Peinlichkeiten des Alltags

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Peinlichkeiten des Alltags
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Markus Mann

Peinlichkeiten des Alltags

Fall 2: Die Party

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Fall 2: Die Party

Impressum neobooks

Fall 2: Die Party

Raus aus meiner Höhle

Ich habe mich inzwischen von meiner vieltägigen Krankheit (wie lange war ich eigentlich krank?) und von meinem Fahrstuhl-Albtraum wieder erholt. Den alten Nachbarn und das verliebte Pärchen habe ich bisher nicht mehr getroffen, weder im Fahrstuhl noch sonst irgendwo im Haus oder auf der Straße. Darüber bin ich sehr, sehr froh. Die Scham würde mir bei einer erneuten Begegnung den ganzen Körper hochkriechen und sich in meinem Kopf festsetzen. Und aus diesem habe ich sie durch viele Ermunterungen vertrieben:

„Wieso bist du so blöd, Markus, und setzt dich solchen Situationen aus!“

„Ach, komm, das war schon nicht so schlimm, Markus!“

„Das kann jedem passieren, Markus!“

„Die denken gar nicht mehr daran, Markus!“

„Natürlich denken die noch daran, was denkst du denn!“

„Meinst du?“

„Ja.“

„Verdammt, es ist passiert, und du kannst es nicht ändern! Also warum ständig darüber nachdenken? Ist doch egal, was die von dir halten! Steh zu deinen Fehlern, Markus, verdammt!“

Ja, es ist, wie es ist. Davon bloß nicht fertigmachen lassen. Weiter geht es. Das Leben bietet so viele herrliche Möglichkeiten, jeder Moment ist eine neue Möglichkeit, ein Leben für sich. „Nutze jeden Moment und genieße ihn – egal, was kommt.“

„Egal, was kommt?“

„Ja.“

„Hm.“

Also beschließe ich, mein Leben zu nutzen. Meine 86 400 Leben täglich. Heute habe ich nicht mehr so viele Leben übrig, in etwa 18 360 Leben. Und es werden immer weniger.

Okay, irgendwie haben sich die motivierenden Gedanken in deprimierende verwandelt. Also lasse ich das. Scheiß drauf, wieviel Leben ich habe, ob ich den Tag nutze oder nicht. Ich habe nur dieses eine Leben und das will ich nutzen. Wie? Ich möchte heute raus aus meiner Höhle. Ich möchte unter Leute. Nach meinem Fahrstuhl-Desaster fühle mich inzwischen wieder wie ein vorbildlicher, zivilisierter Mensch, der seinen Mitmenschen nicht über die Maßen unangenehm auffällt, und der in die Gesellschaft eingegliedert ist. Doch hat mein Sozialleben in den letzten Wochen stark gelitten. Ich musste für mein Studium lernen, obwohl mich das überhaupt nicht interessiert, das aber nun einmal abgeschlossen werden will, sonst werden Mama und Papa sauer. Tja, und dann kam noch die Krankheit. Geschwollene Lymphknoten. Fies. Und in dieser ganzen Zeit hatte ich nur über SMS oder Facebook mit ein paar Freunden und der Familie Kontakt. Habe auch mal telefoniert. Aber nun möchte ich endlich wieder unter Leute, unter analoge Menschen.

Ich suche mein Handy und finde es in meinem Bett, unter der Bettdecke. Wähle die erste Nummer. Richard ist nicht zu erreichen. Nächste Nummer. Simon hebt auch nicht ab. Hannah ebenfalls nicht. Georg geht zwar ran, meint aber:

„Tut mir leid, ich bin gerade gar nicht in Berlin. Komme erst nächste Woche zurück. Aber viel Spaß dir.“

Na toll. Ich lege auf, gehe in meiner Wohnung hin und her. Warum erreiche ich die meisten meiner Freunde nicht am Telefon? Warum fragen sie mich nicht, ob ich etwas mit ihnen unternehmen möchte? Und warum sagen sie mir nicht zu, wenn ich sie frage? Was sind das überhaupt für Freunde? Ich sollte mir andere Freunde suchen.

Ich beende meinen nervösen Gang durch die Wohnung und rauche erst einmal eine Zigarette auf dem Balkon. Ein wenig zittere ich. Nicht nur wegen der Kälte. Die Straße ist ruhig, nur ein paar Jugendliche schreien übermütig durch die Dunkelheit. Sie lachen, sind offenbar schon angetrunken. Ihre Schreie hallen durch die ganze Straße. Sie sind noch eine Weile zu hören, dann biegen sie um die Ecke. Hastig rauche ich die Zigarette auf, drücke sie in der Erde von einem meiner Blumentöpfe aus. Dann zünde ich mir noch eine an. In meinem Magen flaut ein Leeregefühl vor sich hin, es rumort, der Hunger knurrt mich an, mein Mund schmeckt nach verbranntem Tabak, vermengt mit einer Note klebrigen Teers. Heute habe ich kaum etwas gegessen. Ich habe den ganzen Tag im Internet gesurft, Filme geschaut, auf Facebook gestöbert, alle fünf Minuten in meine Mails und auf mein Handy gestarrt, Kaffee getrunken, ein paar Nüsse gegessen. Eigentlich wollte ich noch ein wenig lernen. Endlich mal etwas schaffen. Doch ich landete immer wieder vor dem Computer. Ich hatte sogar begonnen, meine Küche zu schrubben. Zwischendurch habe ich mich eine halbe Stunde schlafen gelegt.

Ich gehe wieder vom Balkon in meine warme Wohnung. Ziehe meinen Mantel aus und hänge ihn über die Stuhllehne. Es ist kurz nach sieben Uhr abends. Ich brauche heute noch Gesellschaft, sonst werde ich noch wahnsinnig. Nein, ich bin schon wahnsinnig. Deswegen brauche ich ja Gesellschaft, um wieder von diesem Wahnsinn loszukommen.

Einladung

Also setze ich mich wieder an meinen Laptop und gehe auf Facebook. Da war doch noch eine Einladung. Ich suche sie, finde die Benachrichtigung: „Klar Isse hat Sie zu ‚80er-Jahre-Partyyyy!!!‘ eingeladen.“ Ich klicke darauf. Die Party ist heute, Beginn 21 Uhr. 53 Leute haben zugesagt. Wer ist eigentlich diese Klar Isse? Ich schaue mir ihr Profilfoto an. Ich habe sie schon öfters in der Uni gesehen, aber wir hatten, glaube ich, noch nie einen Kurs zusammen… doch, im ersten Semester, also vor fünf Jahren. Gesprochen habe ich mit ihr auch noch nie. Egal. Sie ist hübsch, mit ihren blonden, gewellten langen Haaren und den großen Augen. Auf anderen Fotos trägt sie enge Kleider und Miniröcke. Sehr sexy, wow!

Ich versuche noch einmal, Freunde von mir anzurufen, aber niemand hebt ab. Dann gehe ich eben alleine! Ich werde sauer auf meine „Freunde“.

Vor der Party

In meinem Kleiderschrank finde ich nichts, was nach 80er-Jahre aussieht. Also ziehe ich mir eine schwarze Jogginghose, einen möglichst hässlichen grünen Pullover und meine klobigen Laufschuhe an. Die Haare werden nun noch einmal schön nach hinten gegelt, Mantel angezogen, Handy eingesteckt, und dann verlasse ich die Wohnung und das Haus.

Draußen ist es kühl. Ein eisiger Wind bläst mir ins Gesicht und lässt meine Augen tränen. Ich laufe die Straße hinunter, Gruppen von Mädchen oder gemischte Gruppen laufen an mir vorbei. Ich hoffe, dass sie die Tränen in meinen Augen nicht sehen und denken, ich könnte weinen. Nein, ich bin ein starker junger Mann, cool und selbstbewusst.

Ankunft

Mit dem Bus fahre ich zu der im Internet angegebenen Adresse. Ich muss noch dreihundert Meter laufen, in eine Straße rechts einbiegen. Es ist eine gute Gegend. Schließlich komme ich an. Auf dem Schild sehe ich den Nachnamen von Klar Isse (Ach ja, stimmt, die hieß Klarissa Müller, was für ein langweiliger Name!) und von ihren Mitbewohnern. Insgesamt sind es drei. Ich drücke auf den Klingelknopf. Es passiert nichts. Bin ich hier richtig? Es ist keine Musik zu hören, keine Leute zu sehen. Ich klingele noch einmal. Nun ertönt der Türsummer und ich drücke die Haustür auf. Sofort dringt gedämpfte Musik und Stimmengewirr, Gekreische und Gelächter aus einem der oberen Stockwerke. Ich gehe die Treppen hinauf, bis in den zweiten Stock. Dort klingele ich an die Wohnungstür. Sie wird geöffnet. Von Klar Isse.

„Hi, wer bist du?“, fragt sie mich. Ich bin ein wenig verwirrt.

„Hey, ich bin Markus; aus deinem Semester. Du hast mich doch über Facebook zu deiner Party eingeladen.“

„Ach, echt? Na, dann komm mal rein.“

Sie öffnet die Tür und ich trete ein. Sie trägt eine blonde Lockenperücke, pinke Leggins und gelbe Turnschuhe. Darüber eine silberne, paillettenbesetzte und an den Schultern gepolsterte Jacke. Dazu knallroter Lippenstift und ebensolchfarbiger Nagellack. Ihre schlanken Finger halten einen weißen Plastikbecher mit wahrscheinlich Sekt darin. Klarissa schaut mir mit ihrem leicht glasigen Blick in die Augen, ohne ihre Gesichtszüge zu bewegen, die nun irgendwie gar nicht mehr so fein, sondern eher unsympathisch und zickig wirken. Ihr Blick fährt meine ganze Erscheinung entlang nach unten. Dann schaut sie mich wieder an, zieht ihre Mundwinkel leicht nach unten und meint:

„Das hier ist aber keine Bad-Taste-Party, sondern eine Achtzigerjahre-Party.“

„Weiß ich, weiß ich, aber ich hatte keine passenden Klamotten zuhause. Da habe ich einfach angezogen, was am besten zu dem Motto passt. Und Achtzigerjahre und Bad-Taste hat schon nicht wenig miteinander zu tun.“

Ich lache und warte auf ihre Reaktion. Sie schaut mich an, hebt ihre rechte Augenbraue leicht hoch, schließt die Tür, und ohne mich noch einmal anzuschauen geht sie den Flur entlang in das große Zimmer, direkt dem Wohnungseingang gegenüber. Dort sitzt ein großer, dunkelhaariger Typ halb auf der linken Lehne des Sofas. Klarissa lehnt sich an ihn, er umschließt sie mit seinen Armen von hinten. Ich wanke leicht, muss meinen linken Fuß heben und neu auf den Boden setzen, um besseren Halt zu finden.

Orientierung

 

Meinen Kopf drehe ich nach links und rechts, um zu schauen, was um mich herum passiert. Auf der linken Seite des Flurs sind drei Türen, die jeweils in ein Zimmer führen – wahrscheinlich die Zimmer der WG-Bewohner –, auf der linken Seite befinden sich die Küche und das Bad. Überall ist Licht. Überall sind junge Menschen, in den Zwanzigern, in etwa so alt wie ich. Einige sind jünger, andere älter. Aber jeweils nur ein paar Jahre. Ich bemerke, dass ich immer noch im Flur am Eingang stehe. Meine Augen scannen die Umgebung, doch streife ich nur die Oberfläche der Objekte, die um mich herum sind. Ich sehe sie nicht wirklich, nehme nicht bewusst wahr, versuche eher, mir nicht bewusst zu werden, dass ich alleine unter lauter Fremden bin. Mein Puls steigt, leicht trockener Mund, mein Kopf ist damit beschäftigt, positive Gedanken zu formen. Doch drängen sich immer wieder Gedanken dazwischen wie:

„Hoffentlich mache ich mich heute nicht zum Volltrottel.“

„Wie mache ich die anderen auf mich aufmerksam?“

„Welche Witze soll ich erzählen? Mist, ich weiß keinen. Warum kann ich mir nie Witze merken?“

„Was soll ich jetzt tun? Wie komme ich gut bei den Mädels an? Wie kann ich sicher und cool auftreten?“

Rechts neben mir ist also die Küche. Voller Menschen. Voller Mädels und Jungs (oder Frauen und Männer? Nee, eigentlich sind das noch Mädels und Jungs), die mit ihren weißen Plastikbechern oder Bierflaschen dastehen und trinken; sie reden laut, lachen, tanzen zu der Musik, umarmen sich gegenseitig, klopfen sich auf die Schultern. Zigarettenrauch hängt dich in der Küche. Keiner bemerkt mich. Zwei Mädels stürmen aus dem Zimmer links von mir, leicht angetrunken und fröhlich, in den Flur, rempeln mich an, entschuldigen sich nicht, werfen mir nur einen misstrauischen Blick zu, ich werfe einen Blick zurück, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Ihr Lachen verebbt kurz, dann drehen sie sich weg, die eine stolpert zu Boden, bleibt auf den Knien sitzen und die beiden brechen wieder in gackerndes Lachen aus. Die Gefallene lässt sich von der Standhaften hochziehen und gemeinsam stürmen sie in das Bad. Sie schließen die Tür.

„Warum haben die mich so angeschaut? Warum haben sie aufgehört, zu lachen? Bin ich zu ernst? Sehe ich nicht gut genug aus?“

Schlacht

Ich bin ein wenig benommen. Es rauscht in meinem Kopf, hinter meinen Augen. Bevor sich der nächste unangenehme Gedanke Bahn bricht, drehe ich mich nach rechts und betrete die Küche. Ohne mich dem Kontakt mit irgendjemandem auszusetzen, drücke ich mich durch die schwitzige Körpermasse. Meine Miene ist versteinert, ich setze einen finsteren Blick auf, strecke meine Brust nach außen, Rücken wird durchgestreckt, meine Oberarme und Ellenbogen sind von meinem Körper abgespreizt. Jeden, den ich anschaue, schaue ich nur kurz und unfreundlich an, jeder Augenkontakt versetzt meinem Herzen einen kleinen Stoß, ich wundere mich, warum die anderen mich nicht freundlich anblicken. Die müssen doch Respekt vor mir haben, so stark wie ich auftrete! Ich wische mit meinem Blick von Einem zum Nächsten, ohne irgendwo haften zu bleiben. Meine Brust und meine Arme spüren die starken Brustmuskeln und kräftigen Oberarme der jungen Männer um mich herum, die aus ihren Bierflaschen oder Plastikbechern trinken, dastehen, rauchen, um sich herum schauen, sich mit anderen Männern und mit Frauen unterhalten, mit ihnen lachen oder auch ernste Gespräche führen. Zwischendurch fällt meine Körperhaltung wieder leicht in sich zusammen. Ich spüre es und strecke wieder meine Brust heraus und halte meine Arme wieder leicht von meinem Körper abgewinkelt. Möglichst souverän und mit tiefer Stimme sage ich: „Entschuldigung“, schiebe mich zwischen den Körpern hindurch, um immer wieder „Entschuldigung“, zu brummen und mich weiterzuschieben. Endlich erreiche ich den großen Küchentisch, auf dem angeschnittene und zerrissene Kräuterbaguettes herumliegen, viele umgekippte und benutzte Becher, Plastikflaschen, Bierflaschen, Weinflaschen, Spirituosenflaschen. Dazwischen Zigarettenstummel auf Pappbechern, leere Zigarettenschachteln, Brotkrümel Getränkepfützen, davon durchtränkte dunkelrote Servietten. Ich suche nach einem sauberen Becher oder einem sauberen Glas. Ich finde nichts von Beidem. Wie soll ich denn jetzt etwas trinken? Ich brauche etwas zu trinken!

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