Reine Nervensache

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Als die Polizisten losfuhren, sagte Annabella: »Jede Wette, dass das ihr Macker war? Und jede Wette, dass der ihr Alibi sein wird?« Annabella imitierte Bambis Tonlage: »Ach, Herrr Pfefferrr, mein Cousin und ich haben Halma gespielt, als mein Mann errrmorrrdet wurrrde. Die ganze Zeit. Frrragen Sie nurrr meinen Cousin.« Pfeffer lachte und Annabella fand ihre normale Stimme wieder. »Früher hätte man so was auf dem Jahrmarkt in der Freakshow ausgestellt.« Sie atmete hörbar ein. »Da schnallt sich eine die getunten Titten hoch und schon fangt ihr alle das Sabbern an, obwohl der Rest aussieht wie ein Zombie.«

»Also ich persönlich habe niemanden sabbern sehen«, antwortete Pfeffer schmunzelnd, wobei er sich selbst gegenüber zugeben musste, dass die Frau eine gewisse Art von Sex ausstrahlte.

»Aber die ist dir doch beinahe an die Wäsche gegangen.«

»Eben nur beinahe. Ich bin hart im Nehmen.«

»Kein Wunder, dass ich keine Chancen auf dem Markt habe.« Die Kommissarin hob mit den Händen ihre Brüste nach oben. »Würde mir das stehen? Ein Tuning? Vielleicht wird ja dann wieder alles gut. Ihr Männer habt es da einfach besser. Selbst so eine Trantüte wie unser Gaudihupf hat im Nullkommanichts eine Neue gefunden, nachdem er von seiner Frau auf die Straße gesetzt worden war. Und dann kriegt er auch noch so eine süße, liebe, nette wie Aische. Die hat er gar nicht verdient. Das ist so ungerecht.«

»Bella, nur weil du von deinem Freund verlassen worden bist, heißt das nicht, dass du hässlich oder nicht begehrenswert bist! Du bist eine attraktive Frau.«

»Das musst du ja aus Höflichkeit sagen. Bin ich nicht«, sagte Annabella trotzig. »Ich habe eine Brille!«

Pfeffer hörte genau den Unterton heraus, der mehr Komplimente einforderte. »Viele tolle Frauen haben eine Brille.«

»Nenn mir eine!«

»Äh …«

»Siehste!« Annabella Scholz schielte zu ihrem Chef hinüber. Sie kannte ihn gut genug … Tatsächlich, er grinste schief und gluckste in sich hinein. »Du bist sooo reizend zu mir!« Sie ließ sich von ihm anstecken und lachte laut.

»Und um deine Frage zu beantworten – du«, sagte Pfeffer schließlich.

»Wie ich?«

»Du bist eine tolle Frau mit Brille. Mal im Ernst«, sagte Pfeffer. »Du bist eine gutaussehende junge Frau. Du hast wundervolle Haare und ein ebenmäßige Gesicht.« Gar nicht so einfach, einer Untergebenen Komplimente zu machen, auch wenn ein lockerer Ton zwischen ihnen herrschte. »Reicht das? Viel mehr interessiert mich, was du von Koziol hältst.«

»Du lenkst ab, Chef! Aber okay, ich denke, er trauert wirklich um seinen Freund. Das war echt. Ein echter Verlust, ein echter Schmerz.«

»Sehe ich genauso. Ihm ging der Tod des Freundes nahe, nicht der Tod des Geschäftspartners. Ich vermute mal, wir können ihn wohl bald von der Liste der Verdächtigen streichen.«

»Prima. Dann red nicht lange um den heißen Brei herum, ich will wissen, was du von mir hältst«, sagte Annabella Scholz fordernd.

»Okay, du hast eine Brille, aber das ist nicht der Punkt. Das Modell ist einfach nicht vorteilhaft für dein Gesicht. Vielleicht solltest du doch deine Aversion gegen Kontaktlinsen überwinden. Und wo wir gerade bei vorteilhaft sind – deine Kleidung ist es meist ebenfalls nicht.« So, jetzt war es raus. In Pfeffers Augen war seine Kollegin ein unscheinbares Entlein mit dem Potenzial zu einem kleinen Schwan. Weil sie schwieg, redete er weiter. »Immer die sportliche Nummer kommt bei Männern nicht so gut an. Auch wenn du keine Röcke magst, es gibt auch noch andere Hosen als schlabbrige Jeans – und seien es nur knackig sitzende Jeans. Und ein klitzekleines bisschen Make-up hat bisher noch keiner Frau geschadet.«

»Ist es wirklich so schlimm?« Bella starrte ihren Chef an. Sie schien fassungslos.

»Ich sagte doch, du hast jede Menge Potenzial, das man nur fördern muss.« Er bereute, dass er sich zu den Bemerkungen hatte hinreißen lassen. Doch seit Annabella wenige Monate vor der geplanten Hochzeit verlassen worden war, hing sie unleidig herum. »Du hast doch sicher eine Freundin, mit der du mal Nenn mir eine!« gehen kannst.«

»Habe ich nicht.« Sie sah aus dem Wagenfenster und schwieg einen Moment. »Wenn du schon so viel Potenzial in mir entdeckst, warum förderst du es dann nicht?«

»Gibt es für diese Problematik nicht mindestens dreihundert TV-Formate? Bewirb dich doch mal da. Frag Dieter Koziol, ob er dich nicht in einer seiner Shows unterbringen kann.«

»Vielen Dank.« Annabella Scholz schmollte. »Echt. Besten Dank auch!«

Max Pfeffer lachte. »Okay, wir gehen mal einkaufen. Versprochen. Wenn das hier alles zu Ende ist.«

»Chef, ich wiederhole mich zwar nur ungern, aber ich könnte mich gelegentlich in dich verlieben.«

05 »Warum lachst du?«

»Weil ich ihnen eine Spur hinterlassen habe. Ich habe ihm seinen Namen hinter das Ohr geschrieben.«

»So etwas findest du gut? Wozu? Was ist sein Name?«

»Du kennst seinen Namen. Wer, wenn nicht du, kennt ihn! Und ich tat es, damit sie etwas mehr zu rätseln haben.«

»Du bist sehr verspielt. Zu verspielt. Arbeite an dir, sonst werde ich nicht mehr mit dir arbeiten! Du hast noch viel zu tun. Wir sind erst am Anfang.«

»Ich wollte ihnen nur seinen Namen mitteilen!«

»Werde nicht trotzig, Dummkopf. So werden sie nur leichter auf deine Spur kommen. Ich kann dich nicht immer beschützen. Erzähl mir jetzt lieber, was dich beunruhigt.«

»Er heißt Pfeffer, Max Pfeffer. Schöner Name, nicht wahr?«

»Er wird dir gefährlich werden, ich weiß es. Nein, das war falsch gesagt. Er ist dir bereits gefährlich. Du solltest unbedingt Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Jetzt, so schnell als möglich und sei nicht zimperlich. Noch bist du nicht am Ziel. Was nutzt dir die Rache, wenn du geschnappt wirst und ein Leben lang weggesperrt wirst? Und vergiss nie, dass es nicht dein einziger Gegner ist! Sie haben bereits ihre Bluthunde losgelassen.«

06 »Echt krass«, sagte Cosmo. »Nathalie ist heute nicht in die Schule gekommen. Kein Wunder, aber morgen quetsch ich die mal aus, was da abging. Ich glaube, die steht ein bisschen auf mich. Und nach der Aktion kann Benni eh keinen Stich mehr machen.« Er grinste zufrieden und fischte einen Shrimp aus dem Bami Goreng, das Tim zum Abendessen gekocht hatte. Es klingelte.

»Du lässt das Mädchen in Ruhe«, sagte Max Pfeffer bestimmt zu seinem ältesten Sohn.

»Manno«, stöhnte Cosmo. »Hier zu Hause erfährt man ja absolut nix. Obwohl der eigene Vater die Ermittlungen leitet. Klasse. Echt. Vielen Dank, dass du mich im Regen stehen lässt, wenn mal richtige Action angesagt ist. Könntest wenigstens mal rauslassen, ob Frank echt in die Hose geschissen hat und noch in der Klapse steckt.« Es klingelte erneut.

»Gebt euch keine Mühe, ich geh schon«, sagte Pfeffer und stand auf.

»Wenns für mich ist, ich bin nicht da!«, rief ihm Cosmo hinterher.

Vor der Tür zu Pfeffers Einfamilienhaus standen zwei Mädchen, die höchstens dreizehn Jahre alt waren und verlegen kicherten. »Wohnt der Cosmo hier?«, fragte das eine Mädchen schließlich mit piepsiger Stimme.

»Ja.« Pfeffer lehnte sich gegen den Türrahmen und betrachtete amüsiert die Kinder, die sich nun gegenseitig anstießen und auf die Lippen bissen.

»Ist er da?«, fragte das Mädchen.

»Nein.«

»Hmmm, wann ist er denn mal da?«

»Das weiß ich nicht.« Dass sein siebzehnjähriger Sohn einen Schlag beim anderen Geschlecht hatte und das weidlich ausnutzte, war Pfeffer nur zu bekannt, doch dass er nun auch schon kleine Teenies zu seinen Groupies zählte, überraschte Pfeffer.

»Schade«, piepste das Mädchen, das bisher kein Wort gesagt hatte. »Können wir dann vielleicht ein Autogramm von ihm haben?«

»Autogramm?«, entfuhr es Pfeffer überrascht. »Nein, ich denke nicht. So weit sind wir noch nicht. Ihr könnt keins haben. Und jetzt solltet ihr besser nach Hause gehen, bevor sich eure Eltern Sorgen machen.« Kopfschüttelnd schloss er die Tür. Was hatte Cosmo denn nun wieder angestellt, dass Kiddies Autogramme erbettelten.

»Du hast was?!«, rief Pfeffer ungläubig, als er wieder am Tisch saß und Cosmo gestanden hatte. Florian, der jüngere Pfeffer-Spross, starrte gebannt auf seinen Vater. Auch Tim, Pfeffers Lebensgefährte, legte seine Gabel beiseite und zog die rechte Augenbraue nach oben.

»Das würde mich jetzt aber auch interessieren, Cosmo«, sagte Tim. »Du bist also bei dieser Castingagentur gewesen und die haben dich genommen? Einfach so?«

»Na, die haben für Mein Block noch eine Hiphop-Band gesucht und da haben wir uns einfach beworben. Mann, wir waren so gut, die konnten gar nicht anders, als uns sofort unter Vertrag nehmen. Vorgestern lief die erste Folge, in der wir dabei waren.« Cosmo zuckte mit den Schultern und tat gleichgültig. Er hatte seine Geschichte gut rübergebracht. In Wahrheit hatte es gar kein Casting gegeben. Dass er und seine Band letztlich ausschließlich deshalb für die Serie ausgewählt worden waren, weil der Vater seines besten Kumpels Laus in der Produktionsfirma von Mein Block Finanzdirektor war, wollte Cosmo seinen beiden Vätern nicht unbedingt auf die Nase binden. Sich in einem Casting durchgesetzt zu haben war schließlich viel cooler.

»Mein Block?«, fragte Pfeffer. »Diese Schei … diese erbärmliche Daily Soap? Ich dachte, du findest so was primitiv und völlig daneben? Hast du dich nicht erst neulich über die – ich zitiere wörtlich – enddebilen Schwachsinnstexte, die dummdreiste Laienschauspieltruppe und die Handlungsstränge für Hirnamputierte mit Big-Brother-Niveau ausgelassen? Und jetzt machst du da mit?«

 

»Mann, das ist doch die Chance für uns«, entgegnete Cosmo. »Die haben Traumquoten. Scheiße hin, Scheiße her. Ich habe eine kleine Rolle bekommen und unsere Band kriegt vier kurze Auftritte in den nächsten Wochen.«

»Und warum hast du weder mir noch deinem Vater was davon gesagt?«, fragte Tim und begann wieder zu essen.

»Weil ich keinen Bock darauf hatte, dass ihr nein sagt.«

»Du bist minderjährig«, sagte Pfeffer trocken. »Ich gehe mal davon aus, dass da irgendwelche Verträge unterschrieben werden mussten …« Er ließ den Satz offen stehen. Cosmo sah verlegen auf seinen Teller und fischte einen weiteren Shrimp heraus, den er in den Mund steckte und langsam zerkaute.

»Er kann deine Unterschrift total perfekt«, platzte Florian heraus.

Nicht, dass es Pfeffer wirklich überrascht hätte. Genau das hatte er erwartet.

»Petze!«, giftete Cosmo seinen Bruder an. »Dir werde ich noch mal eine versaute Schulaufgabe mit Daddys Unterschrift absegnen, du Vollspast!«

Pfeffer musste grinsen, denn natürlich hatte auch er in seiner Jugend die Unterschrift seines Vaters perfekt beherrscht und vor allem zu schulischen Zwecken schamlos eingesetzt. Sein Blick und Tims trafen sich. Auch Tim grinste leicht. Aber das war keine Lösung und man durfte dem Jungen das nicht durchgehen lassen.

»Ich werde morgen mit der Produktionsfirma reden und das regeln«, sagte Pfeffer.

»Echt?«, rief Cosmo überrascht aus. »Danke, Dad. Danke!« Er sprang auf und umarmte seinen Vater, was in den letzten Jahren nie vorgekommen war.

»Langsam. Ich sagte, ich werde das regeln. Ich werde natürlich deinen Vertrag annullieren, denn er ist sowieso ungültig.«

Cosmo löste sich ruckartig vom Hals seines Vaters. »Das machst du nicht!«, rief er erbost. »Das geht nicht!«

»Natürlich geht das.«

»War ja klar, dass du mir nichts gönnst! Du bist so was von fies.«

»Cosmas, hüte deine Zunge.« Pfeffer stand kurz davor an die Decke zu gehen. Sein Blick traf wieder den von Tim. Sein Freund gab ihm mit den Augen zu verstehen, herunterzukommen.

Letztlich war Pfeffer die permanenten Reibereien mit seinem ältesten Sohn leid. Es hatte sich zwar in den letzten Monaten etwas gebessert, weil Cosmo erwachsener geworden war, doch Cosmo ging aus Prinzip auf Konfrontationskurs. Ständig flogen zwischen Maximilian und Cosmas Pfeffer die Fetzen. »Was erwartest du denn«, hatte Tim neulich nachts zu ihm gesagt, als sie wegen der Tropenhitze nicht einschlafen konnten. Pfeffer hatte die Schlaflosigkeit genutzt, Tim sein Herz wegen Cosmo auszuschütten. »Ihr seid beide Alpha-Männchen in Reinkultur. Ein junges und ein altes, und das junge rüttelt an der Machtposition des alten. Logisch. Zwei Anführertypen, die aufeinanderprallen und um die Vorherrschaft kämpfen. Noch dazu Dickköpfe im Endstadium! Aber du weißt genau, dass er dich total bewundert. Und was das Beste am Ganzen ist, du liebst ihn letztlich mehr als Florian. Sonst wärst du nie so leicht verletzt. Und jetzt komm mir nicht mit der alten Leier, dass du beide Kinder gleich liebst. Okay, ich weiß, dass du auch Florian sehr liebst, aber nicht so wie deinen Ältesten. Ich bin weder blind noch taub, Pfeffer. Und vergiss nicht, meine Großmutter war eine javanische Woodoopriesterin, von der habe ich das magische, alles sehende Auge geerbt.«

Pfeffer hatte gelacht und seinem Freund letztlich recht geben müssen in allen Punkten – bis auf das mit der Woodoo-Oma aus Java. Wobei Tim de Fries tatsächlich eine javanische Großmutter vorweisen konnte. Er war schließlich nach eigenen Worten eine »echt leckere holländische Kolonialware«, zu dessen Vorfahren zudem eine Oma aus Surinam sowie einen Uropa aus Ghana zählten. Pfeffer hatte sich bei ihrer ersten Begegnung Schlag auf Fall in diesen auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao geborenen Zweimeterhünen mit den dunkelblonden Locken, dem breiten Grinsen, den exotischen Mandelaugen und den frechen Sommersprossen auf dem Kupferteint verguckt. Doch bei aller Exotik – die javanische Großmutter war nie Woodoopriesterin. Schließlich kannte Pfeffer die liebenswerte greise Asiatin, die in einem Seniorenstift in der holländischen Metropole mit einem einundneunzigjährigen Lüstling turtelnd und händchenhaltend ihren vierten oder fünften Frühling erlebte. Sie hatte ihren Lebtag nichts anderes getan hatte, als in Amsterdam anderer Leute Wäsche zu waschen. Woodoo kannte die alte Dame vermutlich nicht mal vom Hörensagen.

Pfeffer hatte sich für diese Richtigstellung in jener Nacht noch eine Kitzelattacke eingehandelt, die erst in eine erotische Rangelei und schließlich in den ersten guten Sex seit mehreren Wochen gemündet war. Dass es in ihrer Beziehung seit längerem viel zu wenig Sex gab, obwohl Pfeffer seinen Freund auch körperlich immer noch sehr anziehend fand, und hoffte, dass es umgekehrt auch so war, war eines der vielen anderen Themen, die an seiner Seele nagten.

Doch was das Verhältnis zu seinem ältesten Sohn Cosmo anging, hatte Tim recht, wie so oft. Pfeffer beneidete manchmal seinen Lebensgefährten, weil der so gut mit den Jungs umgehen konnte. Seit Pfeffers Exfrau vor etlichen Jahren qualvoll an Lymphdrüsenkrebs gestorben war, hatten die beiden Männer die zwei Kinder aufgezogen und waren schnell zu einer richtigen Familie zusammengewachsen – mit einem besonnenen Tim als Mittler zwischen den beiden Alpha-Männchen. Cosmo hatte eine Zeit lang versucht, seinen Vater und dessen Lebensgefährten gegeneinander auszuspielen, wie es ihm bei seiner Mutter und deren Freund damals gelungen war. Doch Pfeffer und Tim ließen sich nicht in die »Guter Papa«- und »Böser Papa«-Rollen stecken. Selbst jetzt als ihre Beziehung in einer Sackgasse zu stecken schien.

In diesem Moment beschloss Max Pfeffer von seiner Palme herunterzukommen, auf die ihn Cosmos »Du bist so was von fies!« gebracht hatte. Alles eine Kopfsache, sagte er zu sich. Er tat es hauptsächlich für Tim, um zu zeigen, dass er dazu gelernt hatte. »Okay, Cosmo. Reden wir vernünftig darüber. Setz dich wieder hin und beherrsch dich ein wenig.«

»Vergiss es!« Cosmo wollte das Esszimmer verlassen.

»Godverdomme, Cosmo!«, sagte Tim de Fries mit Nachdruck und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Heel volwassen! Asjeblief!« Cosmo sah Tim überrascht an. Es gab für gewöhnlich nur zwei Situationen, in denen Tim außerhalb der Niederlande gezielt seine Muttersprache benutzte: wenn er besonders gut drauf war oder wenn es wirklich bitterernst wurde. Auch wenn nur »Gottverdammt, sehr erwachsen! Bitte!« gesagt worden war – Cosmo wusste, dass es nun besser war zu folgen.

»Hör zu, Dad.« Er setzte sich auf seinen Platz. »Ich mache das nur so lange, bis ich genug verdient habe, um mir das Computerequipment zu kaufen. Echt. Ich verspreche es. Das mit der Schule wird auch klappen. Keine Sorge. Wir drehen nur einmal die Woche. Schule geht vor, ist ganz klar. Versprochen! Kein Thema. Ich steh nicht auf diese Daily Soaps. Das ist echt Kinderkacke, aber es hilft unserer Band und unserer Karriere. Wir stehen soooo dicht vorm Durchbruch. Wir brauchen nur gescheites Equipment, um richtig gute Samples zu bauen. Da tut es für den Anfang der neue Apple …«

»Geht das mit dem Computer schon wieder los?«, fragte Pfeffer genervt. »Hier im Haus stehen drei PCs und ein Laptop, die alle bestens funktionieren. Du hast mit deinem bisher auch Musik gemacht.«

»PCs, du sagst es.« Cosmo winkte müde ab und verdrehte seine Augen so weit nach oben, dass kurz nur das Weiße zu sehen war. »Ich rede von einem Mac. Das sind andere Dimensionen, keine debile Winzigweich-Mühle, die ständig abkackt und jeden Virus anzieht, der draußen rumschwirrt. Es gibt so gut wie keine Mac-Viren.«

»Schon gut.« Pfeffer wusste nicht wirklich genau, wovon sein Sohn sprach. Aber er wusste, dass es da um den Glaubenskrieg der Computergeneration ging, der ewige Kampf zwischen Macintosh-Freaks, die die Marke mit dem angebissenen Apfel kultisch verehrten und Microsoft als Winzigweich verspotteten, sowie der schweigenden Windows-Mehrheit, die Bill Gates jeden Tag noch ein bisschen reicher machte. Nun war Cosmo offenbar zu den Apple-Fans konvertiert und bei Glaubensfragen half bekanntermaßen kein logisches Argumentieren. »Wenn du einen neuen PC oder wie sagt ihr da …«

»Rechner. Wir nennen das gut deutsch altmodisch Rechner. Ein Mac ist ein Rechner, kein Computer und schon gar kein PC. Du solltest an deinem Wording arbeiten.«

»Also, wenn du einen neuen Rechner willst, dann musst du ihn dir selbst kaufen.«

»Davon rede ich doch die ganze Zeit!«, rief Cosmo ungeduldig.

»Gut. Wieviel kostet das Teil?«

»Na, das große Cinemadisplay und jede Menge Software … Wir brauchen die coolste Software zum Sampeln und natürlich noch ein neues Keyboard … Könnte leicht um die zehn werden.« Cosmo verschwieg natürlich, dass die meiste Software bereits im Grundpreis enthalten war, doch sonst wäre er nicht auf zehntausend Euro gekommen und hätte keine so beeindruckende Summe, mit der er seinen Vater vielleicht doch noch umstimmen könnte.

»Zehn.« Pfeffer trank einen Schluck von seinem Bier. Er wollte sofort eine rauchen, doch er hielt durch. Tim durfte nicht mitbekommen, dass er schon wieder rückfällig geworden war. »Okay. Bei zehn steigst du aus.«

»Wie jetzt?« Cosmo starrte seinen Vater verständnislos an. Auch Florian und Tim guckten entgeistert.

»Ja, du kannst von mir aus so lange bei dieser Serie mitspielen, bis du genug für deinen PC … äh, für deinen Rechner verdient hast. Solange die Schule nicht darunter leidet.« Pfeffer sah Tim an, der nickte ebenso strahlend wie überrascht. Pfeffer fühlte sich auf einmal richtig uneingeschränkt gut, einfach sauwohl. Fast, so glaubte er, war die Harmonie zwischen ihm und Tim ganz die alte.

»Danke, Dad«, stammelte Cosmo, der immer noch nicht glauben konnte, was eben geschehen war.

07 »Gerda, komm bitte zur Sache«, sagte Pfeffer und wechselte den Telefonhörer vom linken zum rechten Ohr. Das Gespräch mit der Gerichtsmedizinerin hatte bisher keine weiteren Neuigkeiten gebracht, außer dass die Katze der Nachbarin das Vogelnest in der Kastanie vorm Haus ausgeräumt hatte, das heiße Wetter noch für den vorzeitigen Tod von Doktor Gerda Pettenkofer verantwortlich sein würde und die Zigarettenpreise schon wieder gestiegen seien, was selbst Gutverdiener wie sie noch an den Bettelstab bringen würde. Pfeffer hatte sich eine Weile auf den Ratsch eingelassen und dabei im Bericht der Spurensicherung geblättert: Jede Menge Fingerabdrücke von allen möglichen Personen auf der Reisetasche – von den drei Jugendlichen, von Jo Wagenbrenner, von allen Mitgliedern des TV-Teams mit Ausnahme der Produktionsassistentin sowie mehrere unidentifizierte Abdrücke; die Tasche selbst ein älteres Produkt, das zwischen 1992 und 1994 in riesigen Stückzahlen bundesweit bei Woolworth verkauft wurde und das vor seinem Einsatz offenkundig in der Waschmaschine gewaschen wurde, womöglich um Spuren zu beseitigen; bei so einem Massenprodukt eine genaue Herkunft zu erkunden, war laut Bericht ein Ding der Unmöglichkeit; das Haus der alten Frau sowie der Keller und die Büroräume von Veicht-Productions schieden nun nach Spurenlage definitiv als Tatorte aus; die Flüssigkeit, die er auf das Armaturenbrett hatte tropfen lassen, war Kirschsirup, das in einer Kapsel in einem Ärmel einsatzbereit gehalten worden war; an der Kleidung von Jo Wagenbrenner fanden sich keine Spuren vom Toten, weder auf den Leihklamotten des Ausstatters noch auf der Privatkleidung. Doch es wäre natürlich nicht das erste Mal, dass ein Täter in irgendeinem Müllcontainer seine besudelte Kleidung hätte verschwinden lassen. Und dann gab es da noch diese Telefonnummer, auf die sie in allen Adressbüchern von Herbert Veicht gestoßen waren, meist mit rot eingetragen, also musste sie etwas Wichtiges bedeuten. Doch die zwei Mal, die Annabella Scholz die Nummer gewählt hatte, brachte beide Male dieselbe Bandansage: »Diese Rufnummer ist nicht vergeben.«

Doch nun wollte Pfeffer Ergebnisse hören und drängte die Gerichtsmedizinerin zum Punkt zu kommen.

»Ja ja«, antwortete Gerda Pettenkofer pikiert. »Entschuldige, dass ich mit dir ein privates Wort wechsle.«

»So war es nicht gemeint …«

»Schon gut, bist wohl heute Nacht nicht zum Schuss gekommen, was?« Sie hatte keine Ahnung, wie nahe sie damit dem Grund für Pfeffers schlechte Laune kam, doch sie merkte sofort, dass sie bei aller Freundschaft zu weit gegangen und ihr Ton zu giftig gewesen war. »Sorry, geht mich ja nix an und das ist mir nur so rausgerutscht. Grüß deinen Süßen bitte herzlich von mir.«

 

»Mach ich«, sagte Pfeffer schnell, denn er war kurz davor, Doktor Gerda Pettenkofer sein Herz auszuschütten. Er hatte sonst niemanden mehr. Er wollte jemandem erzählen, dass Tim am Vorabend schon wieder einen unheimlich wichtigen Termin in der Stadt gehabt hatte – wie so oft in den letzten Wochen. Tim de Fries arbeitete erfolgreich als selbständiger Coach für verschiedene Unternehmen, ein Job, der ihn häufig für Tage in andere Städte brachte. In den letzten Jahren hatte Tim es geschafft, sich einen guten Kundenstamm in München und Umgebung aufzubauen, so konnte er meist abends nach den Seminartagen nach Hause fahren. Natürlich kam es dabei auch mal vor, dass Abendveranstaltungen anstanden oder Tim mit einer Kollegin, mit der er sich viele Jobs teilte, abends etwas besprechen musste. Max Pfeffer hätte Gerda Pettenkofer gerne erzählt, dass er so von Neugier und Zweifeln zerfressen gewesen war, dass er seinem Freund gefolgt war. Was für ein Vertrauensbruch – natürlich! Doch leider hatte er Recht behalten mit seiner Vermutung! Er hatte sie gesehen. Wie sie in dem Café saßen und redeten und lachten, und dass der Scheißkerl dann Tim die Hand auf den Oberschenkel gelegt hatte, und Tim nichts dagegen unternommen hatte. Wie sie sich angesehen hatten! All das wollte Max Pfeffer gerne jemandem erzählen, und auch, dass Tim dann nach Hause gekommen war und Max getan hatte, als sei nichts gewesen, denn Tim war schließlich nicht mit dem Scheißkerl intim gewesen – nicht an diesem Abend zumindest. Pfeffer hätte gerne mit seinem Freund geredet, doch die Angst vor dem Satz »Vielleicht sollten wir uns mal eine Zeit lang trennen« hatte ihn davon abgehalten. Denn Pfeffer wollte sich nicht eine Zeit lang trennen, er wollte seine Familie. Und schließlich war er es einst gewesen, der diesen Satz gesagt hatte – damals zu seiner Frau, als er ihr gestanden hatte, dass er sie seit langem betrog. Mit Männern.

»Hör zu, Maxl«, fuhr die Gerichtsmedizinerin fort, da Pfeffer schwieg. »Euer Kopf wurde am Montag so zwischen achtzehn und zwanzig Uhr gemeuchelt.«

»Der Kopf?«

»Du weißt, was ich meine. Der Mann wurde gemeuchelt. Dann wurde der Kopf mit einer Säge abgetrennt. Als Todesursachen können wir definitiv Gift und einen Kopfschuss ausschließen. Keinerlei Zeichen von Gewalteinwirkung auf den Schädel, na, abgesehen vom postmortalen Sägen. Wie ich dich kenne, möchtest du jetzt keine medizinischen Details über sein Ableben, sondern die Kurzversion.«

»Erraten.«

»Erwürgt.«

»Knapp und präzise, danke Gerda.«

»Mit Bullen wie dir macht mein Job manchmal echt keinen Spaß!« Die Gerichtsmedizinerin spielte die Beleidigte.

»Ich denke, mit dem Todeszeitpunkt und deinen Informationen können wir schon mal was anfangen.«

»Stellt sich natürlich die Frage, warum der Kopf abgetrennt und so spektakulär der Nachwelt präsentiert wurde.«

»Keine Sorge, Pettenkoferin, darüber zerbreche ich mir meinen Kopf.«

»Du scheinst aber noch nicht weiter gekommen zu sein. Erinnerst du dich noch an die Serie von Schädelfunden vor fünf Jahren? Sieben Stück in drei Monaten. Und die restlichen Körper wurden bis heute nicht gefunden. Das war damals die russische Mafia.«

»Ich erinnere mich bestens und habe auch schon daran gedacht. Da ging es um rivalisierende Syndikate aus der Ukraine und der Türkei. Aber die Täter von damals sitzen noch alle ein. Was natürlich nichts zu sagen hat. Wenn ein Kopf so präsentiert wird, muss mehr dahinter stecken als nur ein einfacher Mord. Es soll ein Signal sein. Entweder von einem Wahnsinnigen, der auf sich aufmerksam machen möchte – oder doch Mafia welcher Nationalität auch immer, die eine Warnung ausspricht. Vielleicht Drogen, vielleicht Mädchenhandel. Vielleicht auch nur ein verwirrter Dokusoap-Junkie, dem die Sendungen aus dem Hause Veicht-Productions das letzte Quäntchen Verstand weggepustet haben und der dann Rache nahm.«

»Schön, dass du wieder etwas Humor zeigst, Maxl. Wenn du jetzt ganz lieb bitte bitte sagst, habe ich noch ein paar Zuckerl für dich.«

»Bitte bitte«, säuselte Pfeffer in den Telefonhörer und grinste.

»Brav! Also: Ich habe aus Jux und Dollerei noch ein paar Tests gemacht. To cut a long story short: Der Typ hat zu Lebzeiten gerne mal eine Nase voll Schnee reingezogen. So wie seine Nasenscheidewand aussieht, sogar regelmäßig. Das letzte Mal vermutlich einige Tage vor seinem Tod. Spuren von anderen Drogen wie Hasch oder Extasy habe ich nicht gefunden.«

Pfeffer pfiff durch die Zähne. »Danke, Pettenkoferin, du bist wie üblich die Beste.«

»Mehr, mehr!« Die Gerichtsmedizinerin lachte hustend. »Wenn du so mit Komplimenten um dich schmeißt, könnte ich mich glatt in dich verlieben.«

»Da musst du eine Nummer ziehen und dich an der langen Schlange ganz hinten anstellen.« Pfeffer stimmte in das rasselnde Lachen der Medizinerin ein. »Jedenfalls danke.«

»Halt, nicht so schnell. Jetzt kommt ein Megazuckerl, aus dem ich allerdings nicht ganz schlau werde. Wie ich sagte, gab es keine Gewalteinwirkung auf den Schädel. Ich habe aber auf der Haut am Haaransatz ganz, ganz schwache Spuren entdeckt. Hast du Fotos vom Schädel vor dir liegen? Vergrößerungen?«

Pfeffer bejahte und zog die Bilder hervor.

»Vielleicht siehst du es auch. Nimm eine Lupe und guck dir mal ganz genau zum Beispiel die Schläfen an.«

Pfeffer tat, wie ihm geheißen und studierte mit der Lupe die Fotos, auf denen Stirn und Haaransatz der Leiche besonders gut getroffen waren. »Tut mir leid«, sagte er nach einer Weile. »Ich erkenne da nichts.« Er stierte weiterhin wie gebannt durch das Vergrößerungsglas.

»Ich habe hier den Kopf vor mir«, sagte Gerda Pettenkofer. »Schau an seiner rechten Schläfe, ganz schwach, … na, vielleicht sieht man auf dem Foto doch nichts …«

Doch Pfeffer sah nun endlich, was sie meinte. Er hatte nach offensichtlichen Spuren gesucht, irgendetwas Auffälliges erwartet. Doch was er nun sah, war nur ein zarter Abdruck auf der Haut, eine kleine runde Rötung, mehr nicht. Er war nicht einmal sicher, ob er sie wirklich sah oder sich durch die Suggestion der Gerichtsmedizinerin nur einbildete.

»Da sind noch mehr, insgesamt drei habe ich gefunden«, fuhr die Pettenkoferin fort. »Das an der Schläfe ist das am besten erkennbare. Keine Ahnung, was das verursacht hat. Es ist so marginal, dass man es leicht übersehen kann. Vielleicht hat das auch nichts zu sagen. Ich habe das Gewebe darunter untersucht und dort sind die Spuren etwas deutlicher. Minihämatome, wie wenn man hauchzarte Knutschflecke hat. Okay, das war jetzt das falsche Bild, denn es sind Druckstellen, keine Saugstellen. Was es auch ist, es muss recht kurz vor seinem Tod passiert sein, denn sonst wären die Druckstellen wieder verschwunden.«

»Vielleicht hat er sich irgendwo dagegen gelehnt?«

»Möglich.«

»Soll ich dir noch mal sagen, dass du die Beste bist? Danke und …«

»Halt, Maxl. Nicht so schnell. Wie viele Zuckerl nimmt die dicke Leichenaufschnipplerin normalerweise in den Kaffee? Sag jetzt nichts Falsches! Genau drei Stück. Also, hier kommt Zuckerl Nummero tres: Wenn du mit der Lupe die Hautpartie hinter seinem rechten Ohr genau untersuchst, was siehst du da?«

»Etwas Verschmiertes. Noch ein größeres Hämatom?« Pfeffer studierte die angegebene Stelle. »Nein, das ist ein verwischter Buchstabe oder so.«

»Heiß, Pfeffer.«

»Okay, ich hab es. Da steht fünfundvierzig in Ziffern.«

»Mit einem handelsüblichen Kugelschreiber der Marke Bic auf die Haut geschrieben«, ergänzte Gerda Pettenkofer. »Da der Schädel durch so viele Hände gegangen ist, ist die Schrift etwas verschmiert. Die Ziffer war zwar versteckt, aber doch so angebracht, dass sie bei einer Autopsie auf jeden Fall gefunden werden muss. Also ein Hinweis.«

»Schlau, Pettenkoferin. Fragt sich nur auf was.«