Für Freiheit, Lincoln und Lee

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Für Freiheit, Lincoln und Lee
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Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee

Historienroman zum nordamerikanischen Bürgerkrieg

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 1849 - Das Ende der Freiheit

Kapitel 2 Der lange Marsch

Kapitel 3 Passage

Kapitel 4 Erkenntnisse

Kapitel 5 Seegang

Kapitel 6 1854 – Differenzen und die Gradwanderung des Missourikompromisses

Kapitel 7 1855 - Neue Leben

Kapitel 8 Eine Plantage im Süden

Kapitel 9 Gescheitert und ein Neubeginn

Kapitel 10 Klare Verhältnisse

Kapitel 11 1858 – Harpers Ferry

Kapitel 12 1858 – Ein persönlicher Verlust

Kapitel 13 Die Peitsche des Aufsehers

Kapitel 14 1859 – Gegensätze

Kapitel 15 Grenzkonflikte

Kapitel 16 Stimmungen

Kapitel 17 1860

Kapitel 18 1861 – Sezession

Kapitel 19 Das geteilte Regiment

Kapitel 20 1861, April – Fort Sumter

Kapitel 21 Im deutschen Debattierclub

Kapitel 22 1861, Juli - Bull Run / Manassas

Kapitel 23 Das Deutsche Corps

Kapitel 24 Von New Yorkern und McClellan

Kapitel 25 1861, Dezember – Weihnachtsvorbereitungen

Kapitel 26 Blutige Weihnacht

Kapitel 27 1862 - Jahresbeginn

Kapitel 28 Besondere Depeschen

Kapitel 29 Friederike Arguille

Kapitel 30 1862, März – Die Eisenschiffe

Kapitel 31 1862, Mai – Pea Ridge

Kapitel 32 Eine neue Bindung

Kapitel 33 Die „Virginia Hotspurs“

Kapitel 34 Friedrichs Verwundung

Kapitel 35 Juni 1862 – Die Sieben-Tage-Schlacht

Kapitel 36 Wiedersehen

Kapitel 37 New Darmstadt

Kapitel 38 1862, April / Mai – Shiloh/Corinth und Memphis

Kapitel 39 Die Sklaven zu befreien?

Kapitel 40 Bernd Kahlmann

Kapitel 41 1862, 28. - 30. August – Zweites Bull Run / Manassas

Kapitel 42 Im Schatten der Schlacht

Kapitel 43 Englands Sympathien

Kapitel 44 Ungewohnte Klänge

Kapitel 45 1862, 14. September – Turner´s Gap

Kapitel 46 1862, 16.–18. September: Sharpsburg / Antietam

Kapitel 47 Der Gesetzlose

Kapitel 48 1862, 11.-15. Dezember - Rappahanock River / Fredericksburg

Kapitel 49 1863, Januar - Die Proklamation

Kapitel 50 Mama Byckerdyke

Kapitel 51 1862, 31.12. - 02.01.1863 - Stones River / Murfreesboro

Kapitel 52 Unsicherheiten und Absichten

Kapitel 53 1863, 2.-5. Mai - Chancellorsville / Wilderness

Kapitel 54 Für Freiheit, Lincoln und die Liebe

Kapitel 55 1863, 7. Juni - Millikens Bend

Kapitel 56 Die Kokarde der Freiheit

Kapitel 57 Dem Abgrund entgegen – 1863, 9. Juni – Brandy Station

Kapitel 58 1863, 1.-3. Juli Gettysburg

Kapitel 59 Ein Stück Gerechtigkeit

Kapitel 60 Trommeln und Pfeifen

Kapitel 61 1863, 4. Juli - Vicksburg

Kapitel 62 1863, 19. November – Die Botschaft von Gettysburg

Kapitel 63 SCHLUSSWORT

Impressum neobooks

Kapitel 1 1849 - Das Ende der Freiheit

Die Bretter der Wand waren nicht ganz dicht gefügt und die hereinfallenden Strahlen des Sonnenlichtes zauberten eine Mischung aus Gold und Kupfer in Friederikes Haare. Gedankenverloren drehte sie einen Finger in eine Locke und seufzte behaglich, während Friedrichs Hand sanft zwischen ihren Brüsten entlang glitt. Sie spürte den feinen Schweißfilm auf ihrer Haut und die Schwiele an seinem Zeigefinger. Sein Atem klang gepresst und Friederike wusste, dass seine Lust nicht gestillt war. Doch sie war nicht bereit ihm ihre Jungfernschaft zu geben. Noch nicht. Sie wusste, dass er sie begehrte und irgendwie verspürte sie selbst das Verlangen, sich ihm endlich ganz hinzugeben.

„Du bist unersättlich“, sagte Friederike leise und das Lächeln nahm ihren Worten die Schärfe. „Du weißt, Friedrich, ich bin ein sittsames Mädchen und was wir hier tun, das ist nicht Recht.“

Die Worte klangen selbst in ihren Ohren unangemessen schwülstig und noch vor wenigen Tagen hätte sie sich Friedrich wahrscheinlich nicht verweigert. Friedrich und Friederike, sie hatten einander versprochen, auch wenn ihre Eltern wohl nicht begeistert von ihrer Absicht waren, zu heiraten. Doch für sie beide war ihre gemeinsame Zukunft klar vorgezeichnet gewesen, als sie sich zum ersten Mal an den Frankfurter Barrikaden begegneten. Die Republik schien so nahe, zum greifen nahe, und Friederike hatte, neben der Demokratie, sogar schon die Möglichkeit einer Gleichberechtigung der Frauen kommen sehen. Es gab bekannte Suffragetten, in Amerika und selbst im königlichen England, die sich für das Wahlrecht der Frauen aussprachen. Alles schien möglich, doch nun kamen die Soldaten des preußischen Königs und zerschlugen ihren Traum.

Friedrichs Hand schob sich sanft unter ihr Unterkleid und Friederike seufzte erneut, legte ihre Finger an seinen Arm. „Ich glaube, Friedrich, es ist vorüber.“

„Was?“ Seine Gedanken waren bei anderen Dingen, sehr viel hübscheren und angenehmeren Dingen, und er sträubte sich dagegen, diese Gedanken aufzugeben.

Sie zog seine Hand sachte von ihrem Schenkel. Auch wenn sie dabei lächelte, so verfinsterte sich doch sein Gesicht, als er erkannte, dass sie keine intimeren Zärtlichkeiten zulassen würde. Friederike richtete sich halb auf und stützte sich mit einem Ellbogen auf die Decke, die er auf dem frischen Stroh ausgebreitet hatte.

 

„Ich glaube es ist vorbei mit der Demokratie“, sagte sie erneut. „Der Preuße schickt seine Truppen und die paar Freischaren, die es noch gibt, werden ihm nicht standhalten.“

„Sie werden nicht gegen uns kämpfen“, meinte er zögernd. „Sie sind unsere Brüder. Die in Rastatt, die sind doch auch kampflos zu uns übergegangen.“

„Ach, Friedrich.“ Sie griff mit einer Hand in seine braunen Locken und zog sein Gesicht zu sich heran. Sie küsste seine Wange und er wandte den Kopf, so dass sich ihre Lippen fanden.

Draußen, vor der Scheune, ertönte ein kurzer Ruf. Friederike löste die Lippen von den seinen. „Ich glaube, Hans und Karl werden ungeduldig. Du musst zu ihnen gehen.“

Friedrich Baumgart beugte sich ein wenig vor, fand erneut ihren Mund. „Die sollen warten.“

Friederike lachte auf und drückte gegen seine Brust, so dass ihr Verlobter sich grummelnd aufrichtete. „Dein Hauptmann Wenzel wird es nicht schätzen, wenn du deine Brüder warten lässt.“

Friedrich verzog enttäuscht das Gesicht und Friederike zupfte ihm ein paar Strohhalme aus dem dichten Vollbart, den er trug. „Ohne gefällst du mir besser.“

„Hä?“

„Ohne den Bart. Er sticht.“ Friederike zog spielerisch an den Barthaaren. „Du solltest ihn wieder abnehmen.“

„Er ist praktisch“, erwiderte er. Friedrich zuckte mit den Schultern. „Ich mag es nicht, mich mit kaltem Wasser zu rasieren. Wenn wir im Feld sind, lassen sich viele von der Freischar einen Bart stehen.“

Erneut ertönte ein fordernder Ruf und Friedrich wandte unwillig den Kopf. „Ja, Herrgott, ich komme.“

Friederike griff an die Schnüre ihres Mieders und begann es zu schließen. „Vielleicht kommen die Königlichen ja auch gar nicht“, sagte sie ohne Überzeugung. „Und wenn doch, dann muss es ja kein Geschieße geben.“

„Ich passe schon auf mich auf“, sagte Friedrich ernst und rollte sich von der Decke herunter. Missmutig streifte er Heu von seiner Hose. „Aber egal ob sie kommen oder nicht, es wird Zeit, dass wir heiraten.“

Sie schlug auflachend nach ihm. „Du willst mir nur die Jungfernschaft rauben.“

Friedrich zog die Hosenträger nach oben und bückte sich nach seiner Waffe. „Ich will dich zum Eheweib…“

„… und einen Stall voller Kinder“, ergänzte sie lächelnd und erhob sich ebenfalls. Für einen Moment gab sie sich in seine Arme. „Die Zeit wird kommen, mein Liebster. Doch jetzt musst du erst zu Karl und Hans. Oder willst du, dass sie herein kommen und mich kompromittiert sehen?“

Manchmal wusste Friedrich nicht so recht, was sie mit ihren Worten wohl meinte. Er war ein einfacher Bauernsohn und gelegentlich bedauerte er, dass er nicht so belesen war wie Friederike Ganzweiler, die aus einer bürgerlichen Familie stammte und deren Vater Kaufmann in Frankfurt war. Oh, er konnte lesen, doch auf dem Hof hatten sie nur wenige Bücher und sein Vater hatte es ihm mit der Bibel beigebracht. Doch Friederike, die las Bücher von Voltaire und anderen gebildeten Männern. Manchmal benutzte sie Worte, deren Sinn Friedrich kaum verstand. In diesem Fall aber ahnte er was sie meinte und lachte auf.

„Die wissen schon, dass wir einander versprochen haben.“

„Ich glaube, Karl und Hans wissen auch was der Hauptmann Wenzel von euch verlangt hat, nicht wahr?“

Friedrich Baumgart ließ einen knurrenden Laut hören, doch dann nickte er. „Du hast ja Recht. Ich bin der Älteste und sollte auf sie achten, statt umgekehrt.“ Er zog sie kurz an sich. „Aber wenn das hier vorbei ist…“

„Ja, ich weiß.“ Für einen Moment war ihre schlanke Gestalt ganz weich in seinen Armen. „Wenn es vorbei ist.“

Ihre Blicke folgten ihm, während er zum angelehnten Scheunentor ging, ihr einen letzten Blick zuwarf und dann hindurch schlüpfte. Sie würde ein paar Minuten warten, bevor sie ihm folgte. Auch wenn die drei Brüder Baumgart eine verschworene Gemeinschaft waren und alle von der Beziehung Friederikes und Friedrichs wussten, so galt es für sie doch noch immer, ein gewisses Maß an Schicklichkeit zu bewahren.

Als die hübsche blonde Frau wenig später aus der Scheune trat, waren die Brüder bereits vom Hof geritten. Eine knappe Stunde später erreichten die Drei ihr Ziel. Sie führten die Pferde ein Stück nach hinten und legten sich dann, oben am Hang über der Straße, ins Gras.

„Guter Boden.“ Friedrich zerrieb etwas Erde zwischen den Fingern.

„Hm?“ Karl sah irritiert zu seinem älteren Bruder. „Was ist?“

Friedrich ließ den Rest zu Boden fallen und seufzte leise. „Guter Boden hier. Gerste, Roggen. Lässt sich mehr rausholen als auf unserem Hof.“

Karl schob seinen Zweispitz kopfschüttelnd in den Nacken. „Woran du schon wieder denkst. Wir haben weiß Gott andere Sorgen.“

„Vater bräuchte uns jetzt auf dem Hof“, sinnierte Hans. „Wir haben schon die Aussaat verpasst und jetzt kommt bald die Erntezeit.“

„Ja, ja“, knurrte Karl missmutig. „Wir haben schon die vorherige Aussaat verpasst. Und die davor auch. Es wird schon gehen.“

„Gütiger Himmel, zwei Jahre sind es schon.“ Hans, ihr jüngster Bruder, gerade fünfzehn Jahre alt, sah kurz zu ihnen herüber, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtete. „Friedrich hat es gut, der hat wenigstens ein Mädchen gefunden. Vater wird Augen machen, wenn er sie mit nach Hause bringt.“

Die Bemerkung berührte Friedrich unangenehm. Nachdem er Friederike in der Frankfurter Paulskirche begegnet war, da hatte er wenig später den väterlichen Hof besucht und seinem Vater von ihr berichtet.

„Schuster, bleib bei deinem Leisten“, hatte der erwidert. „Ein bürgerliches Eheweib passt nicht auf unseren Hof.“

Damit war für seinen Vater der Fall erledigt gewesen und Friederikes Eltern mochten wohl ebenso reagiert haben. Friedrich dachte an die Nähe ihres Körpers und blickte hinaus auf die Straße. Jene Straße, die vom Taunus ins Hinterland führte. Nach Weilburg hinauf oder nach Marburg hinüber. Die Straße war inzwischen an einigen Stellen gepflastert, denn sie wurde viel befahren. Schon die Römer hatten sie angeblich benutzt, aber Friedrich, der ja immerhin lesen und schreiben konnte, hatte das von sich gewesen. Er beharrte darauf, dass die Römer die Straße dann auch vollständig gepflastert hätten. Hans wusste das nicht zu beurteilen. Er wusste nur, dass die Straße hier zwischen saftigen Hügeln entlang führte, die an ausgedehnte Wälder grenzten. Und dass sie sich hier ein langes Stück zwischen den Hügeln entlang wand, gut einsichtbar von der Stelle, an der die drei Brüder Baumgart lagen. Und er wusste auch, dass sie von hier kommen würden. Die königlichen Bundestruppen. Die Feinde.

Friedrich schnäuzte sich und wischte die Nase am Ärmel seiner Jacke ab. Man sah seinem Ärmel an, dass er dies oft tat und auch jene Leute, die man zu den Soldaten nahm, taten das gewöhnlich. Daher hatten die Soldaten auch so viele Knöpfe an den Ärmeln, damit es ordentlich wehtat, wenn man sich dort schnäuzte. „Seit zwei Jahren geht das nun schon und nichts ist gewonnen. Wir hätten uns dem Lenz anschließen sollen.“

Vor rund zwei Jahren hatte es begonnen. 1848. Im Badischen, wo eine Volksversammlung, im Gasthaus „Salmen“ in Offenburg, demokratische Forderungen an die Badische Regierung formuliert hatte. Nichts unverschämtes, ganz gewiss nicht. Ein wenig mehr persönliche Freiheit. Und die Presse sollte nicht nur die Meinung von Adel und Klerus widerspiegeln. Sie sollte dem Volke halt aufs Maul schauen dürfen. Auch die Forderungen nach Gewissens- und Lehrfreiheit, gerechte Besteuerung und Abbau der Adelsprivilegien waren doch nicht zu viel gewesen. Das Leben war noch immer hart, auch wenn der große Krieg gegen den Bonaparte schon lange vorüber war. Es stand dem Volke doch zu, dass es ihm ein wenig besser erginge. Damals, als die Revolution von Frankreich herüber gekommen war, da hatten die meisten Leute doch den Herzögen, Fürsten und Königen getreulich zur Seite gestanden. Weil es sich doch einfach nicht gehörte, einem König einfach den Kopf herunter zu schlagen, wie die Jakobiner das getan hatten.

Die Brüder Baumgart kannten das Meiste nur vom Hörensagen. Aber sie kannten die Schriften, welche die Demokratie einforderten. Nur ein wenig Demokratie. Doch der Adel sprach von Hetzschriften. Dabei hatten doch viele mitgemacht. Von einem deutschen Parlament hatte man gar gesprochen. Vielleicht waren die Herrschenden auch verschreckt worden, als dann im Februar 1848 die zweite Revolution in Paris ausgebrochen war. Jetzt war Frankreich eine Republik und schon der Name besaß einen magischen Klang. Den von Freiheit und demokratischen Bürgerrechten. Obschon die Franzosen auch einen neuen Bonaparte hatten. War schon ein merkwürdiges Ding, eine Republik des Volkes mit einem Monarchen an der Spitze.

„Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes“. So hatte es in der Petition der Bürgerversammlung in Mannheim geheißen. Ein Vorparlament aus Mitgliedern der deutschen Ständeversammlung trat in Frankfurt am Main zusammen. Es bereitete die Wahl einer verfassunggebenden Nationalversammlung vor.

Karl nahm seinen Zweispitz ab, wischte sich Schweiß von der Stirn. Geistesabwesend betrachtete er die verblichene Kokarde an seinem Hut. Die Kopfbedeckung war französisch und stammte noch aus der Zeit des großen Krieges, in dem die Allianz gegen den Kaiser gekämpft hatte. Den Kaiser. Aber es war keine französische Kokarde. Es war das verblasste schwarz-rot-gold der Freiheit.

Friedrich sah auf den Hut, den sein Bruder Karl so liebte. Freiheit. Wie gut hatte das damals noch geklungen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Vereinigung der Stände. Als sie davon gehört hatten, da hatte es sie nicht mehr auf dem Hof gehalten. Sie waren nach Frankfurt gegangen, hatten die Hoffnungen der Nationalversammlung erlebt. Hatten vor der Paulskirche gestanden und versucht zu verstehen, was sie Deputierten dort von sich gaben. Friedrich konnte sich noch gut erinnern, wie geschockt sie gewesen waren, als sie erkennen mussten, welche Uneinigkeit die Abgeordneten beherrschte.

Dabei hatte es um die gemeinsame Sache doch gar nicht gut gestanden.

Friedrich Hecker und Gustav Struve riefen von Konstanz aus zum bewaffneten Widerstand gegen die Herrschenden auf.

Der Hecker führte sogar einen Zug Freischärler, von Konstanz über Donaueschingen, ins Rheintal. Er marschierte auf Karlsruhe, aber bei Kandern stellte sich ihm das Militär entgegen. Heckers Männer wurden heftig zerschlagen.

Der Struve verkündete in Lörrach die „Deutsche Republik“ und organisierte einen anderen Feischärlerzug, der in Staufen von badischem Militär mit Blut beendet wurde.

Da war es im badischen vorbei gewesen mit der Revolution.

Friedrich blickte die Straße entlang. Dorthin, wo sie zwischen den Hügeln verschwand, und kniff die Augen zusammen. „Da kommt was.“

Karl setzte den Zweispitz auf und rückte ihn gerade. „Meinst du, sie sind es?“

Friedrich blickte zu Hans. „Schau, wer das sein mag. Du hast die besseren Augen.“

Ihr Hauptmann, der Gottfried Wenzel, der hatte sogar ein richtiges Fernglas. Doch Hauptmann und Fernglas waren in Wiesbaden und warteten, was die Brüder wohl melden würden.

Hans zuckte die Achseln. „Die Postkutsche.“

Karl wirkte enttäuscht. „Bist du sicher?“

Der Jüngste sah ihn beleidigt an. „Was glaubst du wohl? Ich kann den Postillon erkennen und die gelbe Farbe.“

„Deine Augen möchte ich haben“, seufzte Karl. „Gott, ich wünschte mir sie kämen endlich.“

Friedrich griff hinter sich in seinen Schnappsack. Der ehemals weiße Leinenbeutel hatte inzwischen eine undefinierbare Form und Farbe angenommen. Zu viele Nahrungsmittel, verschiedenster Art und unterschiedlichster Verdaulichkeit, waren darin schon aufbewahrt worden. Er fand das Stück französischer Knoblauchwurst, welches Friederike ihm zugesteckt hatte und zog sie heraus.

„Die brauchen uns nicht zu sehen, die werden uns schon riechen können“, knurrte Karl, als der scharfe Geruch wahrnehmbar wurde. „Gib wenigstens ein Stück ab.“

Es war kein großes Stück mehr. Aber das letzte, was sie noch besaßen. So lagen die drei Brüder nebeneinander am Hang, in der Deckung einiger Ginsterbüsche, und kauten langsam die letzten Bissen. Unter ihnen ratterte die Postkutsche vorüber. Neben dem Postillon mit seinem Horn saß ein Begleitfahrer mit Plunderbüchse. Eine von jenen glattläufigen Büchsen, deren Lauf kurz und an der Mündung trichterförmig war. Gut geeignet, um einen Streuschuss abzugeben. Doch kein ernsthafter Räuber würde sich davon abschrecken lassen. Die Wirkung der Plunderbüchse war eher moralischer Art.

 

„Wir hätten uns dem Lenz anschließen sollen“, knurrte Karl. „Wir hätten ordentliche Waffen gekriegt. Und sogar Pferde.“

„Blödsinn.“ Hans lachte auf. „Du und ein Pferd. Du kannst ja nicht mal reiten.“

„Aber ich kann es lernen!“, fuhr Karl auf. „Das Schießen habe ich auch gelernt.“

„Ja, das stimmt“, räumte Hans ein. Er war der Jüngste und zugleich ihr bester Schütze. Eine ruhige Hand und ein sicheres Auge. Dennoch hatte er nur eine alte glattläufige Muskete bekommen. Ein wahres Prachtstück fürs Museum in Wiesbaden. Gerüchten zufolge stammte diese englische Muskete auch von dort. Man konnte gerade mal auf fünfzig Meter damit schießen. Darüber hinaus vielleicht noch einen Vogel erschrecken. Aber der Vogel musste dann schon sehr schreckhaft sein.

Hans sah nervös auf den dunklen Lauf von Karls Gewehr. Auch eine englische Waffe. Doch immerhin handelte es sich um ein Baker Gewehr. Es hatte einen gezogenen Lauf, welcher der Bleikugel Drall verlieh und eine treffsichere Reichweite von fast dreihundert Metern. Damit ließ sich schon ein Dragoner oder Linieninfanterist der Königlichen wegputzen. Der Friedrich hatte sogar ein richtiges Jagdgewehr. Hatte es einem abgenommen, der es nicht mehr brauchte, da ihm ein Säbel den Kopf abschlug. Aber Friedrich hatte nicht mehr viel Munition dafür.

Die waren ein komisches Volk, die Adligen. Friedrich würde sie nie verstehen. Die einen stimmten der Demokratiebewegung zu, die anderen bekämpften sie erbittert. Am schlimmsten war der Preuße. Die Nationalversammlung hatte eine Reichsverfassung verabschiedet und den preußischen König Friedrich Wilhelm IV zum Kaiser gewählt. Doch dieser lehnte die Krone ab. Ein paar sagten, er habe dies getan, weil nicht alle Bundesstaaten seiner Ernennung zugestimmt hätten. Andere behaupteten, der König habe keine Krone nehmen wollen, die ihm vom Pöbel gereicht worden sei. Friedrich glaubte eher letzteres. Wie oft hatten sich diese Adligen, und vor allem Könige und Kaiser, darauf berufen, von Gott persönlich auserwählt zu sein? Friedrich spuckte unbewusst aus und hob entschuldigend den Blick in imaginäre Weiten. Was den Adel mit Gott verband, das war die Tatsache, dass sie eine Ähnlichkeit mit einer wahren Plage hatten. Wen von ihnen kümmerte es denn, was das Volk dachte?

Gott allein mochte wissen, wie viele Menschen im deutschen Südwesten für die Anwendung der Reichsverfassung protestiert hatten.

In der Feste Rastatt hatten sich sogar die Soldaten der Demokratiebewegung angeschlossen und gemeutert. Die badischen Soldaten solidarisierten sich mit den Demokraten. Das Leibregiment des Großherzogs meuterte. Der edle Herr musste über Germersheim und Lauterburg nach Koblenz fliehen. Eine provisorische Regierung wurde in Karlsruhe gebildet. Es fanden erste demokratische Wahlen in Baden statt. Alle Männer mit Vollendung des 21. Lebensjahres erhielten das Wahlrecht. Die verfassungsgebende Versammlung von Baden, in Karlsruhe, unter Lorenz Brentano als Präsident der Regierung, wurde eröffnet.

Friedrich sah sie Straße entlang. Von wo würden sie kommen? Gott, alles schien vorbei. Der Preußenkönig. Ausgerechnet der, dem man die Krone angeboten hatte. Die Truppen des Königs marschierten in der Pfalz. In Baden hatte es Scharmützel gegeben. Bei Waghäusel war die Freiheitsarmee zum Rückzug gezwungen worden.

„Sie kommen“, meldete Hans sich.

„Bist du sicher?“ Karl hob den Kopf und sah die Straße entlang.

„Sicher bin ich sicher“, murmelte Hans. Er hatte die Augen zusammengekniffen und beschattete sie mit der Hand, denn die Sonne begann ungünstig zu stehen. „Sind Schützen. Ein Jägerregiment.“

„Wir sollten verschwinden“, sagte Friedrich bedächtig. Er kratzte sich am Vollbart. „Wozu sollen wir noch den Kopf hinhalten? Die anderen sind auch verschwunden. Schurz haben sie geschnappt, Lenz und Wagner sind wer weiß wo. Nur wir sind noch hier.“

„Und was ist mit unserer Freiheit? Mit unserer Demokratie?“ Karl wies auf die ferne Staubwolke, die sich über die Straße näherte. Dazwischen war das Aufblitzen von Metall zu sehen und hin und wieder ein schwacher Farbfleck. „Soll alles umsonst sein? Wegen denen?“

Friedrich zuckte die Achseln. „Die meisten von uns sind doch eh schon weg. Und die da, die werden dir rasch zeigen, was sie von Demokratie halten.“ Er sah Hans an. „Bist du sicher, dass es Jägerschützen sind?“

Hans nickte. Der Älteste erhob sich und klopfte Rasen von seiner Hose. „Das war es dann. Gegen Gewehre können wir nicht an. Lasst es uns dem Hauptmann sagen. Der wird wissen, was zu tun ist.“

„Er wird kämpfen“, meinte Karl zuversichtlich. Er betastete das Schloss seines Baker-Gewehrs.

„Wenigstens haben wir heute Pferde“, knurrte Hans und kickte einen Stein vom Weg. „Da sind wir schneller.“

Seine Brüder lachten und Karl schlug ihm freundlich auf die Schulter. Staub stieg auf. „Da gib nur gut Acht, dass du uns nicht herunter fällst.“

Es waren keine ausgesprochenen Reittiere, die sie hinter der Böschung an einen Strauch gebunden hatten. Aber selbst diese Arbeitspferde, die es gewohnt waren, einen Wagen zu ziehen, waren weit schneller, als die Soldaten des Preußenkönigs den Brüdern folgen konnten. Diese würden zudem nur kurz rasten und wussten, dass die Soldaten in der Nacht kampierten. Das gab den Verfolgten die Zeit, um Wiesbaden zu erreichen und dem Hauptmann Wenzel noch ausreichend Gelegenheit, die Verteidigung zu organisieren.

Sie ritten vom Taunus herunter, über das Nerotal nach Wiesbaden. Nicht weit von der Trompetereiche entfernt. Eigentlich hätte sie Postillioneiche heißen müssen. Einst war hier die Postkutsche von einer Räuberbande überfallen worden. Der Postillon hatte noch einmal in sein Posthorn blasen können. Die Räuber waren noch mit Plündern beschäftigt, als man sie erwischte und dann kurzerhand an die große Eiche hing. So sagte man jedenfalls. Den Brüdern gefielen die Geschichten, in denen man die Bösen einfach aufhing. Die Eiche ließ Karl allerdings mit Schaudern daran denken, dass der König mit ihnen auch nicht viel Federlesen machen würde. Doch der Wenzel war schlau. Er war Abgeordneter in Frankfurt gewesen, bevor die Nationalversammlung verlegt wurde und sich dann größtenteils auflöste. Er würde sicherlich einen Weg finden, um Zugeständnisse von den Königlichen zu erhalten.

Sie kamen am frühen Morgen über die Taunusstraße herein und folgten ihr zum Kochbrunnenplatz.

„Gott sei´s gedankt“, murmelte Karl erleichtert, als er sich vom Pferd gleiten ließ. Stöhnend rieb er sich den verlängerten Rücken.

Hans grinste unverhohlen. „Bist doch nicht so fürs Pferd geboren, wie?“

„Du hast gut reden.“ Karl sah sich um und blickte auf zwei Männer der Kompagnie, die in der Nähe des Brunnens standen. Dunst stieg aus dem Brunnenbecken auf. „Wisst ihr wo der Hauptmann steckt?“

„Im Schloss oder im Rathaus“, erwiderte einer der Männer. „Habt ihr die Preußen gesehen?“

Die beiden Männer der Freischärlerkompagnie wirkten nervös. Die Brüder konnten es ihnen nicht verdenken.

„Gegen Mittag müssten sie da sein.“ Friedrich nahm die Zügel der Pferde und wartete bis seine Brüder getrunken hatten, dann wechselte er mit ihnen.

„Dann werden wohl bald die Preußen hier saufen“, stellte einer der Männer fest. Er blickte begierig auf die Pferde und man konnte ahnen, was ihm und seinem Kameraden wohl durch den Kopf ging. Sie alle wussten, dass die Sache verloren war. Gegen die Kriegsmaschinerie des preußischen Königs kamen sie nicht an.

Karl Baumgart schob den Zweispitz in den Nacken. Ein Stück geradeaus ging es zum königlichen Theater und dem Kurhaus. Wiesbaden war die Stadt der heißen und kalten Quellen. Über zwanzig gab es und schon die Römer hatten diese zu schätzen gewusst. Doch die Brüder mussten rechts hinunter, zum Rathausplatz. Sie tränkten die Pferde und saßen erneut auf. Karl glaubte, jeden Knochen in sich zu spüren und ein paar zusätzliche, die vorher noch nicht da gewesen waren. Er unterdrückte ein schmerzerfülltes Stöhnen als sie anritten und fragte sich, wie Friedrich und Hans die ungewohnte Tortur aushielten.

Nach ein paar Minuten kamen sie auf dem Rathausplatz an.

Karl war es, dem es als erstem auffiel. „Die Fahne. Sie ist weg.“

Seine beiden Brüder blickten auf zu dem Eckbalkon des Rathauses. Die Stange war leer. Das schwarz-rot-goldene Tuch, das dort gehangen hatte und auf dessen Streifen die Worte Einigkeit, Recht und Freiheit gestanden hatten, war verschwunden. Der kopfsteingepflasterte Platz wirkte merkwürdig leer. Auch vor dem alten königlichen Schloss standen keine Männer der Kompagnie. An zwei der Straßen waren Barrikaden aufgebaut. Ein paar umgestürzte Wagen, Möbel und Pflastersteine. Doch die Hindernisse waren nicht bemannt. Sie stiegen von den Pferden und schlangen die Zügel um den Holm eines umgestürzten Heuwagens.

„Verschwindet.“

Die drei Baumgarts wandten sich um. Über ihnen hatte sich ein Fenster geöffnet und eine Frau sah zu ihnen herunter, winkte eifrig mit der Hand. „Nun verschwindet schon. Geht heim. Es ist vorbei. Wollt ihr, dass wir Scherereien mit den Preußen bekommen?“

Karl sah die Frau mit offenem Mund an, bis Friedrich ihn am Ärmel packte. „Komm schon, der Wenzel wird wissen, was los ist.“

Ihre Schritte klangen seltsam hohl auf den breiten Stufen, die zwischen den Säulen hindurch ins Rathaus führten. Sie traten durch die massive Doppelflügeltür. Hier waren Männer zu sehen und es herrschte Unruhe.

„Wo ist der Wenzel?“, fragte Karl erregt. „Die Königstruppen kommen von Weilburg herunter.“

Einer der Männer blickte kurz auf. Er war dabei, Papiere auf ein kleines Feuer zu werfen. „Der Wenzel? Hinten.“

Der Mann beachtete sie nicht weiter. Die drei Brüder gingen an ihm vorbei zu einem der hinteren Zimmer, in dem sie einst, bei ihrer Anwerbung zur Kompagnie, den Hauptmann kennengelernt hatten.

„Herr Hauptmann?“

Wenzel blickte hinter seinem massiven Schreibtisch auf. Er wirkte müde. Dunkle Ringe waren um seine Augen. Friedrich fiel auf, das die schwarz-rot-goldene Schärpe, die der Hauptmann stets getragen hatte, fehlte. „Ah, ihr seid es. Ich dachte, ihr seid heim und packt.“

„Heim?“ Karl schob sich an Friedrich vorbei. „Wieso heim? Die Truppen kommen das Nerotal herunter. Wir müssen die Barrikaden besetzen. Wir müssen die Soldaten beschwören, uns brüderlich im Kampf um die Freiheit beizustehen. Wie die Badischen, die den Großherzog vertrieben haben.“

Wenzel lachte leise auf. Es klang resigniert. „Wie die Badischen, ja. Sie haben sich ergeben, die Badischen. Rastatt ist gefallen. Die Königlichen haben es eingenommen und unsere Leute gefangen.“

„Rastatt ist gefallen?“ Die drei Brüder sahen sich betroffen an. Es traf sie wie ein Schock. Die badischen Soldaten in Rastatt hatten sich mit der Demokratiebewegung solidarisiert. So wie auch andere. Soldaten und Freischärlerscharen hatten sich erhoben, um gegen die Bundestruppen von König Friedrich Wilhelm IV. zu kämpfen. Und jetzt war die Festung Rastatt von den Truppen jenes Königs genommen worden?

„Was ist mit unseren Leuten?“, fragte Friedrich bedächtig.

„Man sagt, dass 19 hingerichtet worden seien.“ Wenzel zuckte die Achseln. „Geht nach Hause. Es ist vorbei. Und haltet euch zurück. Man wird jetzt nach den Rädelsführern suchen und nach jenen, die mitgemacht haben. Die Adligen werden nicht zulassen, dass es nochmals eine Erhebung gibt. Wenn es zu arg wird, geht in die Republik. Viele sind schon dort. Oder nach Amerika.“