Verändere dein Bewusstsein

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Charnays Reise an der Hopkins University festigte ihre Verbundenheit zur Kräuterheilkunde (inzwischen arbeitet sie für einen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln in Nordkalifornien); die Erfahrung bestärkte sie auch in ihrem Entschluss, sich von ihrem Mann zu trennen. «Alles war plötzlich ganz klar für mich. Ich kam aus der Sitzung, und mein Mann holte mich zu spät ab. Da begriff ich, dass das unser Thema ist. Wir sind einfach zu verschieden. Ich hatte gerade ein einschneidendes Erlebnis gehabt und wollte, dass er pünktlich ist.» Sie teilte es ihm auf der Heimfahrt im Wagen mit und hat es nie bereut.

Wenn man diesen Leuten dabei zuhört, wie sie die Veränderungen schildern, die durch die Psilocybin-Reisen in ihrem Leben ausgelöst wurden, fragt man sich, ob der Sitzungsraum an der Hopkins University nicht so etwas wie eine «Fabrik zur Veränderung des Menschen» ist. So jedenfalls beschrieb ihn mir Mary Cosimano, die Anleiterin, die dort vermutlich mehr Zeit verbracht hat als jeder andere. «Von jetzt an», sagte einer der Probanden, «unterteilt sich mein Leben in vor und nach Psilocybin.» Schon bald nach seiner Psilocybin-Erfahrung kündigte der Physiker Brian Turner bei der Militärfirma und zog nach Colorado, um Zen zu lernen. Er hatte schon vor der Psilocybin-Reise meditiert, doch «jetzt war ich motiviert, weil ich vom Zweck des Ganzen gekostet hatte». Er war bereit, sich jetzt, da er eine Vorschau auf die neuen Bewusstseinszustände erhalten hatte, die es ihm verschaffen konnte, der harten Arbeit des Zen zu unterziehen.

Turner ist inzwischen ordinierter Zen-Mönch, arbeitet jedoch noch als Physiker für eine Firma, die Helium-Neon-Laser herstellt. Ich fragte ihn, ob er zwischen der Wissenschaft und seiner spirituellen Praxis eine Spannung verspüre. «Ich sehe da keinen Widerspruch. Doch die Ereignisse an der Hopkins University haben meine Physik beeinflusst. Ich habe begriffen, dass es ein paar Bereiche gibt, die die Wissenschaft nicht durchdringen wird. Die Wissenschaft bringt uns bis zum Urknall, aber nicht darüber hinaus. Um dort hineinzusehen, braucht man ein anderes Instrumentarium.»

Diese Einzelberichte persönlicher Veränderung wurden in einer Folgestudie der Hopkins University mit den ersten Gruppen gesunder Normaler nachdrücklich bestätigt. Katherine MacLean, eine Psychologin im Hopkins-Team, saß über den Befragungsdaten von zweiundfünfzig Teilnehmern, darunter auch Folgegespräche mit Freunden und Familienmitgliedern, die man dafür ausersehen hatte, und stellte fest, dass die Psilocybin-Erfahrung in vielen Fällen zu dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen geführt hatte.36 Speziell die Versuchspersonen, die «vollkommene mystische Erfahrungen» hatten (wie anhand ihrer Punktzahl im Mystical Experience Questionnaire von Pahnke-Richards ermittelt), verzeichneten zusätzlich zu einer dauerhaften Verbesserung des Wohlbefindens eine langfristige Steigerung im Persönlichkeitsmerkmal «Offenheit für Erfahrungen». Als eines der fünf Merkmale, die Psychologen zur Beurteilung von Persönlichkeit verwenden (die anderen vier sind Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus), umfasst Offenheit ästhetisches Verständnis und Empfindsamkeit, Fantasie und Vorstellungskraft und Toleranz gegenüber den Ansichten und Werten anderer; sie sagt auch etwas über die Kreativität in Kunst und Wissenschaft aus sowie vermutlich über die Bereitschaft, sich auf Vorstellungen und Konzepte einzulassen, die zu denen der gängigen Wissenschaft im Widerspruch stehen. Solche ausgeprägten und dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen sind bei Erwachsenen selten.

Doch waren all diese Veränderungen in Richtung größere Offenheit nicht auf die Probanden der Experimente beschränkt; auch die Betreuer geben an, die Begleitung der Reisen habe sie, manchmal auf erstaunliche Weise, verändert. Katherine MacLean, die während ihrer Zeit an der Hopkins University Dutzende von Sitzungen anleitete, erzählte mir: «Ich war anfangs Atheistin, aber bei meiner täglichen Arbeit habe ich Dinge erlebt, die zu meiner Überzeugung im Widerspruch standen. Während ich die Psilocybin-Reisenden betreute, wurde meine Welt immer rätselhafter.»

Bei meinem letzten Interview mit Richard Boothby, am Ende eines gemütlichen Sonntagsbrunchs im Museum für moderne Kunst in Baltimore, sah er mich mit einem Gesichtsausdruck an, in dem sich eine geradezu missionarische Inbrunst angesichts der «Schätze», die er an der Hopkins University erblickt hatte, mit einem gewissen Mitleid für seinen noch immer halluzinatorisch-naiven Gesprächspartner mischte.

«Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie neidisch sind.»

Meine Treffen mit den Hopkins-Probanden hatten mich tatsächlich etwas neidisch gemacht, aber auch wesentlich mehr Fragen als Antworten hinterlassen. Wie sollen wir die «Erkenntnisse» beurteilen, die diese Leute von ihren psychedelischen Reisen mitbringen? Wie viel Bedeutung sollten wir ihnen beimessen? Woher kommt bloß das Material, aus dem diese Wachträume oder, wie eine Versuchsperson es formulierte, diese «intrapsychischen Filme» bestehen? Aus dem Unbewussten? Aus den Hinweisen ihrer Anleiter und der Umgebung des Experiments? Oder, wie viele der Teilnehmer glauben, von irgendwo «da draußen» oder «noch weiter weg»? Was bedeuten diese mystischen Bewusstseinszustände letztlich für unser Verständnis des menschlichen Geistes oder des Universums?

Was Roland Griffiths betrifft, so haben seine eigenen Treffen mit den Probanden der Studie von 2006 nicht nur seine Leidenschaft für die Wissenschaft wieder entfacht, sondern ihm auch einen größeren Respekt für alles eingeflößt, was die Wissenschaft nicht weiß – das er bereitwillig «die Mysterien» nennt.

«Für mich waren die Daten [von den ersten Sitzungen] … ich will nicht das Wort ‹atemberaubend› verwenden, aber das, was wir dort erlebten, war geradezu beispiellos, was die tiefe Bedeutung und den dauerhaften spirituellen Stellenwert der Auswirkungen anbelangt. Ich habe schon vielen Leuten viele Drogen verabreicht, und was dabei herauskommt, sind Drogenerfahrungen. Das Einzigartige an den Psychedelika ist die Bedeutung, die aus der Erfahrung hervorgeht.»

Aber wie real ist diese Bedeutung? Griffiths selbst ist Agnostiker – allerdings erstaunlich aufgeschlossen, auch in Hinsicht auf die Erfahrungsberichte der Probanden von einem «Jenseits», wie auch immer sie es definieren. «Ich bin bereit, an die Möglichkeit zu glauben, dass diese Erfahrungen stimmen können», sagte er. «Das Aufregende an der Sache ist, dieses Mysterium mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu erforschen und auseinanderzunehmen.»

Nicht jeder seiner Kollegen ist so aufgeschlossen. Als wir bei einem unserer Treffen auf der Glasveranda seines bescheidenen Ranchhauses in einem Vorort Baltimores frühstückten, erwähnte Griffiths einen Kollegen an der Hopkins University, einen bekannten Psychiater namens Paul McHugh, der psychedelische Erfahrung als eine Form von «toxischem Delirium» abqualifiziert. Er ermunterte mich, McHugh zu googeln.

«Ärzte begegnen diesem seltsamen, farbintensiven Geisteszustand bei Patienten, die an fortgeschrittener Leber-, Nieren- oder Lungenerkrankung leiden, wobei sich Giftstoffe im Körper sammeln und auf Gehirn und Geist genauso wirken wie LSD», hatte McHugh in der Besprechung eines Buches über das Harvard Psilocybin Project in Commentary geschrieben.37 «Die lebhafte Farbwahrnehmung, das Verschmelzen körperlicher Empfindungen, die Halluzinationen, die Orientierungslosigkeit und der Verlust des Zeitgefühls, die ständigen wahnhaften Freuden und Ängste, die unvorhersehbare Gefühle und Verhaltensweisen erzeugen – sind traurigerweise vertraute Symptome, die Ärzte tagtäglich in Krankenhäusern behandeln müssen.»

Griffiths gibt zu, es sei möglich, dass es sich bei dem, was er zu sehen bekommt, um eine Form zeitweiliger Psychose handelt, und plant, in einem bevorstehenden Experiment auf Delirium zu testen, doch er bezweifelt stark, dass diese Diagnose eine präzise Beschreibung für die Erfahrung seiner Probanden ist. «Patienten, die an einem Delirium leiden, finden das sehr unangenehm», erklärt er, «und sagen Monate später mit Sicherheit nicht: ‹Wow, das war eine der tollsten und bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens.›»

William James setzte sich mit diesen Fragen der Glaubwürdigkeit in seiner Erörterung mystischer Bewusstseinszustände auseinander. Er kam zu dem Schluss, dass die Bedeutung dieser Erfahrungen «bei den Individuen, denen sie zuteilwerden, meist höchste Autorität» genieße und das auch so sein solle, doch für uns andere gebe es keinen Grund, «ihre Offenbarungen unkritisch anzunehmen».38 Und dennoch glaubte er, allein die Möglichkeit, dass jemand diese Bewusstseinszustände erleben kann, müsse sich auf unser Verständnis von Geist und Welt auswirken: «Das Vorhandensein mystischer Zustände räumt mit dem Anspruch nichtmystischer Zustände auf, sie allein seien die einzige und letzte Wahrheitsinstanz.»39 Diese alternativen Bewusstseinsformen «könnten unumgängliche Stufen auf unserem Weg der Annäherung zu den letzten Wahrheiten sein».40 Er erkannte in derartigen Erfahrungen, in denen «der aufsteigende Geist neue Gesichtspunkte erschließt»,41 Hinweise auf eine große metaphysische «Versöhnung»: «Es ist, als würden die Gegensätze der Welt, die Widersprüchlichkeiten und Konflikte, die die Ursache unserer ganzen Schwierigkeiten und Sorgen sind, zu einer Einheit verschmelzen.»42 Diese endgültige Einheit sei vermutlich keine Illusion.

Heute klingt Roland Griffiths wie ein Wissenschaftler, der sich hingebungsvoll seiner Forschung widmet – oder vielmehr wieder zu ihr zurückgefunden hat. «Ich habe Ihnen ja geschildert, dass ich mich von meiner Arbeit abgekoppelt fühlte, als ich zu meditieren begann, und überlegte, sie ganz aufzugeben. Ich würde sagen, ich verfolge jetzt einen ganzheitlicheren Ansatz als je zuvor. Ich bin jetzt mehr an den großen Fragen, den existenziellen Wahrheiten und dem Wohlbefinden interessiert, dem Mitgefühl und der Liebe, die aus diesen Praktiken entspringt. All das bringe ich ins Labor mit. Und es fühlt sich großartig an.»

 

Der Gedanke, dass wir uns mystischen Bewusstseinszuständen jetzt mit den Mitteln der Wissenschaft nähern können, beflügelt Roland Griffiths tagtäglich. «Wenn man als wissenschaftliches Phänomen einen Zustand erzeugen kann, bei dem siebzig Prozent der Leute sagen, sie hätten eine der bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens gehabt … das ist für einen Wissenschaftler einfach unglaublich.» Für ihn liegt die Bedeutung des Ergebnisses von 2006 in dem Beweis, «dass wir jetzt prospektive Studien [von mystischen Bewusstseinszuständen] durchführen können, weil wir diese mit hoher Wahrscheinlichkeit hervorrufen können. Damit bekommt die Wissenschaft richtig Aufwind.» Er glaubt, dass die Arbeit mit Psilocybin der wissenschaftlichen Forschung einen ganz neuen Bereich des menschlichen Bewusstseins erschlossen hat. «Ich betrachte mich als ein Kind in einem Süßwarenladen.»

Das Risiko, das Roland Griffiths 1998 bei seiner Karriere einging, als er beschloss, sich der Erforschung von Psychedelika und mystischer Erfahrung zu widmen, hat sich bereits ausgezahlt. Einen Monat vor unserem Frühstück hat Griffiths den Eddy Award vom College on Problems of Drug Dependence erhalten, den vielleicht renommiertesten Lebenswerk-Preis auf diesem Gebiet. Sämtliche Ernennenden führten Griffiths‘ psychedelische Arbeit als einen seiner bedeutendsten Beiträge auf. Das Feld dieser Arbeit hat sich seit der Publikation von 2006 erheblich ausgeweitet; bei meinem letzten Besuch an der Hopkins University im Jahr 2015 arbeiteten im Labor mehr als zwanzig Leute an verschiedenen Studien zu psychedelischen Themen. Seit Spring Grove gab es keine so starke institutionelle Unterstützung für die Erforschung von Psychedelika, und noch nie hat eine Einrichtung vom Ruf der Hopkins University so viele Mittel für die Untersuchung mystischer Bewusstseinszustände eingesetzt.

Das Hopkins-Labor zeigt weiterhin starkes Interesse an der Erforschung von Spiritualität und der «Besserung Gesunder» – so laufen Versuche, bei denen langzeitigen Meditierern und theologischen Fachkräften Psilocybin verabreicht wird –, doch die verändernde Wirkung mystischer Erfahrung hat offenbar auch eine therapeutische Bedeutung, die das Labor untersucht hat. Abgeschlossene Studien legen nahe, dass Psilocybin – oder vielmehr der mystische Bewusstseinszustand, den Psilocybin erzeugt – bei der Behandlung von Suchtkrankheiten (eine Pilotstudie zur Raucherentwöhnung erreichte eine beispiellose Erfolgsquote von achtzig Prozent43) oder der existenziellen Not, die häufig an den Kräften von Menschen mit Todesdiagnose zehrt, nützlich sein kann. Bei unserem letzten Treffen war Griffiths kurz davor, einen Artikel vorzulegen, der von beeindruckenden Ergebnissen bei dem Versuch berichtete, Psilocybin zur Behandlung der Ängste und Depressionen von Krebspatienten einzusetzen; die Studie stellte einen der größten Erfolge fest, den eine psychiatrische Behandlung je aufwies. Die meisten Probanden, die eine mystische Erfahrung hatten, berichteten, dass ihre Angst vor dem Tod stark abgenommen habe oder gänzlich verschwunden sei.

Wieder erheben sich schwierige Fragen zu Bedeutung und Gewicht solcher Erfahrungen, insbesondere derjenigen, welche die Leute davon zu überzeugen scheinen, dass Bewusstsein nicht auf das Gehirn beschränkt ist und unseren Tod irgendwie überleben könnte. Aber auch derartigen Fragen begegnet Griffiths offen und neugierig. «Die Phänomenologie dieser Erfahrungen ist so zutiefst umgestaltend und zutiefst überzeugend, dass ich bereit bin, hier an ein Mysterium zu glauben, das wir nicht verstehen können.»

Griffiths hat von dem strengen Behaviorismus, der einmal seine wissenschaftliche Weltsicht prägte, einen langen Weg zurückgelegt; die Erfahrung anderer Bewusstseinszustände, bei ihm selbst und bei seinen Probanden, hat ihn für Möglichkeiten geöffnet, über die nur wenige Wissenschaftler offen zu sprechen wagen.

«Was passiert also, wenn man stirbt? Ich brauche bloß ein Prozent [Ungewissheit]. Ich wüsste nichts, was interessanter ist als die Frage, was ich beim Sterben womöglich entdecken kann. Das ist das Allerinteressanteste.» Aus diesem Grund hofft er inbrünstig, dass er nicht von einem Bus überfahren wird, sondern genug Zeit hat, die Erfahrung ohne die Ablenkung von Schmerzen «auszukosten». «Der westliche Materialismus sagt, der Hebel wird umgelegt, und das war‘s. Aber es gibt so viele andere Schilderungen. Es könnte ein Anfang sein! Wäre das nicht toll?»

An diesem Punkt drehte Griffiths den Spieß um und fragte mich nach meiner eigenen spirituellen Perspektive, worauf ich völlig unvorbereitet war.

«Wie sicher sind Sie, dass nach dem Tod nichts kommt?», fragte er. Ich zögerte, aber er ließ nicht locker. «Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass jenseits des Todes noch etwas ist? In Prozent.»

«Oh, ich weiß nicht», stammelte ich. «Zwei oder drei Prozent?» Bis heute habe ich keine Ahnung, wo ich diese Schätzung hernahm, doch Griffiths ging darauf ein. «Das ist viel!» Also drehte ich den Spieß wieder um und stellte ihm dieselbe Frage.

«Ich weiß nicht, ob ich das beantworten will», sagte er lachend und warf einen Blick auf mein Aufnahmegerät. «Hängt davon ab, in welcher Funktion ich‘s tue.»

Roland Griffiths hatte mehr als eine Sichtweise! Ich stellte fest, dass ich nur eine hatte, und das machte mich etwas neidisch.

Im Vergleich zu vielen Wissenschaftlern – oder auch spirituellen Menschen – besitzt Roland Griffiths ein großes Maß dessen, was Keats im Hinblick auf Shakespeare als «negative Fähigkeit» bezeichnete, die Fähigkeit, inmitten von Ungewissheiten, Rätseln und Zweifeln zu leben, ohne nach Absolutismen zu greifen, seien es wissenschaftliche oder spirituelle. «Es ergibt keinen größeren Sinn zu sagen, ich bin hundertprozentig von einer materiellen Weltsicht überzeugt, als das Gleiche von einer wörtlichen Fassung der Bibel zu behaupten.»

Bei unserem letzten Treffen, einem Abendessen in einem Bistro in seinem Viertel, versuchte ich Griffiths in ein Gespräch über den scheinbaren Gegensatz zwischen Wissenschaft und Spiritualität zu verwickeln. Ich fragte ihn, ob er mit E. O. Wilson übereinstimme, der geschrieben hat, dass wir uns letztendlich alle entscheiden müssen: für den Pfad der Wissenschaft oder den Pfad der Spiritualität. Doch Griffiths glaubt nicht, dass sich die beiden Erkenntniswege gegenseitig ausschließen, und hat keine große Geduld mit den Absolutisten auf beiden Seiten der vermeintlichen Trennlinie. Er hegt eher die Hoffnung, dass sich die beiden Wege gegenseitig anregen, ihre Fehler korrigieren und uns in diesem Austausch helfen, die großen Fragen, vor denen wir stehen, zu stellen und dann vielleicht zu beantworten. Ich las ihm einen Brief des Religionswissenschaftlers Huston Smith vor, der 1962 an Walter Pahnkes Karfreitagsexperiment teilgenommen hatte. Er hatte ihn kurz nach der Publikation von Griffiths‘ wegweisender Schrift von 2006 an Bob Jesse geschrieben; Jesse hatte ihn mir anvertraut.

Das Johns-Hopkins-Experiment zeigt – beweist –, dass Psilocybin unter den kontrollierten Bedingungen eines Experiments echte mystische Erfahrungen auslösen kann. Es nutzt die Wissenschaft, der die Moderne vertraut, um den Säkularismus der Moderne zu untergraben. Damit schürt es die Hoffnung auf nichts Geringeres als eine Resakralisierung von Natur und Gesellschaft, auf ein spirituelles Wiedererwachen, das unsere beste Verteidigung nicht nur gegen Seelenlosigkeit, sondern auch gegen religiösen Fanatismus ist. Und das angesichts der unwissenschaftlichen Vorurteile in unseren gegenwärtigen Drogengesetzen.

Während ich Smiths Brief laut vorlas, erblühte ein Lächeln in Griffiths‘ Gesicht; er war sichtlich gerührt, konnte aber bloß sagen: «Das ist schön.»

Zweites Kapitel

Im Bann der Pilze

Am Ende meines ersten Treffens mit Roland Griffiths, in seinem Büro an der Johns Hopkins University, wo er mich in ein Gespräch über seine eigene mystische Erfahrung, meine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Lebens nach dem Tod und das Potenzial von Psilocybin, das Leben der Menschen zu verändern, verwickelte, erhob sich der Wissenschaftler von seinem Schreibtisch, richtete seinen schlaksigen Körper auf und griff in die Hosentasche, um eine kleine Münze hervorzuziehen.

«Ein kleines Geschenk für Sie», erklärte er. «Aber zuerst müssen Sie eine Frage beantworten.»

«Sind Sie sich in diesem Moment», begann Griffiths und blickte mir fest in die Augen, «bewusst, dass Sie sich bewusst sind?» Verwirrt und verlegen dachte ich eine Zeit lang nach und bejahte dann. Das schien die richtige Antwort zu sein, denn Griffiths gab mir die Münze. Auf der einen Seite waren vier große, schmale, gebogene Psilocybe cubensis abgebildet, eine der weitverbreiteten Arten des Magic Mushrooms. Und auf der Rückseite stand ein Zitat von William Blake, das, wie mir später auffiel, das Vorgehen des Wissenschaftlers mit der des Mystikers treffend in Einklang brachte: «Die unwiderlegbare Methode des Wissens [ist] das Experiment.»1

Roland Griffiths war im vorhergehenden Sommer anscheinend erstmals zum Burning-Man-Festival gefahren (ob ich schon einmal davon gehört hätte?), und als er erfuhr, dass in der für dessen Dauer errichteten Stadt kein Geld ausgetauscht wird, sondern nur Geschenke, ließ er die Pilz-Münze prägen, um etwas Geeignetes zum Verschenken oder Eintauschen zu haben. Inzwischen gibt er die Münzen den Versuchspersonen im Forschungsprogramm als Abschiedsgeschenk. Griffiths hatte mich ein weiteres Mal überrascht. Eigentlich zweimal. Erstens, weil der Wissenschaftler an dem Kunst-und-Psychedelik-Festival in der Wüste Nevadas teilgenommen hatte. Und zweitens, weil er sich für ein Geschenk entschieden hatte, das den Psilocybinpilz würdigte.

Einerseits ergibt die Pilz-Münze absoluten Sinn: Das Molekül, mit dem Griffiths und seine Kollegen in den letzten fünfzehn Jahren gearbeitet haben, stammt schließlich von einem Pilz. Der Pilz und seine psychoaktive Substanz waren der Wissenschaft bis zu den 1950er Jahren unbekannt, als der Psilocybinpilz im Süden Mexikos entdeckt wurde, wo die Mazatec-Indianer «das Fleisch der Götter» schon vor der spanischen Eroberung im Geheimen zum Zweck der Heilung und Prophezeiung verwendet hatten. Doch abgesehen von dem dekorativen Keramikpilz auf dem Regal im Sitzungsraum erinnert in dem Labor so gut wie nichts an «Magic Mushrooms». Niemand, mit dem ich an der Hopkins University gesprochen habe, hat je die erstaunliche Tatsache erwähnt, dass die lebensverändernden Erfahrungen, von denen ihre Probanden berichteten, der Wirkung einer chemischen Substanz zu verdanken waren, die sich in der Natur fand – in einem Pilz.

Im Rahmen der Laborarbeit verliert man dieses Erstaunen leicht aus dem Blick. Alle Wissenschaftler, die heute Psychedelik-Forschung betreiben, arbeiten ausschließlich mit einer synthetischen Variante des Psilocybin-Moleküls. (Die psychoaktive Substanz des Pilzes wurde erstmals Ende der 1950er Jahre von Albert Hofmann, dem Schweizer Chemiker, der auch LSD entdeckte, identifiziert, synthetisiert und benannt.) Demzufolge nehmen die Versuchspersonen eine kleine weiße, im Labor hergestellte Tablette zu sich statt eine Handvoll knubbeliger, bitter schmeckender Pilze. Ihre Reisen finden in einer Landschaft aus Behandlungsräumen statt, die, bildlich gesprochen, von Männern und Frauen in weißen Kitteln bevölkert sind. Vermutlich ist das der übliche Verfremdungseffekt moderner Wissenschaft bei der Arbeit, doch hier wird er noch durch den spezifischen Wunsch verstärkt, Psilocybin auf Abstand zu seinen verschlungenen Wurzeln (oder sollte ich sagen: Myzelien) in der Gegenkultur der 1960er Jahre, dem indianischen Schamanismus und vielleicht der Natur selbst zu bringen. Denn dort – in der Natur – stoßen wir auf das Rätsel eines kleinen braunen Pilzes, der die Fähigkeit besitzt, das Bewusstsein der Tiere zu verändern, die ihn verzehren. Auch LSD, das vergisst man leicht, wurde aus einem Pilz gewonnen: Claviceps purpurea oder Mutterkorn. Irgendwie, aus irgendeinem Grund, erzeugen diese bemerkenswerten Pilze nicht nur Sporen, sondern auch Bedeutungen im menschlichen Geist.

Im Lauf der Zeit, die ich im Hopkins-Labor verbrachte oder in der ich Menschen zu ihren Psilocybin-Reisen interviewte, wurde ich immer neugieriger darauf, dieses andere Territorium zu erkunden – d. h. die Naturgeschichte dieser Pilze und ihrer seltsamen Fähigkeiten. Wo und wie wuchsen diese Pilze? Warum entwickelten sie die Fähigkeit, eine chemische Substanz zu erzeugen, die mit dem Neurotransmitter Serotonin so eng verwandt ist, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im Gehirn von Säugetieren zeitweilig das Kommando übernehmen kann? War es eine Chemikalie, die der Verteidigung diente und die Pilzesser vergiften sollte? Das scheint die einfachste Erklärung zu sein, allerdings wird sie von der Tatsache untergraben, dass der Pilz das Halluzinogen fast ausschließlich in seinem «Fruchtkörper» erzeugt – jenem Teil des Organismus, den er am liebsten verspeisen lässt. Hatte es demnach vielleicht einen Nutzen für den Pilz, das Denken der Tiere zu verändern, die ihn verzehren?*

 

Die Existenz eines Pilzes, der beim Menschen nicht nur das Bewusstsein verändern, sondern auch eine tiefe mystische Erfahrung auslösen konnte, warf auch philosophischere Fragen auf. Man kann diese Tatsache auf zwei völlig verschiedene Weisen interpretieren. Bei der ersten Interpretation spricht die geistesverändernde Fähigkeit von Psilocybin für ein dezidiert materialistisches Verständnis von Bewusstsein und Spiritualität, weil die im Denken beobachteten Veränderungen direkt auf eine Chemikalie zurückgeführt werden können – Psilocybin. Was ist stofflicher als eine Chemikalie? Aus der Wirkung von Psychedelika könnte man vernünftigerweise schließen, dass die Götter nichts anderes sind als chemisch hervorgerufene Hirngespinste der menschlichen Fantasie.

Doch überraschenderweise sehen die meisten Menschen, die entsprechende Erfahrungen hatten, die Sache völlig anders. Auch noch die Weltlichsten unter ihnen sind nach ihren Reisen davon überzeugt, dass etwas existiert, das über ein materielles Verständnis der Realität hinausgeht: eine Art von «Jenseits». Sie leugnen nicht die natürliche Grundlage dieser Offenbarung; sie interpretieren sie lediglich anders.

Wenn die Erfahrung der Transzendenz von Substanzen herbeigeführt wird, die gleichermaßen durch unsere Gehirne und durch Pflanzen und Pilze fließen, dann ist die Natur vielleicht nicht so sprachlos, wie uns die Wissenschaft erzählt hat, und dort draußen existiert ein wie auch immer definierter «Geist» – anders gesagt, er wohnt der Natur inne, genau wie es unzählige vorneuzeitliche Kulturen glaubten. Was für mein (spirituell verarmtes) Denken einen guten Grund für die Entzauberung der Welt darstellte, wird im Denken der psychedelisch Erfahreneren zum unumstößlichen Beweis ihrer grundlegenden Verzauberung. Wahrhaft Fleisch der Götter.

Das war ein seltsames Paradox. Dasselbe Phänomen, das auf eine materialistische Erklärung für spirituellen und religiösen Glauben hindeutete, verschaffte den Menschen eine so beeindruckende Erfahrung, dass es sie von der Existenz einer ideellen Realität – der eigentlichen Grundlage religiösen Glaubens – überzeugte.

Ich hoffte, dass die Bekanntschaft mit den LBMs (das Kürzel der Pilzkundler für «little brown mushrooms» – «kleine braune Pilze»), die diesem Paradox zugrunde liegen, die Sache klären oder vielleicht irgendwie auflösen könnte. Ich war bereits ein ganz passabler Pilzsammler und konnte eine Handvoll essbarer Waldpilze (Pfifferlinge, Morcheln, Totentrompeten und Steinpilze) so sicher identifizieren, dass ich alles, was ich sammelte, bedenkenlos essen konnte. Aber all meine Lehrer hatten mir gesagt, die Welt der LBMs sei viel komplizierter und gefährlicher; viele, wenn nicht die meisten Arten, die tödlich sein können, sind LBMs. Doch vielleicht konnte ich mit sachkundiger Beratung meinem Repertoire ein, zwei Psilocybes hinzufügen und dabei das Rätsel ihrer Existenz und ihrer unheimlichen Kräfte zu lösen beginnen.

Es stand stets außer Frage, wer mir auf dieser Suche am besten helfen konnte, vorausgesetzt, er war dazu bereit. Paul Stamets, ein Mykologe der Washington State University, der in Form des 1996 erschienenen zuverlässigen Bestimmungsbuches Psilocybinpilze der Welt buchstäblich das Standardwerk zur Gattung Psilocybe geschrieben hatte. Stamets hat vier neue Arten von Psilocybe «bekannt gemacht» – d. h. identifiziert und in einer von Fachkollegen begutachteten Zeitschrift beschrieben –, darunter auch azurescens, benannt nach seinem Sohn Azureus* und die am stärksten wirkende bisher bekannte Art. Obwohl Stamets einer der angesehensten Mykologen des Landes ist, arbeitet er vollständig außerhalb der Hochschule, hat keinen Universitätsabschluss, finanziert seine Forschung größtenteils selbst* und hat Ansichten zur Rolle von Pilzen in der Natur, die nicht zum wissenschaftlichen Mainstream gehören und, wie er bereitwillig erzählt, Einsichten zu verdanken sind, die ihm durch intensives Studium und regelmäßige Einnahme der Pilze von ihnen selbst gewährt wurden.

Ich kannte Stamets schon seit Jahren, allerdings nicht sehr gut und zugegebenermaßen immer aus skeptischer Distanz. Seine überspannten Behauptungen bezüglich der Kräfte von Pilzen und die ein Stirnrunzeln hervorrufende Prahlerei über seine Zusammenarbeit mit Institutionen wie DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency des Pentagon) und dem Nationalen Gesundheitsinstitut (NIH) lassen bei einem Journalisten schnell die Alarmglocken schrillen, ob zu Recht oder – wie in seinem Fall öfters – zu Unrecht.

Im Lauf der Zeit haben wir mehrfach an denselben Tagungen teilgenommen, wo ich Gelegenheit hatte, seine Vorträge zu hören, die aus einer faszinierenden (oft brillanten) Mischung exakter Wissenschaft und visionärer Spekulationen bestehen, wobei die Grenze zwischen beidem oft nicht zu erkennen ist. Sein Vortrag auf der TEDKonferenz von 2008, der charakteristisch ist, wurde im Internet mehr als vier Millionen Mal aufgerufen.

Stamets, 1955 in Salem, Ohio, geboren, ist groß und stark behaart, hat einen Bart und etwas Bärenhaftes; es überraschte mich nicht zu hören, dass er früher als Holzfäller im Nordwesten der Vereinigten Staaten gearbeitet hatte. Auf der Bühne trägt er gewöhnlich eine Kopfbedeckung, die wie ein alpiner Filzhut aussieht, in Wirklichkeit aber, wie er erklärt, in Transsilvanien aus Amadou, der inneren Schicht des Zunderschwamms (Fomes fomentarius), angefertigt wurde, einem Porling, der auf abgestorbenen oder absterbenden Bäumen mehrerer Arten wächst. Der Zunderschwamm ist entflammbar und wurde in alten Zeiten zum Entzünden und Transportieren von Feuer benutzt. Ötzi, der fünftausend Jahre alte «Mann aus dem Eis», 1991 mumifiziert in einem Alpengletscher entdeckt, trug einen Beutel mit einem Stück Zunderschwamm bei sich. Wegen seiner antimikrobiellen Eigenschaften wurde Fomes fomentarius auch zum Verbinden von Wunden und zum Konservieren von Lebensmitteln verwendet. Stamets steckt so tief in der Welt der Pilze, dass häufig einer auf seinem Kopf thront.

Pilze sind die am schlechtesten verstandene und meistunterschätzte Lebensform auf der Erde. Obschon (als Recycler organischer Substanzen und Bodenbilder) unentbehrlich für die Gesundheit unseres Planeten, sind sie nicht nur die Opfer unserer Geringschätzung, sondern auch einer fest verwurzelten Feindschaft, einer Mykophobie, die Stamets als eine Form von «biologischem Rassismus» betrachtet. Abgesehen davon, dass sie den Ruf haben, uns zu vergiften, ist das insofern überraschend, als wir dem Pilzreich genetisch gesehen näherstehen als dem Pflanzenreich. Wie wir leben auch sie von der Energie, die Pflanzen von der Sonne beziehen. Stamets hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, diesen Fehler wiedergutzumachen, indem er zu ihren Gunsten die Stimme erhebt und das Potenzial von Pilzen zur Lösung vieler Probleme auf der Welt aufzeigt. Tatsächlich lautet der Titel seines bekanntesten Vortrags und der Untertitel seines 2005 erschienenen Buchs Mycelium Running «Wie Pilze bei der Rettung der Welt helfen können». Und dennoch klingt diese Behauptung am Ende seines Vortrags nicht mehr übertrieben.