Scooter

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Max Dax

mit Robert Defcon



Bild: Sven Sindt

Rave

H.P. BAXXTER Raven war meine Welt. Wir waren permanent auf Raves unterwegs. Ich hatte einen langweiligen Job und habe immer nur auf das Wochenende gewartet, um dann endlich rausgehen zu können. Es gab so eine Euphorie in der entstehenden Szene. Eine spannende Zeit. Das waren zwei, drei Jahre, die ich um keinen Preis missen möchte, etwa von 1991 bis 1994. Eine Zeit totaler Freiheit. Die größten Hannoveraner Raves fanden in einer riesigen, leer stehenden Halle auf dem Hanomag-Gelände statt. Es war ein magischer Moment, dort anzukommen – Tor 3, Hanomag. Der Bass dröhnte so stark, dass das Dach vibrierte.

H.P. BAXXTER Mein einziger Gedanke war: Ich will da jetzt unbedingt rein! Ich drängte mich so schnell es ging an der Security vorbei in die Halle. Auf diesen Raves waren alle auf Pille. Wir hingegen haben uns bei mir zu Hause zum Vorglühen getroffen. Wohlgemerkt: mit Bier. Angesagt war damals auch roter Genever, so ein Kurzer. Ein süßer Schnaps. Fürchterliches Zeug. Aber so war es. Ich kam dann immer schon beduselt an und dann habe ich stundenlang nur getanzt. Ab und zu habe ich mir ein Bier geholt. Das war die Zeit vor Wodka Red Bull. Wach gehalten haben wir uns mit Koffeintabletten und Unmengen von Lipovitan, einem von der japanischen Firma Taishō Seiyaku lizenzierten Energydrink, der damals nur in Asia-Shops erhältlich war. Lipovitan schmeckt wie Hustensaft. Das Erfolgsrezept von Red Bull war ja, diesem klebrigen Gesöff Kohlensäure hinzuzufügen. Ich fand es besonders gut, erhöht zu stehen, um zu sehen, wie die Menschen ausflippen. Nicht so gequetscht in der Menge. Ich hielt mich darum bei den Balustraden im äußeren Bereich auf, dort, wo auch viele der Engländer standen. Engländer haben einen ganz bestimmten, coolen Tanzstil, ein ganz anderes Rhythmusgefühl, an dem man sofort erkennt, dass es Engländer sind. Ein Höhepunkt dieser Hannoveraner Raves war immer wieder Steve Mason. Wenn der an die Turntables ging und Mystic Man als seinen Freestyle-MC dabei hatte – das war ein schwarzer Hüne mit einer Siebzigerjahresonnenbrille – dann ging es ab. Verdammt cool. Das war ja kein Rap. MC Mystic Man hat Sprüche und Shouts mit gelegentlichen Reimen und Raggamuffin-Einlagen kombiniert. Das kannte man hier gar nicht und das hat den Leuten noch mehr eingeheizt.

RICK J. JORDAN MCing war damals vor allem in der Hannoveraner Raveszene angesagt. Die englischen DJs brachten zu ihren Auftritten oft MCs mit. MCing auf Techno war in England, in Schottland und in Irland ein Riesending. So war es für uns nichts Ungewöhnliches, dass beim Rave ein MC dabei war.

H.P. hatte von Anfang an die Vorstellung von etwas Großem

H.P. BAXXTER Darum habe ich mir überlegt, ebenfalls so etwas zu machen, aber nicht als Freestyle, sondern mit festen Texten. Ich wär am liebsten direkt zu Mason und Mystic Man hinaufgesprungen und hätte mir das Mikro geschnappt. Das war für mich das Ding. Ich wusste: Das ist cool, das will ich auch. Allerdings nicht Freestyle, sondern mit einstudierten Texten. Ich wollte einfach Teil dieser magischen Momente bei den Raves sein, wenn alle schreien, nämlich immer dann, wenn ein Break oder wenn die Hook kommt. So wollte ich das auch machen. Aus dieser Begeisterung sind Scooter entstanden. Ohne jedes Kalkül.

RICK J. JORDAN Ich habe H.P. ein paar Jahre früher, 1986, über eine Kleinanzeige kennengelernt.

H.P. BAXXTER Ich habe in der lokalen Hannoveraner Kleinanzeigenzeitung nach einem Keyboarder gesucht. Und Rick hat damals in der gleichen Ausgabe inseriert: „Keyboarder sucht Sänger.“

RICK J. JORDAN Damals, 1986, gab es ja noch kein Internet, keine E-Mails und auch kein Facebook – diese ganzen Kommunikationsdrähte gab es noch nicht. Man hatte ein Telefon mit Wählscheibe zu Hause. Entsprechend musste man über Schwarze Bretter und Kleinanzeigen kommunizieren.

H.P. BAXXTER Ich weiß gar nicht mehr, wer von uns bei wem angerufen hat.

RICK J. JORDAN

Ich habe angerufen. Und der Typ am anderen Ende der Leitung sagte nur: „Hallo, ich bin H.P.“ Und ich: „Hä? Was?“ Und er: „H.P.“ Na gut, dachte ich, der ist irre, immerhin. Das könnte ja vielleicht klappen.

H.P. BAXXTER Wir haben mit Celebrate the Nun sehr, sehr ernsthaft daran gearbeitet, berühmt zu werden – als ob man das planen könnte, und es hat ja auch nicht geklappt. Acht Jahre haben wir verschwendet, in denen genau gesagt gar nichts passierte.

RICK J. JORDAN Wir dachten: Hannover braucht New Wave, und wir nannten unsere Band Celebrate the Nun. Wir wollten so sein wie das, was Anfang der Achtziger aus England rübergeschwappt kam: New Order, Joy Division, Sisters of Mercy. Doch mit diesem Sound waren wir einfach sechs Jahre zu spät. Was wir anfangs gar nicht bemerkten, denn in Hannover ist man nicht ganz so am Puls der Zeit. Wir fanden es einfach geil und haben losgelegt.

H.P. BAXXTER Meine Schwester war ja auch dabei. Das führte mitunter zu seltsamen Pikanterien. Einmal drehten wir ein Video und der Regisseur schlug allen Ernstes vor, dass meine Schwester und ich wie Liebende agieren sollten.

Liebend gerne wäre ich ein Undergroundpapst geworden, vor dem sich alle in Ehrfurcht verbeugen

RICK J. JORDAN Die Erfahrung mit Celebrate the Nun war aber ganz gut, um das Handwerk zu lernen. Das Musikerhandwerk und das Produzieren – die Livesituationen. Wir hatten auch unsere ersten kleinen Rundfunk- und Fernsehauftritte und konnten uns ein bisschen auf die Situation einstellen. Das war wie eine Art Praktikum.

H.P. BAXXTER Liebend gerne wäre ich ein Undergroundpapst geworden, vor dem sich alle in Ehrfurcht verbeugen. Doch du musst dir misstrauen und dich fragen: Wo liegen deine wirklichen Talente? Was kann ich? Und was kann ich nicht? Denn die Sache war schon durch, wir waren für den Zeitgeist zu spät. Wir waren einfach nicht speziell genug. Mit Scooter klappte es dann wenige Jahre später, weil wir uns an keine Regeln mehr hielten, einfach keine Rücksicht mehr nahmen. Das war wie ein Schalter, den wir umgelegt hatten. Aber mit Celebrate the Nun waren wir Nachzügler.

Wir hatten damals keinen Mentor und auch niemanden, der sich mit dem Geschäft auskannte

RICK J. JORDAN H.P. hatte von Anfang an die Vorstellung von etwas Großem. Wo alle anderen erst mal sagen, wir wollen ein bisschen Musik machen, um im Jugendzentrum zu spielen, da war bei H.P. gleich klar, dass er in die Charts und Vollgas geben wollte. Zwar wussten weder er noch ich damals, wie das gehen soll, aber es war von Anfang an das Ziel. Ich für meinen Teil wusste bereits mit 16 Jahren, dass ich definitiv kein Abitur machen und studieren wollte, weil ich bei Älteren, die zweigleisig fuhren, gesehen hatte, dass die Musik zu kurz kommt – einfach weil zu viele Rücksichten genommen werden mussten. Letztlich wird dann manchmal aus beiden Träumen nichts Wirkliches. Wir erinnern uns an unseren Verteidigungsminister: Aus Zeitmangel die Doktorarbeit abgeschrieben, anschließend als Minister gescheitert.

H.P. BAXXTER

Rick und ich waren sofort auf einer Wellenlänge.

RICK J. JORDAN Wir haben schon bei unserem ersten Treffen gemerkt, dass es einen Draht zwischen uns gibt, der über eine reine Zweckgemeinschaft weit hinausgeht. Dass man einfach Bock hat, zusammen Musik zu machen. So haben H.P. und ich uns im Demostudio eines meiner Kumpels getroffen, weil ich damals selbst kaum richtiges Equipment hatte.

H.P. BAXXTER Bis Anfang der Neunziger waren wir beide Waver. Die Fotos, die es von uns gibt, sprechen Bände.

RICK J. JORDAN Wir hatten damals nur ein kleines Demostudio – aber immerhin. Wenn man Glück hatte, stand auch mal ein Rechner da. Das war ganz anders als heute, wo ja das ganze Studio im Rechner ist. Wir hatten einen Commodore 64, ein paar Midikeyboards und einen Vierspurtaperekorder. Das wars. So haben wir unsere ersten Songs zusammengeschraubt. Irgendwann ergab sich die Möglichkeit, mal in einem großen Tonstudio zuzuschauen und zu sehen, wie man richtig produziert. Wir lernten unter Anleitung von Tontechnikern und Produzenten, unsere Songs professionell selbst zu produzieren. Das war eine viel größere technische Hürde als heute, wo die Kids mit einem Aldi-Rechner und ein paar gecrackten Programmen die gesamte Tontechnik am Start haben. Auch das ganze Know-how, das man heute problemlos als Tutorials aus dem Web herunterladen kann, bekam man damals nur im Tonstudio. Das kostete über 1000 D-Mark am Tag. So schafften wir uns nach und nach das Handwerkszeug drauf, um unsere Musik selbst produzieren zu können.

H.P. BAXXTER Wir hatten damals keinen Mentor und auch niemanden, der sich mit dem Geschäft auskannte. Wir haben immer nur im Keller gehockt, Demos verschickt und gehofft, dass irgendeiner darauf abfährt. Und selbst als wir dann ein Label gefunden hatten, war die Freude von kurzer Dauer. Auch dort hat sich niemand richtig um uns gekümmert. Wie das halt so ist.

Dieser Irre war ich und ich dachte wirklich, ich kann fliegen

RICK J. JORDAN Im Herbst 1991 war die Zusammenarbeit mit H.P. an einem toten Punkt angelangt. Es fehlte der frische Wind. Und so kamen wir überein, nicht mehr weiterzumachen. Privat haben wir uns natürlich weiterhin getroffen. Und das war gut, denn wir gingen gemeinsam auf Raves. Das war schließlich der Wendepunkt. Das war rückblickend eine wichtige Phase. Ich wusste natürlich weiterhin, dass ich Musiker bin und weiter Gas gebe, um etwas auf die Reihe zu kriegen. Natürlich mehr als Produzent hinter den Kulissen. H.P. hingegen wollte Karriere in der Musikvermarktung machen. Ich habe dann mit verschiedenen anderen Leuten gearbeitet, ein bisschen Rock produziert, Balladen. Das hat mich musikalisch unglaublich gelockert und darauf vorbereitet, 1993 mit frischem Elan an die Sache ranzugehen.

 

H.P. BAXXTER Und dann brachten The KLF die zweite Hauptversion von „What Time Is Love?“ raus – mit Sprechgesang, Zuschaueratmo, Drei-Noten-Acid-Bass und dem hochgepitchten Chorus. Diese Nummer hatte eine solche Energie – da gabs nichts anderes in dieser Liga. Die Jungs waren ihrer Zeit einfach weit voraus. Aber die haben das mehr als Kunst und kurzzeitige Inszenierung betrachtet und gar nicht als langfristiges Erfolgsrezept. Für mich stehen The KLF für den entscheidenden Einschnitt in meinem Leben. „What Time Is Love?“ kam völlig unvermittelt. „Kick out the jams, motherfucker!“ – das hatte ja so eine Energie, so etwas hat man vorher in der Musik gar nicht für möglich gehalten! Heavy Metal und Techno und Vollgas und Euphorie und maximaler Druck kamen da in einem Song zusammen. Ich weiß noch, wie wir uns in Hannover immer am Wochenende bei mir zu Hause trafen, die Bierdosen öffneten und diese eine Stunde, bevor wir zum Rave gegangen sind, knüppellaut The KLF hörten. Das war immer Freitagabend und die Nachbarn wussten schon: Jetzt wird es wieder eine Stunde lang laut, jetzt hängt sich dieser Irre wieder aus dem Fenster raus, brüllt sich die Seele aus dem Leib, aber danach gehts wieder. Dieser Irre war ich und ich dachte wirklich, ich kann fliegen. Ab diesem Moment hat mich New Wave nicht mehr interessiert.

RICK J. JORDAN Die Zeit hatte für uns gespielt: 1993 standen die Türen für Bands aus Deutschland richtig weit offen.

H.P. BAXXTER

Das Wichtigste ist, zur richtigen Zeit an die richtigen Leute zu geraten.


Celebrate the Nun. Rick, Britt, H.P. Bild: Oliver Thormann


Celebrate-the-Nun-Poster zur Promotion-CD für das Album „Meanwhile“ (v. l. n. r.: Slin Thompson, Britt, H.P. und Rick). Bild: Westside


Erste professionelle Fotosession für das Celebrate-the-Nun-Album, „Meanwhile“: H.P., Rick und Britt. Bild: Westside


H.P. mit seiner ersten Band, Century. Als 16-jähriger wandelt er auf den Spuren von Ritchie Blackmore. Bild: Carsten Willms


Hyper Hyper

STEFAN BEUTLER Scooter sind aus einer zufälligen Zusammenarbeit entstanden.

JENS THELE Ich arbeitete als DJ und habe im Trinity und anderen angesagten Läden in Hamburg aufgelegt. Irgendwann war ich der Meinung, es sei an der Zeit, jetzt auch mal eine Platte zu machen. Einmal hatte ich es schon probiert, aber die Platte hatte keinerlei Erfolg. Ich habe dann mit H.P. über meine Idee gesprochen und er schlug vor, dass er seinen Freund Rick kontaktieren könnte. Also sind wir in dem beschissenen Panda einer Freundin nach der Arbeit nach Hannover gefahren und haben mit Rick unseren ersten Remix gemacht. Eine Adeva-Nummer – „Respect“. Und dann sind wir nachts wieder zurück und zur Arbeit.

RICK J. JORDAN Als Nächstes kam eine Auftragsproduktion von Edel. Wir sollten ein Stück mit dem Titel „Vallée de Larmes“ nachbauen, weil Edel es im Original nicht lizenziert bekam. Für dieses eine Release suchten wir lange nach einem Projektnamen. Einer sagte „Jahrmarkt“, ein anderer „Schießbude“ – aber das klang alles komisch. Schließlich meinte H.P.: „Scooter“. Wir schauten uns an: Alles klar, das ist gut, das ist catchy, das nehmen wir.

Aber man soll bekanntlich niemals nie sagen!

H.P. BAXXTER Der Name Scooter war naheliegend, weil die Melodie dieses Tracks wie eine Karussellmelodie klang. Wie auf ner Kirmes. Und wenn ich an Jahrmarkt denke, denke ich nun einmal an Autoscooter. So nannten wir die Gruppe Scooter, so einfach war das, so kam die Jungfrau zum Kind. Als Nächstes trudelte eine Anfrage ein: ob Scooter nicht auch live spielen könnten.

HOLGER STORM

H.P. hat damals noch als Telefonist bei Edel gearbeitet.

H.P. BAXXTER Meine Karriere als Popstar war ja zu Ende, bevor sie wirklich begonnen hatte. Um Geld zu verdienen, heuerte ich bei der Hamburger Plattenfirma Edel an und am Abend vor meinem ersten Arbeitstag wurde mir Jens Thele von der Personalchefin als mein Vorgesetzter vorgestellt. Der war völlig hektisch: „Hallo! Hi! Ich bin Jens – wir reden später …“ Das Gespräch dauerte keine fünf Sekunden. Ehe ich begriff, wer er war, war er schon wieder weg. Das ist Jens. Kurze Zeit später sollte er unser Manager werden – und ist es bis heute. Jens ist ein offizielles Mitglied von Scooter – nur dass er eben nicht mit auf der Bühne steht. Und durch meine Arbeit an der Basis lernte ich den Markt und seine Mechanismen kennen. Es war für mich wichtig, die Struktur der Musikwirtschaft zu begreifen. Denn früher, mit Celebrate the Nun, sah man sich ja eher als isolierter Künstler – und auf der anderen Seite steht die böse Plattenfirma, die einem Übles will und über den Tisch zieht. Erst durch meine Arbeit habe ich wirklich begriffen, dass auch Musik ein Produkt ist wie Wurst, Eier oder Fisch. Es geht um Zahlen und Verkäufe. Nur deshalb läuft die Maschinerie. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man mitspielen will. Es bringt nichts, nur dagegenzusteuern.

JENS THELE Wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Also sind wir irgendwann zusammen ausgegangen. Ich merkte schnell, dass er ein Hardcoreraver ist, stundenlang tanzt und bis morgens durchsteht. Anschließend bei der Arbeit war er dann stets wieder fit.

H.P. BAXXTER Als Jens und ich uns kennenlernten, befand ich mich in völliger Raveeuphorie und beschwerte mich bei ihm, dass es in Hamburg keine anständigen Raves gibt. Jens meinte nur: Hamburg sei nicht Hannover und außerdem sei Techno völlig out, ich solle doch mal House hören. Ich dachte nur: „Hä? Spinnt der? Red du mal. Das glaube ich nicht.“ Das war ja, bevor Rave überhaupt in die Charts ging.

JENS THELE Ich war damals Gebietsleiter Nord im Vertrieb der Plattenfirma Edel. Also saß H.P. eines Tages im Büro. Ich dachte als Erstes: Was ist das denn?! Der ist ja geschminkt! Und der hat seine Haare gefärbt. Als würde er gleich vom Büro direkt auf die Bühne gehen. Ich überlegte, ob er schwul ist.

Was, wie, auftreten? Wir sind doch ein Produzententeam!

H.P. BAXXTER Ich war angestellt als Telefonverkäufer in einem der vier Regionalbüros von Edel – und Jens war für den Telefonverkauf in Nord- und Ostdeutschland verantwortlich. Ich erzählte ihm beiläufig von Celebrate the Nun und Jens schöpfte sofort Verdacht: „Hast du dich hier eingeschlichen, um einen Plattendeal abzugreifen? Oder willst du hier wirklich arbeiten?“ Ich musste ihm klarmachen, dass ich keinerlei derartige Ambitionen habe und dieses Kapitel für mich abgeschlossen sei. Ich wollte tatsächlich einfach nur Geld verdienen. Allerdings war ich froh, dass mein Job etwas mit Musik zu tun hatte. Unser Arbeitstag begann um zehn Uhr morgens. Wir hatten noch normale Telefone, keine Headsets. Vor Arbeitsbeginn frühstückten wir alle in der Kantine und dann wurden die Listen mit den Kunden abgearbeitet. Es gab Vorgaben, wie viel die Kunden vom jeweiligen Produkt nehmen sollten. Man kannte seine Leute bald und wusste schon: Von dem einen Produkt kann ich denen nicht so viel andrehen. Dann musste man denen eben andere Platten reindrücken. So habe ich unterm Strich sehr gut verkauft. Es gab auch Wettbewerbe. Wer den Zielvorgaben am nächsten kam, erhielt eine Prämie. Ich gewann auf diese Weise einmal eine Reise nach Mailand. Und ein anderes Mal eine Fender Stratocaster – die besitze ich übrigens noch heute. Die Aussicht auf die Gitarre hat mich so motiviert, dass ich die Kunden so lange zugequatscht habe, bis sie mir alles abkauften. Es war mir auch egal, ob die alles wieder zurückschicken. Es gab auch Kunden, denen so langweilig war, dass sie einfach nur ein bisschen schwatzen wollten und mich locker eine Dreiviertelstunde von der Arbeit abhielten. Da gab es zum Beispiel Günther von der Genthiner Plattenkiste. Wohlweislich habe ich ihn beim Abarbeiten meiner Liste immer erst als Allerletzten am letzten Tag angerufen. Denn ich wusste: Wenn ich den anrufe, ist der Tag vorbei. Günther hat auch höchstens mal ein, zwei CDs abgenommen. Ich glaube, er hat nie etwas verkauft in seinem Laden. Er hat nur immer geklagt und gejammert: Die Polen rauben ihn aus – und immer wieder diese Einbrüche.

RICK J. JORDAN Da unser Remix besser lief als das Original, wurden wir von Michael Ammer, einem prominenten Hamburger Partyorganisator, gefragt, ob wir nicht auf einer seiner BILD-Szene-Partys spielen wollten. Wir zögerten: „Was, wie, auftreten? Wir sind doch ein Produzententeam und keine Band …!“

H.P. BAXXTER Nach den abtörnenden Erfahrungen mit Celebrate the Nun hatte ich mir geschworen, mich nie wieder auf eine Bühne zu stellen. Mir schwebte vielmehr so ein lässiges Produzenten-Sesselfurzer-Dasein in meinem Studio vor – ohne Reisen und den ganzen Stress. Aber man soll bekanntlich niemals nie sagen! Wir ließen uns breitschlagen und sagten den Auftritt zu.

RICK J. JORDAN Da wir bei dem Auftritt zu der A- und B-Seite unserer ersten Single noch wenigstens einen dritten Titel spielen wollten, damit das nicht ganz peinlich wird, haben wir schnell noch einen Remixansatz fertig arrangiert, von dem wir bis dahin nicht gewusst hatten, für welchen Zweck wir ihn mal gebrauchen könnten. Beim Soundcheck meinte H.P. schließlich, es sei doch scheiße, wenn er sich hinter ein Keyboard stellt, aber gar nicht spielen kann: „Ich war doch früher Sänger. Soll ich mir nicht einfach ein Mikro schnappen und den MC machen?“

H.P. BAXXTER Ich stand dann schließlich auf der Bühne und bat um ein Mikro. Ich wollte nicht dumm im Scheinwerferlicht rumstehen, während die Musik läuft, also habe ich mich als Master of Ceremonies, als MC, neu erfunden. Ich wusste ja, was ein MC auf der Bühne macht, das kannte ich noch aus Hannover. Das hat mich immer beeindruckt und in dieser Livesituation entsann ich mich dessen.

HOLGER STORM Jens hat mich gleich zu einem Scooter-Auftritt am nächsten Tag im Hamburger Palladium eingeladen, einer Großraumdisco. Ich bin dann hingefahren und habe mir das angeguckt: Da stand H.P. in kurzer Hose und Paillettenhut und schrie ins Mikro, etwas statischer dahinter standen Rick und Ferris hinter ihrem Equipment. Zuerst war ich etwas irritiert, aber ich habe ja mit eigenen Augen gesehen, wie unheimlich die da abgingen. Ich spürte, dass da mehr geht. Und wenige Wochen später habe ich Scooter als Booker quasi angetrunken auf dem Herrenklo einer Autobahnraststätte bei Hamburg unter Vertrag genommen. Jens stand nach einem DJ-Meeting neben mir beim Pinkeln. Er meinte, dass Scooter eine neue Nummer aufgenommen hätten, „Hyper Hyper“. Jens meinte, wir sollten uns doch mal bei ihm im Büro in der Wichmannstraße treffen, dann könnte ich die Jungs auch mal näher kennenlernen. Also haben wir uns zusammengesetzt und verhandelt, Preise und Auftrittsdauer festgelegt. Und so kam eins zum anderen. Ich war dann die ersten sieben, acht Jahre als Tourbetreuer dabei.

RICK J. JORDAN „Hyper Hyper“ war zu Anfang gar kein richtiger Song von uns. H.P. hatte den Slogan im Palladium einfach über den von mir neu arrangierten Instrumentaltrack gebrüllt. Und direkt nach diesem Auftritt wurden wir von allen möglichen Leuten angesprochen, was das denn für ein geiler Song gewesen sei. Und wir sagten denen: „Nee, das war gar kein Song.“ Aber wir dachten uns: Man könnte ja einen daraus machen.

Ich stand dann schließlich auf der Bühne und bat um ein Mikro

H.P. BAXXTER Mich hat nach dem Auftritt jeder gefragt: „Was machst du da überhaupt? Das ist ja nicht Rap, aber das ist auch kein Gesang.“ „Nein, das ist MCing!“, habe ich denen gesagt: „Ein MC ist ein Jongleur mit Worten!“ Der MC muss ein Gespür für die richtige Ansprache haben. Er muss genau wissen, wann der Break kommt, und vorher so zum Publikum sprechen, dass er seinen Text genau in der Stille vor dem Break beendet. Unser Liveauftritt im Palladium schlug ein wie eine Bombe – eben wegen dieses Schlachtrufs „Hyper! Hyper!“. Keiner kannte uns, niemand hatte auf uns gewartet und nach zwei Nummern stand die Meute Kopf. Uns war klar: Wir müssen „Hyper Hyper“ aufnehmen, mit meinen MC-Ansagen und mit der ekstatischen Response des Publikums. In Hannover arbeiteten wir also noch einmal drei Tage an dem Track, der Rest ist Geschichte, das Ding wurde ein Welterfolg. Es war immer mein Traum gewesen, Popstar zu werden. Ich hatte ihn nur unterdrückt, weil ich erfahren hatte, dass es nicht funktioniert. Als sich dann aber wider Erwarten die Chance ergab, ging ich ohne zu zögern den entscheidenden Schritt vorwärts.

 

Da stand H.P. in kurzer Hose und Paillettenhut und schrie ins Mikro

RICK J. JORDAN Damals war „Annihilating Rhythm“ von Ultrasonic ein großer Ravehit. An einer Stelle des Tracks sagt Mallorca Lee die Schlüsselzeile „Hyper Hyper“. H.P. hatte immer einen Schlachtruf bei den Partys – und „Hyper Hyper“ hatte er gerade auf den Lippen, als wir unseren Gig im Palladium hatten.

H.P. BAXXTER Mit Parolen, die all das abdecken, sind Scooter groß geworden. Der Ausruf „Hyper! Hyper!“ manifestierte die Euphorie des Augenblicks in einem Kunstwort. Ich war ja selbst Raver, bin auf jede Party gegangen, bis zur Erschöpfung. Und wenn mir die Musik so richtig gut gefiel, schrie ich oft „Hyper! Hyper!“, um den DJ anzufeuern. Und als wir, befeuert von der Erfahrung unseres ersten Liveauftritts, unseren ersten Track produzierten, war mir klar: So muss der Track heißen – das wird der Titel, das geht gar nicht anders, alleine schon aus Respekt vor Ultrasonic. Und so begannen sich die Leute in der Raveszene, nachdem unser Song zu einem Hit geworden war, mit den Worten „Hyper! Hyper!“ zu begrüßen – statt wie zuvor mit „Hallo, hallo“. Das hat mir klargemacht, was für eine Macht die Sprache haben kann.

RICK J. JORDAN

H.P. hatte immer irgendwelche Schlachtrufe. Einmal stand er in der Bhagwan-Nobeldisco in Hannover und brüllte plötzlich „Edelsalami!“ quer durch den Raum. Und alle dachten: Was will der Blonde jetzt schon wieder?

JENS THELE H.P. hatte dann die geniale Idee, DJ-Namen aufzuzählen. Das war gar nicht böse gemeint, führte aber zu viel Kritik aus der Szene.

RICK J. JORDAN Die Aufzählung geht auf Steve Mason zurück, der es sich auf BFBS zur Gewohnheit gemacht hatte, in seinen Sendungen immer irgendwelche Posses zu grüßen: „A big shout goes out to the Hannover posse!“ Und wir überlegten dann: Die Posse, das sind doch eigentlich wir, also grüßen wir im Gegenzug mal die DJs – Westbam, Marusha, einfach um das Prinzip einmal umzukehren. Und wir dachten, vielleicht läuft das auf den Raves auch ganz gut.

H.P. BAXXTER Die Auflistung der DJs kommt ursächlich daher, dass wir uns damals gar keine Gedanken darüber machten, wie „man“ einen Song eigentlich korrekt aufbaut. Der Song bestand zunächst aus dem Beat, dem Ausruf „Hyper! Hyper!“ und aus ein paar parolenartigen Schlachtrufen. Ich fand einfach, dass da noch etwas fehlte. Jeder Raver hat damals BFBS gehört. Und wenn man da eine Postkarte hinschrieb, auf der man seine Raverkumpels grüßte, dann las Mason diese Grußbotschaften vor. „A big shout to Robo, Kobo and Matthias in Helmstedt!“ So kam ich auf die Idee, all die DJs zu grüßen, die wir damals gut fanden. Also shoutete ich: „We want to sing a big shout to U.S. and to all ravers in the world! And to Westbam, Marusha, Steve Mason, The Mystic Man, DJ Dick, Carl Cox, The Hooligan, Cosmic, Kid Paul, Dag, Mijk van Dijk, Jens Lissat, Lenny D., Sven Väth, Mark Spoon, Marco Zaffarano, Hell, Paul Elstak, Mate Galić, Roland Casper, Sylvie, Miss Djax, Jens Mahlstedt, Tanith, Laurent Garnier, Special, Pascal F.E.O.S., Gary D., Scotty, Gizmo – and to all DJs all over the world!!“ Das fanden übrigens nicht alle der genannten DJs gut: Gerade bei Low Spirit dachten Westbam und die anderen, dass wir uns einschleimen wollten bei denen. Das war aber gar nicht der Fall. Ich war nur ein Raver. So schlau habe ich damals gar nicht gedacht.

JENS THELE Einige der aufgezählten DJs bei „Hyper Hyper“ haben rechtlich geklärt, ob sie die Platte stoppen können. Doch mit Namensnennungen werden keine Persönlichkeitsrechte verletzt. Sonst wäre die Platte definitiv eingestampft worden.

H.P. BAXXTER Der Song entstand in einem Take. Die Low-Spirit-Leute dachten, wir hätten das alles bewusst geplant, um uns in diese Szene einzuschleichen. Vor allem dieser Laarmeyer, wie hieß der noch, Laarmann von der Frontpage, der pöbelte wüst, was das alles solle: Scooter hätten nichts mit der Technoszene zu tun. Dabei waren wir nur ein paar Verrückte, die auf Raves rumtoben, und dachten: Wir machen jetzt mal einen Track.

RICK J. JORDAN Die, für die der Song eigentlich gedacht war, fanden ihn ganz schrecklich. Die fanden uns peinlich. Die, an die wir überhaupt nicht gedacht hatten, die breite Masse, fuhr hingegen total darauf ab. Wir hätten nie gedacht, dass ein Stück, das keine richtige Gesangshook hat und zweimal mittendrin aufhört, überhaupt eine Chance hat, in die Charts zu kommen.

HOLGER STORM Wenn ein Discjockey damals in den Neunzigern „Hyper Hyper“ gespielt hat, brach unter den Tanzenden regelmäßig eine Ekstase aus, wie ich sie seitdem nicht mehr erlebt habe – und zwar egal wo man war und besonders in Großraumdiskotheken auf dem Lande. Bei „Hyper Hyper“ sprangen die Leute im wahrsten Sinne des Wortes auf die Tische und sind ausgeflippt. Es war unglaublich. Man hatte das Gefühl, dass die Disco explodiert.

Man hatte das Gefühl, dass die Disco explodiert

H.P. BAXXTER Wir waren selbst überrascht, dass „Hyper Hyper“ so einen Erfolg hatte. Witzigerweise wäre er um ein Haar nicht bei Edel erschienen, weil Michael Haentjes, der oberste Chef, strikt dagegen war. Er befürchtete, dass es zu Neid unter den Kollegen führen könnte – als Telefonverkäufer bist du, obwohl du eigentlich die Kohle reinbringst, auf der untersten Stufe der Hackordnung, nur eine Stufe über der Putzfrau. Jens hat wichtige Überzeugungsarbeit geleistet und auch Andrés Heyn, der damalige Justiziar von Edel, hat uns in dieser Situation sehr geholfen. Und kaum war das Problem gelöst, ging „Hyper Hyper“ durch die Decke. Die Maxi verkaufte am Tag zeitweise 40 000 Exemplare. Bald kam Michael Haentjes ins Büro und sagte zu mir: „H.P., du kannst hier nicht mehr sitzen. Du musst deine nächste Platte machen!“ Ich wollte da aber nicht weg, ich wollte auf mein geregeltes Einkommen nicht verzichten. Meine acht Jahre am Hungertuch hatte ich noch nicht vergessen. Ich dachte: Wenn das ein One-Hit-Wonder ist, sitze ich danach wieder auf der Straße. Also haben Michael und ich einen Deal abgeschlossen: Ich blieb angestellt, wurde aber bei vollem Lohnausgleich beurlaubt. Mein Gehalt wurde mit Lizenzen verrechnet. Das Modell lief die kommenden anderthalb Jahre so. Ich dachte immer: Das alles ist morgen wieder vorbei. Und es kam ja derbe Kritik und Hohn von allen Seiten. Die Musikmedien haben fast ausnahmslos gegen Scooter gepöbelt. Doch wer auf Platz 1 der Beliebtheitsskala ist, ist auch auf Platz 1 der Hassskala. Das musste ich erst einmal begreifen.

Ich dachte immer: Das alles ist morgen wieder vorbei. Und es kam ja derbe Kritik und Hohn von allen Seiten.

HEINZ STRUNK An „Hyper Hyper“ kam man ja gar nicht vorbei – Schrott, Trash, Quatschkram. So haben wir das wahrgenommen. Man hat das ja auch gar nicht ernst genommen. Wir alle dachten, dass Scooter ein saisonales Phänomen seien, das sich nach „Hyper Hyper“ erledigt haben würde. Ein One-Hit-Wonder, vollständig im Uncoolen verortet. In meinem Umfeld fanden das tatsächlich alle lächerlich – wenn man sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, darüber zu reden. Scooter waren weit von allem entfernt, was wir selbst gemacht haben oder gut fanden. Mir ging das alles am Arsch vorbei, ich habe daher auch gar nicht nach einer Erklärung für das Phänomen Scooter gesucht. Das kam erst später, als wir begannen, Scooter zu schätzen. Heute denke ich: Wenn der Song eine andere Hookline als „Hyper Hyper“ gehabt hätte, wäre es unter Garantie nichts geworden. Der Schlüssel zum Erfolg dieses Songs sind diese magischen zwei Kunstwörter „Hyper Hyper“. Damit hat H.P. damals voll ins Schwarze getroffen. Das Entscheidende war nicht die Aufzählung der DJ-Namen, sondern das Shouten von „Hyper Hyper“.

KAI BUSSE Einmal fuhr ich mit H.P. im Auto durch Hamburg und an der Ampel schrie irgendein Ochse „Hyper! Hyper!“ durch das heruntergekurbelte Fenster. Ich bin richtig zusammengezuckt und fand das ganz schlimm. Aber H.P. war da ganz entspannt – als schwebte er einfach darüber.

Titelseite Pop Rocky, 1995. Bild: Thorsten Buhe (Foto), mit freundlicher Genehmigung des Pop Rocky Verlags/ Vision Media GmbH