Lebensmutig

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Aus der Reihe: Franziskanische Akzente #5
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MARTINA KREIDLER-KOS

Lebensmutig

Klara von Assisi

und ihre Gefährtinnen

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben

Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und

Helmut Schlegel ofm

Band 5

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

MARTINA KREIDLER-KOS

Lebensmutig

Klara von Assisi

und ihre Gefährtinnen


Herzlicher Dank der Herausgeber geht an Simone Müller für die sorgfältige und kundige Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Ordensgemeinschaft der Armen Franziskanerinnen von der Heiligen Familie zu Mallersdorf für die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: © pitrs / Fotolia.com) Satz: Hain-Team (www.hain-team.de) Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe ISBN 978-3-429-03772-7 (Print) 978-3-429-04786-3 (PDF) 978-3-429-06201-9 (ePub)

Inhalt

1. Lebensmut zeigen

Himmlischer Rückenwind

Lebensmutige Beterin

Ein Interview zwischen den Zeiten

Weiblicher Aufbruch in der Kirche

Weiblicher Aufbruch in Assisi

2. Lebensmut stärken

Aufs Ganze gehen

Sich die Freiheit nehmen

Was, wenn alles anders wäre?

Beten üben

Mitarbeiterinnen Gottes

Gemeinsam glauben

Das ganz normale Leben

3. Lebensmut beheimaten

Kirchenerfahrungen einer Heiligen

Kirchenträume einer Heiligen

Kirchenerfahrungen heute

4. Lebensmut schöpfen

Zu Großem sind wir berufen

Genug für alle

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

1. Lebensmut zeigen
Himmlischer Rückenwind

Wenn wir von Heiligen reden, erzählen wir früher oder später von Wundern. Kein Wunder – könnte man meinen, immerhin ist für eine offizielle Heiligsprechung, außer bei Menschen, die ihr Leben für den Glauben lassen, der Nachweis von Wundern zwingend notwendig. In der Geschichte der heiligen Klara von Assisi gibt es sie auch, solche großen – und manchmal kleinen – Wunder.

Als Klara noch jung ist, vielleicht neunzehn Jahre alt, geschieht ein erstes. Es ist ein eher unscheinbares, auf alle Fälle kein spektakuläres Wunder. Genau genommen ist es nicht einmal ein erbetenes Wunder. Es geschieht so nebenbei, gewissermaßen in der Küche, auf alle Fälle mitten in der Geschäftigkeit des Alltags. In die winzige, noch immer im Aufbau begriffene Landkapelle San Damiano unterhalb der Stadt Assisi ist mit Klara und ihren Gefährtinnen im Frühsommer 1211 eine religiöse Frauengemeinschaft eingezogen. Die Schwestern arbeiten nicht für ihren Lebensunterhalt, sondern leben von dem, was die Brüder des Franziskus für sie erbetteln. Noch ist alles neu, es ist dies erst ihr zweiter Sommer. An dem Tag nun, an dem dieses frühe Wunder geschieht, herrscht eine gewisse Aufregung. Das Öl ist in der ohnehin schon kärglichen Küche ausgegangen, und zwar so gänzlich, dass sie gar nichts mehr davon hatten“ (ProKl 1,44, KQ 125). Klara bittet deshalb einen Bruder, für sie um Öl betteln zu gehen. Jener willigt ein und meint nur, er brauche noch ein Gefäß. Klara kümmert sich, wäscht einen Krug aus und stellt ihn an den verabredeten Platz, eine kleine Mauer in der Nähe der Haustür. Kaum will der Bruder los, merkt er, dass der Krug bereits randvoll ist. Auf einmal ist Öl genug da. „Und obwohl man gründlich suchte, fand man niemanden, der das Öl eingeschenkt hätte“ (ProKl 1,48, KQ 126), erzählt eine Augenzeugin. Das Staunen ist groß und die Dankbarkeit auch.

Diese Wundererzählung ist wie ein Bild für Klaras Geschichte: Diese Frau wählt die Armut und bekommt dafür die Fülle des Lebens. Sie dreht einem sicheren Platz in der Welt den Rücken zu und ihr wird Gottes tatkräftige Unterstützung geschenkt. Sie sucht die betende Abgeschiedenheit und bekommt solidarische Brüder und liebevolle Schwestern. Nicht umsonst leitet ihre treue Freundin Pacifica diese Geschichte vom Ölwunder mit den Worten ein: „Das Leben der Klara ist voller Wunder gewesen (ProKl 1,43, KQ 125). Sie hätte auch sagen können: Klara ist offen gewesen für alle Wunder des Lebens. Vermutlich war sie sogar angewiesen auf derartigen himmlischen Rückenwind. Immerhin wollte sie einen völlig neuen Weg in der Kirche gehen: radikal und gemeinschaftlich arm sollten auch Frauen – ebenso wie die Brüder um Franziskus – in der Nachfolge Christi leben können.

Lebensmutige Beterin

Klara von Assisi ist mehr als das, was man landauf, landab in ihr zu sehen meint: eine stille, zurückgezogene Beterin. Sie war eine lebensmutige Beterin und eine wagemutige Frau. Sie hat, was niemals eine geringe Sache ist, ihre eigene Berufung erkannt und sichtbar gemacht. Sie hat darüber hinaus für Generationen von Frauen dafür gesorgt, dass diese Berufung innerhalb der Kirche gelebt werden kann. Sie ist die erste Frau in der Geschichte der Kirche, die eine Ordensregel schreibt, welche offizielle päpstliche Anerkennung findet. Man könnte sogar sagen, Klara hat dem heiligen Franziskus, seinen Brüdern und der ganzen Kirche gezeigt, dass sie in ihrem Anliegen Schwestern haben. Für diesen radikal neuen Weg war Lebensmut wirklich vonnöten.

Um den Bogen gleich zu Beginn weit zu schlagen: Als Klara sechzigjährig im Sterben liegt, wachen die Schwestern traurig an ihrem Lager. Manches, was sie in diesen Stunden spricht, können sie nicht verstehen, anderes behalten sie für sich. Einige entscheidende Worte aber überliefern sie uns, vermutlich, weil sie ihnen hilfreich und kostbar erscheinen. Klara spricht sich Mut zu und ermuntert ihre Seele, auch angesichts des nahen Todes nicht stehen zu bleiben: „Geh sicher in Frieden, denn du hast ein gutes Geleit. Der, der dich erschaffen hat, hat dich zuvor schon geheiligt. Nachdem er dich erschaffen hat, hat er den Heiligen Geist in dich hineingegeben. Und immer hat er dich beschützt wie eine Mutter ihr Kind, das sie liebt“ (ProKl 3,72–73, KQ 139). Klara weiß mit ihrer ganzen Existenz, dass Gott nicht nur ins irdische Leben ruft, sondern auch ins himmlische. Und sie weiß, wie ausdauernd und liebevoll er in all dem um uns bemüht ist: wie eine Mutter um ihr Kind.

Wer nun aber meint, eine Ordensfrau des Mittelalters würde das irdische Leben vor lauter Vorfreude auf den Himmel geringschätzen, sieht sich getäuscht: Klara versteht ihr Leben als ein Geschenk – als ein kostbares, einzigartiges und unverwechselbares noch dazu: „Herr, sei gepriesen, weil du mich erschaffen hast“ (ProKl 3,74, KQ 139). Dies sagt oder besser jubelt Klara als alte, kranke Frau, deren Lebenswerk, die eigenständige und anerkannte Ordensregel, wohlgemerkt an diesem Punkt noch nicht vollendet ist. Lebensmut, das lehrt uns Klara, hat nichts mit Erfolgsaussichten zu tun, sondern mit dem Wissen, verdankt zu sein, gehalten und geheiligt. Er beginnt damit, sich glücklich zu schätzen, am Leben zu sein. Lebensmut treibt an, Neues zu wagen und nicht begangene Wege auszuprobieren. Er sieht sich beschützt und behütet auf diesen Wegen. Und Lebensmut endet nicht im Sterben, im Gegenteil. Er hilft uns, beherzt dem neuen Leben bei Gott entgegenzugehen.

 

Ein Interview zwischen den Zeiten

Ob wir Klaras Lebensmut heute noch etwas abgewinnen können? 800 Jahre sind eine lange Zeit. Können Menschen von heute Menschen von damals überhaupt noch verstehen? Unser Lebensgefühl, unser Denkvermögen und unsere Vorstellungskraft im dritten Jahrtausend – weichen sie nicht völlig von dem ab, was Menschen im 13. Jahrhundert geprägt und bestimmt hat? Können überhaupt Rückschlüsse gezogen werden, die in irgendeiner Weise für unser gegenwärtiges Leben Relevanz hätten?

Klara von Assisi ist eine durch die Kirche ausgewiesene Heilige. In dieser Zuordnung steckt die Zuversicht, dass diese Menschen über ihre historische Gestalt hinaus Bedeutung behalten, ja dass sie mit der jeweiligen Gegenwart in Beziehung treten können. Gläubige Menschen vertrauen darauf, dass Heilige auch und gerade über die Zeiten hinweg gefragt werden können. Nicht weil sie eine unumstößliche Botschaft für alle Zeiten hätten, sondern weil jede Zeit eigens mit ihnen in Kontakt kommen kann. Nicht umsonst wandeln sich Heiligenbilder und wandeln sich vor allem die Fragen, mit denen Menschen vor Heiligenbildern stehen. War es etwa bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts noch wichtig, dass Heilige makellos und unserer Alltagswelt geradezu enthoben erschienen, so halten wir heute nach Heiligen Ausschau, die den Alltag und das Leben kennen – nach Heiligen, die auf Erden nicht immer und von Anfang an perfekt gewesen sind und die noch andere Pläne hatten, als nur in den Himmel zu kommen. Sie erscheinen uns heute mit dieser menschlichen Seite glaubwürdiger. Das alles ist keine Modeerscheinung, sondern eine große Chance: Wir können Heilige nach dem fragen, was uns selber angeht. Auf diese Weise lässt sich mit ihrer Hilfe auch gegenwärtiges Leben meistern.

Die Schwestern erzählen im Prozess für Klaras Heiligsprechung – etwa drei Monate nach ihrem Tod, im November 1253 – es habe in ihrem kleinen Kloster einen Ort gegeben, an dem ganz normale Menschen, wenn sie wollten, „mit den Schwestern sprechen konnten“ (ProKl 4,64, KQ 147 und ProKl 7,41, KQ 156). Wir wissen nicht, wie dieser Ort beschaffen war: War damit ein kleiner Raum mit Platz für zwei Hocker, eine vergitterte Sprechöffnung in der Wand oder eine steinerne Bank innerhalb der Einfriedung des Klosters gemeint? Das ist nicht mehr zu rekonstruieren. Wir wissen nur, dass es möglich war, mit den Schwestern Kontakt aufzunehmen. Erstaunlicherweise werden dafür keine Einschränkungen formuliert. Man musste offensichtlich nicht gebildet oder besonders fromm gewesen sein, um in San Damiano Gehör zu finden, kein bestimmtes Alter oder Geschlecht haben, keiner Stadt, keinem Stand zugehörig sein. Man musste einzig die Begegnung suchen.

An diesen gut bezeugten und dennoch imaginären Ort in Klaras Gemeinschaft möchte ich in Gedanken gehen und die Leser/innen einladen, mitzukommen. Ich möchte Klara dort um ein kleines Interview bitten. Da ich sie aus ihren Schriften als sehr umsichtige, nicht zu sagen umständliche Schreiberin kenne, die nichts pauschal formuliert, vermute ich, sie hielte ein solches Interview für eine abenteuerliche und auch riskante Form, von ihrem Leben zu berichten. Ich würde diese Methodik also gut begründen müssen. Ich würde in Anschlag bringen, dass Interviews in unserer Zeit eine vertraute Weise des Kennenlernens sind und Leser/innen durchaus neugierig machen auf das, was Menschen zu sagen haben. Keine Berichterstattung, keine Dokumentationssendung, kein Newsletter kommt heute ohne Interviews aus. Ich hoffe, das könnte sie überzeugen. So werde ich die Fragen unserer Zeit stellen, ihre Antworten dagegen sind in enger Anlehnung an ihre eigenen Schriften formuliert:

Klara, wer bist du?

Ich bin eine Tochter Gottes, eine Liebste des Heiligen Geistes und eine Jüngerin in der Nachfolge Jesu (KlForm, in KlReg 6,3, KQ 64). Aber nicht nur ich allein. Jede meiner Schwestern ist eine solche Tochter, Liebste und Jüngerin. Ebenso du und all diejenigen, die diese Zeilen lesen.

Ich kenne dich als eine, die nicht um den heißen Brei herumredet. Aber das hier ist ein steiler Einstieg in ein Interview. Deshalb mag ich noch einmal nachfragen: Warst du das schon immer?

(lacht) Ja! Bevor Gott uns alle geschaffen hat, hat er uns den Heiligen Geist eingegossen. Und seit er jede und jeden von uns ins Leben gerufen hat, begleitet er uns wie eine Mutter ihr Kind (ProKl 3,72–73, KQ 139). Aber wenn du mit deiner Frage darauf abzielst, wer ich war, bevor ich hier in San Damiano zu leben begann, dann weißt du sicherlich, dass ich aus einer adeligen Familie stamme und etwa mit siebzehn Jahren verheiratet werden sollte. Ich wollte aber etwas ganz anderes: Ich wollte arm sein und meinen Bräutigam selbst wählen – (lacht wieder) den attraktivsten, versteht sich, Christus selbst (4 Agn 9–14, KQ 37)! Ich bin dankbar, dass ein großer Teil meiner Familie meinen neuen Weg verstanden hat und sogar mitgegangen ist: meine Mutter lebt heute hier im Kloster und meine beiden Schwestern, zwei Nichten und viele Freundinnen. Es ist ein Geschenk zu erleben, dass unsere Beziehungen weiter tragen und für den Weg mit Gott nicht aufgegeben werden mussten.

Wie kannst du, was du am Anfang formuliert hast – eine Tochter Gottes zu sein – mit solcher Bestimmtheit sagen?

Ich glaube einfach, dass Gott mich gerufen hat (KlTest 24, KQ 79). Zugegeben, es fällt mir nicht schwer, Entscheidungen zu treffen und durchzutragen, ebenso wenig fällt es mir schwer, zu vertrauen, dass auch die anderen zu ihren Entscheidungen stehen. Allen voran Gott selbst! Immer mit Vorbehalten oder offener Hintertür zu leben, ist meine Sache nicht. Außerdem (lacht), wenn man das Schönste gefunden hat, warum sollte man dann noch zögerlich sein oder woanders sein Glück versuchen wollen (2 Agn 23, KQ 28)?

Gut, und jetzt wo du all dies gefunden oder besser gesagt ergriffen hast, eine zweite Frage: Wie willst du leben?

In der Nähe Gottes. Das bedeutet, dass ich viel Zeit zum Gebet haben möchte. Aber Gott ist nicht allein in unserer Kapelle oder im inneren Zwiegespräch zu finden. Ich sehe ihn auch in der Gestalt meiner Schwestern. Deshalb möchte ich in Gemeinschaft leben. Ganz abgesehen davon, dass unser riskanter Weg innerhalb der Kirche alleine gar nicht zu bewältigen wäre. Wir brauchen die gegenseitige Ermutigung. Und nicht zuletzt möchte ich in der Nähe von Menschen sein, weil Gott mitten unter ihnen ist. San Damiano ist ein guter Versuch, meine ich, diese drei Anliegen zu verbinden.

Das betrifft gleich meine nächste Frage: Wo möchtest du leben, an welchem Ort?

Hier. Ich mag die Geschichte dieser kleinen Kirche: Sie war lange eine unscheinbare, zugegeben etwas heruntergekommene, wenig beachtete Kapelle, um die sich Franziskus gekümmert hat. Er hat diese Kirche wieder aufgebaut, sagt ihr gerne (1 C 18, FQ 210 und Gef 21, FQ 624). Doch wozu baut jemand? Damit ein Ort entsteht, der bewohnt werden kann. Franziskus hat dies verstanden, deshalb habe ich seine frühe Prophetie von unserer Gemeinschaft während seiner Bauarbeit aufgeschrieben: Er konnte sich vorstellen, dass hier einmal Frauen wohnen, die Gott die Ehre geben und zugleich offen sind für die Not der Menschen (KlTest 9–14, KQ 77 f). Sein Kirchenbau war nie ein Selbstzweck, kein Aktionismus und erst recht keine Angelegenheit, derer sich ein Museum annehmen sollte. Kirchenbau ist doch nur dann sinnvoll, wenn der Bau anschließend dem Leben der Kirche dient. Deshalb bewohnen wir diese Kirche und unsere Brüder wohnen bei der Portiunkula. Die beiden renovierten Kapellen sind auf diese Weise gegenwärtige Orte, belebte Orte. Zumindest hoffen wir, dass sie dies sind. Immerhin, man kann uns hier finden, wenn man will!

Du hast deine Schwestern schon genannt, die Brüder auch. Ich will dir dennoch die nächste Frage noch einmal ausdrücklich stellen: Mit wem willst du leben?

Mit Menschen. Ich tauge nicht zur Einsiedlerin und habe gerne andere um mich. Das ist im Übrigen von Vorteil in Anbetracht der Enge unseres Raumes! (lacht) Aber ich weiß auch, warum ich so gerne Menschen um mich habe: In jedem begegnet mir Gott. Jede und jeden hat er erschaffen, jeden und jede liebt er so sehr. Wie sollte ich mich nicht an ihnen freuen (3 Agn 3–5, KQ 31)? Gott selbst ist ein Mensch geworden und ich kann nicht aufhören, darüber zu staunen (4 Agn 19–23, KQ 38 f). Ich bin tatsächlich auch dankbar für diese konkrete Gemeinschaft. Ich glaube, ich würde mich verlieren in immer wechselnder Gesellschaft. Ich sehe wohl, was meine Mitschwestern, die in andere Konvente gehen, leisten. Und erst recht alle Brüder, die durch die Lande ziehen. Auch meine Mutter ist einst weit gereist, eine meiner ersten Mitschwestern, Pacifica, ebenfalls. Es ist Wagnis und Charisma zugleich, unterwegs zu sein. So wie es ein Wagnis ist, Nähe auszuhalten. Wir müssen gut hinhören, was der je eigenen Berufung entspricht. Ich bin sicher, Gott braucht Menschen, die verlässlich präsent und auf diese Weise erreichbar sind, und er braucht Menschen, die anderen immer wieder über den Weg laufen.

Wofür willst du leben?

Zur Ehre Gottes, das ist die grundsätzliche Antwort. Aber das heißt nicht, dass ich keine Ziele hier auf Erden habe. Vordergründig scheint es vielleicht ungebührlich, aber ich denke nicht klein von dem, was hier geschieht. Ich glaube, dass Gott uns und unsere Berufung als eine Art Spiegel in diese Welt gestellt hat, damit sich in uns spiegeln können, die selbst anderen wieder zum Spiegel werden (KlTest 21–22, KQ 78). Unsere Berufung ist eine große und deshalb tragen wir dafür auch eine große Verantwortung (KlTest 2–3, KQ 77). Ich möchte, dass nach meinem Tode Menschen in dieser Berufung leben können. Deshalb schreibe ich eine Ordensregel. Auch auf diese Weise kann ich Gott die Ehre geben, wenn ich ernst nehme und mit Kräften zu unterstützen versuche, was er wirkt. (Kurze Pause) Ich warte immer noch auf eine bestimmte Frage.

Welche?

Woraufhin willst du leben?

Das zu fragen ist ungewohnt für meine Zeit. Es klingt fromm oder sagen wir mal, ziemlich weit hergeholt, vom Himmel zu reden. Erst recht in einem Interview

(lacht) Dann ist es doch zu etwas nütze, dass meine Zeit so weit zurückliegt. Ich kann ganz unbeschwert vom Himmel träumen. Ich mag auf alle Fälle diese Befragung nicht beenden, ehe auch das zur Sprache kam.

Gut: Woraufhin willst du leben?

Auf die Verwandlung dessen, was hier so mühsam ist: zu wenig Brot und zu wenig Liebe für alle. Die äußere Nahrung und die innere Nahrung fehlen so vielen! Ich male mir den Himmel aus als den Platz der Fülle, auf die wir so sehr warten: Fülle der Nähe zwischen Gott und den Menschen, Fülle dessen, was Menschen sättigt und labt. Ich vertraue dabei auf den Gedanken des Tausches. Und wenn wir von allem noch so wenig haben, ist es kostbar: Was hier armselig ist, wird reich. Was hier in Tränen untergeht, wird Jubel. Was hier verloren zu gehen droht, ist dort aufgehoben (1 Agn 30, KQ 24). Aber ich stehle mich nicht einfach davon. Ich sehe vielmehr einen großen Zusammenhang. Ich vertraue, dass der helle Glanz, der uns in solcher Hoffnung vom Himmel widerscheint, unser Leben hier auf Erden schon verändert (vgl. 2 Agn 8–11, KQ 26 f). Ja, zu glauben macht mich mutig. Das wünsche ich mir für uns alle.

Klara, ich danke dir herzlich für dieses Gespräch!

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