Von Flammen & Verrat

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Ich atmete tief durch und nickte.

»Es ist nicht zu spät, alles abzublasen, Lilly.«

»Nein!«

Die Mission war wichtiger als meine Zweifel oder meine schwachen Nerven. Ich würde das hier durchziehen.

»Ich bin bereit.«

Olli erwiderte meinen Blick grimmig. »Dann komm. Ich begleite dich zum Portal. Den Zauber habe ich dabei.«

Gemeinsam schlichen wir wie zwei Gangster durch das leere Haus. Am Waldrand angekommen drehte Olli sich zu mir um.

»Ich bewundere dich für deine Courage und deine Vision, Prinzessin. Vergiss das nie. Und vergiss nie, wofür du das alles machst, okay?«

Lächelnd umarmte ich meinen Freund rasch, ehe ich durch das Portal stieg. Genau diese Worte hatte ich hören müssen, dachte ich, und kämpfte gegen die mir mittlerweile bekannte Übelkeit an. Es wurde besser, ja, aber langsam. Ohne Lucans Zauberkraut konzentrierte ich mich für einen Moment lediglich auf meine Atmung, während ich ein paar Schritte durch den Wald lief, immer in Richtung Fenrys.

Es dauerte nicht lange, bis man mich entdeckte. So akribisch, wie die Grenzen überwacht wurden, war dies kein Wunder. Jeder Funken fremder Magie wurde augenblicklich registriert. So war es bei uns und so war es auch in Vesteria, Thaumas oder den anderen Welten. Langsamen Schrittes ging ich auf die großen Steintore von Fenrys zu. Die Tore waren offen, dennoch wusste ich, dass man mich nicht so einfach passieren lassen würde. Binnen weniger Sekunden eilten zwei alarmiert aussehende Wachen auf mich zu.

»Gebt Euch zu erkennen, Fremder.«

Und genau deswegen hatte ich auf einen Verhüllungszauber verzichtet. Es war wichtig, vielleicht lebenswichtig, dass man mich erkannte. In einer flüssigen Bewegung nahm ich die Kapuze vom Kopf und enthüllte sowohl meine hellen, silbrig schimmernden Haare als auch meine ungewöhnlichen Augen. Und das verfluchte Flügeldiadem, das ich, einer Eingebung folgend, aufgesetzt hatte.

»Ich bin Lillianna Callahan, Prinzessin Alliandoans und der sieben Welten, und ich bin hier, um Drake Careus zu sprechen.«

Die Männer vor mir wichen erstaunt zurück.

»Eure Hoheit«, verbeugten sie sich sofort, »wo sind Eure Wachen? Reist Ihr alleine?«

Der Mann vor mir sah mich schockiert an. Sein pikierter Gesichtsausdruck erinnerte mich so sehr an Malik, dass ich mir ein Lächeln nur mit Mühe verkneifen konnte.

»Es ist wichtig«, beharrte ich, »bringt mich zu eurem Prinzen.«

»Natürlich, Hoheit. Bitte folgt uns.«


KAPITEL 5

Begleitet von den Wachen blieb mein Erscheinen in Vesteria nicht ganz so unentdeckt, wie ich gehofft hatte, und ich betete, dass Lucan zumindest seine Fake-Mission beenden konnte, ehe er Wind davon bekam, wo genau ich mich herumtrieb. Ich lächelte den erstaunt dreinblickenden Formwandlern in Fenrys freundlich zu, während ich den Wachen durch den Höhleneingang in Drakes Palast folgte. Die ululas umschwärmten mich sogleich. Nahezu erfreut, dass ich sie wieder besuchte. Allerdings hatte ich diesmal keine Zeit, die kleinen Geisterwesen zu bewundern. Drake wartete bereits im Innenhof des Palastes auf uns.

»Lilly!« Aufgeregt eilte er auf mich zu. »Ist etwas passiert? Wieso reist du alleine? Weißt du nicht, wie gefährlich das ist?«

Und ob ich das wusste. Aber ich war gut bewaffnet und ausgebildet, auch wenn meine Magie noch nicht so wollte wie ich.

»Drake«, begrüßte ich den Prinzen lächelnd und trat in seine Umarmung. »Es ist schön, dich zu sehen.«

»Es ist noch schöner, dich zu sehen, Prinzessin, aber etwas sagt mir, dass du nicht hier bist, um mein Angebot einer Vereinigung zwischen uns anzunehmen.«

Lachend löste ich mich von ihm. »Nein.«

»Schade.« Er grinste mich jungenhaft an. »Aber wie ich hörte, warst du fleißig, seit du mich zuletzt besucht hast.«

Er griff nach meiner Hand. »Komm, lass uns reden.«

Drake führte mich erneut auf den Balkon mit der atemberaubenden Aussicht. Nun alleine mit dem Prinzen schälte ich mich aus meinem übergroßen, schwarzen Mantel. Anerkennend musterte er meine enge, schwarze Jeans und die figurbetonte, helle Tunika mit den goldfarbenen Applikationen und dem großzügigen Ausschnitt.

»Nettes Outfit.«

»Besser als weiße Seide?«

»Oh definitiv, aber nicht besser als smaragdgrüne Seide.« Er lächelte und wedelte lässig mit dem Handgelenk. Kleine, grüne Funken blitzten auf und ein üppig gedecktes Kaffeeservice erschien direkt vor uns.

»Kaffee?«, fragte er mich galant. »Wir bauen die gleichen Pflanzen wie in Alliandoan an.« Das hatte er mir während unseres gemeinsamen Frühstücks vor einigen Wochen bereits erklärt, daher nickte ich zustimmend. Es war die Geste, die zählte. Drake rief nicht nach Bediensteten, er bewirtete mich selbst.

»Sehr aufmerksam, danke.« Und das war dann wohl mein erster Vertrauensbeweis. Ich griff nach der Tasse, die er mir hinhielt.

Der Prinz stockte kurz. »Keine Tests?«

»Ich vertraue dir.«

In Drakes Augen blitzte es goldfarben auf.

»Das hat schon lange niemand mehr zu mir gesagt.«

»Aber es stimmt.«

Zum Beweis trank ich einen großen Schluck des wirklich köstlichen, schwarzen Kaffees. Als ich die Tasse absetzte, fixierte ich Drake mit ernstem Blick. Da ich noch atmete, schien der Prinz mich nicht tot sehen zu wollen. Eine ehrliche Erleichterung.

»Ich brauche deine Hilfe.«

»Wie kann ich dir helfen?«

Ich holte tief Luft und erklärte Drake meinen Plan. Meinen ganzen Plan, nicht die Fetzen, die ich ihm bei unserer ersten Begegnung entgegengeworfen hatte. Als ich geendet hatte, sah er mich aufrichtig verstört an.

»Das ist Irrsinn.«

»Nein, es ist Fortschritt«, verbesserte ich ihn sanft. Diese Worte hatte ich schon einmal gesprochen und ich wiederholte sie jederzeit gerne. Egal wie oft, denn mit einem gewissen Widerstand hatte ich durchaus gerechnet.

»Narcos gehört nicht auf diesen Thron, Drake. Das weißt du ebenso gut wie ich.«

»Und du weißt, wie gefährlich dein Vorhaben ist«, erwiderte er, sichtlich unter Schock. »Weiß Lucan davon?«

Ich presste meine Lippen aufeinander. Wieso zur Hölle wollte jeder wissen, was Lucan davon hielt? Ich war eine eigenständige Frau, verflucht nochmal.

»Das werte ich als Nein.« Drake atmete hörbar aus. »Du hast dir das gut überlegt?«

»Ja. Scio, Olli und ich haben es durchgesprochen und wir sind uns einig. Es ist der einzige Weg.«

»Magister Scio?«

Ich unterdrückte eine patzige Antwort und nickte. Kannte er etwa noch einen Scio?

»Du hast also bereits mit den Gelehrten darüber gesprochen.«

»Was meinst du, von wem ich den Tipp habe, hm? Ich mag in den letzten Wochen viel gelernt haben, aber nicht so viel. Die Gelehrten stehen ab sofort nicht nur unter meinem Schutz und dem Alliandoans, sondern sie unterstützen mein Vorhaben zu einhundert Prozent. Scio ist einer meiner wichtigsten und engagiertesten Berater.«

»Das ist … groß.«

»Groß?« Lachend sah ich Drake an.

»In Ermangelung eines besseren Wortes, ja. Die Gelehrten zurück in die Gesellschaft zu führen, sie nach Alliandoan zu holen und auf ihr Wissen zuzugreifen ist groß, Lilly. Und irrsinnig.«

»Und mutig«, gab ich zu bedenken.

»Mut und Dummheit liegen manchmal sehr nah beieinander. Beides erfordert Courage, das Endergebnis ist nur ein anderes.«

»Dennoch versucht man es. Ich glaube an mein Vorhaben, Drake, ebenso wie ich an die Anderswelt glaube. Und an dich.« Ich griff erneut nach meiner Tasse. »Also, wie entscheidest du dich Drake Careus, Herrscher von Vesteria. Hilfst du mir?«

Er seufzte dramatisch und sah mich an. Dann jedoch breitete sich ein überschwängliches Grinsen auf dem Gesicht des Formwandlers aus.

»Ich helfe dir, Prinzessin Lillianna Callahan, Thronerbin der Anderswelt und Herrscherin von Alliandoan. Meine Königin …«

Erleichterung durchfuhr mich bei seinen Worten.

»… unter einer Bedingung.«

»Die da wäre?«

»Ein Kuss.«

Ich erwiderte Drakes nun feurigen Blick fassungslos.

»Das kann nicht dein Ernst sein.«

»Und ob es das ist. Meine einzige, und wie ich befürchte, letzte Chance dich zu küssen, Hoheit, und deine Meinung zu ändern.«

»Drake, ich …«

»Mehr verlange ich nicht. Für einen Verrat an Narcos und deine Chance, nach Crinaee zu reisen. Ein simpler Kuss.«

Nichts an Drake war simpel. Aber ich sah ihm an, dass er es ernst meinte. Ein Teil von mir wollte es ihm einfach befehlen. Immerhin war ich seine zukünftige Königin und Drake schuldete mir Treue. Diese wollte ich mir jedoch verdienen und sie mir nicht einfach nehmen. Und vielleicht, gestand ich mir ein, ganz vielleicht, war ein kleiner Teil von mir auch neugierig, wie es sich anfühlte, ihn zu küssen. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatte es für mich nur Lucan gegeben. Lucan war der erste Mann gewesen, den ich seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren geküsst hatte und bis jetzt war er auch der einzige.

»Ein Kuss?«

»Ein Kuss.«

»Also gut.«

Ich nickte bestätigend.

Drakes Augen blitzten auf und mit einer eindeutigen Geste lehnte er sich näher zu mir. Ein nervöses Flattern ging durch meinen Magen und ich erinnerte mich daran, dass ich Lucan damit nicht betrügen würde. Wir waren nicht vereint. Wir waren kein Paar. Dennoch fühlte es sich seltsam falsch an, als Drake sich weiter vorlehnte und mich, eine Hand an meinem Hinterkopf, sanft an sich zog.

 

Unsere Lippen berührten sich, erst zaghaft und dann forscher. Es war ein angenehmer Kuss. Entschlossen, aber zärtlich und ich spürte, dass Drake es ernst meinte. Er wollte mich küssen und schuldete ich es ihm dann nicht, wenigstens gedanklich voll dabei zu sein?

Wie von selbst schlossen sich meine Augen und ich gab nach. Drake gab ein zustimmendes Stöhnen von sich und zog mich noch dichter. Seine Zungenspitze schnellte vor und berührte spielerisch die meine. Der Formwandler war ein hervorragender Küsser, aber ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes erwartet. Mit Sicherheit hatte er eine Menge Übung. Nach einer Weile lösten wir uns voneinander und mit leicht geröteten Wangen begegnete ich dem hungrigen Blick aus Drakes jetzt komplett bernsteinfarbenen Augen. Macht vibrierte zwischen uns und Magie knisterte in der Luft. Drakes Magie, erkannte ich, und wandte leicht verlegen den Blick ab. So angenehm der Kuss auch gewesen war, er hatte nichts in mir ausgelöst. Keine Funken, keine Leidenschaft und erst recht keine Magie. Verglichen mit dem Chaos, das Lucans und mein Kuss in Aflys ausgelöst hatte, war es beinahe enttäuschend. Und offensichtlich empfand nicht nur ich so. Drake ließ meinen Kopf los und lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl zurück.

»Verdammt, Lilly.«

»Es tut mir leid«, flüsterte ich und meinte es auch so. Mein Leben wäre um einiges leichter, wenn ich für Drake das empfinden würde, was der Formwandler-Prinz offensichtlich mir gegenüber empfand oder empfinden wollte.

»Dir muss nichts leidtun. Du suchst dir deine Gefühle ja auch nicht aus und das Herz liebt, wen es nun mal liebt, nicht wahr?«

Als ich nichts erwiderte, fluchte Drake leise. »So weit ist es zwischen euch also schon?«

»Drake …«

»Schon gut.«

Abwehrend hob er beide Hände und schenkte mir ein gequältes Lächeln. Gern hätte ich ihm die ganze Wahrheit gesagt, aber niemand außerhalb meiner eigenen vier Wände sollte wissen, dass ich Lucans Gefährtin war. Dieses Wissen war viel zu sensibel, um damit hausieren zu gehen. Auch wenn ich Drake nach heute wirklich zu vertrauen begann.

»Du wirst sie finden, deine Gefährtin, eines Tages, Drake, aber ich bin es leider nicht.«

»Ich weiß.«

Grüne Funken seiner Magie explodierten um uns herum und auf dem Tisch vor uns erschienen zwei Schnapsgläser mit einer mir gut bekannten Flüssigkeit.

»Rhys?«

»Ich brauche gerade etwas Stärkeres als Kaffee.« Er hielt mir eins der Gläser hin.

»Trinkst du mit mir?«

»Worauf?«

»Selbsterkenntnis?«

Ich schnappte mir eins der Gläser und lachte leise auf.

»Lass uns lieber auf Freundschaft trinken, okay?«

Das letzte Mal, als ich auf die Selbsterkenntnis getrunken hatte, war der Moment gewesen, in dem ich mich unwiderruflich in Lucan verliebt hatte. Unpassender ging es dann nicht mehr. Drake seufzte und stieß mit seinem Glas gegen meins.

»Freunde«, erwiderte er und kippte den Rhys herunter. Ich zögerte kurz, denn immerhin war mein letztes Rhys-Erlebnis nicht allzu lange her, dann jedoch folgte ich seinem Beispiel und trank das brennende Zeug in einem Zug. Unendlich froh darüber, dass er mir half und dass wir Freunde waren, aber auch ein wenig traurig. Drake war ein guter Mann, ich mochte es nicht, ihn leiden zu sehen. Wegen mir.

»Mach dir um mich keine Sorgen, Prinzessin. Ich komme klar. Bin ich immer, werde ich immer.«

Alleine. Er sagte es nicht, aber ich hörte das Wort deutlich.

»Du bist nicht alleine, Drake. Du hast mich. Wir sind Freunde und ich bin für dich da. Du bist immer willkommen in meinem Haus, in meinem Leben und auch in meinem Palast in Arcadia.«

»Danke.«

Abwesend griff er nach meiner Hand und küsste sie. »Die Anderswelt hat lange auf jemanden wie dich gewartet, Liebes.«

Ich zuckte bei dem Kosenamen unwillkürlich zusammen. So hatte Lucan mich auch genannt, bei unserem Gespräch über Elisa. An jenem Tag, als ich herausfand, wer ich für ihn war. Auch wenn es irrational war, so fühlte sich mein Besuch hier immer mehr wie ein Verrat an dem Assassinen-König an.

»Ich sollte jetzt gehen.«

Drake, Gentleman der er war, begleitete mich in den Innenhof seines Palasts und sah dabei zu, wie ich das Portal mit Hilfe des kleinen Runensteins erneut öffnete.

»Ich überlege mir etwas wegen Crinaee. Du wirst zeitnah von Narcos hören, das verspreche ich dir. Ach, und Lilly?«

»Ja?«

»Vielleicht fragst du Magister Scio bei Gelegenheit, ob er bereit wäre, uns in Vesteria zu helfen, ich … ich würde gerne die Sklavenverträge mit Permata auflösen.«

Oh, Drake.

»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete ich ernst. Dann bedankte ich mich bei ihm und verabschiedete mich mit einer letzten Umarmung.

»Lucan ist ein verdammt glücklicher Bastard. Ich hoffe, er weiß es zu schätzen.«

Nicht mal im Ansatz, aber das musste Drake ja nicht wissen.

»Mach‘s gut, Drake.«

»Gib auf dich Acht, Prinzessin.«

Mit gemischten Gefühlen trat ich durch das Portal zurück in meine eigene Welt. Ich hatte erreicht, was ich wollte. Sogar noch mehr, bedachte man, Drakes letzten Kommentar zu Permata.

Wieso, fragte ich mich, fühlte ich mich dann so mies?

Genauso lautlos wie ich verschwunden war, betrat ich unser Haus in der Welt der Sterblichen und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in die Küche. Ich konnte es kaum erwarten, Olli von meinem Gespräch mit Drake zu erzählen. Er würde ganz aus dem Häuschen sein!

Für sage und schreibe zehn Minuten waren wir alleine und ich hatte meine Erzählung soeben beendet, als Nick durch die Tür stürmte und sie geräuschvoll hinter sich zuknallte.

»Mir fehlen die Worte!«, donnerte er und trat drohend auf Olli und mich zu.

»Hast du eine Ahnung, was ich die letzte Stunde durchgemacht habe? Ganz zu schweigen von Malik! Ich weiß, ich habe geschworen, dir mehr Raum zu geben, aber das? Das war nicht Teil der Abmachung! Nach allem, was du bis jetzt gelernt hast, Lilly! Wie kannst du so dumm sein? So fahrlässig mit deiner eigenen Sicherheit? Wie?«

So wütend hatte ich meinen Bruder noch nie erlebt. Nicht mal, als wir blutüberströmt aus Vesteria zurückgekommen waren oder ich meine Magie gegen Minister Laurenti eingesetzt hatte. Aber ich konnte seine Wut durchaus verstehen und ich war darauf vorbereitet. Ich würde nicht zulassen, dass der heutige Tag einen Rückschritt für uns bedeutete.

»Es tut mir leid.«

»Wie kannst du … warte, was?«

»Es tut mir leid«, wiederholte ich leise, »ich weiß, dass du dir Sorgen gemacht hast, Nick, aber ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen und das musste ich alleine tun.«

»Alina und Olli wussten davon!«

»Und Duncan«, fügte Olli wenig hilfreich hinzu.

»Warum?«

»Ich wusste, dass du versuchen würdest mich aufzuhalten.«

»Zu Recht!«

»Wahrscheinlich, ja, aber dennoch musste es getan werden.«

»Vertrau deiner Schwester, Nick.«

Nick warf uns einen ungläubigen Blick zu. »Ich schwöre, manchmal macht ihr beiden mir Angst.«

»Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach ich ihm, die Finger hinter meinem Rücken überkreuzt. Natürlich konnte ich so etwas nicht wirklich versprechen. Ich würde alles tun, was nötig war, um mein Ziel zu erreichen.

»Woher weißt du es?«, fragte ich ihn interessiert.

»Alina ist eingeknickt«, antwortete er beiläufig. Ah. Alina war also unsere undichte Stelle. Allerdings konnte ich es meiner besten Freundin nicht verübeln. Sie liebte meinen Bruder seit einer halben Ewigkeit. Ich verstand, warum sie ihn nicht hatte anlügen wollen.

»Weiß Lucan es?«

»Nein.«

Nick musterte mich wenig begeistert.

»Dann solltest du duschen, und zwar gründlich. Ansonsten haben wir es gleich mit einem rasenden Assassinen zu tun. Du stinkst meilenweit nach Vesteria und Drake Careus.«

»Ich dachte, du glaubst nicht daran, dass zwischen Lucan und mir etwas sein könnte?«

»Glauben, hoffen, keine Ahnung.« Mein Bruder zuckte mit den Schultern. »Aber eins weiß ich, ich habe absolut keine Lust, diese Theorie mit einem Krieger wie Lucan Vale zu testen. Also gehst du besser.«

Nicks Worte waren harsch, aber ich hatte sie verdient. Immerhin hatte ich ihn belogen. Und ich hielt gewisse Dinge vor ihm geheim. Ebenso wie Olli. Der warf mir einen raschen Blick zu, den ich nur allzu gut selber kannte. Zweifel, Notwendigkeit und eine grimmige Entschlossenheit standen dem Engel ins Gesicht geschrieben. Es war ja nicht so, dass es uns Spaß machte, unser Umfeld im Dunkeln zu lassen oder zu belügen. Aber Scio hatte mir geraten, so wenig Leute wie möglich in meine Pläne einzuweihen. Die Anderswelt war ein gefährlicher Ort. Das war Fakt. Also taten wir gut daran, extra vorsichtig zu sein.

»Willst du nicht wissen, warum ich in Vesteria war?«

»Nein. Ich versuche, mein Versprechen dir gegenüber zu halten und habe Vertrauen. Auch, wenn ich dich im Moment nur anschreien möchte.«

»Ich liebe dich, Nick. Das weißt du, oder?«

Mein Bruder seufzte. »Ich weiß.« Er drückte mich kurz und fest an sich. »Ich liebe dich auch, Schwester. Aber jetzt geh duschen. Du riechst nach Tier.«


KAPITEL 6

Ein wenig erleichtertet verabschiedete ich mich und schlich mich möglichst lautlos in den ersten Stock hinauf zu meiner Suite. Ich schlüpfte durch die Tür und atmete auf. Keine Spur von Lucan, King oder den anderen. Der Balance sei Dank. Lächelnd drehte ich mich um und erstarrte mitten in der Bewegung.

»Hast du ernsthaft geglaubt, ich merke es nicht?«, fragte Lucan und ein Schatten huschte über das Gesicht des Assassinen.

Betrug.

Innerlich fluchend trat ich mit wild klopfendem Herzen näher. Lucan sah … betrogen aus. Verletzt. Wütend.

»Ich …«

»Hast du ernsthaft geglaubt«, wiederholte er, »dass ich es nicht spüren würde, wenn du diese Welt verlässt? Wenn du durch ein Portal reist?« Sein massiver Körper erhob sich von meinem Bett. »In der Sekunde, in der ich es fühlte, kam ich zurück. Und stell dir meine Überraschung vor«, scherzte er humorlos, »als mein eigener Sohn mich darüber aufklärte, wo genau du bist. Alleine. Ohne Wachen. Ohne Magie und ohne mich

»Lucan, ich …«

»Und warum«, unterbrach er mich erneut mit vor Aggression blitzenden Augen, »riecht jeder Zentimeter meiner Gefährtin nach Drake Careus, frage ich dich?«

Wut mischte sich bei seinen letzten Worten in meine eigenen, aufgewühlten Gefühle.

»Jetzt bin ich auf einmal wieder deine Gefährtin?«

»Lenk nicht vom Thema ab, Lilly!«

»Ich lenke nicht ab!«, rief ich, nicht weniger aufgebracht. »Aber ich bin immer nur dann deine Gefährtin, wenn es dir einen Vorteil verschafft. Oder wenn ich etwas mache, das dir missfällt. Und sonst? Wie hast du mich doch so charmant bezeichnet? Als Bürde? Ballast? Vielleicht kannst du dich mal entscheiden, Lucan. So langsam komme ich nicht mehr mit.«

Dieses verfluchte Alpha-Gehabe würde ich ihm nicht durchgehen lassen. Nicht, wenn er jedes Mal danach wieder einen Rückzieher machte. Ein weiterer Schatten tanzte über das harte Gesicht des Assassinen und ich erkannte, dass er kurz davor war, die Kontrolle über sein wahres Ich zu verlieren.

Für mich kein Problem, immerhin liebte ich seine wahre Gestalt. Die komplett transformierten, schwarzen Augen und die hohen, scharfen Wangenknochen. Ganz zu schweigen von den angedeuteten Fangzähnen, die Lucan als Herrscher der Assassinen wuchsen. Seine wahre Gestalt war furchteinflößend und wunderschön.

Lucans Nasenflügel bebten.

»Von einem Bett ins nächste, hm? Ist es das, was du willst, Prinzessin?«

»Sei nicht albern, Lucan!«

»Und warum rieche ich ihn dann überall an dir?«

Ich atmete tief durch, ehe ich mit der Wahrheit rausrückte. »Weil Drake mich geküsst hat.«

»Und du hast ihn gelassen?«

»Ja.«

Wütend wandte Lucan sich ab und ballte die Hände zu Fäusten.

»Aber ich kann es dir erklären, ich …«

»Bleib wo du bist, Prinzessin!« Mit einem Ausdruck in den Augen, den ich nicht deuten konnte, sah Lucan auf mich herab. »Ich kann nicht garantieren, was passiert, wenn du mich berührst.«

 

»Lucan, das ist albern. Du weißt, was ich für dich empfinde!«

»Weiß ich das, Prinzessin?«

»Oh nein, komm mir nicht so!« Trotz seiner Warnung trat ich näher. »Komm mir jetzt nicht mit diesem Gegenfragen-Scheiß, nur weil du einmal in deinem Leben mit Gefühlen konfrontiert wirst.«

»Einmal in meinem Leben? Ich bin verdammt nochmal mehrere Jahrhunderte alt, Lilly. Du bist hier das Baby, nicht ich.«

»Dann benimm dich auch so!«

Schwer atmend standen wir uns gegenüber und ich erkannte in Lucans Gesichtsausdruck genau das, was ich hatte vermeiden wollen. Der Assassine war verletzt. Damit war er nach Drake und Nick heute der dritte Mann, der wegen mir litt. Oder der vierte, zählte man Malik mit.

»Ich kann es dir erklären, Lucan. Wenn du mir einfach mal zwei Sekunden zuhören würdest. Es war wichtig …«

»Spar dir deine Erklärungen, Prinzessin, ich will sie nicht hören.« Ohne mich noch einmal anzusehen oder mich gar zu berühren, stakste Lucan wütend an mir vorbei.

»Lucan!«

Ich zuckte zusammen, als die Tür geräuschvoll ins Schloss fiel. Immer noch schwer atmend stand ich alleine in meinem Zimmer und versuchte den heutigen Tag zu verarbeiten. Ich hatte meinen Bruder und meine Freunde angelogen. Ich hatte mich in Gefahr begeben. Einen Mann geküsst, den ich nicht liebte, und damit den Mann verletzt, den ich liebte. Und das alles wofür? War mein Plan all das wert? Ja. Absolut. Das änderte allerdings nichts daran, wie beschissen ich mich gerade fühlte. Meine Tür öffnete sich leise quietschend und Duncan schlüpfte hindurch.

»Hi.«

In dem Moment, in dem ich meinen Freund sah, verschob sich etwas in mir. Die Wut war komplett verschwunden und an ihre Stelle traten Erschöpfung und Verzweiflung. Ein unterdrücktes Schluchzen entfuhr mir und Duncan war sofort an meiner Seite. Kommentarlos zog er mich in seine starken Arme und wiegte mich sanft hin und her, während ich mir einen Moment der Schwäche gönnte.

»Es ist okay«, flüsterte Duncan mir zu, »lass einfach alles raus, Liebling.«

Und das tat ich. Nachdem die Tränen einmal begonnen hatten zu fließen, gab es kein Halten mehr.

»Hast du … hast du uns gehört?«, schniefte ich und vergrub mein Gesicht an Duncans breiter Brust.

»War nicht zu überhören.«

»Tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe.« Duncan seufzte und schob mich ein Stück von sich.

»Er wird sich wieder beruhigen. Mach dir keinen Kopf um mich. Aber …«, er musterte mich aufmerksam, »warum hast du Drake geküsst, Lilly? Ich weiß, wie du für Lucan empfindest, also … warum?«

»Es war seine Bedingung«, flüsterte ich leise.

»Seine Bedingung, dir zu helfen, war ein Kuss?« Ich nickte zustimmend.

»Dann ist er entweder sehr klug oder sehr dumm.«

»Er weiß, was ich für Lucan empfinde. Er hat gesagt er …«, ich hickste leicht, »er wollte seine einzige Chance ergreifen, mich zu küssen. Wenigstens einmal.«

»Dieser Bastard.«

Ein Bastard war Drake nicht, aber ich war zu müde um Duncan zu verbessern. Und ich würde einen Teufel tun, Drake nach dem heutigen Tag vor Duncan zu verteidigen. Immerhin hatte mein Freund meinetwegen Stress mit seinem Ziehvater und König. Egal was ich sagte, Duncan würde es nicht verstehen. In seinen Augen war ich Lucans Gefährtin und damit seine zukünftige Königin. Basta.

»Aber es … es ist immer noch Lucan, oder?« Duncan räusperte sich. »Also für dich?«

Ich stockte. Aufrichtig irritiert. »Immer.«

»Gut.«

Dass er mich das überhaupt fragte, schockierte mich über alle Maßen. Wenn Duncan an mir zweifelte, was ging dann gerade in Lucans Kopf vor sich?

»Was glaubst du denn, warum ich hier heulend rumsitze?« Wütend auf mich selbst wischte ich mir über die nassen Wangen.

»Du wirst auch das durchstehen, Prinzessin.«

»Wieso bist du dir da so sicher?«

»Weil das Feuer in dir stärker ist als das Feuer, das um dich herum brennt.«

»Duncan, ich«, gerührt schnüffelte ich leise, »ich weiß nicht was ich sagen soll.«

Solch wunderschöne Worte. Sprachlos erwiderte ich den Blick aus seinen blauen Augen. Wie konnte er bloß so viel Vertrauen in mich haben, so sehr an mich glauben?

»Manchmal verstehen die Leute um uns herum unsere Reise nicht«, erklärte Duncan und strich mir sanft über die Wange, »aber das ist okay. Es ist deine Reise, Lilly. Nicht ihre.«

»Wann bist du so weise geworden?«, neckte ich ihn, nun wieder lächelnd.

»Irgendwann in den letzten zwei Stunden, in denen Lucan mich ununterbrochen angeschrien hat. Oder vielleicht in Permata, als er lächerlicherweise gedroht hat, mich zu enterben und umzubringen, um mich danach irgendwo zu verscharren, wo mich niemand findet.«

Ich zuckte schuldbewusst zusammen. »So schlimm?«

»Es ist nicht das erste Mal, dass Lucan und ich uns streiten, Lilly.« Er zwinkerte mir fröhlich zu. »Immerhin war ich mal ein Teenager.«

»Ich danke dir. Für alles.«

In dieser Nacht lag ich noch lange wach und grübelte über Duncans Worte. Es war meine Reise, ja, aber sie betraf so viele Personen. Ganze Königreiche. Die Verantwortung auf meinen Schultern war enorm. Ich konnte es mir nicht erlauben, auch noch meine Freunde und Familie gegen mich aufzubringen. Wenigstens hatte ich geduscht, dachte ich seufzend und drehte mich, nicht zum ersten Mal in dieser Nacht, unruhig auf die andere Seite.

Nachdem ich meine Haut geschrubbt hatte, bis sie leicht gerötet und wohlduftend war, hatte ich gemeinsam mit Alina in meiner Suite gegessen und war dann direkt ins Bett gegangen. Sie hatte sich unnötigerweise dafür entschuldigen wollen, dass sie Nick nicht länger hatte ablenken können. Wenn jemand jedoch Verständnis dafür hatte, dann war ich das. Ein Geräusch ließ mich herumfahren und ich wollte mich gerade lautstark darüber beschweren, dass hier niemand mehr anklopfte, als ich spürte, wer sich da gerade im Dunkeln in mein Zimmer schlich. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und hielt den Atem an.

Ohne ein Wort von sich zu geben, hob Lucan meine Bettdecke geräuschlos an und ließ sich neben mir auf die weiche Matratze gleiten. Mein Herz begann augenblicklich, schneller zu schlagen und in der anonymen Stille der Dunkelheit hörte ich, wie mein Atem sich beschleunigte, lauter wurde. Bevor ich überhaupt reagieren, geschweige denn etwas sagen konnte, war er bereits über mir. Lediglich mit einer tiefsitzenden Jogginghose bekleidet spürte ich wie jeder Zentimeter von Lucans nackter, mehr als definierter Brust sich gegen meinen Oberkörper presste. Sofort liefen meine Nervenenden auf Hochtouren und das Blut begann schneller durch meine Adern zu rauschen. Das war es, was ich in Drakes Armen vermisst hatte. Die Leidenschaft, die Hingabe und die Kompromisslosigkeit waren es, die mir gefehlt hatten. Lucans starke Unterarme stützten sich links und rechts neben meinem Kopf ab und ich atmete seinen einmaligen Geruch aus Mann und Magie ein, der so absolut Lucan war, dass mein Herz zu singen begann. Noch immer stumm, senkte er den Kopf, bis seine Lippen federleicht meinen Hals berührten.

War es das, was du gefühlt hast, als er dich berührt hat?

»Nein, ich …«

Er biss mir spielerisch in den Hals.

»Ahh.« Stöhnend hob mein Körper sich leicht von der Matratze und ich legte meine Hände auf Lucans muskulösen Rücken. Sanft streichelte ich die definierten Muskelstränge und genoss das Gefühl, unter diesem tödlichen Krieger begraben zu sein, in vollen Zügen.

War es das, was du gefühlt hast, als er dich küsste? Lucans Lippen strichen hauchzart über meine. Niemals.

Instinktiv zog ich ihn noch dichter an mich und diesmal küsste er mich richtig. Von Gefühlen überwältig, gab ich mich den Emotionen, die Lucan in mir auslöste, komplett hin. Seine Zunge schnellte vor und begann einen sinnlichen Tanz mit meiner, während eine seiner Hände meinen Hals hinunter wanderte und sich dann schwer und absolut köstlich auf eine meiner Brüste legte.

In einem winzigen Teil meines Hirns, der nicht von Lust vernebelt war, registrierte ich, dass wir noch nie zuvor so weit gegangen waren. Wir hatten uns geküsst, ja, aber wir waren noch nie so … körperlich geworden. Lucan schien das jedoch nicht im Geringsten zu stören. Seine Finger begannen geschickt, meine Brüste zu reizen und ich stöhnte verlangend auf. Tief in mir erwachte meine Magie träge zum Leben. Ganz so, als hätte ich ihr zugerufen: Hey, unser Gefährte ist hier zum Spielen. Und spielen wollte er, das verriet mir seine Erregung, die sich gegen meinen Bauch presste, deutlich. Heilige Balance, wie gern wollte ich mitspielen. In diesem Moment wollte ich nichts sehnlicher, als dem Verlangen nachgeben und mit Lucan schlafen. Dem Warten endlich ein Ende setzen. Aber es gab zu viel Unausgesprochenes zwischen uns. Zu viele Probleme. Zu viel Frustration. Und dann noch unser Streit …