sie über ausreichende Selbstwirksamkeit verfügt, um eine Intention zu bilden, ihr Verhalten zu ändern. Hat die Person nun eine Intention gebildet, z. B. weniger Alkohol zu trinken, tritt sie in die volitionale Phase ein. Die Phasen sind, wie bei allen Stadienmodellen, als distinkt und qualitativ unterschiedlich zu verstehen: Erst nach Abschluss der motivationalen Phase kann die volitionale Phase erreicht werden.