Die Frankensaga – Vollfettstufe

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Die Frankensaga – Vollfettstufe
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Matt Wagner

Die Frankensaga.
Vollfettstufe

Edition 2006.

Ergänzt, erweitert, refurbished

Impressum

Matt Wagner

Die Frankensaga. Vollfettstufe

Copyright © 2011/2016 by Matthias Wagner

Für den Text „Franken! Ende! Schluss! Sense!“:

Copyright © 2006 by Michael Rudolf/TAZ Verlags- u. Vertriebs GmbH, Berlin

Verlag:

Matthias Wagner

Postfach 30 42 50

20359 Hamburg

www.mattwagner.de mattwagner@web.de

Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de

Druckversionen der Frankensaga:

- Taschenbuch (ISBN 978-3741874000, EUR 9,80)

- Hardcover (ISBN 978-3741873966, EUR 17,99)

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 2011

Vorwort 2016

Franken! Ende! Schluss! Sense!

Der Dude

Der Klozechpreller

Der Walabend

Der Faschingskrapfen

Der Aldi-Tag

Der historische Tag

Die verspätete Riesenkartoffel

Erste gegen dritte Liga

Die Greeb-Pfanne

Der Franke ist überall

Laggs auf vier Uhr

Duck dich, Sylt!

Der unvollendete Panini-Coup

Kollateralschäden der Klimakatastrophe

Der Franke bleibt störrisch

Die Bettelblickattacke

Auhuuu!

Fußball auf Fränkisch

Der Schokoripper

Der Kulturstoffel

Was Kaffee mit Franken macht

Der Allererste

Children of the Revolution

Wer darf zu St. Pauli?

Nichts als Blutgrätschen

Warum Deutschland keine Chance hat

Den Sieg herbeigepinkelt

Von Gefriertüten und Eiderenten

Vom Franken reingelegt

Lesen und lallen

Schlechter Geschmack

Einmal Lach mit Wasser, bitte

Unvermeidlicher Nachschlag

Aus dem Hirn eines Irren

Buenas Días, Eiermann!

Sehr „witzig“

Liebe Frauen: Bitte nicht lesen!

Das Matt’sche Axiom

Lechts oder rinks?

Die untaugliche Frankenbremse

O du Nölige!

Der düpierte Sternmull

Das Hinternargument

Trau keinem Lober!

Aus sich herausgehen

Beim Buffet-Inder

Kein Text über fränkische Fahrradpolitik

Schweinegrippenschutzimpfung!

Wie ich meine Schokovorräte retten werde

Krustenfixiert

Mit gutem Gewissen

Ein Schuss nach hinten

Die hausgemachte Biowaffe

Fundstück

Weggeknurrt

In der Nichtraucherpause

Der Achtelfinaltag

Es lebe die Lager-Mentalität!

Häme statt Amaretti

Eine weiße Entscheidung

Man muss Prioriäten setzen

Der Kontaminator

Ein frohes neues …

Schwarzes nur im Hellen

HSV–Mainz = 5:1 für uns

Die Schlaf- und Fressdiät

Really umgehaun

Dr. House praktiziert

Weltuntergang in Hamburg!

Unclever und -smart

Es schneit Styropor

Ein Telefonat mit dem Franken

Doch kein Latte malziato

Höllenhunde der Hipness

Der Schweinshaxenstreit

Der Bürgermeister von Ottensen

Wir zerstören das Großkapital!

Eine Frage der (Un-)Moral

Eine gefährliche Anwandlung

Die Menschen sind schlecht

Die Betriebsweihnachtsfeier

Vermintes Gelände

Schnick Schnack Schnuck um Speckfrikadellen

Die Tatterattacke

 

Am nördlichen Weißwurstäquator

Die Truthahnschlacht von Unterfranken

Blutwurst oder Pilzrisotto

Ein ungenehmes Lob

Der Dackelschreck

Hauptsache nicht lila. Oder rosa.

Alle Wege führen nach …

Die Generation 50+ unter sich

Time to say Goodbye

Wo die Dirndl wirklich voll sind

Wie der FCB den Frikadellenabsatz fördert

Die männliche Klofrau

Franke ahoi!

Gerettet vom Franken (ich geb’s ja zu)

Das Blaue vom Himmel

Immer wieder Nuggi

Unsere Pausen sind lila

Nürnberg und die Folgen

„Hier jetzt Zugabe.“

Unter muss rein

Dang’ge …

Außerdem erhältlich

Vorwort 2011

Niemand kann dich auf SO ETWAS vorbereiten. Wenn du unversehens einen Franken als Arbeitskollegen bekommst oder gar dazu gezwungen bist, ihn in deinen Freundeskreis aufzunehmen, dann bist du völlig auf dich allein gestellt.

„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet“, sagt der Replikant Roy Batty in „Blade Runner“, „gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion.“

Nun, mir ging es in den vergangenen Jahren ähnlich – nur dass es sich um riesige Schweinshaxen handelte, die der Franke im Nullkommmanichts vertilgte, draußen in den Mittagsrestaurants von Altona.

Meine erschütternden Erlebnisse in Hamburg mit diesem glottal herausgeforderten, dem Fußball wie dem Fassbier gleichermaßen zugeneigten Naturburschen aus Würzburg finden seit 2005 ein Ventil im Blog „Die Rückseite der Reeperbahn“, anders wären sie auch gar nicht zu verarbeiten.

Dieses E-Book fasst nun alle Frankengeschichten in überarbeiteter und ergänzter Form zu einer chronologischen Saga zusammen. Natürlich: Es ist eine Überdosis, und ich setze Sie, die Sie dies hier lesen, letztlich den gleichen mentalen Gefahren aus, deren Opfer ich bereits geworden bin. Andererseits ist es eine Warnung vor der rohwaltenden Macht der Franken schlechthin, vor ihrer vorzivilisatorischen Power, der wir modernen Menschen kaum etwas entgegenzusetzen haben.

Eins scheint mir sicher: Sollte dereinst wirklich irgendjemand draußen vor der Schulter des Orion gigantische Schiffe brennen sehen, dann wird es ein Franke sein – und sich beim Zugucken die Reste einer Schweinshaxe aus den Zähnen pulen.

Matt Wagner

Hamburg, im Herbst 2011

Vorwort 2016

Nach dem weltweiten Erfolg der „Frankensaga“, von der ich sogar im Land der Adipösen – den USA – das eine oder andere Exemplar an den 300-Pfund-Gourmand bringen konnte, war eine stark erweiterte Neuauflage unvermeidlich.

Zwar nahm die Frequenz neuer Frankengeschichten in den Jahren seit der gefeierten Erstauflage ab, doch dafür wurde das Material immer kalorienreicher.

Man kann sagen: Während die Republik in die knöchernen Hände der Vegetarier und Veganer fiel, leistete ein Mann auch im vergangenen Halbjahrzehnt tapferst Widerstand, indem er unverdrossen Nürnberger Rostbratwürste und all ihre engen Verwandten vertilgte: der Franke.

Und ich war und blieb in all diesen Jahren sein Eckermann – eine Erkenntnis, die zu gleichen Teilen von Stolz und Selbstekel flankiert ist. Bitte glauben Sie mir das.

Hier also präsentiere ich Ihnen die exorbitant erweiterte Frankensaga in der Vollfettstufe – eine erschütternde Sammlung persönlich erlebter Geschehnisse, bei denen mehr Tiere zu Schaden kamen als in der Gesamthistorie aller kasachischen Zoos. Und ergänzt um die definitve Analyse des innersten Frankenwesens durch den unvergleichlichen Michael Rudolf.

Das Lesen all dieser Texte erfolgt ausdrücklich auf eigene Gefahr. Sollten Sie aber alle bisherigen Staffeln von „The Walking Dead“ ohne Harm überstanden haben, wird Ihnen auch dieser erschütternd tiefe Einblick ins Leben des Franken nichts anhaben können. Oder nur wenig.

Eine Garantie dafür lasse ich mir aber nicht aus den Rippen leiern. Ich bin nicht rechtsschutzversichert.

Matt Wagner

Hamburg, im Herbst 2016

Franken! Ende! Schluss! Sense!
Von Michael Rudolf

Von den Bayern bestohlen, den Thüringern angebettelt, den Hessen verlacht, den Böhmen nicht respektiert und den Schwaben für Bayern gehalten: Das erklärt, warum die Franken in Lebkuchen- und Versandhäusern wohnen. Milliarden Krüppelkiefern und zwei Buchen aus Billigpflanzländern simulieren eine Bestockung. Hügel, Ebene und Güllebach werden von einem Spinnennetz aus Wellness-Wanderwegen geknechtet. Ganze Dörfer sind 30 Klafter tief in die Krume einbetoniert, die meisten Kneipen in den 70er-Jahren nach Vorbild ostdeutscher Plattenbauten verziert worden. Das erklärt, warum, wo Franken siedeln, alles vergebens ist.

Armut, wenig Licht, feuchte Bude und „Frankenschau“ bilden ein explosives Gemisch. Der Welt ab- und dem Bier zugewandt, schreien die Franken „Basstschoo“ und „Swerdschoowärdä“. Das erklärt, warum sie ihre Zähne mit grober Leberwurst putzen. Als größtes Vergehen gilt den Franken zwischen Würgau, Schweinfurt und Oberkotzau die Nüchternheit vor zwölf Uhr. Das erklärt, warum sich sämtliche Einwohner trunken stellen, aber nur bis zwölf Uhr. Danach betrinken sie sich wirklich und hauen sich wieder aufs oder ihre Gäste übers Ohr. Für Zuwiderhandlungen gilt das sogenannte Lotrecht: Die Urteile fallen je nach Windaufkommen mal so, mal so aus. Bei fehlendem Wetter fallen sie ganz aus.

Als Nahrung dient den gemeinen Franken das Rauchbier, ein geschlämmter Flüssigkraftstoff auf Schinken- und Stockfischbasis. Das erklärt, warum ihre Gesichtsmerkmale der symmetrischen Anordnung entraten. Ferner haben sie ein Zuchtverfahren entwickelt, welches Essig an kleinen Beerensträuchern gedeihen lässt. Anschließend füllen sie ihn in Glasbehälter, die sie den Hoden milieugeschädigter Ziegenböcke nachempfunden haben, und saufen ihn gleich wieder weg. Das erklärt die an lesbischen Verkehrslotsen geschulten Grimassen.

Ihre Teller sind groß wie Schiebetüren, darauf dampfen Hochgebirge aus Sauerkraut, sieben Wurstringe, eine tote Oma, fünf Schnitzel und drei geschnittene Vierpfundbrote. Dieses Mahl wird von jeder Tochter bereits zum Frühstück in zwei- bis dreifacher Ausfertigung verschlungen. Zwei Bruttoregistertonnen Lebkuchen als Sättigungsbeilage kommen noch dazu. Das erklärt ihre „Figur“.

Die Abfälle verkaufen die Franken für umgerechnet 3,50 Euro per Zentner Lebendgewicht als „Brotzeit“ an Durchreisende und ihre Töchter als Treueprämie. Mädel, die auf diese kommode Art nicht an den „Mann“ zu bringen sind, werden in den Nichtrauchergaststuben mit geöffnetem Mund als Fliegenfänger aufgestellt. Die Söhne schicken sie als Tanktour- und Terroristen nach Böhmen, wo sich weit über 120 Prozent von ihnen als Leihväter verdingen.

Der Streit mit den Thüringern um die Genese der gebratenen Wurst hält den Besatz an Franken erfreulich stabil, unbestechliche Beobachter jedoch nicht davon ab, die Nürnberger „Broodwerschd“ eine gelungene Satire der fränkischen Weiber auf die Geschlechtsteile ihrer Männer zu nennen. Im Arbeitszustand, wohlgemerkt. Das erklärt, warum die Forschung davon ausgeht, die Franken pflanzten einander per Knospung fort. Gemüse kennen sie nicht, höchstens das junge Gemüse, welches sich gefälligst „zum Deufi“ zu scheren habe, während ihre Vorfahren in einer ruhigen Ecke vor sich hin kompostieren und zu gegebener Zeit wieder in den Rohstoffkreislauf integriert werden.

Einmal im Jahr ist „Kärwa“. Da setzen die Jungmänner ihre Markus-Söder-Masken auf, bewerfen einander mit Quelle-, Baur-, Adidas- und Puma-Umtauschwaren und versammeln sich um die Feuerwehrgerätevilla. Dort huldigen sie zu Klängen des Nachthemdenballorchesters J.B.O. einer naiv aus Fischtorte, Wurmmehl und Dillnougat geformten fünfohrigen Elke-Sommer-Statue. Mit Schlauchausrollen, Engel-Chanelling, Wettbrotzeitessen und Gerüstschraubenhochwerfen verleihen sie anschließend ihrer Freude an der Selbstverstümmelung Ausdruck und kämmen sich danach mit Dampfstrahlreinigern. Das erklärt, warum eine halbe Stunde später die „Frankenschau“ eine öffentlich-rechtliche Zusammenfassung der wichtigsten Sachbeschädigungen und Körperverletzungen überträgt, deren DVD-Mitschnitte mit Hans-Wollschläger-Untertiteln auf dem Splatterschwarzmarkt Höchstpreise erzielen.

Damit wir nichts von ihren durchtriebenen Angriffsplänen erfahren, haben sie nebst ihrem gewaltbereiten Fatalismus einen Dialekt ersonnen, der uns zunächst über Lachkrämpfe lähmen soll. Das erklärt, warum sie Lothar Matthäus ungehindert als Fußballer einschleusen, Thomas Gottschalk die Moderation einer namhaften Samstagabendshow zuschanzen und ihren Kartoffelsalat containerweise als Requisite an Frank Castorfs Schreitheater verhökern konnten. Anstatt uns zu fragen, ob das dergestalt Gebotene wirklich Sport, Unterhaltung oder Kunst sei, sollten wir lieber geeignete Strategien entwerfen, die uns vor der fränkischen Bedrohung behüten.

Der Dude

Seit sechs Jahren gehe ich mit dem Franken regelmäßig mittags essen. Und manchmal abends auch noch auf ein Feierabendbier in eine der zahlreichen Kneipen des Hamburger Stadtteils Ottensen, wo unser Verlag seinen Sitz hat. Heute geht es ins Aurel, das ist um die Ecke. Kaum haben wir uns gesetzt und nippen am Glas, betritt ein Faktotum den Raum. Der Franke nennt ihn sofort flüsternd „den Dude“, weil er unverkennbar an eine Figur aus einem unserer Lieblingsfilme erinnert: „The Big Lebowski“.

Das helle Haar des Dude ist kragenlang und struppig, sein dünner Bart gepflegt wie ein Vogelnest im Winter. Bekleidet ist er mit einem undefinierbaren Etwas von Mantel aus hellem Leder mit weißem Wollkragen – eine Entsetzlichkeit, die mich sofort auf eine angenehme innere Zeitreise in die Siebziger schickt. Nicht zu vergessen seine Sonnenbrille, die der Dude auch angesichts der trüben Aurel-Beleuchtung offenbar nicht abzusetzen bereit ist.

Vielleicht fehlt ihm dazu auch einfach die Kraft, denn er wirkt angeschlagen. Seine Bewegungen haben etwas von einer 200-jährigen Galapagosschildkröte. Mit Ach und Krach hievt er sich auf die Sitzbank am Bistrotisch neben uns. Augenblicks schlage ich dem Franken eine Wette vor. „Ich wette mit dir“, flüstere ich, „er merkt mindestens zehn Minuten lang nicht, dass er zum Bestellen an die Theke gehen muss.“ So ist es nämlich üblich im Aurel. Der Franke ist einverstanden, die Uhr läuft.

Der Dude sitzt schwankend da. Er scheint die Rückseite seiner Sonnenbrillengläser anzustarren. Indizien dafür, dass irgendetwas jenseits davon seine Synapsen ins Flirren versetzt, gibt es nicht. Er sitzt einfach da und tut nichts.

Ich bin siegessicher. Der Franke versucht mich in eine die Wette relativierende Diskussion über die Motivation des Dude’schen Kneipenbesuches zu verwickeln. Vielleicht, führt er wenig fundiert aus, wolle der Dude sich ja nur aufwärmen. Ich wende überzeugend ein, dass schon der gesunde Menschenverstand die Annahme gebietet, das Betreten einer Kneipe sei weitgehend gleichzusetzen mit einem ausgeprägten Trinkwillen. Ja, bereits das Öffnen der Tür sei geradezu die Manifestation dessen und gleichsam schon eine Bestellung, ob nun Bier oder Brause, das sei ja mal egal.

 

Aber er sei der Dude, versucht er einen Konter, da müsse man auch aufs Außergewöhnliche gefasst sein. Papperlapapp, wende ich ultimativ ein, und sehe die Uhr ticken, zu meinen Gunsten.

Doch plötzlich, nach nur zwei Minuten, rutscht der Dude von der Sitzbank wie eine Düne Richtung Deich und kommt auf die Füße. Sein rechter Arm führt knirschend die Hand Richtung Gesicht, und irgendwie trifft sein irrlichternder Daumen den Steg der Sonnenbrille, um ihn etwas nach oben zu schieben.

Kein Zweifel, der Dude hat etwas vor. Geht er jetzt zur Theke? Hat er die Lage gerafft? Verliere ich die Wette? Nein: Er karriolt zur Tür. Er öffnet sie, er ist verschwunden.

Sofort entbrennt zwischen uns eine Diskussion über die Folgen für unsere Wette. Der Franke ist überzeugt, der Dude sei kotzen gegangen. Gut, ich gebe zu, sein Zustand hatte etwas unzweifelhaft Prävomitives. Die Frage ist nur: Läuft trotzdem die Wettzeit weiter ab? Was, wenn er zum Beispiel in sieben Minuten wieder seinen scheußlichen Mantel durch die Tür schiebt, den alten Platz erneut ein- und das vergebliche Warten auf die Aurel-Bedienung wieder aufnimmt – habe ich dann gewonnen? Oder hat die vermutliche Brechunterbrechung aufschiebende Wirkung auf unsere Wette?

Es geht hin und her zwischen uns. Doch der Dude kommt nicht mehr. Er ist weg. Obgleich es angesichts der Ereignisse argumentative Winkelzüge gäbe, gebe ich mich geschlagen. Der Franke holt zufrieden noch zwei Bier. Auf dem Heimweg beschließe ich, bald mal wieder „The Big Lebowski“ zu schauen. Guter Film.

Der Klozechpreller

Obwohl ich mir sehr wohl ein verfeinertes kulinarisches Empfinden zurechne, verschleppt mich der Franke mittags immer mal wieder in unfassbare Niederungen der Essensaufnahme, die er in fröhlicher Offenheit auf den Nenner „Heiß und fettig“ bringt. Man kann ihm das nicht verübeln, er kommt aus Würzburg.

Gottergeben trotte ich heute wieder mal hinter ihm her, obgleich ich mir im Lauf meiner hedonistischen Reifung einen natürlichen Ekel gegenüber ölgeduschten Frikadellen und Lasagnebrei vom Stehimbiss antrainiert habe. Doch mit meinem opferbereiten Begleitservice kann ich demonstrieren, wie hoch Kollegialität letztlich in meinem Wertesystem rangiert. Ob er das merkt, weiß ich jedoch nicht; in seinen Augen sehe ich nur die wilde, ungezügelte Gier nach Frikadellen.

Erste Adresse für „Heiß und fettig“ in Ottensen ist das Einkaufszentrum Mercado. Vorm Essen muss ich noch mal wohin und stelle fest: Die Herrentoilette des Mercado ist fest in afrikanischer Hand. Zwei, wenn nicht gar drei Bedienstete beiderlei Geschlechts wirken hier frohgemut im Dienste sauberer Keramik. Man kann sogar von einer Art Party des Toilettenpersonals sprechen. Die gelassenen Reggaerhythmen von „The Lion sleeps tonight“ hallen noch hinüber bis in die Klokabine, wo man versucht ist, mitzuwippen, was unter diesen Umständen allerdings dem Toilettenpersonal mehr Arbeit verschaffen würde als notwendig.

Im Waschraum wird die Gebühr für den angebotenen Komplettservice unmissverständlich mit 30 Cent taxiert. Zumindest künden blutrote Großlettern davon. Sie stehen auf einem Zettel, der sorgfältig über einem praktischerweise aufnahmebereiten Schälchen drapiert wurde. Kein Zweifel, die Brigade weiß, was ihr Job aus Putzen und Party wert ist. Das Schälchen selbst erfreut sich offenbar ständiger Leerung, denn es befinden sich nur zwei Münzen darin. Sie ergeben addiert – natürlich – 30 Cent.

Mein Problem: Ich habe ausschließlich Scheine in der Tasche. Eine unangenehme Situation. Denn ich muss vorwegschicken, dass es für mich mit einem hohen Schamgehalt belastet ist, Toilettenpersonal um Wechselgeld zu bitten. Vielleicht ein Kindheitstrauma, ich weiß es nicht. Verfüge ich zufällig nur über Münzgrößen, welche die zu honorierende Dienstleistung m. E. deutlich überbewerten – also Ein- oder Zwei-Euro-Stücke –, dann lege ich sie gemeinhin ins Schälchen, fingere fahrig und errötend ein angemessenes Wechselgeld heraus und fliehe diesen Ort eilends.

Aber hier liegen nur 30 Cent, und ich habe nur vermaledeite Scheine, derweil im Nebenraum die afrikanische Frohsinnstruppe Party macht zu „The Lion sleeps tonight“, mit Sichtkontakt zum Schälchen.

Die Situation hat etwas Verfahrenes. Es gibt nur eine Lösung. Aber es ist keine, die mir Ehre einbringt. Ich nutze einen der zahlreichen Momente partybedingter Unaufmerksamkeit und entschwinde wie ein Dieb in der Nacht, ohne Obolus.

Wie nennt man so etwas, Herr Staatsanwalt – Erschleichung von Dienstleistungen, lachhaft begründet mit einem irrationalen Schamempfinden? Nein, nein: Der Löwe, er mag schlafen heute Nacht, aber Gott, der sieht alles. Der Franke, ein geborener Katholik, würde das fröhlich bestätigen, doch ihm gegenüber verschweige ich lieber die Klozechprellerei.

Bei „Heiß und fettig“ halte ich den Frikadellen des Franken einen Spießbraten und ölgeduschte Bratkartoffeln entgegen, dazu matschige Sauerkrautsträhnen.