Wunder sind weiblich

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Wunder sind weiblich
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Mark Jischinski

Wunder sind weiblich

und andere Weihnachtswahrheiten

Erzählungen

adakia Verlag

Für die weiblichen Wunder dieser Welt.

adakia Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnp.ddb.de abrufbar

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.

Gesamtherstellung: adakia Verlag, Gera

1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH

Dezember 2012

ISBN 9783941935129

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Wunder sind weiblich

Stille Nacht, Heilige Nacht

Die Weihnachtswahrheit

Wunder sind weiblich

Wenn wir uns nur die Zeit nähmen und lernten zu sehen, würden wir voller Dankbarkeit feststellen, dass diese Welt voller kleiner Wunder ist. Und dass die Summe all dieser Wunder ein unglaubliches, großes Kunstwerk ist, das wir Leben nennen. Nun haben wir es uns aber nett eingerichtet, unser Leben. Zugestellt mit allerlei wichtigen und nützlichen Dingen, die uns den Blick auf das Wesentliche versperren. Es bedarf also schon eines großen Wunders, um sie wieder sehen zu können und an sie zu glauben. Dies hier ist die Geschichte von einem und ich weiß gar nicht so genau, wo ich anfangen soll.

Da ist so viel Glück in mir und mein derzeitiges Wohlgefühl vernebelt mir die Sicht auf die Dinge, wie sie ganz am Anfang waren. Trotzdem will ich versuchen, Ihnen meine Geschichte zu erzählen. Ab dem Moment, ab dem sich mein Leben änderte. Das Leben all der Anderen natürlich auch, aber vor allem das meine. Vielleicht werden Sie mir all das nicht glauben. Aber seien Sie versichert, so hat es sich wirklich zugetragen.

Ich saß am Schreibtisch und sinnierte über einen Text. Eine einfache Pressemitteilung, nichts Besonderes. Ich war Werbetexter in einer kleinen Agentur. Dort arbeitete ich schon seit einigen Jahren mit meinen Mitstreitern. In unserer stillen Verzweiflung gingen wir immer wieder an unser Tagwerk und hofften, den Lottospielern gleich, auf den ganz großen Gewinn. Doch statt auf einem Regenbogen der Sonne entgegen zu tanzen, kämpften wir jeden Monat aufs Neue gegen die Widrigkeiten eines engen Marktes. Ich will aber nicht klagen. Es ging uns eigentlich gut, auch wenn uns in den Tagen, als alles begann, der Spätherbst fest im Griff hatte. Alles war nur kalt und grau, Nässe zog in alle Poren und die kurzen Phasen der Helligkeit sorgten für ein wahres Maulwurfsleben, bei dem man nie etwas Licht sah. Zumindest nicht in der knappen Freizeit.

Um meinen Lebenslauf nicht mit weiteren Abbrüchen gut klingender Studiengänge zu dekorieren, bewarb ich mich als Texter – und siehe da, man stellte mich ein. Nun werden Sie sich bei all meinen Vorbildungen berechtigt fragen, was ich in meiner Profession Bahnbrechendes zu Wege gebracht habe.

Nun, kennen Sie »Aus Freude am Fahren« oder »Geiz ist geil«? Richtig gut, oder? Auch revolutionär, auf den Punkt genau und stilbildend. Sind aber beide nicht von mir. Auch für »Streben nach Vollendung« habe ich nichts beigetragen, auch wenn dieser Slogan meinem propagierten Stil im eigentlichen Sinne sehr nahe kommt. Dafür habe ich im letzten Jahr eine lokal vielfach gelobte Pressemitteilung über den Landesausscheid der Taubenzüchtervereine verfasst. Nicht zu vergessen die werbewirksame Kampagne für unseren Reifenhändler Karl Mothes, der nun mit »Mein Gummi macht Sie sicher!« deutliche Umsatzsteigerungen verzeichnet.

Ich kann also auf eine überaus erfolgreiche, kreative und fachlich kaum steigerbare Karriere zurückblicken. Die Aufgabe, die an jenem Tag vor mir lag, war auch langsam im Werden und Wachsen. Wenn Frau Lindig vom Tierfriedhof meinen herzzerreißenden Text zum einjährigen Firmenjubiläum erblickte, dann würde sie eine dicke Krokodilsträne verdrücken, ganz sicher.

Mitten in meine Überlegungen, wie ich das Leid einer sterbenden Katze möglichst episch mit den Vorteilen eines Eichenmaßsarges für Kleintiere verknüpfen könnte, vernahm ich das Läuten des Telefons.

»Trendsetter, Kreative Werbung, Fabula, guten Tag!«, meldete ich mich vorschriftsmäßig.

»Guten Tag!«, begrüßte mich eine tiefe Männerstimme. »Ich habe ein größeres Problem mit meiner derzeitigen Außendarstellung und bräuchte Ihre Hilfe.«

»Da sind Sie doch genau richtig bei uns. Was stellen Sie sich denn vor? Die gesamte Außendarstellung des Unternehmens, also einschließlich Überarbeitung von Corporate Design und Corporate Identity oder nur einen Teilbereich?« Ich flötete die Anglizismen heraus, als ob ich tatsächlich verstünde, was ich da sagte.

»Ja genau. Am besten alles. Ich muss mich einfach völlig neu präsentieren und positionieren.«

»Gut. Kann ich Ihnen dann noch ein paar Fragen zu Ihrer Firma stellen?«

»Ja natürlich. Was wollen Sie denn so wissen?«

»Nun. Wie lange sind Sie denn schon am Markt tätig und in welchem Bereich arbeiten Sie?«

»Och, wie lange?«

Er überlegte ein Stück und meldete sich mit seiner unglaublichen Stimme zurück:

»Ich würde sagen eine Ewigkeit. Und der Bereich ist wohl nach heutigem Verständnis die Unterhaltungsindustrie.«

»Ah ja. Und arbeiten Sie allein oder mit Angestellten?«

»Angestellte habe ich natürlich. Insgesamt sind es sechs. Und in der Saison auch noch ein paar Pauschalkräfte.«

Ich notierte alles auf unserem Formblatt und erinnerte mich auch an ein paar kleine Details, die ich immer mit erfragen sollte, falls ein neuer Kunde anrief.

»Gut. Gibt es auch einen Fuhrpark, auf dem Werbung angebracht werden müsste?«

»Ja, einen kleinen. Ich habe nur ein Fahrzeug.«

Alle übrigen Punkte auf meinem kleinen Formular hielt ich für reichlich überflüssig und zur Not auch im persönlichen Gespräch klärbar. Deshalb war mir daran gelegen, das Telefonat schnellstmöglich zu beenden, um mich wieder mit Frau Lindigs Katzen und deren sachgerechter letzter Zuneigungsbezeugung beschäftigen zu können.

»Wollen wir uns nicht am nächsten Montag zum Briefing in unserer Agentur gemeinsam mit meinen Kollegen treffen und alles Weitere besprechen?«, hörte ich mich engelsgleich in den Hörer säuseln.

»Gern. Ich wäre dann um zehn Uhr bei Ihnen«, brummte es am anderen Ende der Leitung, bevor er auflegte.

Ich notierte mir den Termin und widmete mich weiter meiner Arbeit. Es dauerte nur wenige Stunden. Die Sonne war längst untergegangen und die sterile Bürobeleuchtung wurde auf meinem Bildschirm in ihrer scheußlichsten Art und Weise reflektiert. Alle normalen Gehaltsempfänger, Familienväter und Kneipengänger waren längst zu Hause und bereiteten sich auf ihre abendlichen Verpflichtungen vor. Als Texter wartete man auf die Muse immer ohne festen Termin. Mal kam sie und mal ließ sie verdammt lange auf sich warten. Schließlich speicherte ich einen Text, für den ich ohne Zweifel den Pulitzer-Preis verdient hätte. Das artgerechte und würdevolle Beisetzen von Schoßhündchen und Perserkatzen einschließlich liebevoller Fürsorge um die Hinterbliebenen würde die Jury überzeugen.

Auf dem Nachhauseweg zu meiner Wohnung wurde mir wie fast jeden Tag bewusst, dass mich dort nur Einsamkeit und Langeweile erwarteten. Sicher, ich konnte ein Buch lesen, die Wohnung putzen, was sie bitter nötig hatte. Ich konnte in eine Kneipe gehen und mich volllaufen lassen. Es gab reichlich Möglichkeiten, mein kurzes Leben nach der Arbeit noch weiter zu verkürzen. Die eigentliche Erleuchtung hätte mein armes Leben auch durch eine Frau erfahren können. Ich hätte mich schon längst auf die Suche nach einer solchen begeben und sie dann mit meinem Dasein in all seinen Facetten beglücken können. Doch genau in diesem Punkt lag mein eigentliches Problem.

Ich wollte keine Frau. Ich hatte mit diesem Thema vorläufig abgeschlossen. Nicht begraben und vergessen, aber auf jeden Fall auf lange Sicht hin aufgeschoben. Nach meiner letzten Trennung wurde mir klar, dass das Leben mit einer Frau zur falschen Zeit nicht nur zu anstrengend, sondern auch nicht erfüllend war. Wog ich alle Vorteile, die der Kontakt mit einem weiblichen Wesen mit sich brachte, gegen die Nachteile auf, so war allein das schon eine wenig lohnende Angelegenheit.

Zudem konnten meine rudimentären Erinnerungen an die BWL-Vorlesungen im Zusammenhang mit den philosophischen Äußerungen Sokrates’ und meinen eigenen Erfahrungen zu keiner anderen Schlussfolgerung als der Verweigerung aller möglichen Beziehungen zu Frauen führen.

Um es mit aller mir möglichen textlichen Raffinesse und der Tragweite der Aussage gerecht werdenden Poesie zu sagen: Frauen – später gern!

Im Geiste sah ich mich schon eine Kampagne für Gleichgesinnte entwerfen und überzeugte Frauenverweigerer Aufkleber an ihren Autos befestigen. Doch ich wusste, dass die Anhänger des von mir getauften »Fabula-Prinzips« dünn gesät waren. Genau genommen gab es wahrscheinlich nur einen. Dabei war es wirklich keine Feindschaft zum schöneren Geschlecht, kein Hass. Es ging nicht um die reine Ablehnung des Alltags oder die mögliche Angst vor irgendwelchen sexuellen Dingen. Ich fühlte mich noch nicht reif für die eine große Partnerschaft in meinem Leben. Und Lust auf ein paar Probiereinheiten Partnerschaft hatte ich nicht mehr. Ich wollte eine Zeit der Entwicklung und Vervollkommnung meiner Person.

 

Schließlich hatte ich auch den Anspruch an die perfekte Frau. Warum sollte ich dieser dann nur halb fertig gegenübertreten? Würde sie mich denn überhaupt nehmen? Und wenn sie dann doch das Potential in mir erkannte, wäre ich nicht nur ein Projekt, das langfristig gesehen zum selben Ergebnis mit viel zu vielen Entbehrungen und Rückschlägen führen würde? Es war also nicht so, als hätte man mir den Blinddarm Frau entfernt. Die fleischliche Gier, die meine richtigen rationellen Erwägungen mitunter überlagern konnte, hatte ich einfach auf Eis gelegt. Sie musste auf die Richtige warten und sich dann mit aller Macht entladen. Ich war also voller Liebe, wollte sie aber ein für alle Mal in die richtige Richtung lenken.

Grundsätzlich war ich alt und reif genug. Kein kleiner Junge mehr, sondern ein erwachsener Mann, der den zu schwachen Verlockungen des Hordenlebens oder dem Reiz des Wettkampfs widerstehen konnte, ohne einen echten Verlust zu spüren.

Doch als ob die zumindest temporäre Ablehnung Normalen partnerschaftlichen Verhaltens nicht genug wäre, hatte ich ein weiteres, mich viel stärker belastendes Problem: Meine innere Uhr.

Oder besser: Meine innere biologische Uhr. Sie tickte unaufhörlich. Und immer lauter. Aber nicht wie sie einem Mann tickt, der im Strudel des Tagesgeschäfts in die Mittdreißiger rutscht, dabei in einem Meer von Arbeit zu ersaufen droht und dem durch konsequentes Erweitern der eigenen Schwimmringe und sonstigen Fettreserven versucht, entgegen zu wirken. Um dann, zehn Jahre später, festzustellen, dass die eigene Frau irgendwie komisch aussieht und redet und außerdem zwei junge Menschen im eigenen Haushalt indiskutable Verhaltensweisen an den Tag legen und in den seltenen ruhigen und vorrangig monetär geprägten Momenten sogar die Anrede »Lieber Papa« verwenden. Ganz und gar nicht in dieser Richtung. Meine innere biologische Uhr war im Gegensatz zu meiner grundsätzlich antipartnerschaftlichen Haltung vollumfänglich auf Frau geeicht. Um es auf den Punkt zu bringen:

Ich wollte ein Kind!

Eine Vaterschaft!

Und beides sofort und unbedingt. Ich hielt auf meinem Heimweg inmitten meiner Überlegungen inne. Ich folgte den Dingen wieder bis auf ihren Grund. Und einmal mehr sah ich mein Dilemma ein. Ich wollte wirklich keine Frau und keine Familie mit einer Frau. Zumindest für den Moment. Ich wollte einfach nur ein Kind. Das mag an sich ungewöhnlich klingen, doch so strömte es aus jeder Faser meines Körpers. Meine ganze Persönlichkeit verlangte nach meiner endgültigen Menschwerdung, nach dem Erwachsensein durch eine Vaterschaft und der höchsten Reifung. Doch trotz aller medizinischen und technologischen Fortschritte war die Erfüllung meines Wunsches faktisch unmöglich.

Während meiner Überlegungen und im Angesicht der Aussichtslosigkeit einer Vaterschaft merkte ich gar nicht, wie die Zeit verstrich und ich schon vor meiner Wohnung stand. Ich schloss die Tür auf und schleppte mich zu meiner Couch, auf der ich auch an diesem Abend irgendwann eingenickt bin.

Wahrscheinlich träumte ich wieder von diesen widersinnigen Geburtenraten pro Ehefrau und hätte mich, wenn ich nicht im Traume gewesen wäre, darüber aufgeregt, warum noch nie über die Kinderrate pro Mann gesprochen wurde. Stattdessen war vom Zeugungsstreit die Rede. Von wegen! Ich hätte doch gezeugt! Aber eben nur mit mir! Denn konnten wir Männer nicht dasselbe Recht haben und auch unsere Ansprüche derart gestiegen sein, dass eine geeignete Mutter nicht in Sicht war? Dass wir aber trotzdem tadellose Väter wären? Oder, wie in meinem Fall, dass ich die Selbstreflexion hatte und mich als unzureichend ausgebildet für eine erwachsene Partnerschaft ansah und mich selbst reifen lassen wollte wie einen guten Wein? Ich würde mit jedem Jahr besser werden und als Vater noch viel mehr.

Mit diesen Ungerechtigkeiten in meinem Kopf erwachte ich am nächsten Morgen und es begann ein Tag wie jeder seiner Vorgänger auch. Wenn ich einst auf meinem Weg zur Arbeit an einem Kindergarten vorbeiging, begann ich zu zittern und beim Anblick von schaukelnden Kindern bekam ich feuchte Augen. Um meinem Leiden zu entgehen, hatte ich schon lange meinen täglichen Arbeitsweg geändert. Doch wenn ich trotzdem einmal glückliche Eltern mit ihren Sprösslingen auf Spielplätzen sah, dann überkam mich eine noch nie gefühlte Wut. Ja, ich beneidete sie um ihre Kinder!

Doch, im Lichte des neuen Tages betrachtet, welche Möglichkeiten hatte ich denn als Mann? Sollte ich das einmal unter meinen Kumpels ansprechen? Dann könnte ich ihnen auch sagen, dass ich mir ein Meerschweinchen zulegen wollte oder einen Pinscher. Mit Verständnis unter meinen Geschlechtsgenossen konnte ich nicht rechnen und zum Gespött wollte ich auch nicht werden. Natürlich hatte ich schon darüber nachgedacht, dass es ihnen genauso wie mir gehen könnte, denn schließlich konnte es doch unmöglich sein, dass sie nur als willige Vollstrecker für den Kinderwunsch ihrer Partnerinnen herhielten. Andererseits sprachen sie immer so abfällig über diesen Teil ihrer Lebensplanung. Oder besser den ihrer Frauen.

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