Verändere dein Bewusstsein

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Griffiths‘ Arbeit untermauerte einen wichtigen Unterschied zwischen den sogenannten klassischen Psychedelika – Psilocybin, LSD, DMT und Meskalin – und den geläufigeren Rauschgiften mit ihrem Suchtpotenzial. Das Establishment der amerikanischen Drogenforschung hatte in einer der führenden Zeitschriften signalisiert, dass man diese psychedelischen Drogen völlig anders behandeln sollte, und ein Kommentator schrieb, «dass diese Substanzen bei sachgemäßem Gebrauch bemerkenswerte, eventuell nützliche Wirkungen haben können, die weitere Untersuchungen rechtfertigen».18

Die Entstehungsgeschichte von Griffiths‘ Arbeit wirft ein interessantes Licht auf die angespannte Beziehung zwischen der Wissenschaft und diesem anderen Bereich menschlicher Erkundung, den die Wissenschaft stets geringschätzte und mit dem sie in der Regel nichts zu tun haben will: Spiritualität. Denn als Griffiths diese erste moderne Studie über Psilocybin verfasste, beschloss er, sich nicht auf die potenzielle therapeutische Anwendung der Droge zu konzentrieren – wie es andere Forscher getan hatten, um andere verbotene Substanzen wie MDMA zu rehabilitieren –, sondern auf die spirituellen Auswirkungen der Erfahrung bei sogenannten gesunden Normalen. Was sollte das bringen?

Die Psychiaterin und Drogenexpertin Harriet de Wit von der University of Chicago versuchte in einem redaktionellen Artikel zu Griffiths‘ Arbeit diese Spannungen anzusprechen und wies darauf hin, dass die Suche nach Erfahrungen, die «einen von den Fesseln gewöhnlicher Wahrnehmung und gewöhnlichen Denkens befreien, um universelle Wahrheiten und Erleuchtung zu finden»,19 eine konstante Eigenschaft der Menschheit sei, «in der etablierten Wissenschaft (jedoch) nur wenig Glaubwürdigkeit genießt». Es sei an der Zeit, dass die Wissenschaft «diese außergewöhnlichen subjektiven Erfahrungen anerkennt (…), auch wenn dort manchmal von tieferen Wirklichkeiten die Rede ist, die die Grenzen der Wissenschaft überschreiten».

Bei Roland Griffiths kann man sich nur schwer vorstellen, dass er etwas mit Psychedelika zu tun hat, was bestimmt dazu beigetragen hat, der Psychedelik-Forschung wieder wissenschaftliche Seriosität zu verleihen. Griffiths, in den Siebzigern, eins achtzig und hager, hält sich kerzengerade; das einzig Undisziplinierte an ihm ist die dichte weiße Haarmähne, gegen die sein Kamm anscheinend nichts ausrichten kann. Sofern er nicht über die letzten Fragen spricht, die seine Augen aufleuchten lassen, hat er etwas Asketisches, ist nüchtern, ernst und methodisch.

Der 1944 geborene Griffiths wuchs in El Cerrito, Kalifornien, in der Bay Area auf, machte am Occidental College seinen Bachelor in Psychologie und studierte anschließend an der University of Minnesota Psychopharmakologie. In Minnesota geriet er Ende der 1960er Jahre unter den Einfluss B. F. Skinners, des radikalen Behavioristen, dem es gelang, das Hauptaugenmerk der Psychologie von der Erforschung innerer Zustände und subjektiver Erfahrung auf die Untersuchung äußeren Verhaltens und dessen Konditionierung zu verlagern. Der Behaviorismus ist nicht daran interessiert, die Tiefen der menschlichen Psyche auszuloten, doch bei der Untersuchung von Drogenmissbrauch und Sucht, die Griffiths‘ Fachgebiet wurde, erwies sich diese Herangehensweise als äußerst nützlich. Psychedelische Drogen spielten weder in seiner formellen noch informellen Ausbildung eine Rolle. Als Griffiths sein Aufbaustudium begann, war Timothy Learys berüchtigtes Psychedelik-Forschungsprojekt in Harvard bereits skandalös gescheitert, und «meine Mentoren hatten klargestellt, dass diese Substanzen keine Zukunft hatten».

1972 bekam Griffiths direkt nach Abschluss seines Aufbaustudiums eine Stelle an der Johns Hopkins University, wo er seither arbeitet und sich als Forscher profilierte, der die Suchtmechanismen bei verschiedenen legalen und illegalen Drogen untersucht, darunter die Opiate, die sogenannten sedativ-hypnotischen Substanzen (wie Valium) sowie Nikotin, Alkohol und Koffein. Mit Förderung des National Institute on Drug Abuse wurde Griffiths zum Wegbereiter für Experimente, in denen ein Tier, oft ein Pavian oder eine Ratte, die Möglichkeit erhält, sich mithilfe eines Hebels intravenös verschiedene Drogen zu verabreichen, ein wirksames Instrument für Forscher, die sich mit Verstärkung, Sucht, Vorlieben (Mittagessen oder lieber Kokain?) und Entzug befassen. Die fünfundfünfzig Publikationen, in denen er die Suchteigenschaften von Koffein erforschte, haben dazu geführt, dass wir Kaffee eher als Droge betrachten statt als Nahrungsmittel und in der jüngsten Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders oder DSM 5 auch das «Koffeinentzugssyndrom» aufgeführt wird. Als Griffiths 1994 fünfzig wurde, war er als Wissenschaftler auf dem Höhepunkt seines Schaffens und zählte zu den Besten seines Fachs.

Doch in jenem Jahr kam es in seiner Karriere zu einer unerwarteten Wende, die durch zwei zufällige Ereignisse ausgelöst wurde. Das erste war, dass ihn eine Freundin mit Siddha Yoga bekannt machte. Trotz seiner behavioristischen Ausrichtung als Wissenschaftler hatte sich Griffiths stets für ein Gebiet interessiert, das von Philosophen Phänomenologie genannt wird – die subjektive Erfahrung von Bewusstsein. Im Studium hatte er sich an Meditation versucht, musste aber feststellen, «dass ich nicht stillsitzen konnte, ohne schier verrückt zu werden. Drei Minuten kamen mir wie drei Stunden vor.» Doch als er es 1994 noch einmal probierte, «öffnete sich für mich eine Tür». Er begann regelmäßig zu meditieren, nahm an Retreats teil und arbeitete sich durch eine Vielfalt östlicher spiritueller Bräuche. Dabei wurde er «immer tiefer in dieses Mysterium» hineingezogen.

Und irgendwann erlebte Griffiths etwas, das er zurückhaltend als «ein seltsames Erwachen» beschreibt – eine mystische Erfahrung. Ich war überrascht, als Griffiths das bei unserem ersten Treffen in seinem Büro erwähnte, und hakte nicht nach, aber auch als ich ihn ein bisschen besser kennengelernt hatte, sträubte er sich zu erzählen, was genau passiert war, und da ich selbst nie so eine Erfahrung gemacht hatte, fiel es mir schwer, den Gedanken nachzuvollziehen. Er verriet lediglich, dass die Erfahrung, die er während der Meditation hatte, ihn mit etwas bekannt machte, «das so weit von einer materiellen Weltanschauung entfernt war, dass ich mit meinen Kollegen nicht darüber sprechen kann, weil es Metaphern oder Vermutungen einschließt, bei denen ich als Wissenschaftler ein ungutes Gefühl habe».

Mit der Zeit fand er das, was er bei seinen Meditationen über «das Mysterium des Bewusstseins und Seins» lernte, fesselnder als die Wissenschaft. Er fühlte sich irgendwie entfremdet: «Keiner der Leute, die mir nahestanden, hatte Lust, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, die in die allgemeine Kategorie des Spirituellen fielen, und religiöse Menschen verstand ich einfach nicht. Da habe ich einen Lehrstuhl inne, publiziere wie ein Verrückter, fahre auf wichtige Tagungen und betrachte mich als Heuchler.» Er begann das Interesse an der Forschung zu verlieren, die sein gesamtes Erwachsenenleben bestimmt hatte. «Ich konnte eine neue sedativ-hypnotische Substanz untersuchen, etwas Neues über Rezeptoren im Gehirn lernen, in einer weiteren Kommission der FDA [Arzneimittelzulassungsbehörde] sitzen, an einer weiteren Tagung teilnehmen, aber egal. Mein Gefühl und mein Verstand wollten lieber wissen, wohin dieser andere Pfad führen könnte. Meine Drogenforschung kam mir stumpfsinnig vor. Auf der Arbeit handelte ich mechanisch und freute mich drauf, abends nach Hause zu fahren und zu meditieren.» Die einzige Motivation, weiterhin Förderanträge zu stellen, war der Gedanke, es im Dienste seiner Studenten und Postdoktoranden zu tun.

Im Fall seiner Koffein-Forschung hatte Griffiths seine Neugier bezüglich eines Problems aus seinem eigenen Erfahrungsbereich – warum fühlte er sich gezwungen, tagtäglich Kaffee zu trinken? – in einen produktiven Forschungsansatz umwandeln können. Doch er sah keine Möglichkeit, mit seiner immer größeren Neugier bezüglich der Dimensionen des Bewusstseins, die ihm die Meditation eröffnet hatte, ebenso zu verfahren. «Mir kam nicht in den Sinn, das Ganze wissenschaftlich zu untersuchen.» Hilflos und gelangweilt überlegte Griffiths, die Wissenschaft an den Nagel zu hängen und nach Indien in einen Aschram zu gehen.

Etwa zu dieser Zeit rief ihn Bob Schuster an, ein alter Freund und Kollege, der vor Kurzem als Leiter des National Institute on Drug Abuse ausgeschieden war, und schlug ihm vor, einmal mit einem jungen Mann namens Bob Jesse zu reden, den er gerade in Esalen kennengelernt hatte. Jesse hatte im legendären Big Sur Retreat Center ein kleines Treffen von Forschern, Therapeuten und Religionswissenschaftlern organisiert, um über das spirituelle und therapeutische Potenzial psychedelischer Drogen und die Frage zu diskutieren, wie man sie rehabilitieren könne. Jesse selbst war weder Arzt noch Wissenschaftler; er war Computertechniker, Vizepräsident für Geschäftsentwicklung bei Oracle, und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die wissenschaftliche Untersuchung von Psychedelika neu zu beleben – allerdings nicht so sehr als Instrument der Medizin, sondern der spirituellen Entwicklung.

Griffiths hatte Schuster von seinen spirituellen Übungen erzählt und ihm gebeichtet, dass er mit der konventionellen Drogenforschung immer unzufriedener sei.

«Du solltest mit diesem Mann mal reden», sagte Schuster. «Sie haben interessante Ideen zur Arbeit mit Entheogenen, vielleicht gibt es zwischen euch ja Gemeinsamkeiten.»

Wenn die Geschichte der zweiten Welle der Psychedelik-Forschung dereinst geschrieben ist, wird man Bob Jesse als einen von zwei wissenschaftlichen Außenseitern – ja sogar Laien und brillanten Exzentrikern – ansehen, die unermüdlich, oft hinter den Kulissen, daran arbeiteten, alles auf den Weg zu bringen. Beide fanden ihre Berufung nach umwälzenden psychedelischen Erfahrungen, die sie davon überzeugten, dass diese Substanzen das Potenzial hatten, nicht nur Einzelne, sondern die Menschheit als Ganzes zu heilen, und der beste Weg zur Rehabilitierung der Substanzen glaubwürdige wissenschaftliche Forschung war. In vielen Fällen dachten sich diese unausgebildeten Forscher zuerst die Experimente aus und suchten (und finanzierten) danach die Wissenschaftler, die sie durchführen sollten. Oft finden sich ihre Namen auf den Publikationen, gewöhnlich an letzter Stelle.

 

Rick Doblin ist schon länger dabei und auch der Bekanntere von den beiden. Doblin gründete in den dunklen Tagen von 1986 – dem Jahr nach dem Verbot von MDMA, einer Zeit, in der die meisten klügeren Köpfe überzeugt waren, dass die Wiederbelebung der Psychedelik-Forschung eine hoffnungslose Angelegenheit sei – die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS).

Der 1953 geborene Doblin ist ein zotteliger, äußerst hartnäckiger Typ; seit er 1987 am New College in Florida seinen Abschluss machte, betreibt er Lobbyarbeit, um die Regierung umzustimmen. Nachdem er als Student mit LSD und später mit MDMA experimentierte, kam Doblin zu dem Schluss, dass es seine Berufung sei, Psychedelik-Therapeut zu werden. Doch 1985 rückte dieser Traum mit dem Verbot von MDMA in unerreichbare Ferne, solange sich die Bundesgesetze und -verordnungen nicht änderten, deshalb beschloss er, an der Kennedy School in Harvard erst mal einen Doktor in Politikwissenschaften zu machen. Dort erlernte er die Feinheiten des staatlichen Freigabeverfahrens für Arzneimittel, und in seiner Dissertation kartierte er den mühseligen Weg zur amtlichen Zulassung, dem Psilocybin und MDMA inzwischen folgen.

Doblin ist entwaffnend, vielleicht auch hoffnungslos freimütig und froh, offen mit einem Reporter über seine prägenden psychedelischen Erfahrungen und seine politische Taktik und Strategie sprechen zu können. Genau wie Timothy Leary ist er ein unbekümmerter Kämpfer, der immer lächelt und eine Begeisterung für seine Arbeit an den Tag legt, die man von jemandem, der sein ganzes Erwachsenenleben gegen dieselbe Mauer angerannt ist, nicht erwarten würde. Doblin arbeitet in einem ziemlich Dickens-mäßigen Büro im Dachgeschoss seines großen, im Kolonialstil gebauten Hauses in Belmont, Massachusetts, an einem Schreibtisch, auf dem sich wacklige Berge aus Manuskripten, Zeitschriftenartikeln, Fotos und Memorabilien stapeln, die mehr als vierzig Jahre weit zurückreichen. Einige der Memorabilien erinnern an den Anfang seiner Karriere, als Doblin zu dem Schluss kam, der Streit der Religionen ließe sich am besten beenden, indem er den spirituellen Führern auf der Welt Ecstasy-Tabletten schickte, die dafür berühmt waren, Barrieren zwischen den Menschen niederzureißen und ihr Einfühlungsvermögen zu wecken. Etwa zur selben Zeit plante er, tausend Rationen MDMA an sowjetische Militärangehörige zu schicken, die an den Rüstungskontrollverhandlungen mit Präsident Reagan beteiligt waren.

Für Doblin ist die staatliche Zulassung von Psychedelika für medizinische Zwecke – die seiner Meinung nach für MDMA und Psilocybin bald kommen dürfte – nur ein weiterer Schritt zu einem ehrgeizigeren und umstritteneren Ziel: die Einbindung von Psychedelika in die amerikanische Gesellschaft und Kultur, nicht nur in die Medizin. Das ist die gleiche Erfolgsstrategie, die die Kampagne zur Entkriminalisierung von Marihuana verfolgte, in der die Betonung des medizinischen Nutzens von Cannabis das Image der Droge verbesserte und zu einer größeren öffentlichen Akzeptanz führte.

Wenig überraschend, dass solche Äußerungen vorsichtigeren Leuten in der Community (darunter auch Bob Jesse) zu schaffen machen, aber Rick Doblin ist niemand, der sich mit seiner Agenda zurückhält oder auch nur daran denkt, ein Interview vertraulich zu halten. Das verschafft ihm die Aufmerksamkeit der Presse; wie hilfreich es für die Sache ist, darüber lässt sich streiten. Doch es steht außer Frage, dass es Doblin, besonders in den letzten Jahren, gelang, die Genehmigung und Finanzierung wichtiger Forschung zu erreichen, speziell im Fall von MDMA, auf das MAPS lange das Hauptaugenmerk legte. MAPS hat mehrere klinische Studien gesponsert, die den Nutzen von MDMA bei der Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) nachgewiesen haben. (Doblin definiert den Begriff «Psychedelika» so großzügig, dass auch MDMA und sogar Cannabis darunter fallen, obwohl ihre Wirkweise im Gehirn sich von der klassischer Psychedelika stark unterscheidet.) Doch abgesehen davon, dass Psychedelika Patienten mit PTBS und anderen Indikationen helfen – MAPS finanziert eine klinische Studie an der UCLA, bei der autistische Erwachsene mit MDMA behandelt werden –, glaubt Doblin inbrünstig daran, dass Psychedelika die Menschheit zum Guten verändern können, indem sie eine spirituelle Dimension des Bewusstseins offenbaren, die uns, ungeachtet unseres religiösen Glaubens oder Unglaubens, allen gemeinsam ist. «Mystik», sagt er gern, «ist ein Gegengift für Fundamentalismus.»

Im Vergleich zu Rick Doblin ist Bob Jesse ein Mönch. Er ist inzwischen Mitte fünfzig und hat nichts Zotteliges oder Leichtfertiges an sich. Präzise, pressescheu und seine Worte mit der Pinzette auswählend, zieht er es vor, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten – nach Möglichkeit in der Einzimmerhütte, in der er ganz allein in den zerklüfteten Hügeln nördlich von San Francisco wohnt, von allem abgekoppelt außer einer schnellen Internetverbindung.

«Bob Jesse hält die Fäden in der Hand», sagte mir Katherine Mac-Lean, eine Psychologin, die von 2009 bis 2013 in Roland Griffiths‘ Labor arbeitete. «Er ist der Visionär, der hinter den Kulissen agiert.»

Jesses minutiöser Wegbeschreibung folgend, fuhr ich von der Bay Area nordwärts und gelangte irgendwann in einem County, dessen Namen ich auf seinen Wunsch hin nicht nennen werde, ans Ende einer schmalen unbefestigten Straße. Ich parkte am Ausgangspunkt eines Wanderwegs, ging an den Schildern mit der Aufschrift «Zutritt verboten» vorbei und folgte einem bergauf führenden Pfad, der mich zu seinem malerischen Gipfellager führte. Ich hatte das Gefühl, einen Zauberer zu besuchen. Die ordentliche kleine Hütte ist für zwei Personen sehr eng, weshalb Jesse draußen zwischen Tannen und Felsblöcken bequeme Sofas, Stühle und Tische aufgestellt hat. Er hat auch eine Außenküche und, auf einer Felsbank, die einen spektakulären Blick auf die Berge bietet, eine Dusche gebaut, die einem das Gefühl vermitteln, sich in einem nach außen gestülpten Haus zu befinden.

Wir verbrachten den größten Teil eines Frühlingstages in seinem Freiluft-Wohnzimmer, tranken Kräutertee und sprachen über seine deutlich stillere Kampagne zur Rehabilitierung von Psychedelika – ein Gesamtkonzept, in dem Roland Griffiths eine wichtige Rolle spielt. «Ich bin ziemlich kamerascheu», begann er, «also bitte keine Fotos oder sonstigen Aufzeichnungen.»

Jesse ist schlank und drahtig, hat einen nahezu quadratischen Kopf mit kurz geschnittenem grauem Haar und trägt eine rechteckige randlose Brille, die auf unaufdringliche Weise modisch wirkt. Er lächelt nur selten und hat etwas von dem steifen Auftreten, das ich mit Ingenieuren verbinde, doch mitunter zeigt er überraschende Gefühlsaufwallungen, die er sofort erläutert: «Sie dürften bemerkt haben, dass mir beim Nachdenken über dieses Thema die Augen tränten. Lassen Sie mich erklären, warum …» Er wählt nicht nur seine eigenen Worte sehr sorgfältig, sondern erwartet dies auch von seinem Gesprächspartner und unterbrach mich beispielsweise mitten im Satz, als ich gedankenlos den Begriff «Freizeitkonsum» benutzte. «Vielleicht sollten wir diesen Begriff noch mal prüfen. Normalerweise wird er benutzt, um eine Erfahrung zu trivialisieren. Aber warum? In seiner buchstäblichen Bedeutung meint das Wort ‹Freizeit› etwas ganz und gar nicht Triviales. Dazu ließe sich noch vieles sagen, aber wir sollten dieses Thema ein andermal vertiefen. Fahren Sie bitte fort.» Meine Notizen zeigen, dass Jesse unser erstes Gespräch ein halbes Dutzend Mal unterbrach.

Jesse wuchs in der Nähe von Baltimore auf und besuchte die Johns Hopkins University, wo er Informatik und Elektrotechnik studierte. Ab Mitte zwanzig arbeitete er mehrere Jahre für Bell Labs und pendelte allwöchentlich von Baltimore nach New Jersey. In dieser Zeit bekannte er sich zu seiner Homosexualität und überzeugte das Management, die erste Schwulen-und-Lesben-Gruppe der Firma anzuerkennen. (Damals beschäftigte AT & T, der Mutterkonzern, über 300 000 Menschen.) Später überredete er das AT-&-T-Management, in der Gay-Pride-Woche eine Regenbogenfahne über der Zentrale flattern und eine Delegation in der Parade mitmarschieren zu lassen. Dieser Erfolg stellte Bob Jesses politische Bildung dar und zeigte ihm, wie nützlich es war, hinter den Kulissen zu agieren, ohne großen Lärm zu machen oder Forderungen zu stellen.

1990 zog Jesse in die Bay Area und wechselte zu Oracle, wo er der Angestellte Nr. 8766 wurde – damit gehörte er nicht zu den Ersten, war aber früh genug dran, um ein Aktienpaket des Konzerns zu bekommen. Es dauerte nicht lange, bis Oracle ein eigenes Aufgebot zur Gay Pride Parade in San Francisco schickte, und nach Jesses sanftem Drängen gegenüber der Geschäftsleitung wurde Oracle zu einem der ersten Fortune-500-Unternehmen, das den gleichgeschlechtlichen Partnern ihrer Angestellten Vorsorgeleistungen bot.

Jesses Neugier für Psychedelika wurde bei der Drogenaufklärung im naturwissenschaftlichen Unterricht an seiner Highschool geweckt. Diese spezielle Wirkstoffklasse mache weder körperlich noch psychisch abhängig, wurde ihm dort (korrekt) gesagt; sein Lehrer schilderte die Wirkung der Drogen, zum Beispiel Veränderungen in Bewusstsein und visueller Wahrnehmung, was Jesse höchst faszinierend fand. «Ich spürte, dass mehr dahintersteckte, als man uns erzählte», erinnerte er sich. «Deshalb behielt ich die Sache im Kopf.» Doch erst viel später war er bereit, selbst zu erkunden, was Psychedelika bewirkten. Warum? Er antwortete in der dritten Person: «Ein nicht geouteter schwuler Jugendlicher musste Angst vor den möglichen Folgen haben, sobald er aus der Deckung kam.»

Als er mit Mitte zwanzig bei den Bell Labs arbeitete, schloss Jesse sich einer Gruppe von Freunden in Baltimore an, die beschlossen, sehr vorsichtig mit Psychedelika zu experimentieren. Irgendwer blieb immer «in Bodennähe», für den Fall, dass jemand Hilfe brauchte oder es klingelte, und die Dosis wurde schrittweise erhöht. Bei einem dieser samstagnachmittäglichen Experimente in einer Wohnung in Baltimore hatte Jesse, der damals fünfundzwanzig war und eine hohe Dosis LSD eingenommen hatte, eine eindringliche «nichtduale Erfahrung», die sich als umwälzend erwies. Ich bat ihn, das Ganze zu beschreiben, und nach einigem Herumdrucksen – «ich hoffe, Sie lassen die heiklen Punkte weg» – erzählte er vorsichtig die Geschichte.

«Ich lag rücklings unter einem Gummibaum», erinnerte er sich. «Ich wusste, dass es eine starke Erfahrung wird. Und dann kam der Augenblick, wo das wenige, das ich noch war, einfach davonglitt. Plötzlich wusste ich nicht mehr, dass ich in einer Wohnung in Baltimore auf dem Fußboden lag oder ob meine Augen offen oder geschlossen waren. Vor mir öffnete sich, was ich in Ermangelung eines besseren Wortes als Raum bezeichne, aber nicht unsere gewöhnliche Vorstellung von Raum, sondern nur die reine Erkenntnis eines Bereichs ohne Form und Inhalt. Und in diesen Bereich kam ein himmlisches Gebilde, das die Entstehung der physischen Welt war. Es war wie der Urknall, aber ohne das Dröhnen oder das blendende Licht. Es war die Geburt des physischen Universums. In gewissem Sinne war es dramatisch – vielleicht das Bedeutendste, was sich je in der Geschichte der Welt ereignete –, und dennoch lief es irgendwie ganz beiläufig ab.»

Ich fragte ihn, wo er sich währenddessen befand.

«Ich war ein Beobachter ohne festen Ort. Ich war in Übereinstimmung mit der Entstehung der Welt.» Hier sagte ich, dass ich ihm nicht mehr folgen könne. Lange Pause. «Ich zögere, weil die Worte der Erfahrung nicht gerecht werden; Worte kommen mir zu beschränkend vor.» Unbeschreiblichkeit ist natürlich ein Kennzeichen mystischer Erfahrung. «Die Erkenntnis übersteigt jede Empfindungsweise», lautete seine nutzlose Erklärung. Ob es beängstigend gewesen sei? «Ich habe keine panische Angst verspürt, nur Faszination und Ehrfurcht.» Pause. «Hm, vielleicht ein bisschen Angst.» Von da an beobachtete (oder wie auch immer man es nennen will) Jesse die Geburt von … allem, in einer epischen Reihung, die mit dem Erscheinen kosmischen Staubs begann und zur Erschaffung der Sterne und dann des Sonnensystems führte, gefolgt von der Entstehung des Lebens und der Ankunft «dessen, was wir als Menschen bezeichnen», dann der Erwerb von Sprache und die Entwicklung des Bewusstseins, «der ganze Weg zum eigenen Ich, hier in diesem Zimmer, umgeben von meinen Freunden. Ich war dorthin zurückgekehrt, wo ich war. Wie viel Zeit war derweil verstrichen? Ich hatte nicht die geringste Ahnung.

 

Was für mich am stärksten hervorsticht, ist die Beschaffenheit der Erkenntnis, die ich durchlebte, etwas, das sich völlig von dem unterscheidet, was ich als Bob betrachte. Wie passt dieses erweiterte Bewusstsein in den Rahmen der Dinge? Insofern als ich die Erfahrung für wahrheitsgemäß halte – und da bin ich mir noch nicht sicher –, sagt sie mir, dass Bewusstsein für das physische Universum grundlegend ist. Eigentlich geht es ihm voraus.» Ob er inzwischen glaube, dass Bewusstsein außerhalb des Gehirns existiere? Er ist sich nicht sicher. «Aber von der starken Überzeugung, dass das Gegenteil stimmt» – dass Bewusstsein das Produkt unserer grauen Zellen ist –, «bis zu dieser Unsicherheit ist es ein langer Weg.» Ich fragte ihn, ob er der Äußerung des Dalai-Lama beipflichte, dass die Vorstellung, Gehirne erschüfen Bewusstsein – eine Vorstellung, der die meisten Wissenschaftler fraglos zustimmen würden –, «eine metaphysische Vermutung und kein wissenschaftliches Faktum ist».

«Bingo», sagte Jesse. «Und für jemanden mit meiner Ausrichtung» – agnostisch, wissenschaftsbegeistert – «ändert das alles.»

Was ich an einer Erfahrung wie der von Bob Jesse nicht verstehe: Warum in aller Welt soll man so was überhaupt glauben? Ich begriff nicht, warum man es nicht einfach unter «interessanter Traum» oder «durch Drogen verursachte Fantasie» abhakte. Doch zusammen mit dem Gefühl der Unbeschreiblichkeit gehört auch die Überzeugung, dass einem eine tiefe objektive Wahrheit offenbart wurde, zu den Kennzeichen mystischer Erfahrungen, gleichgültig ob sie durch Drogen, Meditation, Fasten, Geißelung oder Reizentzug hervorgerufen wurden. William James hat dieser Überzeugung einen Namen gegeben: noetische Qualität.20 Man hat das Gefühl, in ein tiefes Geheimnis des Universums eingeweiht worden zu sein, und diese Überzeugung ist unerschütterlich. Wie James geschrieben hat: «Träume halten dieser Prüfung nicht stand.»21 Zweifellos ist das der Grund, warum manche Menschen, die eine derartige Erfahrung machen, Religionsgründer werden, den Lauf der Geschichte oder, weitaus öfter, ihr eigenes Leben verändern. «Zweifellos» ist hier das Schlüsselwort.

Mir fällt eine Reihe möglicher Erklärungen für ein solches Phänomen ein, doch keine klingt völlig befriedigend. Die einfachste und doch am schwersten zu akzeptierende Erklärung ist, dass es schlicht stimmt: Der veränderte Bewusstseinszustand hat dem jeweiligen Menschen eine Wahrheit eröffnet, die wir Übrigen, gefangen im gewöhnlichen Wachbewusstsein, einfach nicht begreifen. Doch die Wissenschaft hat mit dieser Deutung Probleme, da die entsprechende Wahrnehmung nicht mit den üblichen Methoden überprüfbar ist. Es handelt sich faktisch um einen anekdotischen Einzelbericht und ist deshalb wertlos. Die Wissenschaft zeigt nur wenig Interesse und Nachsicht gegenüber Zeugnissen Einzelner; darin ähnelt sie seltsamerweise religiösen Institutionen, die ebenfalls ein großes Problem damit haben, direkter Offenbarung Glauben zu schenken. Doch es gilt, darauf hinzuweisen, dass der Wissenschaft mitunter nichts anderes übrig bleibt, als sich auf das Zeugnis Einzelner zu verlassen – wie beim Studium subjektiven Bewusstseins, das für unsere wissenschaftlichen Methoden unzugänglich ist und deshalb nur von dem Menschen beschrieben werden kann, der die Erfahrung macht. Hier ist die Phänomenologie die wichtigste Datenbasis. Das ist aber nicht der Fall, sobald es um die Nachprüfung von Wahrheiten über die Welt außerhalb unserer Köpfe geht.

Das Problem mit der Glaubwürdigkeit mystischer Erfahrungen besteht genau darin, dass sie den Unterschied zwischen innen und außen auslöschen, so wie Bob Jesses «ortlose Erkenntnis» zu ihm zu gehören, aber auch außerhalb von ihm zu existieren schien. Das verweist auf eine zweite mögliche Erklärung für das noetische Gefühl: Wenn unser Gefühl für ein subjektives «Ich» sich auflöst, wie es bei dosisintensiver psychedelischer Erfahrung oft der Fall ist (ebenso wie bei erfahrenen Meditierern), wird es unmöglich, zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit zu unterscheiden. Wer soll denn das Zweifeln übernehmen, wenn nicht das Ich?

In der Zeit nach dieser ersten eindringlichen psychedelischen Reise machte Bob Jesse eine Reihe weiterer Erfahrungen, die sein Leben veränderten. Als er Anfang der 1990er Jahre in San Francisco lebte, geriet er in die Raver-Szene und entdeckte, dass das «kollektive Überschäumen» auf den besten nächtlichen Tanzpartys, mit oder ohne psychedelische «Stoffe», die «Subjekt-Objekt-Dualität» ebenfalls auflösen und neue spirituelle Perspektiven eröffnen konnte. Er begann, verschiedene spirituelle Traditionen zu erkunden, vom Buddhismus übers Quäkertum bis zur Meditation, und stellte fest, dass seine Prioritäten im Leben sich allmählich veränderten. «Mir fiel auf, dass es viel wichtiger und erfüllender sein könnte, Zeit in diesem Bereich zu verbringen, als meiner Arbeit [als Informatiker] nachzugehen.»

Während eines Sabbatjahres (er würde Oracle 1996 endgültig verlassen) gründete Jesse mit dem Ziel, «die unmittelbare Erfahrung des Heiligen einer größeren Anzahl von Menschen zugänglich zu machen», eine gemeinnützige Organisation, die Council on Spiritual Practices (CSP) hieß. Die Website spielt die Tatsache herunter, dass die Organisation sich für Entheogene – Bob Jesses bevorzugte Bezeichnung für Psychedelika – einsetzt, doch ihre Mission wird angedeutet: «Methoden für grundlegende religiöse Erfahrungen zu finden und zu entwickeln, die sicher und wirkungsvoll angewandt werden können.» Die Website (csp.org) bietet eine hervorragende Bibliografie der Psychedelik-Forschung und regelmäßige Updates zu der Arbeit, die an der Johns Hopkins University im Gange ist. Der CSP unterstützte später auch die Klage der UDV, die zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2006 führte.

Der Council on Spiritual Practices erwuchs aus Jesses systematischer Erkundung der psychedelischen Literatur und der psychedelischen Community in der Bay Area nach seinem Umzug nach San Francisco. Auf seine wohlüberlegte, leicht zwanghafte und überaus höfliche Art nahm Jesse Kontakt mit den zahlreichen «psychedelischen Größen» in der Region auf – eine Vielzahl unterschiedlichster Persönlichkeiten, die sich in den Jahren vor 1970 in Forschung und Therapie engagiert hatten, bevor die meisten Drogen mit der Verabschiedung des Betäubungsmittelgesetzes und der Einstufung von LSD und Psilocybin als Schedule-One-Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial und ohne anerkannten medizinischen Nutzen verboten wurden. Darunter war etwa James Fadiman, der in Stanford ausgebildete Psychologe, der an der International Foundation for Advanced Study in Menlo Park eine bahnbrechende Forschung über Psychedelika und Problemlösung betrieben hatte, bis die Arzneimittelzulassungsbehörde die Arbeit der Gruppe 1966 stoppte. (Anfang der 1960er Jahre war die Psychedelik-Forschung in Stanford mindestens so intensiv wie in Harvard; es gab nur niemandem vom Kaliber eines Timothy Leary, der sich darüber öffentlich verbreitet hätte.) Dann war da noch Fadimans Institutskollege Myron Stolaroff, ein berühmter Elektroingenieur im Silicon Valley, der als leitender Angestellter bei Ampex, dem Hersteller von Tonbandgeräten, arbeitete, bis ihn ein LSD-Trip dazu anregte, (genau wie Bob Jesse) seinen Beruf aufzugeben und Psychedelik-Forscher und Therapeut zu werden. Es gelang Jesse auch, in den inneren Kreis von Sasha und Ann Shulgin vorzudringen, die in der Bay Area legendäre Figuren waren und allwöchentlich ein Abendessen für Therapeuten, Wissenschaftler und andere Psychedelikinteressierte veranstalteten. (Sasha Shulgin, der 2014 starb, war ein brillanter Chemiker, der mit Erlaubnis der Drogenbehörde neue psychedelische Substanzen synthetisierte, was er in gewaltigem Ausmaß tat. Er war auch der Erste, der MDMA synthetisierte, seit es 1912 von Merck patentiert und danach vergessen worden war. Als er die psychoaktiven Eigenschaften erkannte, machte er die psychotherapeutische Community der Bay Area mit dem sogenannten «Empathogen» bekannt. Erst später wurde es zu der als Ecstasy bekannten Klubdroge.) Und Jesse schloss Freundschaft mit Huston Smith, dem Religionswissenschaftler, der sich dem spirituellen Potenzial der Psychedelika geöffnet hatte, weil er 1962 als Dozent am Massachusetts Institute of Technology (MIT) freiwillig am Karfreitagsexperiment teilnahm und fortan überzeugt war, dass sich eine durch Drogen ausgelöste mystische Erfahrung nicht von anderen unterschied.