Das digitale Wirtschaftswunder

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Das digitale Wirtschaftswunder
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MICHAEL ZETTEL

DAS DIGITALE WIRTSCHAFTS WUNDER

ÖSTERREICHS WEG AUS DER KRISE


INHALT

Cover

Titel

Vorwort

DIGITALE GEGENWART: EUPHORIE UND SKEPSIS

Corona als digitale Reifeprüfung

KI ist doch nur Mathematik

Der Siegeszug der Plattformwirtschaft

Datenschutz als Wachstumskiller?

AUS DER KRISE: DIGITALISIERUNG ALS KONJUNKTURMOTOR

ZUKUNFT GESTALTEN: DIE DIGITALE TRANSFORMATION

CASE STUDIES I: WAS DIE DIGITALEN VORREITER ANDERS MACHEN

Mit „George“ in die Zukunft

Hausverwaltung per Dashboard

Shöpping: „Plattform-Ökonomie bedeutet Skalierung“

CASE STUDIES II: UNTERWEGS ZUM DIGITALEN STAAT

FinanzOnline als Meilenstein der Entbürokratisierung

Justiz 3.0: Richter hinter Bildschirmen

ÜBER DIE ZUKUNFT REDEN: GESPRÄCHE MIT DIGITAL LEADERN AUS ÖSTERREICH

Thomas Arnoldner: „Auch eine digitale Welt besteht nicht nur aus Nullen und Einsern“

Stefan Borgas: „Positives Mindset für die Digitalisierung jetzt nutzen“

Sabine Herlitschka: „Um bestehen zu können, ist Technologie-Souveränität notwendig“

Michael Seifert: „Die Krise hat die Digitalisierung beschleunigt“

AUSBLICK: DIE ZUKUNFT IST DIGITAL

Chancen, Risiken, Nebenwirkungen und Grenzen der Digitalisierung

Die Bildungsrevolution: Paradigmenwechsel im Lernen

Das nächste Kapitel: Die postdigitale Ära

Das digitale Wirtschaftswunder: Eine Vision für eine digitalisierte Welt

Das Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten und Österreichs Weg zur digitalen Weltklasse

Quellenverzeichnis

Der Autor

Danksagung

Impressum

Für Christoph und Leonard

und ihre erfolgreiche Zukunft

Für Renate und Alfred

für ihre ermutigende Unterstützung

meines gesamten Lebens

VORWORT

ES WAR SOMMER 1994, ich hatte das Schuljahr erfolgreich abgeschlossen und meine VHS-Videokassetten nach Titel, Genre und Schauspielern kategorisiert und geordnet. Das Programm dazu habe ich auf meinem brandneuen Intel 386er PC in Turbo Pascal geschrieben.

Dieser Sommer war für mich eine aufregende Zeit, denn ich hatte einen Ferialjob im Gesundheitsministerium. Mit viel Ehrfurcht ging ich an meinem ersten Arbeitstag an meinen neuen Arbeitsplatz. Durfte ich doch in der österreichischen Verwaltung mitarbeiten, erleben, wie der Staat funktioniert – gerade in jenem Jahr, in dem Österreich seinen EU-Beitritt vorbereitete. Aber aus der Ehrfurcht wurde rasch Fassungslosigkeit. Das Ministerium war voll mit Papierakten, in braunen Ordnern, organisiert in riesigen Archiven, die mir in diesem Sommer auch als Ort des Rückzugs und für ein Mittagsschläfchen dienten. Ich verstand eines nicht: Wie war es möglich, dass ich meine Videokassetten moderner und effizienter geordnete hatte als der Staat seine Akten und Unterlagen?

Dieses Erlebnis hat mich nie wieder losgelassen – darum erzähle ich es Ihnen auch hier, im Vorwort meines „Manifestes für die Digitalisierung“. Man kann sagen, dieser Ferialjob hat mich und meine Karriere geprägt, denn zu diesem Zeitpunkt ist mein Feuer entfacht. Und es brennt noch immer, mein Feuer, meine Leidenschaft und meine Mission: mit Technologie Mehrwert schaffen – für jeden Menschen, für jede Organisation, für jedes Unternehmen, für die Wirtschaft.

In diesem Sommer wurde der Grundstein für meine Karriere gelegt. Ich habe nach meinem erfolgreichen Schulabschluss in Wien an der TU und danach an der Leeds University in England studiert – Wirtschaftsinformatik natürlich, denn dieses Studium ist die Verbindung von Technologie und Wirtschaft. Nach dem Uni-Abschluss habe ich schnell den Weg in die Beratung gefunden. Ich konnte so die digitale Transformation im realen Leben kennenlernen und mitgestalten. Nach dem ersten Abschnitt meines Beraterlebens wollte ich in der Selbstständigkeit das KMU-Leben verstehen. Der sehr praktische Unterschied von Liquidität und Gewinn, was Geschäftsführer von Beratern wirklich brauchen und die Demut eines Kleinunternehmers sind bis heute wertvolle Erfahrungen. Dass ich dabei auch noch meinen Lebenstraum ausleben konnte und zwei Jahre in Los Angeles als Unternehmer in der Filmbranche verbracht habe, war Glück. Danach kehrte ich nicht nur nach Österreich, sondern in die Beraterbranche zurück – mit einem besonderen Fokus auf den öffentlichen Bereich. – Sie sehen, die Bilder von den Aktenbergen begleiten mich immer noch und motivieren mich jeden Tag aufs Neue aufzustehen. Jetzt kann ich sagen, dass ich neben unzähligen Digitalisierungsprojekten in fünf öffentlichen Organisationen die digitale Transformation mitgestaltet und erfolgreich umgesetzt habe.

2020 war und ist ein entscheidendes Jahr für die Digitalisierung. Digitale Prozesse und Services waren von einem Moment auf den anderen kein Nice-to-have mehr. Sie waren ein Must-have. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Weltwirtschaft zwanzig, zehn oder auch nur fünf Jahre zuvor gehabt hätte. Die Digitalisierung, Remote Working, digitale Geschäftsmodelle waren die Ader unserer Wirtschaft. Sie haben das System – die Weltwirtschaft, die Verwaltung, aber auch die einzelnen Unternehmen – am Leben gehalten. Es wäre ein immenser Fehler, nach einer überstandenen Krise in den alten Modus zurückzufallen. Es ist das Gebot der Stunde, diese Entwicklung weiterzuführen, weil die Digitalisierung unsere Wirtschaft resilienter macht, widerstandsfähiger, robuster. Die Digitalisierung ist einerseits der Impfstoff in der Corona-Wirtschaftskrise und andererseits das Rezept, um aus der Krise gestärkt herauszukommen.

Wir gehen jetzt in jene Phase, die entscheidet, ob wir morgen vorne mit dabei sein, digitale Champions sein und eine führende Position in der Weltwirtschaft einnehmen werden. Österreich hat die besten Voraussetzungen zu reüssieren, gestärkt aus der Krise zu kommen und in der Digitalisierung in der ersten Reihe mitzuspielen.

Weil ich davon zutiefst überzeugt bin, habe ich dieses Buch verfasst. Und es ist eine Liebeserklärung an die Technologie, ein Leitfaden für die digitale Transformation und ein „Lehrbuch“, wie Österreich zum digitalen Champion werden kann. Ich will damit aufklären, Angst nehmen und die besten Beispiele für eine erfolgreiche Digitalisierung aufzeigen.

Ich danke aufrichtig meinen Gesprächspartnern Thomas Arnoldner, Stefan Borgas, Sabine Herlitschka und Michael Seifert, die die Digitalisierung in Österreich mitgeprägt haben und mitprägen, und mit denen ich die Thesen diskutieren konnte. Die Ergebnisse dieser Gespräche finden Sie ebenso in diesem Buch wie ein Best-of von Österreichs Digitalisierungsprojekten und tiefgreifendes, interessantes Studienmaterial.

Tauchen Sie mit mir ein in die fabelhafte Welt der Technologien!

DIGITALE GEGENWART: EUPHORIE UND SKEPSIS

CORONA ALS DIGITALE REIFEPRÜFUNG

Corona hat zwei Krisen ausgelöst: die Gesundheitskrise und die Wirtschaftskrise. Während wir alle monatelang sehnsüchtig auf das Heilmittel für unsere Gesundheit warten: einen Impfstoff, haben wir diesen Impfstoff für die Wirtschaft bereits: die Digitalisierung.

 

Es war die Matura für unsere Unternehmen. Der Gegenstand: Digitalisierung. Der 16. März 2020 war die digitale Reifeprüfung. Denn mit dem Lockdown zeigte sich, wer wie weit in der digitalen Transformation war, seine Prozesse und Geschäftsfelder bereits umgestellt hatte und in der neuen Umgebung erfolgreich reüssieren kann.

Offline war out. Denn wer nicht online ist, war schlicht raus. Die Digitalisierungsskeptiker und Nachzügler im Digitalisierungsprozess haben es schlagartig vor Augen geführt bekommen, dass die Welt – oder zumindest große Teile von ihr – online funktionieren. Wer keinen Webshop hatte, konnte nicht mehr verkaufen, wer seine internen Prozesse nicht digitalisiert hatte, konnte nicht arbeiten. Für die Nachzügler galt es so schnell wie möglich aufzuholen, um mithalten zu können. Wenn sie Glück hatten, durften sie – wie bei der Matura zur Nachprüfung – beim Herbsttermin antreten.

In der ersten Phase der Corona-Krise war alles möglich – oder zumindest viel. Die verstaubtesten Traditionsbetriebe schickten ihre Mitarbeiter ins Homeoffice. Jahrzehntelange Diskussionen, ob, wie und in welchem Umfang arbeiten von zu Hause aus erlaubt werden soll, waren verstummt. Die Arbeitskultur wechselte von Präsenz hin zu Ergebnis. Dies bedeutet einen massiven Wechsel im Führungsstil: Vertrauen statt Kontrolle. Vertrauen wurde zum Leadership-Prinzip und war für viele Mitarbeiter eine neue Motivation. Das alles war möglich, weil die Technologie da war.

Technologie war und ist unser Verbündeter in der Corona-Krise. Das gilt zum einen für die digitale Infrastruktur, die uns geholfen hat, unsere Wirtschaft aufrechtzuerhalten, und das gilt für die Technologie im Kampf gegen Corona, die wir viel zu wenig einsetzen.

Denn parallel zur Digitalisierungs-Euphorie zeigte sich die Technologie-Skepsis der Österreicher in ungeahntem Ausmaß. Bestes Beispiel: die Stopp-Corona-App. Einige asiatische Länder, wie etwa Singapur, haben es vorgezeigt, wie sinnvoll eine Corona-App ist. Insbesondere das Contact Tracing funktioniert mithilfe von App und Smartphone exzellent, um das Virus beziehungsweise die unkontrollierte Ausbreitung in den Griff zu bekommen.

Österreich hatte mit dem Roten Kreuz als Initiator früh diese Chance erkannt und Accenture hatte die App in wenigen Wochen programmiert – als eines der ersten Länder in Europa. Ziel war es, Kontakte zu speichern und im Verdachts- oder Corona-Fall zu informieren – selbstverständlich anonymisiert. Doch mit dem waghalsigen Vorstoß eines Politikers, dass es sinnvoll wäre, eine App verbindlich zu nutzen, war es um die Akzeptanz der App geschehen.

Mit September wurden dann die Anwesenheitslisten in Lokalen eingeführt und damit die Technologie-Feindlichkeit und Rückschrittlichkeit spürbar. Die Idee ist grundsätzlich nachvollziehbar. Aber den Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus im Jahr 2020 mit den Waffen Bleistift und Papier aufzunehmen, ist absurd. Diese Funktionalität beziehungsweise Anwendung wäre ein Paradebeispiel für eine App, auch für die „Stopp-Corona-App“. Sie wäre nur wesentlich einfacher, wesentlich zuverlässiger und wesentlich schneller – wie viele andere smarte Anwendungen, die uns unser Leben in den letzten Jahren simplifiziert und bereichert haben. Eine App erspart dem Wirt, Listen aufzulegen, Bleistift und Kuli bereitzuhalten, sie erspart dem Gast, die Listen auszufüllen. Und sie würde auch den Heerscharen an Contact Tracern die mühevolle Kleinarbeit des Kontaktierens ersparen. Mit der App könnte der Wirt bei jedem Gast rasch kontrollieren, ob die App installiert und aktiv ist, und in einem Verdachtsfall würden seine Kontakte automatisch informiert werden. Zum Unterschied von den offenliegenden Listen erfolgt die Erfassung bei der App pseudonymisiert. Es sind die Daten damit wesentlich besser geschützt als in der Schublade im Wirtshaus.

Warum wählen wir aber nicht die App für diese Aufgabe, wenn die Vorteile so auf der Hand liegen? Wir entschieden uns für die mühselige, fehleranfällige Old-School-Variante. Ähnlich bizarr sind im Jahr 2020 auch die Aufrufe in „heute“, „Krone“ & Co., wer zum Beispiel am Donnerstag um 17.00 Uhr mit dem Regionalzug von Wien nach Graz gefahren ist. Man bräuchte auch dafür nichts anderes als eine App.

Die Liste der Beispiele, wie der Einsatz von Technologie und die Digitalisierung der Systeme im Kampf gegen die Pandemie helfen könnten, ist lang. Neben den erwähnten wären eine Remote-Behandlung von Erkrankten, die Quarantäne-Unterstützung und die Vermeidung von Ansteckung sinnvolle und durchaus machbare Anwendungen. Wir erinnern uns zum Beispiel an das Einreise-Chaos in Deutschland und Österreich im Sommer und die Lkws, die an den Grenzen festsaßen. Auch hier wurde mit Listen gearbeitet. Griechenland war eines der wenigen Länder in Europa, die – mit Technologie unterstützt – die Einreise koordinierten und im Griff hatten. Technologie hätte einen unschätzbaren Mehrwert für die Behandlung, den Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaft ermöglichen können. Neben der Technologie-Skepsis war in Europa auch die Fragmentierung der Systeme eines der Hauptprobleme. Hätten wir die Hilfestellung der Technologie zugelassen, wären wir nicht nur erfolgreicher im Kampf gegen die Pandemie, sondern hätten auch in der Zeit von Lockdown und Social Distancing einen wesentlich höheren Grad an Freiheit erreichen können.

Die Gretchenfrage, die sich für mich stellt, lautet: Warum lassen wir uns nicht von der Technologie im Kampf gegen Corona unterstützen? Die Technologie ist unser Verbündeter. Die Technologie-Skepsis in unserem Land wird mit Corona so richtig spürbar. Und es ist mehr als Skepsis, es ist eine Technologie-Feindlichkeit. Diese Feindseligkeit ist nicht nachvollziehbar und nicht erklärbar. Was müssen wir tun, um sie umzukehren, um die Österreicher zu motivieren, diese Technologie zu nutzen, einzusetzen, für jeden Einzelnen, für den Kampf gegen Corona, zum Eindämmen der zweiten Welle, aber auch fernab von Corona?

Technologie verändert unser Leben. Das ist kein Geheimnis. Wir werden in Österreich den Siegeszug der Digitalisierung nicht aufhalten können – selbst wenn wir das aus unerfindlichen Gründen wollten. Wir haben nur die Wahl, sie zu nutzen oder sie zu bekämpfen. Aber dieser Kampf gegen eine der tiefgreifendsten Veränderungen und die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft erinnern sehr an Don Quijote. Würde Österreich in all seiner Technologie-Feindlichkeit die Digitalisierung bekämpfen, wäre dies ebenso erfolgreich wie der Kampf des spanischen Ritters gegen die Windmühlen im 17. Jahrhundert. Aber wir wollen Österreich nicht zur neuzeitlichen Variante des „Ritters von der traurigen Gestalt“ machen, sondern wir wollen und wir können mit der Digitalisierung reüssieren, erfolgreich das nächste Kapitel der österreichischen Wirtschaftsgeschichte schreiben – mit der Digitalisierung zum Champion werden.

KI IST DOCH NUR MATHEMATIK

Jene Technologie, vor der die Österreicher gefühlt die größte Angst haben, ist künstliche Intelligenz (kurz KI). Das ist aus vielen Gründen faszinierend, denn künstliche Intelligenz ist nichts anderes als reine Mathematik, durch Computer „zum Leben“ erweckt. Denn mathematisch gesehen ist KI Klassifikation und Vorhersage. Die Magie von KI entsteht erst aus der Kombination von Daten plus Algorithmus plus Geschäftsrelevanz.

Die genutzten Algorithmen sind jahrzehntealt. Die Geburtsstunde von KI liegt in den 1950er-Jahren. Also feiert die KI demnächst ihren Siebziger. Warum KI gerade jetzt gehypt wird? Wir haben erst heute die Technologie, die Datenverfügbarkeit und die Rechnerkapazitäten, diese umzusetzen und anzuwenden.

KI ist aber neben Technologie und Hype ein Mythos geworden. Ein Mythos mit dem Nimbus des Jobkillers. KI hat etwas Bedrohliches in der öffentlichen Diskussion. Hollywood hat seinen Beitrag dazu geleistet. Die Schreckgespenster der KI sind die Halb-Mensch-halb-Maschine-Mutanten à la Terminator. Aber wie so oft hat die Hollywood-Fantasie wenig mit der Realität zu tun.

Künstliche Intelligenz ist sicherlich die mächtigste Technologie, die heute verfügbar ist. Ihren Wert kann man in Zahlen messen und ihr Potenzial vorhersagen: Setzen wir KI klug ein, wird im Jahr 2035 unser Wirtschaftswachstum 3 Prozent betragen. Bliebe es beim bisherigen technologischen Niveau, läge das Wirtschaftswachstum nur bei 1,4 Prozent. Diese Rechnung zeigt eindrucksvoll die Macht und vor allem die Möglichkeiten von KI.

Die Legende, dass KI der Jobkiller schlechthin sei, hält sich hartnäckig. Aber das Gegenteil ist der Fall: KI schafft Jobs, neue Jobs, interessantere Jobs. Künstliche Intelligenz wird sicher einen tiefgreifenden Wandel des Arbeitsmarktes bewirken – das steht außer Frage. Doch KI steht nicht für eine Verringerung von Arbeitsplätzen, sondern für eine Veränderung der Arbeitsinhalte. Projektbasierte und kreative Arbeiten nehmen zu, während man dem „Co-Arbeiter Maschine“ zeitgleich Routineaufgaben überträgt. KI automatisiert Aktivitäten, nicht Jobs. Entsprechend sieht eine Studie des Instituts für Höhere Studien lediglich 9 Prozent der Arbeitsplätze in Österreich durch Automatisierung in Gefahr. Zugleich können durch erfolgreiche Digitalisierung zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen. Dies war auch schon in der „guten alten Zeit“ so: Technologische Neuerungen haben Ressourcen freigesetzt. Die damit verbundenen Innovationen haben nicht in allen Branchen, aber in Summe stets zu mehr Arbeitsplätzen geführt.

Auch wenn einzelne Berufsbilder verloren gehen, werden sie zum einen weiterentwickelt oder es entstehen neue. Dafür gibt es im Lauf der Jahrhunderte unzählige Beispiele vom Buchbinder über Sesselträger und Laternenträger, die für die Straßenbeleuchtung in der Stadt sorgten, bis hin zu den Wäschermädeln.

Wir haben als Gesellschaft, als Unternehmen und als Individuen in diesem Wandel die Aufgabe, jene Skills zu entwickeln, die im KI-Zeitalter gebraucht werden, die eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ermöglichen.

Mit KI steigt die Produktivität der Beschäftigten in Österreich um 30 Prozent. Davon wird jeder Wirtschaftszweig profitieren. Manche Sektoren profitieren mehr als andere. Die Spitzenreiter sind die Industrie, der Handel und die Landwirtschaft. Dies hat besondere Relevanz, weil die Produktion und der Handel zwei Sektoren sind, die neben ihrem hohen KI-Potenzial einen bedeutenden Anteil an der gesamtösterreichischen Bruttowertschöpfung aufweisen.

In der Produktion gibt es fünf Hebel der KI-Wertschöpfung:

1 Intelligente Automation, die die traditionelle Automatisierungstechnik ersetzt und selbstlernend, autonom und proaktiv agiert.

2 Verbessertes Urteilsvermögen, das durch Mustererkennung und Mensch-Maschine-Kollaboration entsteht. Denn KI erweitert die menschliche Intelligenz und ihre Stärken.

3 Die erweiterte Interaktion: Mit KI erhält jeder das für sich passende Angebot. Bei Netflix bekommt man genau jene Filme vorgeschlagen, die einem gefallen. Und durch den Service-Chat benötigt man keine Bedienungsanleitung mehr.

4 Intelligente Produkte: Smart Services differenzieren im Wettbewerb – mit datenbasierten und personalisierten Dienstleistungen.

5 Verantwortungsvolle KI: Personalisierte und intelligente Produkte erhöhen das Vertrauen der Nutzer in das Produkt und den Hersteller. Die Ethik spielt darin eine wichtige und neue Rolle.

Sich als Manager, als Mensch, als Mitarbeiter vor künstlicher Intelligenz zu fürchten ist, wie sich als Fußballer vor dem Elfmeter zu fürchten. Ja, man muss den Ball erst mal versenken, aber der Elfmeter bietet noch immer die größte Chance, das Tor zu schießen, den Punkt zu machen, das Spiel zu gewinnen und Champion zu werden – im Fußball wie in der Digitalisierung.

DER SIEGESZUG DER PLATTFORMWIRTSCHAFT

Amazon feierte bereits seinen 25. Geburtstag – dennoch ist Amazon das Synonym für die neue Disruption des Handels. Die jungen Wilden, die den alten Arrivierten zeigen, wie es geht. Die ihnen die Kunden abspenstig machen, die Gesetze im Handel neu schreiben. Auch wenn wir alle seit gut 15 oder gar fast 20 Jahren bei Amazon einkaufen, war der Corona-Lockdown von lautem und unwirschem Amazon-Bashing begleitet. Wenn der Postler den braunen Karton mit dem Amazon-Smiley vorbeibrachte, musste man ihn rasch verstohlen zur Seite räumen und hoffen, dass es der Nachbar nicht gesehen hatte. Wer bei Amazon kauft, gilt als Verräter, er schädigt die heimische Wirtschaft, vielfach ertönt der Ruf, Amazon zu boykottieren. Nur das hat wenig Sinn, denn der Erfolg gibt ihnen schlicht recht. Amazon zu bekämpfen hat so viel Sinn wie gegen die Gezeiten oder die Erdanziehungskraft zu kämpfen, dafür ist die Akzeptanz bei den Kunden einfach zu groß.

 

Amazon ist keine virtuelle Shoppingmall, Amazon ist kein klassisches Geschäft, in dem ich gustiere und mir verschiedenste Dinge ansehe, überlege, in den Warenkorb lege und vielleicht jetzt oder doch beim nächsten Mal oder zu irgendeinem Anlass auf „buy“ clicke. Man geht auf Amazon mit der absoluten Kaufabsicht. Ich möchte das Buch, ich brauche den Wasserkocher. Ich suche ein Geschenk für meinen Neffen. Ich kaufe – mit 1-Click-Buy – und bekomme es im Prime-Programm am nächsten Tag geliefert. Amazon ist kein Shopping-Erlebnis, Amazon ist ein Besorgungsdienstleister – manchmal mehr Concierge oder Personal Assistant als Geschäft. Das macht Amazon so erfolgreich und Jeff Bezos so reich.

Amazon ist das Maß aller Dinge punkto Angebot, Customer Experience und Qualität der Dienstleistung. Amazon definiert Online-Shopping. Denn Amazon hat die Plattformwirtschaft nicht nur verstanden, sondern miterschaffen. Sie haben sich diese singuläre Stellung hart erarbeitet, die jetzt so gern kritisiert wird. Und wie alle großen Trends, Erfolgskonzepte und Ideen werden wir in Österreich mit Amazon-Bashing diese Entwicklung nicht aufhalten. Was wir tun können, um die vorherrschende Marktposition einzudämmen und ein größeres Stück vom süßen Kuchen Online-Handel mitnaschen zu können? Das Erfolgskonzept kopieren, weiterentwickeln, etwas Österreichisches daraus machen!

Amazon zählt neben Apple, Microsoft, Google und Alibaba zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Sie alle sind Plattformunternehmen. Österreichische Unternehmen können davon genauso profitieren. Eine Partizipation an der Plattformwirtschaft birgt enorme Potenziale für die heimischen Betriebe. Aktuell wird lediglich 1 Prozent der Umsätze über Online-Marktplätze in Österreich erwirtschaftet. Das entspricht gerade mal sieben bis acht Milliarden Euro. Um allein zu den europäischen Vorreitern aufzuschließen, müsste sich der Umsatzanteil über Plattformen in Österreich verdoppeln. Wir haben massiven Aufholbedarf in der Plattform-Ökonomie. Das betrifft KMUs genauso wie Konzerne und Großunternehmen. Es gibt in unserem Land nur ganz, ganz wenige Beispiele erfolgreicher Plattformen. „George“ der Erste Bank Group zählt dazu. Aber dazu später im Detail. Und das betrifft nicht nur konsumentenorientierte (B2C)-Unternehmen, wie heute noch viele glauben. Der nächste Trend sind geschäftsorientierte (B2B)-Plattformen. Weil die Einkäufer in den Unternehmen dieselben Personen sind, die in ihrer perfekten B2C-Welt shoppen. Sie haben im Business-Umfeld die gleichen Ansprüche in Sachen Customer Experience wie im privaten. Daran gilt es sich zu orientieren. Der Manager, der in seinem Privatleben komfortabel mit einem Click und Same-Day-Delivery einkauft, will nicht ein Fax schicken oder ein von Hand unterschriebenes PDF einscannen.

In der Plattformwirtschaft gibt es – wie überall anders auch – nicht nur eine Antwort, kein „One size fits all“. Darum gilt es, individuelle Plattformstrategien zu entwickeln. Ein Anschluss an eine bestehende Plattform kann für das eine Unternehmen der richtige Weg sein. Man kann zum Beispiel eine Billigschiene auf einer herkömmlichen B2C-Plattform vermarkten und für die High-End-Produkte einen anderen Weg wählen. Ebenso besteht eine Option darin, über eine eigene Plattform nachzudenken – nicht als Konkurrenz zum Riesen Amazon, sondern in definierten Nischen. Und schlussendlich gibt es geschlossene Plattformen – insbesondere im B2B-Bereich. Diese sind dann passend, wenn man eine geschlossene Gruppe von Zielkunden hat. Ein überaus interessanter Aspekt der Plattform-Ökonomie ist die Offenheit. Will ich meine Leistungen mit Angeboten Dritter erweitern? Mein Portfolio wächst, aber meine Partner haben damit Zugang zu meinen Kunden – definitiv eine komplexe strategische Entscheidung.

Manager müssen sich heute die Frage stellen: Wie und welche Plattform kann mich weiterbringen, um meinen Umsatzanteil und meine Wertschöpfung zu erhöhen? Dazu gilt es eine Strategie zu entwickeln und diese rasch und präzise umzusetzen. Wir müssen jetzt Geschwindigkeit aufnehmen, damit Europa und Österreich von der Plattformwirtschaft nicht überrollt wird. Ein erstes Ziel, ein Etappenziel auf dem Weg zum Plattform-Champion ist, innerhalb von zwei bis drei Jahren 20 bis 30 Prozent der Umsätze im Kerngeschäft online via Plattform zu erwirtschaften, sofern das von Produkt und Dienstleistung her möglich ist. Plattformen sind ein Game Changer – im Consumer-Bereich und demnächst im Business-Bereich. Die Plattform-Strategie wird bald, sehr bald entscheiden, wo Ökonomien und Unternehmen stehen.