Von Flammen & Verrat

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Hast du dich so gefühlt?

Nein! Und das weißt du ganz genau, Lucan.

Plötzlich und ohne Vorwarnung löste sich Lucan von mir und rollte sich fluchend auf den Rücken. Ich beobachtete ihn einen Moment stumm. Zu irritiert davon, dass man mich des schönsten Gefühls der Welt beraubt hatte.

»Verdammt«, flüsterte er erneut und legte einen Arm über seine Augen, wobei sich sein Bizeps anspannte. Ich atmete ein paar Mal tief durch und versuchte sowohl meine Magie als auch die pulsierende Lust in meinen Adern unter Kontrolle zu bekommen.

»Was war das?«

»Tut mir leid.«

Wir hatten gleichzeitig gesprochen und schief grinsend rollte ich mich auf die Seite, um Lucan im Dunkeln ansehen zu können.

»Eine Entschuldigung von Lucan Vale?«

»Ich hätte nicht so über dich herfallen dürfen, ich … nicht bei allem, was …«, fluchend brach er ab.

Aber ich verstand, worauf er hinauswollte. Nicht bei allem, was unausgesprochen zwischen uns stand. Enttäuschung durchfuhr mich und ich unterdrückte das Gefühl. Immerhin hatte ich ein paar Sekunden zuvor die gleichen Gedanken gehabt. Etwas anderes zu behaupten oder von Lucan zu erwarten, wäre heuchlerisch. Denn auch, wenn wir nicht ganz im Reinen miteinander waren, so wusste ich, dass es Unsterblichen manchmal schwer fiel, gegen ihre Instinkte anzukommen. Genau das war es, was hier gerade passiert war. Der Assassine in Lucan, der seine Gefährtin erkannte, kam mit der Tatsache nicht klar, dass ich einen kurzen Moment in den Armen eines anderen Mannes verbracht hatte. Ihn geküsst hatte.

Lucan hatte mich brandmarken wollen. Als ob das nötig gewesen wäre. So archaisch diese Denkweise auch war, sie basierte auf Instinkten. Manchmal gab es wirklich nicht viele Unterschiede zwischen uns und Raubtieren. Nur, dass Lucan sich und damit uns gestoppt hatte. Ich hegte keinen Zweifel daran, wie diese Nacht sonst geendet hätte.

»Ist schon gut«, flüsterte ich leise und robbte ein wenig dichter an den Assassinen heran. »Bleibst du?«

»Kann ich bleiben?«

Schon wieder hatten wir die Worte gleichzeitig ausgesprochen. Aber diesmal war ich es, die die Arme ausbreitete und Lucan an mich zog. Ihm Trost spendete. »Komm her.«

Arme und Beine ineinander verschlungen lagen wir so dicht beieinander, wie es nur ging.

Der rationale Teil von mir wusste, dass es nicht klug war, mit Lucan die Nacht zu verbringen. Auch, wenn es nicht auf Sex hinauslief oder vielleicht gerade deshalb. Denn das, was wir hier taten, war seltsamerweise noch viel intimer. Viel verletzlicher.

Der Teil von mir, der sein Herz an Lucan verloren hatte, räkelte sich jedoch zufrieden und presste sich noch ein wenig dichter an die warme, harte Brust. Alles, was ich tun musste, war realistisch zu bleiben. Diese Nacht würde nichts ändern. So wie unser wildes Rumknutschen in Aflys oder die heimlich gestohlenen Küsse seit Wochen nichts geändert hatten.

Lucan wollte mich nicht als seine Gefährtin. Und ich? Ich war mit mir selbst so im Unreinen, dass ich nicht mehr wusste, was genau ich wollte. Oder was man von mir erwartete. Aber ich liebte Lucan und deswegen würde ich ihm und mir diese Nacht schenken. Wir beide brauchten die Nähe des anderen, um uns auf die ein oder andere Art zu beruhigen.

»Schlaf, Prinzessin.«

Lucan strich mir sanft über meine Haare und den Rücken. Verrückt, dachte ich, bevor mir langsam die Augen zufielen. War es wirklich erst ein paar Monate her, dass Lucan genau diese Worte zu mir gesagt hatte, als er und Nick mich entführt und damit mein Leben für immer verändert hatten?


KAPITEL 7

Wie erwartet verlief der nächste Morgen ruhig und ereignislos. Was zum großen Teil daran lag, dass Lucan mein Bett und damit auch mein Zimmer bereits verlassen hatte, als Alina und Duncan gemeinsam durch meine Tür traten.

»Klopft denn wirklich niemand mehr an?«, fragte ich die beiden und Duncan schenkte mir ein schiefes Grinsen.

»Nope

»Ich bin eure verdammte Prinzessin«, murmelte ich und warf die Decke zurück, »ihr könntet wenigstens so tun.«

»Gut gelaunt wie jeden Morgen«, zwitscherte Duncan fröhlich. Dennoch musterte er mich aufmerksam. Immerhin war er bei meinem kleinen Zusammenbruch gestern live dabei gewesen.

»Wie geht’s dir?« Alina drückte mir eine dampfende Tasse Kaffee in die Hand und dankbar lächelte ich sie an.

»Besser.«

Duncan sah an mir vorbei auf das große Bett und ein wissender Ausdruck trat in die blauen Augen meines Freundes.

»Hast du gut geschlafen?«

»Hmm.«

Rasch trank ich einen Schluck Kaffee, um meine geröteten Wangen zu verdecken. Verdammte Assassinen-Nasen. Die Männer waren regelrechte Spürhunde. Aber Duncan schien äußerst zufrieden mit seiner Entdeckung, da er sich grinsend auf meinem Sofa niederließ. Ich konnte es ihm nicht verübeln.

Ich war ebenfalls erleichtert darüber, dass Lucan und ich uns vertragen hatten. Zumindest ging ich davon aus, nachdem ich die ganze Nacht in seinen Armen verbracht hatte. Jetzt würde ich nicht mehr nach Drake riechen, sondern nur nach Lucan Vale. Duncans Grinsen wurde breiter und ich streckte ihm die Zunge raus.

»Habe ich was verpasst?« Alina sah zwischen uns hin und her.

»Alles bestens«, beruhigte ich sie und ließ mich, noch immer in meinem kurzen Pyjama, neben Duncan auf das Sofa fallen.

»Wie lange glaubst du, wird es dauern, bis Drake es schafft, Crinaee so richtig wütend zu machen?«

»Nicht lange«, murmelte ich und erinnerte mich an den entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht des Formwandlers.

»Drake, er«, ich brach ab und sah meine Freunde an, »ich vertraue ihm. Er möchte sich mit Scio treffen, um die Sklavenverträge mit Permata aufzulösen.«

»Lilly, das ist wunderbar!«

»So wunderbar das auch ist, er wird ihn nicht alleine treffen.«

»Wie meinst du das?«, fragte Alina Duncan.

»Es ist ja schön und gut, dass ihr Drake vertraut. Ich tue es nicht. Und die Gelehrten tun gut daran, es auch nicht zu tun. Zumindest vorerst«, fügte er hinzu, als ich protestieren wollte.

»Es gibt zu viel Geschichte zwischen ihnen und Vesteria. Zwischen ihnen und der gesamten Anderswelt, Lilly. Es mag Alliandoan gewesen sein, das die Gelehrten verbannt hat, aber es waren alle Welten, die mitgespielt haben. Drake Careus ist ein charmanter, machthungriger Bastard. Ein Treffen mit den Gelehrten könnte genau das sein, worauf er seit Jahrzehnten hingearbeitete hat.«

Duncans Zynismus wunderte mich ein wenig, aber ich musste mir eingestehen, dass an seinen Worten etwas dran war. Ich hatte in den letzten Monaten zu viel gesehen und erlebt, um blind zu vertrauen. Es war die eine Sache, eine simple Tasse Kaffee zu akzeptieren, eine ganz andere war es, die Gelehrten womöglich ins offene Messer laufen zu lassen. Ich durfte mich weder einlullen lassen noch naiv handeln, ermahnte ich mich selbst.

»Malik und ein paar der Wachen werden ihn begleiten«, beruhigte ich Duncan.

»Außerdem wird er diese Chance erst bekommen, nachdem ich in Crinaee war.«

»Verrätst du uns auch endlich, was du da willst?« Neugierig sahen die beiden mich an.

»Narcos kennenlernen.«

»Das ist nicht alles.«

»Nein«, ich trank einen Schluck Kaffee, »aber es muss für den Moment genügen.«

Ich konnte ihnen ansehen, dass sie mit meiner Antwort nicht zufrieden waren, dennoch schwiegen sie. Magister Scio hatte mir ausdrücklich geraten, so wenig Leute wie möglich einzuweihen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. In dem Moment, in dem wir Crinaee erreichten und ich bekam, was ich wollte, würde es sowieso jeder wissen. Und bis dahin war ich dankbar, dass ich in Alina und Duncan so treue Freunde gefunden hatte, die, obwohl sichtlich unzufrieden, meine Entscheidung hinnahmen, ohne beleidigt zu sein.

»Was steht heute an?« Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits nach neun war. Kein Training also. Ansonsten hätte Lucan mich Punkt acht aus dem Bett gezerrt.

»Training fällt heute aus«, informierte mich Duncan grinsend, »und jetzt weiß ich auch warum.«

Alina warf Duncan einen fragenden Blick zu. Dann jedoch sah sie zurück zum Bett und ihre Augen wurden groß.

»Oh. Oh

»Nichts oh«, erwiderte ich lachend. »Lucan hat hier geschlafen, ja, das war aber auch alles, was wir getan haben. Schlafen.«

»Dann hat er die Drake-Geschichte überwunden?«

»Ja, das hoffe ich zumindest«

»Und Nick?«, fragte ich sie. »Hat er sich beruhigt?«

»Ich habe vorhin mit ihm gesprochen und er schien … besänftigt.«

Gut. Ich hatte nämlich keine Lust, mich in meinem eigenen Haus wie auf einem Mienenfeld zu bewegen. Mein Blick wanderte zu Duncan. Der Assassine hob abwehrend beide Hände.

»Wenn mich einer von euch fragt, wie es Malik geht, gehe ich.« Seufzend ließ ich es sein. Die Beziehung zwischen den beiden Männern war angespannt und sie gingen sich seit Tagen aus dem Weg. Alina und ich schwiegen. Jeder von uns durfte seine Geheimnisse haben. Wenn Duncan reden wollte, dann wusste er, wo er mich fand.

»Und was machen wir dann?«

»Musst du nicht lernen?«

»Heute nicht«, antwortete sie lächelnd. »Runak ist unterwegs und ich brauche definitiv einen Tag Abstand von meinen Büchern. Ansonsten drehe ich durch.«

Wir hatten also wirklich und wahrhaftig nichts zu tun. Ich konnte Alinas Irritation gut nachvollziehen. Die letzten eher ruhigen Tage hatte ich ebenfalls mit Bücher wälzen und Pläne schmieden verbracht und auch ich konnte davon eine Pause vertragen. Hatte ich nicht schon längst darüber nachgedacht, meiner Garderobe mal ein wenig mehr Pepp zu verleihen?

 

»Was haltet ihr davon, wenn wir shoppen gehen?«

»Wirklich?«

Ich nickte, selbst begeistert von meiner Idee. Ich wollte etwas unternehmen, das nichts mit Politik oder der Anderswelt zu tun hatte.

»Wenn du zahlst!«

»Duncan!« Alina schlug ihm sanft auf den Arm.

»Was denn? Sie ist die zukünftige Königin und die Callahans haben mehr Geld, als sie jemals ausgeben können.«

Ich beobachtete die beiden lachend. »Wo er Recht hat.«

»Ich habe letztens diese todschicke Lederjacke gesehen …«

Während Duncan uns davon erzählte, was genau ich alles für ihn kaufen sollte, trank ich meinen Kaffee aus und genoss das Gefühl, endlich einmal frei zu haben. Wir würden shoppen gehen! Etwas Normaleres konnte ich mir aktuell nicht vorstellen.

Was ich jedoch unterschätzt hatte, war die Tatsache, wie es war, mit Geld shoppen zu gehen. Viel Geld. Unendlich viel Geld. Ein Blick auf unsere kleine Gruppe, den großen Wagen mit den abgedunkelten Scheiben, in denen zwei meiner Wachen warteten, und wir wurden behandelt wie Könige. Oder Rockstars.

Grinsend hob ich ein weiteres Glas Champagner an meine rot geschminkten Lippen und sah Duncan dabei zu, wie er diverse Hemden anprobierte. Wir hatten uns aus Sicherheitsgründen darauf geeinigt, den Tag in der Welt der Sterblichen zu verbringen. Da wir aktuell ohnehin in unserem Haus hier und nicht in Alliandoan wohnten, war die Kleidung, die wir trugen, weitestgehend normal.

Kleider wie die, die ich in Vesteria gesehen hatte, würden wir hier mit Sicherheit nicht finden.

»Wie findet ihr das?« Zum wahrscheinlich hundertsten Mal heute drehte Duncan sich vor uns im Kreis.

»Ein wenig … schrill?«

Alina musterte das korallenfarbene Hemd mit den dünnen, roten Streifen skeptisch. Ich jedoch war absolut begeistert von Duncans Wahl. Ebenso davon, wie frei der Assassine sich hier bewegte. Mit jedem weiteren Kleidungsstück war Duncan regelrecht aufgeblüht und ich fragte mich, ob er etwas so Banales wie shoppen gehen überhaupt schon einmal getan hatte. Sein Leben bestand aus Kämpfen, Regeln und Traditionen. Ich freute mich darüber, dass er zusammen mit uns eine Seite an sich ausleben konnte, die seine Waffenbrüder nicht nachvollziehen konnten. Außerdem hatte ich ganz genau gesehen, wie er dem jungen Mann mit dem Eyeliner im ersten Geschäft neidische Blicke zugeworfen hatte. Viele Männer der Anderswelt trugen ausgefallene Klamotten oder betonten ihre außergewöhnlichen Erscheinungen durch bunte Haarfarben, Tattoos oder anderen Körperschmuck. Eyeliner könnte ebenso zu ihm gehören, wie die Messer an seinem Gürtel. Duncan musste nur noch lernen, dass die restlichen Sieben, seine Brüder und sein Ziehvater, ihn liebten, egal ob er in seiner Freizeit schwarz oder rosa trug.

»Du solltest es nehmen«, sagte ich daher und lächelte der Verkäuferin neben uns freundlich zu. »Packen Sie es bitte zu den anderen.«

Die junge Frau blickte mich erfreut an. Wahrscheinlich war ich jetzt schon ihre Kundin des Jahres. Ich ließ meinen Blick durch das exklusive, kleine Geschäft schweifen, als meine Augen plötzlich an einem Kleid hängen blieben. Wie in Trance erhob ich mich und schlenderte auf das schwarze Samtkleid zu. Schmal geschnitten und mit langen Armen war es auf den ersten Blick zugleich elegant und sexy. Lucan würde es lieben. Sanft strich ich mit meinen Fingern über den teuren Stoff.

»Es würde Ihnen ausgezeichnet stehen«, flötete die Verkäuferin und trat neben mich. »Bei Ihrer Hautund Haarfarbe.«

»Oh ja, Lilly, zieh es an!«

Duncans Kopf lugte aus der Umkleide hervor. »Was soll sie anziehen?«

Wortlos hielt ich das Kleid in die Höhe.

»Lucan wird es lieben«, bestätigte er meinen Gedanken.

Ich würde es anziehen, beschloss ich, aber nicht für Lucan, sondern für mich. Alle Kleider, die ich in den letzten Monaten getragen hatte, waren entweder weiß, cremefarben oder in einem hellen Pastellton gewesen. Hübsch, aber nichtssagend. Abgesehen von dem grünen Kleid, das Drake für mich ausgewählt hatte. Dieses Kleid jedoch suchte ich mir selbst aus. Die nette Verkäuferin nahm mir das Glas Champagner ab und begleitete mich zu der Umkleide neben Duncans. Rasch schlüpfte ich aus meinem weißen Mantel, dem grauen Pullover und der schwarzen Jeans. Bereits als ich das Kleid zur Hälfte angezogen hatte, wusste ich, dass ich den Laden nicht ohne dieses Kleidungsstück verlassen würde.

»Wie sieht es aus?«, fragte Alina und steckte ihren Kopf in meine Umkleide.

»Oh, Lilly …«

»Komm raus, ich will es auch sehen!«

Alina zog den Vorhang zurück und ich trat aus meiner Kabine direkt vor die große Spiegelwand, vor der Duncan sich zuvor bewundert hatte.

Der Assassine stieß einen leisen Pfiff aus und musterte mich anerkennend. Das schwarze Samtkleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an meinen Körper und umspielte jede meiner Kurven mehr als vorteilhaft. Mit dem runden Halsausschnitt und dem tiefen Rücken war es gleichzeitig züchtig, aber auch skandalös. Die langen Arme und die kleine Schleppe verliehen dem Kleid etwas absolut Dramatisches. Kleider besaßen Macht und genau die empfand ich, als ich mich im Spiegel ansah. Macht. Ohne zu zögern, drehte ich mich zu der wartenden Verkäuferin um.

»Ich nehme es.«

»Ich hätte Sie auch nicht ohne gehen lassen. Das Kleid ist wie für Sie gemacht, wenn Sie mir den Kommentar erlauben.«

Und ob ich ihr den erlaubte. Denn sie hatte Recht. Dieses Kleid war in der Tat wie für mich gemacht. Es war so anders als alles, was ich in den letzten Monaten getragen hatte und ich liebte es. Vor mir stand eine junge, selbstbewusste Frau. Eine Königin, keine Prinzessin. Ich begegnete Alinas Blick im Spiegel und als hätte sie meine Gedanken gelesen, nickte sie lächelnd.

Duncan klatschte begeistert in die Hände. »Jetzt brauchen wir nur noch was für Alina!«

Diese schnaubte abfällig. »Du hast genug für uns beide, findest du nicht?«

»Vielleicht etwas, was dem werten Pri … was Nick gefallen würde?«, verbesserte er sich rasch.

»Deswegen bin ich nicht hier.«

»Oh bitte, deswegen sind wir doch alle hier.«

Lachend ergriff ich das frische Glas Champagner, das die Verkäuferin mir hinhielt.

»Wenn Sie erlauben, wir haben im Nebenraum eine neue Kollektion aus nachhaltigen Stoffen. Es ist die erste Saison der Designerin und ihr Ansatz ist etwas weniger … laut«, beendete sie ihren Satz äußerst diplomatisch. Eins musste man der Frau lassen, sie verstand etwas von ihrem Job. Alinas Gesichtsausdruck verwandelte sich von abweisend zu interessiert, und sie überwand ihren Widerwillen und folgte der anderen Frau in den Nebenraum.

Etliche Zeit später trudelten wir erschöpft, aber glücklich zu Hause ein. Zwei der Bediensteten eilten herbei, um uns beim Tragen der Tüten zu helfen. Alinas Wangen röteten sich leicht, immerhin war sie selbst bis vor Kurzem eine der Angestellten gewesen, ich jedoch bedankte mich artig bei ihnen. Neben dem einzigartigen Kleid hatten es noch einige weitere Stücke in meine Tüten geschafft. Wobei ich auffällig oft zu Schwarz gegriffen hatte.

Duncans Ausbeute konnte ich nicht einmal mehr zählen, und auch Alina hatte ich dazu gebracht, sich wenigstens zwei der hübschen Kleider aus edlem Leinen auszusuchen.

Glückselig sortierte ich meine neuen Sachen in meinen Kleiderschrank, wobei ich aus einer Eingebung heraus das schwarze Kleid unter einem meiner zahlreichen Mäntel verbarg.

Als wir am Abend beim Essen zusammensaßen, war die Stimmung ausgelassen und entspannt. Duncan plauderte mit Alex und King, während Alina Nick und Olli von unserem Ausflug berichtete. Malik fehlte an diesem Abend. Mein General schien mir meinen kleinen Ausflug nach Vesteria noch immer nicht verziehen zu haben. Dennoch hatte ich die zusätzlichen Wachen, die uns heute in gebührendem Abstand gefolgt waren, durchaus bemerkt.

Lucan und ich saßen uns gegenüber und ich warf dem Assassinen einen schnellen Blick zu. Er jedoch konzentrierte sich voll und ganz darauf, was Duncan Alex und King zu erzählen hatte. Ob er ebenfalls bemerkt hatte, dass Duncan den anderen gegenüber offener wirkte? Weniger zurückhaltend und mehr wie er selbst? Lucan wandte sich ab und unsere Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg.

Hast du auch etwas gekauft?

Die Frage, so simpel sie auch war, überraschte mich so sehr, dass ich einen Moment brauchte, um sie zu verarbeiten.

Ja.

Etwas, das mir gefallen würde?

Ich dachte an die sexy, schwarze Unterwäsche, die ich gekauft hatte, und an das skandalöse Kleid und schenkte Lucan ein, geheimnisvolles Lächeln.

Vielleicht.

Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und er wandte sich ab, um eine Frage zu beantworten, die Alex ihm soeben gestellt hatte. Ich konnte kaum glauben, wie entspannt ich mich trotz meines gestrigen Abenteuers fühlte, als sich die Tür zur Küche schwungvoll öffnete. Malik stand im Türrahmen. Sein grimmiger Blick suchte meinen.

»Wir haben eine Einladung aus Crinaee erhalten.« Kein Hallo. Kein Eure Hoheit.

Oh ja, mein General war in der Tat noch wütend. Dabei hatten wir morgen eine Verabredung, um über die Ernennung meines eregroi zu sprechen. Meines irdischen Wächters. Jetzt aber gab es Wichtigeres zu klären, denn offensichtlich war Drake schnell gewesen.

»Aus Crinaee?«, fragte ich möglichst unschuldig und spürte, wie alle Augenpaare auf mir ruhten.

»Narcos wünscht, dich zu sprechen … Hoheit.«

»Tut er das?«

»Lilly.« Nick seufzte neben mir. »Was hast du angestellt?« Entrüstet sah ich ihn an. »Nichts!« Und das war nicht einmal gelogen. Fast nichts.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Duncan und Alina einen wissenden Blick miteinander tauschten. Es würde nicht lange dauern, bis alle hier Eins und Eins zusammengezählt hatten.

»Aber wenn er uns schon einlädt, dann sollten wir so höflich sein und die Einladung annehmen.«

»Narcos kann nur einen Grund haben, dich sehen zu wollen. Der sirovine Handel«, Malik blickte grimmig drein. »Das Auflösen der Verträge …«

Auch ein guter Grund. Aber es war nicht der einzige Grund. Nicht ganz. Drake hatte mich zwar nicht in seinen Plan eingeweiht, aber ich konnte mir vorstellen, was der Prinz getan hatte, um Narcos zum sofortigen Handeln zu zwingen. Zum Beispiel alle Handelsverträge mit Crinaee gekündigt, auf Geheiß ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Lillianna Callahan. Das war dann wohl ich.

»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, wandte ich mich an Malik. »Hat er gesagt wann?«

Er nickte, einen finsteren Ausdruck auf dem Gesicht. »Sofort.« Ah, Drake. Gut gemacht.

»Mir gefällt das nicht«, murmelte Nick.

»Ausnahmsweise stimme ich dir zu.« Nachdenklich musterte Lucan mich. »Warum Crinaee?«

»Warum was? Ich habe die Einladung nicht ausgesprochen, das war Narcos. Ich finde nur, wir sollten die Chance nutzen und uns vor Ort mal ein wenig umsehen.«

Umsehen, hm?

Meinen Gesichtsausdruck und meinen Herzschlag kontrollierend nickte ich.

Warum nicht?

»Seit Jahrzehnten ist es Außenstehenden nicht erlaubt, nach Crinaee zu reisen. Narcos ist ein paranoider Mistkerl.« King zuckte mit den massiven Schultern. »Ich finde die Idee nicht schlecht.«

»Wir gehen vollbewaffnet«, mischte Malik sich ein und warf mir einen eindeutigen Blick zu. »Ich bestimme die Anzahl der Männer, die uns begleiten, sowie das Wann und Wo.«

Anscheinend war es an der Zeit, meinen guten Willen zu zeigen, also erklärte ich mich einverstanden.

»Duncan, King und ich werden euch ebenfalls begleiten.«

»Nimm mich mit, Herr.«

Lucans Blick wanderte zu Alex. Alex, der immer häufiger an unseren Essen oder dem Training teilnahm.

»Sorg dafür, dass die anderen hier sind. Alle!«, fügte Lucan scharf hinzu. Sein Tonfall schien nicht nur mich zu überraschen. Auch Nick und Malik warfen Lucan einen irritierten Blick zu. Gab es etwa Ärger im Assassinen-Paradies?

»Ich begleite euch«, warf Alina plötzlich ein und alle Augen richteten sich nun auf meine Freundin. Wie eine zarte Blume saß sie neben Nick und faltete artig ihre Hände im Schoß. Aber ihr sanftmütiges Äußeres täuschte. In der Brust meiner Freundin schlug das Herz einer Kämpferin und neuerdings auch das einer angehenden Heilerin. Dennoch war Alina nicht nur untrainiert, sie war auch zu wertvoll.

 

»Auf keinen Fall«, brauste Nick neben ihr auf und ersparte mir so eine Antwort.

»Das hast nicht du zu entscheiden, Nickolas.«

Oh, oh. Wenn Alina meinen Bruder mit vollem Namen ansprach, dann gab es Ärger. Duncan warf mir einen wissenden Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. Der Assassine war verdächtig still geworden, seit Malik den Raum betreten hatte. Während Alina und Nick inbrünstig miteinander diskutierten, konzentrierte ich mich auf Malik.

»Wann gehen wir?«

»In zwei Tagen«, antwortete er und ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Er stockte kurz, als er Duncan erblickte. In seinem nagelneuen, rosa Hemd sah Duncan nicht nur ungewohnt, sondern auch wirklich gut aus.

»Wir, äh«, Malik räusperte sich, »in zwei Tagen«, wiederholte er und verabschiedete sich mit einem steifen Nicken. Zwei Tage. Innerlich jubelnd schaute ich zu Olli. Mein Freund nickte kaum merklich. Er würde Magister Scio benachrichtigen und ich, ich würde mich auf meine ganz eigene, geheime Mission vorbereiten.