Auf Tour mit Bob Marley

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Auf Tour mit Bob Marley
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Aus dem Englischen übersetzt von

Helmut Dierlamm


www.hannibal-verlag.de

Impressum

Originalausgabe

© 2011 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der Koch International GmbH,

A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-350-5

Auch als Paperback erhältlich: ISBN 978-3-85445-349-9

Der Autor:

Mark Miller kam schon 1970 zum Rock ’n’ Roll-Business und arbeitete für Stars wie Elton John oder Rod Stewart. 1978 traf er erstmals Bob Marley, der ihm den Job als Stage Manager anvertraute. Mehr als 3 Jahre lang reiste Mark Miller mit Bob Marley & the Wailers um die ganze Welt und trug für 124 umjubelte Konzerte die Verantwortung. Auf dem Höhepunkt des Erfolges verstarb Bob Marley 1981 an Krebs. Mark Miller blieb dem Reggae treu, veranstaltete Konzerte und managte The Wailers und Junior Marvin.

Übersetzung: Helmut Dierlamm

Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach

Korrektorat: Otmar Fischer, Münster

Layout und Satz: www.buchsatz.com, Innsbruck

Coverdesign: bürosüd, München

Coverfoto: Roger Steffens, Reggae Archives

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags nicht verwertet oder reproduziert werden. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Einleitung

Danksagung

Vorwort von Junior Marvin

Kapitel eins

Nebelschwaden in Vancouver:

Erste Begegnung mit Bob Marley

Kapitel zwei

Die Kaya Tour

Fotostrecke 1

Kapitel drei

Bob Marley

Kapitel vier

Die Survival Tour

Kapitel fünf

Bob Marley in eigenen Worten

Kapitel sechs

Die Band

Fotostrecke 2

Kapitel sieben

Die Uprising Tour

Kapitel acht

Interviews mit Bob Marley

Kapitel neun

Bob, das Kraut, das Essen und die Fans

Anhang

Internationale Tourneen

Mark Millers 124 Konzerte mit Bob Marley and the Wailers

Bob Marleys Leben: eine Chronologie

Diskografie

Tourpläne

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»Jeder Mensch hat das Recht, sein Schicksal selbst zu bestimmen.«

Bob Marley

Bob Marley brachte mit dem Reggae eine fruchtbare, kreative und originelle Form des Rhythm and Blues in die Welt. Der Reggae hatte so großen Einfluss auf die Popmusik des Westens, dass er nach Jazz und Blues die dritte »musikalische Mutter« des 20. Jahrhunderts wurde und Formen wie Hip Hop, House, Electro, Techno, Jungle, Dancehall und viele andere Stilrichtungen prägte.

Der Reggae war eng mit dem Dub verbunden, der im Kingston der siebziger Jahre von King Tubby geschaffen, entwickelt und perfektioniert wurde und das Remix-Zeitalter einleitete. Tubby erreichte beispiellose künstlerische Höhen, bevor seine Techniken zehn Jahre später überall aufgegriffen wurden. Auch die gesamte DJ-Kultur, den Rap eingeschlossen, ist größtenteils in Jamaika entstanden, bevor sie den Rest der Welt und insbesondere die Bronx eroberte.

Aber auch jenseits des Reggae hat Bob Marleys Musik alle Arten von Zuhörern erreicht und Genres transzendiert, wie ein immer noch expandierender Kult in der ganzen Welt des 21. Jahrhunderts beweist. Diese Dimension ist unendlich wichtiger als die eines normalen Popsängers. Bob Marley suchte nach der ursprünglichen Würde seines in Jahrhunderten der Sklaverei (»Slave Driver«, »Redemption Song«) mit Füßen getretenen und danach wirtschaftlich ausgebeuteten Volkes. Er verkörpert die Hoffnung der ganzen Menschheit auf eine weltweite friedliche Revolution gegen einen Unterdrückungsapparat, den er als christlich (für die Rastas sind die Religionen der Kolonialisten Betrug) kapitalistisch, korrupt, rassistisch und heuchlerisch charakterisiert. Mit seiner Authentizität, seinem Willen und seiner beispiellosen Stärke schaffte es der erste (und letzte?) Superstar, der aus einem Entwicklungsland stammte, entgegen aller Wahrscheinlichkeit in Rekordzeit die Welt zu erobern, und das mit einer Haltung, in der sich bereits die Herausforderungen der beginnenden Globalisierung abzeichnen. Marley ist zu einem der wichtigsten universellen Symbole des Protests geworden und hat im kollektiven Unbewussten der Massen zum Teil politische Kämpfer wie Che Guevara (die Revolution im benachbarten Kuba hat Marley dennoch beeinflusst), Malcolm X, den jamaikanischen Bürgerrechtsaktivisten Marcus Garvey, Leo Trotzki, Nelson Mandela oder Thomas Sankara ersetzt.

Marley, der aus einem elenden Ghetto stammt und seinen unglaublichen Erfolg als Autodidakt errang, ist wirklich ein leuchtendes Beispiel. Mit seiner spirituellen, philosophischen und kulturellen Botschaft, gekoppelt mit einem missionarischen Einsatz für den weltweiten Konsum von Hanf, hat er ein Terrain erobert, das für das normale Personal der internationalen Popmusik völlig neu war. Er hat die Einheit der Völker, angefangen bei den afrikanischen, immer als dringende Notwendigkeit gefordert. Und er hat auf den Respekt vor der eigenen Identität und auf die Selbstverwirklichung als positiven Weg und Anfang einer Lösung verwiesen.

Als Spiegel des rebellischen Geistes der unterdrückten Völker, als exemplarischer Held und als Vorbild wird Bob Marley inzwischen schon von mehreren Generationen als verstorbener, aber bevorzugter Sprecher der Unterdrückten gesehen. Der Journalist Bruno Blum hat das einmal treffend so formuliert: »Vor allem aber ist er der erste Musiker, Autor, Komponist und Performer, der diese rebellische und symbolische Identität als Sprachrohr des Protests im Weltmaßstab rückhaltlos annimmt und verkörpert, einen Status, dem sich andere wie James Brown, Bob Dylan oder John Lennon nur annäherten, ohne ihn aus verschiedenen Gründen je ganz zu erreichen – oder anzunehmen.«

Mit seiner von den wichtigsten spirituellen und kulturellen Elementen des Rastafari geprägten Botschaft, die hartnäckig und mit Recht die Verfälschung und Verstümmelung der afrikanischen Geschichte durch die westlichen Religionen und die kolonialistische Geschichtsschreibung anprangert (»Zion Train«, »Music Lesson«), verkörpert Bob Marley mehr als bloßen sozialen Protest im engeren Sinne.

Er konfrontiert die Menschheit mit einem historischen Ansatz, der bis dahin im Wesentlichen ignoriert und dann mehr und mehr akzeptiert, studiert und wiederaufgegriffen wurde. Seine von der Rastafari-Religion geprägte Theologie in Kombination mit seiner Berühmtheit hat ihn zum Objekt vielfältiger Heiligenverehrung gemacht. Viele sehen ihn in diesem Zusammenhang als ersten multimedialen Propheten, der als Sohn eines Weißen und einer Schwarzen zum Symbol einer vereinigenden Rassenvermischung auf einem Planeten wird, dessen Zukunft in erheblichem Ausmaß von einem besseren Verständnis der Vergangenheit abhängig ist. Wie Jack Healey von Amnesty International nicht müde wird zu betonen, ist Bob Marley »das Symbol der Freiheit auf der ganzen Welt« geworden.

Oder wie die New York Times 15 Jahre nach seinem Tod vielleicht gleichermaßen ironisch wie prophetisch schrieb: »Im Jahr 2096, wenn die ehemalige Dritte Welt die ehemaligen Supermächte besetzen und kolonisieren wird, wird man Bob Marleys wie eines Heiligen gedenken.«

Mein nun folgender Augenzeugenbericht vermittelt einen Einblick in den Alltag einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Er kontrastiert die einsetzende Mythen- und Legendenbildung mit einer realistischeren Sicht auf die Geschichte des Menschenfreunds Bob Marley, der sich damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und einer erdumspannenden Popularität befand, die bis heute beispiellos sein dürfte.

 

Mark Miller, im Februar 2011


Großen Dank schulde ich

Bob Marley

(denn ohne Bob wäre das alles nicht möglich gewesen)

Junior Marvin

Den Wailers

Dennis Thompson

Roger Steffens

Ziggy und Stevie Marley

Fully Fullwood

Große Liebe und Dankbarkeit empfinde ich auch für meine zwei Söhne Matthew Miller und Harrison Miller. Und natürlich auch für Florence Morcamp, deren Beharrlichkeit und Liebe mein Leben verändert haben. Ohne sie hätte ich nicht den Mut gehabt, dies zu schreiben …

MM/November 2010

Die Bilder in diesem Buch stammen aus den Archiven von Mark Miller, Junior Marvin, Roger Steffens und vielen anderen, die ihre Bilder »mit freundlicher Genehmigung« zur Verfügung gestellt haben. Ich danke ihnen allen von ganzem Herzen.

MM


Mark Miller lernte ich 1978 auf der Kaya Tour von Bob Marley and the Wailers in den USA kennen. Ich, Junior Marvin, war damals Leadgitarrist und Backgroundsänger der Band, und Mark war unser Stage Manager. Wir schlossen sofort Freundschaft; ich hielt ihn anfangs für einen Musiker, weil er sich wie ein echter Rock-and-Roller kleidete.

Ein paar von uns gingen zusammen einkaufen und besuchten Clubs und Restaurants. Mark gehörte zu dieser Gruppe. Wir sprachen über unsere Shows, Rasta, Sport und was sonst so lief. Wir waren alle sehr engagiert, was die Tour und die Musik betraf, und sprachen oft darüber, wie man alles besser und effizienter gestalten konnte.

Die Arbeit mit Bob war super. Er war ein ausgezeichneter Bandleader. Wir nannten ihn den »Skipper«, weil er so gern Fußball spielte. Er war wie der Kapitän unserer Fußballmannschaft. Wir stellten Positive Vibrations mit Agenten, Tourneeveranstaltern und Fans her, und das hat sich bis heute nicht geändert.

Auch heute noch, 30 Jahre nach jener ersten gemeinsamen Tournee, sind Mark und ich immer gute Freunde. Im Augenblick sind wir auf der Tournee Tosh meets Marley mit Fully Fullwoods Band und mir und mit Mark als Stage Manager.

Ja, der Rasta, Roots, Rock, Reggae Zug rollt weiter.

Respekt, Bro Mark!

JAH LIEBT UNS ALLE.

One Love.

Junior Marvin-Hanson


»Die guten Zeiten heute, sind die traurigen Gedanken, von Morgen.«

Bob Marley

Juni 1978 in Los Angeles. Wie üblich war es heiß, versmogt und sehr laut. Ich arbeitete als Night Manager bei Studio Instrument Rentals (S. I. R.), einer Verleihfirma für Musik-Equipment in Hollywood, und steckte voll in der üblichen Hollywood-Hektik. Obendrein erhielt ich jeden Tag eine Menge Anrufe von aufgeregten »Künstlern«, die ihre Ausrüstung zu spät oder noch gar nicht bekommen hatten. Dann jedoch kam ein Anruf, der uns alle total überraschte.

Ein Tourneeveranstalter im Bundesstaat Washington bestellte das komplette Equipment für die berühmten Village People[1], die zwei Wochen in Seattle auftreten würden. Ich nahm den Auftrag an und fragte das Team bei S. I. R., wer die Ausrüstung nach Seattle fahren wolle. Keiner hatte Lust, aber ich kriegte eine Menge miese Schwulenwitze zu hören. Ich bot alle möglichen Anreize auf, aber die Jungs blieben hart. Keiner wollte nach Seattle fahren. Und vor allem wollte keiner in einem dunklen Club sitzen und zwei lange Wochen die Village People hören. Sie waren damals sehr populär und verkörperten bei ihren Konzerten einen Polizisten, einen Bauarbeiter, einen Soldaten, einen Biker, einen Cowboy und einen Indianerhäuptling. Mir war natürlich klar, warum keiner von den Leuten bei S. I. R. nach Seattle fahren wollte …

Die Zeit war knapp, weil der Tourneeveranstalter das Equipment so rasch wie möglich haben wollte, und weil es ein ruhiger Sonntagmorgen war, beschloss ich, das Zeug persönlich mit dem Dreitonner nach Seattle zu fahren. Ich winkte meinen Mitarbeitern nochmal zu, die sich auf der Laderampe dumm und dämlich lachten, und fuhr ab. Bei dem 7-Eleven an der Ecke Sunset Boulevard und Highland Avenue machte ich noch einen kurzen Zwischenstopp und deckte mich mit Fressalien ein, eine alte Methode von mir, mit der ich lange Fahrten ein bisschen erträglicher gestalte. Ich fuhr auf der Highland nach Norden, vorbei an bleichen Frühaufstehern, die sich mühsam auf einen neuen Tag in LA-LA-Land einstellten. Nach der Hollywood Bowl fuhr ich auf dem Freeway 101 nach Norden und ließ den ganzen Gestank und Dreck von Hollywood hinter mir.

In meiner Jugend hatten die Freeways ihren Namen noch verdient, und man hatte sich überall in der Gegend von Los Angeles noch frei bewegen können. Aber 1978 waren die Freeways schon genau wie heute alles andere als frei. Von etwa fünf Uhr morgens bis spät in der Nacht hat man Glück, wenn man 40 Kilometer in der Stunde schafft.

Von Los Angeles bis Seattle sind es etwa 1900 Kilometer, und die Fahrt dauert mindestens 20 Stunden, je nachdem wie oft man unterwegs anhält. Ich hielt nur, wenn ich tanken oder pissen musste, und powerte mit dem Dreitonner durch Nordkalifornien und Oregon, bis ich am frühen Morgen in Seattle ankam, wo ich direkt zum Veranstaltungslokal fuhr. Der Club war noch zu, also stieg ich wieder ins Auto und schlief sofort ein. Leider dauerte es nicht lange, bis mich ein Polizist aus dem Schlaf riss, der wild gestikulierte und an das Wagenfenster hämmerte. Ich hatte den Dreitonner in der Zufahrt des Clubs abgestellt, und auf der Straße stauten sich inzwischen die Lieferantenfahrzeuge. Hektisch erklärte ich, warum ich da stand, und bekam die Erlaubnis, vorzufahren und das Equipment auszuladen. Im Musikgeschäft sagt man, die Bühnenarbeiter seien nie zu finden, wenn man einen Lastwagen abladen muss, und so war es auch. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal lud ich alles selber aus. In den folgenden zwei Wochen musste ich zwischen den Konzerten viel Zeit totschlagen. Aber dabei entdeckte ich das renovierte alte Hafenviertel der Stadt, einen der interessantesten Orte, an denen ich je gewesen bin. Bei den Shows musste ich nur vor Konzertbeginn da sein und alles einschalten. Dann nahm ich ein paar Drinks und sah zu, wie erwachsene Männer in Karnevalskostümen jeden Abend das Publikum zum Rasen brachten – die Village People. Nach den zwei Wochen in Seattle ging es weiter nach Vancouver, wo der Tourneemanager uns nicht nur bat, weiterhin das Equipment für die Village People zu stellen, sondern noch eine Menge zusätzliches Material für eine neue Band namens Bob Marley and the Wailers zu liefern.

Ich rief in Los Angeles an und bestellte noch einen zweiten voll beladenen Dreitonner für diese Band namens Wailers, von der ich bis dahin noch nie gehört hatte. Am 14. Juli 1978 beendeten die Village People ihre Tournee, und ich stand an diesem sonnigen Morgen vor der Queen Elizabeth Hall in Vancouver und wartete auf Bob Marley and the Wailers. Ich arbeitete damals für bekannte Bands, mit denen ich rund um den Erdball flog. Also war ich schon einiges gewohnt, was Musiker betraf. Aber nichts, was ich zuvor getan hatte, hatte mich auf das, was jetzt kam, vorbereitet.

Die Tür an der Rampe ging auf, und ich stieß mit dem Dreitonner zurück, um die Ausrüstung mit Hilfe von ein paar Bühnenarbeitern auszuladen. Wir waren gerade dabei, die Geräte aus den Transportbehältern zu nehmen, als ein Typ auf mich zukam und mich bat, einen Gitarrenlautsprecher in die Garderobe der Band zu bringen. Ich rollte einen Fender Twin Amp den langen Gang hinunter, als mir der süße Duft von Marihuana in die Nase stieg. Ich brauchte nur dem Geruch zu folgen, bis ich zur richtigen Tür am Ende des Korridors kam.

In der Garderobe wurde ich von einer dichten Rauchwolke empfangen, in der ich schemenhaft ein paar Gestalten ausmachen konnte. Ich schob den Verstärker quer durch den Raum und behielt die Leute sorgfältig im Auge, nur für den Fall, dass mir einer seinen riesigen Joint reichen sollte. Ich stellte den Verstärker auf und stöpselte ein Gitarrenkabel ein, um ihn zu testen. Dabei merkte ich, dass mich ein Typ auf der anderen Seite des Raums beobachtete, auf den sich die ganze Aufmerksamkeit der anderen zu konzentrieren schien. Ich legte das Gitarrenkabel zusammengerollt auf den Verstärker und sog dabei demonstrativ die rauchgeschwängerte Luft ein, als mir der Typ auf der anderen Seite des Raums etwas zurief. Er saß auf dem Garderobentisch vor der Spiegelreihe, die es in den Umkleideräumen aller großen Hallen und Theater gibt. Er rief: »Hey, junger Mann!« oder so etwas Ähnliches, und ich ging zu ihm rüber. Er fragte, warum ich nichts rauchte, und ich sagte, ich hätte nichts. Er nickte einem Typ zu, eine große Tüte voller Gras tauchte auf. Er nahm eine ordentliche Handvoll, wickelte es in ein Stück Papier, das er von einer Zeitung auf dem Garderobentisch abriss, und gab es mir. Ich schwebte ganz beglückt aus dem Raum, und eine knappe halbe Stunde später erfuhr ich, dass der Typ mit der komischen Frisur in der Garderobe (ich hatte damals noch nie Dreadlocks gesehen) Bob Marley war.

An diesem Abend gab die Band eines der erstaunlichsten Konzerte, die ich je gesehen hatte, obwohl ich den größeren Teil der Siebzigerjahre für viele berühmte Gruppen, darunter insbesondere englische Bands, gearbeitet hatte. Es war einfach unglaublich, mit welcher Intensität Bob Marley seine Musik machte. Die ganze Band spielte so. Tyrone Downey, Al Anderson, Junior Marvin, Carlton »Carly« Barrett und Fams Barrett, Wya Lindo, Seeco Patterson und die I-Threes. Ich registrierte andächtig, dass sie das Publikum in eine andere Welt versetzten, und fuhr total auf die neue Musik ab. Ich hatte zuvor noch nie Reggae gehört …

Nach der zweiten Show in der Queen Elizabeth Hall packte ich gerade die Ausrüstung zusammen, als Bobs Toningenieur Dennis Thompson auf mich zukam und sagte: »Bob will wissen, ob du gern mit uns arbeiten würdest.« Ich brauchte keine Sekunde, um mich zu entscheiden, nicht zurück nach LA zu fahren, sondern mit den großen Joints und den Dreadlocks von Bob Marley and the Wailers auf Tour zu gehen. Ich fuhr den Dreitonner mit dem Equipment zurück zum Hotel, rief Kenny Berry bei S. I. R. in Hollywood an, kündigte und teilte ihm mit, dass ich bei den Wailers bleiben würde. Dann deponierte ich die Schlüssel für den Dreitonner an der Rezeption und ging als neues Mitglied der Crew von BMW wieder hinaus.

[1]Die Schöpfer der unsterblichen Diskohymne »YMCA«.


Frage: »Gibt es Frauen, die du bewunderst, Bob?«, Bob Marley: »Diese Frau in Amerika … Angela Davis. Eine Frau, die etwas verteidigt, das gefällt mir.«

Ich war ein bisschen skeptisch, als man mich zum ersten Mal bat, über meine kleine Reise zu schreiben. Es war lange her, und ich hatte über viele Dinge noch nie gesprochen, die ich mit Bob Marley and the Wailers erlebt hatte. Doch nach reiflicher Überlegung stimmte ich zu.

Ich bin mit einem sehr guten Gedächtnis gesegnet und kann mich an viel erinnern, wenn auch nicht an alles. Also seien Sie bitte nachsichtig, wenn Sie beim Lesen manchmal denken: »He, dieses Konzert war aber an einem anderen Tag.« Ich glaube schon, dass alles ziemlich genau stimmt, aber Fehler passieren eben. Ich war schon immer ein ausgesprochen ehrlicher Mensch, und an Stellen, die vielleicht nicht mit der Erinnerung anderer Leute übereinstimmen, versuche ich, so diplomatisch wie möglich zu sein.

Meine zwei Söhne, Matthew und Harry, waren damals noch klein und dachten, ich sei der Nikolaus, weil ich die meiste Zeit auf Tournee war. Ich kam immer mit einem Sack voll Geschenke nach Hause, und dann war ich wieder weg. Die Arbeit mit Bob Marley war zunächst nur eine weitere Tournee für mich, aber dann wurde sie zur Tournee meines Lebens. Eine Menge Leute fragten mich nach den Konzerten, an denen ich beteiligt war, und ich habe in diesem Buch einige tolle Geschichten zu erzählen. Nach den alten Tourneeplänen, die ich für dieses Buch erst kürzlich zum ersten Mal studierte, war ich zwischen Juli 1978 und September 1980 an 124 Konzerten von Bob Marley and the Wailers beteiligt.

 

Mit den Wailers zu touren war ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Ich musste lernen, wie sie tickten, aber umgekehrt war es genauso. Gleich zu Anfang merkte ich, dass bei Bob und der Band eine sehr familiäre Atmosphäre herrschte. Nach dem ersten Konzert in Vancouver fuhren wir in den Süden nach Seattle und Oregon, und von da an war ich für die Bühne und das ganze Equipment zuständig. Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal mit der Band zu Abend aß. Gilly war Bobs enger Freund und Assistent, und er kochte hervorragendes Essen (siehe Anhang 2: »Bob, das Kraut, das Essen und die Fans«). An diesem ersten Abend war der lange Tisch bereits mit dem traditionellen jamaikanische Essen gedeckt: Reis und Bohnen mit gebackenen Kochbananen und so. Aber als Gilly den Deckel vom letzten Topf nahm, glotzten mich etwa 40 Fischköpfe an. Ich lehnte das Gericht dankend ab. Ich mag es nicht, wenn mich etwas ansieht, das ich esse. Von Portland in Oregon aus fuhren wir alle zusammen im Tourbus nach Süden, wo wir im Civic Center in Santa Cruz in Kalifornien ein Konzert gaben. Danach kamen einige wirklich denkwürdige Konzerte. Es war die letzte Etappe der Kaya Tour von 1978, die manchmal auch als »Babylon by Bus Tour« bezeichnet wird.

Der Juli in Kalifornien ist eine Katastrophe, egal wo man ist. Es ist heiß, es ist feucht, Tausende von Leuten sind unterwegs, und der Verkehr ist nervenaufreibend. Wir spielten im Greek Theatre in Berkely unter freiem Himmel, und ich weiß noch, wie ich zum Himmel hinaufschaute, wo Millionen Sterne funkelten. Einer war ganz besonders hell, und sein Licht schien genau auf die Mitte der Bühne zu scheinen.

Jeder weiß, dass man den Sommer in Kalifornien am besten am Strand verbringt, und tatsächlich war die Santa Barbara County Bowl, wo wir am 23. Juli spielten, mit einer sonnengebadeten, entspannten Menge gefüllt. Ich wusste es damals nicht, aber das Konzert war ausverkauft und wurde komplett auf Video aufgenommen. Die Bowl ist ein hoch am Hang gelegenes Freiluftkonzertgelände, das einen herrlichen Blick auf den tiefblauen Pazifik bietet. Über dem Publikum hing eine mächtige Wolke von Sinsemilla-Rauch, und überall flatterten vielfarbige Fahnen und Transparente in der leichten Brise. Bob wurde mit einem unglaublichen Brüllen begrüßt, als er auf die Bühne kam und das Konzert wie üblich mit »JAH RASTAFARI« eröffnete. Dann stürzte sich die Band in ein brandheißes Set, das meiner Erinnerung nach ewig dauerte.

Als Bob nach der letzten Zugabe die Bühne verließ und mir seine Gitarre gab, konnte ich sehen, dass er das Konzert wirklich genossen hatte. Auf der richtigen Bühne und mit dem richtigen Sound spielte die Band so gut und intensiv, dass mir Schauer den Rücken rauf- und runterrannen. Das Konzert in Santa Barbara hatte diese Magie. Wir fingen damals an, für Fams Bass einen Zusatzlautsprecher zu installieren, und schon er alleine prägte das Konzert mit seinem Sound. Nach Santa Barbara ging es ganz runter nach San Diego, wo wir im State Amphitheater spielten, und schließlich wieder zurück nach LA zu einem Konzert im berühmten Roxy Theatre am Sunset Boulevard. Für mich war es die Rückkehr in die Heimat. Ich war im San Fernando Valley aufgewachsen und hatte mit siebzehn angefangen, bei Konzerten in Hollywood zu arbeiten.

Das Roxy ist ein kleiner, intimer Veranstaltungsort, und Dennis und ich mussten ein bisschen improvisieren, um alle Musiker und die Anlage auf die kleine Bühne zu kriegen. Wir zogen und schoben, stapelten und stellten eng, aber schließlich hatten wir alles bereit. Meiner Erinnerung nach stand der Verstärker von Al in einer Tür neben der Bühne, aber wer weiß … An diesem Abend kam die Crème de la Crème der Musikindustrie, um sich Bob Marley and the Wailers anzusehen, und sie wurde nicht enttäuscht. Das Set war absolut phantastisch, und ein Großteil des Publikums wirkte wie hypnotisiert von Bobs Ausstrahlung. Er verlieh jedem Raum eine besondere Atmosphäre. Wir spürten immer, wenn er kam, wenn wir irgendwo arbeiteten, weil sich dann buchstäblich die Atmosphäre veränderte. Nach einem Wahnsinnskonzert, in dem die Band alles gegeben hatte, verließen die Musiker die Bühne, doch das Publikum schrie immer noch nach mehr. Also kamen sie wieder und spielten meiner Erinnerung nach, bis der Club schließen musste.

Dennis und ich blieben nach jedem Konzert noch da und sorgten dafür, dass die ganze Ausrüstung zusammengepackt wurde. Erst dann gingen wir zu den anderen ins Hotel und duschten. Es ist wunderbar, morgens im Sunset Marquee in Hollywood aufzuwachen, und ich hätte gerne noch länger dort gewohnt, aber wir mussten unseren Flug nach Austin in Texas erwischen. Für diese Zeit ist meine Erinnerung leider nicht besonders klar. Ich dachte eigentlich, wir wären von Kalifornien nach Arizona gefahren, aber jetzt weiß ich, dass es nach Austin ging. Bei solchen Tourneen, wo man jeden Tag an einem anderen Ort aufwacht, ist es schwer, die Orientierung zu behalten. Dennis und ich brachten jedenfalls die ganze Ausrüstung zum Flughafen, beaufsichtigten ihre Verladung und flogen dann zusammen mit den anderen nach Texas.

Wir hatten damals eine Menge gemietetes Equipment zu betreuen. Ein echtes Monster, mit dem wir uns abschleppten, war die Hammond-B3 mit Leslie-Box, die Earl (Wya) Lindo spielte. Wya war meiner Ansicht nach das eigentliche musikalische Genie in der Gruppe – ein absolut sensationeller Keyboarder. Seine Hände sind riesig, und er pflegte die Tasten fast zu schlagen. Außerdem war er ein ausgezeichneter Songschreiber, was die meisten Leute heute nicht wissen. Angeblich hat er »Redemption Song« mitverfasst, was ich mir gut vorstellen kann. Manchmal spielte Wya so schnell, dass seine Hände über den Tasten ganz verschwommen wirkten, so schnell sausten sie hin und her. Eine B3 ist ein wirklich riesiges Instrument; in ihrem Transportbehälter war sie so groß wie ein kleiner Ford. Dennis und ich standen unten am Flugzeug, als die Gepäckarbeiter den Behälter aus dem Gepäckbereich auf einen Lader am Flugzeug rollten. Als der Lader am Flugzeug rangierte, sah ich den Behälter wie in Zeitlupe über den Rand der Ladefläche rollen. Gleich darauf krachte er mitsamt seinem kostbaren Inhalt auf die Rollbahn. Danach sah er aus wie eine Ziehharmonika, und ich bin mir sicher, dass Kenny Berry bei S. I. R. alles andere als erfreut war, als er die Nachricht bekam. Ich hab nie gehört, was weiter geschah, aber American Airlines musste bestimmt eine Menge Geld für das kostbare Instrument berappen. Wir spielten noch in Houston, New York und Atlanta und beendeten die Tournee am 5. August 1978 im Jai Lai Fronton in Miami.

Die Zeit zwischen dem Ende der Tournee und dem Beginn der Survival Tour Anfang 1979 ist in meiner Erinnerung ein bisschen verschwommen. Wir experimentierten damals alle mit diversen Substanzen, deshalb ist mein Gedächtnis etwas getrübt. Zwischen den Tourneen war ich die meiste Zeit in London oder LA. Kurz vor Beginn der Survival Tour hielt ich mich zum ersten Mal in Jamaika auf, wenn ich mich recht erinnere. Bob hatte mir einen Raum in einem Gästehaus in der Nähe seines Hauses in der Hope Road 56 in Kingston besorgt, und ich ging zu Fuß dorthin, wenn ich ihn besuchte. Unterwegs kamen jedes Mal vier oder fünf Leute auf mich zu und fragten, ob sie vielleicht mein Hemd oder meine Schuhe haben könnten, oder sie sagten: »Schöne Ringe, Mann, warum gibst du sie nicht uns?« Das war echt unangenehm, besonders weil ich so etwas noch nie erlebt hatte. Abends wiederholte sich das Ganze, wenn ich auf dem Rückweg zu meiner Pension war, und am nächsten Morgen gab es wieder Ärger auf dem Weg zum Studio in Bob Marleys Haus.

Jetzt erzähle ich etwas, das ich noch nie erzählt habe: An meinem ersten Tag in Kingston klopfte es ziemlich spät in der Nacht an meine Tür. Ich erwachte aus meinem komaähnlichen Schlaf und öffnete. Vor mir stand eine jamaikanische Schönheit in einem knappen, hauchdünnen Negligé. Sie schob mich zurück in das Zimmer, und es dauerte nicht lange, bis sie mir die jamaikanische Art, Liebe zu machen, beibrachte. Dann verschwand sie wieder in der Nacht. Einen Augenblick dachte ich, ich hätte den Besuch nur geträumt, und dann dachte ich: »Vielleicht war es ein Begrüßungsgeschenk.«

Am folgenden Tag sah ich wohl ein bisschen sauer aus, als ich das Tuff Gong Studio betrat, jedenfalls fragte Gilly: »Was ist los, Mann?« Ich erzählte ihm von den ganzen Leuten, die mich auf der Straße anschnorren wollten, aber er lachte nur und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Gilly war ein muskelbepackter Riese, mit solchen Leuten streitet man sich besser nicht, also schickte ich innerlich ein Stoßgebet zum Himmel und ging meiner Wege. Bob hatte offenbar großen Einfluss auf alle Menschen, sogar auf die Leute auf der Straße. Außerdem hatte in jenem Jahr der kometenhafte Aufstieg der Wailers begonnen, und das war kaum einem Jamaikaner entgangen.

Am nächsten Tag sprach mich kein Mensch mehr an. Bob hatte die Parole ausgegeben, dass man mich in Ruhe lassen solle. Auf der Straße wusste man nun, dass ich für ihn arbeitete, und damit war ich geschützt.