Buch lesen: «Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung»
Politisch motivierte Kriminalität
Politisch motivierte Kriminalität
Radikalisierung und Extremismus
Von
Prof. Dr. Stefan Goertz
und
Martina Goertz-Neumann
2., neu bearbeitete Auflage
Impressum
Impressum
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ISBN 978-3-7832-1351-5
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Geleitwort
Geleitwort
Islamismus, Rechtsextremismus, „Reichsbürger“ sowie Linksextremismus gehören zu den wichtigsten sicherheitspolitischen Bedrohungen unserer Zeit. Allein die islamistischen Anschläge der Jahre 2017 und 2016 in Deutschland, der NSU-Prozess und die verhinderten Anschläge der rechtsextremistischen „Old School Society“, die Übergriffe von „Reichsbürgern“ auf Polizisten und andere Beamte sowie die linksextremistischen Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels im Sommer 2017 in Hamburg verdeutlichen die Gefahr, die von den verschiedenen Phänomenbereichen politisch motivierter Kriminalität (PMK) für die freiheitlich demokratische Grundordnung Deutschlands ausgeht.
Dieses Buch zeigt auf, dass es für Demokratien wie die Bundesrepublik Deutschland von größter Wichtigkeit ist, die verschiedenen Phänomene von Extremismus richtig zu analysieren, um strategisch und taktisch angemessen auf sie zu reagieren. Dazu gehört eine umfassende, analytische Untersuchung der verschiedenen Phänomenbereiche von politisch motivierter Kriminalität:
Wer sind die Akteure?
Was motiviert und radikalisiert diese Akteure?
Was sind potenzielle Anschlagsziele und welche Gegenmaßnahmen können daraus abgeleitet werden?
Wie sind „die“ Akteure der verschiedenen Phänomenbereiche von politisch motivierter Kriminalität in der Vergangenheit vorgegangen?
Welche taktischen Muster lassen sich aus ihrem Vorgehen in der Vergangenheit für die Zukunft ableiten?
Politisch motivierte Kriminalität war und ist als Thema in den letzten Jahren und Monaten omnipräsent in den Medien und wird dies wohl auch in nächster Zeit sein. Zahlreiche Bücher wurden über Rechtsextremismus sowie Islamismus geschrieben, signifikant weniger Studien existieren zu den Phänomenbereichen Linksextremismus sowie „Reichsbürger“. Die meisten der Bücher über politisch motivierte Kriminalität gehen sehr spezialisiert vor und konzentrieren sich auf einen Teilaspekt, zum Beispiel auf ihre historische Entwicklung, oder sie gehen detailliert auf eine extremistische Organisation ein oder sie beschreiben den biographischen Hintergrund von Extremisten.
Aus der Sicht der deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden werden in diesem Handbuch zwei Schwerpunkte herausgearbeitet:
Zum einen die Analyse der Akteure von politisch motivierter Kriminalität: Wer wird warum Extremist oder Terrorist, wie verlaufen die Radikalisierungsprozesse? Zur Analyse und Beantwortung dieser Frage nutzen die Autoren sowohl die aktuelle englischsprachige und deutsche wissenschaftliche Literatur als auch die Analysen und Berichte der deutschen Sicherheitsbehörden, wie beispielsweise des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
In vier Hauptkapiteln werden die verschiedenen Phänomenbereiche von politisch motivierter Kriminalität mit dem Schwerpunkt auf die Analyse der Radikalisierung der Täter erläutert. Was motiviert und radikalisiert die unterschiedlichen Akteure politisch motivierter Kriminalität?
Einführende und abschließende theoretische und analytische Feststellungen mit zahlreichen Fallbeispielen aus den jeweiligen Phänomenbereichen der PMK werden kombiniert, um aktuelle und zukünftige „Praktiker“ im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgabenbereich der Prävention und Repression von politisch motivierter Kriminalität zu unterstützen.
Dieses Handbuch stellt aufgrund seiner Analyse und seiner Schwerpunkte einen wichtigen Beitrag zur Radikalisierungsforschung im Bereich politisch motivierte Kriminalität dar und richtet sich sowohl an Praktiker und Studierende des Bereiches Innere Sicherheit als auch an Studierende und Wissenschaftler der Sozialwissenschaften.
Lübeck, im Oktober 2017 Alfons Aigner Präsident der Bundespolizeiakademie
Vorwort
Vorwort
Diese zweite, neu bearbeitete und aktualisierte Auflage wurde im Herbst und Winter 2020 erstellt. Zu einem Zeitpunkt, als der rechtsextremistische Anschlag auf Walter Lübcke durch den rechtsextremistischen Terroristen Stephan Ernst 2019, der rechtsextremistische Anschlag von Stephan Balliet auf eine Synagoge in Halle 2019 sowie der rechtsextremistische Anschlag von Tobias Rathjen in Hanau 2020 noch nicht lange her waren.
Zeitlich noch aktueller sind die vier islamistischen Anschläge im Herbst 2020, der mutmaßlich homophob motivierte Anschlag in Dresden, der Anschlag auf den Geschichtslehrer Samuel Paty (Enthauptung wegen gezeigter Mohammed-Karikaturen), der Anschlag in und vor einer Kirche in Nizza sowie der islamistische Anschlag in Wien Anfang November 2020.
Diese terroristischen Anschläge stellen auf der Ebene eines Radikalisierungsprozesses im Bereich Politisch motivierter Kriminalität/Extremismus, bildlich gesprochen, das letzte Stockwerk eines Stufenprozesses von extremistischer Radikalisierung dar. Neben diesen terroristischen Anschlägen darf aber auch nicht vergessen werden, dass die Zahlen des Personenpotenzials in den PMK-Phänomenbereichen Islamismus/Salafismus, Rechtsextremismus und Linksextremismus seit Jahren steigen und auch die Straftaten in diesen PMK-Bereichen seit Jahren zunehmen.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Innere Sicherheit sind aktuell – wie selten zuvor – durch alle Phänomenbereiche von Politisch motivierter Kriminalität besonders bedroht. Dieses Buch in seiner zweiten Auflage analysiert die Akteure von Politisch motivierter Kriminalität, ihre Radikalisierungsprozesse und untersucht die aktuellen Zahlen und Fakten zur Politisch motivierten Kriminalität. Zahlreiche neue Fälle in allen Phänomenbereichen von PMK/Extremismus wurden in dieser zweiten Auflage ergänzt.
Im Rahmen der Veröffentlichung der zweiten Auflage dieses Buches möchten wir unseren Kollegen für ihre Anregungen und Fragen zur Politisch motivierten Kriminalität danken.
Wir widmen dieses Buch den Toten und Verletzten terroristischer Anschläge sowie ihren Angehörigen!
Lübeck, im Januar 2021 Prof. Dr. Stefan Goertz Martina Goertz-Neumann
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
Vorwort
I Einleitung
1.Die Phänomenbereiche
2.Aktuelle Entwicklungen
3.Die Zielgruppe dieses Buches
4.Der Aufbau dieses Buches
II Begriffsbestimmungen
1.Politisch motivierte Kriminalität (PMK)
2.Freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO)
3.Extremismus
4.Radikalisierung
III Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus
1.Der Phänomenbereich Islamismus
1.1Definition und Kurzzusammenfassung
1.2Der Phänomenbereich Salafismus
1.2.1Kategorisierung des salafistischen Spektrums in puristischen, politischen und jihadistischen Salafismus
a)Puristischer Salafismus
b)Politischer Salafismus
c)Jihadistischer Salafismus
1.2.2Definition und Kurzzusammenfassung
1.3Der Phänomenbereich Islamistischer Terrorismus (Jihadismus)
1.3.1Definition und Kurzzusammenfassung
2.Islamistische Radikalisierung: Wege in den Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus
2.1Islamistischer Radikalisierungsfaktor: Die Ideologie
2.1.1Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus (Jihadismus) als religiös-politische Ideologie
2.1.2Die Religion Islam sowie die Ideologie Islamismus und der Jihad
2.1.3Zwischenfazit: Die islamistische Ideologie als Radikalisierungsfaktor
2.2Radikalisierungsfaktor islamistische, salafistische, jihadistische Peer Groups und Milieus
2.2.1Charismatische Prediger als Radikalisierungsfaktor
2.3Radikalisierungsfaktor islamistisch-jihadistische Angebote des Internets
2.3.1Islamistische Internetangebote: Propaganda, Social Networking, Kommunikation und taktisch-operative Steuerung von jihadistischen Anschlägen
2.3.2Charismatische Prediger im Internet
3.Islamistisch motivierte Straftaten und von Sicherheitsbehörden verhinderte Anschläge
4.Das aktuelle islamistische, salafistische und jihadistische Personenpotenzial
5.Aktuelle Daten zu islamistischen und jihadistischen Organisationsformen
5.1Großanschläge und multiple Szenarien von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen: Hit-Teams
5.2Islamistische Einzeltäter
5.3Mögliche Anschlagsziele und Modi Operandi
5.4Verweis auf Analysen von islamistisch-terroristischen Anschlägen in Deutschland
IV Rechtsextremismus
1.Der Phänomenbereich Rechtsextremismus
1.1Definition und Kurzzusammenfassung
2.Rechtsextremistische Radikalisierung: Wege in den Rechtsextremismus
2.1Soziologische und sozialpsychologische Ansätze
2.2Psychologische Hypothesen zur Theorie der „autoritären Persönlichkeit“
2.3Ökonomische Ansätze
2.4Politische Theorien
2.5Nachfrage und Angebots-Konzeptionen
a)Nachfrage-Konzeptionen
b)Angebots-Konzeptionen
3.Rechtsextremistisch motivierte Straftaten
4.Das rechtsextremistische Personenpotenzial: Die Radikalisierten
5.Aktuelle Daten zu rechtsextremistischen Organisationsformen
5.1„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)
5.2„Die Rechte“
5.3„Der III. Weg“
5.4„Bürgerbewegung Pro NRW“ („Pro NRW“)
5.5Rechtsextremistische Prüffälle innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)
6.Analyse von rechtsextremistischen Aktivitäten: Mittel und Wege der Radikalisierung
6.1Rechtsextremistischer Terrorismus und seine Ziele
6.2Rechtsextremistische Aktivitäten in Bezug auf die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland
6.2.1Die Neonazi-Szene als Teil des rechtsextremistischen Milieus und ihre sog. „Volkstod-Ideologie“
6.2.2Islamfeindliche Agitation, Rhetorik und Agenda
6.2.3Rechtsextremistische „Aktionen“: Straf- und Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen sowie „politische Gegner“
6.2.4Reaktionen von Rechtsextremisten auf islamistisch-terroristische Anschläge und auf den Anschlag in München
6.2.5Aktuelle Beobachtungen der Sicherheitsbehörden: Asylthematik verliert an Bedeutung für das rechtsextremistische Versammlungsgeschehen
6.2.6Zwischenfazit
6.3Rechtsextremistische Radikalisierung und die Rolle des Internets
6.4Rechtsextremistische Demonstrationen
6.5Rechtsextremistische Musikveranstaltungen: Mehrjährig steigende Tendenz
6.6Übergriffe auf Flüchtlingseinrichtungen
7.Akteure des rechtsextremistischen Terrorismus
7.1Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)
7.2Die Oldschool Society (OSS)
7.3Combat 18 (C18)
7.4Frank S.
7.5David Sonboly
7.6Die Gruppe „Nordadler“
7.7Die „Gruppe Freital“
7.8Die „Gruppe Nordkreuz“
7.9Die „Gruppe S“
7.10Stephan Ernst
7.11Roland K.
7.12Stephan Balliet
7.13Tobias Rathjen
V „Reichsbürger und Selbstverwalter“
1.Der Phänomenbereich „Reichsbürger und Selbstverwalter“
1.1Grundlagen des „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“-Denkens
1.2Erscheinungsformen und Aktivitäten von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“
1.3Politisch motivierte Gewalt sowie Gefährdungspotenzial
1.4Personenpotenzial „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
2.Analyse und Ausblick
2.1Radikalisierungshintergründe
2.2Das Verbot des „Reichsbürger“-Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“
VI Linksextremismus
1.Der Phänomenbereich Linksextremismus
1.1Definition und Kurzzusammenfassung
2.Linksextremistische Radikalisierung: Wege in den Linksextremismus
2.1Radikalisierungsfaktor linksextremistische Ideologieelemente
2.1.1Kommunismus und Anarchismus als ideologische Fundamente
2.1.2„Antifaschismus“
2.1.3„Antirassismus“
2.1.4„Antigentrifizierung“
2.2Radikalisierungsfaktor linksextremistische Peer Groups, Milieus und autonome Zentren
2.2.1Die Kampagne „Social Center 4 All“: Eine Spirale der Gewalt im Kampf um „autonome Freiräume“
2.3Radikalisierungsfaktor linksextremistische Angebote des Internets
2.3.1„linksunten.indymedia“ als Prototyp linksextremistischer Angebote des Internets
2.4Radikalisierungsfaktor gesellschaftliche Akzeptanz linksextremistischer Einstellungen
2.5Ökonomisch-soziale Hintergründe als Radikalisierungsfaktor?
2.6Radikalisierungsfaktor Gewaltaffinität, Aggression: „Massenmilitanz“ und klandestine Gewalt
3.Linksextremistisch motivierte Straftaten
4.Das linksextremistische Personenpotenzial
5.Aktuelle Daten zu linksextremistischen Organisationsformen
5.1Die Autonomen
5.1.1Ideologieelemente der Autonomen
5.1.2Die Funktion von Gewalt
5.1.3„Anti-Repression“, Anti-Rechtsstaat, Anti-Gewaltmonopol
6.Analyse von linksextremistischen und linksterroristischen Aktivitäten: Wege und Mittel der Radikalisierung
6.1Linksextremistische Gewalt im Rahmen des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg
6.1.1Analyse der linksextremistischen Gewalt im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg 2017
6.2Gezielte Eskalationsstrategie der „Rigaer 94“ in Berlin
6.2.1Linksextremistische Eskalation: Aufruf zur Tötung politischer „Gegner“
6.3Die Corona-Krise: Infrastruktur und Demonstrationsteilnehmer als linksextremistische Anschlagsziele
VII Zusammenfassung und Fazit
1.Aktuelle Entwicklungen
2.Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus (Jihadismus)
3.Rechtsextremismus
4.„Reichsbürger und Selbstverwalter“
5.Linksextremismus
6.Prävention und Forschungsbedarf
Literatur- und Quellenverzeichnis
Sachverzeichnis
I Einleitung
I Einleitung
Inhaltsverzeichnis
1. Die Phänomenbereiche
2. Aktuelle Entwicklungen
3. Die Zielgruppe dieses Buches
4. Der Aufbau dieses Buches
I Einleitung › 1. Die Phänomenbereiche
1. Die Phänomenbereiche
Zahlreiche Straftaten und Fälle in den verschiedenen Phänomenbereichen politisch motivierter Kriminalität (PMK) in den letzten Monaten und Jahren haben sowohl den Sicherheitsbehörden und den politischen Entscheidungsträgern als auch den Medien und der Öffentlichkeit gezeigt, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) durch alle unterschiedlichen Phänomenbereiche der PMK bedroht wird.
Die zahlreichen geplanten und durchgeführten islamistisch-terroristischen Anschläge innerhalb der letzten vier Jahre in Europa und Deutschland, darunter der homophob motivierte Anschlag auf zwei Touristen in Dresden am 4.10.2020, haben den Grad der Bedrohung verdeutlicht, die aktuell und zukünftig von Islamisten, Salafisten und islamistischen Terroristen für demokratische, westliche Staaten wie Deutschland ausgeht.
Die drei rechtsextremistisch-terroristischen Anschläge innerhalb von acht Monaten – das Attentat auf Walter Lübcke im Juni 2019, der Anschlag in Halle im Oktober 2019 und der Anschlag in Hanau im Februar 2020 – sowie die zahlreichen Morde und Mordversuche des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verdeutlichen das Bedrohungsmaß, das aktuell und zukünftig von rechtsextremistischem Terrorismus für die Innere Sicherheit Deutschlands ausgeht.
Die „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind in den Jahren als weiterer Akteur PMK in den Fokus der deutschen Sicherheitsbehörden geraten, u.a. durch den Todesfall eines Polizisten bei einem Zugriff auf „Reichsbürger“.
Die linksextremistischen Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels Anfang Juli 2017 haben sowohl politische Entscheidungsträger als auch Sicherheitsbehörden und die Medien vor Erklärungsschwierigkeiten gestellt in Bezug auf die Qualität und Quantität dieser Gewaltexzesse, die von zahlreichen politischen und medialen Akteuren als „unerwartet“[1] und als „neue Dimension linksterroristischer und autonomer Gewalt“[2] bewertet wurden.
So unterschiedlich die Ideen und Ideologien der Akteure der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland sind, wurde in den letzten Monaten den politischen Verantwortungsträgern, den Sicherheitsbehörden, den Medien und der Öffentlichkeit bewusst, dass ein eklatantes Analysevakuum in verschiedenen Bereichen der PMK in Deutschland besteht. So führte der Berliner Extremismusforscher Schroeder öffentlich-medial aus, dass der Linksextremismus in Deutschland „von Teilen der Gesellschaft seit langem verharmlost wurde“[3]. Ein weiterer Extremismusforscher, Pfahl-Traughber, erklärt vor dem Hintergrund der Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg, dass, während über rechtsextremistische Einstellungen in der Gesamtgesellschaft seit vielen Jahren kontinuierliche Meinungsfragen durchgeführt werden, die nicht nur Auskunft über das quantitative Ausmaß, sondern auch über die sozialen Hintergründe geben, es „komplett an Studien mit der Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz linksextremistischer Einstellungen und linksextremistischer Militanz“[4] mangele.
Diese Thesen muss man auch auf die Phänomenbereiche „Reichsbürger“, Rechtsextremismus sowie Islamismus und insbesondere auf die Radikalisierungsforschung dieser Phänomenbereiche übertragen. Auch nach über 19 Jahren nach den historischen Anschlägen des 11.9.2001 ist immer noch ein eklatantes Analysevakuum im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch innerhalb der Sicherheitsbehörden, festzustellen. Spätestens die zahlreichen seit dem Jahr 2016 verübten und versuchten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union sollten bzw. müssen eine Zeitenwende der Betrachtung und Analyse des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus auslösen.
Was haben linksextremistische, rechtsextremistische, islamistische Straftäter und Straftäter der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gemeinsam?
Was wiederum unterscheidet sie voneinander?
Eine effektive Analyse der unterschiedlichen Phänomenbereiche PMK muss von der Grundannahme ausgehen, dass dieser Phänomenbereich hoch komplex ist und notwendigerweise analysiert werden muss.
Folgende Analysebereiche stehen daher im Mittelpunkt der Untersuchung dieses Buches:
• | Radikalisierung: Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien wie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) und wenden Gewalt an, um religiös-politische (Islamismus) bzw. politische Ziele (Linksextremismus, Rechtsextremismus, „Reichsbürger“) zu erreichen? |
• | Akteursanalyse: Wer wird warum Extremist und/oder islamistischer, rechtsextremistischer, linksextremistischer Terrorist? |
• | Taktik und Mittel: Wie gehen Extremisten vor? Können (wiederkehrende) Muster identifiziert werden, aus denen dann Gegenmaßnahmen entwickelt werden können? |
Nicht erst die islamistischen Anschläge und Attentate der Jahre 2015 bis 2020 in europäischen Staaten wie Frankreich und Deutschland mit insgesamt 800 Toten und über 3.750 Verletzten, die drei rechtsextremistisch-terroristischen Anschläge in den Jahren 2019 und 2020 sowie der Fall NSU und die Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg 2017 verdeutlichen die Bedeutung von Radikalisierungsforschung in den unterschiedlichen Phänomenbereichen politisch motivierter Gewalt. Die dominierende analytische Leitfrage dieses Buches lautet daher:
Warum und wie radikalisieren sich Menschen, die in demokratischen, freiheitlichen, sozialstaatlichen Gesellschaften aufgewachsen und/oder geboren sind, zu Extremisten und/oder Terroristen, die grundlegende Verfassungsprinzipien wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität und Minderheitenschutz ablehnen und ihre politische bzw. religiös-politische Ideologie zur Grundlage des Lebens aller Menschen machen wollen?