Buch lesen: «Blutgeld»
Aus dem amerikanischen Englisch von
Kirsten Borchardt und Alan Tepper
Impressum
Der Autor: Neal Hall
Deutsche Erstausgabe 2012
Titel der Originalausgabe:
„Hell to pay – Hells Angels vs. the million-dollar rat“ © 2011 by Neal Hall
ISBN: 978-0-470-68096-4
Coverdesign, Layout und Satz: © Thomas Auer, www.buchsatz.com
Übersetzung: Alan Tepper
Lektorat: Dr. Matthias Auer, Aulo Verlagsservice
Korrektorat: Otmar Fischer
© 2012 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-398-7
Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-397-0
Hinweis für den Leser:
Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Inhalt
Danksagung
Verzeichnis der Hauptpersonen
Einleitung
1. Die „Ratte“ wird verwanzt
2. Die Unterschrift, die ein Leben verändert
3. Ein „offizieller Freund“
4. Mord ist das Geschäft
5. Wo ist unser Kumpel?
Bildstrecke
6. Die K-Town-Crew
7. Razzia
8. Der erste E-Pandora-Prozess
9. Kriminelle Vereinigung – Runde eins!
10. Kriminelle Vereinigung – Runde zwei!
11. Eier aus Stahl
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Danksagung
Ich möchte mich zuallererst beim gesamten Team von John Wiley & Sons Canada und insbesondere auch beim Herausgeber Don Loney bedanken – für den Vorschlag, dieses Buch zu schreiben, und dann vor allem für die mir entgegengebrachte Geduld bei der Niederschrift. Dank gebührt gleichfalls Elizabeth McCurdy, die das Projekt bis zur Publikationsreife begleitete, und Jane Withey für ihr einfühlsames Lektorat.
Meinen Herausgebern bei der Vancouver Sun danke ich für den Freiraum, den sie mir während der Arbeit an diesem Buch einräumten.
Besonderer Dank gilt meinen Kollegen, die die Story zusammen mit mir über all die Jahre verfolgten: Kim Bolan, Chad Skelton und Lori Culbert von der Vancouver Sun und Keith Fraser von The Province.
Wie bei fast allen komplexen Fällen dauerten die Gerichtsverfahren insgesamt fünf Jahre, wobei das Urteil in einem Berufungsverfahren noch aussteht. Alle Fehler oder Auslassungen sind allein mir anzulasten.
Verzeichnis der Hauptpersonen
Rick Alexander – Associate der Hells Angels.
Robert Alvarez – Mitglied der Hells Angels und der Nomads.
Wissam (Sam) Mohamed Ayach – Drogenhändler des East-End-Chapters der East-End-Hells-Angels in Vancouver.
Benjamin Azeroual – Associate des Vancouver East-End-Chapters.
Chad James Barroby – Associate des Vancouver East-End-Chapters.
Jason William Brown – Associate des Vancouver East-End-Chapters.
John Peter Bryce – Präsident des East-End-Chapters in Vancouver.
Jonathan Sal Bryce Jr. – Sohn von John Bryce, dem Präsidenten des East-End-Chapters.
Michael (Speedy) Christiansen – Mitglied der Hells Angels und Mitbegründer der 13th Tribe Bike-Gang in Halifax.
Claude Duboc – Drogenbaron, dessen Untergebene in British Columbia (B.C.) mit den Hells Angels kooperierten.
Nima Abbassian Ghavami – Freund von Michael Plante und Associate des Vancouver East-End-Chapters der Hells Angels.
David Francis (Gyrator) Giles – Langjähriges Hells-Angels-Mitglied und früheres Mitglied der Hells Angels in Sherbrooke, Quebec.
Stanley Thomas Gillis – Sergeant at Arms des Vancouver East-End-Chapters.
Richard Goldammer – Hells-Angels-Mitglied aus Kelowna, B.C.
Jamie Holland – Hells Angel und Mitglied der Nomads.
Brian Jung – Associate des Vancouver East-End-Chapters der Hells Angels.
Norman Edward Krogstad – Ehemaliger Präsident der Hells Angels in Vancouver und ranghöchster Hells Angel, der des Drogenhandels in B.C. schuldig gesprochen wurde.
Ronaldo Lising – Hells Angel und Mitglied der Nomads.
Villy Roy Lynnerup – Sergeant at Arms der Hells Angels White Rock, B.C.-Chapter.
David Patrick O’Hara – Ehemaliges Mitglied der Hells Angels in Vancouver und Mission.
David Ronald Pearse – Associate des Vancouver East-End-Chapters der Hells Angels.
Leroy Serra Pereira – Kindheitsfreund von John Punko und Associate des East-End-Chapters.
Francisco Batista (Chico) Pires – Hells Angel und Mitglied der Nomads.
George Pires – Mitglied der Hells Angels und der Nomads.
Michael Plante – Informant der RCMP und „offizieller Freund“ der Hells Angels. Für die Aussage gegen seine ehemaligen „Freunde“ bei den Hells Angels wurden ihm 1 Million Dollar versprochen.
Randall (Randy) Richard Potts – Mitglied des East-End-Chapters der Hells Angels in Vancouver.
John Virgil Punko – Mitglied des East-End-Chapters der Hells Angels in Vancouver.
Richard Andrew Rempel – Associate des East-End-Chapters.
Kerry Ryan Renaud – Associate des East-End-Chapters.
David Roger (Baldy) Revell – Associate der Hells Angels des East-End-Chapters.
Lloyd (Louie) George Robinson – Langjähriges Mitglied der Vancouver Hells Angels und Halbbruder von John Bryce.
Guy (Bully) Rossignol – Hells-Angels-Mitglied aus Kelowna, B.C.
Joseph Bruce Skreptak – Hells-Angels-Mitglied aus Kelowna, B.C.
Cedric Baxter Smith – langjähriges Hells-Angels-Mitglied, verschwunden und vermutlich sein 2008 nicht mehr am Leben.
Mickie (Phil) Smith – Auftragskiller, der in fünf Mordfällen überführt wurde, darunter ein Mord für die East-End-Hells-Angels.
Juel (Jules) Ross Stanton – Mitglied der Hells Angels und bekannt für seine Brutalität. Spitzname: Hooligan.
Tony Terezakis – Associate der Hells Angels.
Robert Leonard Thomas „Tattoo Rob“ – Mitglied der Hells Angels.
Jean Joseph Violette – Mitglied der Vancouver Hells Angels.
Gino Zumpano – Mitglied der Hells Angels und der Nomads.
Einleitung
In seiner Jugend nannten sie ihn Big Mike, besonders wegen seines prallen Bizeps und wegen des muskulösen Brustkorbs. Man kannte ihn auch unter dem Namen „Sherman“, denn sein Körperbau glich einem Sherman-Panzer.
2002 begann der stämmige Gewichtheber Michael Dollard Plante als Rausschmeißer in Vancouvers Marble-Arch-Stripclub zu arbeiten. Er bekam den Job dank der tatkräftigen Unterstützung von Randy Potts, einem aufstrebenden Mitglied der Hells Angels. Zu der Zeit steckte Potts noch mitten im sogenannten „Programm“, einem vierstufigen Ausleseverfahren, das am Ende zur vollwertigen Mitgliedschaft in der berüchtigtsten Outlaw-Biker-Gang der Welt führte. Im örtlichen Fitnessclub wechselte Plante oft einige Worte mit den Bikern und trainierte schon bald mit Mitgliedern des East-End-Chapters der Hells Angels in Vancouver. Er gab ihnen Ratschläge für das Stemmen der Gewichte, damit die Biker ihre Muskeln möglichst effizient „aufpumpen“ konnten, und er versorgte sie auch hin und wieder mit illegalen Steroiden.
Einer der Biker, Lloyd „Louie“ George Robinson, lud Plante eines Tages zum gemeinsamen Training in das an der East Georgia Street gelegene Clubhaus des East-End-Chapters ein. Robinson, damals Mitte 40, war langjähriges Mitglied der East End Hells Angels, und sein Bruder John Peter Bryce fungierte als Präsident der Ortsgruppe.1
Das erste Chapter der Hells Angels war in Oakland, Kalifornien, gegründet worden, und nach und nach formierten sich dann auf der ganzen Welt Ortsgruppen. Die Angels begannen in den Siebzigern, ihre Fühler auch nach Kanada auszustrecken, etablierten sich im ganzen Land und gründeten mehr als 30 Chapter.
Das East-End-Chapter gehörte zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Ortsgruppen des Landes. Es wurde 1983 gegründet, als die Hells Angels eine lokale Biker-Gang, die Satan’s Angels, mit drei Ortsgruppen in und um Vancouver und einer in Nanaimo auf Vancouver Island, übernahmen und sich einverleibten.
Das East-End-Clubhaus bildete den Schlupfwinkel der Biker, versehen mit Überwachungskameras und abgesichert durch Stahltüren mit elektronischen Schlössern. Es verfügte über eine Privatbar, eine Lounge, einen Versammlungsraum, zwei Schlafzimmer und einen komplett ausgestatteten Fitnessraum.
Robinson, zutiefst beeindruckt vom gestählten und überaus muskulösen Körperbau seines Kumpels, bat diesen, sein Krafttraining zu überwachen. Bei einer dieser gemeinsamen Übungseinheiten wurde Plante Zeuge, wie sein Schützling aus der Rückenlage mehr als 180 Kilogramm stemmte, was bei den anderen Hells Angels entsprechend Eindruck machte.
Schon bald eilte Plante der Ruf eines zuverlässigen Freundes der Biker voraus, woraufhin diese ihm verschiedene Jobs übertrugen. Zusätzlich zu der Tätigkeit als Rausschmeißer im Stripclub machte er sich als Verstärkung beim Eintreiben ausstehender Zahlungen nützlich. Seine Muskelpakete schüchterten die Schuldner ein und versetzten sie in Angst und Schrecken. Plantes Job bestand darin, diesen Leuten klarzumachen, dass sie weniger Ärger – und keine Schmerzen – zu befürchten hatten, wenn sie freiwillig und schnell zahlten.
Meist reichten ein furchteinflößender Blick und einige einschüchternde Androhungen aus, doch falls notwendig, wurde auch Gewalt angewandt. Manchmal zog Plante sogar eine Waffe. Im Januar 2003 bedrohte er einen Mann, der Randy Potts Kutte gestohlen hatte, die diesen als „Abhänger“ auswies. Als der Dieb aus dem Haus kam, feuerte Plante mit einer .38er Pistole drei Mal in die Luft. „Ich wollte ihm nur Angst einjagen, ihn bluffen“, erinnerte er sich später und gab an, dass er zur Tarnung ein Sweatshirt mit Kapuzenmütze trug.
Während seiner „Karriere“ beim Club verübte Plante sieben Anschläge, doch die meisten Zeugen bekamen schnell kalte Füße und weigerten sich, Anzeige gegen ihn zu erstatten. Er wurde lediglich wegen eines Angriffs auf einen Mann im Fitnesscenter verurteilt.
Doch dann kam der Tag, der sein Leben für immer verändern sollte und an dem er sich entschied, als Maulwurf für die Polizei zu arbeiten.
Im Juli 2003 wurde Plante, damals 36 Jahre alt, der Auftrag erteilt, das Büro von James Betnar aufzusuchen, einem Geschäftsmann aus Vancouver, der nach Polizeiinformationen David Patrick O’Hara 20.000 Dollar schuldete. Zu der Zeit gehörte O’Hara zum Mission-Chapter der Hells Angels, das die Gegend um Vancouver unsicher machte.2
Alles begann wie ein Routinejob. Randy Potts beauftragte Plante, besagten Betnar aus seinem Büro zu holen und ihn zu O’Haras luxuriösem Haus in Surrey, einem Vorort von Vancouver, zu bringen, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. Während der 40-minütigen angespannten Fahrt breitete sich eine unangenehme Atmosphäre im Wagen aus. Betnar war klar, was ihn erwartete, und er sagte kaum ein Wort. Am Ziel der Reise angekommen, parkte Plante vor einer großen Werkstatt, in der O’Hara an Dragster-Bikes schraubte. Er erklärte Betnar, dass O’Hara drinnen warte, um mit ihm Klartext zu reden.
Plante saß dann draußen und hörte Betnar, der drinnen verprügelt wurde, schreien. Schließlich torkelte Betnar mit blutigen Striemen auf Gesicht und Armen aus der Tür. Unter unerträglichen Schmerzen humpelte er zu Plantes Auto.
Die meisten Opfer der Hells Angels hätten kein Sterbenswörtchen über eine Prügelattacke verloren, und das Leben der mächtigsten Gang an der Ostküste hätte seinen gewohnten Lauf genommen. Doch Betnar wandte sich an die Polizei, die ihm das anbot, ihn ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen, ein Verfahren, das mit einem Umzug einherging. Im Anschluss an Betnars Aussage wurden Plante und O’Hara verhaftet und wegen Erpressung angeklagt.3
Man brachte Plante in das Gefängnis in Surrey. Nachdem er einige Stunden in der Zelle gesessen hatte, fällte er eine Entscheidung, die sein Leben von Grund auf umkrempeln sollte.
Er nahm Kontakt zur RCMP [Royal Canadian Mounted Police, Bezeichnung für die kanadische Polizeibehörde] auf, die ihr Büro direkt neben dem Knast hatte, und erklärte sich grundsätzlich bereit mit der Polizei zusammenzuarbeiten.
Die Beamten versuchten schon seit Jahren, die Gang zu unterwandern, und die Tatsache, dass Plante in einem Vertrauensverhältnis zu den East-End-Angels stand, wirkte sich auf den weiteren Verlauf der Deals positiv aus.
Die Polizei mutmaßte, dass das East-End-Chapter eine wichtige Rolle bei der Kontrolle des Kokaingeschäfts spielte und dass es sich mögliche Konkurrenten mit Gewalt vom Halse hielt.
Die Beamten gingen außerdem davon aus, dass eine Expansion in den Bereichen Produktion und Handel mit synthetischen Drogen wie Ecstasy und Methamphetamin – auf der Straße auch als Crystal Meth bekannt – und von Geschäften im Bereich der Internet-Pornografie und des Online-Glücksspiels aus.
Plante wurde in einen Verhörraum gebracht, wo er auf zwei Mounties traf, die später seine Kontaktleute bei der Polizei wurden. Einer der Beamten fragte ihn mit Nachdruck, warum er bereit sei, mit der Polizei zu kooperieren. Er wollte sichergehen, dass Plante nicht vorhatte, in die Rolle eines Doppelagenten zu schlüpfen, denn als solcher hätte er die Überwachungsmaßnahmen der Behörde den Kumpeln aus der Biker-Szene verraten können. Plante erzählte dem Beamten kurz und bündig seinen Lebenslauf und betonte dabei, dass ihm die jetzige Situation überhaupt nicht behage.
Der Mountie führte ihm unmissverständlich vor Augen, dass ihm eine Anklage wegen Erpressung ohne Zweifel eine Haftstrafe einbringen werde. Während des Gesprächs wurde dem eingeschüchterten Plante aber auch mitgeteilt, dass die Polizei im Falle einer Zusammenarbeit die Anschuldigungen unter den Tisch fallen lassen könnte …
Plante zögerte zunächst, auf das konkrete Angebot einzugehen. Er wusste, dass Leute, die sich gegen die Hells Angels stellten, diesen Verrat in der Regel mit dem Leben bezahlten.
Der Beamte gab Plante Bedenkzeit, übergab ihm seine Karte und sagte, er könne ihn bei einem eindeutigen Entschluss jederzeit anrufen.
Nachdem er in die Zelle zurückgekehrt war, dachte Plante über sein Leben nach. Ihm war klar, dass ihm mindestens einige Jahre im Knast blühten. Unter dem Vorwand, seinen Rechtsanwalt anrufen zu wollen, bat er um die Möglichkeit eines Telefonats. Er wollte erfahren, was die Mounties genau von ihm verlangten.
„Wir werden Ihnen die Spesen erstatten und abwarten, wie es so läuft“, lautete die Antwort.
Plante erkannte, dass es bei einer Zusage keinen Weg mehr zurück gab. Das ihm so vertraute Leben wäre vorbei. Er hatte gehört, wie die Biker über „Ratten“, wie Polizeispitzel in der Unterwelt hießen, redeten.
„Nur eine tote Ratte ist eine gute Ratte“, hatte man ihm wiederholt zu verstehen gegeben.
„Blutgeld“ ist die packende Geschichte der Zerschlagung der Hells Angels in Vancouver. Sie basiert auf Material, das der Krone im Zusammenhang mit dem Prozess zugänglich gemacht wurde, auf Mitschnitten von Abhöraktionen, Zeugenaussagen vor Gericht und Interviews mit der Polizei und Personen der kriminellen Unterwelt. Die Cops und die Behörden kamen schnell zu der Einsicht, dass sie es bei den Hells Angels mit einem mächtigen und furchterregenden Feind zu tun hatten, und auch Plante erkannte, dass er sich mit Typen eingelassen hatte, die man besser niemals betrügen sollte …
1 Nachdem gegen Robinson am Ende langwieriger Ermittlungen schließlich Anklage erhoben wurde, stieg er bei den Hells Angels aus.
2 O’Hara hat mittlerweile die Hells Angels verlassen und arbeitet nun als Industrieschweißer.
3 Die Anklagen gegen Plante und O’Hara wurden später übrigens von der Krone wieder fallengelassen.
Eine angespannte Erwartungshaltung bestimmte das Leben der Beamten, denn nun war es ihnen endlich gelungen, einen Informanten mit Insider-Wissen bei den Hells Angels in Vancouver einzuschleusen. Die Polizei hatte wiederholt bekanntgegeben, dass die Hells Angels die Nummer 1 des organisierten Verbrechens in B.C. [British Columbia, kanadische Provinz an der Westküste] seien und somit ganz oben auf ihrer Liste ständen. Das East-End-Chapter hatte sich bislang aber einer Strafverfolgung der Behörden entziehen können. Seinen Mitgliedern eilte der Ruf der Unberührbarkeit und Immunität voraus …
Nachdem Plante auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, kontaktierte er über einen Pager die RCMP, um mit ihr Details der Informantentätigkeit zu klären. Die Mounties, die dem Unternehmen den Codenamen E-Pandora gaben, boten ihm zuerst 2.000 Dollar monatlich für alle erdenklichen Informationen über die Biker an. Schon bald erhöhten sie die Summe auf 3.000 Dollar.
Plante stimmte der Vereinbarung zu, da er wahrscheinlich den vor ihm liegenden Stress unterschätzte. „Ich versuchte einige meiner Schandtaten wieder gutzumachen“, gab er später in einem Gespräch als Grund dafür an, dass er die Angels infiltrierte.
Plante sollte einen wichtigen Beitrag bei den Ermittlungsarbeiten leisten, die bis zu dem Zeitpunkt ergebnislos verlaufen waren. 2004 beherrschten die gefürchteten Hells Angels British Columbia bereits seit über 20 Jahren. Sie waren für ihre Drogengeschäfte bekannt und für die gewaltsame Durchsetzung der Kontrolle im eigenen Gebiet. An erfolgreich abgeschlossenen Strafverfahren konnte die Polizei der Öffentlichkeit nur wenig vorweisen; dadurch wurde das Vertrauen der Bürger nachhaltig erschüttert. Das Gesetz schien für die Hells Angels nicht zu gelten.
Eine Recherche der Vancouver Sun im Jahr 2004 ergab, das 60 Prozent der Fälle gegen die Hells Angels, darunter Anklagen wegen Drogenhandel, Erpressung und tätlicher Angriffe, mit Freisprüchen endeten oder mit der Einstellung durch die Krone – was offiziell aber meist als Aussetzung deklariert wurde.
Ein aufsehenerregendes Beispiel eines eklatanten Fehlschlags stellte der Verfahren der Western Wind dar, eines Fischerbootes voller Kokain, das von Kolumbien aus verfolgt worden war. Polizeiinformationen zufolge war Vancouver Island das Ziel. Der Kapitän, ein gewisser Philip John Stirling, hatte den Cops Informationen über einen großangelegten Kokainschmuggel angeboten, mit dem das Nanaimo- und das East-End-Chapter in Zusammenhang gebracht werden konnten. Stirling verlangte 1 Million Dollar als Gegenleistung für die Informationen zuzüglich einer Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm für sich und seine Familie. Zuerst stimmte die Polizei den Forderungen zu, doch dann zog sie sich zurück, da die Beamten den Eindruck hatten, er sei nicht vertrauenswürdig.
Als sich das Fischerboot kanadischen Hoheitsgewässern näherte, beobachtete die Polizei wartende Hells Angels am Pier von Nanaimo. Unverzüglich änderten sie ihre Meinung über Stirling und baten die US-Behörden, das Boot zu stoppen, bevor es sein Ziel erreiche.
Am 21. Februar 2001 hielt die Küstenwache der USA das Boot also an und verhaftete die Crew. Sie fanden in einem Geheimversteck 2,5 Tonnen reines Kokain im Wert von 250 Millionen Dollar. Doch die ganze Angelegenheit endete mit einem unglaublichen Ergebnis. Die US-Staatsanwälte konnten nicht beweisen, dass die Drogen für die USA bestimmt waren, und mussten demzufolge von einer Strafverfolgung absehen!
Kurzfristig kämpfte Stirling um die Herausgabe des beschlagnahmten Bootes, doch er gab die Bemühungen auf, als seine Verhandlungen mit der RCMP durch Dokumente des US-Gerichts bekannt wurden.
Fünf Jahre später schnappte die Polizei Stirling an Bord der MV Baku vor der Küste von Vancouver Island. Das Schiff war von Halifax durch den Panamakanal verfolgt worden und transportierte Marihuana-Ballen im Wert von 6,5 Millionen Dollar. Doch Stirling hatte erneut Glück, denn die Krone ließ alle Anklagen gegen ihn und vier weitere Matrosen, zwei davon hatten schon auf der Western Wind gearbeitet, kurz vor Weihnachten 2006 fallen. Der Grund hierfür lag angeblich in Problemen, die sich bei der Verfolgung ergeben hätten, für die die Behörde für Fischfang und Ozeanographie verantwortlich war.
Die Polizei gab später bekannt, dass einer der Verdächtigen im Fall der Western Wind David Francis (Gyrator) Giles war, ein langjähriges Mitglied der Hells Angels. Giles kam ursprünglich aus Sherbrooke, Quebec, und gehörte zum dortigen Biker-Club, bevor er nach British Columbia umzog und dem East-End-Chapter beitrat. Im Fall der Western Wind wurde Giles jedoch niemals angeklagt. Vermutungen nach steckte die Mafia aus Montreal hinter dem Drogenschmuggel, die die Hells Angels aus B.C. mit dem Transport nach Quebec beauftragt hatten.
Das Versagen wurde später einem älteren RCMP-Beamten angelastet, der als Beispiel für das Scheitern der Mounties herhalten musste, sich im richtigen Moment einzubringen und die notwendigen Zahlungen zu leisten, um den Fall zu knacken. Andere benannten jedoch den Ermittlungsleiter als Schuldigen, da er seiner Quelle fälschlicherweise misstraute.
Der Fall der Western Wind wurde zum wunden Punkt einiger Ermittlungsbehörden, die die mangelnde Koordination verschiedener Einsatzkräfte beklagten, die bei optimaler Leitung wohl zu einer erfolgreichen Strafverfolgung geführt hätte.
Eine weitere Panne gipfelte in einem Prozess im Jahr 2006, bei dem sich der Polizeibeamte Allen Dalstrom, ein ehemaliger Angehöriger der Abteilung gegen Biker-Verbrechen, gegen seine ungerechtfertigte Entlassung zur Wehr setzte. Den von Dalstrom angeforderten Gerichtsakten nach schien der Prozess eine langgehegte Rivalität zwischen der Polizei Vancouvers und der RCMP zu offenbaren, die während eines missglückten Versuchs, die Hells Angels zu überführen, ans Tagesicht kam. Es war ein klassisches Beispiel für Kompetenzgerangel.
Dalstrom hatte für die Dienststelle gegen organisiertes Verbrechen in British Columbia (Organized Crime Agency of B.C, kurz OCABC) gearbeitet, einen Zusammenschluss mehrerer Behörden, deren Ermittlungen auf das organisierte Verbrechen abzielten. Er wurde 2004 von deren Leiter David Douglas gefeuert. Der Grund hierfür lag in Anschuldigungen gegen Dalstrom, der angeblich eine Multi-Millionen-Dollar-Untersuchung gegen die Hells Angels mit dem Codenamen Projekt Phoenix grob fahrlässig durchgeführt hatte. Dadurch konnten mehrere Mitglieder der Angels nicht belangt werden. Seine Vorgesetzten empörten sich zudem über angebliche Kommentare, die Dalstrom gegenüber Julian Sher, einem Journalisten aus Montreal, zu einem zweifelhaften Fall abgegeben haben sollte.
Laut den Gerichtsakten behauptete Dalstrom, keinen Fehler begangen zu haben. Der Fall gegen die Hells Angels hätte eine Anklage nach sich ziehen können, doch die Chance wurde durch interne Streitigkeiten in der RCMP zunichtegemacht.
„Bestimmte Personen der Führungsebene der RCMP in British Columbia stellten sich schon zu Beginn gegen die Gründung der OCABC, da dieser Dienststelle das Mandat erteilt wurde, das zuvor in der Obhut der RCMP lag“, behauptete Dalstrom in seiner Zeugenaussage. „Die RCMP in British Columbia versuchte die Provinzregierung davon zu überzeugen, die OCABC aufzulösen und das Mandat für die Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen wieder der eigenen Behörde zukommen zu lassen.“
Auf der Zeugenliste für den Prozess standen anerkannte Kriminalbeamte, darunter Deputy-Commissioner Gary Bass, damals der ranghöchste Mountie in B.C., der ehemalige Deputy-Commissioner Bev Busson und der ehemalige Chef der Polizei Vancouvers, Jamie Graham.
Doch als der Prozess gerade erst begonnen hatte, wurde er abrupt unterbrochen, um den Rechtsanwälten beider Parteien die Chance zu geben, einen Deal auszuhandeln. Dadurch konnte die Gefahr einer potenziell brisanten Zeugenaussage, die die langwährende Rivalität zwischen den Mounties und der Polizei von Vancouver offenbarte, schon im Vorfeld beseitigt werden. Es kam schließlich zu einer außergerichtlichen Einigung, bei der Dalstrom angeblich 2 Millionen Dollar erhielt.
Ungefähr einen Monat, nachdem man die Western Wind aufgebracht hatte, und wenige Tage vor der Freilassung Stirlings und seiner Crew, die von den USA nicht anklagt wurden, gelang der Polizei in B.C. der erste Erfolg gegen die Hells Angels. Die beiden Mitglieder des East-End-Chapters Ronaldo „Ronnie“ Lising und Francisco Batista „Chico“ Pires wurden des Kokainschmuggels überführt und verurteilt.
Bei dem Fall, auch bekannt als Projekt Nova, spielte der Drogendealer und Kleinkriminelle Robert Molsberry eine wichtige Rolle. Er hatte als Türsteher im No. 5 Orange gearbeitet, einem Stripclub in Vancouver, an der Ecke Main Street und Powell gelegen – und nur einen Block von der Polizeiwache Vancouvers an der Main 312 entfernt.
Molsberry gab bereits 1996 bei der Polizei zu Protokoll, dass er um seine Sicherheit fürchte, denn Ronnie Lising, Chico Pires und andere verfolgten ihn aufgrund von Drogenschulden. Molsberry stimmte zu, sich „verdrahten“ zu lassen, also eine Abhörapparatur zu trägen, mit der die Beamten Gespräche mitschneiden konnten, und als Polizeispitzel zu arbeiten. Als Entlohnung erhielt er 1.000 Dollar, um seine Drogenschulden zu bezahlen, und das Versprechen einer monatlichen Zahlung für die Dauer der Ermittlung. Zusätzlich stellte man ihm eine Barzahlung nach einem abgeschlossenen Prozess in Aussicht.
Insgesamt erhielt Molsberry 25.000 Dollar. Für den Fall eines Fehlschlags der Untersuchung wurde ihm die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm versprochen. Basierend auf der Vereinbarung mit Molsberry stellte die Polizei einen Antrag für ihren „Lauschangriff“ gemäß Paragraf 184.2 des Strafgesetzbuches. Er wurde vom damals beim Supreme Court in B.C. tätigen Richter Wally Oppal genehmigt, der später seine berufliche Tätigkeit als Richter am Berufungsgericht fortsetzte und zum Generalstaatsanwalt aufstieg.
Als Nächstes stellte man eine Gruppe vertrauenswürdiger Cops für die Geheimoperation auf, die von der OCABC koordiniert wurde, um die Anzahl der eingeweihten Beamten zu klein zu halten.
Die Polizei beobachtete zwei Stripclubs, in denen Drogen verkauft wurde – das No. 5 Orange und die Marble-Arch-Bar. Die Transaktionen erfolgten meist im Clubhaus der Hells Angels in Vancouver, an Tankstellen, in Restaurants und Fitnessclubs. Die Angels bezeichneten das Kokain auf Papierbotschaften und in Handy-Telefonaten als „Lunch“, „Dinner“ oder „Bier“.
Im Prozess stellte sich heraus, dass Lising und Pires zusammen einen „Großhandel“ aufgebaut hatten, der die beiden Stripbars mit Koks versorgte. Die Polizei konnte 1996 und 1997 insgesamt 36 Lieferungen an „Einzelhändler“ beobachten. Sie beliefen sich, gemessen am „Großhandelspreis“, auf eine Summe von 47.000 Dollar. Die Polizei benutzte den Begriff „Großhandelspreis“, um den Verkauf größerer Mengen besser einzuschätzen, die dann später auf der Straße vertickt wurden.
Lising und Pires mussten eine viereinhalb Jahre lange Haftstrafe verbüßen. Die Ermittlungsbeamten feierten den Fall als erste bedeutende strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung der Hells Angels in B.C. Darüber hinaus diente er als mustergültiges Beispiel für die Kompetenz, Zeugen effektiv zu schützen, die mit der Polizei arbeiteten und gegen die Biker aussagten. Die Cops hofften, damit andere mögliche Kandidaten ins Boot zu holen.
„Wir senden hier eine ganz klare Botschaft: Wir können für Ihren Schutz garantieren, wenn Sie mit der Polizei zusammenarbeiten wollen. Diese Botschaft richtete sich auch an Mitglieder der Gruppierung“, erklärte der zwischenzeitlich verstorbene Larry Butler von der Outlaw-Gang-Unit damals in einem Interview mit der Vancouver Sun. Ein weiterer leitender Ermittler in dem Fall, Inspektor Andy Richards, zu der Zeit bei der OCABC tätig, kommentierte die Lising-Pires-Verurteilungen wie folgt: „Sie sind ein klarer Beleg für die Effizienz der Gesetzeshüter bei der Verfolgung der Hells Angels. Das System funktioniert.“
Als Fußnote des Prozesses ist noch ein Fall von Einschüchterung gegen Ernie Froess, den Vertreter der Krone, zu nennen: Er wurde vom aufstrebenden Hells Angel John Virgil Punko, damals 34, im Speisesaal des Pacific Centre, zwei Blocks vom Gerichtsgebäude entfernt, bedroht. Man verurteilte Punko aufgrund dieser Drohungen, was die Kumpels von den Hells Angels beeindruckte und dazu führte, dass die Biker des East-End-Chapters ihn aufnahmen. Er sollte zukünftig noch viel mit einem besonderen Spitzel der Cops zu tun haben – Michael Plante …
Michael Plante wuchs in Burnaby auf, einem Vorort Vancouvers, und besuchte die Cariboo Hill High School. Nach der zwölften Klasse schrieb er sich für Vorlesungen im nahegelegenen Douglas College ein. Um sich Geld für das Studium zu verdienen, nahm er an Sportveranstaltungen im Gewichtheben und an Bodybuilding-Meisterschaften teil. Zu einem gewissen Zeitpunkt wog er über 110 kg und war in der Lage, mehr als 180 kg aus der Rückenlage zu stemmen. Erste polizeiliche Untersuchungen wegen eines möglichen kriminellen Hintergrunds brachten ans Tageslicht, dass er bis dato nur wenig Ärger mit dem Gesetz gehabt hatte. Während eines Streits in einem örtlichen Fitnesscenter hatte er einen Mann angegriffen, wofür man ihn auch belangte.