Papageno in Parga

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Papageno in Parga
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Papageno in Parga

Eine Novelle



Mark Ammern



AutorenVerlag Matern



Dem Protagonisten, einem Opernsänger, gelingt es nicht nur seine Gegenspielerin, sondern auch sich selber zu überlisten. Ein Schelmenstück, das sprachlich gar nicht den Versuch unternimmt, in eine bürgerlich romanhafte Attitüde zu verfallen, sondern szenisch vorgeht und einen weiten Bogen spannt. Um Lesern die räumliche Orientierung zu erleichtern, wurde am Ende, in Abschnitt F, ‚Papagenos Weltkarte‘ beigefügt.



Robert ist gezwungen, eine Auszeit zu nehmen. In der Konfrontation mit Ereignissen und Umständen, die ihm beinahe das Leben gekostet hätten, sucht er nach Gründen und einem Weg, der aus der erlebten Geschichte um einen Schlaganfall führt. Seine Inszenierung umfasst Erinnerungen, Projektionen als auch Recherchen, macht vor einem außer Kontrolle geratenden Kreislauf, ebenso vor aufkommenden Angst- und Panikattacken nicht halt.



Ammern entwickelt für das psychologische Experiment, das um die Jahrtausendwende spielt, zwei Handlungsstränge. Die Geschehnisse ereignen sich in Parga, einem idyllischen, in der Nähe vom Acheron gelegenen Küstenort, den sich Robert für einen Erholungsurlaub ausgesucht hatte, und in Essen, mitten im Ruhrgebiet, wo er als Opernsänger unter Vertrag steht. Gefasst werden die beiden Stränge durch zwei Rahmenszenen, die ebenfalls in Essen spielen. Die Brüche markieren alternative Handlungsverläufe: Robert kann nicht zugleich in Parga und in Essen gewesen sein. Lesbar werden die Texte nur als literarische Ergänzungen, in denen die scheinbar empirische Unmöglichkeit zur Grundlage wird.



Die Brüche verbindet etwas: eine vertrackte Liebe, aus der keine Geschichte entstand … Bis diese Einsicht jedoch reift, ist von dem Bariton einiges aufzubieten: Papageno, der als Traumbild erscheint, ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Element, an dem sich Robert abzuarbeiten hat. Projeziertes reicht weit zurück, u.a. bis zur Göttin Eris. Die Bekanntschaft mit einem Theologen führt ihn in eine negative Theologie, die sich ihrerseits mit Glaubensbegriffen der Aufklärung auseinandersetzt. Internet-Rechnerchen lassen ihn über einen Spiele-Clan stolpern … Zu betonen bleibt: Was man gemeinhin als Sinnsuche bezeichnen mag, thematisiert die Novelle nicht.



1. ePub-Auflage 2013, Version 1.2

 Copyright © 2013 AutorenVerlag Matern

 inklusive ‚Papagenos Weltkarte‘

 Cover-Foto: Barbara Koxholt (www.koxholt.de)

 Cover-Design und eSatz: Reinhard Matern

 Papagenos Weltkarte: Mark Ammern

 Schriften: www.linuxlibertine.org,

 www.softmaker.de (Cover)

 ISBN 978-3-929899-06-1 (ePub)

 ISBN 978-3-929899-07-8 (Kindle)

 Alle Rechte vorbehalten



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A - Prolog

Braunrote Nadeln



Die Oberfläche war durch die kleinen fermentierten Blätter dicht geschlossen. Braunrote Nadeln. Das breite Sieb gab den Pflanzenteilen die Möglichkeit, sich wie auf einem Stück Erde zu verteilen. Er hob es an. Sechzig bis neunzig Sekunden reichten für einen genießbaren Aufguss vollkommen aus. Würde man die vom Handel empfohlenen fünf Minuten warten, wie er es beim ersten Mal, vor einem Dreivierteljahr probiert hatte, hätte man einen grauschwarzen, einen bitteren Trank erhalten, den man sogar kaum spucken kann. Besser war ein abgedunkeltes, antrazithaftes Rot. Das Licht vom Küchenfenster durchdrang diese Tönung leicht, hellte den Rooibostee, gegen das Licht betrachtet, noch glasig auf.



Im Untersuchungszimmer des diensthabenden Neurologen war ihm ein baffes Staunen entgegengetreten, auch von anderen Weißkitteln, Ärzten Schwestern, die hereingeguckt hatten. Mit achtunddreißig Jahren war er ihnen zu jung gewesen, um einen Schlaganfall erleiden zu können. Die Tomographie, zu der er von der Unfallaufnahme aus durch eine Treppe in den Keller hinabsteigen musste, einen Gang im verkachelten Labyrinth zu finden hatte, zwei Türen, dann mit dem Kopf voran in eine enge Röhre geschoben wurde, zeigte kein Gerinsel, nichts, das für eine Erklärung hilfreich gewesen wäre. Als er den Rückweg nahm, fiel es ihm schwer, sich den Weg seitenverdreht vorzustellen, sich sogar an die instruierenden Worte zu erinnern. Er wollte aber nach Hause. Der Neurologe hatte ihm zugesagt, ihn zu entlassen, wenn die Tomographie keine Komplikationen zeige. Doch zuerst musste er aus den Kellerfluren finden. Er ließ im Labyrinth intuitiv entscheiden, nicht fähig, wählen zu können, und er war froh, als er wieder im Untersuchungszimmer stand, kurze Zeit später ein Taxi bekam.



Der Stress, der das gewohnte, durch Arbeit bedingte Aufkommen maßlos überstiegen hatte, war ihm in Erinnerung, auch die weitere involvierte Person. Doch gewann er mit diesem Wissen nichts. Die Frau hatte sich ihm nicht geöffnet. Ihm war, als bliebe ihm nur diese Absurdität: Die fühllose Hand, aus der morgens das Wurstpäckchen fiel. Beine, die sich beim Hinabbeugen einfach nicht knicken ließen, erst als er sich seitlich zum Boden verdrehte. Brabla von den Lippen, während er sich mühsam hochwandte. Den Schinken zwischen zwei klemmenhaften Fingern. Laute Geräusche, die herkunftslos nah und mechanisch klangen. Mulm im Kopf. Den Tag verdämmerte er auf dem Sofa. Eine schwache Ahnung ließ ihn abends im Internet suchen. Unter Herzinfakt, Schlaganfall. Dann telefonierte er nach einem Arzt.



Der Sprechstundenhilfe gab er preis, am Morgen wohl einen Schlaganfall gehabt zu haben. „Dann kommen sie auf dem schnellsten Weg!“ drang es fern von der jung und aufgeregt klingenden Stimme. Ein Taxi, fiel ihm ein, nachdem er die Verbindung getrennt hatte, ohne zu wissen, wie er die Praxis hätte erreichen können. Als er dort eingetroffen war, maß der Allgemeinmediziner Herz- und Hirnströme, überwies ihn dann ins Krankenhaus, „wegen dem schiefen Mund, Ruhepuls von 160 und zur Vorsicht“, wie er betonte.



Im saalhaften Flur der Unfallaufnahme war es kaum auszuhalten. Immer wieder Errorzeichen eines PCs, die wie Alarmsignale schrillten. Und Telefonsirenen, die den Saal minutenlang zerschnitten. Ruhig wurde es erst zu Hause. Im nächtlichen Dunkel. Auf seiner Couch. Er sah schemenhaft Leute, spürte, wie die Verantwortung riss, die er als Sänger gegenüber der Oper, vor allem aber im kleinen Ensemble eingegangen war, das er vor Jahren mitgegründet hatte. Ihm zersprang sie in Tränen.



Er drehte sich auf dem Sofa zur Fensterseite, winkelte leicht die Beine an und schaute zwischen die kahlen Januarzweige. Die Himmelsstreifen waren verhangen. Ihn fröstelte, während es am Nachmittag dunkel wurde und die Ungewissheit blieb, ob seine Konfrontation zu etwas tauglich sein würde. Erst als die Straßenlaternen matt zu leuchten begannen, zog er die zusammengelegte Decke, auf der sein Kopf gelegen hatte, um seinen ausgekühlten Leib.






B - Kapitel 1: Die Ankunft

Die Ankunft



Ein Blick wie aus einem hoch gelegenen Versteck: Hügel, Bäume und fern das Meer. Als wäre mir nur der Balkon geblieben, abseits der winkligen, touristisch erschlossenen Gassen, der schmalen Promenade.



Ich war mit meiner Reisetasche aus dem Bus gestiegen, unten im Dorf, hatte der mäßigen, vorsaisonalen Geschäftigkeit entkommen können. „Und jetzt?“ fragte ich. Isolierte Fremde, Ruhe und eine milde Luft.



Geschickt. Die Freunde sagten nur: ‚Du musst wieder zu Kräften kommen.‘ Bilder hatte ich im Netz gesehen: Winter wars! Das hochstehende, aufgeschäumte Meer, die überflutete Uferstraße. Und doch hatte ich den Frühling gebucht, rasch, bevor die Kollegen etwas tun konnten, mir ihre Urlaubserfahrungen nahegelegt hätten oder gar Seiten aus Katalogen.



Erst kurz vor dem Antritt der Reise erfuhr ich im vollen Umfang, was mich erwarten würde. Ich hatte, als ich online buchte, von einem verfallenen Gemäuer gewusst, doch nichts von einem venezianischen Kastell am Hafen. Bei der Ankunft verstand ich die Wegbeschreibung. Bald war ich oben in den Hügeln, auf dem Balkon.



Als ein Bengel stolz deiner Netzgemeinde offenbarte, was euch beiden seit einem halben Jahr an Liebe geschehen war, als Wochen danach noch Spaßmoral von deinen Lippen in meinen aufgedunsenen Blutspiegel fiel.



Ungläubig schaute ich ihr hinterher, nachdem mich der Schlag ereilt, sich das aufgepumpte Herz ins Hirn entladen hatte.



„Dies Gesicht verliern!“ Der Stuhl schrappte über den Beton. „Es mir aus den Poren kratzen?“



Das Meer, das ferne Meer.



Südlich das Delta. Schiffbar, der Fluss, hinauf bis Mesopótamon. Hinkunft oder Abgrund?



Wiegt nicht das Meer und lädt zu Träumen ein, vielleicht sogar zu Fahrten hinaus auf die See?



Mutter lag neben dem Schreibtisch als ich heimgekehrt war. Die Lippen blass, fleckenhaft bläulich. Ich verkrallte meine Schultasche, sprach die Mama flehend an.



Vielleicht nicht bereit, bereit für Parga? Sollte weit nach Süden fliehen. Reisen, als Tourist!



Hörte auf dem Rückweg vom Begräbnis: ‚Doch nicht mehr so schlimm. Und die Zeit.‘



Mutter starb mir ein zweites Mal.



In der angebrochenen Dunkelheit wurde ich unruhig. Eng, die paar Quadratzentimeter Balkon. Ich spürte das Verlangen, in den Ort hinunterzugehen, den Kilometer Luftlinie durch geschlungene Gassen zu streifen, dem Plätschern und Glucksen bei den Booten zu lauschen. Eventuell noch etwas Fisch zu essen.



Ich stieg die schmale Treppe durchs Haus hinab. Athiná, die Gastgeberin, trug einen Berg Wäsche quer durch den Empfang, zwinkerte und wünschte mir einen schönen Abend.

 





Cuckoo, cuckoo



Ich war müde von der Anreise, der milden Luft, dem Teller voll Fisch, dem Wein. Doch Schlafen? Ich stand in meinem Zimmer und überlegte, ob ein kleines Licht die Nacht durch brennen könne. Mir war Dunkelheit im Wachen eher angenehm, ich mied sie aber beim Einschlafen. Wenn das Licht ausgeht, ists, als sperren sich alle Fasern des Hirns, sträuben sich, mir zu erlauben, mich loszulassen. Erst wenn sie taub und brüchig werden, sink ich in den Schlaf. Doch das kann Nächte dauern.



Die Nachttischlampe blieb an. Ich drehte und wendete die ersten Reiseeindrücke.



– Er schritt rückwärts, beäugte mich, während er sich entfernte. Ich sah noch, dass er den Arm hob, zwischen den schweren Schals, die den Bühnenraum seitlich begrenzten, ein angedeutetes, unsicheres Winken. Da schlug ich mit den Flügeln, presste mich ans Gitter. –



Als ich mir das feucht kalte Bettzeug vom Leib gezogen hatte, hob ich Pulli und Jeans von unten aus der Reisetasche. Ich streifte die Klamotten über, setzte mich nach draußen auf den Balkon. Ein paar Konturen. Bäume, Hügel? Darüber der weite Sternenhimmel. Meine Fersen lupften sich auf den Sitz des Stuhls, die Arme fingen die hochgedrückten Knie auf.



Leid tats mir um das Vokalensemble, um die freundschaftlich verbundenen Kollegen. Wir hatten begonnen, die Nonsense Madrigales (Ligeti) einzustudieren, lockten aus unseren Registern Kuckucksstimmen, als mich beim Frühstück der Schlag traf – die neue und klangvolle, zu entdeckende Harmonik, die labyrinthischen Strukturen. Ich lähmte die Aktivitäten.



Am Morgen drückten mich meine Arme aus dem Bett. Ich zog die Decke um mich, nahm erneut draußen Platz, auf dem Balkon. Etwas flog in Richtung Hügel, mit kurzen Schlägen, vom Hinterland kommend, die Flügel lang und spitz. Ein Falke, ein Sperber, der in den Obst- und Olivenhainen räubern, sich einen Kleinvogel greifen wird?



„Cuckoo, cuckoo“ erscholl. Ich lachte überrascht auf, rieb den Rücken an der Stuhllehne. „Was für ein Lump.“ Mir schnalzte die Zunge. Erneut klang von unten: „Cuckoo, cuckoo.“ Diese schräge, fast um einen Halbton erniedrigte Frühlingsterz. Wird sie Antwort finden, mit Trillern, Kichern, Gickern?



Die Rufe bis in den Abend.





Der Opernfreund



Ich streifte eines der angeknitterten Hemden über, stieg in die Jeans und verließ das Zimmer. Ein älterer Mann! Auf demselben Flur? Er hatte fast die Treppe erreicht, blieb stehen, an der Ecke.



„Haben sie den Vogel auch gehört?“ schmunzelte er mir zu. „Na, den Kuckuck“, fügte er an, als ich starrend keine Antwort gab.



„Ja“, entfuhr es mir hell und lauter als erforderlich. „Der Kuckuck, so als wäre Frühling.“ Ich schritt vor ihm die Treppe hinab.



„Sie gehen in den Ort?“ fragte er, als ich ihm im Empfang mein Gesicht zukehrte.



Mit dem? durchfuhr es mich. „Ja“, grinste ich auf, „so als gäbs da was zu essen.“



„Dann könnten wir ein Stück gemeinsam gehen.“ Er lächelte steif.



Mein Blick fiel auf die unbesetzte kleine Rezeptionstheke. „Wir können tatsächlich“, schaute ich ihn an. „Sie wollen auch etwas zu sich nehmen?“



„Wir brauchen, wenn sie diesen Abend mit mir vorliebnehmen möchten, gar nicht weit zu gehen.“ Er streckte einen Arm. „Ich suche regelmäßig eine Taverne ganz in der Nähe auf, um etwas Warmes zu essen. Man kann in Parga nach dem Winter gut die eigenen Gedanken wieder aufhellen, aber es fehlt doch etwas an Unterhaltung.“



„Sie sind nicht zum ersten Mal hier, nehme ich an“, mein Blick streifte sein unauffälliges Profil, als wir über den Kiesweg zur abschüssigen Straße gingen.



„Seit einigen Jahren reise ich im Frühjahr an diesen Ort. Zuvor war ich zweimal im Jahr nach Irland gefahren, ich bin noch jeden Sommer dort, aber das irische Wetter und Klima im April zehrte, je älter ich wurde, mehr an Gesundheit und Nerven. Deshalb suchte ich etwas am Mittelmeer. Im Sommer wird es, wie ich hörte, durch Italiener und Griechen in Parga sehr belebt. Im Frühjahr aber ist es ruhig.“ Er bog plötzlich ab. „Da vorne“, munterte er meinen Schritt auf, „dort ist schon das Lokal.“



„Und sie, was haben sie für Urlaubsvorlieben“, fragte er, als wir uns unter Fischernetzen, zwischen Seestücken niedersetzten. „Ich kenne sowas gar nicht.“ Skeptisch sah ich zu den düsteren Staubfängern hoch.



Ich schlug die Karte auf. „Was machen sie beruflich“, hörte ich ihn nachsetzen, „wenn ich fragen darf?“ Ein Mann, vielleicht im Alter des Herrn, der bei mir saß, kam an den Tisch. Sie begrüßten sich, tauschten ein paar weitere Worte und ich hatte den Eindruck, als würde mein Gegenüber bereits etwas bestellen. Neugriechisch verstand ich zu wenig, um allen Vokabeln folgen zu können.



Der hinzugetretene Mann, wohl der Inhaber, wandte sich mir zu, und ich zeigte ihm die Karte mit meinem Finger an der Stelle, wo aller Wahrscheinlichkeit nach gemischter Fisch stand, zog, als er genickt hatte, die Karte wieder ein und blätterte, ließ den Finger dann zu Wein vom Fass hinuntergleiten und drehte ihm die Karte samt abgeknicktem Finger erneut zu.



„Man versteht hier fast jede ungeübte Aussprache», beteuerte mein Tischnachbar. In ein paar Tagen. �

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