War es das wert?

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War es das wert?
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Marion Jordan

War es das wert?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Titel

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Impressum

Titel

War es das wert?

Vorwort

Diese Geschichte, meine Geschichte, habe ich bereits schon unzählige Male erzählt. Ich möchte sie nun nur noch ein einziges Mal darlegen, aber dieses Mal lückenlos mit allen ungeschminkten Wahrheiten. Das passiert auch nicht ganz uneigennützig, denn sollte sich noch einmal jemand für meine Geschichte interessieren, kann ich jetzt jeder Zeit sagen: „Ließ sie„! Restlos kann man diese Geschichte mal so eben eh nicht erzählen und aus dem Zusammenhang gerissene Ereignisse, machen keinen Sinn. So einige Grillabende oder ähnliche Zusammentreffen mit anderen Menschen sind darin geendet, dass ich den ganzen Abend und die halbe Nacht berichtet habe. Einige hingen mir an den Lippen und konnten es kaum fassen und andere waren sichtbar uninteressiert. So oder so, jedes Mal raubte es mir eine Menge Energie und ich fühlte mich nach solchen Tagen des Erzählens völlig ausgepumpt. Jedes Mal wieder mit Leib und Seele sich in der Geschichte zu befinden und sie noch mal und noch mal zu durchleben, das kann es nicht sein. Einmal sagte ein guter Bekannter: „Wir haben hier eine Heldin am Tisch!“. Soweit würde ich nun nicht gleich gehen. Es ist eher eine Geschichte die vom jugendlichen Leichtsinn und einer gehörigen Portion Mut geprägt ist. Eine gute Bekannte namens Marion, die mir sehr lieb geworden ist, brachte mich auf die Idee sie aufzuschreiben: „So eine Geschichte sollte nicht in Vergessenheit geraten“. Obwohl ich schon irgendwie diese Geschichte gern vergessen würde, denn sie ist teilweise alles andere als lustig oder schön.

Da ich in meinem Leben nicht all zu viel ernst nehme, mir nichts so schnell Angst macht und ich vieles von der lustigen Seite sehe, bin ich natürlich auch dieses Mal die Angelegenheit von der humorvollen Seite angegangen. Das ganze gepaart mit einer Spur Selbstironie und einer Prise Galgenhumor, fertig war die Sichtweise aller Dinge.

Kapitel 1

Zu gern würde ich behaupten, dass es sich um einen Verzweiflungstat handelte, als der Wunsch in uns immer größer wurde dieses Land zu verlassen. Tatsache ist aber gewesen, dass ich ganz einfach mehr wollte, als mir die DDR bieten konnte. Es war so offensichtlich, dass das Ende der Fahnenstange für uns erreicht war. Dennoch kann ich auch behaupten, dass der Drang weg zu wollen, schon viele Jahre alt war. Bereits in meiner frühsten Jugend, im Alter von ungefähr 13 Jahren, habe ich mir das erste Mal versucht vorzustellen in der Bundesrepublik zu leben. Die Motive damals waren andere als heute, soviel ist klar. Inzwischen war ich 25 Jahre alt und wir lebten bereits unser ganzes Leben in Magdeburg. Wir, das waren mein Mann Gerd, meine 4-jährige Tochter Jani und ich, Tina. Um genau zu sein eigentlich Martina, aber alle sagen nur Tina zu mir. Wir wohnten in einer sehr liebevollen und mit viel handwerklichen Geschick, meines Mannes Gerd, eingerichteten „Dreiraumwohnung“ von ca. 60 qm. Mein kleines Reich! Ein typisches Nachkriegshaus mit großen Löchern in der Fassade und zum Teil mit alten Jalousienfenstern, die zur Lüftung dienten. Leider geschah dieses permanent! Als Zugabe gab es dann noch ein immer kalt-feuchtes Treppenhaus. In diesem Haus wohnten mit uns sechs Mietparteien, man kann sagen einmal Querbeet. Von der typischen Alleinerziehenden, dessen Freund an jedem Wochenende seinen Trabi vor der Haustür auseinander baute, über die Senioren, die jede Woche eine neue Krankheit ausprobierten, bis hin zu uns Querulanten. In solchen Häusern, die rein äußerlich fast wie vergessen aussahen, sind oft Wohnungen die potenzial haben. Wohnungen mit Charme und Charakter. Wir jedenfalls hatten diese doch sehr kleine Wohnung optimal eingerichtet. Ikea hätte lernen können. Im Kinderzimmer hatten wir für Jani eine Hängematte aus grobem Netz quer durch das Zimmer gehängt, für all ihre Puppen und Teddys und als ideales Versteck, wenn sie mit ihren Freundinnen verstecken spielte. Keiner fand sie, weil niemand noch oben sah. Erst wenn sie das Lachen anfing, wunderten sich alle und lachten auch. Dann wollte natürlich jeder sich in dieser Hängematte verstecken. Kleinjani, ein echt tolles Kind das man gern um sich hat. So ungefähr die Sorte Kind das völlig unsensibel, zugleich irre witzig und kein Stück ängstlich ist. Ein Kind, das was zu sagen hatte und es nicht dumm war, wenn sie den Mund aufmachte. Nicht zu verwechseln mit den aufgeblasenen, altklugen und nervigen Kindern von heute. Jeder, den ich kannte, hatte eine Schrankwand im Wohnzimmer. Igitt! Das war klar, bei uns kommt so ein Klumpen nicht rein. Wir hatten eine so genannte Flachstrecke. Nebeneinander angereihte Schränke, die ca. 60 cm hoch sind und mit einem schicken Furnier versehen sind. Ein handgefertigtes dunkelrotes Samtsofa mit Knöpfen in der Kopf hohen Rückenlehne, dazu passende Vorhänge und Alujalousien. Auf Antik gehaltene Bilder mit Goldrahmen in groß und klein hingen an den Wänden. Ein selbst gebautes rundes Bett stand im Schlafzimmer. Alles in allem konnten wir uns aus der Masse damit abheben und darauf kam es schließlich an. Immer so tun als wäre der Westen direkt nebenan und man würde gleich wieder mal rüber fahren. Das war in meiner Kindheit und Jungend nicht immer so.

Als ich 13 Jahre alt war, bekam ich über Umwege und mehr durch Zufall die Jugendzeitschrift „Bravo“ in die Hand und las darin, dass mit der Gruppe „Smokie“ ein Backstage-Treffen verlost wurde. Da ich ein riesiger Fan von „Smokie“ war, war ich voll und ganz aus dem Häuschen. Zuerst habe ich in meiner kindlichen Vorstellung nach Möglichkeiten gesucht um doch noch irgendwie dabei sein zu können, aber wie ich es auch drehte und wendete, es gab dafür keine Lösung. Ich verstand das nicht, wieso? Der Westen war sehr weit weg! Ich wollte doch nur „Smokie“ in Westberlin sehen und dann käme ich ja zurück. Wo war das Problem?! Schließlich wohnte ich ja in Magdburg und meine Familie und alles war auch dort. Ich hatte keinen Grund nicht wieder zurück zu kommen. Es dauerte nicht lang und dann wollte man auch die Klamotten aus dem Westen tragen. Einfach genau so aussehen wie die Jugendlichen dort. Oder noch besser, wie die Stars im Fernseher. Stars wie z.B. Suzie Quattro, die hatte tolle Klamotten bei ihren Auftritten an, zum neidisch werden. Viele Jahre später, im Alter von ca. 17 bis 18 Jahren, habe ich mir dann die Klomatten einfach nachgeschneidert. Mit jeder Menge Fantasie habe ich meine eigenen Labels erfunden und alle waren der Meinung, ich würde regelmäßig Pakete aus dem Westen bekommen. Als ich das verneinte, waren viele der Ansicht, ich wollte es nur nicht zu geben. Das schmeichelte eigentlich nur meiner Kreativität und meinem Geschick. Es motivierte mich nur noch mehr. Wie schon gesagt, im Alter von 25 waren es dann schon lange andere Motive weswegen ich weg wollte. Nicht mehr wegen „Smokie“ oder der Kleidung. „Smokie“ hatte sich eh aufgelöst, okay blieben noch die Klamotten.

Jetzt könnte man behaupten, dass wir Konsumflüchtlinge waren, vielleicht war das so, aber ich wollte ja auch nichts geschenkt bekommen. Wir waren fleißig und einfallsreich, alles Eigenschaften, die einem in der Zone nicht wirklich weiter brachten. Außer vielleicht die Einstellung: „Wer nachts schläft, stirbt arm“. Aber das kann es ja auch nicht sein. Wenn man mal genauer hinsah, konnte man nachts wirklich merkwürdig viele Autos mit Anhänger unterwegs sehen.

Ich jedoch wollte Bananen essen, wenn es mir passt und nicht erst dann, wenn es staatlich verordnet wurde. Da nützt einem auch der Anhänger nichts. Ich wollte für mein Geld tolle Kleidung kaufen ohne riesige Verrenkungen zu machen. Ich wollte den Hamburger Fischmarkt besuchen fahren. Ich wollte in die Länder reisen können, die mir gefallen und nicht nur jene zu sehen bekommen, die von Honecker abgenickt waren. Amerika, die Karibik und die Länder am Mittelmeer standen auf meinen Zettel! Ja es ging uns gut und ich wollte trotzdem mehr. Ich fand das so frustrierend zu wissen, dass MEHR nicht mehr kommt. Unser, zu Haufen herumliegendes Geld hatten wir inzwischen angefangen 1 zu 7 zu tauschen, also z.B. 700 M für 100 DM. Damit konnten wir uns einwenig Luxus ins Haus holen. Aber damit stieg das Unverständnis für diesen Staat immer mehr. Nicht nur ich hatte diese Ansicht, nein, mein Mann Gerd teilte diese in jeder Hinsicht mit mir. Er und ich, wir hatten uns gesucht und gefunden, vor allem was das Westthema betraf.

Die Nachricht in der Tagesschau, dass die deutsche Botschaft in Warschau geräumt wurde, hatte mich dann komplett fertig gemacht. Die dort seit Wochen ausharrenden Besetzer wurden zu hunderten ausgewiesen, in den Westen. Wir schauten regelmäßig die Westnachrichten, aber ab dieser Meldung wurde es dann zur Pflicht. Als dann im Frühjahr des Jahres 1989 in der Tagesschau darüber berichtet wurde, dass die ungarische Regierung die Genfer Menschenrechts Vereinbarung anerkannt hatte und zu diesem Anlass symbolisch ein Stück Zaun an der Grenze zu Österreich abgebaut wurde, sah ich unsere Chance. Allerdings war ich ahnungslos ohne Ende, wo lernt man tipp topp Republikflucht im Selbstversuch?

 

„ Symbolisch“ das sollte ein Problem werden! Es war mir wohl in den Nachrichten entgangen, oder wollte ich kein „Aber“ mehr hören?

Also schnell was Ostdeutsches angekleidet, meinen harmlosen Gesichtsausdruck raus gekramt und zur Polizei gefahren, natürlich die für mich Zuständige. Um einen Antrag auf Ausreise aus der DDR und Einreise nach Ungarn zu stellen, man könnte es auch ganz einfach ein Visum nennen. Die Einreise nach Ungarn funktionierte nur mit einem Visum, welches nicht jeder einfach so bekam. Wonach da gegangen wurde, kann man nur spekulieren, in der Vergangenheit nicht aufgefallen zu sein, war garantiert ein Vorteil. Obwohl, dann hätte man mich erst recht nicht mehr raus lassen dürfen.

Das erste Mal fiel ich diesem Affenstaat nämlich schon in der 10. Klasse auf, als man mir den Abschluss verweigern wollte. Die Begründung war, dass ich ihn sowieso nicht schaffen würde. Mein Vater hat sich dann für mich extrem eingesetzt und denen bewiesen, dass dies überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Bei einem Notendurchschnitt von 3,5 kann man nicht von Lernschwäche reden, eher von Lernfaulheit. Dann gab man es zu, warum ich von der Schule sollte. Originalzitat: „Ich wäre eine Gefahr für den gesamten Schulbetrieb. Ich hätte die Fähigkeit die komplette Schule zum Boykott aufzuwiegeln“. Eigentlich aus der heutigen Sicht ein riesiges Kompliment. Da war mir nur bis dahin nicht klar, soviel Macht und Geschick zu besitzen. Mein Vater gab alles, diskutierte und handelte „nur“ eine Strafversetzung raus. Meinen Abschluss machte ich dann in einer mir fremden und weit entlegenen Schule. Die Hälfte der Sommerferien habe ich nur noch geheult. Meine Klassenkammeraden schnitten mich von nun an. Man wird es ihnen wohl nahe gelegt haben, wahrscheinlich unter ähnlichen Androhungen wie ich sie zu hören bekam. Die andere Hälfte der Sommerferien war ich wieder die große Discogängerin, natürlich nur mit Hilfe meiner Freundin, die mich fast schon gezwungen hatte mit ihr wieder tanzen zu gehen.

Also ging es jetzt darum schnellstmöglich Visa zu bekommen, bevor noch andere auf die Idee kommen und dann alle Genehmigungen abgelehnt werden. Denn Willkür und Unrecht stand auf der DDR Fahne, man musste immer mit allem rechnen.

Ganze vier Woche dauerte es und wir bekamen die ersehnte Genehmigung. Juhu!!! Freunde und gute Kumpels besuchen war nun an mehren Abenden Pflichtprogramm. Allen bescheid sagen, dass wir in den „Urlaub“ fahren. Es waren mit unter Leute, die mir ganz besonders wichtig waren. Die unter diesen Staat mehr als genug gelitten hatten und die selber einige Fluchtversuche hinter sich hatten. Ich erinnere mich an „Klunker“, dessen eine Flucht auf grausame Weise gescheitert ist. Auf einem Elbkahn belanden mit Getreide, hatte er versucht sich zu verstecken. Im Getreide eingegraben und mit einem Halm zum Atmen fand man ihn. Mit Mistgabeln ging man systematisch durch. Tja Pech, Infrarot war noch nicht erfunden. Selbst wenn man ein harter Brocken ist wie Klunker und nicht vor Schmerzen schrie, Blut an der Gabel verriet einen dann doch. Ausgesprochen furchtbare Sachen erzählte er von dem Knast in dem er dafür mehrere Jahre saß. Spießroutenlauf über zwei Etagen, Mord und Selbstmord bei denen sich alle wegdrehten. Bei Selbstmord sorgte man so für eine gewisse Diskretion, wer nicht mehr konnte oder wollte, wurde nicht aufgehalten. Bei Mord sah man weg, um nicht mit rein gezogen zu werden, man könnte nämlich anschließend der Nächste sein. Spießroutenlauf über 2 Etagen, ging folgender Maßen: Im Abstand von ca. 10 Metern stand jeweils ein Vollzugsmitarbeiter, der die Aufgabe hatte jeden einzelnen, der an ihm vorbei rennen musste, mit einem Stock zu schlagen. Es wurde so lange geschlagen und geprügelt bis niemand mehr in der Lage war zu rennen. Erst dann war für den Tag Schluss.

Klunker sprach auch von bevorzugter Behandlung der dort einsitzenden Libyer. Diese bekamen zum Frühstück ein fünf Minuten Ei. Nicht das sie es auch tatsächlich verspeisen konnten, aber sie bekamen es. Schließlich waren Libyer die Devisenbringer des Staates.

Als gebrochener Mann kam Klunker von dort zurück. Von ihm wollte ich mich auf alle Fälle verabschieden. Menschen wie Klunker gab es mehrere in meinem Freundeskreis, ich denke das hat meine Einstellung zu diesem Staat maßgeblich mit geformt. Ich hatte auch nur Freunde, denen ich von meinem „Traumurlaub“ erzählen wollte. Meine Familie, zerrissen und verstreut in alle Gegenden der DDR. Da hatte ausnahmsweise Erich Honecker keine Schuld dran. Das lag ganz einfach daran, dass meine Mutter eine lieblose Hexe war und all ihre Kinder erfolgreich aus dem Haus geekelt hatte. Spätestens zum 18. Geburtstag mussten sie raus sein. Besser noch eher, so hatte man den Eindruck von der „Liebe“ die sie uns gab und mit Sicherstellung, dass ja niemand zurückkommt. Meine Mutter war, so glaube ich, komplett überfordert mit ihren fünf Kindern, die sie alle nicht ganz freiwillig bekommen hatte. Ihre Arbeit in der Krankenhaus-Wäscherei gab ihr den Rest. Sie hasste alles und jeden und war am Ende nur noch frustriert und natürlich auch über die Tatsache, dass mein Vater sie nach allen Regeln der Kunst betrog. Am Ende hatte es zur Folge, dass solche Menschen allein abdanken, unbemerkt von allen anderen. Zwei meiner Geschwister hofften allerdings bis zum Schluss auf Anerkennung, was für eine Enttäuschung. Sie fiel tot um und das war es. Der Rest meiner Geschwister und ich erfuhren es erst viele Wochen später. Mein ältester Bruder sagte als allererstes, als er von dem Tot unserer Mutter erfuhr: „ Ich gebe kein Geld zur Beerdigung dazu“. Eigentlich galt dieser Anruf meiner Schwester, der Frage ob er von seiner Mutter irgendwelche Erinnerungsstücke aus ihrem Nachlass haben möchte. Seine und auch meine Antwort auf diese Frage: „ Danke, nein, wir haben schon genug Erinnerungen, mehr sind nicht nötig!“

Von den Geschwistern, von denen ich wusste wo sie geblieben waren, hatte ich den Eindruck, sie hätten sich 1a eingerichtet und arrangiert mit und in diesem Staat. Meine Schwester träumte bereits davon was sie mit ihrer Familie unternehmen möchte, wenn sie in ein paar Jahren mit ihrem Trabi dran sind. Ab dem 18. konnte man sich dafür anmelden und bis zu 12 Jahre musste man dann nur warten. Es waren wohl nur noch 2-3 Jahre und dann hätten sie ihn gehabt. Ist eben so, manche Leute sind einfach zu früh zu frieden. Wenn man weiß wie die so drauf sind dann hält man die Klappe. Nicht nur weil man verraten werden könnte, sondern weil sie sich bei den falschen Menschen verplappern könnten. Also gab es hier nur noch ein Kaffee trinken, ohne von meinen Plänen zu sprechen.

Auf unserem Besuchermarathon stellte sich heraus, dass Michael und Simone, ein befreundetes Pärchen, ebenfalls Visa für Ungarn beantragt und bewilligt bekommen hatten. Wir verabredeten uns auf dem gleichen Campingplatz. Die beiden wollten aber auf jeden Fall danach wieder zurück in die DDR. Auch so ein Pärchen das sich eingerichtet hat. Nur so konnte der Staat 40 Jahre alt werden und natürlich durch das künstliche am Leben halten durch die Machenschaft einiger Westpolitiker. Am Ende haben sie auch noch dafür gesorgt, dass die Verantwortlichen nach Chile in den Ruhestand gehen konnten. Mehr „ Klunkers“ hätten dem Staat schon viel eher den Kopf gekostet. Michael und Simone wollten vielleicht nur mal gucken wie groß das Loch im Zaun ist, mehr nicht!

Ich kündigte meinen Arbeitsplatz, als Gaststättenleiterin, man bringt es dann doch nicht so übers Herz, eines Tages die Gäste vor verschlossener Tür zu vermuten. Super blöd! „Dann gibt es eben kein Bier, Pech“. Meinem Arbeitgeber sagte ich, dass ich mich nach dem Urlaub beruflich verändern will und deshalb schon mal vor dem Urlaub kündige. War ja eigentlich auch nicht gelogen.

Sachen packen, was man so mit nimmt wenn man in den„ Urlaub“ an den Plattensee fährt, Wohnwagen angehängt, rein in unseren geliebten Wolga und los. Für alle die es nicht wissen, Wolga ist ein Auto! Bis in die 70er war das die Staatskarosse und im Anschluss das Fahrzeug der Direktoren. Tolles Fahrzeug, so zu sagen aus einem Stück gefeilt. Mein Tick für durstige Autos konnte ich bis heute nicht ablegen.

Wir kannten einen, der einen kannte und so sind wir an dieses Auto gekommen. Eine komplette Generalüberholung schloss diese Beschaffungsmaßnahme natürlich nicht aus. Schweller und Bodenbleche wurden erneuert, sämtliche rostigen Stellen wurden bearbeitet und dann wurde er in reinweiß lackiert. Heute übrigens wieder die Farbe der Farben. Die Sitze im Innenraum wurde vom Polsterer in Bordeauxfarbenem Samt aufgepimpt. Einfach toll! Man darf dabei nicht vergessen es waren die 80er. Der Gedanke ihn irgendwo stehen zu lassen tat richtig weh und wir wollten uns damit erst so spät wie möglich befassen. Falls es noch nicht aufgefallen ist, ja ich bin „blechgeil“. Wir würden ja auch nicht nur den Wolga stehen lassen, wir würden einen kompletten Hausstand und ein weiteres Auto und mein Motorrad zurück lassen. Der einzige Trost: „Das legen wir uns alles wieder zu, nur noch besser!“ Schon mal vorab, das habe ich auch geschafft. Es dauerte alles seine Zeit, aber heute habe ich alles genau so, nur noch besser!

Ich habe immer noch nicht behauptet, dass ich für irgendeins der beiden Autos einen Führerschein besaß. Nur für mein Motorrad hatte ich eine Fahrerlaubnis. Da ich aber der Ansicht war „An mir liegt es nicht“, bin ich trotzdem mit beiden Autos gefahren, je nach Bedarf. Also genau abgestimmt wo will ich hin und welches Auto passt authentisch dazu. So dass man in einer Verkehrskontrolle glaubwürdig rüber kommt. Ich kann es euch sagen, das hat funktioniert. Es gab keine Computer die bei der Führerschein Ermittlung hätten helfen können. Der Trick bestand auch für mich darin, immer einen kleinen Mangel am Fahrzeug zu haben, aber nur so klein, dass die Polizei einen an der Weiterfahrt nicht hindern wollte, aber groß genug, dass sie beschäftigt waren. Fast abgefahrene Reifen waren so etwas, ein kaputtes Licht war auch immer gut.

Sechs bis sieben Jahre waren die Wartezeit auf einen Führerschein, es sei denn man kannte einen der einen kannte. Wir kannten dort leider niemanden.

Es stellte sich auch heraus, dass man ein Kind in einem Auto viel sicherer und komfortabeler befördern kann. Obwohl ich die Zeit mit Jani auf der 250er mit Rennverkleidung in Bronze metallic nicht missen will. Es war witzig und für Jani und das natürlichste der Welt so, am Tankdeckel festgeklammert, zum Kindergarten gefahren zu werden. Irgendwann wurde es dann aber einfach zu kalt. Der Winter kam und durch die ganze Stadt konnte man das so auch nicht machen. Das wäre auch dem dümmsten Polizisten aufgefallen, dass da was nicht stimmt. Und so kam ich zu der Überlegung mir das Autofahren von Gerd auf die schnelle beibringen zu lassen. Feintuning kam von allein, nach und nach. Das zweite Auto war ein 63er Trabi Kombi, der war tot als wir ihn 1986 für 1.500 M gekauft hatten. Bodenbleche waren aus Metall und nicht, wie manch einer glauben will, aus Pappe. Diese Bleche waren schon fast nicht mehr vorhanden. Reines Glück, dass ich bei der Überführung nicht auf die Strasse gefallen bin. Der Rest vom Auto passte zu den fast nicht mehr vorhandenen Bodenblechen. Den hatten wir genau so aufwändig restaurieren lassen wie den Wolga. Beide sahen dann aus wie neu, nur das der Trabi in pink lackiert wurde und mit den Chromzierleisten, die er schon hatte, wurde er ein echter Hingucker. Der Ascherbescher direkt auf der Armatur, diente bei mir als Blumentopf, das gab diesem Auto etwas Unverwechselbares. Wenn ihr wisst was ich meine, normal gab es schon! Vor allem langweilig gab es ausreichend.

Viel und genug Zeit hatten wir auf dem Weg nach Ungarn uns Gedanken über die Vorgehensweise vor Ort zu machen. Erst mal dort ankommen. Für uns begann der Urlaub bereits direkt vor der Tür. Von Anfang an ließen wir es entspannt angehen. Wir hielten an wo es uns gefiel, um auf dem Weg dahin viel zu erleben und Kleinjani möglichst viel zu bieten. Nutzt keinem was, ein bockiges Kind im Schlepptau und es machte uns ja auch Spaß. Wir gingen Eis essen, hielten an tollen Seen und Teichen an, um Sachen zu entdecken und faxen zu machen. Konnte man mit Jani besonders gut! Wir stellten den Wohnwagen auf, wo wir es toll fanden und gingen oft schick Essen. Trotzdem waren wir relativ erledigt als wir endgültig am Plattensee, auf unseren Campingplatz ankamen. Weil es erst Mai war, waren die Campingplätze noch nicht so überfüllt und wir hatten freie Auswahl für unseren Stellplatz. Also ab in die erste Reihe, direkt ans Ufer. Super! Das hatten wir auch noch nie. Fast zu Schade den Platz aufzugeben um die „Fliege“ machen. Erstmal schlafen und dann weiter sehen, war der erste vernünftige Plan den wir hatten. Soll nicht heißen, dass alle unsere Pläne die noch kommen sollten unvernünftig werden sollten. Aber unvernünftig war bei uns schon wieder normal, oft auch aus der Not heraus.

 

Am nächsten Morgen wurden wir von der Campingplatz Verwaltung wach gerufen, geklopft, geschüttelt? Während wir schliefen hatte sich der Platz extrem gefüllt, ich glaube wir lagen im Koma. Sei es wie es war. Den Platz in der ersten Reihe sollten wir räumen, ein Westdeutscher ist eingetroffen! Der sollte jetzt diesen Platz bekommen. Ist man da wütend auf diesen „Besserwessi“ und will nun gar nicht mehr dort hin, oder auf diesen „Campingplatz – Idioten“, der sich mit DM hat bezahlen lassen? Keine Zeit lange drüber nach zu denken, der Wessi wollte nicht lang warten. Am Toilettenhäuschen war ein Platz für uns gefunden wurden. Muss man positiv sehen, hat man es nicht so weit.

Jetzt ging der Spagat los, ein Rahmprogramm fürs Kind und Lage checken. Zwischen unserem Standort am Campingplatz bis zum nächsten Grenzabschnitt lagen in etwa 150 – 200 km, natürlich westlich. Also fuhren wir vormittags in diese Lieblingsrichtung spazieren und besuchten Rummel und Wochenmärkte. Eigentlich nahmen wir alles an Sehenswürdigkeiten und Events mit, was es auf dieser Strecke so gab, nur um genug Infos über die Lage zu bekommen und Kleinjani tüchtig abzulenken. Immer wenn wir mal mehr oder weniger durch Zufall, einem Grenzverlauf nahe kamen, konnten wir kaum den Blick von ihm lassen. So nahe sind wir in der Zone niemals einer Grenze gekommen. Sah gar nicht so dramatisch aus, nicht so wie man es vom Hörensagen aus der DDR wusste. Das muss doch zu schaffen sein! Jedenfalls machte diese Grenze mir keine Bange. Aber immer mit der Ruhe, nur nichts überhasten! Es gab mehrere Grenzabschnitte, die es galt zu Sichten und der Traumurlaub hatte ja gerade auch erst begonnen. Mit der Landkarte in der Hand machten wir uns Pläne, wann wir welchen Abschnitt besuchen fuhren.

Auf den Wochenmärkten konnten wir uns mit tollen Früchten, wie Pfirsiche, Weintrauben und Melonen den Bauch voll schlagen. Nicht so wie in der Zone, als ich von den Kindergarten-Mitarbeiterinnen auf das Schwerste ermahnt wurde, ich sollte doch bitte bedenken, dass man dort täglich eine „Obstvesper“ machen würde. Ich sollte zu diesem Zweck Obst kaufen! Die hatten doch einen kompletten Vogel, was für Obst denn bitteschön? Im Gemüseladen gab es im Standardprogramm nur Kartoffeln, Weißkohl und wurmstichige Äpfel. Dachten die duseligen Kühe, wenn sie so tun als wäre die Kommunisten–Welt in Ordnung, dann ist sie es auch? Fragen musste ich sie dann doch noch, wo man das Obst kauft für die dazugehörige Pause? Für jeden Tipp wäre ich zugänglich gewesen. Ich schwöre, da kamen keine Tipps.

Nachmittags hatten wir jede Menge Badespaß im Ballaton und abends war grillen oder Essen gehen angesagt. Mit zunehmenden Abenden hatte man auch eine Menge Leute kennen lernen können. Wobei ich immer versucht habe soviel wie möglich nur Wessis kennen zu lernen, bis auf die, die nun meinen Platz in der ersten Reihe hatten. Vielleicht wussten die Wessis etwas, was ich nicht weiß. Konnte jedenfalls kein Fehler sein. Vielleicht wollte uns ja auch jemand adoptieren und dann muss man anwesend sein.

Simone und Michael aus der Heimat, waren inzwischen auch eingetroffen. Die Freude und die Begrüßung fielen riesig aus. Endlich nicht mehr allein. Michael hatte schon die Befürchtung, uns nicht mehr anzutreffen. Er sagte gleich als erstes: „Habt ihr das auch gesehen, wie nahe die Grenze an den Bundesstrassen verläuft? Wir haben schon nach dem Loch gesucht, wo ihr durch seid.“ Gemeinsam mit den beiden lernten wir weitere Menschen kennen, wie das so auf einem Campingplatz nun mal ist. Niemanden erzählten wir von unseren Fluchtabsichten, schon allein aus der üblichen Sorge, aber auch die Umsicht, dass diese Leute das sowieso nicht verstehen würden. Für die waren wir wahrscheinlich eh nur die doofen Ossis, die einfach in die Zone gehören. Ganz nach dem Motto: „Was wollt ihr denn da, ihr passt am besten in die DDR“. Zum anderen haben wir uns auch in Schweigen gehüllt, weil ich ungern über Sachen rede, die überhaupt nicht ausgereift sind und als Dummschwätzer will ich heute noch nicht an geguckt werden. Diesem Idioten, den wir ziemlich zum Anfang kennen lernten, wollte ich schon mal gleich gar nichts erzählen. Dieser Typ kam, glaube ich, aus dem süddeutschen Raum. Der kam da mit einem riesigen und sehr lauten Motorrad an. Das war für alle ein echter Hingucker. Er sorgte da für großes Aufsehen, alle interessierten sich für dieses Motorrad. Das war nach seiner Aussage, eine Motoguzzi. Bei näherem Kennenlernen des Typen, sprach er davon wie toll seine Heimat ist und wie leicht das Leben mit DM in der Tasche ist. Selbst wenn man arbeitslos ist, dann würde es erst richtig losgehen. Er erzählte uns auch was bei ihm alles möglich ist mit Arbeitslosengeld. Heute weiß ich, was für ein Typ das war. Einer der es im Leben wahrscheinlich nie zu etwas bringen wird, der sich nur im Billigurlaub auf Kosten anderer profilieren kann. Aber auch nur, wenn es nicht teurer als 200,- DM ist. Typ Großschnauze und nichts dahinter. Um solche mache ich heute einen Bogen, die stehen nur im Weg und nerven vor allem.

Eines schönen Grillabends lernten wir einen gewissen Karl Heinz aus München kennen. Der Typ schien in Ordnung. Er lud uns auf einen Ausflug nach Budapest ein. Meine Güte, der hatte ein eigenartiges Auto! Hatte ich noch nicht gesehen, ein 3er BMW Cabrio! Es stand da offen und sah für mich völlig merkwürdig aus, so ungewohnt. Klingt lächerlich, aber ich kann von mir sagen, dass ich mich mit Fahrzeugen aus dem Westen überhaupt nicht auskannte. Und ein Cabrio hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Auf der A2 fahren die ja auch nicht offen und das wäre so unsere Chance ein Westauto zu sehen gewesen. Mich hätten sie aber auch wenn trotzdem nicht interessiert. Man wusste ja auch gar nicht, welches Auto es Wert ist, toll zu finden und welches nicht. Gut, es gab auch genug Leute bei uns, die den Standpunkt vertraten: „Besser Aids als gar nichts aus dem Westen“. Niemand hat behauptet es waren 17.00000 Überflieger in der Zone unterwegs.

Im Auto hatte Karl – Heinz auf der Rücksitzbank eine Art Fliegerlederkäppi liegen, er meinte wer hinten sitzt, sollte das Teil tragen. Ich beschloss sofort vorne zu sitzen und als niemand mehr darauf geachtet hatte, hatte sich Kleinjani samt der Kappe dort auf der Rücksitzbank schon eingerichtet. Jo, dann war ja alles klar. Das war witzig! Simone ist nicht mit gefahren, ich denke mal wegen ihrem Partner. Ich wollte mir das auf gar keinen Fall entgehen lassen. Schon allein deswegen, weil uns Typ vielleicht irgendwie behilflich sein könnte bei meinem immer noch Vorhaben.

1989 feierte Tina Turner ihr Comeback und Karl Heinz hatte genau diese Musikkassetten im Auto eingelegt. Das war eine Show, durch Budapest und Tina Turner laut stark in den Ohren. Wir schauten uns einige Sehenswürdigkeiten an und verbrachten einen echt tollen Tag in Budapest. Wir konnten schon mal so tun als wären wir Wessis, im richtigen Auto saßen wir ja. Es fühlte sich echt an und wir wollten mehr davon.

Dann beim Eisessen sprach ich ihn an, und erzählte ihm von unseren Plänen und das wir ganz schön am Ende sind und auf gar keinen Fall mehr zurück wollen. Das einzige wozu er bereit war, war mir seine Visitenkarte zu geben, mit den Worten: „Wenn ihr irgendwann mal in München seid, dann meldet euch, dann kann ich euch helfen“. Mir war zum heulen zumute. Der hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie wichtig das für uns war die Zone verlassen zu wollen. Wieso auch? Das kann sich auch keiner vorstellen der in einem freien Land lebt.