Drachenkind - Die Magie der Versöhnung

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Drachenkind - Die Magie der Versöhnung
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Drachenkind

Die Magie der Versöhnung

Mirijam Habel


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2019

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Titelbild: Mirijam Habel

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-770-5 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-304-0 -E-Book

*

Inhalt

Nosce te ipsum

Die Geschichte des Psaridos

Die Kraft der Imagination

Eine streng geheime Mission

Esdracollum

Die Ritterin

Die Verheißung I

Der Drachenreiter

Die Verheißung II

Wiederkehr

Autorin

Unser Buchtipp

*

Nosce te ipsum

Vom Schicksal geleitet, gelenkt und gelebt erscheint uns das Leben, wenn die Handlungsmacht uns nicht ist gegeben. Wenn alles oder nichts sich fügt, sich anders verhält als erwartet, und dennoch gut, weil es für uns bestimmt, dann gleicht das Leben einem Traum, der einem Roman nicht unähnlich ist. Die Erzählung beginnt mit Jonnef, einem jungen, außergewöhnlichen Mann in schicksalhafter Verbindung mit einem Drachenkind.

Seiner Bestimmung auf Erden noch ungewiss, wandelte er in der Stille seines Wesens ruhend und träumte sich hinfort in eine andere Welt jenseits der Gegenwart. Eine Gegenwart, die viel zu laut, zu schnelllebig, oberflächlich und unsensibel war, in seinem Bedürfnis nach Frieden, nach Ruhe und Kontemplation. Denn zartfühlend war er, sanft und in sich ruhend, wie schwebend, gänzlich von Harmonie umgebend. Darum hat er sich zurückgezogen. Zurück in sein Innenreich, eine Welt tief in ihm drin, die so schön und fein, reich und komplex an guten Gedanken und edlen Gefühlen war. Doch befangen in sich und unfähig, auf und in die Welt zu blicken, konnte er sie nicht in die richtigen Worte hüllen, um sich und ihnen Ausdruck zu verleihen. Auf diese Weise blieb er fremd und unverstanden, verschlossen, schüchtern und scheu, in Schweigsamkeit gehüllt als ein Schatten seiner selbst und still wandelnder Geist.

Darüber hinaus besaß er die Fähigkeit, dunkle Sachverhalte zu erahnen, ja zu erspüren, noch bevor sie eintraten. Darum bewundert und bemitleidet zugleich, auch seiner auffälligen Unauffälligkeit wegen, die schon wieder so unauffällig war, dass sie auffiel, blieb er dennoch fremd.

Nichts als ihr Unverständnis, als Abstand und Distanz konnten seine Mitmenschen ihm gegenüber aufbringen. Doch seine ausgesprochene Herzlichkeit, seine Liebenswürdigkeit und sein enormes Feingefühl sowie Gespür für die noch so kleinsten, unscheinbarsten Dinge, die Menschen und Tiere um ihn herum, in die er sich stets einzufühlen vermochte, ließen sie ihn als einen angenehmen Zeitgenossen wahrnehmen, der ihnen bald sogar ganz und gar unersetzlich erschien. Denn sie sahen seine Seelenschönheit. Fasziniert von seinem Wesen konnten sie schließlich über seine Unzulänglichkeiten hinwegsehen und erkannten seinen sowohl weit reichenden, als auch tief gehenden Verstand, der hinter einer still, stummen Fassade ganze Bände sprach.

Von Disziplin und Ehrgeiz, von Selbstbeherrschung und Willenskraft war er durchsetzt sowie von einem enormen Kampfgeist, den er jederzeit dann heraufbeschwören konnte, wenn es galt, stark zu sein und zu kämpfen für das, wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Verwehrt jedoch blieb ihm die Leichtigkeit des Seins. Zu schwer war ihm das Leben erschienen. Zu schwer auch sein Gemüt, das von einer solchen Gravität umgeben, zu erdrückend für seine Mitmenschen war und ihn selbst mit Melancholie erfüllte, die mit Würde getragen, ihm ein schönes Ansehen gab.

Zu gerne betrachteten sie ihn und die feinen Züge seines sanft strengen Gesichts, das jedoch zu betrachten meist misslang. Still über seinen Büchern gebeugt, entzog er sich ihren Blicken, indessen er der Realität entschwand und sich in einer Geschichte wie dieser wiederfand.

Es ist die Geschichte eines durchschnittlichen Realschülers, der dem Spott seiner Mitschüler zum Opfer fiel, weil er ein wenig anders war als die anderen und sie mit seiner Individualität und Andersartigkeit nicht angemessen umzugehen vermochten.

Um ihre Akzeptanz und Sympathie zu erlangen, hätte er nichts weniger tun müssen, als seine Natur zu brechen, sich selbst zu verleugnen und selbst zu verlieren. Das aber ging nun mal nicht. Es war unmöglich, so oft er es auch versuchte, machte er sich dabei doch nur selbst unglücklich. Dennoch hatte er seine Klassenkameraden gerne, weil er nachsichtig mit ihnen war und über ihre Schwächen erhaben. Er wertschätzte einen jeden in seiner individuellen Persönlichkeit und eine jede in ihrer spezifischen Art. Er nahm sie einfach alle an, so wie sie waren, und machte sich nichts daraus, sondern erfreute sich an ihren Facetten und Nuancen, die er bedingt durch seine außerordentliche Wahrnehmung der Welt und der Menschen darin, besonders erkannte. Und dennoch wurde er stets herausgefordert und aufgefordert, aus sich und seiner Haut herauszukommen.

Jonnef aber konnte dies nicht und ließ sich ihre Sticheleien gefallen, ohne sich zur Wehr zu setzen, bis er es nicht mehr ertrug. Die Sticheleien, sie waren ihm schließlich doch unter die Haut geraten, auf dass er kurzerhand beschloss, den schweren Harnisch seines Großvaters, einen Panzer aus Drachenhaut, vom Speicher herunterzuholen, um sich damit einzukleiden. Zusätzlich mit einem metallenen Schwert umgürtet und einem Schild, das er fest in der Faust umschlungen hielt, betrat er das Schulgelände, um als Drachenritter gekleidet zu erklären, ein Krieger zu sein, der mit Drachenblut benetzt, unverwundbar ist. Von sowohl neugierigen, als auch furchtsamen Mitschülern umgeben, wurde er bald darauf von einer mehr als bestürzten Lehrerschaft zum Direktor der Schule gebracht. Dieser hatte ihn bisher als einen ganz fleißigen, braven Schüler gekannt, der ihm nie verhaltensunauffällig erschien. Nun aber forderte er ihn auf, sich vor ihm zu rechtfertigen.

Obwohl Jonnef des Sprechens ungewohnt und der Aufregung wegen stotternd, gelang es ihm dennoch, der Weisheit seiner Worte wegen den Direktor ins Staunen zu versetzen. Statt eines aufsässigen, widerspenstigen Rebellen, der sich der Schulordnung verweigerte, sah er nun ein seelisch verletztes Kind vor sich sitzen, das im Herzen tief verwundet worden war. Sogleich wurde der Vater des Halbwaisen verständigt und es wurde ihm vorgeworfen, das Sorgerecht für den Jungen vernachlässigt zu haben, was dieser aus beruflichen Gründen zu rechtfertigen verstand. Zudem fehle dem Jungen eine Mutter, lautete schließlich der Befund, sodass man den Verträumten unbescholten seiner Wege gehen ließ. Wege, die ihn in eine Welt führten, bestehend aus mehr als einer Dimension.

Eine Welt voller Fantasie, erfüllt von Magie, in die er uns nun leiten wird.

*

Die Geschichte des Psaridos

Willkommen in Magictown, umhüllt von des Nebels weißen Schleiern, worin Dragon Feu in einer morschen Hütte hauste. Noch war es Herbst, doch der Winter sollte bald kommen. Quietschend öffnete sich die Tür, aus die der Magier in die morgendliche Kälte trat. Sein schlohweißes Haar hing ihm bereits über die Schultern und sein Bart erreichte fast den Boden. Obgleich runzelig, streng die Züge seines Gesichts, war er doch stets zu einem gütigen, freundlichen Lächeln aufgelegt.

Und nun lief er ungeduldig auf und ab, in Erwartung eines ehemaligen Schülers, der wie ein Sohn zu ihm stand und nun den seinen ihm zur Lehre geben wollte.

Dann endlich regte sich etwas im Wald und zu vernehmen waren Huftritte, die auf morschem Waldboden dumpf aufschlugen, gefolgt vom Gewieher der Pferde, welches die morgendliche Stille durchdrang und die Ankunft der Reisenden verriet. Nur schemenhaft kam eine Kutsche zum Vorschein, deren Holz mächtig knarrte. So schnell der alte Magier konnte, rannte er dem Gefährt entgegen, um den schon sehnsüchtig Erwarteten zu empfangen und in die Arme zu schließen.

 

Statt des Erwarteten stieg jedoch recht zaghaft ein schüchtern-scheuer Junge, der kaum achtzehn Winter zählte, aus dem Gefährt aus und blickte den Magier etwas misstrauisch, der Sonne wegen blinzelnd an. Dragon Feu grüßte ihn dennoch. Doch als nichts ihm entgegenkam, versah er den Jungen mit ebenso kritischen Blicken, sodass sie beide einander zu hinterfragen schienen und nicht gleich Sympathie zu empfinden. Doch auf einen Ruck des Vaters hin grüßte auch Jonnef den Magier und reichte ihm vorsichtig die Hand. „Das ist also Jonnef, das Drachenkind?“, fragte Dragon Feu und schüttelte den Kopf, während er unverständliche Worte in seinen dicken Rauschebart brummelte.

„Jonnef, mein Sohn!“, entgegnete der Vater bestimmt.

„Freut mich, seine Bekanntschaft zu machen“, sagte Dragon Feu und lächelte ihm zu. Jonnef aber blieb unberührt davon, wie versteinert, und erwiderte das Lächeln nicht.

„So kommt. Kommt hinein in meine Hütte. Ein Feuer ist bereits gemacht, Kräutertee zubereitet und ein Brot im Ofen, das wartet. Es wird euch sicherlich stärken.“ Er öffnete ihnen die Tür zum Zeichen seiner Gastfreundschaft. Jonnef folgte nur zögernd und setzte sich langsam, ein wenig wie verängstigt, auf einen der klapprigen Stühle im Hintergrund, immer versteckt hinter dem Vater. Dass er sich unwohl fühlte, war offensichtlich. Wie nicht dazugehörig kam er sich vor und schien bestrebt, sein Umfeld auszublenden, um so zu tun, als sei er gar nicht da, wie jedes Mal, wenn er sich fehl am Platz fühlte und gar nicht dazugehören wollte. Deshalb saß er nun wie abwesend auf seinem Stuhl, so als sei nur die körperliche Hülle anwesend. Doch der Vater bemerkte es nicht. Stattdessen bemerkte es Dragon Feu, der Befremden an dem Jungen fand und ihn immer wieder aus einem Augenwinkel heraus betrachtete. Doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und reichte ihm einen warmen, wohltuenden Kräutertee, wobei er ihm freundlich zuzwinkerte. Dies verursachte, dass dem verschlossenen Jungen ganz sacht ein schüchternes Lächeln über die Wangen huschte, welches das Eis zwischen ihm und dem Magier zu brechen imstande war, jedoch sofort wieder verebbte, um zu Stein zu erstarren. Dragon Feu bemerkte es dennoch und auch die innere Befangenheit des Kindes. Wieder schüttelte er mit dem Kopf. Dann holte er das Sauerteigbrot aus dem Ofen und reichte ihn in Scheiben geschnitten seinen Gästen, die ihm für seine Zuvorkommenheit dankten.

Während des Essens kam es zu einem ernsthaften Gespräch zwischen dem ehemaligen Schüler und seinem Meister, das zum Ziel hatte, den Jungen bei Dragon Feu in Magictown zu lassen, um ihn zu einem Zauberer auszubilden. Jonnef, der in einen Anschein von Gleichgültigkeit gehüllt schien, noch immer still dasaß und krampfhaft sein Brot hinunterschluckte, sodass er dem Inhalt der Unterredung kaum folgen konnte, fuhr erschrocken zusammen, als sich beide über seinen Kopf hinweg, die Hände reichten und erhoben. Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete sich der Vater von ihm, dann ging er stillschweigend zur Tür hinaus.

Sich seinem Schicksal ergebend hatte Jonnef nun schon eine ganze Woche bei Meister Dragon Feu verbracht und sich allmählich an die mehr als bescheidenen Lebensumstände des Meisters gewöhnt. Früh morgens, noch vor Tagesanbruch, hatte er aufzustehen und mehrere Male kaltes Wasser vom Brunnen zu holen, während Dragon Feu das Essen zubereitete oder eine Vielzahl an Büchern sortierte, die er Jonnef zum Studieren reichte. Anfangs fiel es Jonnef noch schwer, sie zu lesen beziehungsweise sie zu verstehen, später aber war er darin geübt und verschlang eines nach dem anderen. Denn sie ließen ihn seine bedrückende Lage erträglicher werden. Hin und wieder leistete ihm Dragon Feus Eule Quärisma und mit ihr der Magier Gesellschaft, um sich mit ihm über das Gelesene zu unterhalten. Jonnef lernte auf diese Weise auch endlich Worte kennen, womit er im Stande war, seinen komplexen Gedanken und feinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und sie zur Sprache zu bringen.

Der Meister war bald hellauf begeistert und ganz fasziniert von Jonnefs originellen Gedanken und Empfindsamkeit infolge seiner hochgradigen Sensibilität, sodass Dragon Feu sich immer häufiger, inspiriert von Jonnef, in seine Gelehrtenstube zurückzog, um aufzuschreiben, was er von ihm vernommen hatte.

Auf diese und ähnliche Weise verbrachten sie unzählige Tage miteinander und wurden sich zunehmend vertraut. Jonnef schien plötzlich lebhafter zu werden und immer mehr aus sich herauszukommen. Das erfreute Dragon Feu. Dann aber gab es wieder Tage, an denen der Junge nur schwieg und wie ein Verlassener, traurig und gebrochen, sentimental und sinnentleert auf der Bank vor der Hütte saß und auf den Erdboden blickte, um in Melancholie gehüllt den Klängen der Natur zu lauschen. In solchen Momenten setzte sich Dragon Feu zu ihm, um ihm liebevoll auf die Schulter zu klopfen und zum Hereinkommen zu bewegen.

Stets war Jonnef dieser Aufforderung gefolgt, diesmal aber blieb er regungslos sitzen. Da brummelte der Magier ihm zu, ob er denn etwas von Drachen verstehe. Der Junge aber schwieg und presste die Lippen nur umso fester zusammen, bis er wieder diesen unsichtbaren Ruck des Vaters spürte, der ihm immer dann einen Stoß in die Rippen versetzte, wenn er sprechen sollte.

„Ja, ein wenig“, presste er schließlich aus sich heraus. „Zumindest habe ich viel über sie gelesen und sie sehr gerne“, fügte er dem in seiner allzu großen Bescheidenheit hinzu und senkte verlegen das Haupt.

Dragon Feu aber ließ nicht locker. Er wollte wissen, wie es dazu gekommen sei, dass er die Drachen so gerne habe, schließlich seien sie doch gefährliche, Furcht einflößende Wesen. Der Junge, noch immer ein wenig des Sprechens ungewohnt, stammelte etwas davon, dass er von Anbeginn eine große Leidenschaft für sie gehegt habe. Sie seien das Erste gewesen, was er gezeichnet, was sein Geist hervorgebracht habe. Sein Herz brenne förmlich für diese Geschöpfe, sagte er mit leisen, kaum vernehmbaren Worten, die zuletzt fast verschluckt, mehr in sich hinein, als nach draußen gesprochen waren. Wieder fühlte Jonnef nichts als seine Unzulänglichkeit im Leben und wollte erneut in Trübsal versinken.

Dragon Feu ließ sich davon jedoch nicht beirren noch befremden. Er zeigte Mitgefühl und Verständnis für sein Drachenkind und ging in die Hütte, um etwas zu holen. Als er jedoch wieder aus der Hütte kam, sah er den Jungen immer noch ohne Anteilnahme an der Außenwelt wie gedankenverloren, gänzlich in sich gekehrt, in seine eigene Welt versunken sitzen. Abermals schüttelte Dragon Feu den Kopf, dann reichte er ihm einen Eimer und bat ihn, Wasser vom Brunnen zu schöpfen, nur um ihn irgendwie in das Geschehen mit einzubinden. Jonnef erwies sich als sehr gehorsam und holte unter größter Anstrengung gleich mehrere Wassereimer auf einmal hinauf. Bald jedoch ermüdet davon, ließ er sich erneut auf der Bank vor der Hütte nieder und sah gen Himmel. „Wieso bin ich hier, Meister Dragon Feu?“

Dragon Feu, auf der Suche nach den rechten Worten, schwieg lange. Dann antwortete er: „Jonnef, alles ist eine Frage der Zeit und die Zeit die Bedingung allen Werdens. Alles im Leben hat einen Sinn, eine Bedeutung und eines Tages wirst du wissen, welche. Jetzt bist du erst einmal hier bei mir und das ist gut so. Mache dir keine Sorgen. Wir werden schon miteinander auskommen und einander verstehen.“

Weitere Tage vergingen und Jonnef fühlte zunehmend, dass er Teil dieser Welt zu sein schien, der er bislang fremd gegenüber gestanden hatte und die nun mit ihm zu sprechen begann. „Wie kam es zu all dem hier, dieser Zaubererwelt?“, wollte er nun von Dragon Feu wissen, noch bevor er in die Verlegenheit kam, zu überlegen, ob er an diesem Ort überhaupt so etwas zu sagen, geschweige denn zu fragen hatte.

Wieder setze sich Dragon Feu neben ihn und dachte nach, wie er beginnen sollte. Er räusperte sich. „Aus mehr als einer Dimension besteht diese Welt, die man auch den Psaridos nennt. Eine Welt der Magier, der Ritter, der Geistlichen und der modernen Menschen. Obwohl sie äußerst intelligent sind, die Weiten des Kosmos und die Tiefen des Ozeans nach fremdem Leben haben abgesucht, ahnen sie nichts von jenen drei ihnen verborgenen gebliebenen Welten.“ Dragon Feu schmunzelte über Jonnefs Erstaunen. „Von einer unsichtbaren Ruine aus, mitten im Wald gelegen, gelangen wir Zauberer in ihre Welt und wieder zurück durch eine Pforte. Du hast es selbst erlebt. Doch den Menschen ist dies bis zum heutigen Tag unbekannt geblieben.“

„Aber warum sind wir anders?“, fragte ihn Jonnef.

Wieder räusperte sich der Magier. Er überlegte lange, bevor er zu sprechen begann, holte tief Luft und setze dann mit einer erhabenen, ehrerbietigen Stimme an: „Der Legende nach lebte ein Drachenkind in einer Höhle zu Magictown, das besondere magische Kräfte besaß. Durch Zufall haben die Menschen davon erfahren und sich auf den Weg gemacht, es zu finden. Ganze Truppen an tapferen Männern aus Maryland sind ausgezogen, im Verlangen nach den magischen Kräften. Unter ihnen Richard, der seines Eigensinns und seiner Kühnheit wegen in seinem Dorf nicht nur hoch angesehen war, sondern auch angefeindet von solchen, die ihn darum beneideten. Infolgedessen zog er es vor, alleine, abseits des Dorfes zu leben. Allein auch ritt er davon. Allein auf sich gestellt, nur seiner Intuition folgend. Doch ihm entgegenkam sein Bruder Rubeus, der ihm an Eigensinn und Stärke glich. Beide von derselben Habgier, von Ehrgeiz gepackt, ritten sie vierzig Tage und Nächte lang ohn’ Unterlass, um eine Höhle nach der anderen zu erkunden, indessen die königlichen Truppen an Söldnern längst aufgegeben hatten und sich auf dem Rückweg befanden. Die Brüder aber ließen nicht nach und sich nicht davon beirren. Denn nichts und niemand vermochte sie von ihrer Unternehmung abzubringen. Unaufhaltsam und uneinsichtig sollen sie gewesen sein, indessen die Geistlichen sie verurteilten, da sie in ihrem allzu gestrengen Ehrgeiz, ihrer Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, kurzum ihres Kampfgeistes wegen, der bis hin zu einer ungesunden Verbissenheit reichte, ein ungöttliches Streben sahen. Die beiden aber hatten ein Ziel vor Augen, das es unbedingt zu erreichen galt. Mit enormer Willensstärke schritten sie voran, die sie zu unmöglichen Leistungen anspornen ließ und jegliche Unannehmlichkeiten ertragen. Nachdem die Truppen des Königs keine Gefahr mehr für sie darstellten, kam es nun zum Konkurrenzkampf unter den Brüdern. Denn sie waren nicht bereit, zu teilen. Ein jeder wollte der Erste sein und nicht gemeinsam mit dem anderen das Drachenkind erblicken. Richard war es schließlich, welcher die unheilbringende Höhle hinter dem rauschenden Wasserfall entdeckte und in das dunkle Innere mit erhobenem Schwert sich wagte.„Äußerst nebelig und warm soll es der Überlieferung zufolge darin gewesen sein.“ Dragon Feu unterbrach sich selbst, um zu erkennen, ob Jonnef seiner Erzählung noch immer aufmerksam folgte. Jonnef nickte, um zu signalisieren, dass er noch immer gespannt zuhörte.

„Die Höhle erschien Richard jedoch immer bedrohlicher, da die Wände zu singen schienen und erbebten, indessen sprudelnd heiße Quellen aus kaltem Gestein aufstiegen, die er vorsichtig umging. Und dann, dann sah er es. Das Drachenkind! Inmitten des Felsgesteins. Das sagenumwobene Drachenkind mitsamt dem Muttertier, das sein Junges liebevoll leckte und ihm von seiner Milch zu trinken gab, während violette Blitze aufleuchteten, die von dem Drachenkind aus auf das Muttertier übertragen wurden und die sie wohltuend in sich aufnahm, so als würden sie ihr Stärke verleihen. Von unersättlicher Gier nach den magischen Kräften und ihrer Macht erfasst, griff Richard nach dem Schwert, um es wie ein Speer erhoben auf das Drachenkind zu richten. Mit erhobener Klinge stürzte Richard auf es zu, gefolgt von Rubeus, welcher den Spuren des Bruders heimlich nachgegangen war. In seiner Eifersucht raste er auf ihn zu und stürzte ihn gewaltsam nieder, wobei Rubeus die Kontrolle über seinen eigenen Körper verlor und mit seinem Hinterkopf auf den steinigen Boden fiel, wo er unsacht an einen Felsen stieß, der ihn bewusstlos machte. Durch den Kampf der Männer aufgeschreckt, erhob sich der riesige aus unzähligen Stacheln versehene Körper der Drachenmutter und bäumte sich vor ihnen auf, um ihr Junges zu schützen, sodass die Höhle unter ihrem Gewicht bebte und Gesteinsbrocken herabfielen, die die Männer zu erschlagen drohten. Furchtlos stand jedoch Richard der Drachenmutter gegenüber. Er blieb wie angewurzelt stehen, obgleich er an sein Lebensende gedachte, nach Flucht und Umkehr sann. Mit feurig funkelnden Augen versah ihn nun die Drachenmutter, bereit ihn zu vernichten. Richard aber war fest entschlossen, mit ihr um ihr Junges zu ringen. Abermals hielt er das Schwert wie ein Speer in der Hand, das als Schusswaffe gebraucht und auf das Mutterherz gerichtet, sein Ziel nicht verfehlte. Getroffen schrie sie auf und sank zu Boden, indessen Richard sie für erschlagen hielt und beinahe selbst erschlagen worden wäre durch herabfallendes Geröll der zunehmend einstürzenden Höhle, ausgelöst durch ihren Schrei und Fall. Hätte Richard nicht die Nische neben sich entdeckt, in die er im letzten Moment noch hineingekrochen war, so wäre er dem Erdboden gleich gemacht worden. So aber überlebte er, eingeigelt wie ein Kind im Mutterleib, und schützte sich das Haupt, auf das Staub rieselte. Indessen kroch das tödlich verwundete Muttertier zu seinem Drachenkind, das die Wunde wehklagend leckte und mit seinen magischen Kräften versah, um sie zu heilen. Noch ein wenig benommen von der Erschütterung, wie leicht betäubt, kroch Richard aus seinem Versteck hervor und fasste sich ans Herz, um festzustellen, ob er noch lebte. Dann klopfte er sich den Staub vom Gewand und lächelte wie ein Todgeweihter, der den ersten Schrecken überstanden und überlebt hatte. Von dem Ereignis furchtsam gemacht, ging er behutsam, auf leisen Sohlen weiter. Fast geräuschlos schritt er von einem Stein zum anderen, um sich erneut dem Drachen zu nähern. Für einen kurzen Moment jedoch musste er an seinen Bruder denken, den er bewusstlos zurückgelassen hatte und welcher nun sicherlich unter dem Geröll begraben lag. Schuldgefühle überkamen ihn, er weinte, erst leise in sich hinein, dann laut schluchzend aus sich heraus. Es zwang ihn zu Boden, wo er eine kurze Weile verharrte. Dann jedoch war er wieder auf sein Ziel fokussiert, zur Erreichung dessen er auch nicht nur eine Sekunde lang an seinen Bruder zu denken hatte und schon gar nicht Reue zu empfinden, um in Schuldbewusstsein zu verharren, das ihm nur hinderlich erschien. Dem Drachenkind galt es, sich zu nähern und es für sich einzunehmen. Deshalb wollte er ohne Verzögerung weitergehen, obgleich er einen stechenden Schmerz an der Seite spürte, der ihn in die Knie zwang. Eine Verwundung, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Doch auch diese durfte ihn nicht hindern. Er biss die Zähne zusammen und kroch auf allen vieren weiter. Zu seinem Erstaunen fand er schließlich eine breite Schlangenlinie vor, die der Schwanzspitze eines Drachen angehören musste. Intuitiv folgte er ihr, bis dorthin, wo der Sand im Geröll sich wieder verlor. Dann blickte er durch einen Spalt im Felsen hindurch. Sein Herz zuckte zusammen. Erneut erblickte er das Drachenkind. Mit seinen sanften braunen Augen sah es ihn fast unschuldig an und bot sich ihm in all seiner Verletzlichkeit und Schwäche dar. Es schmerzte Richard, solch einem Wesen Leid zufügen zu wollen, sodass er im Begriff stand, von seiner ruchlosen Tat abzulassen. Er hielt inne und sann nach einer Möglichkeit, es zu schonen. Doch erneut erblickte er die violetten Blitze und die magischen Kräfte, die das Drachenkind umgaben, und wieder war Richards unersättliche Gier erwacht. Ein weiteres Mal griff er nach dem Schwert, um es wieder erhoben wie ein Speer, diesmal jedoch auf das Drachenkind zu richten. Ein letztes Mal noch glänzte die Klinge, dann war sie mit Drachenblut benetzt. Du siehst Jonnef, von Anbeginn haben Menschen Unrecht getan und sich einander Leid und Schmerz zugefügt, selbst dann, wenn sie es zu tun nicht beabsichtigten. In ihrem ungebändigten Zorn, ihrer Verblendung und ihrem Selbsthass haben sie Kriege geführt. Und so auch einen Krieg gegen die Drachen ausgelöst.“

 

„Dann ist es also wahr, das mit den Drachen?“, flüsterte Jonnef und strahlte. „Es gibt sie also doch!“

Dragon Feu nickte. „Ja Jonnef, es gibt sie in der Tat. Und irgendwo versteckt in den Tiefen der Höhlen befindet es sich noch, das Drachenkind und wartet nur darauf, an uns Rache zu nehmen. Es zu töten, wie das Muttertier, würde ein weiteres Unglück bedeuten und die Kette der Gewalt niemals unterbinden. Darum ein Segen, derjenige, dem es gelingt, es zu besänftigen und mit der Menschheit zu versöhnen.“

„Dann hat es also überlebt, das Drachenkind“, meinte Jonnef sichtlich erfreut. Dagon Feu nickte und sah zum Himmel hinauf. Jonnef aber wollte noch mehr wissen. „Und was hat es mit den Zauberern auf sich?“, fragte er den Meister in seiner Aufregung, weil nach Antworten auf unzählige Fragen heischend.

„Nun mal nicht so ungeduldig, junger Mann. Die Geschichte des Psaridos ist lang und die Vergangenheit der Zauberer tragisch. Über sie zu berichten, fällt mir nicht leicht, doch will ich es versuchen. Also: Wimmernd lag das Drachenkind da und Richard am Boden, indessen die Drachenmutter trotz ihrer Verwundung all ihre Kräfte aufbrachte, um lodernd heiße Flammen aus ihren Nüstern nach dem Feind zu speien. Sie füllte ihren Körper mit glühend roten Flammen an, die bis hinauf in ihre Nüstern wanderten, bereit, sie auszuspeien. Doch nur noch tiefer hatte Richard die Klinge in des Drachenkinds Wunde gerammt, wobei die magischen Kräfte über das Schwert hinweg und auf Richard zu, hin zu seinen Armen wanderten und in seine Adern eindrangen, sodass ihm die Flammen nichts anhaben konnten. Ermattet sank das Drachenkind zu Boden, während Richard, sich seines Sieges gewiss, ein entsetzlich hämisches Lachen von sich gab. Er wendete sich um und zu seinem Entsetzen entdeckte er den tot geglaubten Bruder Rubeus an seiner Seite, der aus einem Versteck heraus mit angesehen hatte, wie sein Bruder Macht erlangte. Mit nichts als seinen bloßen, erhobenen Händen versuchte er, sich vor den Flammen des Drachen zu schützen, wo kein Schutz mehr zu finden war. Doch statt die beiden Männer zu vernichten, die in ihrer Gier zu weit gegangen waren, wurden sie verschont und mit womöglich etwas Schlimmerem als dem Tod, nämlich mit einem Fluch belegt, der sie und ihre ganze Nachkommenschaft betraf, sodass sich die glühend rote Feuersbrunst violett verfärbte. Die Geburtsstunde Marylands und Magictowns war damit besiegelt.“ Dragon Feu sah dem unbeschwerlich, leichten Flug eines kleinen Singvogels zu, indes Jonnef, noch immer wie gebannt von seinen Worten, schwieg und das Vernommene zu verarbeiten schien.

„Auf unerklärliche Weise haben sie die Unglücksstätte verlassen können. Ohnmächtig im hohen Gras liegend soll Richard gefunden worden sein, sichtlich erschöpft von dem Erlebten, wie traumatisiert. Denn immer wieder sah er vor seinem inneren Auge die violetten Blitze und den Moment, wie sie in seiner Haut verebbten. Vor ihm das Schwert Esdracollum, das er noch immer krampfhaft in den Händen hielt und das zu seinem Entsetzen bis zum Knauf hin reichend mit Drachenblut war befleckt.“ Dragon Feu nahm einen kräftigen Schluck Kräutertee. „Richard jedoch war sich nun bewusst, dass dieses Ereignis ihn zeitlebens verfolgen und dass er bald gar nicht mehr so stolz darauf sein würde. Zutiefst bestürzt, ja erschüttert gar, begann er, am ganzen Leib zu zittern. Wie hilflos weinte er in sich hinein, sodass es ihn krampfhaft schüttelte und ihn lauthals aufschluchzen ließ. Obwohl er sich seines Sieges und Zieles gewiss war, dass er so hartnäckig verfolgt hatte, überwog die Schandtat nun doch. Was war nur mit ihm geschehen? Er vermochte es nicht zu sagen. Zurück in seiner Heimat angelangt, ließ er sich als Drachentöter feiern, der mit einer angesehenen Frau des Dorfes eine große Nachkommenschaft hatte. Noch aber konnte Richard die Zauberkraft nicht nutzen, obgleich durchaus Dinge geschahen, deren Erklärung jenseits seiner Vorstellungskraft lagen und von ihm als Wunder ausgelegt wurde, die von den magischen Kräften herrühren mussten. Erst seine Nachkommen verstanden es, die magischen Kräfte zu nutzen und sie über ihre Hände freizulassen, mit Unterstützung der Emotionen, weswegen sie angemessen zu gebrauchen sind. Darum ist es wichtig, stets die Kontrolle über seine Gefühle zu haben. Und es ist wichtig, dass man sich sehr genau kennt“, ermahnte Dragon Feu Jonnef. „In positive Energie gewandelt, vermag die Zauberkraft viel Gutes hervorzubringen. Umgekehrt aber, in Zorn gewandelt, kann sie sehr zerstörerisch sein und Unheil hervorrufen. Dessen sei dir stets bewusst. Darum habe immer einen klaren Verstand, wenn du sie für dich gebrauchst.“

Jonnef nickte und wollte weiter hören, was mit dem Drachen geschah.

„Nun, während Richards Nachkommenschaft die Zauberkunst zu verfeinern lernte, vergaß sie allmählich die Herkunft dieser Kräfte und auch die Geschichte mit dem Drachen. Der Drache aber hat nicht vergessen. Sein Hass auf die Menschen blieb seither ungebrochen und lebte im Stillen weiter fort. Ich selbst habe den Drachen gesehen. Gesehen mit eigenen Augen, wie er aus der Höhle gekrochen ist und Angst und Schrecken hat verbreitet. Seine Brust immer noch verwundet durch das Schwert Esdracollum. So hat er weite Teile des Landes verwüstet und Menschenleben genommen.“ Dragon Feu blickte zu Boden. „Ich musste handeln. Wir Zauberer haben uns deshalb von den Menschen entfernt, obwohl wir doch zusammengehören und es zu jener Zeit noch keinen Unterschied zwischen den Zauberern und Menschen gab. Denn wir Zauberer gehören zur Nachkommenschaft Richard Deboskos, dessen Blut in deinen und meinen Venen fließt und so auch die magischen Kräfte des Drachenkinds. Die Menschen dagegen zählen zur Nachkommenschaft Rubeus Deboskos, welcher in der Höhle mit einem Fluch belegt worden ist, der die Weiterentwicklung seiner Nachkommenschaft verhinderte. Deshalb leben sie noch wie zu König Artus’ Zeiten, während andere Menschen von Tag zu Tag Fortschritte machten. Du kennst sie. Es sind die Menschen des 21. Jahrhunderts. Daneben existiert noch eine Welt der Geistlichen. Churchtown haben sie ihre Stätte genannt. Abgeschirmt von der Außenwelt, geschützt hinter Klostermauern, leben sie zurückgezogen in Bibliotheken und beschäftigen sich mit alten Schriften. Des Öfteren besuche ich diesen Ort, denn sie beherbergen wahre Schätze an Wissen – überliefert in Chroniken, Legenden und Sagen. Auch Fibeln an Zaubersprüchen entleihe ich ihnen oft. Darüber hinaus stehe ich mit Bruder Benedetus in Kontakt, der mir freundlicherweise Zugang zum Wissen verschafft. Er ist ein außerordentlich ruhiger Mann, der sehr gewissenhaft arbeitet und ein enormes Feingefühl besitzt, das deinem Gespür gleicht. Manchmal, da glaube ich, er könnte mich durchschauen, so hochgradig sensibel und einfühlsam ist er. Und meist hat er auch recht und kann mir meine Wünsche von den Augen ablesen. Das ist schon ein bisschen unheimlich. Wie dem auch sei, ich werde ihn dir eines Tages vorstellen und dich mit ihm bekannt machen. Du wirst sehen, er wird dir gefallen.“