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Zuckerzusatz: Der Ruin des Gehirns

Zuckerzusatz gehört zu den größten Übeln unseres modernen Nahrungsmittelangebots. Von der Natur dafür vorgesehen, in geringen Mengen in Form kompletter Früchte konsumiert zu werden, in denen er zusammen mit Ballaststoffen, Wasser und Nährstoffen auftritt, wurde Zucker zum allgegenwärtigen Zusatz abgepackter Lebensmittel und gesüßter Getränke. Heute muss auf Lebensmittelverpackungen in den USA endlich angegeben werden, welche Menge Zucker dem Produkt zugefügt wurde – noch nicht die perfekte Lösung, aber immerhin schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Ganz gleich, ob es sich bei dem Zucker um Rohrohrzucker, Reismalz oder den Liebling der Lebensmittelindustrie – Fruktose-Glukose-Sirup – handelt, eines ist klar: die sicherste Menge Zuckerzusatz ist null.

Eine der Gefahren des Zuckerkonsums ist, dass dadurch das Genusszentrum des Gehirns in Geiselhaft gelangen kann. Abgepackte Lebensmittel mit Zuckerzusatz schmecken in der Regel „unglaublich köstlich“ und sorgen für einen massiven rapiden Anstieg der Werte von Dopamin, einem Neurotransmitter, der beim Gefühl der Belohnung eine Rolle spielt. Leider ist es so, dass je mehr wir konsumieren, umso mehr benötigen wir, um die Genussschwelle zu überschreiten. Hört sich bekannt an? Das sollte es. Die Art und Weise, in der Zucker die Ausschüttung von Dopamin stimuliert, ähnelt dem Konsum illegaler Drogen. Tatsächlich hat sich bei Tierversuchen gezeigt, dass Ratten Zucker dem Kokain vorziehen – und Ratten finden Kokain so richtig gut.

Nagetiere sind alle Es, um einen Begriff von Sigmund Freud zu zitieren, d.h. sie geben ihren Gelüsten nach. Sie tragen keine Verantwortung (zumindest nicht im menschlichen Sinn) und müssen sich auch keine Gedanken darüber machen, ob sie in Badekleidung gut aussehen. Aus diesem Grund spielen Studien an Laborratten eine wichtige Rolle für unser Verständnis davon, wie Lebensmittel – insbesondere Zucker – unser Verhalten beeinflussen. Von den Ratten haben wir z. B. gelernt, dass vor allem Fruktose einen weiteren Konsum dieses Zuckers fördert. Wenn Ratten die gleichen Mengen Kalorien von entweder Fruktose oder Glukose gefüttert wurden, führte Glukose (z. B. Kartoffelstärke) offenbar zu einem Sättigungsgefühl. Fruktose, auf der anderen Seite, führte dazu, dass die Ratten mehr fraßen – sie machte die Tiere irgendwie hungriger. Die Lehre, die sich daraus ziehen lässt, ist, dass Zucker – und vor allem Fruktose – tatsächlich dazu führen kann, dass wir mehr essen als nötig (mehr dazu weiter unten).

Diese Einsicht ist entscheidend, denn wir fühlen uns tendenziell schuldig, nachdem wir uns durch eine ganze Tüte Chips (oder eine Packung Eiscreme oder Kekse) gefuttert haben. Ist Ihnen das schon mal passiert? Mir auch. Was uns niemand verrät, wenn wir zwischen den Supermarktregalen entlanggehen, in denen mit Luft aufgepumpte Tüten des Glücks auf uns warten, ist, dass diese Lebensmittel buchstäblich so konzipiert wurden, um ein unersättliches Überessen auszulösen, entworfen in Laboren von gut bezahlten Lebensmitteltechnikern, damit sie extrem schmackhaft sind. Salz, Zucker, Fett und häufig auch Weizenmehl werden kombiniert, um den Genuss zu maximieren und bringen das Belohnungssystem Ihres Gehirns zu einem künstlichen „Höhepunkt“, der die süchtig machenden Eigenschaften von Betäubungsmitteln simulieren. Erinnern Sie sich noch an den Werbeslogan „Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt“? Diese Phrase hat inzwischen wissenschaftlichen Rückhalt.

Lebensmittel, die darauf abzielen, unser Gehirn zu verwirren


Bagels Kekse Kuchen Frühstücksflocken Cookies mit Milch-/weißer Schokolade Energy-Riegel
Cracker Doughnuts Muffins Nudeln Blätterteiggebäck Torten Müsliriegel
Pizza Salzbrezeln Waffeln Pfannkuchen Weißbrot Milchshakes
Frozen Yogurt Eiscreme Bierteig Bratensauce Marmelade Gummibärchen Pommes Chips Knuspermüsli

Lassen Sie sich nicht von Fruktose verführen

Beelzebub, Satan, Abaddon, Luzifer, der Höllenfürst – ebenso wie der Teufel nimmt Zucker verschiedene Formen an und hat viele Namen. Sukrose, Dextrose, Glukose, Maltose, Laktose – was ist der Unterschied und warum sollte uns das interessieren? Sie alle können den Blutzucker in die Höhe treiben und an den Hormonen herumpfuschen, die Appetit und Fettspeicher kontrollieren. Doch besonders einer war in letzter Zeit im Rampenlicht und vielleicht auch aus gutem Grund, da er sich still und leise in jede Ecke unserer Nahrungswelt geschlichen hat: Fruktose.

FAQ: Mein Lieblings-Softdrink wird jetzt mit echtem/bio/gentechnikfreiem Zucker statt mit Fruktose-Glukose-Sirup hergestellt. Das bedeutet, dass er gesünder ist, oder?

A: Nein! Tafelzucker (bio oder nicht) und Fruktose-Glukose-Sirup bestehen beide etwa aus 50 % Glukose und 50 % Fruktose. Beides ist reiner Zucker und beides kann zu den gleichen Problemen führen: Sucht, Fettspeicherung und beschleunigter Glykation.

Fruktose wird anders verdaut als Glukose, am Blutstrom vorbei springt sie direkt auf den Schnellzug in die Leber auf. Dr. Lustig nennt den einzigartigen Effekt von Fruktose auf unsere Biologie „isokalorisch aber nicht isometabolisch“ (das Präfix iso bedeutet gleich). Das bedeutet, dass Fruktose zwar die gleiche Anzahl Kalorien hat, Gramm für Gramm, wie andere Zucker, sich in Bezug auf unseren Metabolismus aber anders verhält. Sie hebt den Blutzuckerspiegel nicht an und verursacht keinen Anstieg des Insulins – jedenfalls nicht sofort. Lebensmittelhersteller nutzen diesen Unterschied aus, um mit Fruktose gesüßte Produkte an gesundheitsbewusste Kunden und Diabetiker zu verkaufen.

Sobald sie einmal in der Leber ist, induziert Fruktose die sogenannte „Lipogenese“ – buchstäblich die Fettproduktion. Tatsächlich sind alle Kohlenhydrate, wenn sie im Überschuss konsumiert werden, in der Lage, Lipogenese zu stimulieren, Fruktose scheint dabei aber besonders effizient zu sein. Eine in der Fachzeitschrift Obesity publizierte Studie zeigte fast den doppelten Anstieg im Leberfett, wenn gesunde Menschen im Rahmen einer kalorienreichen Diät zusätzlich Fruktose konsumierten, verglichen mit Glukose (113 % vs. 59 %).21

Wenn die Leber durch die Fruktose bis zu ihrer Kapazität mit Fett angefüllt ist, geht dieses in Form von Triglyceriden in den Blutstrom über. Auch Fettkonsum führt zu einem kurzen rapiden Anstieg der Triglyceride nach einer Mahlzeit, doch die durch den Fruktose-Verzehr ausgelöste Lipogenese kann mehr Fett in unseren Blutstrom abladen als selbst die fetthaltigste Mahlzeit – nach einem Snack, der viel Fruktose enthält, gleicht unser Blut aus diesem Grund eher rosa Sahne. Aus diesem Grund werden nüchterne Triglycerid-Werte (die als Marker verwendet werden, um die metabolische Gesundheit und das Risiko von Herzerkrankungen zu bestimmen) beinahe universal durch den Konsum von Kohlenhydraten beeinflusst, insbesondere durch Fruktose.

Während die sofortigen Auswirkungen von Fruktose auf den Blutzucker zu vernachlässigen sind, führt der häufige Konsum schließlich doch zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels, weil der Stress für die Leber zu Entzündungen führt, was die Fähigkeit der Zellen, Glukose aus dem Blut aufzusaugen, beeinträchtigt. Dies könnte eine Anpassung gewesen sein, die uns dabei helfen sollte, Fettspeicher anzulegen, wenn Obst in Saison war, und die nun erklärt, warum der Zuckerkonsum zu den in den Himmel schießenden Quoten von Diabetes Typ 2 passt. (Jetzt ist vermutlich ein guter Zeitpunkt, sich zu fragen, ob von Fruktose dominierte Süßungsmittel, z. B. Agavendicksaft – 90 % Fruktose – tatsächlich eine gute Wahl für gesundheitsbewusste Menschen und Diabetiker sind.)

Zusammengenommen können die Auswirkungen von Fruktose zu einer veränderten Genexpression im Gehirn führen. Im Rahmen einer Studie der UCLA wurde Ratten täglich eine Fruktose-Portion verabreicht, die dem Äquivalent einer Flasche Softdrink entsprach.22 Nach sechs Wochen zeigten die Laborraten typische Anzeichen für geistige Umnachtung: ihre Blutzuckerwerte, Triglyceride und Insulin-Werte eskalierten und ihre Kognition ließ nach. Verglichen mit Mäusen, die nur Wasser bekamen, brauchten Fruktose trinkende Mäuse doppelt so lange, um ihren Weg aus einem Labyrinth zu finden. Was die Wissenschaftler jedoch am meisten überraschte, war die Tatsache, dass fast 1000 Gene in den Gehirnen der Fruktose-Ratten sich veränderten. Dabei handelte es sich nicht etwa um die Gene für süße rosa Näschen und zarte Schnurrhaare … vielmehr waren sie vergleichbar zu Genen, die auch in Menschen zu finden sind und bei denen es Verbindungen zu Parkinson, Depressionen, bipolarer Störung und Ähnlichem gibt. Das Ausmaß der Störung war so bedeutend, dass der leitende Wissenschaftler Fernando Gomez-Pinilla beim Erscheinen der Ergebnisse kommentierte: „Essen ist wie ein pharmazeutisches Präparat, wenn es um seine Auswirkungen auf das Gehirn geht.“ Doch diese Wirksamkeit kann auch in die Gegenrichtung ausschlagen – die negativen Auswirkungen, die Fruktose sowohl auf die Kognition als auch die Genexpression hatte, wurden gedämpft, wenn den Ratten DHA-Omega-3-Fettsäuren verfüttert wurden.

 

Den durch übermäßigen Fruktose-Konsum verursachten Stress für das Gehirn zu vermeiden, könnte für die 5,3 Millionen Amerikaner, die unter einem Schädel-Hirn-Trauma leiden, einen Wendepunkt bedeuten. Eine an Fruktose reiche Diät beeinträchtigte die Plastizität von Rattengehirnen und verringerte dadurch deren Fähigkeit, sich von einem Gehirntrauma zu erholen. Bei Ratten handelt es sich zwar nicht um Menschen, doch beim Schädel-Hirn-Trauma handelt es sich um ein organisches Leiden, das bei Tieren leicht repliziert werden kann – anders als z. B. eine komplexe menschliche Erkrankung, die bei Ratten und Mäusen in der Natur nicht vorkommt.

Menschliche Stopfleber

Fruktose (und Zuckerkonsum im Allgemeinen) trägt maßgeblich zur nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (kurz NAFLD, von engl. nonalcoholic fatty liver disease) bei. Derzeit sind etwa 70 Millionen Menschen in den USA davon betroffen (30 % der Bevölkerung), und man geht davon aus, dass die Zahl der Fälle von NAFLD in den kommenden Jahren explosionsartig ansteigen wird, wenn wir nichts gegen unseren kollektiven Heißhunger auf Süßes tun. In Schätzungen wird projiziert, dass im Jahr 2030 etwa 50 % der US-Bevölkerung von NAFLD betroffen sein werden – und Insulinresistenz, ein Leiden, von dem weltweit eine erschütternde Menge von Menschen betroffen ist, ist direkt proportional zur Schwere dieser Erkrankung. Doch wir sind nicht die einzigen Säugetiere, die eine Epidemie von Fettlebern erleben.

Ähnlich wie wir Menschen, aber in viel größerem Maßstab sind Enten und Gänse in der Lage, einen massiven Überschuss an Kalorien in Form von Fett in ihrer Leber zu speichern. Diese Anpassung erlaubt es ihnen, lange Flugdistanzen zurückzulegen, ohne für die Nahrungsmittelaufnahme stoppen zu müssen und wird von uns Menschen für Foie Gras ausgenutzt, eine französische Delikatesse, die von vielen Feinschmeckern weltweit genossen wird.

Bei Foie Gras handelt es sich um sehr fetthaltige Enten- oder Gänseleber, die für ihre reichhaltige, buttrige Textur geschätzt wird – eine Eigenschaft, für die die Leber dieser Tiere in der Regel nicht bekannt ist. Für die Produktion werden Schläuche in die Hälse gesunder Gänse und Enten gesteckt, durch die den Tieren dann Getreide zwangsweise zugefüttert wird (in der Regel Mais) – daher auch der deutsche Begriff Stopfleber. Da sie deutlich mehr Kohlenhydrate konsumieren, als die Tiere es in der Natur jemals tun würden, schwellen ihre Lebern mit Fett an, zum fast 10-Fachen ihrer Normalgröße. Diese Schwellung kann so extrem sein, dass der Blutfluss beeinträchtigt und der Druck auf das Abdomen verstärkt wird, was die Tiere beim Atmen behindert. Manchmal führt dieser Stress sogar dazu, dass die Leber oder andere Organe brechen bzw. einreißen. Diese grausame und unmenschliche Praxis liefert ein exzellentes – wenn auch extremes – Beispiel dafür, was wir uns als Konsequenz chronischen Zuckerkonsums selbst antun: Fettlebern entwickeln und dabei Foie Gras im Inneren unseres eigenen Körpers produzieren.

Wenn es sich nicht gerade um eine Verabredung zum Abendessen mit Hannibal Lecter handelt, ist es unwahrscheinlich, dass unsere Leber für die Pâté-Produktion geopfert wird, doch das Beherbergen einer verstimmten Leber kann trotzdem viele unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen, da dieses Organ mit Hunderten wichtigen Körperfunktionen betraut ist. NAFLD wurde mit kognitiven Defiziten in Verbindung gebracht, die mit der Schwere der Erkrankung ansteigen. Bei Mäusen, die überfüttert werden, damit sie NAFLD entwickeln, sind Veränderungen am Gehirn zu beobachten, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden, und Mäuse, die bereits mit Alzheimer verbundene Abnormalitäten hatten (kein perfektes Modell für menschliche Alzheimererkrankungen, trotzdem interessant) zeigten verschlimmerte Anzeichen der Erkrankungen und größere Entzündungswerte, wenn ihnen konzentrierte Fruktose verfüttert wurde.23

Während 70 – 80 % der adipösen Individuen unter nichtalkoholischer Fettlebererkrankung leiden, sind auch 10 – 15 % der normalgewichtigen Individuen davon betroffen – „befüttert“ von der Allgegenwart von Zucker und Fruktose. Wie Sie sehen, heißt schlank zu sein noch lange nicht, dass man immun gegen die metabolischen und kognitiven Auswirkungen einer schlechten Ernährung ist.

Terrorist in Darm und Gehirn

Es überrascht nicht, dass der Ausgangspunkt für viele mit Zucker in Verbindung gebrachte Probleme der Darm ist. Besonders Fruktose, ob in Form industriell verarbeiteter süßer Lebensmittel oder exzessiven Fruchtzuckers, beeinträchtigt die eigene Absorption, wenn sie in großen Mengen konsumiert wird. Das könnte sich zwar vage positiv anhören, doch wenn überschüssige Fruktose im Darm zurückbleibt, kann das viele unangenehme Symptome verursachen, von Blähungen und Krämpfen bis zu Durchfall und den Symptomen des Reizdarmsyndroms (RDS). So hart sich das auch anhört, aber eine hohe intestinale Fruktose-Konzentration kann auch die Tryptophan-Absorption stören.24 Bei Tryptophan handelt es sich um eine essenzielle Aminosäure, die wir über die Ernährung aufnehmen müssen, und sie ist der direkte Vorgänger des Neurotransmitters Serotonin, der eine wichtige Rolle für gesunde Gemütsverfassung und exekutive Funktionen spielt. Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass die Malabsorption von Fruktose mit Symptomen von Depression in Verbindung gebracht wird.25

Die Darmschleimhaut ist die kostbare Matrix, über die wir Nährstoffe aus unserem Essen aufnehmen. Sie sorgt auch dafür, dass die gesunden Darmbakterien dort bleiben, wo sie hingehören. Das Letzte, was man will, ist die Darmschleimhaut zu durchlöchern – aber genau dazu scheint konzentrierte Fruktose in der Lage zu sein. Der Fachbegriff dafür ist erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut, d.h. die Darmschleimhaut lässt zu, dass entzündungsfördernde bakterielle Komponenten aus dem Darm in den Blutkreislauf übergehen. Dieses Durchsickern bakterieller Komponenten in das Blut ist einer der Hauptfaktoren für systemische Entzündungen und kann Symptome von Depressionen und Angstzustände auslösen, da es das Immunsystem unseres Gehirns und Körpers in höchste Alarmbereitschaft versetzt (mehr dazu in Kapitel 7).

Es wurde zwar nachgewiesen, dass hohe Fruktose-Konzentrationen aus industriell verarbeiteten Lebensmitteln zur Durchlässigkeit der Darmschleimhaut beitragen, dies scheint aber nicht zu passieren, wenn kleinere Mengen Fruktose in Form frischer, vollwertiger Früchte konsumiert werden. Teilweise ist dies der fibrösen Matrix zu verdanken, in der die Zucker gebunden sind, Wasser und anderen sekundären Pflanzenstoffen. Der Verzehr ganzer Früchte begrenzt sich auch von selbst, da die Ballaststoffe sie sättigender machen. Zum Beispiel wäre es gar nicht so einfach, fünf Äpfel direkt nacheinander zu essen, den Zucker aus fünf entsafteten Äpfeln zu trinken ist hingegen ein Leichtes.

PLAQUE AUF DEN ZÄHNEN (UND IM GEHIRN)

Eine zuckerreiche Ernährung sorgt nicht nur für Plaque-Ablagerungen auf den Zähnen – sondern auch im Gehirn. In dem Versuch, herauszufinden, ob Blutzucker zu einem Anstieg der Produktion von amyloidem Plaque (einem zentralen Merkmal von Alzheimererkrankungen) führt, statteten Wissenschaftler Mäuse, die mit Gentechnik darauf programmiert worden waren, alzheimerähnliche Symptome zu entwickeln, mit sogenannten „Glukose-Clamps“ aus. „Glukose-Clamps” stellen Anschlüsse bereit, die es Wissenschaftlern ermöglichen, den Blutzuckerspiegel von wachen, sich frei bewegenden Tieren zu erhöhen oder zu senken, um zu beobachten, welche Auswirkungen diese Art der Manipulation auf Körper, Gehirn und Verhalten der Versuchstiere hat. Als Nächstes maßen die Wissenschaftler die Werte des Vorgängerproteins für amyloiden Plaque in der Rückenmarksflüssigkeit der Tiere.

Was die Wissenschaftler herausfanden, war faszinierend: Schon indem die Zuckermenge im Blut der Mäuse temporär angehoben wurde, stieg die Amyloid-Produktion dramatisch an.26 Bei jungen Mäusen stieg der Blutzucker innerhalb einer vierstündigen „Offensive“ um das Doppelte an (bei einer Person mit schlechter Glukosekontrolle würde dies durch eine kohlenhydratreiche Ernährung verursacht werden) und in ihrer Rückenmarksflüssigkeit wurde ein 25%iger Anstieg der Amyloid-Beta-Produktion gemessen. Ältere Mäuse waren besonders anfällig – bei der gleichen Blutzuckeroffensive war ein 40%iger Anstieg zu beobachten.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass ein wiederholtes Anschwellen des Blutzuckerspiegels, wie es z. B. typisch für Diabetes Typ 2 ist, die Ansammlung von Plaque sowohl initiieren als auch beschleunigen konnte. Daraus schlossen sie, dass Plaques im Hippocampus, dem Gedächtniszentrum des Gehirns, „wahrscheinlich durch die Glukosewerte im Blut moduliert werden“. Der wichtige Unterschied ist, selbstverständlich, dass das, was in Modellversuchen mit Nagetieren geschieht, nicht immer auch bei Menschen passiert. Ungeachtet dessen bieten Studien wie diese uns immer wichtige Teile in dem Puzzle, das uns verraten könnte, warum höhere Glukosewerte eng mit dem verstärkten Risiko für Demenz in Verbindung zu stehen scheinen, auch bei Menschen, die nicht unter Diabetes leiden.27

Die bittere Wahrheit über süße Früchte

Wie kommt es, dass Zucker, der natürlich in Obst vorkommt, so schlecht von modernen Menschen vertragen wird? Intuitiv macht es keinen Sinn, bis wir daran denken, dass Obst bis vor wenigen Jahrzehnten eher knapp und saisonabhängig war.

Wie bei einem Aufenthalt in einem Casino-Resort in Las Vegas haben wir bei unserer modernen Nahrungsmittelversorgung jeglichen Sinn für Zeit, Ort und Jahreszeiten verloren. Innerhalb einer einzigen Generation haben wir nie zuvor dagewesenen Zugang zu süßen Früchten bekommen. Eine Ananas aus den Tropen, in Mexiko angebaute Beeren und Medjool-Datteln aus Marokko werden regelmäßig eingeflogen und sind das ganze Jahr über in den Auslagen unserer Supermärkte zu finden. Diese Früchte werden so gezüchtet, dass sie größer sind und mehr Zucker enthalten als jemals zuvor.

Häufig hören wir, dass es in Ordnung ist – gesund sogar –, „unbegrenzte“ Mengen Obst zu essen, aus Sicht der Evolution betrachtet (und besonders in Hinsicht auf die heutigen gezüchteten zuckerreichen Versionen) sind die Früchte einzigartig geschickt dabei, den Metabolismus unseres Körpers zu täuschen.28 Es wird theoretisiert, dass dies eine adaptive, zeitlich begrenzte Eigenschaft ist, die uns dabei half, schnell Fett zu speichern, um den Winter überleben zu können. Tatsächlich nimmt man an, dass unsere Vorfahren lernten, zwischen Rot und Grün zu unterscheiden, nur um eine reife, rote Frucht vor einem grünen Hintergrund wahrnehmen zu können – ein evolutionäres Testament des lebensrettenden Wertes von Obst für hungrige Sammler. Heutzutage bereiten 365 Tage Verzehr zuckerreicher Früchte unseren Körper auf einen Winter vor, der nie zu kommen scheint.

Welche Konsequenzen könnte der Verzehr von zu viel Obst auf unser Gehirn haben? Einige große Studien helfen dabei, Licht darauf zu werfen. In einer wurde stärkerer Obstkonsum älterer, kognitiv gesunder Erwachsener mit einem geringeren Volumen ihres Hippocampus in Verbindung gebracht – dem empfindlichen, Erinnerungen bildenden Zentrum des Gehirns.29 Diese Einsicht würde jeden Wissenschaftler verwirren, da Menschen, die mehr Obst essen, sich in der Regel insgesamt gesünder ernähren – mit all den zugehörigen Vorteilen. In einer Studie isolierten die Forscher jedoch verschiedene Ernährungskomponenten und fanden dadurch heraus, dass Obst dem Gedächtniszentrum keinen Gefallen zu tun schien. In einer weiteren Studie der Mayo Clinic wurde eine ähnliche invertierte Beziehung zwischen dem Obstkonsum und dem Volumen des Kortex (der großen, äußeren Gehirnschicht) beobachtet.30 An dieser Studie beteiligte Wissenschaftler bemerkten, dass der Verzehr von viel Obst zu metabolischen Störungen führen kann, ähnlich denen, die durch industriell verarbeitete Kohlenhydrate hervorgerufen werden.

 

ÄRZTLICHER HINWEIS: WANN MAN SICH BEI OBST WIRKLICH ZURÜCKHALTEN MUSS

Die meisten Menschen haben eine große Kohlenhydrattoleranz, doch für Diabetiker ist ganz klar, dass Zucker – selbst natürlicher Fruchtzucker – drastisch eingeschränkt konsumiert werden muss. Ich empfehle meinen diabetischen Patienten, Obst nur in halben Portionsmengen zu konsumieren, denn selbst eine einzige Orange kann den Blutzuckerspiegel noch Stunden nach dem Verzehr auf inakzeptabel hohe Werte treiben. Doch es gibt Hoffnung! Sobald die Insulinempfindlichkeit wiederhergestellt, Bewegung zur Gewohnheit geworden ist und das System Zeit hatte, die Energiebalance und metabolische Flexibilität wiederherzustellen, können natürliche (nicht industriell verarbeitete) Kohlenhydrate wieder in die Ernährung integriert werden.

Allerdings enthält Obst eine Reihe wichtiger Nährstoffe. Zum Glück gehören zuckerarme Früchte zu den konzentriertesten Quellen dieser Nährstoffe. Halten Sie sich an Obst, das höhere Werte natürlicher Antioxidantien und weniger Zucker (besonders Fruktose) enthält. Einige Beispiele sind Kokosnuss, Avocado, Oliven, roher Kakao. Beeren sind auch gut geeignet, da sie nicht nur wenig Fruktose enthalten, sondern auch hohe Mengen bestimmter Antioxidantien, die gedächtnisfördernd wirken und außerdem einen Anti-Aging-Effekt haben. Im Rahmen der sogenannten Nurses’ Health Study, einer Langzeitstudie zu den Ernährungsgewohnheiten von 120000 Krankenschwestern, wurde festgestellt, dass die Gehirne von Studienteilnehmerinnen, die besonders viele Beeren aßen, bei Scans 2,5 Jahre jünger aussahen.31 In einer aktuellen Literaturanalyse konnte zwar keine Verbindung zwischen dem Obstverzehr insgesamt und einem reduzierten Demenzrisiko festgestellt werden, Beeren stellten hier jedoch die einzige Ausnahme dar. Beerenstark!

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