Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 2

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Einmal im Jahr

Einmal im Jahr ziehe ich durch die Welt.

Fliege über die Kontinente der Erde.

Die kalte Luft rötet meine Wangen,

doch es liegt ein Lächeln auf meinem Gesicht.

Heute kann ich die Menschen glücklich machen,

denn ich darf sie beschenken.

Einmal im Jahr erwache ich zum Leben.

So viele Menschen glauben an mich.

Sie glauben an mich, am meinen Mythos.

Erwartungsvoll stehen Kinder an den Fenstern.

Sie schauen zum Himmel hinauf,

um mich zu erblicken.

Horchen geduldig auf das Läuten meiner Glöckchen.

Heute bleiben die Kamine kalt,

denn sie sind mein Eingang.

In den Häusern erwarten mich Milch und Kekse.

Außerdem bekomme ich so viel Liebe.

Liebe durch Dekorationen in herrlichen Farben.

Einmal im Jahr

besuche ich jeden einzelnen Menschen.

Hinterlasse Geschenke, um dann weiterzuziehen.

Es ist Weihnachten und ich mache hier meinen Job.

Ich bin der Weihnachtsmann.

Für manch einem nur eine Geschichte,

für andere ein fester Glaube.

Nancy Noack wurde am 22. Februar 1982 in Berlin geboren. Sie schreibt seit ihrem 14. Lebensjahr. So wie andere Tagebuch führten, schrieb Nancy ihre Gedanken in Gedichtform auf. Das Schreiben ist für sie nicht nur ein Hobby, sondern eine Leidenschaft.

*

Wundersame Weihnacht

Mit einem lauten Knall schlug Sebastian die Tür hinter sich zu. Wütend warf er die Jeansjacke in die Ecke seines Zimmers und ließ sich traurig aufs Bett fallen. Während er mit den aufsteigenden Tränen kämpfte, schaute er auf den beleuchteten Messingstern. Wie der Stern über Bethlehem strahlte dieser elektrisch beleuchtete Stern aus blank poliertem Messing in seinem Fenster. Seine Mutter hatte ihn dort angebracht und täglich steigerte er seine Vorfreude auf Weihnachten. Morgen war Heiligabend und draußen fielen sogar die ersten Schneeflocken, alle Voraussetzungen für ein wunderschönes Weihnachtsfest waren gegeben, nur seine Mutter hatte ihm die Freude daran gründlich verdorben. Gerade heute beim Plätzchen backen hatte sie ihm mitgeteilt, dass er sich schon einmal mit dem Gedanken anfreunden müsse, dass sein Geschenk in diesem Jahr bei Weitem kleiner ausfallen würde als gewünscht. Bei dieser Ankündigung hatte sie Tränen in den Augen und erklärte ihm, dass sie als allein erziehende Mutter, deren Arbeitgeber die diesjährige Weihnachtsgratifikation gestrichen hatte, ganz besonders sparen müsse.

Sebastian wünschte sich ganz weit weg zu sein und wollte damit all diesen Ungerechtigkeiten, die ihm jetzt widerfuhren, entfliehen. Aber allem voran wollte er es seiner Mutter heimzahlen, ihr einen anständigen Denkzettel verpassen. Mit seinem Verschwinden würde er ihr sogar einen großen Dienst erweisen. Denn ohne ihn würde sie bestimmt viel besser zurechtkommen und müsste nicht jeden Cent zweimal umdrehen, dachte er zornig und erhob sich zu allem entschlossen von seinem Bett. Wenn er erst einmal nicht mehr da wäre, dann würde sie die Sache mit dem Geschenk und dem Sparen mehr als bitter bereuen.

Sebastian setzte sich an seinen Tisch, nahm ein Blatt Papier und fing an zu schreiben. Obwohl er noch nicht eingeschult war, konnte er bereits lesen und schreiben, was er seiner Mutter zu verdanken hatte und ihm jetzt zugutekam. Er wollte dorthin, wo sich der Weihnachtsmann das ganze Jahr über aufhielt mit all den bunten, schönen Sachen und Geschenken, die so groß waren, dass sie gar nicht eingepackt werden konnten. Solange er seinen Wunsch persönlich an den Weihnachtsmann richtete, kullerten seine Tränen aufs Papier und vermischten sich mit der Tinte. Nachdem er fertig geschrieben hatte, faltete er das Stück Papier zu einem Flugzeug, öffnete das Fenster mit dem Stern von Bethlehem und ließ es durch den dunklen Nachthimmel mit all den unzählbaren, lautlosen Schneeflocken gleiten. Erst als es nicht mehr zu sehen war, schloss er das Fenster und legte sich trotzig aufs Bett. Der Duft der frisch gebackenen Plätzchen zog durch die ganze Wohnung und machte auch vor seinem Zimmer nicht halt.

Obgleich sein Magen knurrte, wollte er standhaft bleiben und seiner Mutter die Zähne zeigen. Müdigkeit breitete sich über ihm aus, er schlief ein und wachte mitten im Traumland wieder auf. Ein wunderschöner, alles überstrahlender Engel nahm ihn bei der Hand und führte ihn an den Ort seiner Wünsche. Der Weihnachtsmann war derweil mit seinem vollgepackten Schlitten unterwegs, um all die vielen Geschenke pünktlich abzuliefern. Spielsachen, Musikgeräte, Bücher ... so weit das Auge reichte. Alles lag da, was Sebastians Herz begehrte.

Aber sein besonderes Augenmerk galt dem Kleidungsstück, das direkt vor ihm lag. Genau die Jacke, die er sich schon das ganze Jahr über sehnlichst gewünscht hatte und die er jetzt nicht erhalten sollte. Er nahm sie auf, zog sie an und tatsächlich passte sie wie angegossen. Sogar ein Spiegel stand plötzlich da, in dem er sich ausgiebig und freudestrahlend betrachten konnte. Ein wertvolles und wunderschönes Kleidungsstück von überaus langer Lebensdauer war dieser robuste Lammfellblouson im Fliegerstil. Für das Modell hatte man die Farbe Sand ausgewählt und mit Antik-Finish versehen, wodurch der Blouson noch authentischer wirkte. Mit durchgehendem Reißverschluss, zwei Schubtaschen, sportlichen Schließen seitlich am Bund sowie zwei Innentaschen mit Reißverschluss war er ein treuer Begleiter durch die kalte Jahreszeit.

Sebastian hörte nicht nur die Worte des Verkäufers, sondern sah diesen geradewegs und zuversichtlich lächelnd hinter sich stehen, während er sich selber im Spiegel bewunderte. Dennoch verging ihm blitzartig die Freude an seinem schönen, teuren Geschenk, als ihm der Engel zeigte, wie traurig seine Mutter über sein Verschwinden war und sich aus Verzweiflung über den Verlust ihres über alles geliebten Sohnes von einer Brücke stürzte. Sebastian zog die Jacke aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen, während er mit tränenerstickter Stimme den Engel bat, ihn doch wieder nach Hause zu seiner Mutter zu bringen, die er mehr als alles und jeden anderen liebte. Der Engel nahm ihn gütig lächelnd bei der Hand und erklärte ihm, dass nur allein die Liebe das größte Geschenk im Himmel wie auf Erden sei.

Es war Weihnachtsmorgen. Sebastian rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaute durch das Fenster mit dem Bethlehemstern auf die einladend geschlossene Schneedecke. Bei dem Anblick des Sterns musste er sogleich an seine Mutter denken, die diesen so liebevoll an seinem Kinderzimmerfenster aufgehängt hatte. Beunruhigt und angsterfüllt schlich er auf der Suche nach ihr durch die Wohnung und fand sie glücklicherweise in der Küche vor. Dort war sie noch immer zugange, ganz leise zwar, um ihn nicht zu wecken. Und wieder stieg ihm der Duft der frisch gebackenen Plätzchen in die Nase. Die Tränen der Freude und Erleichterung liefen ihm bei ihrem Anblick über die Wangen. Wie immer wenn er sie sah, ging die Sonne für ihn auf. Er war Zuhause und seine über alles geliebte Mutter stand vor ihm. Rasch lief er zu ihr hin und umarmte sie wortlos. Sie zog ihn schweigend und verständnisvoll an sich. Sie brauchten keine Worte. Sie verstand ihn, so wie sie immer alles verstand. Sebastian fühlte sich glücklich und geborgen. Er hörte wieder die Stimme des wunderschönen, alles überstrahlenden Engels, der ihm ins Ohr flüsterte, dass nur allein die Liebe das größte Geschenk im Himmel wie auf Erden sei.

Als sie am Abend von der Kirche zurückkamen und es Zeit war für die Bescherung, fand Sebastian unter dem Weihnachtsbaum den Lammfellblouson, den er sich so sehr gewünscht und den er in seinem Traum, oder war es gar kein Traum gewesen, so achtlos hatte zu Boden fallen lassen. Hastig schlüpfte er in die Jacke und warf sich voll Dankbarkeit in die Arme, seiner nicht weniger überraschten Mutter.

Die kleinen goldfarbenen Glöckchen am Baum fingen leise an zu klingen und Sebastian wusste, dass er dieses wundersame Weihnachtsfest niemals vergessen würde.

Susanne Ulrike Maria Albrecht, geboren im November 1967 in Zweibrücken, absolvierte eine Ausbildung zur Gestalterin für visuelles Marketing und eine private Schauspielausbildung. Von ihr erschien bereits der Band „Umkehr ausgeschlossen“ sowie einige weitere Werke in Anthologien und Literaturzeitschriften.

*

Der Weihnachtsmond

„Wenn der Mond ein Käse wäre“, flüsterte die kleine Maus Fridolin, „dann bräuchte ich nie wieder Hunger zu leiden!“ Sehnsüchtig schaute das graue Tierchen auf zum samtblauen Himmel, wo prall und voll das große Licht schien, umgeben von unzähligen kleinen. Laut knurrte der Magen des flinken Nagers. Fridolin hielt sich den Bauch, der so leer war, dass er schmerzte. „Ach, nur ein winziger Bissen Käse, ein Krümelchen Brot – wie gut würde mir das jetzt schmecken! Aber seit der alte graue Kater sein Jägeramt an das Schwarze Ungeheuer abgeben musste, ist hier einfach kein bisschen mehr zu holen. Das ist ein trauriger Advent! Ob Weihnachten je kommt? Nun, ich werde versuchen zu schlafen. Morgen ist ein neuer Tag, der vielleicht Rat bringt!“

Fridolin kroch ganz tief in die hinterste Ecke seine Loches, wo er es sich auf einem Häufchen Stofffetzen gemütlich machte. Dankbar, jetzt im Winter wenigstens noch ein warmes Bett zu haben, rollte er sich zusammen. Es war still im Mauseloch. Eine winzige Mäuseträne rollte in Fridolins Schnurrbart, als er an den schrecklichen Tag dachte, seit dem er hier allein hauste. Vom Hunger schwach und müde, schlief der Kleine aber bald ein.

 

Im Traum vernahm er plötzlich die Stimme, die er von allen am meisten liebte. Mäuseline, seine Mutter, sprach sanft zu ihm: „Brich auf, mein Kind! Ich weiß jetzt, die alten Mäusesagen sprechen die Wahrheit. Der Mond ist ein Käse. Jede Maus, die ihn erreicht, wird nie wieder Hunger leiden müssen und immer glücklich sein!“

Als Fridolin erwachte, drehte sich die ganze Welt um ihn. Das Mäuschen versuchte, auf die Füße zu kommen, was ihm auch mit einiger Mühe gelang. „So geht es nicht mehr weiter! Solange ich im Revier des Schwarzen Ungeheuers weile, ist an Essen nicht zu denken. Noch keine Maus ist ihm entkommen, alle Krümel frisst er selber und wird davon rund wie ein Vollmond.“

Der Gedanke an den Himmelskörper brachte Fridolin seinen Traum wieder vor Augen. „Der Mond! Ich muss zu ihm. Dort kann ich mich satt essen und froh sein. Nur – wie stelle ich das an? Für ein kleines Mäuschen wie mich ist es doch viel zu weit dorthin! Nun, am besten laufe ich einfach los, sehe unterwegs, wie es weiter geht!“ Fridolin schaute vorsichtig nach links und rechts, vor sich und nach oben, um herauszufinden, ob die Luft rein sei. Keine Spur des Schwarzen Ungeheuers zeigte sich. Behutsam glitt die Maus aus ihrem behaglichen Loch und huschte die Fußleiste entlang bis zur Tür. Doch – oh Graus, diese war fest verschlossen. Auf der Türmatte schlief der große Hund, der aller Mäuse Schrecken war. Dort war kein Durchkommen, das stand fest. Fridolin spürte einen leisen Luftzug und sah, dass das Fenster des Raums gekippt war. Rasch schlich er an dem Schlafenden vorbei, huschte quer durch das Wohnzimmer am reich geschmückten Tannenbaum vorbei und kletterte behände den langen Vorhang hinauf, der nicht nur die Scheibe, sondern auch das Mäuschen gut vor neugierigen Blicken verhüllte. Auf dem Sims musste der hungrige Kleine erst einmal eine Pause einlegen. Sein Magen knurrte jetzt so laut, dass er schon befürchtete, den Wächter zu wecken, doch zum Glück schnarchte dieser aus Leibeskräften. Nach einer Weile machte Fridolin sich daran, den Rahmen des gekippten Fensters zu ersteigen, doch nach einigen Handspannen kam er ins Rutschen und stieß an eine Vase mit Tannengrün, die vom Fensterbrett glitt und mit lautem Krach am Boden zerschellte. Dieser Lärm drang sogar in die Träume des Schwarzen Ungeheuers und blaffend sprang der Hund auf. „Ich sehe dich, du entkommst mir nicht“, bellte er. Fridolin machte sich ganz klein, doch schon stand der Verfolger vor ihm. Todesangst verlieh der Maus Riesenkräfte; sie sprang mit einem Satz hoch zum Fensterspalt und schlüpfte hindurch. Unsanft landete Fridolin auf dem äußeren Sims und seine Augen weiteten sich vor Schrecken. Der Hund hatte inzwischen eingesehen, dass er seiner Beute nicht durch die Scheibe folgen konnte und mit der Pfote die Tür geöffnet. „Ich sehe dich, du entkommst mir nicht!“, drohte er wieder. Die Maus schloss die Augen und sprang mit einem weiten Satz mitten auf den Pelz des alten grauen Jägers, der sich auf dem Rasen im Dezembersonnenlicht zu wärmen versuchte. „Nun ist es wirklich aus mit mir! Auch Katzen fressen Mäuse“, zitterte der Kleine. Wieder drohte der Hund.

Der greise Jäger öffnete die Augen, erblickte Fridolin, schnappte geschickt zu und schoss mit dem Tierchen im Maul um die Ecke, hangelte sich einen überfrorenen Baumstamm hoch und barg sich in einer Astgabel. Dort legte er die Maus sanft in ein verlassenes Vogelnest. „Hab keine Angst!“, maunzte der Kater tröstend. „Ich bin alt und zahnlos, ich fresse deinesgleichen nicht mehr. Dieses schwarze Ungeheuer aber ist auch mein Feind. Er soll dich nicht bekommen. Wir bleiben einfach hier oben auf dem Baum, bis das Warten ihm langweilig wird. Hunde sind nicht sehr geduldig, weißt du.“ Der Schwarze blieb bellend unter dem Versteck der zwei Flüchtigen stehen und dachte gar nicht daran, so ungeduldig zu sein, wie der Alte gemeint hatte.

„Kater Carlo“, stellte dieser sich nach einer langen Weile vor.

„Ich bin Fridolin und ich habe Hunger. Der Schwarze Hund hat meine ganze Familie erlegt und kein Krümel ist zu finden, wo er wacht. Es ist fast Weihnachten und ich bin ganz allein!“ Der alte Kater sah das Mäuschen mitleidig an. „Ja, viel besser ergeht es mir auch nicht. Er hetzt mich Tag für Tag und hat mir schon manche Wunde zugefügt. Ach, ich mag hier nicht mehr leben!“ Traurig erzählten die zwei sich ihre Geschichten, während der bellende Wachhund sie nicht aus den Augen ließ. Die Nacht brach herein und der Mond erhob sich über dem Land.

„Der Mond ist ein Käse, auf dem alle glücklich sein können!“, seufzte Fridolin müde.

„Ja, diese alte Mär gibt es bei uns Katzen auch“, stimmte sein Begleiter zu. „Nun schlaf, kleine Maus, bald wird alles gut sein! Morgen ist doch Weihnachten!“ Gehorsam schloss Fridolin die Augen und dämmerte ein. Er spürte gar nicht, wie der alte Carlo ihn sanft in das Maul nahm und immer weiter nach oben zu klettern begann. Immer wieder glitt er auf dem rutschigen Holz aus und kam nur langsam voran. Über die vereiste Rinde stieg er bis auf die alleroberste Astspitze. Der Mond stand direkt über dem Baum. Es war doch nur ein Sprung! Noch immer lauerte der wütende Hund unter dem Baum. „Ich sehe euch, ihr entkommt mir nicht!“, blaffte er. Der müde Kater nahm all seine Kraft zusammen und machte den gewaltigsten aller Sätze. Sanft berührten seine Pfoten die unebene Mondoberfläche. Ein köstlicher Duft umfing die Ankömmlinge.

Fridolin erwachte bei der Landung. „Da bist du ja, mein Kind!“ Mama Mäuseline stürzte auf ihren Sohn zu. „Und du auch, alter Jäger! Willkommen bei uns! Hier ist Platz und gutes Essen für alle! Kommt und lasst es euch wohl sein! Ich will den anderen erzählen, dass ihr zu uns gekommen seid!“ Zögernd nahm das hungrige Mäusekind einen Bissen von der Mondoberfläche. Der Käse schmeckte mild und köstlich, fast ein wenig nach Äpfeln, Nüssen und Mandelkernen. „Der Mond ist ein Käse, der alte Jäger mein Freund und ich bin so glücklich, dass ich wieder bei euch bin, Mama!“, jubelte Fridolin. „Frohe Weihnachten!“

Maria Sassin, geboren am 13.7.1963 in Rees, lebt heute mit ihrer Familie in Rommerskirchen. Sie hat bereits einige Bücher veröffentlicht.

*

Was ist das Christkind?

„Ich will nichts mehr hören Erzengel!“

„Aber Petrus, du kannst nicht länger leugnen, was vor sich geht! Die Kinder glauben nicht mehr an uns! Selbst das Christkind ist ihnen fremd!“, erwiderte der Erzengel verzweifelt: „Wenn wir uns doch nur einmal …“

„Nein, nein, nein! Wir werden uns bestimmt nicht zeigen!“ Der Erzengel stapfte wütend durch die Räume, die aus wattigen Wolken bestanden, und schwang das große, goldene Tor zur Weihnachtswerkstatt auf.

Das Auftauchen des hohen Engels scheuchte alle anderen, untergeordneten Engel und Kobolde auf. Alle starrten sie eingeschüchtert den wütenden Engel an. Verärgert schlenderte der Erzengel durch die Reihen. Seine prüfenden Blicke streiften die wundervollen Werke der Kobolde und Engel. Auf einmal blieb er vor einem schmalen Tisch stehen und betrachtete eine Eisenbahn, die darauf stand. Sie war wunderschön bemalt. Ihre dünnen Rädchen waren aus feinem Holz geschnitzt, angeleimt an die feinen Stäbchen, die die Räder miteinander verbanden. Die Lok schimmerte rot und die anhängenden Wagen waren orange und gelb gestrichen. In den einzelnen Waggons befanden sich vergoldete Walnüsse, handgemachte Holzfiguren und kleine gefüllte Schokoladeneier.

„Wer hat das hier gemacht?“, flüsterte der Engel bewundernd. Er nahm die Eisenbahn in seine zarten Finger und wiegte sie beinahe liebevoll in den Händen. Verblüfft und staunend drehte er sie in alle Richtungen.

„Ähm ich … Sir“, piepste eine schmächtige Figur, deren kleiner Kopf hinter einer Tischkante hervorlugte.

„Du?!“

„Ja Sir“, stammelte der mickrige Weihnachtsengel.

„Das ist wunderschön geworden.“ Er stellte das Gefährt wieder an seinen Platz zurück und sah den Engel an, dessen Wangen sich rosa färbten. Rote Haare kringelten sich auf seinem Kopf und leuchtende, blaue Augen strahlten den Erzengel verlegen an.

„Dankeschön“, sagte der Weihnachtsengel stolz.

„Wie heißt du? Dich habe ich hier noch nie gesehen. Und aus welcher Gruppe stammst du?“

„Phinipeus, Sir, und ich bin aus der ersten Gruppe Rot. Petrus hat mich hierher geschickt. Er meint, ich könnte euch bei den Vorbereitungen des Weihnachtsfestes helfen.“

„Gut Phinipeus! Tolle Arbeit, mach weiter so!“ Phinipeus nickte eifrig und verschwand wieder hinter seinem viel zu großen Arbeitstisch.

Die schlechte Laune des Erzengels hatte sich schlagartig verbessert. Mit einem scheelen Blick begutachtete er die vielfältigen Ideen seiner wundersamen Helfer. Hand in Hand arbeiteten sie und sangen dazu fröhlich alle Weihnachtslieder, die sie kannten. Keines der Wesen, die begeistert an ihren Stücken arbeiteten, wusste von dem Kummer und dem Streit mit Petrus, der den Erzengel beschäftigte. In seine Gedanken vertieft ließ er sich auf seinem weißen Ohrensessel nieder und starrte seufzend in das wilde Gewusel.

Während sich der Erzengel große Sorgen über das heurige Weihnachtsfest machte, lief Phinipeus aus der Weihnachtswerkstatt und machte sich auf die Suche nach goldener Farbe für seine Walnüsse. Er stolperte über die Türschwelle und schlich auf Zehenspitzen weiter, denn im Himmelreich war es sehr wichtig still zu sein, wenn die hohen Engel im Weihnachtsrat all die Wunschlisten der Erdenkinder bearbeiteten und berieten, welche Kinder noch eine Kleinigkeit dazu bekommen sollten, aber auch solche, bei denen der eine oder andere Wunsch nicht erfüllt werden solle, um die Kleinen auch die Tugend der Bescheidenheit zu lehren.

Plötzlich blieb Phinipeus mit großen, weit aufgerissenen Augen vor einem glänzenden Portal stehen. Der kleine Weihnachtsengel wirkte vor diesem gigantischen Tor verloren und hilflos. Phinipeus trat zum Tor und legte das Ohr neugierig daran. Nichts. In der Hoffnung, eine neue, fortgeschrittenere Werkstatt zu finden, drückte er das Tor auf. Ein starker Luftstrom erfasste den Engel und zog ihn aus dem Himmel mit sich Richtung Erde hinab. Hilflos purzelte der kleine Engel aus dem Portal, das sich hinter ihm wieder schloss, in die Tiefe. Mit letzter Kraft krallte Phinipeus sich an einer rundlichen Wolke fest und wartete, bis der Wind sich einen neuen Weg gesucht hatte. Ängstlich und eingeschüchtert setzte der Engel sich auf die pummelige Wolke. Phinipeus strich seine weißen, kurzen Engelsflügel glatt und richtete sich sein schimmerndes Hemdchen zurecht.

Staunend sah er sich um und erblickte die Erde unter sich. All die seltsamen Vierecke mit noch seltsameren Dreiecken auf dem Kopf, die grünen Dinger, die beisammenstanden und lange, grüne Nadeln trugen. Und was waren das für Wesen, die hinter durchsichtigen Scheiben Kekse naschten? Sie sahen beinahe aus wie Engel, nur ohne Flügel. Hatte Phinipeus nicht schon viel von ihnen gehört? Waren das nicht Menschenkinder?

Phinipeus starrte bewundernd auf die Welt unter sich. Wie weiß sie war. Und kalt! Es fröstelte den Engel, und ehe er sich versah, brach Phinipeus durch die Wolke und war wieder im Strom des frischen Windes gelandet. Abermals ging es solange abwärts, bis der Wind vor einem Haus innehielt. Er warf Phinipeus ab und hauchte ihm zu: „Vollbringe etwas Gutes, um Weihnachten in diesem Haus zu retten, dann bringe ich dich zurück zu deines Gleichen.“ Phinipeus wollte noch etwas einwenden, doch da war der Wind bereits wieder verschwunden. Verzweifelt drehte er sich einige Male im Kreis, blickte sich verwirrt um und fand schließlich unter einer winzigen Tanne Zuflucht.

Frierend kauerte der kleine Engel unter dem Baum, die zitternden Knie angewinkelt und schielte zu dem Haus, vor dem er abgesetzt worden war. Es sah schön warm aus. Halb abgebrannte Kerzen beleuchteten die Fenster, Papiersterne verzierten die Wohnungstüre. Alles war geschmückt mit wundervollen Dingen aus Kinderhänden. Vor dem Haus stand eine runde, kleine Tanne, die mit bunten Ketten aus Lichtern übersät war. Weihnachtskugeln aus färbigem Glas hingen an den schmalen Zweigen. Der weiße Schnee ruhte glitzernd auf der einsamen Landschaft. Wunderbar war die Ruhe, die unausgesprochene Freude auf das Weihnachtsfest. Wie still alles war.

Phinipeus starrte in die Ferne. „Verlassen ist diese Gegend, wo auch immer ich hier gelandet bin. Eins, zwei, drei … vier, fünf … fünf Häuser nur?!“, dachte er und rieb die kalten Finger aneinander. Er vergrub seine bloßen Zehen unter dem zu langen Hemdchen und sah in die andere Richtung, dorthin, wo der Wald war. Wie friedlich alles dalag und wie herrlich der Winter doch roch. Nach Kälte und Schnee, nach frischer Luft, die die Herzen mit Freude füllte, und vielleicht sogar nach warmen Keksen, die voller Genuss in den warmen Stuben verspeist wurden.

 

Widerwillig kroch Phinipeus unter den schützenden Zweigen hervor und stapfte durch den tiefen Schnee zum Haus. „Kalt ist es!“, jammerte er. „Du und deine ewige Neugierde, Phinipeus. Wie warm du es jetzt im Himmel bei den Anderen hättest! Und was wird erst Petrus sagen, wenn er hört, was ich angestellt habe. Ich hätte niemals dieses blöde Tor auch nur ansehen dürfen!“ Auf Zehenspitzen stand er vor dem hell leuchtenden Fenster und lugte neugierig hindurch. Direkt vor ihm saß ein kleines Mädchen, sie war nicht älter als zwei, vielleicht auch bereits drei.

Als sie Phinipeus erblickte, rief sie aufgeregt nach ihrer Mutter. Ihre dünne Stimme zitterte vor Aufregung. Schnell hastete eine junge Frau mit blondem, langem Haar auf das kleine Kind zu und fragte, was denn geschehen sei. Mit einem rosaroten Schnuller im Mund nuschelte die Kleine: „Dada.“ Sie deutete mit ihrem schmalen Finger in die Finsternis.

„Was ist denn da? Hast du eine Sternschnuppe gesehen?“

„Nein.“

„Hast du ein Tier gesehen?“

„Nein“, entgegnete das Mädchen auf einmal wütend und rieb sich die müden Augen.

„Ach Klara, woher soll ich denn wissen, was du möchtest, wenn du nie mit mir sprichst?“

„Dada!“, wieder zeigte sie ins Dunkel und begann verzweifelt zu weinen. Warum sah ihre Mutter denn nicht, was sie sah?

„Schatz du schläfst ja schon fast“, meinte die Frau schließlich und wollte Klara hochheben, doch die begann zornig zu schreien, rief immer wieder „Dada“ und zeigte hinaus in die schneebedeckte Nacht. Die junge Frau hob ihre Tochter hoch und öffnete das Fenster. Auf einmal hörte das Mädchen auf mit dem hysterischen Geschrei und blickte suchend aus dem Fenster. Wo war der Engel, den sie eben noch so bewundernd angeblickt hatte? Müde bohrte sich das Kind in die Bluse seiner Mutter, drückte ihren zerrissenen Teddy an sich und flüsterte: „Mama müde.“

„Ich weiß mein kleiner Schatz. Wir gehen jetzt auch ins Bett“, meinte die Frau und streichelte Klara durch die blonden Locken.

„Mama! Liest du mir heute noch eine Geschichte vor? Du hast es gestern versprochen“, rief eine hohe Stimme von dem oberen Stockwerk herunter.

„Ja. Ich komme schon Paul!“ Mit diesen Worten verschwand die Frau nach oben zu ihrem Sohn.

Phinipeus, der seine Chance genutzt hatte und durch das offene Fenster geschlüpft war, streifte nun staunend durch das Haus. „Schön ist es bei den Menschen. Gar nicht so anders als bei uns im Himmel – nur kleiner – aber gemütlich!“ Nichts machte den Anschein, als ob hier kein Weihnachten gefeiert würde.

Im Gegenteil. Eine so wundervoll geschmückte Wohnung sah Phinipeus zum ersten Mal. Im Wohnzimmer stand eine edle Holzkrippe. Ihr braunes Holz glänzte im Schein der Kerzen, die darum aufgestellt waren. An den Fenstern hingen Papiersterne, selbstgebastelte Christbäume und Engel. Neben der Krippe prasselte ein kleines Feuerchen in einem alten Steinofen und versetzte die Wohnung in eine behagliche Stimmung. Vor dem Kaminsims hingen vier große Socken, auf denen vier Namen in goldenen Lettern standen: Klara, Paul, Johann und Ulrike.

Phinipeus stellte sich vor das knisternde Feuer und wärmte seine eiskalten, schmerzenden Flügel. Nachdem ihm wieder angenehm warm war, schlich der kleine Engel auf Zehenspitzen die Treppen hinauf in den ersten Stock und versteckte sich unter dem Bett des Jungen namens Paul. Auf der Stelle schlief Phinipeus ein und wachte erst wieder auf, als eine zärtliche Stimme erklang. Verschlafen streckte er den Kopf unter dem Bett hervor und betrachtete blinzelnd den Raum, in dem er letzte Nacht gelandet war. Er befand sich eindeutig in einem Kinderzimmer. Ein schmaler Kleiderschrank, bunte Regale mit noch bunteren Büchern, Kisten voller Spielsachen, ein Schreibtisch voll gestapelt mit Stofftieren, Vorhänge und Tapeten bedruckt mit Eisenbahnen und Tieren. Ein wahrhaftiges Paradies für Kinder.

„Zehn Tage noch, dann kommt das Christkind“, sagte Mutter Ulrike und kramte in dem Kleiderschrank ihres Sohnes.

„Wer ist das Christkind?“, fragte Paul.

„Ach Paul. Hörst du denn nie zu, wenn man dir etwas erzählt?“

„Weiß nicht.“ Der kleine Bub, nicht älter als fünf Jahre, saß aufrecht in seinem Bett und zuckte mit den Schultern.

„Das Christkind ist Gottes Kind, das dir zu Weihnachten Geschenke bringt, wenn du brav warst.“

„Ich will aber keine Geschenke von einem fremden Kind, Mami!“, entgegnete Paul und sprang aus seinem Bett.

Ein sonderbares Kind, dachte Phinipeus. Weiß nicht, wer das Christkind ist. Und seine Mutter! Das Christkind bringt doch nicht bloß Geschenke und verschwindet dann wieder. Irgendetwas stimmt hier wirklich nicht ganz. Das Christkind ist doch viel mehr als ein Geschenkekind … es bringt vor allem die Liebe und die Freude, auch anderen einen Wunsch zu erfüllen!

Während sich Phinipeus über die Unwissenheit dieser Leute empörte, zog sich Paul rasch an und folgte seiner Mutter an den gedeckten Frühstückstisch. Zusammen frühstückte die Familie und abermals kam das Gespräch auf Weihnachten. Ulrike sagte zu ihrem Mann: „Stell dir vor, Johann, dein Sohn möchte nichts mit dem Christkind zu tun haben!“

„Wieso denn? Was ist passiert Paul?“, fragte der Vater interessiert.

Paul antwortete nicht. Er zuckte bloß mit den Schultern und überließ das Reden seiner Mutter: „Paul will keine Geschenke von einem fremden Kind. Heute in der Früh wurde er beinahe wütend. Er hat Angst vor dem Christkind!“

Schweigend aßen sie weiter, doch nach einigen Minuten versuchte Johann seinen Sohn umzustimmen. Paul weigerte sich eine Wunschliste zu schreiben, er wollte keine Kekse für das Christkind backen, keine Geschenke von ihm bekommen und wollte auch nicht den Geburtstag eines fremden Kindes feiern. Nach einiger Zeit gab Johann das Gespräch auf und räumte den Tisch ab. Später gab er seinem Sohn etwas ratlos einen Kuss auf die Stirne, verabschiedete sich von seiner Frau und seiner Tochter und fuhr zur Arbeit. Paul musste heute nicht in den Kindergarten, es war Samstag und daher ging er in sein Zimmer. Er setzte sich auf sein Bett und blätterte in seinem bunten Bilderbuch.

„Sag einmal, was bildest du dir eigentlich ein, so über das Christkind zu denken, du Hohlkopf!?“, platze es plötzlich aus Phinipeus heraus und er setzte sich aufgebracht neben Paul auf das Bett.

Pauls Gesicht wurde weiß und er stotterte: „Bi… bist du ein Engel?“

„Na der Weihnachtsmann bin ich nicht“, entgegnete Phinipeus frech.

„Tsch…tschuldigung.“

Phinipeus lächelte Paul an und fuhr ihm durch die strubbeligen Haare. Glücklich und verwirrt zugleich blickte dieser Phinipeus in die liebevollen, fröhlichen Augen und strahlte zurück. „Siehst du, jetzt hast du schon keine Angst mehr vor mir. Dabei kennst du mich gerade mal zehn Sekunden lang. Das ist, weil ich ein Engel bin, da hast du schon recht gehabt. Das ist bei uns allen im Himmel so, weißt du? Und glaubst du jetzt, wo du mich kennst, dass das Christkind jemand ist, vor dem man sich fürchten muss? Es ist wundervoll und bringt euch nicht nur Geschenke, sondern Hoffnung und Liebe … und es wacht über euch und über alle andere Menschen.“

Paul nickte eifrig. Lächelnd fuhr Phinipeus fort: „Gut. Und jetzt schreibst du einen Brief an das Christkind und gibst ihn deiner Mutter. Dann sagst du ihr, dass du an das Christkind glaubst, und freust dich, wie jedes andere Kind auf dieser Welt auf Weihnachten, ja?“ Abermals nickte Paul, und noch bevor er etwas erwidern konnte, war Phinipeus vor seinen Augen verschwunden und flüsterte: „Du hast nur geträumt.“ Doch Paul wusste, dass er nicht geträumt hatte. Brav, wie es Phinipeus verlangt hatte, stand er auf und erklärte seiner Mutter, dass er sich jetzt doch auf das Christkind freuen und einen Brief schreiben würde.

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