Buch lesen: «Elton John»

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Danksagungen

Der Autor bedankt sich bei den folgenden Personen, ohne deren Hilfe es dieses Buch nicht geben würde:

Catherine Bailey, Bob und Mary Bego, Linda Bego, Cindy Birdsong, Angela Bowie, Gary Brooker, Richie Cannata, Carlene Carter, Sarah Dash, Brad DeMeulenaere, Liberty DiVitto, Micky Dolenz, Abdul ,Duke‘ Fakir, Lamar Fike, Duncan Faure, Chris Gilman, Jimmy Greenspoon, Harry Haun, Bobby Hedglin, Danny Hutton, Randy Jones, Tony King, Marcy MacDonald, George Masek, Scott ­Mendel, Charles Moniz, Mark Olsen, May Pang, Tony Panico, Kenneth ­Reynolds, Jeremy Robson, RuPaul, David Salidor, Andy Skurow, Mark Sokoloff, David Stanley, Marsha Stern, Derek Storm, Henrietta Tiefenthaler, Crystal Waters, Harry Weinger, Beth Wernick, Mary Wilson, Bill Wyman.

Impressum

Der Autor: Mark Bego

Deutsche Erstausgabe 2009

Der Verlag: Hannibal – ein Imprint der KOCH International GmbH

A-6020 Innsbruck, www.hannibal-verlag.de

Titel der Originalausgabe:

„The Elton John Story“ von JR Books, London, ISBN: 978-1-906779-21-4

Umschlaggestaltung: bürosüd˚, München

Coverfoto: Corbis

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com, Innsbruck

Fotos aus dem Innenteil: Retna

Übersetzung: Kirsten Borchardt (Einleitung und Kapitel 1–10), Thomas Pfeiffer (Kapitel 11–13) und Violeta Georgieva Vasileva Topalova (Kapitel 14–16 und Anhang)

Lektorat: Hollow Skai

ISBN 978-3-85445-391-8

Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-85445-298-0

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Copyright © 2009 by Hannibal

Inhalt

Vorwort

Einleitung – Sir Elton John

Kapitel 1 – Reg Dwight aus Watford

Kapitel 2 – Crocodile Rock

Kapitel 3 – Bluesology

Kapitel 4 – Der Songwriter

Kapitel 5 – Your Song

Kapitel 6 – Madman Across the Water

Kapitel 7 – Rocket Man

Kapitel 8 – Höhenflug auf der Yellow Brick Road

Kapitel 9 – The Bitch is Back

Kapitel 10 – Captain Fantastic und der Pinball Wizard

Kapitel 11 – Sorry Seems to be the Hardest Word

Kapitel 12 – A Single Man

Kapitel 13 – I’m Still Standing

Kapitel 14 – I Fall Apart

Kapitel 15 – Like Candles in the Wind

Kapitel 16 – The Red Piano

Epilog

Quellenangaben und Zitatnachweise

Bibliografie

Diskografie

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Vorwort

Wir schreiben den 28. Februar 2016. Es ist der Tag, an dem die Academy Awards verliehen werden – wohl der wichtigste Tag des Jahres in Hollywood. Im nahegelegenen West Hollywood gilt die 24. Ausgabe der jährlich stattfindenden Elton John AIDS Foundation Academy Awards Viewing Party als Pflichttermin.

Elton erscheint mit seinem Ehemann David Furnish, der in seiner schwarz-silbernen und schwungvoll bestickten Jacke überaus attraktiv wirkt. Die Gästeliste stellt einen Querschnitt der Hautevolee des Showgeschäfts dar: Mariah Carey, Boy George, Dave Grohl, Caitlyn Jenner, Kelly Rowland, Dave Navarro, Heidi Klum, Mary J. Blige, Hilary Swank, Brandy, Andie MacDowell sowie Verdine White und Phillip Bailey von Earth, Wind and Fire. Alle sind schick herausgeputzt und die Stimmung in der Cocktail-Lounge ist schon vor Beginn der Show nahezu elektrisch.

Meine glamouröse Begleitung an diesem Abend ist niemand Geringeres als die umwerfende Mary Wilson von den Supremes. Sie und Sir Elton sind schon seit Jahrzehnten befreundet. Elton ist ein bekennender Motown-Fan und steuerte einst sogar Liner-Notes zu einem Album von Mary und ihren Supremes bei. Mary sieht jedenfalls hinreißend aus in ihrer schwarz und silbern karierten, mit Pailletten besetzten Kombination aus Bustier und Abendkleid sowie einer strahlend blauen Perlenkette.

„Sehen wir mal nach, wo unser Tisch ist“, sagt Mary zu mir, nachdem wir unsere Champagner-Flöten entgegengenommen haben und uns in Richtung des Speisesaals begeben. Als die Türen geöffnet werden, gehören wir zu den Ersten, die ins innere Heiligtum vordringen. Förmlich gekleidetes Personal geht von Tisch zu Tisch und rückt noch einmal alles gerade.

Auf den Tischen befinden sich ausführlich gestaltete Programme, ausgedruckte Beschreibungen des abendlichen Dinners sowie signierte Exemplare von Eltons neuester CD Wonderful Crazy Night. Das Essen, das uns heute Abend kredenzt wird, ist ein fünf-gängiger Traum, den der Promi-Koch Gordon Ramsey ersonnen hat.

Bis jetzt hat erst ein Prominenter den Raum betreten und sich an einen riesigen runden Esstisch niedergelassen. Es ist der Gastgeber selbst in all seiner Pracht. Ihn umgeben drei Leibwächter sowie sein persönlicher Fotograf. Elton sieht umwerfend aus in seinem metallisch anmutenden dunkelblauen Hemd. Darüber trägt er einen dunkelblauen Anzug und sein Revers ziert eine riesige, mit einem Diamanten und einem Saphir versehene Anstecknadel. Da Elton und Mary die ersten prominenten Sangeskünstler im Raum sind, fragt James Patrick Herman vom Magazin Billboard Miss Wilson neckisch: „Und wer ist nun die größte Diva im Raum?“ Sie lacht und antwortet schlagfertig: „Was die Größe betrifft? Na, Elton! Ich bestimmt nicht!“

Wir entdecken unseren Tisch in der Mitte des Saals – und direkt am Nebentisch sitzt der Gastgeber. Elton John beobachtet uns, während wir uns nähern. Er springt auf und ruft mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Mary!“

Sie stellt mich Elton vor und während ich seine Hand schüttele, weist er seinen Fotografen Michael Kovac an: „Wir brauchen ein Foto!“

Wir drei legen unsere Arme umeinander und stellen unser bestes Hollywood-Lächeln zur Schau. Wir befinden uns nun nicht länger in West Hollywood. Mary und ich sind nun vielmehr an jenem magischen Ort angelangt, zu dem einen die Yellow Brick Road führt: Willkommen in Elton-Land.


ORT: Monte Carlo Sporting Club, Monaco

ZEIT: 1. August 2008

MARK BEGO, Autor: „Wie sieht es aus, Bill, ist dir schon ein schönes Zitat für mein Buch über Elton John eingefallen?“

BILL WYMAN, ehemaliger Rolling Stone: „Du meinst Reg Dwight aus Watford?“

GARY BROOKER, Leadsänger von Procol Harum: „Du meinst Sharon?“

Elton John stellt für jeden etwas anderes dar. Für Rockfans ist er der Schöpfer des Albumklassikers Goodbye Yellow Brick Road. Für die englischen Rockmusiker, die ihn seit Anfang der 1960er-Jahre kennen, ist er immer noch der pummelige Reg Dwight aus Watford bei London. Für Filmfreunde ist er der ausgeflippte Pinball Wizard, der mit der Rockoper Tommy berühmt wurde. Für britische Bürger und die königliche Familie ist er inzwischen „Sir“ Elton John. Und für all jene engen Freunde, die schon immer wussten, dass er schwul oder bisexuell ist, geht er immer noch unter der liebevollen Bezeichnung „Sharon“ durch. Doch wie es auch immer sein mag, Elton zählt zu den langlebigsten Stars der Rockgeschichte und hat sich immer wieder selbst neu erfunden. Seine Musik hat ihn zum internationalen Superstar gemacht. Sein schillerndes und oft skandalträchtiges Leben machte ihn zur Showbiz-Legende.

So verrückt und ungewöhnlich seine Karriere, seine Sexualität und sein Image auch sein mögen, es ist seine Musik, mit der er sich in der Welt einen Namen gemacht und den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat. Das Gesamtwerk an Rock- und Popsongs, die Elton John erschuf, umfasst eine unglaubliche Liste millionenfach verkaufter Singles und Hitalben aus fünf Jahrzehnten. „Crocodile Rock“, „Your Song“, „Daniel“, „Island Girl“, „Bennie & The Jets“, „Goodbye Yellow Brick Road“, „Don’t Let The Sun Go Down On Me“, „The Bitch Is Back“ und „I Guess That’s Why They Call It The Blues“ – sie alle sind Teil eines unglaublich vielseitigen musikalischen Katalogs, auf den der Sänger und Pianist inzwischen zurückblicken kann.

Elton John hat weltweit über 200 Millionen Platten und CDs verkauft, er hat den Aufstieg und Fall von Disco, New Wave und Synthirock überstanden und genug kurzlebige Chartstürmer überlebt, um ein Fußballstadion mit ihnen zu füllen; dennoch ist er selbst nie aus der Mode gekommen. Zwar landet er inzwischen nicht mehr mit derselben Regelmäßigkeit große Hits und veröffentlicht auch nicht mehr so viel Material wie früher, aber zuletzt stellte er 2007 unter Beweis, dass seine Alben es immer noch bis in die Top Ten schaffen – auf beiden Seiten des Atlantiks. Niemand kann auf eine solche musikalische Karriere zurückblicken wie der selbsternannte „Captain Fantastic“. Er hat ein ganzes Panoptikum verschiedener Persönlichkeiten geschaffen, um die unterschiedlichsten Stimmungen auszuleben, und dazu die passenden Pseudonyme erfunden – männliche wie weibliche. Aber wenn im englischsprachigen Raum der Ausdruck „The Bitch Is Back“ fällt – „Die Zicke ist zurück“, dann weiß jeder, dass von Elton John die Rede ist.

Elton hielt nie damit hinter dem Berg, was gerade in seinem Kopf vorging – ganz gleich, wie kontrovers seine Gedanken auch sein mochten. Zwar verlässt er sich bei den Texten seiner Songs hauptsächlich auf Kollegen wie Bernie Taupin, Tim Rice und Gary Osbourne, dennoch handeln sie meist von Dingen, die ihm selbst am Herzen liegen. Zu seinen besonders persönlichen und leidenschaftlichen Songs zählen zweifelsohne „Someone Saved My Life Tonight“ (über seinen Selbstmordversuch), „Empty Garden“ (über den Tod von John Lennon), „American Triangle“ (über den Mord an Matthew Sheppard) und „The Last Song“ (über einen Mann, der an Aids stirbt). Mit „Ego“ spielte er einen Titel ein, in dem es um sein eigenes selbstsüchtiges Verhalten ging, mit „I’m Still Standing“ schrieb er eine Ode an das eigene Durchhaltevermögen, und mit „Big Dipper“ gab es sogar eine derbe Ballade über schwulen Achterbahnsex mit einem Seemann auf einem Jahrmarkt.

Zahllose Bücher und Artikel wurden bereits über den Mann verfasst, der sich offiziell den Namen „Elton Hercules John“ verlieh. Er hatte Affären, Wutausbrüche, Skandale, Depressionen, eine sexuelle Identitätskrise, Alkoholprobleme, Bulimie, sogar einige aberwitzige Selbstmordversuche, die alle reichlich Stoff für die Boulevardpresse boten. Die Zeitungen schrieben reißerische Berichte über Strichjungen, Berge von Kokain und angebliche Sexorgien. Er ist zudem wohl der einzige Superstar der Rockwelt, der sowohl mit einer Frau als auch mit einem Mann verheiratet war. Jemanden wie ihn gibt es schlicht kein zweites Mal.

In einem Markt, der mit schöner Regelmäßigkeit Pop-Idole zum Wegwerfen hervorbringt, ist es Elton nicht nur gelungen, seine weltweite Popularität als Rock-Ikone zu verteidigen, sondern in einer außergewöhnlichen Entwicklung auch in andere Kreativbereiche vorzustoßen: Er schrieb Erfolgsmusicals für den Broadway und das West End, komponierte Soundtracks und verschaffte sich eine ganz neue Generation von Fans, als er in Las Vegas die Aufsehen erregende, schrille Show The Red Piano vorstellte.

In den letzten vierzig Jahren sind zahlreiche Biografien in Wort und Bild über ihn erschienen, aber nur wenige konnten die Skandale und Widersprüche seines Privatlebens mit seiner Karriere als überragend kreativer Songwriter und Sänger vereinen. Oft näherte man sich nur mit Samthandschuhen der Darstellung seines Lebens und zeichnete ihn beinahe als einen eleganten, geschmackvollen George Gershwin des 21. Jahrhunderts. In Wahrheit gleicht das Leben von Sir Elton jedoch mehr dem eines modernen Oscar Wilde. Er ist wild, versoffen, derb und unkonventionell.

Eltons skandalumwittertes Leben voller Rock’n’Roll-Exzesse bleibt bunt und faszinierend. Seine stilistische Bandbreite, seine ausgefallene Bühnenshow und die ausgeflippten Kostüme machen aus ihm eine schillernde Kombination aus John Lennon, Noel Coward, Billy Joel und Barry Manilow. Er ist wild, glamourös, versoffen, derb und unkonventionell. Die Selbstzweifel, die Drogen, die Perücken, die Affären und die Skandale – es gibt keinen zweiten wie Elton John.

Und dies ist seine Geschichte.



Reginald Kenneth Dwight wurde am 25. März 1947 in Pinner, einem kleinen Ort nordwestlich von London, geboren. Seine Mutter hieß Sheila und war eine geborene Harris, sein Vater Stanley war bei der Royal Air Force, sowohl während des Zweiten Weltkriegs als auch danach. Die beiden hatten im Januar 1945 geheiratet und lebten seitdem in Pinner.

Das Paar hatte wenig Geld und war daher froh, bei Sheilas Eltern, Fred und Ivy Harris, einziehen zu können, die eine kleine Doppelhaushälfte in der Pinner Hill Road 55 bewohnten. Nachdem der kleine Reggie geboren war, lebten alle fünf unter einem Dach.

Elton berichtet über die einfachen Verhältnisse, in denen er aufwuchs: „Ich kam in Nord-London in einem Haus zur Welt, das von der Gemeinde gestellt wurde. Ich wohnte im Haus meiner Großmutter.“(1) Es war in der Tat ein bescheidenes Umfeld für den Jungen, der später einmal zu den reichsten Männern im Showgeschäft zählen sollte.

Das Leben im England der Nachkriegszeit war von vielen Entbehrungen gezeichnet. Nahrungsmittel und viele andere Gebrauchsgüter waren rationalisiert. Der junge Reggie wuchs in einem typischen Vorort auf. Er war ein Einzelkind und wurde dementsprechend von seinen Eltern ein wenig verhätschelt. Sheila hatte insgeheim auf ein Mädchen gehofft, bevor Reginald zur Welt kam, und sie weigerte sich lange, die blonden Locken ihres Sohnes abschneiden zu lassen, der auf den ersten Babyfotos tatsächlich ein wenig mädchenhaft wirkte.

In dem Jahr, in dem Reggie geboren wurde, erhielt Stanley seine Beförderung zum Hauptmann der Luftwaffe, und seine neue Stellung führte dazu, dass er sehr häufig von Frau und Kind getrennt war. Während der ersten vier Lebensjahre seines Sohnes war er im Irak stationiert, und Sheila erzog Reginald mit ausgesprochen weiblicher Hand. Sie behütete ihn sehr; er durfte weder mit anderen Kindern spielen noch seine Kleider dreckig machen. Stattdessen wurde er allein in den kleinen Garten hinter dem Haus geschickt, wo Sheila darauf achten konnte, dass er nicht irgendwelchen Unsinn machte, den Jungen seines Alters gern anstellen.

Schon früh wurde er von seiner Mutter, seiner Großmutter und seiner Tante dazu ermutigt, Klavier zu spielen. Elton erinnerte sich später: „Mein Vater war die meiste Zeit mit der Royal Air Force unterwegs, und ich wuchs in recht bescheidenen Verhältnissen bei meiner Mutter, Großmutter und Tante auf. In unserem Haus gab es immer viel Musik. Meine Tante Win spielte Klavier, und man hat mir erzählt, dass mich meine Oma und meine Tante oft auf den Schoß nahmen, damit ich an die Tasten herankommen konnte und dann selbst anfing zu spielen. Bei uns lief den ganzen Tag das Radio, und meine Mutter sammelte Schallplatten. Daher lernte ich schon früh die Musik von Nat ‚King‘ Cole, Kay Starr, Dean Martin, Rosemary Clooney und so weiter kennen. Es war ein ziemlich gutes Umfeld.“(2)

Seine Liebe und Begeisterung für die Musik begannen schon früh, sobald er alt genug war, um sich für Platten zu interessieren. Er berichtete: „Meine Mutter und mein Vater sammelten beide Schallplatten, und die ersten Songs, die ich hörte, waren von Kay Starr, Billy May, Tennessee Ernie Ford, Les Paul & Mary Ford und Guy Mitchell. Ich wuchs mit dieser Musik auf. Als ich diese Platten hörte, war ich drei oder vier, und offensichtlich hat mich Musik schon damals interessiert.“(3)

Als Reginald drei Jahre alt war, hörten seine Eltern eines Tages, wie er die Klaviertasten drückte, und sie erkannten, dass er klar und deutlich „The Skater’s Waltz“ spielte – ein Stück des französischen Komponisten Emile Waldteufel aus dem späten 19. Jahrhundert, das der Junge irgendwo einmal gehört hatte. Sheila erkannte sofort, dass ihr kleiner Sohn ein gutes Ohr hatte und die musikalische Begabung besaß, Lieder nachzuklimpern, die man ihm auf dem familieneigenen Klavier vorgespielt hatte.

Seit diesem Augenblick betrachtete man Reggie als das musikalische Wunderkind in der Familie, aus dem noch einmal Großes werden würde. Seine Mutter behandelte ihn stets als etwas Besonderes, und sie brachte ihren Sohn gern dazu, sein Talent vor Freunden und Verwandten unter Beweis zu stellen. Oft, wenn sie abends Gäste hatte, schickte sie Reggie am Nachmittag für ein ausgedehntes Schläfchen ins Bett. Dann weckte sie ihn, wenn die Party in vollem Gange war, sodass der Junge die Gesellschaft mit seinen Tastenkunststückchen unterhalten konnte. Die meisten Vierjährigen wären sicher schüchtern oder verlegen gewesen, hätte man sie derart vor Publikum gestellt, nicht jedoch Reginald Dwight. Er war nicht nur wenig zurückhaltend oder befangen, er war richtiggehend selbstbewusst.

Zunächst gefiel es Stanley, dass sein Sohn ein so großes Interesse an der Musik zeigte. Elton erzählte später über seinen Vater: „Er war Trompeter in einer Band. Natürlich hat er mich beeinflusst. Er hat mir Platten von George Shearing vorgespielt. Ein Vierjähriger, der George Shearing hört, das ist schon ein bisschen daneben.“(4)

Mit fünf Jahren bekam Reggie seine erste offizielle Klavierstunde: „Ich spielte zunächst nach Gehör, und irgendwann – ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war – beschlossen meine Eltern, dass ich Unterricht bekommen sollte. Ich ging zu einer gewissen Mrs. Jones, die wie meine Familie auch in Pinner wohnte.“(5)

Es dauerte nicht lange, und er hatte verinnerlicht, was ihm Mrs. Jones am Klavier beibringen konnte. Dabei stellte er fest, dass sein natürliches Talent durch ihre Anweisungen nur noch stärker hervor trat. Als er, inzwischen sechsjährig, gefragt wurde, was er später einmal werden wollte, antwortete er wie aus der Pistole geschossen, ihm sei es vorherbestimmt, Konzertpianist zu werden.

Es gibt ein Foto des kleinen Reginald aus dieser Zeit, das im Booklet seines 1973 erschienenen Albums Don’t Shoot Me I’m Only The Piano Player abgebildet ist. Man hat ihn auf die Bank vor dem Klavier seiner Eltern gesetzt. Seine Hände liegen auf den Tasten, und er blickt über seine linke Schulter, den Kopf schmeichelnd der Kamera zugewandt. Schon am selbstbewussten und engelhaften Gesichtsausdruck kann man es ablesen: Er weiß, dass er einmal ein großer Starpianist werden wird.

Mit sechs Jahren wurde eine weitere Leidenschaft im kleinen Reggie geweckt, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Sein Vater nahm ihn mit zu einem Spiel des örtlichen Fußballvereins FC Watford. Der Junge entwickelte nicht nur eine große Begeisterung für den Sport an sich, sondern auch für das Team.

1953 wurde Stanley erneut befördert und hatte nun den militärischen Rang eines Geschwaderführers inne. Nun endlich konnte er mit Frau und Kind ein hübsches eigenes Haus mit vier Zimmern beziehen. Es befand sich in der Potter Street 111 in Northwood, nur drei Kilometer von Pinner entfernt.

Elton klagte in der Öffentlichkeit oft darüber, dass er in seiner Jugend seinen Vater oft als kalt und lieblos erlebt habe. Vielleicht lag es daran, dass Sheila eine derart warmherzige und liebevolle Person war, dass Stanleys Bemühungen, väterliche Zuneigung zu zeigen, gar nicht wahrgenommen wurden. Zumindest jammerte Elton später über seine angespannte Beziehung zu Stanley: „Mein Vater verhielt sich mir gegenüber so blöd, es war schon albern. Ich konnte Sellerie nun mal nicht essen, ohne dabei Geräusche zu machen. Es war einfach der reine Hass.“(6)

Reggie lehnte die Autorität seines Vaters völlig ab. Als Erwachsener klagte er: „Er ließ mich nie tun, was ich wollte. Ich durfte nicht einmal im Garten spielen, ich hätte ja seine Rosenbeete zertrampeln können … Ich habe immer gebetet, dass mein Vater an den Wochenenden nicht nach Hause kommen würde.“(7)

Trotz der gemischten Gefühle, die Reggie seinem Vater entgegen brachte, förderte auch Stanley das Interesse seines Sohnes an der Musik, nicht nur Sheila. Elton berichtet: „Mein Vater war Trompeter, daher stammt mein musikalisches Talent vermutlich von seiner Seite. Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, schenkte mir mein Vater Frank Sinatras Songs For Swinging Lovers, nicht gerade ein ideales Geschenk für einen Jungen in dem Alter. Ich hatte mir ein Fahrrad gewünscht. Er kaufte mir auch Platten vom Nat ‚King‘ Cole Trio, bei dem Nat Klavier spielte, anstatt zu singen, und von George Shearing … Daher wuchs ich mit ungefähr allem auf, was es damals an aktueller Musik gab, bevor der Rock’n’Roll kam.“(8)

Ende der 1950er-Jahre traten mit dem Siegeszug des Rock’n’Roll neue Vorbilder auf die Bildfläche. Etwa zur gleichen Zeit machte auch der spätere „Elton John“ seine ersten Erfahrungen mit diesem neuen, rockenden Sound. 1958 erreichte Elvis Presley mit fünf verschiedenen Songs den ersten Platz der Hitparade und beherrschte die Radioprogramme auf der ganzen Welt. Der neu gekrönte König des Rock’n’Roll machte großen Eindruck auf Reggie.

„Ich erinnere mich sehr gut daran, wie es mit dem Rock’n’Roll losging“, erklärte Elton. „Eines Tages beim Friseur, als ich darauf wartete, mir die Haare schneiden zu lassen, fiel mir eine Ausgabe der Zeitschrift Life in die Hände. Darin war ein Foto von Elvis Presley. Jemanden wie ihn hatte ich noch nie gesehen. Ich habe es immer noch ganz lebendig vor Augen. An jenem Wochenende kam meine Mutter mit zwei 78-er-Schallplatten nach Hause, mit ‚ABC Boogie‘ von Bill Haley und ‚Heartbreak Hotel‘ von Elvis. Sie kaufte sich jede Woche zwei Platten, und irgendjemand hatte ihr wohl erzählt, diese beiden Songs seien toll. Ich sagte ihr, dass ich den einen Typen gerade in einer Zeitschrift gesehen hatte. Es war einfach komisch, dass das in der gleichen Woche passierte. Es hat mein Leben verändert.“(9)

Im gleichen Jahr landete der schottische Sänger Lonnie Donegan einen Riesenhit mit seinem Skiffle-Song „Rock Island Line“. Es waren allerdings die Rock’n’Roll-Sänger aus den USA, die Reggie besonders faszinierten. Sie waren Entertainer, die eine emotionsgeladene Show boten, im Gegensatz zu den eher zurückhaltenden Briten wie Donegan.

Elton erinnerte sich später: „All die Künstler, die ich verehrte, waren Amerikaner. Überhaupt kopierte jeder in Großbritannien die amerikanischen Vorbilder. Allerdings gab es auch eine Engländerin, die ich bewunderte – eine schwarze Lady namens Winifred Atwell. Sie war unglaublich dick und spielte Flügel und Klavier, und ich gab mir viel Mühe, sie nachzuahmen.“(10)

Natürlich war es Elvis, der dem Rock’n’Roll ein Gesicht gab, aber es waren vor allem jene Rocker, die mit Leidenschaft und großen Gesten das Klavier bearbeiteten, die Reggie sofort begeisterten. Jerry Lee Lewis und Little Richard spielten ihr Instrument mit Tornadogeschwindigkeit und Extravaganz, und vor allem Little Richard sollte Reggie zwölf Jahre später, als seine Karriere richtig in Schwung kam, als Vorbild dienen.

Dass Reggie sich derart für den Rock’n’Roll begeisterte, war ganz und gar auf Sheila zurückzuführen. „Ich erinnere mich, dass sie diese Schallplatten mit nach Hause brachte und sagte, sie seien ganz anders als alles, was wir bisher gehört hätten“, sagte Elton. „Sie glaubte, dass sie mir gefallen würden. Und tatsächlich, ich konnte beinahe gar nicht fassen, wie gut sie waren. Von diesem Augenblick an hatte mich der Rock’n’Roll erobert. Die Sachen von Jerry Lee Lewis und Little Richard spielte ich für mich selbst auf dem Klavier, haute sie einfach raus.“(11)

In den späten Fünfzigern verblichen in England wie auch im übrigen Europa allmählich die Erinnerungen an den Schmerz und die Verluste, die der Zweite Weltkrieg mit sich gebracht hatte. Als der Rock’n’Roll nach Großbritannien kam, wurde er wie eine frische Brise mit offenen Armen begrüßt. „Wir waren in England dafür bereit“, erinnert sich Elton. „Bis dahin waren die Lieder, die wir hörten, alle sehr brav und anständig. Und dann kamen plötzlich Sachen wie ‚All Shook Up‘, die völlig anders waren als Guy Mitchell, wenn er ‚Singing The Blues‘ brachte. Plötzlich sang Bill Haley ‚Rock Around The Clock‘ und Little Richard schrie ‚Tutti Frutti‘ – gerade vom Text her war das eine ganz neue Richtung. Alles lag vor uns, als sei gerade irgendetwas explodiert. Vorher gab es, vor allem in England, nichts, womit sich Jugendliche hätten identifizieren können. Nun tauchten völlig neue Leute auf, die anders aussahen und auch ganz anders sangen – und plötzlich war die Gitarre das angesagte Instrument. Es war einfach die richtige Zeit.“(12)

Beinahe über Nacht hatte die Rockmusik den kleinen Reggie Dwight überwältigt. Er hatte emotionsgeladene Pianisten entdeckt, die er nachahmen und bewundern konnte. „Jerry Lee Lewis hatte stets sehr großen Einfluss auf mich“, bekannte er. „Er ist der beste Rockpianist aller Zeiten. Niemand kommt an ihn heran. Ich könnte nicht so spielen wie er, er ist einfach zu schnell. Für einen Pianisten habe ich schreckliche Hände – leider habe ich richtige Winzlingfinger. Ich spiele eher wie Little Richard. Einmal sah ich mir Little Richard im Harrod’s Granada an. Er sprang aufs Klavier, und ich dachte nur: Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle.“(13)

Der junge Reginald war bald ebenso fasziniert von den Fernsehauftritten des extravaganten amerikanischen Pianisten Liberace, der für ein breites Publikum bearbeitete Klassikstücke auf einem Flügel spielte, auf dem ein überladener Kandelaber stand. Reggie war begeistert von dem homosexuellen Showstar, der seine Neigung jedoch vor der Öffentlichkeit verbarg.

1957 erwarb Reggie die ersten Schallplatten, die den Grundstock zu seiner eigenen Sammlung legten. „Die ersten Singles, die ich mir kaufte“, berichtete er, „waren ‚Reet Petite‘ von Jackie Wilson und ‚At The Hop‘ von Danny & The Juniors.“(14)

Mit der Fußballsaison 1957/58 hatte Reggie allen Grund, auf seine Familie stolz zu sein: Sein Cousin Roy Dwight wurde der Star der örtlichen Sportszene. Roy hatte den FC Fulton bis ins Halbfinale des FA Cup geführt und war anschließend zum Erstligisten Nottingham Forest gewechselt. Er hatte die damals astronomische Summe von 15.500 Pfund erhalten.

In der folgenden Saison schien Roy eine strahlende Zukunft als Fußballer vor sich zu haben. Er erwies sich als echter Star und führte Nottingham Forest bis ins Finale des FA Cup. Selbst die Königin und der Herzog von Edinburgh saßen bei diesem Schlagerspiel auf den Rängen. Doch in der 33. Minute des Spiels verletzte sich Roy; er erlitt einen komplizierten Wadenbeinbruch.

Obwohl diese Verletzung Roys Karriere jäh beendete, machte sein Erfolg großen Eindruck auf Reginald. Wenn Roy plötzlich der Star der Familie werden konnte, welche Möglichkeiten hatte dann sein kleiner Cousin Reggie?

1958 gewann Reginald Dwight ein Stipendium für eine ausgesprochen renommierte Musikschule: „Mit elf bestand ich die Prüfung für die Royal Academy of Music und wurde dort unterrichtet, bis ich 15 war.“(15)

Die Kursleiterin an der Academy, Margaret Donington, entdeckte sehr schnell, dass sie in Reginald einen sehr viel versprechenden Schüler vor sich hatte. Eine der Lehrerinnen, Helen Piera, sollte herausfinden, wie gut der Junge nach Gehör spielen konnte. Sie setzte sich ans Klavier und spielte ein Stück von Händel, dessen Noten vier Seiten umfassten. Als sie Reggie das Instrument überließ, wiederholte er das Stück beinahe Note für Note.

Ab diesem Zeitpunkt besuchte Reginald jeden Samstag die Royal Academy Of Music. Er war nicht nur für klassischen Klavierunterricht angenommen worden, sondern sang auch im Chor.

Zunächst war Reggie von der Academy begeistert, aber es dauerte nicht lange, und es langweilte ihn, immer nur die Klassiker zu lernen und zu spielen. Ihm kam es so vor, als ob er noch einen sechsten Tag zur Schule musste, und für einen Elfjährigen war das keine besonders verlockende Aussicht. Schon bald schwänzte er die Stunden. „Ich hatte irgendwie keine Lust auf die Academy“, berichtete er. „Außerdem gehörte ich zu den Kindern, die sich immer irgendwie durchwurschteln konnten, ohne geübt zu haben, und dann trotzdem bestanden. Ich kam immer gerade so durch die Prüfungen. Manchmal, wenn ich nicht übte, ging ich zur Baker Street, wo sich die Academy befindet, setzte mich in eine U-Bahn der Circle Line und fuhr einfach nur durch die Gegend. Dann kam ich nach Hause und erzählte meiner Mutter, ich sei beim Unterricht gewesen. Ich war wirklich kein Musterschüler.“(16)

Nachdem ihn der Rock’n’Roll gepackt hatte, schwand seine Begeisterung für Mozart noch stärker. „Als Kind hasste ich es, klassische Musik zu spielen, weil ich dazu gezwungen wurde“, erklärte er. „Ich wäre viel lieber draußen gewesen, hätte Fußball gespielt oder wäre ins Stadion gegangen. Ich habe nie mehr geübt, als unbedingt nötig war, um durch die Prüfungen zu kommen. Na ja, Chopin oder Bach haben mir manchmal schon gefallen, aber das war’s auch schon. Meist fand ich klassische Musik grässlich.“(17)

Zwar hatte er wenig Lust auf die strenge Disziplin, mit der er zum Studium der Klassik angehalten wurde, aber der Unterricht war ihm später im Leben durchaus nützlich. „Rückblickend bin ich wirklich froh, dass ich diese Stunden bekam“, gab er zu. „Denn dort vermittelte man mir die Grundlagen der Musik, auch wenn ich keine Lust hatte, den Lehrern zuzuhören. Aber irgendwie habe ich wohl doch was mitbekommen, denn man merkt an der Art, wie ich die Melodien meiner Songs strukturiere, dass ich eine klassische Ausbildung habe.“(18)

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