Lilly

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Moon Light





Lilly



(erotischer Roman)



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„Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon.“



Immanuel Kant



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1



 Lilly lag im dem Bett und starrte auf die moderne weiße Leuchte. "Wie hässlich bist du, kleines Designermiststück! Ich muss unbedingt eine neue Leuchte kaufen...", dachte sie. Sie war sehr angespannt, ihre naturblonden fast hellbraunen Haare waren nass, ungekämmt und lagen unordentlich auf dem Kissen, das sie mit dem Kopf so sehr reingepresst hat, dass es überhaupt fraglich war, wozu sie ein Kissen brauchte.



 Ihre Augen waren breit geöffnet und schauten fast über die Zimmerdecke hinweg. In ihrem Kopf spielte sich die Szene ab, wie sie, zusammen mit ihrem Mann, diese Leuchte im Designerladen besorgte. Hat sie ihr damals überhaupt gefallen? Lilly konnte sich nicht so richtig erinnern. Es war schon so lange her, noch bevor sie Kinder hatten.



 Das ganze Leben hat sich in Vorkinder- und Nachkinderzeit aufgeteilt. Komisch. Früher war es ihr total egal, welche Leuchte sie im Schlafzimmer hatte, diese musste nur funktional sein – wer schaut ja gewöhnlich nach oben? Es waren einfache Zeiten. Damals hat sie nicht lange nachgedacht, um irgendeine Handlung zu unternehmen, sie tat einfach, was sie wollte.



 "Blöde Leuchte! Wie lange hängt sie schon da? Seitdem ich und Tom uns geheiratet haben? Wie viele Jahre sind es schon? Sie ist voll mit Staub bedeckt... Und wann habe ich sie zuletzt gewaschen? Diese blöde, verdammte Leuchte! Was habe ich nun heute mit den ganzen Zahlen? Nein... nein... ich muss mich doch auf mich konzentrieren." Lillys Stirn war schon mit kleinen Tropfen Schweiß bedeckt, es war ihr heiß. Ihre Finger wurden vor den monotonen aber starken kreisenden Bewegungen fast taub. Sie klebten an der zarten dünnen Haut fest. Lilly hat nun gemerkt, wie angespannt sie war und dachte, dass sie so niemals den Höhepunkt erreichen wird, dabei wollte sie die Sache nur zu Ende bringen.



 Sie war stur und hat bisher immer alles beendet, was sie angefangen hat. Sie war überzeugt, dass sie sich danach besser fühlen wird. "Die nicht beendeten Sachen lassen ein Unzufriedenheitsgefühl und machen Einen reizbar, vor allem wenn es um den Sex geht. Ich muss mich beeilen, bald müssen die Kids von der Kita abgeholt werden und die Haare föhnen muss ich ja auch noch, vielleicht mich auch nochmal schnell duschen... So. Jetzt musst du dich entspannen, sonst wird es Ewigkeiten dauern."



 Lilly ließ ihre rechte Hand locker und versuchte den Körper zu entspannen. "Gott, bin ich nass!" Sie legte die Decke zur Seite, drehte das Kissen mit der nassen Seite nach unten um, änderte ihre Position so, dass sie wieder bequem lag, schloss ihre Augen und setzte nach dem tiefen Ein- und Ausatmen mit der Selbstbefriedigung fort.



 Lilly fiel es schwer, sich auf ihren Körper und ihre Gefühle zu konzentrieren. Immer wieder kamen die alltäglichen Gedanken, die von ihr verdrängt werden mussten, hoch. Sie hatte keine Fantasien und hatte keine großartig spürbaren Empfindungen während des Prozesses. Meistens spürte sie intensiv, wenn der Orgasmus kam und die wenigen Sekunden davor. Doch es war mit großen Anstrengungen ihrerseits verbunden. Sie kannte noch die Zeiten, wenn die Lust von alleine aufstieg und jeder Sex, ob solo oder mit dem Partner, zu einem Erlebnis wurde. Welche Gedanken hatte sie damals? Sie hatte, wie auch heute, keine Fantasien, doch sie spürte. Leidenschaft und Intensität. Allein der Gedanke, dass sie in dem Moment Sex hatte, regte sie auf. Die Wahrnehmung der eigenen Empfindungen, der eigenen Lust, hervorrief noch intensivere Gefühle. Sie liebte. Sie hatte keine anderen Gedanken, wollte kein Ende. Sie wollte damals einfach mehr und mehr. Hier, jetzt. Sie genoss den Prozess.



 Der Prozess von heute wie auch diese von den letzten fünf Jahren waren ihr zur Last. Sie hatte keine Lust auf die Selbstbefriedigung. "Ja natürlich, wenn man dafür die letzten Kräfte abgeben muss!" Am liebsten hätte sie einen Knopf gehabt, der schnell und unkompliziert zum Höhepunkt bringen könnte. Doch es gab keinen: Keinen Knopf und keinen Höhepunkt. Stattdessen hatte sie Lust auf den Orgasmus bzw. sehnte sich nach dem Gefühl der Erleichterung, das sie danach bekam. Alles nur, um die physische und innere Angespanntheit aufzulösen. Sie wollte nicht warten, bis der Tom nach Hause kommt, denn der Akt mit ihm bedeutete für sie noch mehr Arbeit. Außerdem war heute nicht Der Tag. Die unausgesprochene alberne Vereinbarung, sich nur am ersten Wochenende des angefangenen Monats zu lieben, die aus einem Scherz von Lilly entstanden ist, wurde zur Regel. Er nannte es immer "sich lieben" oder "Liebe machen" und Lilly machte mit, dabei hasste sie diese Phrasen so sehr. "Es gefällt mir so sehr, wie du laut gestöhnt hast, wenn wir Liebe gemacht haben", erinnerte sie sich an seine Worte. "Was für ein blöder Scheiß?!" Doch sie wollte ihn nicht verletzen und sagte nichts. Denn alles war ok. Eigentlich.



 Lilly strengte sich aus der letzten Kraft an. Ihre Hände sind schon steif geworden. "Hauptsache, nicht den Punkt verlieren." Ihr Körper war höchst angespannt, ihr Inneres auch. "Bald. Bald ist es zu Ende. Nur nicht aufgeben!" Sie drückte ein bisschen nach und es klappte... Lilly pustete leise aus. Ihre Augen rollten unter den geschlossenen Liedern kurz auf. Sie machte kein weiteres Geräusch. Der Orgasmus dauerte gefühlt zwei Sekunden. Lilly war enttäuscht. Es war eine der bescheuerten Orgasmusarten (sie hat für sich eine eigene Klassifikation davon entwickelt), nach denen es kurz schwindelig wird und man ein leichtes Piepsen im Ohr bekommt. Und zwar, nicht weil er so gut oder intensiv war, sondern weil man sich zu sehr anstrengte. Ja. Sie hatte sich schon zwei Mal davor zum sogenannten Höhepunkt gebracht. Doch diese zwei waren, verflixt doch mal, nicht hoch! Nicht hoch genug! Es waren diese Arten, nach denen man noch mehr will. Und wenn man nicht zufrieden ist, heißt es einfach: Es war nicht genug. "Du kannst doch nicht sagen, dass du satt bist, wenn du beim großen Hunger nur die Hälfte oder gar ein Drittel deiner gewöhnlichen Mahlzeit gegessen hast. "Meine Mahlzeit", dachte Lilly weiter, "bestand diesmal aus drei Teilen. Aus drei geschmacklosen Teilen. Tja... zumindest ist der Hunger für einige Zeit gestillt, auch wenn der Nachgeschmack nicht so gut ist." Lilly duschte sich zum dritten Mal an diesem Tag, föhnte sich die Haare und machte sich auf den Weg. Das Abendessen wollte sie auf dem Rückweg aus der Kita gemeinsam mit der dreijährigen Tochter Mila und dem zwei Jahre älteren Sohn Maik kaufen, denn fürs Kochen blieb ihr heute keine Zeit. Wahrscheinlich werden die Kleinen wieder chinesische Nudeln wünschen. "Warum präferieren Kinder überhaupt Chinesisch?"






2



 Tom war ein gut aussehender Mann, Mitte Dreißig, mit hellbraunen Haaren und smaragdgrünen Augen. Sehr ungewöhnlicher Typ mit sehr attraktivem Gesicht. Streng und diszipliniert auf der Arbeit, verwandelte er sich zu Hause schnell in einen liebevollen, fürsorglichen Mann, der höchste Respekt vor Lillys Wünschen und dessen der Kinder zeigte. Er hatte einen guten Job als Marketing Manager und konnte alles: Kochen, Kinder ins Bett bringen, Fechten und hatte Ausdauer beim Sex. Ein Traum also. Seine Perfektion, Gefügigkeit und verständnisvolle Art ließen Lilly keine Möglichkeit sich aufzuregen. Sie hatten keinen Streit. Nie. Sie konnte ihm einfach keinen Vorwurf machen, denn es wäre unfair, so einen guten Menschen zu verletzen. Doch diese wöchentlichen Blumen... diese rosa Rosen! Sie konnte diese nicht mehr leiden! So aufmerksam wie Tom war, hörte er einmal Lilly begeistert sagen, dass sie rosa Rosen, deren unaufdringliche Zärtlichkeit und den angenehmen kaum spürbaren Duft über alles mag. Seitdem gab es jede Woche dieselben rosa Rosen, die jedesmal prominent in der Mitte des großen Esstisches aus Holz platziert waren. Sie sahen wunderschön aus und passten ohne Frage zu den hellen Tönen des Interieurs im Wohnzimmer. Ab irgendeinem unbestimmten Zeitpunkt sind sie aber zu einem "Möbelstück" geworden, wie die ganzen Schränke, Regale und Stühle, die einfach unbewegt da standen und keinen besonderen Sinn hatten. Eigentlich ist es nicht so übel, wenn ein Gegenstand nicht mehr die Freunde bereitet, die er früher bereitet hat, doch Lilly fühlte sich verpflichtet, sich jedesmal zu freuen, wenn es frische Rosen gab. Woche für Woche.



 Lilly hat die schweren Schritte, die offensichtlich ihrem Mann gehörten, registriert. Sie eilte sich Richtung Eingangstür, während ihre Kinder mit dem Bemalen einer extra dafür gekauften Tapete beschäftigt waren. Sie machte es immer, wenn ihr Mann von der Arbeit kam. Er war pünktlich 15 Minuten zu spät im Vergleich zu der gewöhnlichen Ankunftszeit, denn heute war Freitag und es gab Blumen. Dafür musste Tom einen kurzen Umweg fahren, damit er den Strauß aus rosa Rosen abholen konnte. Theoretisch hätte er schon längst eine Bonus- oder Rabattkarte von dem Ladenbesitzer anfordern sollen.



 Wie in einem Film fragte der Blumenverkäufer dann: "Für Sie wie immer?" Und reichte ihm, ohne großartig auf Toms Reaktion zu warten, den schon vorher vorbereiteten Strauß aus sieben rosa Rosen auf mittellangen Stielen, damit sie perfekt in die runde Vase aus dünnem Glas passten. Tom nickte kurz, gab dem Verkäufer den notwendigen Betrag in Bar und verabschiedete sich schnell. Danach lief er noch schnell an dem gegenüber stehenden Weinladen vorbei und nahm die gleiche Weinmarke wie immer. Abhängig davon, welches Gericht es zum Abendessen gab (Lilly teilte es ihm vorab per SMS mit), kaufte er entweder Rosé- oder Rotwein. Den Weißwein trank Tom prinzipiell nicht, weil er irgendwann irgendwo gelesen hat, dass Rotwein gesünder ist. Den Grund, warum es so ist, hat er längt vergessen. Die Gewohnheit blieb jedoch. Nach dem ganzen Prozedere fuhr er schnell nach Hause, parkte sein Auto in der Garage und schlenderte mit schweren Schritten zur Haustür. Er war müde nach der anstrengenden aber produktiven Woche und wollte sich nur entspannen. Vor dem großen supermodernen Fernseher, mit einem Glass Wein und einer Packung Chips mit Paprikageschmack. Chips waren das einzige ungesunde Zeug, das er sich einmal pro Woche gönnte. Davon aber gleich zwei Packungen.

 



 "Hallo Schatz", er nannte seine Frau immer Schatz, ohne Ausnahmen, "was für grausames Wetter da draußen." Tom sah müde aus, war aber offensichtlich erfreut zuhause zu sein und lächelte über das ganze Gesicht. Seine Haare und der schwarze klassische Regenmantel waren mit Wassertropfen bedeckt.



 "Ja, du bist ganz nass. Komm schnell rein." Lilly küsste Tom auf die Wange, obwohl es ihr ein bisschen unangenehm war, die kalte nasse Haut zu berühren. Sie ahnte schon, was passieren wird und war innerlich gereizt. Sie riss sich aber zusammen, um es nicht zu zeigen.



 "Hier, für dich." In der rechten Hand hielt er die Rosen.



 "Danke, sie sind wunderschön." Lilly lächelte Tom an, nahm ihm den Strauß und die Papiertüte mit dem Wein und Chips ab und ging in die Küche. "Mila... Maik... Kommt schnell, Papa ist da."



 "Paaapi, Paaapa!" Die Kleinen rannten, Eine schneller als der Andere und fingen an, auf den sichtbar glücklichen Tom zu klettern.



 Lilly war froh, einen Moment für sich gewonnen zu haben: Sie fühlte sich miserabel und wollte weinen. Die rosa Rosen waren unerträglich. Sie war ihr selbst unerträglich. Am liebsten hätte sie Tom angeschrien, ihm gesagt, dass sie diese Rosen nicht mehr leiden kann, dass es banal, langweilig, einfach unmöglich ist. Doch wie konnte sie? Sie hat es ihm selbst gesagt, dass sie diese Blumen mag, demnach war sie also selbst schuld. Tom war ein guter Mann, guter Vater. Im Hintergrund hörte Lilly, wie die Kiddies mit ihm Spaß hatten. Sie spielten "Flugzeug", das Spiel wenn Tom die Kleinen nach einander hochhob und mit ihnen durch das Zimmer flog.



 "Was habe ich nur zu jammern?" Lilly schnitt die Rosenstiele beinahe professionell an, ohne sich mit den Stacheln zu verletzen. Eigentlich hat sie sich schon daran gewöhnt, die Maske der Zufriedenheit zu tragen und sich über die Rosen künstlich zu freuen. Diesmal war sie aber kurz davor auszurasten. Der einzige Grund, warum sie sich noch in die Hände nehmen konnte, das einzige Argument des Verstandes, war die Abwesenheit von richtigen Gründen für einen Streit. Toms Verhalten gegenüber Lilly war makellos. Sie schaute kurz hoch und blinzelte schnell mehrmals mit den Augen, damit die aufkommenden Tränen wieder zurück rollten, nahm die Vase mit Blumen, setzte ein Lächeln auf und ging in das Wohnzimmer, wo sie das Abendessen kurz vor Toms Anreise aufgetischt hat. Sie stellte die Rosen in die Mitte des Tisches.



 "Perfekt!", sagte Tom.



 "Zum Kotzen perfekt", wollte Lilly hinzufügen, doch sie schwieg.






3



 "Ich bin 31, habe zwei süße Kinder, die ich über alles liebe, einen guten Mann, ein Haus. Einen Job, mit dem ich absolut zufrieden bin, zwar in Teilzeit, aber dafür durchaus gut bezahlt, habe ich auch. Ich habe genug freie Zeit im Vergleich zu dem, was meine Freundinnen über sich erzählen. Ich habe alles, wovon ich früher geträumt habe. Doch warum fühle ich mich unwohl? Warum bin ich unglücklich? Ein zufriedener Mensch... was muss er haben? Eine Familie, einen Platz zum Wohnen, einen Job, genug Geld, um seine Bedürfnisse zu befriedigen... Liebe, Sicherheiten, Geld... Ich habe das alles! Aber es ist doch immer wieder das Gleiche! Das alles macht mir keinen Spaß. Ich will nicht, dass alles so geregelt ist. Es ist doch so langweilig!



 Ich weiß genau, wie mein Tag heute, morgen und übermorgen abläuft. Und wenn ich in den Urlaub mit meiner Familie fliege, weiß ich, nach welchem Muster das Ganze ablaufen wird. Sogar in einem fremden Land, wo die Bedingungen total anders sind, weiß ich genau, wie wir uns verhalten werden. Wir werden in die sicheren Restaurants gehen, in welchen möglichst europäisch aussehendes Essen serviert wird. Nur damit man bloß keine Magendarmgrippe kriegt. Wir werden am Pool mit einem Buch liegen, während die Kinder im Wasser platschen. Und Abends werden wir Mila und Maik dem Animationsteam mit den Worten 'Passen Sie auf sie gut auf!' anvertrauen, damit wir selber an der Bar unseren Wein oder ein paar sichere Cocktails bestellen können, entweder Cuba Libre oder Caipi. Und wir werden stolz darauf sein, dass wir dabei Caipirinha von Caipirowka unterscheiden können, denn Caipirowka enthält Wodka. Und Wodka trinken wir logischerweise nicht. Warum logischerweise? Ich weiß es nicht. Aber so muss es nun sein. Was für, verdammt doch mal, langweiliges beschießenes Leben!!! Gut, dass ich zumindest in meinen Gedanken fluchen kann. Zumindest hier. Oh ja, meine Gedanken gehören mir...



 Aber warum bin ich so aufgeregt? Das darf doch nicht sein. Ich habe alles: Meinen Mann, meine Kinder, die blöden Sicherheiten (nein, sie sind nicht blöd, man braucht sie wohl), guten Sex ein Mal pro Monat. Na gut, vielleicht ist es nicht so oft, wie ich es gewollt hätte, aber ich will doch nicht, dass mein Mann ständig übermüdet ist. Man muss doch menschlich sein. Und vor allem kann ich mich selbst befriedigen, wenn es mir so notwendig erscheint. Und während dieses einen Mals pro Monat komme ich doch zu dem 'logischen Schluss'. Ja klar, vielleicht ist mein Orgasmus nicht so bunt, wie bei meiner besten Freundin, wie sie es beschreibt. Und vielleicht muss ich mich unglaublich viel anstrengen, damit ich kommen kann. Aber sie hat ja keine Kinder und keine Verpflichtungen, und ihr Kopf ist frei, und sie kann ihrem Partner jederzeit sagen, was ihr nicht gefällt oder gar mitten im Verkehr aufstehen, ihn mit 'so kannst du dich selber ficken' anbrüllen und dann, ohne schlechtes Gewissen zu haben, abhauen. Sie hat keine Angst um die Beziehung! Außerdem kann man nicht die Tatsache verneinen, dass ich überhaupt einen Orgasmus habe. Viele Frauen können beim Sex gar nicht kommen, nur mit ihrer eigenen Hand... ich muss also echt zufrieden sein. Ist der Sinn des Ganzen nicht wohl zum Höhepunkt zu kommen? Und das bekomme ich ja jedesmal. Also darf ich auch nicht jammern, denn alles ist gut. Ja. Ich bin dankbar dafür, dass ich das, was ich habe, besitze. Genau..."



 Lilly verlor sich ihn ihren eigenen kontroversen Gedanken. Sie dachte darüber, dass der Sex mit Tom zwar nicht schlecht ist, aber durchaus langweilig. Alles, was sie dabei taten, verlief nach einem Muster. Lilly wusste genau, an welchem Wochenende Es passieren wird, doch Eins konnte sie nie erraten: In welchem Moment genau "der Eingriff" passiert, denn ihr Mann wollte so tun, als ob alles spontan abläuft.



 Sie hasste diese geplante Spontanität. Lieber hätten sie sich wirklich abgesprochen, denn es war immer ein nicht passender Moment. Aber so was von! Mal hat er sie morgens früh überrascht, wenn sie nicht mal ihre Zähne geputzt hat, Mal am Tage während des Kochens oder Aufräumens, wenn sie voll verschwitzt war. Es war grausam. Beim Sex mochte sie sauber sein und vorbereitet. Natürlich konnte sie ihn dann nicht erlauben, sich überall zu küssen, auch wenn er die Initiative ergreifen wollte. Wenn sie sich selber vor sich ekelte, wie sollte es dann für ihn sein, waren ihre Überlegungen.



 Manchmal dachte sie, dass Tom es extra machte, damit er weniger zu tun hat, weil Lilly dann die ganze Arbeit erledigte: Sie setzte sich auf ihn, beugte sich mit dem Körper nach hinten und stützte sich mit den Händen ab, während er entspannt da lag und ihre Brüste beobachtete. "Clip heißt diese Position in Kamasutra, glaub ich." Am meisten hasste sie, wenn er seine Arme hinter den Kopf legte, anstatt sie zusätzlich zu stimulieren. So hatte man das Gefühl, dass er die ganze Situation kontrolliert, so stolz, fast arrogant, wobei sie die ganze Arbeit erledigte. Das war aber die einzige Stellung, in der sie kommen konnte. Also wagte sie nicht, sich zu beschweren.



 Es gab noch eine Pose, die sie ab und an praktizierten. Den Namen dafür hat sie vergessen. "Gott ist sie anstrengend!" Dabei zog Tom seine Knie zur Brust und sie hockte auf ihm, sodass er einen Blick auf Lillys Rücken hatte. In diesem Fall musste sie ihre Hände auf seine stellen. Mega anstrengend für eine Frau, für die Sport eher eine Ausnahme ist als die Regel. Sie fühlte sich wie auf einem Fitnessgerät, von Spaß war gar nicht die Rede. Natürlich täuschte sie dann den Orgasmus vor. Sie wusste nicht, warum sie es tat. Wahrscheinlich, um sein Ego nicht zu ruinieren, denn sie lernte es einmal und für immer, dass das männliche Ego unantastbar ist. Eines Tages wagte sie ihrem Ex ein paar Vorwürfe bezüglich seines Verhaltens während des Sex zu präsentieren, seitdem kriegte der Ex sein Glied in ihrer Anwesenheit lange Zeit nicht mehr hoch. "Scheiß zartes Wesen!"



 Sie wollte es perfekt haben oder zumindest versuchen, ihre gemeinsamen intimen Momente an ihre Vorstellung über den guten Sexablauf anzupassen, daher bereitete sich Lilly manchmal schon am Freitag davor für den Tag X: Sie putzte das Haus, beschloss das Essen am nächsten Tag zu bestellen, anstatt zu kochen, machte sich "gorgeous", wie die Bridget Jones aus dem gleichnamigen Film vor einer Buchpräsentation, also echt das volle Programm inklusive Epilation, Intimrasur, Maniküre und Pediküre, Scrubs, Cremes, Body-Parfüm und die Parade-Dessous. Es gab nur einen kleinen Hacken: Danach war sie entweder fix und fertig und/oder genervt, "weil Frauen es viel anstrengender im Leben als Männer haben" und konnte sich einfach nicht entspannen.



 In solchen Momenten träumte sie so sehr, dass alles nach ihrem(!) Szenario abläuft. Es war ihr gleich, dass dieser Ablauf typisch war, denn sie füllte ihn mit ihren eigenen Gefühlen, denn sie war dabei die Hauptfigur. Und dieses Szenario war ideal, sie hat es schon mehrmals im Kopf abgespielt:



 Es ist später Abend. Draußen ist es schon dunkel geworden. Lilly und der Mann sitzen in einem schicken Restaurant mit romantischer unaufdringlicher Live-Musik. Sie kennen sich kaum und reden vorsichtig, mit großen Pausen dazwischen, um die Idylle des Moments nicht zu zerstören. Sie gucken einander tief in die Augen. Man sieht, dass sie einander mögen und die Lust steigt langsam auf. Der Kellner kommt. Sie bestellen das Essen und zwei Gläser Weißwein. Während sie die Bestellung machen, schaut der junge Kellner Lilly mit Interesse an, evident ist, dass er sie attraktiv und anziehend findet, doch versucht seine Sympathie hinter der Höflichkeitsmaske zu verstecken. "Gerne", sagt der junge Mann und verlässt ohne Eile ihren Tisch. Lilly genießt die Aufmerksamkeit und lächelt etwas verträumt ihren Partner an, der aber leicht beunruhigt zu sein scheint. Sein Revier ist in Gefahr: Der freche Kellner versuchte gerade mit seiner Frau zu flirten. Er ist ein Mann und er weiß, was sich hinter den höflichen, scheinbar nichts zu bedeutenden Gesten und gut verdeckten Komplimenten steckt. Als der Kellner das nächste Mal mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern erscheint, richtet sich Lillys "Date" auf und wird fast doppelt so breit und hoch wie sonst. Er sendet dem Kellner Signale, die der Zweite deutlich interpretieren kann, doch scheint sein Verhalten trotzdem nicht ändern zu wollen. Er legt sogar noch eins drauf und blickt kurz in Lillys Dekolleté, während Lilly den Wein testet. Blitzschnell, sodass nur aufmerksamer Mann es merken kann und guckt dann triumphierend Lillys Freund an. Der Zweite erwidert das aber mit einem dermaßen ernsten eisernen Blick, dass der Kellner auf der Stelle verschwinden will. So einen Blick haben die Raubtiere, kurz bevor sie ihre Opfer zerreißen. Der stille Streit zwischen den beiden Herren dauert nur wenige Sekunden. Doch es gibt einen klaren Sieger. Lillys Verstand schafft es nicht, die Szene deutlich wahrzunehmen, sie spürt aber auf der intuitiven Ebene, was abläuft...



 Lilly mag es, einen starken Mann an ihrer Seite zu haben. Sie genießt diesen Moment. "Auf dich", sagt der Mann und schaut ihr dabei tief in die Augen. "Auf dich", erwidert Lilly, trinkt einen kleinen Schluck und leckt einen Tropfen Wein von ihrer oberen Lippe ab. Er schaut sie von oben nach unten an, hält seinen Blick für ein paar Sekunden auf ihrem Dekolletébereich an. Ihr Herz klopft und die Haut auf der Brust pulsiert leicht.

 



 Sie beobachten einander wie zwei schüchterne Teenager und die Pausen zwischen den schon ohnehin seltenen Phrasen werden immer größer. Es gibt nichts zu besprechen – die Beiden sind dafür zu erregt. Der Wein fängt langsam an zu wirken und Lilly verliert sich in ihren Gefühlen. Es ist ein Cocktail aus diversen Wünschen und Gedanken: Aufregung vor dem Bevorstehenden, Angst etwas Falsches zu sagen oder zu machen, der Wunsch ihn zu streicheln, zu küssen, die Wärme seines Körpers zu spüren... Eine gefühlte Ewigkeit sitzen sie gegenüber einander und das Feuer zwischen den Beiden wird immer heißer.



 Endlich kommt das Essen. Es wurde von einer anderen Kellnerin herbei gebracht: Ein schön serviertes kleines Etwas auf einem unverhältnismäßig großem Teller. Lilly freut sich, dass die Portion so klein ist, denn sie hat keinen Hunger. Lillys "Da