Sky-Navy 08 - Der Wrack-Planet

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Aus der Reihe: Sky-Navy #8
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Die Stimme des Piloten riss ihn aus seiner Starre. „Hoch-Wort, ich melde die Erfüllung deiner Worte. Wir haben aufgesetzt.“

Kapitel 4 In geheimer Mission

D.S. Blackwing, Spezial-Kreuzer des Direktorats, Registernummer 84

Die D.S. Blackwing hatte die Grenze zur Lichtgeschwindigkeit erreicht und behielt diese bei, um endlich in den Nullzeit-Sturz wechseln zu können. Der Antrieb des Tarnkreuzers war besonders leistungsstark und Hiroshi Yagoda war stolz auf das Schiff, dem er als erster Offizier diente. Während die meisten Kreuzer knappe acht Stunden benötigten, um in die Nullzeit zu wechseln, konnte die Blackwing ihren Hiromata im Schnitt innerhalb von nur sechs Stunden aufladen.

Hiroshi hörte das leise Zischen des Schotts und wandte sich im Kommandosessel halb um. „Captain auf der Brücke.“

Er erhob sich rasch für Jen-Li, der nun Platz nahm.

Die Beleuchtung auf der Brücke war heruntergefahren. Durch die großen Klarstahlscheiben war die Direktsicht in den Weltraum möglich. Soeben waren die Ringe des Saturns passiert worden und die von ihnen ausgehende Reflektion des Sonnenlichts, die bislang den Glanz der Sterne überstrahlt hatte, trat zurück. Die wenigen Angehörigen der kleinen Brückenbesatzung wirkten entspannt. Gelegentlich war ein Scherz zu hören gewesen, bis der Kommandant des Kreuzers eintrat.

Hiroshi ließ sich in den Sitz neben dem Kommandosessel sinken. „Keine besonderen Vorkommnisse, Captain. Alles läuft.“

Jen-Li nickte unmerklich. Er warf einen kurzen Blick auf das Hologramm, welches vor ihnen beiden im Raum zu schweben schien. Im Augenblick zeigte es die Daten, welche die Scanner und Sensoren der Blackwing empfingen und setzte diese in ein dreidimensionales Bild des umgebenden Raums um. Vor einem real wirkenden Bild des umgebenden Weltraums wurden blau oder grün eingefasste Symbole gezeigt. Dazu Daten über Kurs und Geschwindigkeit, wenn es sich um Raumschiffe handelte. Fast zwei Dutzend zivile Raumschiffe und drei Einheiten der Navy waren derzeit im solaren System unterwegs. Unbekannte Objekte wurden mit Gelb markiert, feindliche mit Rot. Im Zentrum des Direktorats war kaum damit zu rechnen, dennoch blieb man aufmerksam. Allein die Gefahr durch Meteoriden war allgegenwärtig. Kleinere würde die Tetronik des Schiffes mit den Waffensystemen automatisch vernichten, bei größeren Objekten blieb nur ein Ausweichmanöver. Eine rot gestrichelte Linie markierte den gesetzten Kurs des eigenen Schiffes.

„Unsere Gäste sind untergebracht?“, fragte Hiroshi mit leiser Stimme.

Jen-Li nickte erneut. „Glücklicherweise sind Troopers nicht besonders verwöhnt. Es geht recht beengt zu. Vor allem, weil sie jetzt alle Kisten und Behälter öffnen, um ihre Ausrüstung zu überprüfen. Nun, man muss Kavalleristen wohl beschäftigt halten, damit sie nicht aus Langeweile auf dumme Gedanken kommen.“

Hiroshi Yagoda verkniff sich einen Kommentar, denn Jen-Li war ein Verfechter häufiger Notfallübungen und des Gedankens, auf jeden erdenklichen Katastrophenfall vorbereitet zu sein.

Jen-Li wandte sich Master-Chief Cage zu, der an der Systemkontrolle saß. „Tech, wie ist unser Status?“

Der grauhaarige Unteroffizier stand längst zur Beförderung an, doch er hatte diese abgelehnt, da es auf der Blackwing keine freie Stelle für einen zusätzlichen Offizier gab. „Alle Systeme: Grün, Captain. Abschottung und Versiegelung aller Abteilungen: Grün. Aufladung der Speicherstangen Zwei bis Sechs bei einhundert Prozent. In nur fünf Stunden und siebenundfünfzig Minuten, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir. Die Blacky ist ein verdammt feines Schiff. Aufladung der Steuerstange Eins bei achtundneunzig Prozent und steigend. Letzte Navigationsdaten für den Sturz werden eingesteuert. Notentladung der Speicher ist in Bereitschaft.“

Richtung und Reichweite des Nullzeit-Sturzes wurden von der Aufladung der Speicherstangen des Hiromata bestimmt. Speicherstange 1 war jene, die zum Bug wies und die Richtung und Stärke des Sturzimpulses bestimmte. Sie wurde als Steuerstange bezeichnet. Sie war teleskopisch und wurde an Hand der Navigationsdaten verlängert oder verkürzt. Ihre Aufladezeit variierte daher stets gegenüber den anderen fünf Speicherstangen. Für den Fall, dass eine Überlastung der Stangen und der wertvollen Hiromata-Kristalle drohte, konnten die Ladungen in dafür vorgesehene Akkumulatoren abgeleitet werden.

„Danke, Tech. Nav, Ihr Status?“

Die Vorfahren von Lieutenant Akiko Horota stammten, wie bei Hiroshi, aus dem alten Japan. Die schlanke Offizierin mit den mandelförmigen Augen war eine Augenweide. Es gab hartnäckige Gerüchte an Bord, dass sie sich auf keine Beziehung einlasse, da sie mit der Blackwing verheiratet sei. In jedem Fall war sie eine der fähigsten Ortungstechnikerinnen und Navigatorinnen der Sky-Navy. Hiroshi Yagoda gefiel vor allem ihr rückenlanges, seidig wirkendes schwarzes Haar. Der Eins-O war erleichtert, dass diese Haarpracht unter einem Raumhelm oder einem Virtual-Reality-Helm nicht wirklich störte. Als Kavalleristin hätte sie wegen der Sensoren des Kampfhelms auf ihre lange Frisur verzichten müssen. Auch jetzt ragte das füllige Schwarz unter dem Rand des Helms hervor. „Koordinaten für den Sturz sind fixiert und Daten synchronisiert. Keine Abweichung messbar. Nav ist bereit für Sturz-Impuls.“

„Danke, Nav. Arms?“

Lieutenant Flicks saß an der Waffenkontrolle des Schiffes. An seiner Konsole waren gelbe Bereitschaftslichter zu sehen, nur ein einziges blinkte Grün. „Alle Waffentürme eingefahren und gesichert. Railgun entladen und gesichert. Status Gelb. Automatische Verteidigung an Tetronik abgegeben. Synchronisation der Zielbeobachtung mit Scannern und Sensoren ist aktiv. Automatische Abwehr ist bereit und auf Status Grün.“

„RO?“

Ensign Carlisle reckte einen Daumen empor. „Radio Operator an Captain: Sender und Empfänger für Normalfunk, Cherkov-Überlichtfunk und Hiromata-Nullzeit-Funk sind im Status Grün. Soeben hat Upper Area Control Arcturus uns einen guten Flug gewünscht. Habe bestätigt und unseren Dank ausgerichtet.“

Jen-Li lächelte unwillkürlich. „Recht so, Ensign. Rudergänger?“

Lieutenant Willcox trug ebenfalls den VR-Helm. Seine Hände lagen an den beiden Joysticks, mit denen er die Antriebe und Flugbewegungen des Kreuzers kontrollierte. „Alle Werte mit Nav und Maschine synchronisiert, Captain. Alle Anzeigen sind Grün. Ruder ist bereit.“

„Tech an Captain: Hiromata ist zu einhundert Prozent aufgeladen. Bereit zum Sturz.“

„Ruder, Freigabe zum Sturz, wenn bereit.“ Jen-Li lehnte sich entspannt zurück und warf seinem Freund einen lächelnden Blick zu. „Hinaus in die Freiheit.“

„Ruder Aye. Freigabe zum Sturz, wenn bereit. Nullzeit-Sturz wird eingeleitet. Sturzimpuls erfolgt in Zehn… Neun… Acht…“ Lieutenant Willcox zählte mit ruhiger Stimme rückwärts. „Sturz.“

Die D.S. Blackwing verschwand aus dem Arcturus-System, um ohne Zeitverlust an ihren Zielkoordinaten zu erscheinen.

Kapitel 5 Die Überlebenden

Kandahaar, leichtes Zweischiff der Norsun

Die ausführende Hand des Schiffes hatte tatsächlich eine Art Wunder vollbracht.

Es war Nacht und die Kandahaar stand in einer kleinen Senke, die ringsum von sanft ansteigenden Hügeln umgeben wurde. Trotz der schweren Schäden war es dem Piloten gelungen, den Kreuzer auf ebenem Kiel zu landen. Hen-Talar starrte mit Schaudern auf den Rumpf. Große Segmente waren herausgebrochen, durch die zerstörerische Wirkung des Zersetzers verschwunden oder durch die Überbeanspruchung der Zelle aus dieser gelöst. Rings um den Kreuzer und unter ihm lagen Teile dieser Segmente, dazu Stücke von Wänden oder Decken sowie ein paar Einrichtungsteile. An beiden Kugeln waren mehrere der Ebenen freigelegt. Nur der Mittelteil schien von Allem seltsam unberührt.

Inzwischen war die Besatzung dabei, den Kreuzer zu räumen.

Insgesamt hatten 267 Norsun überlebt, die sich nun außerhalb des Schiffes einrichten mussten. Mancher war mit dieser Entscheidung von Hen-Talar nicht glücklich, doch der junge Kommandant ließ keinen Zweifel, dass er seine Befehle unter allen Umständen durchsetzen würde.

„Man kann sehen, wie stark die Stabilität beeinträchtigt ist“, hatte er der angetretenen Besatzung erklärt. „Mancher mag glauben, dass unser Schiff ihm noch immer ein schützendes Heim bieten kann, doch lasst euch nicht täuschen. Jede kleine Erschütterung des Untergrundes kann die Zelle in Schwingungen versetzen. Schwingungen, welche unsere Kandahaar endgültig zusammenbrechen lassen können. Wollt ihr von ihren Trümmern erschlagen werden oder eure jeweiligen Stammwelten wiedersehen?“

Die Norsun hatten sich betroffen angesehen und erregt aufeinander eingeredet. Alle trugen noch ihre Luftanzüge, hatten die Helme jedoch auf den Rücken zurückgefaltet.

„Hier draußen ist es gefährlich“, hatte einer gerufen.

„Hier gibt es keine Töter, die uns gefährlich werden können“, widersprach Sker-Lotar. „Im Wrack ist es viel gefährlicher, als hier draußen.“

„Außerdem haben einige unserer Hände ihre Stabwaffen“, wandte Londar, einer der Worte des Schiffes ein. Neben Hen-Talar als Hoch-Wort hatten immerhin sieben weitere Offiziere überlebt, denen es langsam gelang, mehr Ordnung in die Besatzung zu bringen.

Die kurze Phase nach der Landung war chaotisch gewesen. Alle versuchten das Schiff schnellstens zu verlassen, griffen nach Teilen der Notausrüstung und rannten über die herabgelassenen Rampen auf den Boden der Quarantäne-Welt. Fort von dem Schiff, von dem sie fürchteten, es werde über ihren Köpfen auseinander fallen.

 

Dann hatten die Fliehenden sich langsam gesammelt und festgestellt, dass es ziemlich dunkel und sehr kalt war. Ein steter Wind ging, der die Luft mit Staub und Körnern feinsten Gesteins füllte. Da war der Anblick des Wracks nicht mehr erschreckend, sondern verhieß Schutz vor einer fremden Welt.

Viele wollten daraufhin zurück an Bord. Hen-Talar und die Worte des Schiffes mussten mit Gewalt drohen, um sie daran zu hindern. Sie sammelten jene um sich, die sich rechtzeitig mit Stabwaffen versehern hatten. Dies ernüchterte die ängstlichen Besatzungsmitglieder, denn es waren Fälle bekannt, in denen Hoch-Worte Gewalt gegen die eigene Mannschaft angewendet hatten. Hen-Talar beabsichtigte das durchaus nicht, doch er wusste auch, dass, zum Überleben auf einer fremden Welt, Disziplin erforderlich war. Die Stärkeren würden sich um die Schwächeren kümmern müssen, bis das Rettungsschiff sie abholte.

„Fügt euch den Worten“, befahl Hen-Talar mit erhobener Stimme und drohend aufgerichteten Kopffühlern. „Es wird nicht lange dauern, bis man uns abholt, doch bis dahin müssen wir ein Lager errichten. Teile unserer Notfallausrüstung wurden im Schiff zurückgelassen. Wir brauchen sie. Sker-Lotar, unsere Hand des Wissens, wird eine Gruppe an Bord führen und entscheiden, welche Bereiche noch betreten werden können und was an Brauchbarem zu bergen ist. Londar wird den Aufbau des Lagers beaufsichtigen. Wir werden es dort, auf jenem Hügel, errichten. Er bietet gute Sicht und…“

„Es ist kalt“, kam eine jammernde Stimme.

Eigentlich war es das nicht, denn die isolierten Luftanzüge verhinderten, dass man fror.

„Hier gibt es jede Menge Buschholz. Sammelt es und entzündet es mit einer Stabwaffe. Feuer werden euch wärmen und sie werden es dem Rettungsschiff erleichtern, uns zu finden“, behauptete Hen-Talar. „Und jetzt folgt den Worten und erledigt eure Arbeiten.“

Die ausführende Hand des Schiffes gesellte sich zu ihm, während sich die Mannschaft zerstreute und den Befehlen der Offiziere folgte. „Es wird ihnen Mut machen, Hoch-Wort“, meinte der Pilot. „Auch wenn ich mir sicher bin, dass man aus dem Orbit die kleinen Wärmefeuer nicht erkennen kann.“

„Ich weiß“, räumte Hen-Talar ein.

„Da die Maschinen abgeschaltet sind, können wir auch das Kurzsprechgerät nicht benutzen, um mit der Orbitalstation in Verbindung zu treten.“

„Auch das weiß ich.“

„Verzeih, Herr, ich meine nur, dass wir vielleicht einen der Energiespeicher im Schiff wieder aktivieren sollten, um das Sprechgerät zu besetzen. Wenigstens bis wir Kontakt bekamen.“

„Beim Feuerfall von Istwagh, ich wünschte wirklich, das könnten wir. Aber es ist nicht möglich.“ Hen-Talar wandte sich zur Seite. „Ausführende Hand der Maschine!“

Der Systemkontrolloffizier stapfte über das feine Geröll heran. Seine Schritte verursachten ein vernehmliches Knirschen. „Hoch-Wort?“

„Können wir die Speicherzellen nutzen?“

Die ausführende Hand rollte beunruhigt die Fühler ein. „Herr, wie ich dir zuvor schon berichtete, sind viele der Kristalle inzwischen trübe oder zeigen sogar Risse. Nur wenige könnten noch benutzt werden. Doch da sie in Reihe geschaltet sind, könnte ich nicht garantieren, dass wir auf einen intakten Speicher zugreifen. Aktivieren wir einen der defekten, dann…“ Er zögerte kurz. „Es brächte Verheerung über das Schiff oder vielmehr das, was von ihm noch übrig ist.“

„Kann man nicht einen einzelnen Speicherkristall gezielt anzapfen?“, bohrte die ausführende Hand des Schiffes nach.

Nun wurde die Furcht des Technik-Offiziers deutlich. „Man müsste einige Zyklen in einem der beiden Maschinenräume arbeiten, um eine Speicherzelle aus dem Verbund zu lösen. Herr, hast du nicht das Knacken und Stöhnen des Schiffes gehört?“

Der Norsun übertrieb nicht. Die durch den Flug durch die Lufthülle aufgeheizte Außenhülle kühlte rasch ab und die Geräusche der Kandahaar waren furchteinflößend. Umso weniger verstand Hen-Talar den Wunsch jener Besatzungsmitglieder, die unbedingt wieder ins Schiff hinein wollten. Die ausführende Hand der Maschine war mutig genug, diesem Wunsch zu widerstehen, doch sicher zu entmutigt, um einem Befehl Folge zu leisten, der sie wieder hinein zwang. Hen-Talar war sich sicher, dass sein Untergebener einen entsprechenden Befehl unterlaufen würde, indem er das Schiff kurz betrat und dann rasch wieder verließ, um von neuen furchtbaren Schäden zu berichten.

Der Kommandant verfluchte die Tatsache, dass es im Volk der Norsun diese hohe Spezialisierung des Wissens gab. Keiner verstand so viel vom Energiesystem des Kreuzers, wie die ausführende Hand der Maschine, von der ausführenden Hand der Kristalle einmal abgesehen. Doch ausgerechnet dieser Spezialist gehörte zu den direkten Opfern des Zersetzers.

„Verzeih, Herr, wenn ich beharrlich bin, doch vielleicht finden wir ein intaktes Sprechgerät und eine noch nicht entladene Speicherzelle in einem der anderen Wracks.“ Der Pilot war ausgesprochen hartnäckig und sichtlich besorgt, man könne nicht von der misslichen Lage der Überlebenden erfahren.

„Andere Wracks? Ja, sicher, die muss es geben“, meinte Hen-Talar zögernd. „Doch die liegen schon lange auf dieser Welt und sind sicher längst verfallen. Ich wüsste auch nicht, wo wir sie finden sollten.“

„Es gibt viele Wracks auf dieser Welt“, sagte die ausführende Hand der Maschine nun eifrig. „Kurz vor der Landung warf ich einen Blick auf den großen Schirm und konnte drei von ihnen erkennen. Sie sind recht nahe und eines von ihnen sieht überraschend gut aus. Das Schiff kann nicht viel länger als unsere Kandahaar hier liegen. Vielleicht halten sich dort sogar noch Überlebende auf, die noch nicht abgeholt wurden.“

„Das ist immerhin möglich“, räumte Hen-Talar ein. Man wusste ja nie, wann ein Schiff vom Zersetzer der Negaruyen getroffen wurde und sich die Besatzung hierher rettete. Er blickte zum nächtlichen Sternenhimmel auf und dann zu den ersten Lagerfeuern, die jetzt aufleuchteten. „Es ist gut. Ich werde mir überlegen, ob wir morgen bei Tageslicht eine Gruppe auf die Suche schicken.“

Kapitel 6 Planungen

D.S. Blackwing, Spezial-Kreuzer des Direktorats, Registernummer 84

Captain Jen-Li hatte eine Konferenz der Führungsoffiziere einberaumt. Die Blackwing befand sich auf jener Position, an der die beiden APS-Kreuzer D.S. Vickers und D.S. Orion vor einiger Zeit den letzten Kontakt zu einem Green-Schiff hatten.

Der Kommandant des Kreuzers versammelte seinen Eins-O, die drei Kavallerieoffiziere und den Linguisten Dr. Lennerson sowie den Alien-Psychologen Dr. Braunfels in dem kleinen Konferenzraum, der gegenüber der Kapitäns-Kabine eingerichtet war.

Jen-Li hatte die beiden Wissenschaftler eher der Höflichkeit halber eingeladen.

Lennerson war korpulent. Er aß zu viel und bewegte sich zu wenig und genoss es offensichtlich, sich durch seine Masse von der Masse abzusetzen, wie er es einmal erwähnt hatte. Immerhin schien er ein gutmütiger Mensch zu sein.

Braunfels war ein ganz anderer Typ. Der schlanke Mann hörte sich sehr gerne selber reden, was für einen Psychologen oder Analysten eher ungewöhnlich war, da ihre Arbeit im Wesentlichen auf dem Zuhören und Auswerten beruhte.

Jen-Li glaubte nicht, dass die beiden Männer in dieser Phase der Mission etwas Sinnvolles würden beitragen können.

Nur wenige Schritte weiter lag der Aufgang zur Brücke, die im Augenblick von Lieutenant Willcox befehligt wurde. Er brauchte keine genauen Weisungen, um zu wissen, unter welchen Umständen er den Captain benachrichtigen sollte.

Im Konferenzraum schwebte eine holografische Projektion des Systems über dem Tisch aus echtem marsianischen Holz. Zwei grüne Symbole stellten die Vickers und die Orion dar, ein rotes das Green-Schiff.

Soeben gab Lieutenant-Commander Hiroshi Yagoda ein paar Daten in seinen tragbaren Mini-Comp am Handgelenk ein. In der Projektion erschien eine rote gestrichelte Linie, an deren Mittelpunkt das rote Symbol blinkte. „Nach den Aufzeichnungen der Vickers und der Orion ist dies der Kurs des geflohenen Greens. Über das Heck der nachgewiesene Kurs, zu dem Zeitpunkt, an dem die Hantel in die Nullzeit ging, und vor dem Bug die Verlängerung der Linie, die den weiteren Kurs des Schiffes aufzeigt.“

Doktor Braunfels räusperte sich. „Ich bitte zu vermerken, dass es nicht erwiesen ist, dass die Greens geflohen sind. Ein solcher Begriff impliziert Furcht. Mir scheint es eher ein Rückzug gewesen zu sein.“

„Dem stimme ich zu.“ Jen-Li nickte und lächelte freundlich. „Man sollte den Feind niemals unterschätzen, meine Herren. Furcht wäre ein Hinweis darauf, dass er sich uns unterlegen fühlt und Angst empfindet. Wenn wir den Aliens diese Regungen unterstellen, dann macht uns das möglicherweise zu selbstsicher.“

„Ich würde auch nicht vom Feind sprechen, Captain“, korrigierte Braunfels. „Eher von einem momentanen Gegner. Immerhin vermuten wir ja, dass die Aliens sich zurückzogen und auf die endgültige Vernichtung der Vickers verzichteten, weil sie uns eine Option eröffnen wollten.“

Captain Custer hob eine Augenbraue. „Steht es denn außer Frage, dass sie ganz bewusst auf die Vernichtung der Vickers verzichtet haben?“

Braunfels öffnete den Mund, doch Jen-Li kam ihm zuvor und ein leichter Unterton von Verärgerung lag in seiner Stimme. „Captain Jellenkova war mit ihrer Orion noch viel zu weit entfernt, um die Vernichtung der Vickers noch verhindern zu können. Die Daten beweisen zudem, dass die Vickers praktisch wehrlos war, während die Hantel trotz ihrer Schäden noch über eine beachtliche Kampfkraft verfügte. Nein, Gentlemen, es gibt keinen Zweifel, dass die Greens die Vickers ganz bewusst verschont haben.“

„Wofür es somit nur einen Grund geben kann“, hakte Braunfels sofort ein. „Die Greens wollen uns damit deutlich machen, dass sie nach einer Kontaktmöglichkeit mit uns suchen.“

„Schön, das mag für den Kommandanten dieses Green-Schiffes gelten, muss aber nicht zwangsläufig auf alle Greens zutreffen“, schränkte Hiroshi ein.

„Deshalb ist es so wichtig, das abzuklären.“ Jen-Li legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und sah die Anwesenden der Reihe nach an. „Die Order des High-Command ist ganz klar, Gentlemen: Nach den Verkehrsrouten der Greens suchen, wenigstens eine ihrer Heimatwelten oder Basen ausfindig machen, ihre Kommunikation abhören und daraus ein Profil und eine semantische Basis entwickeln, auf denen eine erste Kontaktaufnahme möglich wird.“ Er lächelte erneut. „Wir haben, was ich betonen möchte, keinen Auftrag, diesen Kontakt herzustellen, aber die Vollmacht, dies zu tun, sofern sich eine günstige Gelegenheit ergibt.“ Das Lächeln vertiefte sich noch. „Über die Gunst des Augenblicks zu entscheiden, liegt dabei in meinem Ermessen.“

Braunfels und Lennerson wirkten ein wenig enttäuscht. Wenn es ihnen gelang, einen ersten friedlichen Kontakt mit dem Feind herzustellen, dann bedeutete dies hohe Anerkennung auf ihrem jeweiligen Fachgebiet.

„Ah, Captain, haben sie denn vor, eine günstige Gelegenheit zu ergreifen?“ Lennerson zuckte mit den Schultern. „Ich meine, Sie sind ja beim Militär.“

Jen-Li´s Lächeln gefror ein wenig. „Mein verehrter Doktor Lennerson, ich weiß nicht, welche Vorstellung Sie vom Militär haben. Vermutlich gehen Sie davon aus, dass Blutvergießen zu unserem Berufsbild gehört und wir daher Freude daran empfinden. Ich bedauere, Sie diesbezüglich enttäuschen zu müssen. Es ist leicht, sich Feinde zu machen, jedoch sehr schwer, Freunde zu finden. Ich weiß nicht, ob wir je eine freundschaftliche Beziehung zu den Greens aufbauen können. Ich für meinen Teil würde es schon begrüßen, wenn wir keine Angriffe auf friedliche Siedler mehr befürchten müssen. Wenn es sein muss, dann werde ich die Greens mit allen Mitteln bekämpfen, doch wenn sich mir die Möglichkeit bietet, ihnen künftig friedlich zu begegnen, dann werde ich jede Gelegenheit dazu ergreifen.“

Captain Custer sah Lennerson scharf an. „Ich hoffe, Doktor, Ihr Weltbild vom Militär bricht jetzt nicht zusammen.”

„Nein, Captain.“

Custer grinste. „Hier an Bord dürfen Sie mich „Major“ nennen. Alte Navy-Tradition.“

„Aha“, brummte der Linguist.

 

„Könnten wir zum Thema zurückkehren?“ Braunfels wirkte wenig amüsiert. „Äh, zurück zur Kontaktaufnahme mit den Greens. In meiner vorläufigen Studie zur Psychologie dieser Wesen…“

„Sie meinen diese 243 Seiten umfassende Datei, die Sie mir freundlicherweise übermittelten?“, fragte Jen-Li.

„Ah, Sie haben sie gelesen?“, fragte Braunfels erfreut.

„Förmlich studiert“, log Jen-Li ungerührt. Braunfels hatte es tatsächlich geschafft, aus den wenigen Informationen, die man über die Greens hatte sammeln können, ein riesiges Pamphlet zu erschaffen, welches von „fundierten“ Vermutungen und Thesen nur so wimmelte. Vielleicht waren Braunfels´ Kollegen von dergleichen begeistert, aber Jen-Li hatte die Datei nur zu einem Drittel gelesen und stufte sie inzwischen als ausgeklügelte Methode geistiger Folter ein. „Ich habe allen Offizieren eine Kopie der Datei auf die Mini-Comps geschickt.“

„Ausgezeichnet, ausgezeichnet“, murmelte Braunfels.

Custer warf dem Captain einen scharfen Blick zu und dessen Lächeln wirkte nun ausgesprochen niederträchtig.

„Ich darf auf die kurze Auswertung meiner Erkenntnisse hinweisen, die auf Seite 187 des Dokumentes beginnt“, dozierte der Alien-Psychologe. „Darin…“

„Doktor?“

„Äh, bitte?“ Braunfels sah Jen-Li irritiert an.

„Alles zu gegebener Zeit, verehrter Doktor. Im Augenblick interessiert mich weitaus mehr, ob wir uns auf die ermittelten Kursdaten des Green-Schiffes verlassen können.“

Braunfels schnappte nach Luft.

Hiroshi Yagoda nahm die Gelegenheit wahr und ergriff wieder das Wort. „Eine unveränderbare Eigenheit des Nullzeit-Antriebs ist es, dass ein Sturz den eingeschlagenen Kurs in exakt gerader Linie verlängert. Die Entfernung ist, aufgrund der verwendeten Energie, unterschiedlich, doch es gibt niemals eine seitliche Abweichung. Wir können also nicht sagen, wie weit die Greens durch die Nullzeit gegangen sind, aber wenigstens können wir sehr genau sagen, auf welcher Linie sich der Austrittpunkt befinden muss.“

„Ist eine verdammt lange Linie“, meinte Lieutenant Thunder-Elk.

„Theoretisch ist sie unendlich“, seufzte Custer. „Vor allem, da wir selbst nie ausprobiert haben, wie weit man mit dem Hiromata durch den Sturz gehen kann.“

„Dem stimme ich zu, Major.“ Jen-Li ließ die Verlängerung der Linie entstehen. „Irgendwo auf dieser Linie lag das Ziel der Hantel. Um es zu finden werden wir wahrscheinlich eine ganze Reihe von Stürzen durchführen müssen. Jeweils unter Berücksichtigung der Reichweite unserer Scanner, damit uns nichts entgeht. Wobei es leider nicht sicher ist, ob die Greens auch tatsächlich eine ihrer Welten oder Basen angeflogen haben.“

„Jedenfalls war die Hantel ziemlich stark beschädigt“, hielt Custer dagegen. „Das macht den Aufenthalt in einer Werft wahrscheinlich.“

Jen-Li deutete eine Verbeugung an. „Auch dem stimme ich zu, Major. Wir wissen allerdings nicht, ob das Schiff diese Werft tatsächlich anflog und ob sie dies in einem Sturz tat. Es kann ebenso sein, dass sie aus dem Sturz kam, den Kurs änderte und die errechnete Linie verließ.“

„Klingt ganz so, als bräuchten wir eine gute Portion Glück“, murmelte Lieutenant Bramquist.

„Wird so sein.“ Peter Custer loggte sich in die Holoprojektion ein und ließ das Symbol der Blackwing erscheinen. Ein grüner und ein sehr viel weiterer blauer Kreis entstanden um das Schiff. „Einen kleinen Vorteil haben wir immerhin. Der rote Kreis markiert die Reichweite unserer normalen Scanner und Sensoren. Ihre Blackwing, Captain Jen-Li, verfügt jedoch über einen der neuen Hiromata-Scanner. Taststrahl und Echo in Nullzeit und eine sehr viel größere Reichweite. Denke, das könnte nützlich sein.“

„In der Tat, der verehrte Hoch-General ibn Fahed konnte bei dem verehrten Hoch-Admiral Redfeather die Installation eines dieser seltenen Geräte auf der Blackwing erwirken.“ Jen-Li konnte nicht verbergen, wie stolz er darüber war. „Wir sollten daher keine Zeit verschwenden und einen Plan ausarbeiten, wie wir die Suche nach den Greens durchführen. Ein Misserfolg kommt nicht in Frage, Gentlemen.“

Darin waren sie sich alle einig.

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