Norden und andere Geschichten

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Norden und andere Geschichten
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Miguel Sotano

Norden und andere Geschichten

Short Stories

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Geburtstagsparty

Impressum neobooks

Die Geburtstagsparty

Eine Reise

Ich möchte in einer Stadt aufwachen, die mich nicht erwartet. Vor den Fenstern etwas, das ich nicht kenne, und mir doch entfernt vertraut erscheint.

Die Menschen laufen vor meinem Fenster, wissen nichts von meinem Blick.

Nichts zwingt mich auf die Straße, außer meiner Neugier. Ich bewege mich langsam, wie ein Schwimmer in einem unbekannten Becken, dann zunehmend schlendernd.

Ich suche nichts, an jeder Ecke blicke ich umher, um die nächste Richtung zu bestimmen.

Vielleicht trinke ich einen Kaffee an der Theke einer Bar, die fast leer ist, um meinen Mut zu stärken, weiter in diese Stadt zu ziehen.

Verstehe ich die Menschen dort?

Ich weiß es nicht. Aber ich ähnele ihnen genug, um nicht aufzufallen. Ihre Schilder, in welcher Schrift sie auch immer geschrieben sind, scheinen mir verständlich, und wo sie es nicht sind, brauche ich sie nicht.

Beim langsamen Gehen öffnen sich menschenleere Plätze, die man wie Meere überqueren muss. Es sind pazifische Meere, sie sind unbekannt, aber friedlich.

Eine Feder in mir, die aufgezogen ist, will immer noch irgendwo ankommen, aber je länger ich in der Stadt bin, desto mehr sickert die ziellose Nichtigkeit in mich ein, nicht gleichmäßig, sondern wie das Trinken eines Glases Wasser, Schluck für Schluck und jeder Schluck ist eine Wohltat.

An manchen Tagen bleibe ich zuhause. Das heißt, in dem Zimmer, in dem ich wohne, ein Raum, der Proportionen besitzt, die ihn weder groß noch klein erscheinen lassen. Das heißt, er ist klein genug, dass man vom Bett aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, einen Teil des Fensters sieht, vielleicht einen Baum, oder ein hohes Gebäude davor. Groß genug, um zwischen zwei Fenstern einige Schritte zu tun, um den merkwürdigen alten Mann, der unten mit seinem Hund vorbeigeht, im Auge zu behalten.

Es wird warm genug sein, um die Fenster soweit zu öffnen, dass ein friedlicher, da undifferenzierter Straßenlärm hinauf dringt, während man auf dem Bett liegt und raucht.

Denn so sicher, wie dieses Zimmer nicht im Erdgeschoss liegt, werde ich in dieser Stadt ein Raucher sein. Das Rauchen, seine Gesten und notwendigen Utensilien, seine Vorratshaltung und seine Brüderlichkeit mit anderen Rauchern auf der Straße ist die Paketschnur um meinen Müßiggang.

Das Zimmer hat ein Bett, einen in der Wand eingelassenen Schrank sowie einen Tisch am Fenster, an dem ich aufschreibe, was ich gesehen habe.

Wenn ich einsam bin und weder das Schreiben, noch das Rauchen helfen, schreibe ich eine schlichte Postkarte an diesem Tisch, beklebe sie mit Briefmarken, die voller Ornamentik sind und gehe zu dem Postkasten, den ich von meinem linken Fenster aus sehen kann, wenn ich mich, soweit es geht, nach rechts lehne.

An diesen Tagen, wenn es einsam ist, ist der Gang zum Postkasten der einzige, der mich aus meinem Zimmer führt. Auf der Straße freue ich mich über die dunkle Wärme, setze mich auf eine Bank neben den Postkasten, betrachte die erleuchteten Fenster, höre das ruhige Brummen von vereinzelten Autos, die Begrüßung von Freunden, die sich zur Nacht treffen und meistens lasse ich dann die Postkarte in die Seitentasche meiner Jacke gleiten. Auf dem Fensterbrett meines Zimmers, das breit genug ist, um darauf zu sitzen, liegt ein kleiner Stapel solcher Postkarten.

Ich werde ein Buch brauchen in dieser Stadt. Ein kompliziertes Buch, das durch seine Komplexität ein unendliches Lesen erlaubt.

Bei den Mahlzeiten, die ich außerhalb meines Raums einnehme, wird es mich schützen vor den Blicken der Kellner, deren Vorwurf über meine Einsamkeit ich nicht sehen möchte. Darüber hinaus wird das Buch als Kontrapunkt mein Verständnis von der Stadt vertiefen.

Ich besitze keinen Stadtplan. Den würde ich nur benötigen, wenn ich irgendwohin wollte, das will ich aber nicht. So dringe ich, nachdem ich die Gegend um mein Zimmer herum erkundet habe, immer weiter in das Verständnis dieser Stadt ein, denn ich weiß nicht, ob ich am Rand, oder in der Mitte dieser Stadt wohne. So wie ich Plätze entdecke, könnte ich eines Tages an das Ufer eines Flusses, Sees oder Meeres kommen. Ich ginge durch Häuserschluchten, betrachtete die vielen verschiedenfarbigen Markisen an den Fenstern und würde plötzlich ein anhaltendes, brausendes Geräusch wahrnehmen. Erst dächte ich an eine U-Bahn oder den Wind auf einem der weiten Plätze, aber zwei Kreuzungen weiter stünde ich unvermittelt am Ufer und würde die Brandung sehen, die ich gehört hatte.

Dies würde zweifellos eine oft eingeschlagene Richtung werden und ich könnte dann Orte festlegen, indem ich mir merkte, zum Meer oder vom Meer weg.

An anderen Tagen ginge ich nur bekannte Ecken ab, ohne sie mir auf einem Lageplan vorzustellen, vielmehr wie ein Mensch, der ein Gedicht auswendig lernt, indem er es immer und immer wieder aufsagt. Die erste Strophe führt zur zweiten und diese zur dritten Strophe, anders funktioniert es nicht, denn erst, wenn man eine Strophe ausspricht, fällt einem auch die nächste ein.

Mittlerweile kenne ich einige Menschen, nicht ihre Namen, nicht ihre Geschichte, sondern ihr Aussehen und ihre Gesten. Es gibt einen kleinen Kiosk auf dem Platz vor meiner Tür. Dort kaufe ich Zigaretten und betrachte die Zeilen und Bilder der Zeitungen, ohne dass ich sie in irgendeinen Zusammenhang bringe, außer dem, dass sie der Schmuck des Zeitungshäuschens sind.

Der Verkäufer dort ist mein Freund. Nicht durch gemeinsame Erlebnisse oder Gespräche, allein, weil wir uns gegenseitig im Stillen nur Gutes wünschen. Er lächelt, wenn ich vor seinem kleinen Fenster auftauche und eine kleine, einstudierte Handbewegung mache, die wir beide über viele Tage erlernt haben und die es mir erlaubt, zwei Schachteln Zigaretten einer bestimmten Marke zu kaufen, ohne etwas anderes tun zu müssen, als zu Lächeln und ebendiese Bewegung zu machen. Meine Streichhölzer besorge ich mir in den Cafés, die ich auf meinen Wanderungen betrete, damit ich dieses Ritual nicht mit einem zusätzlichen Begehren zerstöre.

Des Weiteren kenne ich einen Mann, der jeden Abend auf dem Platz vor dem Fenster meines Zimmers sein Auto abstellt. Es ist ein altmodisches, schwarzes Auto, das sauber, aber nicht poliert aussieht. Abend für Abend stellt er es ab, schließt die Türen, geht ein paar Schritte, um dann umzukehren, um zu prüfen, ob die Türen seines Autos verschlossen sind.

Ich habe ihm im Geheimen einen Namen gegeben. Eines Tages würde ich über den Platz schlendern, wenn er gerade an den Griffen seines schwarzen Autos rüttelt. Dann würde ich diesen Namen aussprechen und der Mann drehte sich um und nickte.

Dann ist da noch ein Kind, das jeden Tag an der Hand einer alten Frau an meinem Fenster vorbeigeführt wird. Der widerspenstige, nach hinten gebogene Trott dieses Kindes trägt zu meinem Wohlbefinden in dieser Stadt bei.

Nicht weit südlich von meinem Zimmer habe ich einen Park entdeckt. Manchmal verbringe ich meinen Tag dort.

Es erfordert Übung, einen ganzen Tag im Park zu verbringen.

Morgens muss man sich wie ein Passant, der ein festes Ziel vor Augen hat, aber etwas ausruhen möchte, auf eine der Bänke setzen, die einen kleinen Brunnen umstehen. Eine Jacke ist noch angebracht, die Wasser des Brunnens sehen noch nicht so aus, als ob man die Hände hinein tauchen möchte.

Ein Tasten in den Jackentaschen beruhigt: Zigaretten, Streichhölzer, ein Buch und vielleicht ein Stift sind da. Bevor man liest oder raucht oder Anmerkungen in sein Buch schreibt, die man später nie wieder verstehen wird, muss man das Warten überwinden. Oder man muss es verstehen, auf alles zu warten, so dass alles, was passiert, als erfüllte Erwartung empfunden wird. Ein vorbeigehender Lehrer, eine gurrende Taube, eine Fetzenwolke, das Geräusch des umschlagenden Windes in den Zweigen der Pappeln.

Während ich nicht warte, verändert sich das Licht, der Platz, der Park. Auf meiner Bank, die ich mit zwei ausgestreckten Armen beanspruche, lächle ich, sobald meine Augen ein anderes Gesicht betrachten. Dieses brüderliche Lächeln ist dem Park vorbehalten, die Straße, ein Café oder die Tram-Bahn benötigen ein anderes Lächeln.

Irgendwann erfüllt sich alles von selbst und der Tag zerfließt, gerinnt in einem besonderen Satz meines Buchs und fließt weiter. Ich gehe erst nach Hause, wenn es dunkel ist, fröstelnd, während hinter mir die schmiedeeisernen Stäbe des Parks geschlossen werden. In meinem Zimmer schreibe ich eine Postkarte und lege sie auf das Fensterbrett.

Mein Abschied von der Stadt wird sich in Form eines Briefes ankündigen. Ich werde ihn lesen, auf den Tisch legen und wenige Zeit später nochmal betrachten. Seine Briefmarke fällt mir auf..

Langsam gehe ich zum Bahnhof und kaufe eine Fahrkarte für den nächsten Tag. Danach sitze ich noch lange am Fenster, meine Sachen sind längst in einen kleinen Koffer gepackt, die Postkarten habe ich mit Schnur umwickelt und zuoberst gelegt. Ich schlafe spät ein.

Wenn ich am nächsten Tag zum letzten Mal die Treppe hinuntergehe und am Kiosk vorbei, kaufe ich keine Zigaretten mehr. Ich traue mich nicht, den Blick zu heben, um nicht den verwunderten Blick des Verkäufers aufzufangen, den ich nicht beantworten könnte. Still betrete ich die Bahnhofshalle, die mit blauen Kacheln geschmückt ist. Obwohl noch Zeit ist, gehe ich direkt auf den Bahnsteig. Wenn der Zug einfährt, steige ich ein, lege den Koffer ins Netz und hole mein Buch aus der Manteltasche.

 

Ich lese eine Seite, die mir besonders gut gefällt, als der Zug ruckelt und anfährt. Diese Seite kostet meine ganze Aufmerksamkeit, ich lese sie abermals, versuche sie zu verstehen, aber die Sprache weicht mir aus.

Es würde eine große Sonne aufgehen über Weizenfeldern, wenn ich das erste Mal den Kopf höbe und ich hätte verpasst, wie der Zug die Stadt verließ.

Es gäbe dort eine Allee, an der einen Seite Bäume, an der anderen Telegraphenmasten, die zusammen schnurgerade Richtung Horizont liefen. Ein Bahnhof käme in Sicht. Ich stiege aus.

*

Ich liege in der Mitte der Nacht. Über mir ziehen die Sterne über den schwarzen Himmel. Ich sehe sie nicht, ich spüre nur die langen Schnüre, die zwischen ihnen und mir spannen.

Die Geräusche der Wände, die sich unter der Wärme des vergangenen Tages bewegen, halten mich wach. Mein Geist steht auf, während ich unter zwei unterschiedlich langen Decken liege, und betrachtet die Wirklichkeit.

Die Wirklichkeit ist das Heben und Senken eines Rippenkastens, der in einem warmen Dunkel liegt, umgrenzt von Wänden und einem Dach, das sich hebt und senkt mit den Scheiten, die im Ofen verbrennen.

Das Haus ist umstanden von Bäumen, deren Gewicht Nacht für Nacht vom Wind gewogen wird. Vor der Hintertür gibt es einen Hauklotz, der immer nass aussieht, außer im Winter, wenn er mit einer Schneehaube bedeckt sein wird. Ein Schuppen ist an eine der Seitenwände des Hauses gebaut. Auf der anderen Seite eine kleine Vorratskammer, die nach Sägespännen riecht.

Die Wirklichkeit ist das Knistern und Knacken der hölzernen Böden, die wie eine epileptische Uhr das Verstreichen der Zeit und gleichzeitig ihre unendliche Ausdehnung anzeigt. Beides hinterlässt ein Gefühl der Unruhe, wie die Schnüre an den Sternen über mir.

Als ich den Schlüssel drehte, den ich bekam, roch es nach ausgestopften Tieren in einem Naturkundemuseum. Ich öffnete in unbekannten Zimmern und Kammern die Fenster und Verschläge zum Lüften und sah auf der rückwärtigen Seite des Hauses einen Pfad verschwinden. Ich beschloss zu bleiben.

Der Pfad führt zu einem See, einem, die auf der Landkarte aussehen wie Unachtsamkeiten des Kartographen. Er hat keine Form, keine Größe noch einen Zweck, allein seine wechselnde Farbe und seine unbekannte Tiefe verleihen ihm Gewicht auf der Brust des Schläfers.

Sein Wasser ist trüb und schwimmt man ein paar Züge hinaus, läßt dann die Beine regungslos hinab in die beklemmende Dunkelheit des Wassers, dann spürt man die Kälte, die der letzte Winter hiergelassen hat.

Ich schwimme immer nackt. Obwohl das nächste bewohnte Haus einen halben Tag entfernt ist, zögere ich einen kleinen Moment und drehe mich in mehrere Richtungen, bevor ich meine Kleider ausziehe.

Nachts zögere ich nicht, meine Kleider abzulegen. Aber der Eintritt ins Wasser, mit den Füßen halb in dem Schlamm der kleinen Bucht versinkend, lässt mich vor Furcht innehalten.

Das kühle Wasser, das sich um meine Beine legt, ist eine Erscheinung der Dunkelheit. Das Abstoßen der Füße vom Grund, wenn ich bis zu den Hüften hinein gewatet bin, ist ein Sprung ins Nichts. Aber dann trägt das Wasser und der vor Kälte und Angst klopfende Herzmuskel verlangsamt sich.

An einigen Stellen ist der See noch kälter, als wenn eine Hand aus dem Wasser greift und mich umschließt. Bei jeder Berührung mit einem Blatt oder Ast, der auf dem See treibt, erschrecke ich. Es ist ein tiefer, märchenhafter Schreck, der mich im See strampeln und prusten lässt. Dann spüre ich Grund unter den Füßen und bin erleichtert. Nackt laufe ich am Ufer entlang durch die Nacht, zurück zum Haus. Wieder liege ich auf meinem schmalen Bett, weniger unruhig, solange ich mich von der Kälte und Anstrengung erhole.

Die Schnüre zu den Sternen dehnen sich und geben nach. Ich schlafe.

Es gibt viele Gründe, aufzuwachen. Einer davon ist das Schlagen oder Klingeln, das Schrillen oder Ticken einer Uhr.

In diesem Haus gibt es keine Uhr. Ich erwache hier jeden Morgen mit der Frage, was mich geweckt hat. Es sind Geräusche um mich von Dingen, von den Bäumen, auch von Tieren, die ich fast nie zu Gesicht bekomme, aber oft höre.

Dann gibt es ein Licht, das von draußen in meine Kammer fällt, egal wie das Wetter ist, dieses bestimmte Licht bedeutet, dass es Tag ist. Nicht Dämmerung, sondern Tag. Dieses Licht lässt die Konturen der Dinge, die mein Zimmer bevölkern, kleiner werden, zurücktreten.

Sind sie in der Morgendämmerung noch beherrschend, werden sie nun bescheiden.

Ich versuche, so oft wie möglich diesen Übergang zu erleben. Die Decke über dem Kopf spähe ich in die Ecken des Zimmers.

Am Anfang bezog ich den kleinsten Raum, wie um ein Gegengewicht zu haben zu den weiten Feldern um mich herum. Ich sagte mir, diese Kammer würde sich am leichtesten beheizen lassen, wusste aber schon, dass ich log.

In dem Raum fand ich ein Buch in einer klemmenden Schublade. Einen schmalen Band mit Leinenumschlag, Gedichte. Das Papier war kaum gebleicht, aber die Seiten hatten ihre Geschmeidigkeit eingebüßt, beim Blättern gab es ein krachendes Geräusch, das nur Bücher machen können. Ich las das Buch in der Kammer. Irgendwann füllte ich die Kammer und zog in den Hauptraum. Ich ertrug nun den Blick aus den Fenstern in die Ferne. Ich ertrug die fehlenden Gardinen und die Geräusche, die in diesem Raum noch direkter erschienen. Dort las ich das Buch von vorne. Es war jetzt ein anderes Buch. Ich frage mich, ob es sich bereits in dem Moment verwandelt hatte, als ich es die Treppe hinuntertrug.

Die Tage, die hier von keiner Uhr gebändigt werden, müssen von mir zerstückelt werden.

Am Morgen, nach dem ersten Schwimmen, spalte ich sie mit der Axt, denn das Feuerholz war fast aufgebraucht, als ich ankam. Ich fand heraus, wie viel Holz ich jeden Tag brauche und schlage immer ein bisschen mehr. Dabei denke ich an einen Unbekannten, der eines Tages dieses Haus betreten wird, es ist Winter, an den Fenstern kleben üppig weiße Eisblumen. Er schaut sich suchend um, entdeckt dann Ofen und Holz und das Behagen, mit dem er, mit dem Rücken zum Ofen die erste Wärme verspürt, verspüre ich bereits jetzt, wenn die schwere Axt erneut einen Klotz trifft und mühelos spaltet.

Wenn die Abende sich weiten und die Chaussee, die zum Haus führt immer länger wird, würde ich gerne eine Postkarte schreiben. Nur gibt es hier keinen Briefkasten. Der Gedanke, eine Postkarte zu schreiben, die ich nicht direkt einwerfen kann, löst Unbehagen in mir aus.

So bleibe ich sitzen und betrachte die Straße, die Pappeln, die an ihr stehen, den Vogel, der auf dem Haselnussstrauch Platz nimmt. Und warte, dass ein Fleck, ein Punkt in der Ferne sich vielleicht bewegt und größer wird, eine menschliche Figur auf der Chaussee gewandert kommt, durch Entfernung fremd. In den Weg zum Haus einbiegt, jetzt schon deutlicher zu erkennen. Er trägt einen Mantel und ich denke bei mir, es ist zu warm für einen Mantel.

Hier brechen meine Gedanken ab, denn ich weiß nicht, wer dort kommt.

*

Gestern war die Dämmerung das erste Mal schneller als ich und ich stolperte noch eine halbe Stunde im Zwielicht über Ackerkrumen, bevor ich das Haus erreichte.

Ich dachte an meine Abreise.

Seit der Wind wie ein zerstörungswütiges Kind über die abgeernteten Felder ums Haus tobt und Erdkrumen zu Dreck zerbläst, habe ich den Gedanken aufgegeben, dass eines Tages ein Mensch aus der Ferne auf meine Tür zukommt.

Stattdessen sehe ich, nun bei dem grauen Licht einer Glühlampe am Küchentisch, immer öfter Dinge aus meinen Erinnerungen. Eine Frau, die ihr Kopftuch in der Einsamkeit des Hauses abgelegt hat, schüttelt am Fenster eine Decke aus. Als sie bemerkt, wie ich zu ihr hochblicke, erschrickt sie. Decke und Frau verschwinden, aber kurz darauf taucht ihr Gesicht lächelnd wieder am Fenster auf, mit einem kleinen Achselzucken, das wie eine Entschuldigung aussieht.

In den Lichtreflektionen von Schnee gehe ich durch eine Gasse, entlang einer Stadtmauer.

Das Licht einer Gaststätte taucht auf, ich genieße es wie ein warmes Getränk, ohne je die Absicht zu haben, das Gebäude zu betreten.

Auf einem runden Platz, dessen Mittelpunkt eine Frauenstatue bildet, warten Menschen mit mir auf einen Bus. Als ein schimpfender Mann sich lautstark nähert, um dann in einer öligen Pfütze am Bordstein auszurutschen, sehen wir uns mit lächelnder Begeisterung an, als säßen wir in einer Familienloge im Zirkus.

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