Schmied verbrennt sich die Finger

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Schmied verbrennt sich die Finger
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Schmied verbrennt sich die Finger

1  Titel Seite

2  Impressum

3  Eins

4  Zwei

5  Drei

6  Vier

7  Fünf

8  Sechs

9  Sieben

10  Acht

11  Neun

12  Zehn

13  Elf

14  Zwölf

15  Dreizehn

16  Vierzehn

17  Fünfzehn

SCHMIED VERBRENNT SICH DIE
FINGER:
EIN BIBLIOTHEKS-KRIMI
von Meret Heller

Impressum
Cover © Meret Heller 2019
Text © Meret Heller 2019
meret.heller@gmx.net

Eins

Schmied schloss die Wohnungstür auf und machte Licht. Schwanzwedelnd kam ihm Tasso entgegen, sprang an ihm hoch. Er kraulte den zottigen schwarzweißen Hund hinter den Ohren, zog den Anorak aus und hängte ihn über den Haken an der Garderobe.

"Annegret?"

Keine Antwort. Er ging in die Küche, Tasso dicht an seinen Fersen. Auf dem Tisch lag ein Zettel: "Heute Abend Chorprobe. Resten vom Mittag im K'schrank. Bitte T. füttern. Bis später, Kuss, A."

Er spülte Tassos blauen Napf und füllte ihn mit frischem Wasser, holte dann eine Büchse Hundefutter unter der Spüle hervor, gab den Inhalt in den roten Napf. Schmied sah zu, wie der Hund schlang. Dann holte er den Brotlaib aus dem Kasten und säbelte dicke Scheiben davon ab, bestrich sie mit Butter, belegte sie mit Greyerzerscheiben und drückte einen Kringel Tomatenpüree aus der Tube obendrauf. Keine Lust auf Reste aus dem Kühlschrank. Die Brote kamen in eine Blechdose. Er holte eine Halbliterflasche Rotwein aus dem Regal unter dem Küchentisch und ein Trinkglas von der Ablage neben der Spüle.

Der Proviant, ein paar alte Zeitungen und eine Schachtel Streichhölzer kamen in den Rucksack. Schmied schlüpfte wieder in den grauen Anorak und setzte den Filzhut auf.

Er ging los, die steile Treppe zwischen den Häusern hinunter in Richtung Fluss. Tasso trottete hinter ihm her.

An der Feuerstelle neben der Brücke saßen drei junge Männer mit einem Kasten Bier. Schmied grüßte, sie riefen: "Abend, Herr Schmied", "Salü, Tasso" – es waren Kollegen seiner Tochter Malin, doch er wusste ihre Namen nicht mehr, Fabian oder Florian, Jan, vielleicht war ein Kevin dabei, oder hatte der junge Mann Levin geheißen?

Schmied ging über die Brücke und flussabwärts, ein paar Hundert Meter bis zu der großen alten Weide. Darunter stand eine morsche Holzbank. Er stieg zum Ufer hinunter, trug ein paar Steine zusammen, ergänzte damit die provisorische Feuerstelle vor der Bank. Oberhalb der alten Weide hatte sich Treibholz abgelagert, er nahm die trockensten Stücke, sammelte ein paar abgebrochene Äste. Der Hund lief eifrig neben ihm her und stupste ihn mit der spitzen Nase in die Waden. Schmied bückte sich, kraulte und tätschelte ihn. Er gab ihm einen Ast zum Tragen. Tasso hielt ihn stolz quer im Maul und wollte ihn auch nicht mehr loslassen, als Schmied das Brennholz für das Feuer aufschichtete.

Er legte eine alte Zeitung auf die Bank, setzte sich darauf und sah zu, wie die Flammen züngelten. Der Hund ließ sich mit einem Seufzer zu seinen Füssen nieder, die Pfoten auf dem Ast.

Es war schon recht dunkel geworden, vom Fluss her stieg feuchte Luft auf, kroch Schmied die Hosenbeine hoch. Er streckte die Beine dem Feuer entgegen, holte den Rotwein und die Dose mit den Käsebroten aus dem Rucksack.

Er kaute, starrte in die Flammen, ließ ab und zu einen Brocken für Tasso fallen. Der Wein war ziemlich sauer, wärmte aber doch den Magen. Die Anspannung in seinen Schultern löste sich. Der Tag fiel von ihm ab, der Fluss trug ungerechten Vorwürfe seiner Chefin mit sich davon, ihre Rügen lösten sich in Rauch auf.

Frau Dr. Ehrsam war die Direktorin der Stadtbibliothek. Schmied war der Magaziner und Hauswart, ihr "Faktotum", wie sie ihn nannte. Das sei lateinisch und bedeute "Mach alles". Er sei ihr "Mädchen für alles", hatte sie überflüssigerweise noch hinzugefügt. "Der 'Gib mir, Hol mir, Bring mir' ...", hatte er gedacht.

Hinter ihrem Rücken nannten manche die Direktorin "Frau Dr. Grausam". Sie liebte es, Angestellte zu schikanieren. Heute hatte sie Roman Schmied geheißen, alle Bücher im Magazin so auszurichten, dass sie exakt 2,5 cm von der Vorderkante der Bücherbretter zu stehen kämen. Er solle den Maßstab mitnehmen. Als er sagte, er denke, das sei sinnlos, weil sich die Bücher sofort wieder verschöben, wenn die Regale der Kompaktusanlage hin- und hergerollt würden, hatte sie ihn angefahren, er sei nicht zum Denken angestellt, sondern dafür, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Er hatte mit den Achseln gezuckt und war ins Magazin gegangen, hatte Bücher in Reih und Glied geschoben, bis ihn die Sekretärin anrief. Papierstau im Drucker, ob er den beheben könne.

Schmied legte Holz nach und stocherte im Feuer. Funken stoben auf. Er sah ihnen zu, wie sie beim Verglühen vor dem Nachthimmel eine leuchtende Spur zogen.

Der letzte Schluck Rotwein. Malin hatte versprochen, ihm ein paar Flaschen aus Chile mitzubringen. Die machten dort guten Wein, hatte sie geschrieben. Die mineralreiche vulkanische Erde und die südliche Sonne brächten besonders gehaltvolle Trauben hervor.

Ach, Malin, so weit weg. Seine Tochter hatte nach der Matura ein Zwischenjahr eingelegt. Sie wisse nicht, was sie studieren solle, und ob überhaupt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das Mädchen eine Lehre gemacht, da wäre sie jetzt fertig mit der Ausbildung und stünde im Berufsleben. Doch Annegret hatte darauf bestanden, dass sie aufs Gymnasium gehöre. Malin hatte Spanisch gelernt, und nun jobbte sie in der chilenischen Hauptstadt Santiago in einem Kinderhort. In einer Millionenstadt, gefangen unter einer Dunstglocke aus Smog. Wenigstens wohnte sie in einem guten Stadtteil, nicht in einem dieser gefährlichen Vororte. Und es hieß ja auch, Chile sei das stabilste und sicherste Land Lateinamerikas.

Dennoch hatte er sich wöchentliche E-Mails ausbedungen. Wenn sein einziges Kind ausgerechnet an den Arsch der Welt reiste, dann wollte er wenigstens sicher sein, dass es ihm dort unten gut ging.

Sie sei kein Kind, hätte sie gesagt, sondern eine junge Frau, die ihr eigenes Leben in die Hand nehmen wolle. In die Hand nehmen? Zeit vertrödeln, die sie besser für eine Ausbildung eingesetzt hätte. Warum hatte sie nicht hierbleiben können? Und wenn sie schon in einem Kinderhort jobben wollte, warum dann nicht hier im Ort oder in der nächsten Stadt? Da hätte sie doch auch Erfahrungen sammeln können.

Und an den Wochenenden hätten sie zusammen wandern gehen können, Vater, Tochter und Hund, wie früher, und oben am Berg eine Wurst braten, oder halt einen Maiskolben, sie war ja jetzt Veganerin. Wie sie damit wohl zurechtkam in Chile? Soviel er wusste, aßen die viel Fleisch dort unten. Er musste sie nächstens einmal fragen.

Vielleicht wäre sogar Annegret das eine oder andere Mal mitgekommen, wenn sie nicht gerade ein Chorwochenende, ein Bridgeturnier oder einen Ausflug des Damenturnvereins auf dem Programm stehen hatte.

Schmied schlug den Kragen seines Anoraks hoch. Ihn fröstelte. Das Feuer war heruntergebrannt. Er griff nach einem Stock, verteilte die Glut, schob mit den Füssen ein paar Steine darauf, packte dann die leere Flasche und die Brotdose in den Rucksack.

Er stand auf, stampfte ein paarmal mit den Füssen. Tasso erhob sich schwerfällig, gähnte und streckte sich. Dann traten sie den Heimweg an, der Mann und der Hund.

Zwei

Annegret schlief noch. Schmied starrte in den grauen Morgen hinaus, die dampfende Kaffeetasse in der Hand. Noch war es fast dunkel, und der Nebel hing so tief, dass er die Bäume hinter dem Haus nur schemenhaft erkennen konnte. Später, wenn die Sonne durch den Nebel dränge, würde das Herbstlaub rot und golden leuchten. Doch er säße in der Stadtbibliothek fest. Dabei war Samstag. Frau Dr. Ehrsam würde am Nachmittag für den Ornithologischen Verein einen Vortrag zum Thema "Vögel in der Schweizer Literatur" halten.

Er würde alles bereitmachen müssen, den Beamer und das Mikrofon testen, Stühle in den großen Saal schleppen. Nach dem Vortrag der Frau Direktorin würde er Wein, Orangensaft und Knabberzeugs auffahren für den geselligen Umtrunk der Vogelkundler, und hinterher alles wieder wegräumen und den Saal fegen. Er wäre der Letzte, der das Haus verließe. Wenn er nach Hause käme, wäre Annegret sicher schon weg. Bridgeabend.

 

Die Fenster der Stadtbibliothek waren noch dunkel, als er auf den Parkplatz einbog. Er betrat das Gebäude durch den Lieferanteneingang. Alarmanlage aus, Licht an, Treppe runter ins Untergeschoss, rechts durch die Tür ins Büro, Licht an, Kaffeemaschine ein, doppelter Espresso, Computer hochfahren. Zuerst die privaten E-Mails. Soviel Zeit musste sein, wenn er schon an einem Samstag Überstunden machte. Eine Nachricht mit dem Vermerk "dringend" stach ihm ins Auge. Sie war von Malin. Hastig klickte er darauf.

"Lieber Vati, ich schreibe dir, damit Du Bescheid weißt und nicht erschrickst, falls die Medien bei Euch davon berichten, was hier gerade los ist. Erst einmal: Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut, ich bin zuhause in der WG mit Carolina und Natalia."

Schmied begann zu schwitzen. Was war passiert? Rasch scrollte er nach unten und las weiter.

"Gestern mussten wir nach einem Konzert in der Stadt zu Fuß nach Hause gehen. Der öffentliche Verkehr war am Nachmittag zum Erliegen gekommen. Die Metro fuhr nicht, wir sahen Rauch und Qualm aus U-Bahn-Stationen quellen. Viele Leute waren auf der Straße, lärmten und schrien, und Polizisten trieben sie auseinander. Wir rochen Tränengas, kamen aber zum Glück nicht direkt damit in Berührung. Natalia und Carolina kennen sich gut aus in der Stadt, und so kamen wir, zwar auf Umwegen, aber sicher nach Hause.

Es hat anfangs Monat eine Fahrpreiserhöhung gegeben bei der Metro. Zwar waren es nur 30 Pesos – umgerechnet sind das wenige Rappen –, doch Du musst wissen, dass ärmere Familien bis zu einem Viertel ihres Monatseinkommens für Fahrgeld ausgeben. Schüler und Studenten sind dann hordenweise schwarzgefahren, und die Pendler begannen, es ihnen nachzumachen. Massen von Leuten sind über die Abschrankungen gesprungen und haben Ticketautomaten zerstört. Gestern ist die Situation vollends eskaliert.

Jetzt müssen wir Essensvorräte einkaufen gehen. Natalia und Carolina fürchten, dass die Läden geschlossen werden, und wir dann vielleicht einige Tage nichts bekommen können. Wahrscheinlich wird der Ausnahmezustand verhängt, und ich weiß nicht, was noch alles geschehen wird, aber mach Dir keine Sorgen, lieber Vati. Ich passe auf mich auf. Meine Kolleginnen meinen, das Ganze beruhige sich schnell wieder und sei wohl in ein paar Tagen überstanden.

Liebe Grüße an Euch beide, Malin"

Schmied starrte auf den Bildschirm. Er stützte den Kopf in beide Hände und versuchte zu begreifen. Malin hatte doch immer gesagt, Chile sei ein sicheres Land. Stabil. Und nun waren dort derart heftige Unruhen ausgebrochen. Ein Gemisch von bitterem Kaffee und saurem Magensaft stieg ihm in den Mund. Er schluckte, verschluckte sich, hustete, stieß den Kaffeebecher um. Gerade noch rechtzeitig konnte er die Tastatur wegziehen.

Mist, verdammter. Warum hatte er Malin erlaubt, nach Chile zu gehen. Nicht, dass sie sich hätte davon abhalten lassen. Sie war volljährig. Aber warum zum Teufel musste sie so weit weg gehen, und warum mussten die Unruhen ausgerechnet jetzt ausbrechen, wo seine einzige Tochter dort unten war, am anderen Ende der Welt? Er holte einen Lappen, wischte den Kaffee vom Tisch. Dann las er die Nachricht nochmals. Sie hatte nichts von ihrem Schrecken verloren, auch wenn er sich an Malins Beteuerungen, dass es ihr gut gehe, zu klammern versuchte.

Ihm war noch immer übel. Er brauchte frische Luft. Er nahm den grauen Anorak von der Stuhllehne und ging ins Freie. Er würde eine Runde um die Bibliothek drehen und sich hinterher mit klarem Kopf an die Vorbereitungen für den Nachmittag machen. Frau Dr. Ehrsam hatte oft noch Spezialwünsche. Da war es besser, wenn er vorher so viel wie möglich erledigte. Einmal hatte sie ihn kurz vor einem Vortrag noch in die Stadt geschickt, um einen Blumenstrauß für eine Professorenwitwe zu kaufen, die sie unter den Zuhörern erwartete. Die Frau war dann gar nicht zum Vortrag erschienen, und Frau Dr. Ehrsam hatte den in letzter Minute gekauften Blumenstrauß selber mit nach Hause genommen.

Er trat durch den Lieferantenausgang ins Freie und ging um die Hausecke, dann durch den Park mit den alten Buchen und Linden, bis er zu der überdachten Halle kam, die vor dem Haupteingang lag. Diese Vorhalle war der Überrest eines alten Hotels, das früher im Park gestanden hatte. Das eigentliche Bibliotheksgebäude war ein moderner, rechteckiger Block, roher Beton und große Fenster. Warum man die Haller vor dem Eingang hatte stehen lassen, wusste Schmied nicht. Sie war jedoch praktisch, die Benutzer konnten ihre Kinderwagen und Velos unter dem Dach abstellen, und die Raucher konnten vor Regen geschützt vor der Tür stehen.

Auf der linken Seite der Vorhalle befanden sich an der Wand einige schmiedeeiserne Ringe. Wahrscheinlich hatten die Hotelgäste früher dort ihre Pferde angebunden, vor mehr als hundertfünfzig Jahren. Die Stadtbibliothek war 1867 gegründet worden.

In einer Nische befand sich ein großer, steinerner Trog, die Pferdetränke. Der Brunnen hatte keinen Zulauf, und Schmied fragte sich, wie früher das Wasser dort hineingekommen war. Wahrscheinlich hatten die Mägde das Wasser im Ziehbrunnen im Park geholt. Dieser war schon seit Jahrzehnten mit einem Eisengitter bedeckt, damit kein Kind beim Spielen hineinfiel. Kinder und Erwachsene pflegten Kieselsteine in den Brunnenschacht zu werfen. Sie versuchten, das dumpfe "Plop" zu hören, mit welchem die Steinchen unten auf dem modrigen Wasserrest aufschlugen. Manchmal spuckten sie auch hinein.

Auch die Pferdetränke in der Wandnische hatte schon lange keine Funktion mehr. Sie lag halb verborgen hinter einer Plastik, die einen "Bücherbaum" darstellen sollte: in der Mitte ein grob behauener Baumstamm, an dem seitlich Latten angebracht waren. An ihnen hingen bunte bemalte Holzklötze, welche Bücher darstellen sollten. Einige Benutzer hatten sich an den Klötzen ihre Köpfe angestoßen, und darum befand sich um den "Bücherbaum" ein niedriger Zaun. Kaum jemand blickte deshalb hinter den Baum und auf den leeren Brunnentrog.

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