Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 4

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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 4
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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit

Band 4

Martina Meier (Hrsg.)


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalte - Taschenbuchauflage erschienen 2011.

Titelbild: Heike Georgi

Lektorat und Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-068-3 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-322-4 - E-Book

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Inhalt

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Unsere AutorInnen

Sissy Schrei

Renate Hemsen

Patrick Grasser

Gisela Luise Till

Alexander Karl

Antje Steffen

Kathrin Sehland

Manuela Inusa

Gabriela Rodler

Susanna Montua

Monika Thaler

Veronika Kübelböck

Rita Falkenstein

Carmen Matthes

Ramona Stolle

Heidemarie Opfinger

Carina C. Thomas

Eileen Fraust

Stephanie Polák

Stefan Geymeyer

Norbert J. Wiegelmann

Britta Voß

Katharina Britzen

J. Kössler

Gabi Eder

Schemajah Schuppmann

Lore Buschjohann

Norbert Scheitacker

Maria Sassin

Petra Waibel

Virgilia Rath

Renate Steiner

Lina Ebhard

Christiane Amendt

Sabrina Breitfeld

Sabrina Reich

Charlie Hagist

*

Ein Katalog voller Spielsachen

Maxi läuft weinend zu seiner Mutter. „Mama, die Nina ist so gemein“, schluchzt er.

„Warum?“, fragt seine Mutter.

„Sie weigert sich, meinen Brief an das Christkind zu schreiben.“

Die Mutter geht in Ninas Zimmer. „Was ist los, Nina? Du hast doch versprochen, auch Maxis Wunschzettel zu schreiben.“

„Das habe ich gemacht“, protestiert Nina und zeigt ihrer Mutter zwei große Blatt Papier. „Vier Seiten habe ich geschrieben, aber Maxi ist mit seinen Wünschen noch immer nicht fertig. Mir reicht es. Er soll seinen Brief selber schreiben.“

„Ich kann aber noch nicht schreiben!“ Maxi weint schon wieder.

Die Mutter liest den Brief. „Du willst ein Fahrrad, einen Roller, ein Tretauto und einen Trettraktor haben?“, fragt sie erstaunt.

„Ja, und ein Feuerwehrauto, eine Feuerwehrstation, eine Parkgarage und ein ...“

„Stopp!“, unterbricht ihn die Mutter. „Du übertreibst. Ich gebe Nina recht. Überleg dir, was du wirklich haben willst.“

„Aber ich will das alles haben und noch viel mehr“, beharrt Maxi.

„Sei doch vernünftig, mein Schatz!“, versucht ihn die Mutter umzustimmen. „Du kannst nicht alles haben. Wer soll denn das bezahlen?“

„Na, das Christkind natürlich!“, lacht Maxi.

„Wenn du meinst“, antwortet die Mutter. „Aber dann musst du deinen Brief wirklich selbst schreiben. Lass dir etwas einfallen.“

Maxi geht weinend in sein Zimmer. Am Boden liegt der dicke Spielzeugkatalog. Maxi blättert ihn schluchzend durch und murmelt: „Das will ich haben, und das, und das auch. Wie soll ich das dem Christkind sagen, wenn ich nicht schreiben kann?“

Plötzlich hat Maxi eine Idee. Er springt auf und holt eine Schere. „Ich schneide einfach die Bilder aus!“, jubelt er.

Aber noch vor dem ersten Schnitt legt er die Schere wieder weg. „Nein, das geht auch nicht. Da zerschneide ich ja die Rückseite. Und die will ich auch haben.“

Maxi denkt angestrengt nach. Dann geht er zu seiner Mutter. „Mama, ich brauche einen Leuchtstift und ein ganz großes Kuvert.“

Die Mutter gibt ihm das Gewünschte. „Was hast du vor?“, fragt sie.

„Großes Geheimnis“, antwortet Maxi.

In der Nacht, wenn alle Kinder schlafen, ist das Christkind unterwegs. Suchend schaut es sich um, hinter welchem Fenster ein Wunschbrief liegt. Jetzt kommt es zum Haus, in dem Nina und Maxi wohnen. Zwei Briefe liegen auf dem Fensterbrett, ein kleiner, bunter und ein dicker, großer, brauner Umschlag. Das Christkind nimmt zuerst den kleinen Brief und liest.

Liebes Christkind!

Ich wünsche mir ein paar neue Bücher und eine neongelbe Bluse. Mama gefällt die Bluse zwar nicht, aber sie meint, wenn du sie mir schenkst, dann darf ich sie haben. Bitte, bitte, schenk sie mir. Ich möchte sie so gern haben. Sonst habe ich keinen Wunsch, nur die Bücher und die Bluse.

Liebe Grüße

Deine Nina

Das Christkind lächelt. „Wird erledigt, Nina. Du sollst auch deine Bluse bekommen. Jetzt bin ich aber gespannt, was sich dein Bruder wünscht.“

Doch Maxis Brief ist so schwer, dass ihn das Christkind nur mit Mühe heben kann.

„Was steckt wohl in diesem braunen Ding?“, überlegt es und reißt den Umschlag auf.

„Ein Spielzeugkatalog“, staunt das Christkind und schlägt ihn auf.

Gleich auf der ersten Seite ist ein Schlitten angekreuzt.

„Ich glaube, den möchte Maxi haben“, denkt das Christkind und blättert weiter.

Aber was ist das? Fast auf jeder Seite ist zumindest ein leuchtendes Kreuz. Dem Christkind wird ganz schwindlig beim Betrachten der vielen Wünsche.

„Nein, Maxi, so geht das nicht“, murmelt das Christkind. „Du bist noch klein und weißt es nicht besser. Ich fürchte, du musst noch viel lernen. Und ich will dir dabei helfen.“

Es legt den Katalog zurück auf das Fensterbrett und steckt Ninas Brief in seine große Tasche.

Dann berührt das Christkind mit seinem Finger Maxis Nase und flüstert: „Träum schön!“

Maxi träumt.

Im Wohnzimmer läutet eine Glocke.

„Endlich“, seufzt Nina erleichtert.

„Das Christkind war da!“, jubelt Maxi.

Beide stürmen zur Wohnzimmertür, reißen sie auf und bleiben erschrocken stehen. Vor ihnen türmen sich Hunderte Päckchen wie eine Wand.

„Wo ist der Christbaum?“, fragt Maxi.

Die Eltern schauen sich um.

„Da, schau einmal!“, antwortet die Mutter. „Da hinten sehe ich einen Lichtschein. Irgendwo hinter diesem Geschenkeberg muss der Christbaum sein.“

Der Vater räumt einige Päckchen zur Seite und liest dabei die Geschenkanhänger. „Die sind ja alle für Maxi!“, ruft er erstaunt.

Maxi strahlt.

Endlich ist der Blick auf einen Teil des Christbaums frei. Die Mutter stimmt „Ihr Kinderlein kommet“ an und alle singen mit. Dann liest Nina die Weihnachtsgeschichte vor und die Familie singt noch „Stille Nacht“. Danach darf Maxi endlich seine Geschenke auspacken.

„Ein Feuerwehrauto, super!“, ruft er. „Und ein Dreirad! Eine Parkgarage!“

Maxi will sofort mit der Garage und dem Feuerwehrauto spielen, aber seine Mutter verbietet es. „Zuerst musst du alles auspacken und wegräumen“, befiehlt sie streng. „Hier ist ja überhaupt kein Platz mehr.“

Maxis Begeisterung sinkt, aber er gehorcht.

„Ein Fahrrad“, stellt er lustlos fest. „Und ein Kasperltheater!“

Einige Päckchen später bricht er in Tränen aus. „Das ist mir zu viel! Kann mir nicht jemand helfen?“

„Nein, du wolltest das alles haben“, antwortet Nina ärgerlich. Sie sucht noch immer nach ihren Geschenken.

Maxi packt schluchzend weiter aus. Die Mutter trägt alles in sein Zimmer. Endlich ist das letzte Päckchen geschafft.

„Ich gehe jetzt spielen“, sagt Maxi, doch er kommt schnell wieder zurück.

„Mein Zimmer ist voll“, klagt er. „Ich komme nicht mehr bei der Tür hinein. Wo soll ich denn spielen?“

„Ich weiß nicht“, antwortet sein Vater. „Hast du dir das nicht vorher überlegt?“

Nina schaut ihren Bruder an und fragt boshaft: „Was wünscht du dir eigentlich zu deinem Geburtstag?“

Maxi erschrickt. „Ich weiß nicht, ich habe doch schon alles.“

Maxi wacht auf und schüttelt sich.

„Das war aber kein schönes Weihnachten“, denkt er. „Außerdem hat Nina recht. Ich habe ja bald Geburtstag.“

Er läuft ins Wohnzimmer und schaut auf das Fensterbrett. Ninas Brief ist weg, aber sein Katalog liegt noch dort.

„Glück gehabt“, murmelt er.

„Guten Morgen!“, hört er seine Mutter rufen. „Hast du etwas gesagt?“

„Nein, ja, ich weiß nicht“, antwortet Maxi verwirrt.

Er nimmt den Katalog in die Hand und blättert ihn noch einmal durch. Dann seufzt er: „Mama, darf ich den wegwerfen?“

Seine Mutter ist erstaunt. „Ja, aber warum?“, will sie wissen.

„Ich habe es mir überlegt, ich will doch nicht alles haben“, antwortet Maxi.

Die Mutter wundert sich, aber sie fragt nicht weiter.

Am Nachmittag bittet Maxi seine Schwester: „Hilfst du mir noch einmal, einen Brief an das Christkind zu schreiben?“

 

Nina ist auf der Hut. „Wie viele Wünsche hast du denn heute?“, erkundigt sie sich.

„Nur drei“, antwortet Maxi.

Nina ist einverstanden. „Also gut. Wir haben heute in der Schule gelernt, dass wir vor Weihnachten besonders nett zueinander sein sollen. Verdient hast du es ja nicht! Was soll ich denn schreiben?“

Maxi diktiert:

Liebes Christkind!

Es tut mir leid, dass ich mir gestern so viel gewünscht habe. Bitte verzeih. Ich habe es mir überlegt. Ich wünsche mir nur ein Feuerwehrauto, eine Parkgarage und einen Roller. Und bitte, stell den Christbaum so auf, dass ich ihn gleich sehen kann, wenn ich ins Zimmer komme. Ich will, dass Weihnachten schön ist.

Liebe Grüße

von deinem Maxi

Maxi nimmt den Brief, malt einen Tannenbaum und drei Päckchen darauf und steckt ihn in einen blauen Umschlag. Am Abend legt er ihn auf das Fensterbrett.

„Diese Nacht wird das Christkind meinen Brief sicher mitnehmen“, denkt er.

Sissy Schrei wurde 1967 in Wien geboren und wuchs in Klosterneuburg auf, wo sie auch die Volksschule und das Gymnasium besuchte. Nach der Matura studierte sie in Wien Mathematik und Physik Lehramt. Sissy Schrei lebt zurzeit in Maria Lanzendorf. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und ist im Lehrberuf tätig. Neben dem Schreiben gehören zu ihren Hobbys Lesen und die Beschäftigung mit Geschichte. Zwei ihrer Kurzgeschichten wurden bereits in Anthologien des Papierfresserchen-Verlags veröffentlicht.

*

Unerfüllbare Weihnachtswünsche

In der Nacht hatte es geschneit, viele kleine Flocken, die auf den kahlen Bäumen und den Dächern liegen geblieben waren und die Straßen in ein Wintermärchen verwandelt hatten. Aber dafür hatte Mark keine Augen, vielmehr schaute er sehnsüchtig auf das Treiben seiner Freunde, die bereits um diese frühe Morgenstunde mit ihren Schlitten unterwegs waren oder sich Schneeballschlachten lieferten. Voriges Jahr hatte er zu ihnen gehört, nun aber saß er durch diesen dummen Autounfall seit gut einem halben Jahr im Rollstuhl.

Wie oft hatte er sich gefragt, warum er nur so schwachsinnig gewesen und hinter dem doofen Ball hergelaufen war, obwohl er gewusst hatte, dass es sich um eine stark befahrene Straße mit unübersichtlicher Kurve handelte. Natürlich hatte der Fahrer auch Schuld, wurde denn nicht stets gewarnt: „Hinter einem Ball kommt immer ein Kind?“ Doch das nützte jetzt auch nichts mehr. Mark war an den Rollstuhl gefesselt. Allerdings hatten die Ärzte versichert, dass es an und für sich keinen Grund geben würde, dass er nicht laufen könnte. Es müsste sich wohl um etwas Psychisches handeln. Egal, wie man es nannte, er saß im Rollstuhl und konnte sich nicht mehr bewegen.

„Guten Morgen, mein Schatz, du bist ja schon auf und ganz ohne Hilfe! Wie geht es dir denn heute?“, fragte eine besorgte Stimme hinter ihm. Es war Anne, seine Mutter, die auch kein leichtes Leben hatte, nachdem sein Vater sich von ihnen getrennt hatte.

„Mama, schau mal meine Freunde, die toben im Schnee rum und ich sitze hier am Fenster, gefesselt an den blöden Rollstuhl, anstatt mit ihnen rumzuspringen.“

„Mark, du darfst nicht so verbittert sein. Das kommt alles wieder, hat doch der Arzt versichert. Lass uns frühstücken und danach gehen wir auch nach draußen.“

„Ich habe keinen Hunger“, maulte Mark, folgte aber seiner Mutter ins Esszimmer und ließ es sich sogar recht gut schmecken, worüber diese sehr glücklich war.

Natürlich konnte sie seine Verzweiflung verstehen. Ihr selbst war es auch nicht viel besser gegangen, nachdem Oliver sie verlassen hatte. Sofort nach Marks Unfall, ehe überhaupt die genaue Diagnose feststand, hatte er von heute auf morgen die Tür hinter sich zugemacht und sie mit dem kranken Kind alleine gelassen.

„Ich kann das Elend nicht mit ansehen!“ war seine fadenscheinige Entschuldigung gewesen. Er hatte ihr alles überlassen.

Sie gab sich einen Ruck, sie durfte Mark nicht zeigen, wie es um sie stand, sie musste ihm Mut machen, ihre Probleme hatten hintanzustehen.

„Mama, können wir gleich zum großen Kaufhaus fahren? Da steht so ein netter Weihnachtsmann und dem will ich meinen Wunschzettel überreichen, obwohl ich nicht glaube, dass er meine Wünsche erfüllen kann.“

„Gute Idee, ich räume nur schnell auf, während du deinen Wunschzettel schreibst und dann geht es los!“, erwiderte seine Mutter lächelnd.

Kurze Zeit später waren sie unterwegs. Der Schnee knirschte unter Annes Füßen, als sie durch die weihnachtlich geschmückte Straße fuhren. Bald schon waren sie beim großen Kaufhaus und sahen sofort den Weihnachtsmann, umringt von vielen Kindern, die ihm alle ihre langen Wunschzettel überreichten.

Als er Mark erblickte, kam er sofort auf ihn zu und fragte: „Na, kleiner Mann, hast du auch so viele Wünsche wie die anderen?“

„Nein“, entgegneter Mark. „Ich habe nur zwei Wünsche, aber ich glaube nicht, dass man sie mir erfüllen kann.“

„Was, nur zwei Wünsche und die sollen nicht erfüllbar sein? Das wäre doch gelacht, gib mal her, lass mich mal sehen, was du dir so Außergewöhnliches wünschst.“

Er nahm den Zettel, las ihn, las ihn nochmals, dann zupfte er sich an seinem Bart und wiegte nachdenklich den Kopf. „Das sieht allerdings auf den ersten Blick wirklich so aus, als wenn es unmöglich wäre, aber, das glaube ich einfach nicht. Dass du wieder laufen kannst, ist natürlich ganz wichtig und das kommt bestimmt von selbst wieder. Aber was ist mit deinem Papa?“

„Er hat Mama und mich verlassen, als ich nach dem Unfall noch im Krankenhaus lag.“

„Nun, das war wirklich nicht nett von ihm, aber willst du ihn denn trotzdem wiederhaben?“

„Ja, ich habe ihn doch so lieb und meine Mama auch und ich wünsche mir ganz, ganz fest, dass er zu uns zurückkommt.“

Der Weihnachtsmann machte ein recht sorgenvolles Gesicht, erkundigte sich aber noch, wo Mark wohnte und wie sein Papa hieß. Dann versprach er, dass Mark auf alle Fälle von ihm hören würde.

„Meinst du“, fragte er seine Mutter, „dass er mich wirklich nicht vergisst und bei uns vorbeikommt?“

„Warum nicht, er wollte doch wissen, wo du wohnst. Aber bedenke, vielleicht hat er auch keine Zeit, da er so viele Kinder beschenken muss“, räumte seine Mutter vorsichtshalber ein, damit die Enttäuschung nicht zu groß wäre, wenn der Weihnachtsmann nicht Wort halten würde.

Die nächsten Tage saß Mark nur noch am Fenster und hielt Ausschau nach dem Weihnachtsmann. Aber weit und breit war nichts von ihm zu sehen und er wurde immer trauriger und in sich kehrt. Anne war der Verzweiflung nahe, denn sie wusste nicht mehr, wie sie ihr Kind aufmuntern sollte.

Inzwischen hatte sie einen schönen Weihnachtsbaum gekauft, im Wohnzimmer aufgestellt und auch glanzvoll geschmückt. Doch Mark betrachtete ihn gar nicht. Liebevoll eingepackte Gaben lagen ebenfalls darunter. Mark hatte sich zwar nichts gewünscht, außer eben seinen Vater wiederzuhaben und gesund zu werden. Diese beiden Wünsche konnte sie ihm wohl nicht erfüllen, hatte aber ein paar Geschenke besorgt, von denen sie überzeugt war, dass sie ihm gefallen würden.

Dann kam der Heilige Abend und Anne dachte mit Schrecken daran, wie er wohl für sie beide verlaufen würde. Die Kerzen brannten am Baum und tauchten das Zimmer in ein gemütliches Licht. Gerade wollte sie Mark zur Bescherung holen, als es stürmisch klingelte.

„Sollte das vielleicht der Weihnachtsmann sein?“, überlegte sie auf dem Weg zur Tür. Dann erstarrte sie. Tatsächlich, es war der Weihnachtsmann und wen hatte er im Schlepptau? Nicht wie üblich seinen Knecht Ruprecht, sondern ihren Mann. „Oliver, du?“, stammelte sie.

Da öffnete sich aber auch schon die Tür vom Kinderzimmer und Mark kam angelaufen und flog in die offenen Arme seines Vaters.

„Papa, Papa, da bist du ja endlich wieder. Und ich kann wieder laufen. Mama, Mama, jetzt können wir richtig Weihnachten feiern. Danke lieber, guter Weihnachtsmann. Du hattest recht, es gibt keine unerfüllbaren Wünsche.“

Seine Mutter konnte gar nichts sagen.

Oliver trat auf sie zu und bat sie um Verzeihung: „Ich habe euch im Stich gelassen, was unverzeihlich war und ist, gerade als ihr mich am nötigsten gebraucht habt. Mein schlechtes Gewissen plagte mich zwar, aber ich habe nicht gewagt, mich zu melden. Dann aber las ich im Internet den Aufruf eines Weihnachtsmannes, der verzweifelt den Vater eines kleinen Jungen suchte. Wenn dieser sich nicht melden würde, müssten er und seine Mutter bestimmt ganz traurige Weihnachten verleben. Beide hätten ihn noch lieb und wollten nur, dass er zu ihnen zurückkäme. Ja, und da bin ich nun.“

Anne sagte gar nichts. Sie konnte und wollte ihrem Mann nicht sofort verzeihen, aber wegen Mark musste es zu einer Versöhnung kommen, obwohl er sie sehr gekränkt hatte. Die Hauptsache aber war, dass ihr Kind wieder gehen konnte, so hatte der Arzt mit seiner Diagnose richtig gelegen, es war tatsächlich ein psychisches und kein gesundheitliches Problem gewesen. Zunächst sollte es aber für alle ein schönes Weihnachtsfest werden und danach könnte sie sich mit Oliver in Ruhe aussprechen.

Renate Hemsen wurde am 18. Februar 1940 in Köln geboren. Neben Lesen gehörte auch Schreiben schon immer zu ihren Hobbys, und als sie im Jahre 2000 in den wohlverdienten Ruhestand ging, da konnte sie sich voll und ganz dem Schreiben widmen – besonders im Sommer, wenn sie dies bei ihrer Freundin im Garten im Siebengebirge unter der großen Kastanie tun kann. Sie ist in diversen Anthologien vertreten und hat auch einige Gedichte veröffentlicht.

*

Fynns Reise ins Weihnachtsland

Niemals hätte Fynn sich träumen lassen, einem sprechenden Elch zu begegnen. Noch dazu einem Elch, der einen rot-weiß gestreiften Schal um den Hals trug und einen dicken Kugelbauch vor sich herschob. Schließlich begann diese Geschichte ganz unscheinbar. Nichts deutete darauf hin, dass in ihr etwas Ungewöhnliches geschehen würde. Doch dann kam alles ganz anders!

Fynn stand vor dem Postkasten am Ende der Straße. Seine kleine Schwester hatte ihn gebeten, einen ganz wichtigen Brief einzuwerfen. Fynn sah sich den Brief an und rollte mit den Augen. Marlene hatte bunte Weihnachtsbäume auf den Umschlag gemalt. Mit krakeligen Kindergarten-Buchstaben hatte sie darauf geschrieben: „An den Weihnachtsmann“.

„Typisch, Kindergartenkind!“, dachte Fynn. Er selbst glaubte schon seit zwei Jahren nicht mehr an den Weihnachtsmann. Fynn drehte sich vorsichtig nach allen Seiten um. „Hoffentlich sieht niemand, wie ich diesen kindischen Weihnachtsbrief einwerfe“, murmelte er vor sich hin, während er die Klappe am Briefschlitz nach hinten schob.

Doch gerade als Fynn den Umschlag durch den Schlitz steckte, geschah etwas Merkwürdiges. Irgendetwas zog und zerrte am anderen Ende des Briefes! Gleichzeitig klebten Fynns Handschuhe an dem Briefumschlag wie ein Magnet an einem Stück Metall. Fynn kam sich vor wie eine Spielzeugfigur, die von einem riesigen Staubsauger eingesogen und verschluckt wurde. Zuerst drehte sich alles, wie in einem Karussell. Dann glaubte er, durch einen langen Tunnel zu fliegen, mit Wänden aus buntem Zuckerguss. Schließlich rutschte er wie auf der großen Wasserrutsche im Hallenbad und landete mit dem Hosenboden auf einem Schneehaufen.

Fynn sah sich verdutzt um. Neben ihm wuchsen hohe Tannen aus dem schneebedeckten Boden. Zwischen den Bäumen versteckt lag eine kleine Holzhütte. Mit ihrem windschiefen Dach, das mit Ziegeln aus Lebkuchen bedeckt war, duckte sie sich unter die Zweige. Rauch stieg aus dem Schornstein auf und hinter den vereisten Fensterscheiben flackerte das warme Licht eines Kaminfeuers.

Fynn rieb sich ungläubig die Augen und betrachtete das Holzschild über der Tür. „Weihnachtspostamt“ war darauf zu lesen. Fynn war sich sicher: Das musste ein ganz merkwürdiger Traum sein!

„Alles klar, Kumpel?“, fragte eine Stimme hinter ihm.

Erschrocken drehte Fynn sich um. Seine Augen wurden beinahe so groß wie Fußbälle, so sehr staunte Fynn. Hinter ihm stand ein Elch, der redete! Ein Elch mit einem rot-weiß gestreiften Schal und einem dicken Kugelbauch!

„Noch nie ʼnen Elch gesehen, was, Kumpel?“

„Zumindest keinen, der spricht“, antwortete Fynn verdutzt.

„Und jetzt denkst du sicher, dass du träumst, oder?“

Fynn zuckte mit den Schultern und sagte: „Was soll es denn sonst sein, außer einem Traum?“

 

„Wenn du das schon für einen Traum hältst, dann werden dir hier noch vor Staunen die Augen aus dem Kopf fallen.“ Jetzt wurde Fynn neugierig. Als der Elch das bemerkte, grinste er Fynn mit seinen gelben Zähnen an und sagte: „Dann komm mal mit, Kumpel. Ich zeig dir, wo du hier gelandet bist.“

Der Elch trottete am Weihnachtspostamt vorbei auf einen schmalen Weg, der sich durch den Wald schlängelte. Glühwürmchen schwirrten in der Luft und erleuchteten die verschneite Nacht wie kleine fliegende Straßenlaternen. Am Wegrand stand eine lange rot-weiß gekringelte Zuckerstange mit einem Wegweiser daran. „Zu den heißen Quellen“ war darauf geschrieben. Fynn hatte in der Schule davon gehört, dass es in Island Löcher in der Erde gab, aus denen heißer Dampf aufstieg. War es möglich, dass er in seinem Traum in Island gelandet war?

„Ich führe dich zu den heißen Quellen in der Süßen Ebene“, erklärte der Elch. „Reisende brauchen schließlich Stärkung.“

Fynn und der Elch stapften durch den tief verschneiten Winterwald, bis sie auf eine weite Ebene stießen.

Fynn sah sich staunend um. Der Schnee leuchtete in den buntesten Farben.

„Greif ruhig zu“, sagte der Elch und deutete auf den bunten Schnee. „Magst du lieber Pistazien- oder Erdbeereis?“

„Du meinst, das hier ist Eis? Zum Essen?“, fragte Fynn.

„Ich weiß nicht, was man in deiner Welt sonst mit Speiseeis macht“, grinste der Elch. „Übrigens, wenn du Durst hast, kannst du hier drüben aus den heißen Quellen trinken.“

In einem schokoladenbraunen See sprudelte und blubberte heißer Kakao. Nach kurzem Zögern schleckte Fynn nach Herzenslust von dem köstlichen Eis und trank aus den heißen Quellen den besten Kakao, den er je probiert hatte!

„Wir müssen weiter, Kumpel“, sagte der Elch. „Das Tollste wartet nämlich noch auf uns.“

Fynn konnte es kaum erwarten, was der Elch ihm noch zeigen wollte. Die beiden kletterten einen Hang hinauf. Oben angekommen glitzerte ein zugefrorener See im Mondschein.

Der Elch hielt sich einen Huf vor den Mund und flüsterte: „Du musst hier ganz leise sein, dann kannst du ein wunderschönes Schauspiel genießen.“

Mucksmäuschenstill blieb Fynn stehen und spitzte die Ohren. Plötzlich entdeckte er winzige Elfen, die auf dem Eis tanzten. Mit ihren silbrig glänzenden Flügeln zogen sie Wolken aus funkelndem Elfenstaub hinter sich her.

„Komm weiter, Kumpel. Wir haben nur noch ein kleines Wegstück vor uns, bis wir am Ziel sind.“

„An welchem Ziel?“, fragte Fynn erstaunt.

„Warte es ab“, grinste der Elch vergnügt.

Es dauerte nicht lange, bis Fynn und der Elch zu einer Anhöhe kamen. Unter ihnen erstreckte sich ein weites Tal. In jedem Winkel glitzerte und leuchtete es. Am Fuß eines Hügels standen mehrere Hütten, aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg. In der Mitte des kleinen Dorfes sah Fynn ein Schloss, dessen Wände, Dächer und Fenster glänzten, als wären sie aus Eis.

„Wir sind am Ziel, Kumpel.“ Der Elch legte Fynn einen Huf um die Schultern. „Vor uns liegt das wunderbare und zauberhafte Weihnachtstal! Hier wohnt der Weihnachtsmann!“

„Du willst mich auf den Arm nehmen.“ Fynn runzelte die Stirn.

„Glaub es oder lass es bleiben. Aber so ist es. In dem Eispalast wohnt er und in den Hütten arbeiten die Weihnachtselfen.“ Der Elch betrat einen Weg, der sich hinunter ins Tal wand.

„Merkwürdiger Traum“, murmelte Fynn und folgte dem Elch.

Vor der Eingangstür des Eispalastes blieb der Elch stehen und klopfte an. Wie von selbst öffnete sich das glitzernde Tor. In einer riesigen Halle aus Eis und Glas stand ein kleiner Mann in einem rot-weißen Mantel, der einen dicken Kugelbauch vor sich herschob.

„Herzlich willkommen im Weihnachtstal, lieber Fynn“, sagte der Mann und legte einen Arm um Fynns Schulter. „Du hast also eines der magischen Tore gefunden, das in unser zauberhaftes Weihnachtsland führt? Du hättest wohl nie gedacht, dass wir beide uns mal begegnen, oder?“

Fynn starrte auf den Mann mit den roten Pausbacken und dem Rauschebart. „Bist du wirklich der Weihnachtsmann?“, fragte Fynn ungläubig.

Der rundliche Mann nickte vergnügt: „Ich weiß, dass du schon lange nicht mehr an mich glaubst. So, wie die meisten Menschen. Das ändert aber nichts daran, dass es mich und diesen wunderbaren Ort gibt, an dem Träume Wirklichkeit werden.“

Fynn sah sich neugierig im Eispalast um, ihm kam alles so unwirklich vor.

„Da fällt mir ein ...“, sagte Fynn. „Ich habe einen Brief für dich.“ Fynn kramte in seiner Jackentasche und zog den Umschlag heraus, den seine kleine Schwester ihm gegeben hatte.

„Vielen Dank, Fynn. Ich würde mich aber auch freuen, wenn du mir in Zukunft wieder schreiben würdest“, sagte der Weihnachtsmann.

Verlegen sah Fynn auf den Boden. „Das mache ich ganz bestimmt!“

Der Weihnachtsmann führte Fynn nach draußen.

„Es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Der Elch mit dem rot-weiß gestreiften Schal bringt dich nach Hause. Vielleicht sehen wir uns mal wieder und ansonsten kannst du mir jederzeit schreiben.“ Der Weihnachtsmann lächelte Fynn an und Fynn lächelte zurück.

„Dann los, Kumpel. Steig auf!“, rief der Elch und nahm Anlauf. Mit einem lauten „Juhuu!“ hob er vom Boden ab und flog mit Fynn über das Weihnachtsland.

Pünktlich klingelte der Wecker. Fynn gähnte: „Was für ein Traum!“ Dann ging er ins Badezimmer. Vor dem Spiegel blieb er wie angewurzelt stehen. Er hatte einen rot-weiß gestreiften Schal um den Hals gewickelt! An dem Schal hing eine Geschenkkarte: „Eine kleine Erinnerung an deine Reise ins Weihnachtsland. Bis bald, Kumpel!“

Patrick Grasser wurde 1981 in Nürnberg geboren. Er studierte Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit. Seit seinem Studienabschluss arbeitet er als Religionslehrer an Grund-, Mittel- und Förderschulen. Nebenbei veröffentlicht er Materialien und Fachbücher für den Religionsunterricht. In seiner Freizeit schreibt er Geschichten und Erzählungen für Kinder und Jugendliche. Er ist Mitglied im Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. und im Montségur Autorenforum. Patrick Grasser lebt mit seiner Frau in Nürnberg.